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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend eine nachträgliche Aenderung an den Ergebnissen der eidgenössischen Volkszählung vom 1 Dezember 1888.

(Vom 19. November 1889.)

Tit.

Durch Beschluß vom 20. Juni d. J. haben Sie die Ihnen mittels unserer Botschaft vom 3. und 15. desselben Monats vorgelegten Hauptergebnisse der eidgenössischen Volkszählung vom 1. Dezember 1888 als galtig erklärt. (Amtl. Samml. D. F. XI, 165, und Bundesbl.

1889, Hl, 271 und 646.)

In einem Schreiben vom 21. Oktober 1889 ersucht nun die Regierung des Kantons St. Gallen, daß wir Ihnen mit Bezug auf den genannten Kanton und im Besondern für die dortige Gemeinde Oberbüren eine Abänderung jener Zählergebnisse, d. h. die nachträgliche Erhöhung der Wohnbevölkerung um je 14 beantragen möchten. Dieses Gesuch ist durch die folgenden Vorgänge veranlaßt worden.

Nicht lange nach der Veröffentlichung des eingangsgenannten Bundesbeschlusses waren im Kanton St. Gallen die Wahlen der Abgeordneten in den Verfassungsrath vorzunehmen. Nach dortigem Verfassungsrechte (Art. 119 und 40 der Verfassung vom 17. November 1861) wird die Zahl der Abgeordneten, welche jede Gemeinde in den Verfassungs- wie in den Großen Rath zu wählen hat, neben der allgemeinen Weisung, daß jeder Gemeinde wenigstens

696 eine Wahl zustehe, durch die Vorschrift bestimmt, daß einer Bevölkerung von je 1200 Seelen ein Abgeordneter zukomme; ,,eine Bruchzahl von mehr als 600 Seelen berechtigt zu noch einer Wahl.

Als Grundlage der Berechnung gilt jeweilen die letzte eidgenössische Volkszählung".

In der dem Bundesbeschlusse vom 20. Juni 1889 zu Grunde liegenden gemeindeweisen Zusammenstellung ist die Wohnbevölkerung der Gemeinde Oberbüren mit 1793 festgestellt und es wurde infolge dessen die genannte Gemeinde zur Wahl nur eines Abgeordneten berufen. Aber in Oberbüren erinnerte man sich, daß die seiner Zeit durch die Gemeindebehörde besorgte Zusammenstellung eine Wohnbevölkerung von 1809, somit eine Zahl, welche zu zwei Abgeordneten berechtigt, ergeben hatte. Die beim eidgenössischen statistischen Bureau eingeholte Erkundigung, warum an diesem Orte die später in den Bundesbeschluß übergangene Herabsetzung um 16 stattgefunden habe, ergab die folgende Aufklärung.

1) In zwei Haushaltungen war je ein Familienglied als ,,innerhalb der Zählgemeinde (Oberbüren) wohnhaft a mitgezählt worden,, welches sich als L e h r l i n g auswärts befand, das eine in Münchweilen,, das andere in St. Gallen. Die..,.jedfim Hefte beigedruckten Vorschriften hatten bestimmt, daß für Lehrlinge, die sich dauernd außerhalb ihres elterlichen Wohnortes aufhalten, nicht der letztere, sondern ihr eigener Aufenthaltsort als Wohnort anzusehen sei. -- Das statistische Bureau hielt es hienach als nicht zuläßig, die angedeuteten zwei Personen der Wohnbevölkerung Oberbürens beizuzählen und strich die sie betreffenden Eintragungen an diesem Orte aus sämmtlichen Zählpapieren, wenn auch im Widerspruche zu den miteinander übereinstimmenden Angaben der Haushaltungsvorstände, der Volkszähler und der Gemeindebehörde. -- Hierausfolgte eine Herabsetzung der Wohnbevölkerung um zwei Personen.

2) Um die Verhältnisse bezüglich der andern vierzehn Personen deutlicher zu sehen, hat man sich an das Folgende über die Einrichtung der Zählung zu erinnern. Die jede einzelne Person betreffenden Angaben waren bekanntlich vom Haushaltungsvorstande auf je ein besonderes Blatt des Zählheftes zu schreiben.

Ein kurzer Auszug des Inhaltes der einzelnen Blätter war durch den gleichen Vorstand auf den Heftumschlag zu übertragen, eine nahezu vollständige Abschrift der Blätter aber auf
die ï)Zahllistea durch den Volkszähler zu besorgen. Die Feststellung der Gesammtbevölkerung erfolgte sowohl seitens der Gemeindebehörde, wie auf dem statistischen Bureau, mittels Zusammenzählung auf der erwähnten abschriftlichen Zählliste -- im statistischen Bureau jedoch

697 erst dann, nachdem vorher die Uebereinstimmung dieser Abschrifteo mit dea einzelnen Heftblättern geprüft worden war. Wurden bei dieser Prüfung Widersprüche zwischen den Originalangaben und deren Abschrift entdeckt, so fand eine Erwägung darüber statt, ob ganz entschiedene Gründe vorhanden seien, der einen oder andern Fassung den Vorzug zu geben; wo so entschiedene Gründe nicht vorhanden schienen, da fiel der Entscheid zu Gunsten der Originalangaben auf den Heftblättern und die Abschrift der Zählliste wurde darnach abgeändert.

In dem hier behandelten Falle waren nun sämmtliche 14 Personen von den betreffenden Haushaltungsvorständen auf den Heftblättern als ,, a u ß e r h a l b der Zählgemeinde (Oberbüren) wohnhaft" bezeichnet worden, während die Zählliste sie sämmtlich iu der Rubrik ,,Wohnort in der Zählgemeinde1* aufführte. Das statistische Bureau hatte hier so entschiedene Gründe, gegenüber dem Original die Abschrift als richtig anzuerkennen, nicht herausgefunden, änderte darum die bezüglichen Angaben der letztern und dieses hatte die weitere Herabsetzung der Wohnbevölkerung Oberbürens um 14 Personen zu Folge.

Auf Grund dieser Aufklärungen, denen die Originalien der betreffenden Zählpapiere zur Einsicht beigelegt waren, ließ das st. gallische Departement des Innern eine Untersuchung der fraglichen Fälle vornehmen, nach welcher die unter 1) oben dargelegte Streichung von zwei Personen allseitig als gerechtfertigt anerkannt wurde. Bezüglich der andern 14 Personen ergab dagegen die Untersuchung, daß hier in allen Fällen die Originalkarten irrthflmliche, dagegen deren Abschrift die richtigen Angaben enthaltenhatten. Dieses auffallende Vorkommniß wird so zu erklären sein, daß die Unrichtigkeit der erstem Angaben aus einem Schreibverschusse seitens der Haushaltungsvorstände erfolgte, dagegen die Zählliste, die doch eine Abschrift jener erstem sein sollte, deswegen die richtigen Eintragungen erhielt, weil der Volkszähler bei der Ausfüllung der betreffenden Rubriken sich durch seine unmittelbare Kenntniß der ihm wohlbekannten Verhältnisse führen ließ und in dieser Beziehung eine Vergleichung von Abschrift und Original nicht vornahm. -- Offenbar hat aber der Volkszähler auch dasjenige unterlassen, was ihm durch die folgende ausdrückliche Vorschrift zur Pflicht gemacht worden war. ,,Sodann (nach
Sammlung und Ordnung der Zählhefte) findet nochmals eine e i n g e h e n d e D u r c h s i c h t u n d P r ü f u n g s ä m m t l i c h e r K a r t e n statt, u m auch jetzt noch Ergänzung von mangelnden, B e r i c h t i g u n g von f e h l e r h a f t e n und Aufklärung von zweifelhaften Angaben vornehmen zu können."· (Art. 10 der Vollziebungsverordnung.") Am

698 gleichen Orte (Art. 13) war der Gemeindebehörde auferlegt, wenigstens eine theilweise Prüfung darüber vorzunehmen, ob die abschriftliche Zählliste mit den Originalien übereinstimme; auch -diese Vorschrift hat hier ihren Zweck nicht erreicht.

Nach Abschluß dieses Untersuches richtete die Regierung des Kantons St. Gallen zuerst an das eidgenössische statistische Bureau und später an unser Departement des Innern das Gesuch, daß von einer dieser Stellen aus die durch den Bundesbeschluß vom 20. Juni festgestellte Bevölkerungszahl dem Ergebnisse jenes Untersuches ·entsprechend abgeändert und so für die Gemeinde Oberbüren das Recht zu einem zweiten Abgeordneten in den Verfassungsrath festgestellt werde. Es ist selbstverständlich, daß beide angerufenen Stellen ablehnen mußten, dem Gesuche zu entsprechen ; die Ablehnung wurde nicht nur durch den allgemeinen Mangel an amtlicher Befugniß, sondern auch damit begründet, daß die Frage, wie weit die Ergebnisse eidgenössischer Volkszählungen auch für die Regelung kantonaler Verhältnisse maßgebend seien, zum Voraus nach dem kantonalen Rechte und durch kantonale Behörden zu entscheiden sei. -- In der That ist deun auch inzwischen nach Kenntnißnahme von dem hier dargelegten Sachverhalt durch den st. gallischen Verfassungsrath das Recht der Gemeinde Oberbüren auf einen zweiten Vertreter anerkannt worden. Ein Grund, um dieser letztern Verhältnisse willen nochmals auf die Frage einzutreten, wäre zur Zeit kaum vorhanden.

Indessen stützt die st. gallische Regierung das nunmehr an uns gerichtete Gesuch auf folgende weitere Gründe. Es bestehe offenbar ein Widerspruch zwischen der gegenwärtigen Repräsentation der Gemeiüde Oberbüren und der durch die Bundesversammlung als gültig erklärten Bevölkerungszahl. Da die kantonale Verfassung ausdrücklich die Ergebnisse der eidgeoössischen Volkszählung als Maßstab der Repräsentationsverhältnisse aufstelle, so könnte dieser Widerspruch später, bei der Gesammterneuerung des Großen Käthes, zu neuen Erörterungen Anlaß geben; zudem sei es eine Forderung des Rechtes und der öffentlichen Ordnung, daß der vorhandene und von allen mit der Angelegenheit beschäftigten Instanzen als solcher erkannte Irrthutn in reehtsförmlicher Weise richtig gestellt werde.

Wir sind der Ansicht, es sei dem Gesuche zu entsprechen, denn sachlich ist dasselbe
ohne Zweifel begründet. Die Berichtigung ist auch -- und wir betrachten das als wesentlich -- so bald nach der Veröffentlichung der Ergebnisse angeregt worden, als dieses nach der Sachlage stattfinden konnte. Einer Ablehnung

699 etünden so nur förmliche Erwägungen zur Seite und das halten wir in dieser Frage des öffentlichen Rechtes nicht für angängig. -- Wohl ist der vorhandene Irrthum dadurch veranlaßt ·worden, daß die Zählhefte unrichtige Eintragungen ab Seite der Haushaltungsvorstände . erhielten, deren Berichtigung, da wo sie leicht und sicher hätte stattfinden können, deßwegen unterblieb, weil kommunale Zählorgane ihnen ausdrücklich auferlegte Pflichten nicht erfüllten -- aber die Vertretung einer Gemeinde in öffentlichen Behörden darf nicht von solchem Verschulden Einzelner abhängig gemacht werden. -- Was die Betheiligung des eidgenössischen statistischen Bureaus an der irrthümlichen Zusammenstellung der Ergebnisse betrifft, so bedarf dessen grundsätzliche Bevorzugung der Originalien "gegenüber den Abschriften keiner Rechtfertigung und es muss seinem Vorgehen gewiß auch darin zugestimmt werden, daß es von diesem Grundsatze nur beim Vorhandensein ganz überzeugender Gründe abwich. Daß die in letzterer Beziehung thatsächüch beobachtete Vorsicht in einzelnen Fällen vom gewollten Ziele geradezu abführte, ist auch auf andern Gebieten eine nicht seltene Folge der Vorsicht. Wenn der Gemeindebehörde von Oberbüren nachträglich scheinen will, daß die unrichtigen Eintragungen in den Heften nicht so schwer als solche zu erkennen seien, so ist in Betracht zu ziehen, daß jener Behörde bei diesem Urtheile ohne Zweifel ihre unmittelbare Kenntniß der betreffenden Personen und Verhältnisse sehr wesentlich zu gute kommt, was beim statistischen Bureau ehen nicht der Fall war.

Es scheint uns angezeigt, das vorliegende Gesuch noch von einem allgemeinern Standpunkte aus zu besprechen. Als die Ergebnisse der Volkszählung, um deren theilweise Abänderung es sich hier handelt, der Bundesversammlung zur Genehmigung vorlagen, wurde in einer der vorberathenden Kommissionen die Ansicht ausgesprochen, daß bezüglich der durch das statistische Bureau vorgenommenen Abänderungen an den von den Gemeinden gemachten Zusammenstellungen ein bestimmtes Rekursverfahren vorgesehen sein sollte. Ohne uns jetzt schon abschließend über ein Verhältniß aussprechen zu wollen, dessen Ordnung erst ungefähr in zehn Jahren wieder zum Bedürfnisse werden wird, möchten wir es doch der dannzumaligen Erwägung empfehlen, ob sich in dieser Beziehung vielleicht das Folgende
vorschreiben ließe. Wo das ?

statistische Bureau bei der Prüfung der Volkszählungspapiere in den Fall käme, an den aus den Kantonen gelieferten Zusammenstellungen Aenderungen vorzunehmen, wären je, und zwar sofort nach Abschluß der Arbeiten für einen Kanton, die abgeänderten Zahlen der Gesammtbevölkerung jeder Gemeinde der betreffenden

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Kantonsregierung mitzutheilen und von derselben zur Kenntniß der Gemeindebehörden zu bringen. Die von den letztern innerhalb bestimmter Frist gemachten Einwendungen hätten einer neuen Prüfung durch das statistische Bureau zu unterliegen und, soweit nicht eine allseitig befriedigende Lösung erzielt würde, die Vorlage der Zählergebnisse an die Bundesversammlung zu begleiten, um hier ihre endschaftliche Erledigung zu finden. -- Ohne Zweifel würden durch ein solches Verfahren nachträgliche Berichtigungsbegehren, wie das heutige, in Wegfall gebracht, und die Feststellung der Volkszählungsergebnisse hätte eine neue, unserm Lande eigene Sicherheit gewonnen.

Auf Grund des Angeführten erlauben wir uns, Ihnen die Annahme eines Bundesbeschlusses nach beiliegendem Entwurfe zu empfehlen.

Wir benutzen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 19. November 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesraihes, Der Vizepräsident:

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

701 (Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

eine Abänderung der Hauptergebnisse der eidg. Volkszählung vom 1. Dezember 1888.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, auf den Vorschlag des Bundesrathes vom 19. November 1889, beschließt: Art. 1. Die dem Bundesbeschlusse vom 20. Juni 1889 zu Grunde liegende Zahl der Wohnbevölkerung der st. gallischen Gemeinde Oberbüren, ebenso die entsprechenden Zahlen des Kantons St. Gallen und der Schweiz werden je um 14 erhöht und es wird damit die Wohnbevölkerung festgestellt : für die Gemeinde Oberbüren auf 1,807 für den Kanton St. Gallen auf .

228,174 für die Schweiz auf .

.

. 2,917,754 Art. 2. Dieser Beschluß tritt als nicht allgemein verbindlicher Natur sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend eine nachträgliche Aenderung an den Ergebnissen der eidgenössischen Volkszählung vom 1. Dezember 1888.

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23.11.1889

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