14.032 Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkodex zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) sowie zu weiteren Änderungen im Asyl- und Ausländerrecht vom 9. April 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit der vorliegenden Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, zum einen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkodex zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen. Der Bundesbeschluss enthält zum anderen auch die für die Umsetzung des Notenaustausches erforderlichen Änderungen des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer. Zum anderen unterbreiten wir Ihnen weitere Änderungen im Asyl- und Ausländerrecht zur Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

9. April 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2013-1964

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Übersicht Die vorliegende Botschaft bezieht sich auf die Genehmigung und Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkodex zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen (SGK-Verordnung). Diese verlangt eine kleine Anpassung im AuG. Zudem enthält die Botschaft weitere Anpassungen des AuG und des AsylG, die den Bereich von Schengen und Dublin betreffen.

Ausgangslage Am 22. Oktober 2013 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat der EU die SGK-Verordnung, zu deren Übernahme sich die Schweiz im Rahmen des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA) grundsätzlich verpflichtet hat (Art. 2 Abs. 3 und Art. 7 SAA). Der Bundesrat hat am 20. November 2013 die Übernahme dieser Schengen-Weiterentwicklung unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA) gutgeheissen. Die Schweiz hat dafür bis zum 22. Oktober 2015 Zeit.

Die Vorlage enthält weitere gesetzliche Anpassungen des Ausländergesetzes (AuG) und des Asylgesetzes (AsylG), die zum Teil eine Verbindung zu Schengen und Dublin aufweisen. Ein Vernehmlassungsverfahren fand vom 20. November 2013 bis zum 20. Februar 2014 statt.

Die beantragte Neuregelung A. Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen (Verordnung [EU] Nr. 1051/2013) Mit der vorliegenden Schengen-Weiterentwicklung werden zum einen die bestehenden Voraussetzungen und Verfahren zur vorübergehenden Wiedereinführung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen, wie sie derzeit in Artikel 23 ff. des Schengener Grenzkodex enthalten sind, präzisiert und ergänzt.

Präzisiert werden zum andern neben den Modalitäten des vorgängigen Konsultationsverfahrens sowie der einschlägigen Informations- und Berichterstattungspflichten auch die Vorgaben des Verhältnismässigkeitsprinzips.

Ergänzend zu den bisherigen Tatbeständen (Wiedereinführung bei planbaren Ereignissen und im Dringlichkeitsfall) verfügen die Schengen-Staaten neu über die Möglichkeit, Binnengrenzkontrollen unter bestimmten Bedingungen befristet wieder einzuführen, wenn anlässlich einer Schengen-Evaluation eines Landes schwerwiegende Mängel bei der Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen durch
dieses Land festgestellt werden.

Gesamthaft betrachtet belassen die Neuerungen den Entscheidungsspielraum weiterhin den Schengen-Staaten, wenn sie zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung auf das Instrument der Binnengrenzkontrollen zurückgrei-

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fen wollen. Gleichzeitig wird durch die entsprechenden Konsultationsmechanismen sichergestellt, dass auf dieses Mittel nur zurückgegriffen wird, wenn es sich effektiv als notwendig erweist. Diese Neuerungen bedingen eine kleine Anpassung des Ausländergesetzes.

Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer hat sich zustimmend zur Übernahme der SGK-Verordnung geäussert.

B. Weitere Anpassungen des Ausländergesetzes und des Asylgesetzes Wegweisung in den Herkunfts- oder Heimatstaat (Umsetzung der Richtlinie 2001/40/EG im AsylG) Die Richtlinie 2001/40/EG wurde von der Schweiz bereits im Rahmen des SchengenAssoziierungsabkommens übernommen. Nun wird eine spezifische Anwendung dieser Richtlinie im Asylbereich vorgeschlagen, um Asylsuchende mit einem abgeschlossenen Verfahren in einem Dublin-Staat und einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid direkt in ihren Herkunfts- oder Heimatstaat wegzuweisen. Damit wird einer systematischen Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat nicht immer Vorrang gegeben.

In der Praxis muss die Schweiz im Einklang mit Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 2001/40/EG prüfen, ob das Non-Refoulement-Gebot weiterhin eingehalten wird und ob der Vollzug der Wegweisung zulässig, zumutbar und durchführbar ist. Es liegt jedoch immer im freien Ermessen der Schweiz, ob sie ein Dublin-Verfahren bevorzugen oder in Anwendung von Artikel 17 der Dublin III-Verordnung die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylgesuchs übernehmen will.

Ein Nichteintretens- und Wegweisungsentscheid kann gefällt werden, wenn der zuständige Dublin-Staat nicht seit einiger Zeit (seit mehreren Monaten) Wegweisungen in diesen Staat vollzieht und wenn die Schweiz einen solchen Wegweisungsvollzug problemlos und rasch vornehmen kann. Diese Neuerung bedingt eine Anpassung der Nichteintretensentscheide im AsylG.

Die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer hat diese Bestimmung begrüsst. Der Vernehmlassungsentwurf hat daher keine Änderungen erfahren.

Anpassungen an das zentrale Visa-Informationssystem und das nationale Visumsystem Gemeindebehörden haben in manchen Fällen Kompetenzen im Bereich der Visumerteilung. Deshalb ist die Formulierung im AuG in Bezug auf die Zugangsberechtigungen zum Visa-Informationssystem leicht anzupassen, damit die Gemeinden die erforderlichen Daten im Rahmen des Visumverfahrens verarbeiten können. Diese Bestimmungen waren in der Vernehmlassung unbestritten. Der Vernehmlassungsentwurf hat daher keine Änderungen erfahren.

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Anpassung der Durchsetzungshaft im AuG Bereits heute ist die Anordnung der Durchsetzungshaft gegenüber Kindern und Jugendlichen, die das 15. Altersjahr noch nicht abgeschlossen haben, ausgeschlossen. Der Klarheit halber soll dies in Artikel 80 Absatz 4 AuG nun ausdrücklich verankert werden. Die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer hat sich zustimmend zur Gesetzesänderung geäussert. Der Vernehmlassungsentwurf hat daher keine Änderungen erfahren.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Grundzüge der Vorlage

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2

Notenaustausch zur Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 2.1 Ausgangslage 2.2 Verhandlungen in den zuständigen Arbeitsgruppen und deren Würdigung 2.3 Verfahren zur Übernahme der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands 2.4 Überblick üben den Inhalt der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 2.4.1 Präzisierung der bestehenden Regelungen (nArt. 23­25 SGK) 2.4.2 Neues Verfahren bei erheblichen Defiziten bei Aussengrenzkontrollen (nArt. 19a, 23, 26 und 26a SGK) 2.4.3 Präzisierung der institutionellen Nebenbestimmungen (nArt. 24, 27, 29, 30 und 33a SGK) 2.5 Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens und Haltung des Bundesrates 2.6 Gesetzesänderung aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 2.6.1 Beantragte Neuregelung 2.6.2 Erläuterung zur Bestimmung im AuG 2.7 Verfassungsmässigkeit 2.7.1 Abschlusskompetenz 2.7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen

3

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3379 3379 3380 3381 3383 3384 3386 3387 3388 3390 3390 3391 3391 3391 3392

Anpassungen im AuG 3.1 Anpassung der Durchsetzungshaft 3.1.1 Notwendigkeit der Änderung 3.1.2 Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens und Haltung des Bundesrates 3.1.3 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen 3.2 Anpassungen in Bezug auf das zentrale Visa-Informationssystem und das nationale Visumsystem ORBIS 3.2.1 Notwendigkeit der Anpassung 3.2.2 Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens und Haltung des Bundesrates 3.2.3 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen 3.3 Rechtliche Aspekte 3.3.1 Verfassungsmässigkeit 3.3.2 Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen

3392 3393 3393

Anpassung im AsylG 4.1 Richtlinie 2001/40/EG über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen 4.1.1 Notwendigkeit der Anpassung

3395

3393 3393 3394 3394 3394 3394 3395 3395 3395

3396 3397 3377

Beantragte Regelung Ergebnis der Vernehmlassung und Haltung des Bundesrates 4.1.4 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen Rechtliche Aspekte 4.2.1 Verfassungsmässigkeit 4.2.2 Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen 4.1.2 4.1.3

4.2

3398 3398 3401 3403 3403 3403

5

Auswirkungen 5.1 Auswirkungen auf den Bund 5.2 Auswirkungen auf die Kantone

3403 3403 3404

6

Verhältnis zur Legislaturplanung

3405

Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkodex zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) (Entwurf)

3407

Notenaustausch vom ... zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkodex zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands)

3411

Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG) (Entwurf)

3413

Asylgesetz (AsylG) (Entwurf)

3415

3378

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

Diese Botschaft enthält zwei Teile: Zum einen geht es um die Genehmigung und Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/20131, einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands (Ziff. 2).

Zum anderen gilt es, Anpassungen im Bundesgesetz vom 16. Dezember 20052 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) sowie im Asylgesetz vom 26. Juni 19983 (AsylG) vorzunehmen, die überwiegend ebenfalls einen Bezug zum SchengenBesitzstand aufweisen (Ziff. 3 und 4).

2

Notenaustausch zur Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013

2.1

Ausgangslage

Als Folge des arabischen Frühlings ist der Migrationsdruck aus Nordafrika angestiegen. Gleichzeitig führten verschiedene EU-Staaten aus unterschiedlichen Gründen vorübergehend verstärkte Kontrollen an den Binnengrenzen durch, was in der EU zu kontroversen Diskussionen über eine Vereinfachung der Einführung von Binnengrenzkontrollen und eine effizientere Durchführung von Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen geführt hat. In diesem Kontext machte die Europäische Kommission am 16. September 2011 Vorschläge zu einer verbesserten Steuerung der Schengener Zusammenarbeit (sog. «Schengen Gouvernanz») mit dem Ziel, das Schengener System als Ganzes zu stärken, sodass insbesondere Belastungen, welche auf Schwachstellen an den Aussengrenzen oder auf unbeeinflussbare externe Faktoren zurückzuführen sind, besser bewältigt werden können. Konkret legte sie zwei Verordnungsentwürfe vor: einen zur Revision des bestehenden Schengener Evaluationsmechanismus4 und einen zur Anpassung der Regeln im Schengener Grenz-

1

2 3 4

Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen unter aussergewöhnlichen Umständen, ABI. L 295 vom 6.11.2013, S. 1.

SR 142.20 SR 142.31 Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 des Rates vom 7. Oktober 2013 zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung des Beschlusses des Exekutivausschusses vom 16. September 1998 bezüglich der Errichtung des Ständigen Ausschusses Schengener Durchführungsübereinkommen, ABI. L 295 vom 6.11.2013, S. 27.

3379

kodex5 (im Folgenden: SGK) betreffend die vorübergehende Wiedereinführung von Personenkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen.

Am 8. Oktober 2013 bzw. am 22. Oktober 2013 wurden die beiden Verordnungen ­ Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 zum Schengen-Evaluierungsmechanismus bzw. die Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des SGK ­ verabschiedet. Mit der zweitgenannten Verordnung, die der Schweiz am 16. Oktober 2013 als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands notifiziert wurde und um deren Übernahme und Umsetzung es vorliegend geht, werden die Bestimmungen über die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen überarbeitet und ergänzt.

Die Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung der Revision des bestehenden Schengener Evaluationsmechanismus wird gesondert verfasst und dem Parlament unterbreitet.

2.2

Verhandlungen in den zuständigen Arbeitsgruppen und deren Würdigung

Gestützt auf Artikel 4 des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA)6 sowie auf die Artikel 2 und 3 der sog. Komitologie-Vereinbarung7 mit der EU ist die Schweiz im Rahmen ihres gestaltenden Mitspracherechts berechtigt, hinsichtlich sämtlicher Fragen, welche die Schengen-Angelegenheiten betreffen, in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU und in den Ausschüssen, welche die Europäische Kommission bei der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse unterstützten (Komitologie-Ausschüsse), mitzuwirken. Sie kann insbesondere Stellung nehmen und Anregungen anbringen. Über ein Stimmrecht verfügt die Schweiz jedoch nicht (vgl.

Art. 7 Abs. 1 SAA bzw. Art. 5 Abs. 1 Komitologie-Vereinbarung).

Die Beratungen über die beiden Verordnungstexte wurden von den Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2011 bis 2013 in mehreren Sitzungen insbesondere der zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU auf Expertenstufe im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (COREPER) und auf Ministerebene in Brüssel (Rat der Justiz- und Innenminister, JAI-Rat) geführt, welche jeweils im COMIXFormat, also im Beisein der assoziierten Staaten, getagt haben.

Die Vertreterinnen und Vertreter des Bundes und der Kantone konnten im Rahmen dieser Sitzungen aktiv ihre Haltung zum Verordnungsentwurf geltend machen.

5

6

7

Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABI L 105 vom 13.04.2006, S. 1. Von der Schweiz übernommen mit dem Notenaustausch vom 28. März 2008 (SR 0.362.380.010).

Vgl. Bundesbeschluss vom 17. Dezember 2004 über die Genehmigung und die Umsetzung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung zu Schengen und Dublin (AS 2008 447).

Vereinbarung vom 22. September 2011 zwischen der Europäischen Union sowie der Republik Island, dem Fürstentum Liechtenstein, dem Königreich Norwegen und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Beteiligung dieser Staaten an der Arbeit der Ausschüsse, die die Europäische Kommission bei der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse in Bezug auf die Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des SchengenBesitzstands unterstützen, SR 0.362.11.

3380

Der im September 2011 vorgestellte Kommissionsvorschlag sah u. a. ein gemeinsames Verfahren zur Wiedereinführung von Personenkontrollen an den Binnengrenzen vor. Im Falle einer Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit hätte ein Schengen-Staat der Kommission einen Antrag stellen müssen, um für einen bestimmten Zeitraum ausländerrechtliche Grenzkontrollen wieder einführen zu können. Die Kommission hätte daraufhin einen konkreten Vorschlag über die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen vorgelegt. Mit qualifizierter Mehrheit hätte im Rahmen eines Komitologie-Verfahrens anschliessend über die Durchführung dieser Massnahme entschieden werden sollen. In den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU hatte die Schweiz zusammen mit anderen Schengen-Staaten jedoch die Position vertreten, dass die Entscheidungsbefugnis in jedem Fall bei den betroffenen Schengen-Staaten verbleiben und nicht dem Rat oder der Kommission übertragen werden sollte. Die nun vorliegende Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 erfüllt diese Voraussetzung. Die Schengen-Staaten können ­ wie bisher ­ die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen beschliessen, wenn eine erhebliche Gefahr für ihre öffentliche Ordnung oder innere Sicherheit vorliegt. Diese Lösung entspricht somit den Verhandlungszielen der Schweiz.

Die Schengen-Staaten einigten sich anlässlich des Rates für Inneres und Justiz vom 7. Juni 2012 auf einen Kompromiss. Basierend auf diesem Entscheid stellte die Präsidentschaft am COREPER vom 17. Dezember 2012 einen neuen Kompromisstext vor, der die Haltung der im Rat vertretenen Schengen-Staaten zum Ausdruck brachte.

Danach wurden Verhandlungen zwischen der Ratspräsidentschaft, dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission im Rahmen des sog. Trilogs weitergeführt. Ziel war es, einen Konsens zwischen den am Verfahren beteiligten EU-Institutionen möglichst in erster Lesung zu erzielen und die Verordnung auf dieser Grundlage zu verabschieden. Der informelle Trilog fand am 20. Februar 2013 statt. Zudem trafen sich Anfang März 2013 die Rechtsdienste der Europäischen Kommission, des Rates sowie des Europäischen Parlaments zur Besprechung der sog. «Brückenklausel» (Art. 37a), welche auf den neuen Schengener Evaluationsmechanismus verweist. Der formelle Trilog fand schliesslich am 29. Mai
2013 statt.

Aus diesen Verhandlungen resultierte am 30. Mai 2013 ein definitiver Kompromisstext. Das Europäische Parlament stimmte diesem am 12. Juni 2013 zu, ohne weitere Änderungen anzubringen. Der Rat verabschiedete anschliessend die Verordnung zur Änderung des SGK an seiner Sitzung vom 8. Oktober 2013.

Die Verordnung wurde am 22. Oktober 2013 schliesslich durch die Unterzeichnung des Rechtsaktes durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates der EU formell verabschiedet. Sie wurde am 6. November 2013 im Amtsblatt der EU publiziert und tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.

2.3

Verfahren zur Übernahme der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands

Gestützt auf Artikel 2 Absatz 3 des SAA ist die Schweiz grundsätzlich gehalten, alle Rechtsakte, welche die EU seit der Unterzeichnung des SAA am 26. Oktober 2004 als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands erlassen hat, zu übernehmen und soweit erforderlich in das Schweizer Recht umzusetzen.

3381

Artikel 7 SAA sieht ein spezielles Verfahren für die Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands vor. Zunächst notifiziert die EU der Schweiz «unverzüglich» die Annahme eines Rechtsaktes, der eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt. Danach verfügt der Bundesrat über eine Frist von 30 Tagen, um dem zuständigen Organ der EU (Rat der EU oder Kommission) mitzuteilen, ob und gegebenenfalls innert welcher Frist die Schweiz die Weiterentwicklung übernimmt. Handelt es sich wie vorliegend um einen Rechtsakt des Rats der EU und des Europäischen Parlaments, läuft die Frist ab der Annahme des Rechtsakts durch die EU (Art. 7 Abs. 2 Bst. a SAA).

Soweit die zu übernehmende Weiterentwicklung rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaustausch, der aus Sicht der Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt.

Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben muss dieser Vertrag entweder vom Bundesrat oder vom Parlament und, im Fall eines Referendums, vom Volk genehmigt werden.

Ist wie vorliegend die Bundesversammlung für die Genehmigung des Notenaustausches zuständig, muss die Schweiz der EU in ihrer Antwortnote mitteilen, dass die betreffende Weiterentwicklung für sie erst «nach Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Voraussetzungen» rechtsverbindlich wird (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Ab der Notifizierung des Rechtsaktes durch die EU verfügt die Schweiz für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklung über eine Frist von höchstens zwei Jahren.

Innerhalb dieser Frist muss auch eine allfällige Referendumsabstimmung stattfinden.

Ist das innerstaatliche Verfahren zu Ende und sind alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung erfüllt, so unterrichtet die Schweiz hierüber den Rat und die Kommission unverzüglich in schriftlicher Form. Wird kein Referendum ergriffen, erfolgt diese Mitteilung, die der Ratifizierung des Notenaustausches gleichkommt, unverzüglich nach Ablauf der Referendumsfrist.

Im vorliegenden Fall wurde die Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 der Schweiz zwar schon am 16. Oktober 2013 notifiziert. Die formelle Verabschiedung des Rechtsaktes erfolgte jedoch erst am 22. Oktober 2013 mittels Unterzeichnung des Rechtsaktes durch die
Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates der EU. Die maximale Frist für die Übernahme und Umsetzung der Verordnung beginnt somit erst am 22. Oktober 2013 zu laufen und dauert entsprechend bis zum 22. Oktober 2015.

Der Bundesrat beschloss am 20. November 2013, die Verordnung unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsmässigen Voraussetzungen zu akzeptieren, und notifizierte dem Rat der EU seinen Beschluss.

Eine allfällige Nichtübernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands würde im äussersten Fall die Beendigung der Zusammenarbeit von Schengen insgesamt (und damit automatisch auch von Dublin8) nach sich ziehen (Art. 7 Abs. 4 SAA).9

8 9

Artikel 14 Absatz 2 Dublin-Assoziierungsabkommen (SR 0.142.392.68).

Vgl. Botschaft «Bilaterale II», BBl 2004 6133, Ziffer 2.6.7.5.

3382

2.4

Überblick üben den Inhalt der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013

Der SGK konsolidierte und ersetzte die ursprünglichen Rechtsgrundlagen, namentlich das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)10. Er stellt die aktuelle Rechtsgrundlage zur Frage des Grenzübertritts an den Binnen- und Aussengrenzen des Schengen-Raums dar und enthält Bestimmungen über die Einreisevoraussetzungen sowie die bei der Durchführung der Grenzkontrolle zu beachtenden Grundsätze (z. B. obligatorische SIS-Abfrage, Abstempelung der Reisedokumente, getrennte Kontrollspuren an den Grenzübergangsstellen, Kontrollintensität, personelle und finanzielle Ressourcen für die Grenzkontrollen). Darüber hinaus statuiert der SGK die grundsätzlichen Verpflichtungen zum Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen und regelt die Voraussetzungen und Verfahren zur vorübergehenden Wiedereinführung dieser Kontrollen in besonderen Fällen.

Die letztgenannten Bestimmungen (aArt. 21­31 SGK) werden durch die Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 geändert, wobei der bestehende Rechtsrahmen im Ergebnis vor allem präzisiert und teilweise auch ergänzt wird.

Nach den geltenden Vorgaben des SGK können bei Vorliegen einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit Personenkontrollen an den Binnengrenzen grundsätzlich für höchstens dreissig Tage ­ jedoch mit Verlängerungsmöglichkeit (aArt. 23 Abs. 2 SGK) ­ wieder eingeführt werden, sofern die Massnahme in sachlicher und zeitlicher Hinsicht verhältnismässig ist (aArt. 23 Abs. 1 SGK). Der betroffene Schengen-Staat verfügt damit über einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung dieser Massnahme. Namentlich ist er berechtigt, die Personenkontrolle lageabhängig, zeitlich und örtlich begrenzt wieder aufzunehmen. Möglich sind dabei Kontrollen an den gesamten Binnengrenzen oder an Teilabschnitten hiervon (z. B. an Binnengrenzen zu einem bestimmten anderen Schengen-Staat).

Daran anknüpfend sind im geltenden SGK detaillierte Verfahrensregeln enthalten, um hauptsächlich eine Konsultation der anderen Staaten sowie der Kommission bei vorhersehbaren Ereignissen (aArt. 24 SGK), bei Dringlichkeit (aArt. 25 SGK) oder im Falle einer Verlängerung (aArt. 26 SGK) sicherzustellen.

Mit der vorliegenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands werden diese bisherigen Regelungen betreffend die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen inhaltlich
sowie strukturell auf eine neue Grundlage gestellt. Die Anpassung verfolgt dabei vorab zwei Ziele: Zum einen werden die bestehenden Voraussetzungen und Verfahren präzisiert und punktuell ergänzt. Zum anderen eröffnet die Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 den Schengen-Staaten neu die Möglichkeit, die Binnengrenzkontrollen unter bestimmten Bedingungen zusätzlich dann vorübergehend wieder einzuführen, wenn anlässlich einer Schengen-Evaluation eines Landes schwerwiegende Mängel in Bezug auf dessen Kontrolle der SchengenAussengrenzen festgestellt werden.

10

Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommensvon Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.

3383

Gesamthaft betrachtet belassen die Neuerungen die Entscheidkompetenz zur (vorübergehenden) Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung weiterhin bei den Schengen-Staaten. Gleichzeitig wird durch die entsprechenden Konsultationsmechanismen sichergestellt, dass dabei dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz Genüge getan und auf das Mittel der Binnengrenzkontrollen nur zurückgegriffen wird, wenn sich dies effektiv als notwendig erweist.

Die wichtigsten Neuerungen können wie folgt zusammengefasst werden:

2.4.1

Präzisierung der bestehenden Regelungen (nArt. 23­25 SGK)

Mit der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 werden die bisherigen Voraussetzungen und Verfahren betreffend die (vorübergehende) Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen präzisiert und punktuell durch neue Vorgaben ergänzt: Allgemeiner Rahmen für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen (nArt. 23 SGK) Wie bis anhin hat ein Schengen-Staat bei der Wiedereinführung von Personenkontrollen insbesondere das Kriterium der Verhältnismässigkeit zu beachten. Die Massnahme darf «in Umfang und Dauer nicht über das Mass hinausgehen, das unbedingt erforderlich ist», um gegen die vorliegende ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit vorzugehen (Abs. 1). Neu wird in Absatz 2 präzisiert, dass die Kontrollen an den Binnengrenzen «nur als letztes Mittel» eingeführt werden dürfen. Dabei sind die in den neuen Artikel 23a und 26a SGK aufgelisteten Kriterien zu beachten.

Bis anhin konnten bei Vorliegen schwerwiegender Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit Personenkontrollen an den Binnengrenzen grundsätzlich für höchstens dreissig Tage wieder eingeführt werden. Die Durchführung der vorübergehenden Grenzkontrollen aufgrund vorhersehbarer Ereignisse konnte allerdings jeweils für maximal weitere dreissig Tage verlängert werden. Neu können die Binnengrenzkontrollen für die Dauer von maximal sechs Monaten wieder eingeführt werden. Liegen aussergewöhnliche Umstände vor, kann dieser Gesamtzeitraum auf zwei Jahren verlängert werden (Abs. 4).

Kriterien für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen (nArt. 23a SGK) Der neue Artikel 23a SGK sieht vor, dass der betroffene Schengen-Staat bei der Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen zu bewerten hat, ob diese Massnahme geeignet und verhältnismässig ist (Abs. 1). Zudem hat er auch den Auswirkungen einer solchen Massnahme auf den freien Personenverkehr Rechnung zu tragen (Abs. 2).

Geplante Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen bei vorhersehbaren Ereignissen (nArt. 24 SGK) Beabsichtigt ein Schengen-Staat (oder mehrere Schengen-Staaten) die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen bei vorhersehbaren Ereignissen, hat er die anderen Staaten und die Kommission neu grundsätzlich spätestens vier Wochen vor 3384

der geplanten Wiedereinführung mit Angabe von Gründen, Umfang und Zeitpunkt sowie der Dauer dieser Massnahme in Kenntnis zu setzen (Abs. 1). Bis anhin war kein konkreter Zeitpunkt zur Information vorgesehen.

Der betreffende Schengen-Staat kann, soweit erforderlich, gewisse Teile dieser Informationen als «Verschlusssache» einstufen. Diese Einstufung kann jedoch nach Massgabe der einschlägigen Informationsschutzvorschriften eine allfällige Weiterleitung der Informationen an das Europäische Parlament nicht verhindern.

Wenn es sich als notwendig erweist, kann die Kommission bei dem betreffenden Schengen-Staat zusätzliche Informationen anfordern.

Die Übermittlung dieser Daten hat nicht nur an die Kommission und die anderen Schengen-Staaten, sondern neu gleichzeitig auch an das Europäische Parlament und an den Rat zu erfolgen (Abs. 2).

Im Anschluss an diese Mitteilung kann die Kommission wie bis anhin eine Stellungnahme abgeben. Dies insbesondere, wenn sie Bedenken hinsichtlich der Notwendigkeit oder der Verhältnismässigkeit der geplanten Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen hat. Präzisiert wird zudem, dass neben der Kommission auch jeder andere Schengen-Staat eine Stellungnahme im Hinblick auf die Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen abgeben kann (Abs 4). Nach wie vor dient diese Konsultation dazu, die Zusammenarbeit zwischen den Schengen-Staaten zu organisieren und sicherzustellen, dass die Massnahme tatsächlich verhältnismässig ist (Abs. 5).

Neu finden diese Konsultationen mindestens 10 Tage (bis anhin 15 Tage) vor dem geplanten Zeitpunkt der Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen statt (Abs. 6).

Unverzügliche Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen (nArt. 25 SGK) Erfordern die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit eines Schengen-Staates ein sofortiges Handeln, so kann der betreffende Staat unverzüglich die Personenkontrollen an seinen Binnengrenzen neu für höchstens zehn Tage wiedereinführen (Abs. 1). Nach bisherigem Recht war die Zeitdauer unbeschränkt.

Wie bis anhin hat der Staat, der die Kontrollen an den Binnengrenzen wieder einführt, die Kommission und die anderen Schengen-Staaten so schnell wie möglich davon in Kenntnis zu setzen (Abs. 2).

Die Massnahmen können neu jeweils nur um 20 Tage verlängert werden, dürfen insgesamt maximal zwei Monate (bei aussergewöhnlichen
Umständen bis zwei Jahre, nArt. 23 Abs. 4 SGK) dauern und müssen durch den betreffenden Staat auf ihre Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit hin bewertet werden (Abs. 3). Bei jedem Verlängerungsbeschluss muss wieder ein Konsultationsverfahren durchgeführt werden (vgl. nArt. 24 Abs. 4 SGK).

Die Kommission hat das Europäische Parlament über die getroffene Massnahme des Schengen-Staates unverzüglich zu informieren (Abs. 5).

3385

2.4.2

Neues Verfahren bei erheblichen Defiziten bei Aussengrenzkontrollen (nArt. 19a, 23, 26 und 26a SGK)

Empfehlung der Europäischen Kommission (nArt. 19a SGK) Werden im Rahmen der Evaluation eines Schengen-Staates schwere Mängel in der Aussengrenzkontrolle dieses Schengen-Staates festgestellt, welche die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit des Schengen-Raums gefährden, hat die Kommission die Möglichkeit, diesem Staat gewisse Massnahmen zu empfehlen. Diese Massnahmen können beispielsweise den Einsatz von Frontex-Grenzschutzteams oder eine verstärkte Zusammenarbeit mit Frontex11 im Bereich der strategischen Planung umfassen. Sie können aber einem Staat nicht aufgezwungen werden (nArt. 19a Abs. 1 SGK).

Die Europäische Kommission hat neben dem für Grenzfragen zuständigen Komitologie-Ausschuss (nArt. 33a SGK) neu auch das Europäische Parlament und den Rat der EU über die Fortschritte der Massnahme regelmässig zu unterrichten (nArt. 19a Abs. 2 SGK).

Stellt die Kommission fest, dass sich die Situation an der Schengen-Aussengrenze des besagten Schengen-Staates innerhalb von drei Monaten nicht verbessert, kann sie, sofern alle Voraussetzungen hierfür erfüllt sind, die Anwendung des Verfahrens nach dem neuen Artikel 26 SGK auslösen und dem Rat der EU vorschlagen, dem betroffenen Schengen- Staat die vorübergehende Einführung der Binnengrenzkontrollen zu empfehlen.

Bevor die Kommission einen Vorschlag in diesem Sinne abgibt, kann sie weitere Informationen von den Mitgliedstaaten und Einrichtungen der EU wie Frontex oder Europol anfordern (nArt. 26a Abs. 2 Bst. a SGK). Sie kann zudem mit der Unterstützung von Sachverständigen Kontrollbesuche durchführen, um Informationen zu erhalten, welche für den Vorschlag an den Rat der EU von Bedeutung sind.

Empfehlungen des Rates der EU (nArt. 26 Abs. 1 und 2 sowie nArt. 26a SGK) Sollten die von der Europäischen Kommission empfohlenen Massnahmen (nArt. 19a SGK) nicht ausreichen, und sollten die Mängel in der Aussengrenzkontrolle eines Schengen-Staates die innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung im Schengen-Raum weiterhin gefährden, kann der Rat der EU auf Vorschlag der Kommission einem oder mehreren Schengen-Staaten empfehlen, für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten Kontrollen an seinen Binnengrenzen wieder einzuführen (nArt. 26 Abs. 1 und 2 SGK). Falls erforderlich können auf Empfehlung des Rates der EU ­ bzw. im Dringlichkeitsfall auf direkte
Empfehlung der Europäischen Kommission (nArt. 26 Abs. 4 SGK) ­ diese Grenzkontrollen drei Mal um höchstens sechs Monate verlängert werden (nArt. 26 Abs. 1 SGK).

Bevor der Rat der EU als letztes Mittel den Schengen-Staaten empfiehlt, vorübergehend Personenkontrollen an ihren Binnengrenzen wieder einzuführen, bewertet er, inwieweit eine derartige Massnahme eine angemessene Reaktion auf die Bedrohung darstellt, und ob sie verhältnismässig ist. Dabei berücksichtigt er insbesondere die 11

Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 25.11.2004, S. 1.

3386

voraussichtlichen Auswirkungen einer solchen Massnahme auf den freien Personenverkehr (nArt. 26a Abs. 1 SGK).

Die einzelnen Schengen-Staaten können bei der Kommission beantragen, dem Rat der EU einen Vorschlag zu einer solchen Empfehlung der Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen zu unterbreiten (nArt. 26 Abs. 2 SGK).

Folgt ein Schengen-Staat dieser Empfehlung, und führt er Binnengrenzkontrollen ein, so hat er die anderen Schengen-Staaten und die Kommission davon in Kenntnis zu setzen (nArt. 26 Abs. 1 SGK).

Setzt ein Schengen-Staat die Empfehlung des Rates der EU nicht um, so hat er dies der Kommission unter Angabe von Gründen mitzuteilen. Die Kommission unterrichtet in der Folge das Europäische Parlament und den Rat der EU mit einem entsprechenden Bericht darüber (nArt. 26 Abs. 3 SGK).

Das Ziel dieses neuen Verfahrens besteht darin, einerseits neue Massnahmen für den Fall schwerwiegender Mängel an einem Abschnitt der Schengener Aussengrenze zu schaffen und andererseits sicherzustellen, dass die Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen dem Verhältnismässigkeitsprinzip entspricht. Dies bedeutet, dass die Massnahme nur als letztes Mittel innerhalb eines befristeten Zeitraums, eines begrenzten geografischen Gebiets und auf der Grundlage objektiver Kriterien eingesetzt werden kann; ferner muss die Massnahme auf EU-Ebene auf ihre Notwendigkeit hin bewertet werden.

Unabhängig von diesem neuen Verfahren steht es den Schengen-Staaten weiterhin frei, bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit ihres Landes, unter Beachtung der in den neuen Artikeln 23, 24 und 25 SGK festgehaltenen Regeln, Kontrollen an ihren Binnengrenzen wieder einzuführen (nArt. 26 Abs. 5 SGK).

2.4.3

Präzisierung der institutionellen Nebenbestimmungen (nArt. 24, 27, 29, 30 und 33a SGK)

Informationspflichten (nArt. 24 und 27 SGK) Gemäss Artikel 24 Absatz 2 hat derjenige Schengen-Staat, welcher die Binnengrenzkontrollen vorübergehend wieder einführt, neben der Europäischen Kommission und den übrigen Schengen-Staaten neu auch den Rat und das Europäische Parlament zu informieren.

Zudem hat neu in erster Linie die Europäische Kommission und der betroffene Staat bzw. die betroffenen Staaten den Rat der EU und das Europäische Parlament über allfällige Situationen, die die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen rechtfertigen könnten, möglichst frühzeitig zu informieren (nArt. 24 und 27 SGK).

Bericht über die Einführung von Binnengrenzkontrollen (nArt. 29 SGK) Der betreffende Schengen-Staat hat dem Europäischen Parlament, dem Rat der EU sowie der Europäischen Kommission den Bericht über die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen neu spätestens vier Wochen nach der Aufhebung dieser Massnahme vorzulegen.

3387

Zu dieser Ex-Post-Bewertung kann die Kommission neu eine Stellungnahme abgeben. Zudem hat die Kommission zuhanden des Europäischen Parlaments und des Rates einmal im Jahr einen Bericht vorzulegen, der eine Liste aller Beschlüsse zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen im laufenden Jahr enthält.

Information der Öffentlichkeit (nArt. 30 SGK) Neu wird präzisiert, dass die Kommission und der betreffende Schengen-Staat die Information der Öffentlichkeit über die getroffene Massnahme gemeinsam abzustimmen haben.

Ausschussverfahren (nArt. 33a SGK) Die Kommission wird wie bis anhin von einem Ausschuss unterstützt. Der neue Artikel 33a SGK regelt das neue Ausschussverfahren und verweist dabei auf die Verordnung (EU) Nr. 182/201112.

Brückenklausel (nArt. 37a SGK) Auf Druck des Europäischen Parlaments wurde eine Brückenklausel in die Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 aufgenommen. Diese stellt eine Verbindung zwischen dem Schengener Grenzkodex und der Verordnung zum neuen Schengener Evaluierungsmechanismus her. In dieser Klausel wird der Evaluierungsmechanismus deskriptiv nochmals abgebildet. Zudem sollen im Falle einer Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen auch klassifizierte Informationen an das Europäische Parlament geliefert werden müssen. Die Bestimmung dient primär interinstitutionellen Zwecken innerhalb der EU. So liegt der Sinn der Bestimmung darin, eine Mitsprachemöglichkeit des Europäischen Parlaments bei einer Änderung des Evaluierungsmechanismus sicherzustellen, handelt es sich bei der Verordnung zum neuen Schengener Evaluierungsmechnismus ­ im Gegensatz zum SGK ­ doch um einen Rechtsakt des Rates, der ohne Zustimmung des Parlaments verabschiedet werden könnte (vgl. Art. 70 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union 13).

2.5

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens und Haltung des Bundesrates

Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200514 wurde vom 20. November 2013 bis zum 20. Februar 2014 ein ordentliches Vernehmlassungsverfahren durchgeführt.

Zur Vorlage sind gesamthaft 38 Stellungnahmen eingegangen. Mit Ausnahme von Uri haben sich alle Kantone, die FDP.Die Liberalen (FDP), die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Sozialdemokratische Partei (SP) sowie 10 Verbände und interessierte Kreise ­ Flughafen Zürich, Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), Centre Patronal (CP), Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS), Fédération des entreprises romandes 12

13 14

Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13.

ABl. C 115 vom 9.5.2008, S. 47.

SR 172.061

3388

(FER), Forum für die Integration der Migrantinnen und Migranten (FIMM), Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS), Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB) und UNHCR ­ zur Vorlage geäussert.

Die Kantone BE, BS, FR, GR, NW, SG, SH, TG, TI und ZH stimmen der Vernehmlassungvorlage ohne weitere Bemerkungen zu.

AG, AI, AR, BL, JU, LU, NE, SO, ZG, die FDP und das CP begrüssen die neue Regelung zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen. Sie befürworten auch die Anpassungen des Ausländer- und Asylrechts.

Die SP, SFH, FIMM, HEKS und das UNHCR haben hauptsächlich zur Umsetzung der Richtlinie 2001/40/EG Stellung genommen und fordern gewisse Garantien im Rahmen der Anwendung dieser Richtlinie.

Die Stellungnahmen zur Übernahme der Regelung des SGK werden nachfolgend erläutert. Die Meinungen zu den anderen Inhalten der Vernehmlassung werden unter den Ziffern 3.1.2, 3.2.2 und 4.1.3 dargelegt.

Stellungnahmen zur Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 Praktisch alle Kantone, die FER, die KKJPD und der SGB begrüssen die neue Regelung zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen. Einzig SZ und die SVP lehnen die Änderung des Schengener Grenzkodex als weitere Beschneidung der nationalen Kompetenzen im Bereich der inneren Sicherheit ab.

AG, AR, GE, JU, SO und das CP befürworten die vorgeschlagenen Änderungen. Sie haben zur Kenntnis genommen, dass die neue Regelung den Schengen-Staaten die Entscheidkompetenz zur vorübergehenden Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen belässt in Fällen, in denen aufgrund einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit sofortiges Handeln erforderlich ist (Art. 25 SGK).

AR, JU und SO sind der Ansicht, dass mit den Konsultationsmechanismen, also der Informations- und Berichterstattungspflicht, sichergestellt werden kann, dass ein solches Instrument dem Verhältnismässigkeitsprinzip entspricht (Art. 23a SGK) und dass Kontrollen an den Binnengrenzen nur dann eingeführt werden, wenn sich diese als notwendig erweisen. Dadurch wird dem Prinzip der Personenfreizügigkeit Rechnung getragen. AG bemerkt hingegen, dass die Voraussetzungen für die vorgesehenen Massnahmen ziemlich streng seien und dass die Informationspflicht gegenüber den europäischen Organen und den Schengen-Staaten anspruchsvoll sei.

GE und
die FER begrüssen den dynamischen Charakter des vorliegenden Entwurfs, der zeige, dass es möglich sei, das Schengen-Abkommen einem neuen Kontext und neuen Bedürfnissen anzupassen. Sie nehmen ausserdem mit Befriedigung zur Kenntnis, dass die Stimmen der Staaten mehr Gewicht haben ­ auch wenn die Vorrechte, von denen sie mit dieser Reform profitieren, in einem relativ strengen Rahmen und unter Koordination der Europäischen Kommission gehandhabt werden.

Die FER hebt in diesem Zusammenhang die positive Rolle des Schweizer Engagements im Rahmen der Komitologie hervor. FR, VD, VS und das CP betonen, dass die Übernahme dieser Schengen-Weiterentwicklung dem entspreche, was von den Vertretern der Schweiz und insbesondere der Kantone in Brüssel ausgehandelt wurde.

3389

JU und das CP begrüssen die Massnahmen gegen Länder, die schwerwiegende Mängel in Bezug auf die Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen aufweisen. JU bemerkt hingegen, dass der Einfluss der Europäischen Kommission sich auf Empfehlungen beschränke und nicht erlaube, strengere Massnahmen zu treffen (Art. 19a, 23, 26 und 26a SGK). GE äussert sich zufrieden über die vorgeschlagenen Änderungen und betont ebenfalls, dass der Einsatz von europäischen Grenzwachtteams und von Frontex notwendig sei (Art. 19a SGK).

Die FDP befürwortet die Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013. AG und die FDP begrüssen auch, dass die Dauer der Grenzkontrollen von 30 Tagen auf sechs Monate verlängert werden könne. GE und FER befürworten den verlängerten Zeitraum für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen. JU spricht sich ebenfalls für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen während eines Zeitraums von bis zu sechs Monaten aus, der bei aussergewöhnlichen Umständen aufgrund vorhersehbarer Ereignisse gar bis auf zwei Jahre verlängert werden könnte (Art. 24 SGK).

Der Flughafen Zürich ist der Ansicht, dass die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen zwei zusätzliche Grenzwachtstellen und eine Infrastruktur bedingen würde, die heute fehlt. Kontrollen an den Binnengrenzen bringen nach Meinung des Flughafens Zürich höhere Kosten für die Kantonspolizei und den Kanton Zürich mit sich. Es müsste gewährleistet sein, dass die Kontrollen mobil und ohne Infrastruktur und folglich ohne finanzielle Auswirkungen auf die Flughäfen erfolgen.

AI, BL und OW gehen davon aus, dass die Übernahme dieser Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands keine finanziellen und personellen Auswirkungen habe.

Stellungnahme des Bundesrates Aufgrund der positiven Kritiken, die geäussert wurden, ist keine Anpassung des Vernehmlassungsentwurfs erforderlich, und die Übernahme dieser Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands wird befürwortet.

Die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen hat Auswirkungen auf die Praxis, da die Kontrollen nach Artikel 5 des Grenzkodex wieder durchzuführen wären. Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen am Flughafen Zürich würde wie bereits heute eine minimale Infrastruktur und zusätzliche Ressourcen bedingen. Insbesondere ist für Drittstaatsangehörige eine Abfrage im Schengener Visa-Informationssystem und im SIS durchzuführen. Die notwendigen Massnahmen sind nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu treffen.

2.6

Gesetzesänderung aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013

2.6.1

Beantragte Neuregelung

Die Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 enthält zwar hinreichend konkrete Bestimmungen für eine unmittelbare Anwendung im Einzelfall. Bei einer Bestimmung im AuG muss jedoch der Verweis auf die relevanten Bestimmungen des SGK betreffend die Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen angepasst werden. In Artikel 7 Absatz 3 AuG muss der Verweis auf Artikel 23 SGK durch einen Verweis auf die neuen Bestimmungen des SGK betreffend die Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen ersetzt werden.

3390

2.6.2

Erläuterung zur Bestimmung im AuG

Art. 7 Abs. 3 Wird an der Binnengrenze im Falle einer Wiedereinführung der Grenzkontrolle gemäss Artikel 23 SGK eine Einreise verweigert, sollen die die Kontrolle durchführenden Behörden die Einreiseverweigerung mit der im SGK vorgesehenen Formularverfügung eröffnen. Der Entscheid ist sofort vollstreckbar, und eine allfällige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.

Da Artikel 23 SGK mit der zu übernehmenden EU-Verordnung angepasst wurde und zudem neue Artikel in den SGK aufgenommen wurden, welche die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen regeln, ist zu präzisieren, dass die neuen Bestimmungen (und nicht mehr einzig Artikel 23 SGK) als Rechtsgrundlage für die Einführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen heranzuziehen ist. Daher wird neu auf die Artikel 24, 25 und 26 SGK verwiesen.

Zudem müssen die Fussnoten der Artikel 64c Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 65 Absatz 2 AuG geändert werden. Sie verweisen neu auf die Fussnote bei Artikel 7 Absatz 3 AuG, welcher den vollständigen Titel und die Fundstelle des SGK im Amtsblatt der EU wiedergibt.

2.7

Verfassungsmässigkeit

2.7.1

Abschlusskompetenz

Soweit der zur Übernahme anstehende Rechtsakt rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaustausch, der aus schweizerischer Sicht als völkerrechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist. Die vorliegend zu übernehmende Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 ist rechtsverbindlich; zudem ändert sie einen Schengen-relevanten Rechtsakt, welchen die Schweiz bereits mittels Notenaustausche übernommen hat.

Die Bundesversammlung ist zuständig für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge, soweit für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag nicht der Bundesrat zuständig ist (Art. 166 Abs. 2 Bundesverfassung [BV]15, Art. 24 Abs. 2 Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 200216 und Art. 7a Abs. 1 Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 199717).

Grundsätzlich hat der Bundesrat gemäss Artikel 100 Absatz 2 Buchstabe a AuG die Kompetenz, internationale Abkommen über die Visumpflicht und die Durchführung der Grenzkontrollen abzuschliessen. Die zu übernehmende Verordnung ändert die Regelung des SGK betreffend die Bedingungen und Verfahren für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen. Der vorliegende Notenaustausch fällt mithin in den Anwendungsbereich von Artikel 100 Absatz 2 Buchstabe a AuG. Jedoch muss im vorliegenden Fall aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 der Verweis in 15 16 17

SR 101 SR 171.10 SR 172.010

3391

Artikel 7 Absatz 3 AuG angepasst werden. So ist zu präzisieren, dass die neuen Bestimmungen (und nicht mehr einzig Artikel 23 SGK) als Rechtsgrundlage für die Einführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen heranzuziehen ist. Diese Anpassung kann der Bundesrat nicht selbstständig vornehmen. Um keine gegensätzlichen Entscheidungen betreffend die Übernahme des vorliegenden völkerrechtlichen Vertrages einerseits und betreffend dessen Umsetzung andererseits zu erhalten (z. B. Genehmigung des Notenaustausches durch den Bundesrat, aber Ablehnung der notwendigen Umsetzungsbestimmung durch das Parlament), ist es sinnvoll, dass der Bundesrat auf die Ausübung seiner Abschlusskompetenz im vorliegenden Fall verzichtet und dem Parlament den Notenaustausch betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 und die für dessen Umsetzung erforderlichen Änderung des AuG gemeinsam in einem Bundesbeschluss zur Genehmigung unterbreitet. Dieser Bundesbeschluss unterliegt dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. d Ziff. 3 BV).

Die Schweiz hat, wie bereits ausgeführt (vgl. Ziff. 2.3), bis zum 22. Oktober 2015 Zeit, das innerstaatliche Verfahren zur Übernahme und Umsetzung der Verordnung abzuschliessen und die EU diesbezüglich über die Erfüllung aller verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zu informieren.

2.7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen

Die Übernahme dieser Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

Die vorgesehene Änderung des SGK steht insbesondere im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention18 (EMRK) und dem Abkommen vom 28. Juli 195119 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.

3

Anpassungen im AuG

Die Vorlage wird zusätzlich dazu genutzt, um kleinere Anpassungen an den Rechtsgrundlagen in Bezug auf das nationale Visa-Informationssystem (ORBIS) und das zentrale Schengener Visa-Informationssystem (C-VIS) vorzunehmen und den Zugriff durch die Gemeindebehörden zu präzisieren. Das zentrale Schengener VisaInformationssystem, das seit dem 11. Oktober 2011 in Betrieb ist, soll Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen und die Identifikation der Visuminhaberinnenund -inhaber ermöglichen. Das C-VIS soll ebenfalls die Umsetzung der DublinVerordnung erleichtern. So wird ein Dublin-Staat in bestimmten Fällen als der für die Behandlung eines Asylgesuchs zuständige Staat erachtet, wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller von diesem Staat ein Visum erhalten hat.

Der vorliegende Entwurf bietet zudem die Gelegenheit, die Formulierung von Artikel 80 AuG in Zusammenhang mit der Durchsetzungshaft anzupassen. Diese kleine Anpassung hat keinen Bezug zum Schengen/Dublin-Besitzstand.

18 19

Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. SR 0.101.

SR 0.142.30

3392

3.1

Anpassung der Durchsetzungshaft

3.1.1

Notwendigkeit der Änderung

Bereits nach geltendem Recht ist die Anordnung der Durchsetzungshaft gegenüber Kindern und Jugendlichen, die das 15. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, ausgeschlossen. Der Klarheit halber soll dies in Artikel 80 Absatz 4 AuG nun ausdrücklich so verankert werden.

3.1.2

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens und Haltung des Bundesrates

Die grosse Mehrheit der Kantone sowie der Organisationen und Parteien, die Stellung genommen haben, befürworten die Änderung dieser Bestimmung des AuG bezüglich der Inhaftierung von Minderjährigen. AG, JU, SO und die FDP begrüssen diese Anpassung ausdrücklich.

Das UNHCR begrüsst explizit die Änderung von Artikel 80 Absatz 4 AuG, die eine Rechtssicherheit in Bezug auf die Inhaftierung von Minderjährigen gewährleistet. Es erwähnt das Übereinkommen vom 20. November 198920 über die Rechte des Kindes, welches das Wohlergehen der Kinder in den Vordergrund stellt, und empfiehlt, Minderjährige unter 18 Jahren grundsätzlich nicht zu inhaftieren.

NE spricht sich gegen eine Administrativhaft bei Minderjährigen über 15 Jahren aus und betont, dass der Kanton selber seit dem Inkrafttreten des Einführungsgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 12. November 199621 eine solche Praxis verboten hat.

Stellungnahme des Bundesrates Da im vorliegenden Fall lediglich eine bereits geltende Praxis im Gesetz präzisiert wird, wird die vorgesehene Bestimmung so beibehalten.

3.1.3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 80 Abs. 4 Artikel 80 Absatz 4 AuG sieht neu ausdrücklich vor, dass nicht nur die Anordnung einer Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft, sondern auch die Anordnung der Durchsetzungshaft gegenüber Kindern und Jugendlichen, die das 15. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, ausgeschlossen ist.

20 21

SR 0.107 RSN 132.021

3393

3.2

Anpassungen in Bezug auf das zentrale Visa-Informationssystem und das nationale Visumsystem ORBIS

Das zentrale Schengener Visa-Informationssystem ist seit dem 11. Oktober 2011 in Betrieb. Es dient namentlich dazu, das Visumverfahren zu vereinfachen, mehrfache Visumgesuche zu verhindern und die Betrugsbekämpfung zu erleichtern. Um eine zuverlässige Identifikation der Visumgesuchstellerinnen und -gesuchsteller zu ermöglichen, sind im System die biometrischen Daten (Foto und Abdrücke der zehn Finger) erfasst.

Im Januar 2014 wurde ein neues nationales System namens ORBIS eingeführt. Das neue System stellt eine verbesserte Interoperabilität zwischen dem schweizerischen Visumsystem und dem C-VIS sicher.

3.2.1

Notwendigkeit der Anpassung

Da die Systeme besonders schützenswerte Daten enthalten, müssen deren Bearbeitung und der Online-Zugriff darauf in einem Gesetz im formellen Sinn vorgesehen werden (siehe Art. 17 Abs. 2 und 19 Abs. 1 und 3 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199222 über den Datenschutz). Die Rechtsgrundlagen für diese Systeme bestehen bereits mit den Artikeln 109a und 109b AuG23. Es sind jedoch kleinere Anpassungen vorzunehmen, um Gemeindebehörden den Zugriff zu ermöglichen, denn in manchen Fällen haben die Gemeindebehörden gestützt auf kantonales Recht Kompetenzen im Bereich der Visumerteilung. Konkret geht es dabei um die Städte Bern, Biel und Thun, welchen der Kanton Bern die Erfüllung sämtliche Aufgaben bei der Visumerteilung übertragen hat.24

3.2.2

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens und Haltung des Bundesrates

Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer begrüsst diese Anpassungen ohne weitere Bemerkungen. Der Vernehmlassungsentwurf hat daher keine Änderungen erfahren.

3.2.3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 109a Abs. 2 Bst. a Die Formulierung von Artikel 109a Absatz 2 Buchstabe a AuG, in dem die Zugangsberechtigungen der Behörden zum C-VIS geregelt sind, muss leicht angepasst werden.

22 23 24

SR 235.1 AS 2010 2063 Art. 2 Abs. 1 der Einführungsverordnung zum Ausländer- und zum Asylgesetz (EV AuG und AsylG), SRB 122 201.

3394

Die Gemeindebehörden, denen Aufgaben im Zusammenhang mit der Visumerteilung übertragen wurden, müssen die Daten der Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller im C-VIS abfragen können.

Art. 109b Abs. 3 Die Anpassung dieser Bestimmung erfolgt aus den gleichen Gründen wie die Anpassung von Artikel 109a AuG. Es muss präzisiert werden, dass die Gemeindebehörden die Visumdaten im neuen nationalen Visumsystem ORBIS erfassen können, wenn ihnen ein Kanton diese Aufgabe übertragen hat. Artikel 109b AuG, mit Bundesbeschluss vom 11. Dezember 200925 in das Gesetz eingefügt, ist am 20. Januar 2014 in Kraft getreten.

3.3

Rechtliche Aspekte

3.3.1

Verfassungsmässigkeit

Die Gesetzesanpassungen erfolgen gestützt auf Artikel 121 Absatz 1 BV. Sie erfolgen in einem vom vorliegenden Bundesbeschluss getrennten Erlass, denn sie stehen nicht im Zusammenhang mit der Umsetzung des vorliegenden Notenaustausches.

Diese Gesetzanpassungen unterstehen dem fakultativen Referendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV.

3.3.2

Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen

Die Gesetzesanpassungen sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz und insbesondere mit dem Schengen-Assoziierungsabkommen vereinbar.

4

Anpassung im AsylG

Die Richtlinie 2001/40/EG26 ist Teil des Schengen-Besitzstands. Sie sieht vor, dass ein Schengen-Staat die von einem anderen Schengen-Staat verfügte Wegweisung einer Person in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat vollziehen kann. Nach Artikel 3 Absatz 3 erfolgt die Anwendung dieser Richtlinie unbeschadet der Bestimmungen der Dublin-Verordnung oder der Rückübernahmeabkommen. Bislang hat die Schweiz der Anwendung der Dublin-Verordnung ­ also der Wegweisung in einen Dublin-Staat, falls dies möglich ist ­ stets Vorrang vor der Anwendung der Richtlinie 2001/40/EG gegeben. Einige EU-Staaten, darunter Deutschland, haben diese Bestimmung aber auch schon bei Asyl- und Wegweisungsentscheiden angewendet.

Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie ermöglicht es also, die Dublin-Regelung vorzubehalten, ohne dass die Anwendung der Dublin-Verordnung in allen Fällen Vorrang vor der Anwendung der Richtlinie 2001/40/EG haben muss. So ist es möglich, sich 25 26

AS 2010 2063 Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen, ABl. L 149 vom 2.6.2001, S. 34.

3395

auf einen Wegweisungsentscheid eines anderen Schengen/Dublin-Staates zu stützen, um den Vollzug der Wegweisung einer asylsuchenden Person in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat anzuordnen.

Die Anwendung der Richtlinie 2001/40/EG im Asylbereich könnte eine gewisse Abhaltewirkung zeitigen und vermeiden, dass neue Asylgesuche in der Schweiz gestellt werden, obwohl bereits ein anderer Dublin-Staat zuständig ist, über das Gesuch entschieden hat und den Vollzug der Wegweisung angeordnet, aber nicht durchgeführt hat. Zu diesem Zweck muss im AsylG eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen werden.

4.1

Richtlinie 2001/40/EG über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen

Die Richtlinie 2001/40/EG sieht vor, dass ein Schengen-Staat die von einem anderen Schengen-Staat verfügte rechtskräftige Wegweisung einer Person in ihren Heimatoder Herkunftsstaat vollziehen kann. Dabei ist zu erwähnen, dass die Bestimmungen dieses europäischen Rechtsakts nicht zwingend sind, sondern den Staaten die Möglichkeit bieten, Wegweisungsverfügungen anderer Schengen-Staaten zu vollziehen, wenn sie dies wünschen.

Die Schweiz hat diese Richtlinie bei der Übernahme der Schengen- und DublinAssoziierungsabkommen mit Artikel 83a der Verordnung vom 24. Oktober 200727 über Zulassung und Aufenthalt umgesetzt. Mit diesem Artikel wurden die Personen erfasst, die die Voraussetzungen für die Einreise in den Schengen-Raum nach Artikel 5 Absatz 1 des SGK nicht erfüllen.

Diese Richtlinie soll künftig auch im Asylbereich zur Anwendung kommen, um Asylsuchende, deren Asylverfahren in einem Dublin-Staat abgeschlossen ist und deren Wegweisung verfügt und rechtskräftig geworden ist, in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat rückzuführen.

Wird festgestellt, dass eine asylsuchende Person bereits zuvor ein Asylgesuch in einem Dublin-Staat eingereicht hat und dieses Gesuch rechtskräftig abgelehnt worden ist, hat das BFM heute zwei Möglichkeiten: ­

27 28

Es verfügt einen Nichteintretensentscheid gestützt auf Artikel 31a Absatz 1 Buchstabe b des Asylgesetzes; denn gemäss Artikel 18 Abs. 1 Bst. d der Dublin III-Verordnung28 muss der Staat, der das Gesuch abgelehnt hat, die betroffene Person, die sich ohne Bewilligung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, wieder aufnehmen;

SR 142.201 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31.

3396

­

Es tritt auf das Asylgesuch ein und wird damit zum zuständigen DublinStaat im Sinne von Artikel 17 der Dublin III-Verordnung. Dieser Artikel ermöglicht den Dublin-Staaten, ein Asylgesuch auch dann zu prüfen, wenn sie aufgrund der vorgegebenen Kriterien nicht für die Prüfung zuständig sind.

Gestützt auf die Richtlinie 2001/40/EG kann aufgrund eines rechtskräftigen Wegweisungsentscheides eines Schengen/Dublin-Staates direkt eine Wegweisung in den Herkunftsstaat verfügt werden. Dies erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen, die Wegweisung eines Asylsuchenden in seinen Herkunftsstaat zu vollziehen, anstatt den Weg eines Dublin-Verfahrens einzuschlagen.

Nach Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 2001/40/EG prüft der die Wegweisung vollziehende Staat zuvor die Lage der betroffenen Person, um sich zu vergewissern, dass weder die einschlägigen internationalen Übereinkünfte noch die massgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften dem Vollzug der Wegweisungsverfügung entgegenstehen.

4.1.1

Notwendigkeit der Anpassung

Die Eidgenössischen Räte beschlossen am 14. Dezember 2012, Artikel 34 AsylG29 aufzuheben. Diese Revision ist am 1. Februar 2014 in Kraft getreten. Die Nichteintretensgründe sind neu in Artikel 31a Absatz 1 AsylG festgelegt. Es wird vorgeschlagen, einen neuen Artikel 31b einzuführen und Artikel 31a um einen neuen Buchstaben f zu erweitern. Der Buchstabe f enthält einen weiteren Nichteintretensgrund nach Artikel 31b Absatz 1 AsylG.

Der geltende Artikel 31a Absatz 1 Buchstabe b AsylG berechtigt das BFM nicht, sich auf die Wegweisungsverfügung eines Dublin-Staates zu stützen, um den Vollzug der Wegweisung einer asylsuchenden Person in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat anzuordnen. Zudem wird bei einem Dublin-Nichteintretensentscheid nicht über die Wegweisung in den Heimat- oder Herkunftsstaat befunden. Die Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat setzt voraus, dass dieser ein sicherer Staat ist. Dennoch muss die Schweiz prüfen, ob das Non-Refoulement-Gebot und die Bestimmung von Artikel 3 EMRK eingehalten werden. Diese Prüfung ist jedoch nicht vom Überstellungsentscheid trennbar. Sollte sich dies als problematisch erweisen, muss die Schweiz auf das Asylgesuch eintreten und sich als zuständiger Dublin-Staat im Sinne von Artikel 17 der Dublin III-Verordnung erklären. Es wird deshalb nicht zusätzlich geprüft, ob ein Überstellungsvollzug in den Dublin-Staat zulässig, zumutbar und durchführbar ist30.

Um Wegweisungsentscheide eines anderen Dublin-Staates für den Vollzug in den Herkunfts- oder Heimatstaat anerkennen zu können, muss im AsylG eine rechtliche Grundlage geschaffen werden. Es obliegt der Schweiz in diesem Fall zu prüfen, ob das Non-Refoulement-Gebot weiterhin eingehalten wird und ob der Wegweisungsvollzug zulässig, zumutbar und durchführbar ist (Art. 6 Abs. 3 Richtlinie 2001/40/EG). Die Rechtsmittel sind gewährleistet.

29 30

AS 2012 8943 Urteile des Bundesverwaltungsgericht D-6397/2011 vom 30. November 2011 und E-5644/2009 vom 31. August 2010.

3397

Die allgemeinen Regeln für Nichteintretensentscheide, wonach den Asylsuchenden rechtliches Gehör gemäss Artikel 36 Absatz 1 AsylG31 zu gewähren ist, gelten auch für diesen neuen Nichteintretensgrund. Ausserdem sind die Verfahrensfristen bei Nichteintretensentscheiden ebenfalls auf diesen neuen Grund anwendbar (Art. 109 Abs. 1 AsylG).

4.1.2

Beantragte Regelung

Die Anwendung des Verfahrens gemäss Richtlinie 2001/40/EG im Asylbereich muss für die Schweizer Behörden einen echten praktischen Nutzen haben. Deshalb wird die Durchführung eines Anerkennungsverfahrens betreffend eine Wegweisungsentscheidung eines anderen Dublin-Staates ­ und nicht der Durchführung eines Dublin-Verfahrens ­ dann der Vorzug gegeben, wenn der zuständige Dublin-Staat bei Personen mit einer Wegweisungsverfügung die Wegweisung in den Heimatoder Herkunftsstaat nicht vollzieht und wenn die Schweiz die Wegweisung voraussichtlich rasch vollziehen kann.

4.1.3

Ergebnis der Vernehmlassung und Haltung des Bundesrates

Die Mehrheit der Kantone, der angehörten Organisationen und der Parteien befürworten die Umsetzung der Richtlinie 2001/40/EG im Asylbereich.

AR, GL, SO, VD, das CP und die KKJPD begrüssen insbesondere, dass in gewissen Fällen die Wegweisung aufgrund eines rechtskräftigen Wegweisungsentscheids eines Schengen/Dublin-Staates direkt in das Herkunftsland erfolgen könne. AR, SO und das CP sind der Ansicht, dass dies Asylsuchende davon abhalten könnte, ein Asylgesuch in der Schweiz zu stellen, wenn bereits ein anderer Dublin-Staat zuständig ist. Die Ressourcen im Asylbereich könnten so gezielt und wirksam verteilt werden.

AG ist der Meinung, dass diese Bestimmung notwendig sei, da die Schweiz das europäische Recht übernehmen müsse. AG und VS bezweifeln jedoch, dass eine Wegweisung in den Herkunftsstaat einfacher sei als eine Wegweisung in den zuständigen Dublin-Staat.

Die SVP und die FDP begrüssen die Anerkennung von Wegweisungsverfügungen bei Drittstaatsangehörigen. Die SVP ist der Meinung, dass dies einen positiven Effekt haben könne, insbesondere in Bezug auf Asylsuchende, die nach Italien überstellt wurden und kurz darauf wieder in die Schweiz einreisen. Die SVP und die FDP fordern zudem, dass die Kosten einer Wegweisung in den Herkunftsstaat vom zuständigen Dublin-Staat, der die Wegweisung verfügt hat, zu tragen seien.

JU, TG und das CP betonen ausdrücklich, dass die Kosten im Zusammenhang mit solchen Wegweisungen keinesfalls auf die Kantone verteilt werden dürfen. GE ist der Ansicht, dass die finanziellen Aufwendungen (Nothilfe und Administrativhaft) für Wegweisungen, die nicht innerhalb von 30 Tagen vollzogen werden, vom Bund zu übernehmen seien.

31

AS 2012 8943

3398

Die FDP verlangt, dass die Richtlinie 2001/40/EG nur dort angewendet werde, wo ein Wegweisungsvollzug rasch möglich sei. Dies solle verhindern, dass die Zahl der vorläufig aufgenommenen Personen ansteige. Ist ein rascher Wegweisungsvollzug nicht möglich, solle das Dublin-Verfahren Vorrang haben. Gemäss AG sei eine Wegweisung in jedem Fall rasch zu vollziehen, denn andernfalls wären zusätzliche Sozialhilfekosten die Folge. Der Kanton möchte, dass diese Bestimmung nur in eindeutigen Fällen zur Anwendung komme, in denen die Identität der betroffenen Person bekannt sei und Reisepapiere vorlägen.

Die SP, die HEKS, das FIMM, die SFH und das UNHCR haben hauptsächlich zur Umsetzung der Richtlinie 2001/40/EG Stellung genommen und fordern gewisse Garantien im Rahmen ihrer Anwendung.

Die SP, das SFH und der SGB verlangen, dass eine Verletzung des Non-Refoulement-Gebots mit Sicherheit ausgeschlossen werde. Dies bedingt eine Anhörung, die eine unerlässliche Voraussetzung für solche Wegweisungen sei. Der SGB betont, dass für die Asylsuchenden die mündliche Teilnahme am Verfahren möglich sein müsse.

Gemäss der SP, der HEKS, dem FIMM, der SFH, dem SGB und dem UNHCR solle die Vermutung des Nichtbestehens der Flüchtlingseigenschaft widerlegbar sein. In diesem Zusammenhang sei der Rechtsprechung im Zusammenhang mit Artikel 32 Absatz 2 Buchstabe f AsylG (Nichteintreten, wenn die betroffene Person bereits einen negativen Entscheid aus der EU erhalten hat) Rechnung zu tragen (insbesondere EMARK 2006 Nr. 33).

Das HEKS und das UNHCR verlangen, dass die Schweiz falls nötig eine materielle Prüfung des Asylgesuchs vornehmen solle. Dies sei dann der Fall, wenn die betroffene Person wichtige Gründe geltend macht, welche die Flüchtlingseigenschaft begründen, oder wenn sich seit dem Entscheid eines Dublin-Staats eine Situation ergeben hat, welche die Flüchtlingseigenschaft zu begründen vermag. Die SP, die SFH, das HEKS und das UNHCR vertreten zudem die Meinung, dass Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 2001/40/EG Anwendung finden solle. Somit müsste die Schweiz der betroffenen Person Asyl gewähren, wenn diese die Flüchtlingseigenschaft aufweist.

Und schliesslich sind die SP und die SFH der Ansicht, dass der Asyl- und Wegweisungsentscheid, welcher anzuerkennen ist, ein materieller Entscheid sein müsse, und nicht ein formeller
Nichteintretensentscheid. Dies solle im Rahmen von Artikel 31b AsylG klar zum Ausdruck kommen.

Stellungnahme des Bundesrates In Anbetracht der Stellungnahmen der Vernehmlassungsteilnehmer wird die vorgesehene Bestimmung unverändert beibehalten.

Wie von einigen Vernehmlassungsteilnehmern hervorgehoben, soll ein Nichteintretensentscheid mit Wegweisung in den Herkunftsstaat nur in Fällen erfolgen, in denen die Wegweisung rasch vollzogen werden kann und die Identität der betroffenen Person bekannt ist. Dadurch werden ein neues, langes Verfahren in der Schweiz und zusätzliche Kosten vermieden.

Hinsichtlich der Bemerkungen der Hilfswerke und der SP ist zu präzisieren, dass hier ein Nichteintretensgrund vorliegt, der nicht genau dem bisherigen Artikel 32 Absatz 2 Buchstabe f AsylG entspricht (Nichteintreten, wenn die betroffene Person 3399

bereits einen negativen Entscheid aus der EU erhalten hat). Bei diesem früheren Nichteintretensgrund musste das BFM auf das Asylgesuch eintreten, wenn es der asylsuchenden Person gelang, die Vermutung, dass sie keine Flüchtlingseigenschaft besitzt, umzustossen. Damals gab es das Dublin-System noch nicht. Nun ist im Rahmen der neuen Bestimmung ein negativer Asylentscheid anzuerkennen, wenn der Dublin-Staat, der über das Asylgesuch entschieden hat, die Voraussetzungen für die Verfügung einer Dublin-Überstellung erfüllt. Die Tatsache, dass die betroffene Person in diesen Staat überstellt wird, kommt implizit einer Anerkennung und Akzeptierung des Entscheids dieses Staates gleich. Die Regeln, die bereits heute bei einer Überstellung aus der Schweiz in Bezug auf gewisse Staaten wie Griechenland Anwendung finden, sind hier zu berücksichtigen. Ein Entscheid kann anerkannt werden, wenn die Schweiz eine Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat vornehmen würde, denn dieser Staat verletzt in keiner Weise seine völkerrechtlichen Verpflichtungen. Ist dies der Fall, hat die Schweizer Behörde dennoch zu prüfen, ob die Wegweisung in den Herkunftsstaat weiterhin nicht gegen das Non-RefoulementGebot verstösst und ob sie zulässig, zumutbar und durchführbar ist.

Der Bundesrat ist ebenfalls der Meinung, dass Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 2001/40/EG Anwendung finden soll. Dieser sieht vor, dass «der Vollstreckungsmitgliedstaat zuvor die Lage der betroffenen Person prüft, um sich zu vergewissern, dass weder die einschlägigen internationalen Übereinkünfte noch die massgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Vollstreckung der Rückführungsentscheidung entgegenstehen». Der Wegweisungsvollzug hat also unter Beachtung des Völkerrechts (Abkommen vom 28. Juli 195132 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und EMRK) und des innerstaatlichen Rechts (Art. 83 AuG) zu erfolgen. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass, eine materielle Prüfung der Asylgesuche nicht vorgesehen ist. Die Schweiz kann den Weg eines Dublin-Verfahrens bevorzugen und die betroffene Person in den Dublin-Staat überstellen, der seinerseits die Wegweisung vollzieht (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Falls die Schweiz es wünscht, kann sie auch die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylgesuchs übernehmen unter Anwendung von Artikel 17 Absatz
1 der Dublin III-Verordnung. Dies wird jedoch die Ausnahme bleiben.

Der Bundesrat ist der Meinung, dass hier nur die materiellen Entscheide, in denen die Flüchtlingseigenschaft verneint wird, rechtmässig anerkannt werden können.

Dabei handelt es sich entweder um einen unbegründeten Antrag, weil die Voraussetzungen für die Schutzgewährung nicht erfüllt sind (Art. 32 der Richtlinie 2013/32/EU33), oder um einen Nichtzulassungsentscheid, wenn ein Folgeantrag keine neuen Elemente enthält (Art. 33 Abs. 2 Bst. d Richtlinie 2013/32/EU).

Dies bedeutet, dass das Asylgesuch geprüft, die Flüchtlingseigenschaft abgelehnt und die Wegweisung in den Herkunftsstaat verfügt worden ist. Zudem ist vorgesehen, der betroffenen Person das rechtliche Gehör zu gewähren, vor allem um ihr zu ermöglichen, sich über die Perspektiven einer Rückkehr in ihr Herkunftsland zu äussern. Dieses kann auch mündlich gewährt werden.

32 33

SR 0.142.30 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.06.2013, S. 60.

3400

4.1.4

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 31a Abs. 1 Bst. f Buchstabe f sieht einen neuen Nichteintretensgrund vor, der eine Wegweisung in den Heimat- oder Herkunftsstaat ermöglicht, wenn die betroffene Person nach Artikel 31b Absatz 1 AsylG weggewiesen werden kann.

Art. 31b Abs. 1 Die schweizerischen Behörden können nach den Voraussetzungen der Richtlinie 2001/40/EG eine Person, für die bereits ein rechtskräftiger ablehnender Asylentscheid mit Wegweisungsverfügung eines anderen Dublin-Staates vorliegt, direkt in ihren Heimat- oder Herkunftstaat wegweisen. Es findet keine Prüfung des Asylgesuchs statt.

Seit der Einführung der Dublin-Zusammenarbeit ist ein einziger Staat im DublinRaum für die Behandlung eines Asylgesuchs zuständig. Wenn dieser zuständige Staat bereits einen negativen und rechtskräftigen Entscheid gefällt hat, kann die Schweiz an seiner Stelle die Wegweisung in den Herkunftsstaat vollziehen. Eine Anerkennung von Entscheiden ist nur möglich, wenn der betroffene Dublin-Staat die Bestimmungen des Völkerrechts und insbesondere des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vollumfänglich erfüllt.

Generell findet die vorherrschende Praxis in Bezug auf Dublin-Überstellungen hier eine Parallele, denn wenn die Schweiz bereit ist, eine Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat vorzunehmen, anerkennt sie implizit die Entscheide dieses Staates.

Werden entweder Asylentscheide von Dublin-Staaten oder die Asylpraxis dieser Staaten insbesondere von Gerichten kritisiert, werden keine Entscheide durch die Schweiz anerkannt. Dies gilt nicht für Staaten, in denen einzig die Lebensbedingungen der Menschen in einem Asyl- und Wegweisungsverfahren in Frage gestellt werden.

Für den Vollzug einer Wegweisung gestützt auf Richtlinie 2001/40/EG müssen zwei kumulative Bedingungen erfüllt sein: Bst. a Eine der Bedingungen ist, dass der Dublin-Staat während längerer Zeit keine Wegweisungen in den Heimat- oder Herkunftsstaat der asylsuchenden Person vollzogen hat. Unter «längere Zeit» ist ein Zeitraum von rund sechs Monaten zu verstehen.

Wegweisungen können vom zuständigen Dublin-Staat z. B. nicht vollzogen werden, wenn der Dublin-Staat mit dem Heimatstaat der asylsuchenden Person kein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen hat oder wenn er in der Praxis auf den Vollzug der Wegweisungen verzichtet.

Bst. b Die zweite Bedingung ist, dass
die Wegweisung aus der Schweiz voraussichtlich rasch vollzogen werden kann. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Schweiz mit dem Heimat- oder Herkunftsstaat der asylsuchenden Person ein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen hat und die Wegweisung in diesen Staat prob3401

lemlos möglich ist. Ein wichtiges Element für einen raschen Wegweisungsvollzug ist insbesondere, dass die Identität der betroffenen Person bekannt ist oder dass die nötigen Reisepapiere rasch beschafft werden können.

Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt sind, ist noch zu prüfen, ob der Wegweisungsentscheid endgültig zu vollziehen ist und ob die einschlägigen internationalen Übereinkünfte und massgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften dem Vollzug der Wegweisungsverfügung nicht entgegenstehen. Es ist also Artikel 83 AuG anwendbar, gemäss welchem überprüft werden muss, ob der Vollzug der Wegweisung, zulässig, zumutbar und durchführbar ist.

In Bezug auf die Einhaltung der internationalen Vorgaben (Zulässigkeit) ist das Non-Refoulement-Gebot des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge zu erwähnen. Dieses findet nur bei Personen mit Flüchtlingseigenschaft Anwendung.

Falls aufgrund der Asylpraxis des zuständigen Dublin-Staates erhebliche Zweifel über die Rechtmässigkeit des von ihm getroffenen Entscheides bestehen, kann keine Wegweisung aufgrund der Richtlinie 2001/40/EG erfolgen. In diesem Fall bleibt der Schweiz nichts anderes übrig, als der neue zuständige Dublin-Staat aufgrund von Artikel 17 Absatz 1 der Dublin III-Verordnung zu werden. Solche Situation sind aber die Ausnahme.

Wenn der Entscheid des zuständigen Dublin-Staats unter Einhaltung der völkerrechtlichen Bestimmungen erfolgt, was bei der grossen Mehrheit der Dublin-Staaten der Fall ist, verstösst eine Wegweisung in den Herkunftsstaat grundsätzlich nicht gegen das Non-Refoulement-Gebot des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge. Es gilt jedoch zu bedenken, dass subjektive Asylgründe bestehen könnten, die sich nach der Flucht aus dem Land ergeben haben. Wenn solche Asylgründe vorgebracht werden, ist das Asylgesuch vertieft zu prüfen, beispielsweise im Rahmen einer Anhörung.

In Bezug auf die Zulässigkeit der Wegweisung ist auch eine mögliche Verletzung von Artikel 3 EMRK (Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) zu prüfen. Stellt die Behörde fest, dass die Bestimmung dieses Artikels nicht eingehalten wird, ist entweder eine vorläufige Aufnahme zu verfügen oder eine Dublin-Überstellung zu bevorzugen, wenn der zuständige Dublin-Staat den entsprechenden Schutz gewährleistet. Dies
gilt auch dann, wenn die Behörde feststellt, dass die Wegweisung nicht zumutbar ist.

Damit die Umsetzung der Richtlinie 2001/40/EG unter Wahrung der Menschenrechte und der Grundrechte erfolgt, ist nach Artikel 4 der Richtlinie ein Rechtsmittel vorgesehen.

Abs. 2 Absatz 2 von Artikel 31b sieht vor, dass das BFM bei den zuständigen Behörden des betroffenen Dublin-Staates die zum Vollzug der Wegweisung notwendigen Auskünfte einholt und mit diesem die erforderlichen Absprachen trifft. Artikel 6 der Richtlinie sieht ausserdem vor, dass die Behörden des Entscheidungsmitgliedstaats und des Vollstreckungsmitgliedstaats jedes geeignete Mittel der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches für die Durchführung der Richtlinie nutzen.

3402

Das BFM prüft zudem unter Gewährung des rechtlichen Gehörs, ob die Bedingungen nach Artikel 83 AuG erfüllt sind. Da es sich hier um einen besonderen Nichteintretensentscheid handelt, ist eine Anhörung zu den Asylgründen nach Artikel 29 AsylG nicht notwendig. Dennoch soll die betroffene Person sich zur Wegweisung in den Herkunftsstaat äussern können. Deshalb ist ihr das rechtliche Gehör nach Artikel 36 Absatz 1 AsylG zu gewähren, was auch mündlich erfolgen kann.

4.2

Rechtliche Aspekte

4.2.1

Verfassungsmässigkeit

Die Gesetzesanpassung erfolgt gestützt auf Artikel 121 Absatz 1 BV. Sie erfolgt in einem vom vorliegenden Bundesbeschluss getrennten Erlass, denn sie steht nicht im Zusammenhang mit der Umsetzung des vorliegenden Notenaustausches. Die Anpassung untersteht dem fakultativen Referendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV.

4.2.2

Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen

Die Gesetzesanpassung ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

5

Auswirkungen

5.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 hat keine finanziellen oder personellen Auswirkungen auf den Bund. Bei einer Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen ist das Grenzwachtkorps wie bereits heute einzusetzen. Die vorliegende Anpassung des SGK hat keine besonderen finanziellen Auswirkungen, denn sie beschränkt sich darauf, die Voraussetzungen für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen neu zu regeln.

Die Gesetzesanpassungen im AuG haben keine finanziellen oder personellen Auswirkungen auf den Bund.

Die Umsetzung der Richtlinie 2001/40/EG im Asylbereich wird je nach Anzahl der aufgrund der neuen Gesetzesbestimmung vollzogenen Wegweisungen finanzielle Auswirkungen haben. Bei Wegweisungen in den Herkunftsstaat anstelle einer Wegweisung in den zuständigen Dublin-Staat wird zunächst der Bund die Kosten für die Wegweisung der abgewiesenen Asylsuchenden in ihren Herkunftsstaat tragen müssen. Es gibt allerdings die Möglichkeit, diese Kosten auszugleichen: Der Bund kann den zuständigen Schengen/Dublin-Staat ersuchen, sich an den Kosten für die Wegweisung, die dieser Staat selber hätte vollziehen müssen, zu beteiligen. Zu diesem Zweck wurde die Entscheidung 2004/191/EG des Rates vom 23. Februar

3403

200434 geschaffen. Darin wird bestimmt, dass Anträge auf Erstattung der Kosten für den Wegweisungsvollzug an den betroffenen Staat gerichtet werden können. Erstattungsanträge, die mehr als ein Jahr nach dem Wegweisungsvollzug unterbreitet werden, können abgelehnt werden. Die nationale Kontaktstelle des ersuchten Staates, im Fall der Schweiz das BFM, muss innerhalb von höchstens drei Monaten mitteilen, ob der Erstattungsantrag angenommen oder abgelehnt wird. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, die Erstattung der Wegweisungskosten zu erzwingen; die Beziehungen zu den anderen Schengen/Dublin-Staaten müssen auf einer guten Zusammenarbeit und Gegenseitigkeit beruhen. Aus den genannten Gründen können die finanziellen Auswirkungen kostenneutral ausfallen, wenn die Erstattungen tatsächlich erfolgen, oder aber negativ zu Buche schlagen, wenn sie nicht oder nur teilweise geleistet werden. Die finanziellen Auswirkungen der Umsetzung der Richtlinie 2001/40/EG hängen also zum grossen Teil davon ab, welche Praxis in Zukunft bei der Anwendung der Entscheidung 2004/191/EG entwickelt wird.

Sollte sich die Praxis bei der Erstattung der Kosten des Wegweisungsvollzugs nicht bewähren und eine zusätzliche Belastung des Bundes zur Folge haben, werden Korrekturenmassnahmen ergriffen.

Die ganze Vorlage untersteht nicht der Ausgabenbremse nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV, da sie weder Subentionsbestimmungen noch die Grundlage für die Schaffung eines Verpflichtungskredites oder Zahlungsrahmens enthält.

5.2

Auswirkungen auf die Kantone

Die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 hat keine finanziellen oder personellen Auswirkungen auf die Kantone. Bei einer Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen sind zusätzliche Ressourcen insbesondere in den Flughafenkantonen und in den Grenzkantonen bereitzustellen. Doch diese Ressourcen wären auch heute nötig im Fall einer Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Die vorliegende Revision des SGK an sich verursacht nicht neue Kosten.

Die Gesetzesanpassungen im AuG haben keine finanziellen oder personellen Auswirkungen auf die Kantone.

Die Anpassungen des AsylG haben keine finanziellen Auswirkungen auf die Kantone. Wegweisungen in den Heimat- oder Herkunftsstaat sind rasch zu vollziehen.

Dies ist im Übrigen eine Voraussetzung für die Anwendung dieser neuen Bestimmung. Falls sich das Wegweisungsverfahren in die Länge zieht, müssen die Kantone die Kosten für die Nothilfe und die Ausschaffungshaft übernehmen. Doch solche Fälle dürften sehr selten sein und sich nur geringfügig auf die gesamten Verwaltungskosten im Asyl- und Ausländerbereich auswirken.

34

Entscheidung 2004/191/EG des Rates vom 23. Februar 2004 zur Festlegung der Kriterien und praktischen Einzelheiten zum Ausgleich finanzieller Ungleichgewichte aufgrund der Anwendung der Richtlinie 2001/40/EG über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen, ABl. L 60 vom 27.2.2004, S. 55.

3404

6

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage zur Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 ist in der Botschaft vom 25. Januar 201235 zur Legislaturplanung 2011­2015 und im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201236 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt.

Die anderen Anpassungen wurden nicht angekündigt, da es sich um kleine Gesetzesanpassungen handelt, die im weitesten Sinne mit Schengen/Dublin zusammenhängen.

35 36

BBl 2012 481 562 BBl 2012 7155 7160

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