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Bericht der

Kommission des Ständerathes zu dem Gesetzes-Entwurf betreffend die civilrechtlichen "Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

(Vom 14. Juni 1889.)

Tit.

Nachdem Ihre Kommission in der letzten Dezernbersession an Platz der ablehnenden Mitglieder, Herren Schoch und Wirz, durch die Herren Haberstich und Schmid, und an Stelle des verstorbenen Herrn Altwegg durch den unterzeichneten Berichterstatter ergänzt worden ist, hat sie den vorwürfigen Gegenstand in 10 Sitzungen vom 17. bis 20. Februar, 23. bis 25. März, sowie 1., 2. und 5. Juni 1889 in Berathung gezogen und beehrt sich nunmehr, Ihnen das Ergebniß dieser Berathung vorzulegen und den mit 6 Stimmen gegen l beschlossenen Antrag zu stellen, Sie möchten auch Ihrerseits auf die Berathung des Gesetzesentwurfes eintreten.

Herr Haberstich, der Nichteintreten beantragt, hat an den Kommissionalberathungen über den Inhalt des Entwurfes in verdankenswerther Weise gleichwohl Antheil genommen. Herr Moriaud ließ sich für die Sitzungen vom Februar und März, sowie vom 1.

und 2. Juni entschuldigen, war dagegen an der Schlußsitzung vom 5. dieses Monats anwesend. In allen Theilen des Entwurfes, mit alleiniger Ausnahme der allerdings dornenvollen Materie des ehelichen Güterrechts, konnte schließlich Uebereinstimmung im Schooße der Kommission erzielt werden. Möchte diese Einigung der an-

810 fänglich auseinandergehenden Ansichten von guter Vorbedeutung sein für das Schicksal des Entwurfes im Rathe selbst, auf daß aus der Divergenz kantonalgesetzgeberischer Auffassungen über das örtliche Herrschaftsgebiet des Rechts schließlich ein Werk hervorgehe, welches einerseits der verfassungsmäßigen ,,Regel" gerecht wird, daß die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen unter dem Rechte und der Gesetzgebung des Wohnsitzes stehen, aber anderseits auch der ,,Ausnahme" diejenige Beachtung schenkt, welche durch die Eigenthümlichkeit jedes einzelnen Rechtsinstitutes und dessen Zusammenhang im Privatrechtssysteme naturgemäß geboten ist.

Der schriftliche Bericht wird sich über die Eintretensfrage nicht des Weitern verbreiten. Es genügt in dieser Beziehung vollständig, auf dasjenige zu verweisen, was in der Botschaft des Bundesrathes vom 28. Mai 1887 und in dem Berichte der Kommission des Nationalrathes vom 12. Juni 1888 hierüber gesagt worden ist. Der Schwerpunkt der Sache liegt nachgerade nicht sowohl im ,,Eintreten11, als vielmehr in einem befriedigenden ,,Ausgange" derselben. Das Votum des Herrn Haberstich auf Nichteintreten wird dieses verehrliche Kommissionsmitglied in mündlichem Vortrage begründen.

Demgemäß beschränkt man sich hierseits auf eine summarische Erörterung derjenigen Punkte, in welchen der Kommissionalentwurf von dem Beschlüsse, des Nationalraths abweicht, und zwar unter Befolgung der projektirten Legalordnung der verschiedenen Materien.

A. Gemeinschaftliche Bestimmungen.

In Art. 2 wird als Regel der Gerichtsstand des Wohnsitzes aufgestellt, von welchem der Entwurf nur bezüglich von Streitigkeiten über den Familienstand (Art. 7) und bei der Einleitung des Bevogtungsverfahrens gegen auswärtige Angehörige, das übrigens nur im sogenannten Entmündigungsprozesse zu der streitigen Rechtspflege gehört (Art. 12), eine Ausnahme macht. Soweit vor dem Gerichtsstande des Wohnsitzes heimatliches Recht zur Anwendung kommt, was im Wesentlichen für die gegenseitige Alimentationspflicht zwischen Eltern und Kindern (für das eheliche Güterrecht nach Antrag der Herren Haberstich, Rusch und Schmid) und für das Erbrecht der Fall ist (Art. 8 [15] und 17--20), will der Entwurf den Richter verpflichten, dieses ihm fremde Recht, insofern dasselbe auf Gesetz und nicht auf bloßer Uebung oder Lokalstatuten beruht, von Amtes wegen anzuwenden. Die nämliche Vorschrift gilt auch da, wo nach dem Antrage der Herren Göttisheim , Loretan und Eggli das gesetzliche Güterrecht des ersten ehelichen Wohnsitzes vor dem Richter eines spätem Wohnsitzes streitig wird, oder wo vor dem Richter des Heimat-

811 kantons infolge von Klageakumulation Ansprüche zur gerichtlichen Erörterung gelangen, welche, für sich allein behandelt, nach Mitgabe des gegenwärtigen Entwurfes vor den Domizilrichter gehörten.

Man kann über die Zweckmäßigkeit der Territorialgerichtsbarkeit in Streitigkeiten, welche materiell nach heimatlichem oder überhaupt nach einem ändern kantonalen Recht beurtheilt werden müssen, verschiedener Meinung sein. Es fragt sich dabei nur, welcher Uebelstand der größere sei: die Verweisung der Parteien vor einen ihnen of't sehr weit entfernt liegenden Richter, mit allen Umständlichkeiten, welche das Rechtsuchen auf große Distanz im Gefolge hat, -- oder aber die Gefahr einer unrichtigen Anwendung der zutreffenden Rechtssätze durch den Domizilrichter. Im Allgemeinen wird man jedoch in die Rechtskenntniß und Gewissenhaftigkeit der angesprochenen Richter um so mehr Vertrauen für eine richtige Auffindung und Anwendung des außerkantonalen Rechts setzen dürfen, als in der Regel derartige Streitigkeiten vor die oberste kantonale Instanz gezogon werden können. Zudem ist die mit diesem Systeme für den Richter verbundene Nothwendigkeit, fremdes kantonales Recht anwenden zu müssen, ein nicht zu unterschätzendes Verbreitungsmittel für die Kenntniß der schweizerischen Privatrechtsgesetzgebung.

Ihre Kommission hat den Art. 5 (neu) des nationalräthlichen Beschlusses, wonach das Gesetz auch auf verschiedene Rechtsgebiele des nämlichen Kantons Anwendung finden solle, gestrichen, weil nach der einmüthigen Ansicht derselben die Bundeskompetenz zur gesetzlichen Ordnung der civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter sich nur auf die Verhältnisse von Kanton zu Kanton, keineswegs aber auf das Civilrecht im Innern eines Kantons selbst bezieht, hinsichtlich dessen die kantonale Gesetzgebungsbefugniß nicht beschränkt wurde. Dabei bleibt es selbstverständlich den betreffenden Kantonen unbenommen, das Buudesgesetz einmal zu Stande gebracht, dessen Bestimmungen auf dem verfassungsmäßigen Wege in das kantonale Gesetzesrecht« einzuführen.

B. Personen- und familienrechtliche Verhältnisse.

1. Handlungsfähigkeit.

In der Kasuistik, welche der Entwurf Ihrer Kommission, gegenüber dem allgemein gehaltenen Satze des nationalräthlichen Beschlusses, befolgt, stützt sie sich auf die Bestimmungen in Art. 2, Absatz 2, Art. 3, Absatz 2, und Art. 7 des Bundesgesetzes über die persönliche Handlungsfähigkeit, vom 22. Brachmonat 1881.

Bundesblatt.

41. Jahrg. Bd. III.

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Im Einzelnen haben wir hierüber Folgendes zu bemerken: Geht die Jahrgebung aus von dem Inhaber der elterlichen Gewalt, so richtet sie sich in den Voraussetzungen und Formen nach Domizilrecht (Art. 8), ebenso regelmäßiger Weise, wenn sie von dem Altersvormunde anbegehrt wird (Art. 9); wird dagegen die Altersvormundschaft durch die Heimatbehörde ausgeübt (Art. 12), so macht auch das heimatliche Recht und die heimatliche Gerichtsbarkeit Regel.

Die Testirfähigkeit der Minderjährigen bestimmt sich selbstverständlich nach dem nämlichen Gesetze, welches für den materiellen Inhalt der letztwilligen Verfügung anwendbar ist.

G Die innere rechtliche Stellung, welche manche kantonale Gesetze den Minderjährigen nach Erlangung eines bestimmten Mündigkeitsalters gegenüber ihren vorgesetzten Autoritätspersonen einräumen , z. B. mit Bezug auf Berufs- und Konfessionswahl, Mitspracherecht bei wichtigen Dispositionen über ihr Vermögen u. s. w.

wird durch das Gesetz des Wohnsitzes normirt.

Die von verschiedenen Schriftstellern, namentlich Bar, das internationale Privat- und Strafrecht, S. 344, gemachte Unterscheidung der Ungültigkeit eines von der Ehefrau ohne Zustimmung des Mannes eingegangenen Geschäftes, welche eine Folge des eliemännlichen Rechts an dem Vermögen der Frau ist, und der ändern Ungültigkeit, welche auf der Handlungsunfähigkeit der Frau infolge ehemännlichen Mundiums beruht, hat nach Schreiber, die ehelichen Güterrechte der Schweiz, H, S. 139, mit Bezug auf die kantonalen gesetzliehen Güterrechtssysteme wenig oder keine Bedeutung, weil dem Manne überall, entweder zu eigenen oder zu Händen der Gemeinschaft, die er verwaltet, ausgedehnte Administrations- und Nutzungsrechte zustehen und demgemäß die Handlungsunfähigkeit der Frau sich durchgehends aus dem güterrechtlichen Interesse des Ehemannes erklären läßt. Der Entwurf spricht daher ganz allgemein von der Handlungsfähigkeit der Ehefrau während der Dauer der Ehe, ohne der Einschränkungen in der Verfügungsbel'ugniß aus Grund des ehelichen Güterrechts besonders zu erwähnen, und unterstellt die erstere dem Gesetze des Wohnsitzes. Es gehören namentlich hieher: die Verfügungshefugniß über und die Verpflichtungsfähigkeit in Bezug auf das vorbehaltene Gut, die Verwaltungsund Veräußerungsbefugniß am Paraphernalgut im Dotalsystem, die Annahme von Erbschaften
und Schenkungen, die Veräußerung und Verpfändung von Liegenschaften, selbstständige Verpflichtungen gegenüber Dritten, Verpflichtung des Ehemannes durch Rechtsgeschäfte der Frau (sogenannte Schlüsselgewalt), Interzessionen zu

813 Gunsten des Ehernannes oder zu Gunsten von Drittpersonen, Nachgangserklärungen in Hypothekargeschäften des Ehemannes, Rechtsgeschäfte mit dem Ehemann bei obwaltender Interessenkollision überhaupt, wie namentlich Ehe- und Erbverträge, Verhandlung vor Gericht, Geltend machung der gesetzlichen Sicherungsmittel für das Frauengut, Verwaltung des herauserhaltenen Frauengutes infolge Aufhebung des bisherigen Güterrechtes durch Konkurs, gerichtliche Gütertrennung oder Trennung von Tisch und Bett, Handlungsfähigkeit der Frau bei eingetretener Bevogtung des Ehemannes u. s. w.

Die kantonalen Gesetze ordnen die Handlungsfähigkeit der Frau in verschiedener Weise: von der vollständigen Verfügungsfreiheit in Bezug auf das vorbehaltene Gut und dem Zustande des eigenen Rechtes im Falle des Konkurses oder der Bevogtung des Ehemannes bis zur Bestellung eines Vormundes in den letztbenannten Fällen; bei Rechtsgeschäften mit dem Ehemanne und bei Interessenkollisionen überhaupt wird der Frau nahezu nach allen Gesetzgebungen ein Beistand bestellt, hin und wieder verbunden mit einer Autorisation der Vormundschaftsbehörde oder des Gerichtes; liegen weder Kollisionsfälle vor, noch eine Minderung des eheherrlichen Schutzverhältnisses infolge Konkurses oder Bevogtung, so wird in der Regel die Mitwirkung oder Zustimmung des Mannes zu den Rechtsgeschäften der Frau verlangt.

2. Familienstand.

In diesem Abschnitte hat Ihre Kommission den bundesräthlichen Entwurf wieder hergestellt, indem sie auch dessen Motivirung ohne Weiteres theilt, daß man es nämlich hier mit Einrichtungen öffentlichrechtlichen Charakters zu thun habe, welche in ihrer Rechtswirkung die Gemeinde- und Kantonsangehörigkeit der betreffenden Personen begründen.

3. Elternrecht.

In den Rechtsverhältnissen zwischen Eltern und Kindern unterscheidet die Kommission zwischen dein Inbegriffe der Befugnisse und Pflichten, welche unter der elterlichen Gewalt verstanden werden, einerseits, und der gegenseitigen Unterstützungspflicht auf der ändern Seite. Die Erstem, zu welchen gehören : die Erziehungspflicht (religiöse und berufliche Erziehung, Schulunterricht, Züchtigungsrecht), die Aussteuerpflicht im Falle der Verehelichung des Kindes, die natürliche Vormundschaft, die Rechte am Vermögen und am Ertrage der Arbeit des Kindes, sowie die Sicherstellung des Kindervermögens, unterstellt der Entwurf dem Domizilrechte.

814 Es kommen in dieser Beziehung ungefähr die nämlichen Gesichtspunkte zur Geltung, wie bei der öffentlichen Vormundschaftspflege, woraus sich ergibt, daß im Falle der Entziehung der natürlichen Vormundschaft und der Ersetzung derselben durch die öffentliche, dann auch die im nachfolgenden Abschnitte enthaltenen Bestimmungen Regel machen. -- Die gegenseitige Alimentationspflicht steht umgekehrt in engem Zusammenhange mit dem Armenwesen, wie denn auch die Rechte der deutschen Kantone diese Materie in der Armengesetzgebung behandeln, während diejenigen der romanischen Schweiz sie in das Privatrechtssystem verweisen. Dieses inuern Zusammenhanges wegen besteht selbstverständlich eine intime Wechselwirkung zwischen der verwandtschaftlichen und der heimatlichen Unterstützungspflicbt, weßhalb nach dem Dafürhalten der Kommission in beiden Richtungen das nämliche materielle Recht zur Anwendung kommen soll.

4. Vormundschaft.

Die Gründe, welche in der Theorie für das Personalstatut im Vormundschaftswesen sprechen, treffen bei den schweizerischen Rechtsverhältnissen nur in untergeordneter Weise zu und vermögen keineswegs den bedeutenden Vortheil zu überwiegen, welchen die vormundschaftliche Verwaltung in der Nähe des Mündels, bei genauer Kenntniß von Personen und Verhältnissen, bietet. In der That sind ja durch das Bundesgesetz betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit das Alter der Volljährigkeit und der Jahrgebung Minderjähriger einheitlich und die Entmündigungsgründe mehrjähriger Personen mindestens in der Weise einheitlich geordnet, daß keine kantonale Gesetzgebung über dieselben hinausgehen darf. Die Verschiedenartigkeit im Entmündigungsverfahren, in'der Bestellung des Altersvormundes, in der Ordnung der natürlichen Vormundschaft und in der Organisation der öffentlichen Vormuadschaftspflege fällt unter diesen Umständen nicht so schwerwiegend in Betracht, um deßwegen die bedeutenden Vortheile des Territorialitätsgrundsatzes preiszugeben, von der abweichenden Normirung der Nutzungsrechte des elterlichen Vormundes am Vermögen der Kinder gar nicht zu sprechen.

Ihre Kommission hat daher den in allen bisherigen Entwürfen enthaltenen Grundsatz der örtlichen Vormundschaft ebenfalls acceptirt; nur erweitert sie die Befugnisse der Heimatbehörde dahin, daß letztere auch berechtigt sein soll, die Vormundschaft
über ihre auswärtigen Angehörigen im Heimatkanton einzuleiten und auszuüben, oder die von der Wohnsitzbehörde angeordnete Vormundschaft zu geeigneter Zeit zu übernehmen (Art. 12).

Mit der Einfügung dieses neuen (oder vielmehr alten) Rades in das System des Entwurfes soll der Grundsatz der Einheit und

815 Untheilbarkeit der Vormundsohaftsverwaltung, nach der Meinung Ihrer Kommission, in keiner Weise gestört werden, indem in gleichem Maße, wie die heimatliche Vormundschaftsbehörde, von ihrer Befugniß Gebrauch macht, das Recht und die Pflicht der Wohnsitzbehörde zur vormundschaftlichen Verwaltung zessirt. Es ist die fernere Meinung Ihrer Kommission, daß die heimatliche Vormundschaftsbehörde, nachdem sie die Vormundschaft über ihre auswärtigen Angehörigen selbst eingeleitet, oder die von der Wohnsitzbehörde angeordnete Vormundschaft abgetreten erhalten hat, eine Rückübertragung an die letztere nicht mehr verlangen kann, -- eine Konstruktion, welche speziell daraus sich ergibt, daß der Wohnsitz des Mündels nicht mehr an seinem faktischen Wohnorte, sondern bei dem Sitze der heimatlichen Vormundschaftsbehörde sich befindet (Art. 4, Abs. 2).

Die Gründe, welche die Aufnahme einer solchen Befugniß der heimatlichen Behörde veranlaßt haben; liegen einerseits in der Verschiedenheit der Konfessionen, anderseits in den Verhältnissen der Armenunterstiitzung. Da verfassungsmäßig der Inhaber der vormundschafllichen Gewalt über die religiöse Erziehung der Kinder bis zum erfüllten 16. Altersjahre verfügt, so kann billiger Weise Niemand einer katholischen Gemeinde zumuthen, die Altersvormundschaft über verwaiste, katholisch getaufte Kinder einer protestantischen Vormundschaft anzuvertrauen und umgekehrt. Daim Fernern im Verarmungsfalle die Heimatbehörde zur Aufnahme ihrer auswärtigen Angehörigen nach eidgenössischem Recht verpflichtet ist, so ist das Interesse an einer möglichst sparsamen Verwaltung allfällig vorhandener bescheidener Mittel bei derselben in viel höherem Maße vorhanden, als bei der Wohnsitzbehörde eines ändern Kantons.

Mtin kann nun zwar einwenden, daß diese im Grundsatz richtige Bestimmung zu Mißbräuchen in der Anwendung führen dürfte, indem die heimatlichen Behörden aus Gründen vermehrter Steuerkraft oder wegen der Verwaltungsspeseii die Verwaltung der großen Mündelvermögen derjenigen der kleinen vorziehen möchten.

Solche Mißbräuche sind allerdings denkbar; sie können jedoch, mit Rücksicht darauf, daß in der Regel die Vormundschaft wegen der damit verbundenen Verantwortlichkeit, die sich mit der Größe des Vermögens und der Entfernung seines Sitzes steigert, weit mehr als eine Last denn als ein
Vortheil angesehen wird, nicht so häufig vorkommen, daß deßwegen der an sich richtige Gedanke fallen gelassen werden soll.

5. Güterrecht der Ehegatten.

In dieser weitaus schwierigsten Materie des Gesetzes, die auf dem Boden von nahezu dreißig verschiedenen Gesetzgebungen und

816 Lokalstatuten unmöglich jemals zu einer auch nur annähernd befriedigenden Lösung gebracht werden kann, und wo daher eine Vereinheitlichung des Rechts dringend Noth thut, theilt sich Ihre Kommission in zwei Fraktionen. Herr Moriaud wird überdies einen selbstständigen Antrag einbringen, der jede Wandelbarkeit des einmal begründeten Güterrechts, auch Dritten gegenüber, ausschließt.

In zwei Fragen geht die Kommission einig: einmal, daß der Domizilwechsel an sich keine Veränderung in den Güterrechtsverhältnissen der Ehegatten unter sich bewirken soll, und sodann, daß eine Aufrechthaltung dieses Güterrechts Dritten gegenüber durch das Mittel der Publikation undurchführbar sei.

Sieht man vorläufig davon ab, zu untersuchen, wie weit die Rücksichten des geschäftlichen Verkehrs am neuen Wohnsitze der Ehegatten eine Modifikation der güterrechtlichen Verhältnisse Dritten gegenüber verlangen, so könnte eine Wandelung des Güterrechts, insbesondere des kraft gesetzlicher Bestimmung gegründeten Güterrechts, zwischen den Ehegatten selbst jedenfalls nur aus der Theorie der Unterwerfung unter das Gesetz des neuen Domizils gefolgert werden. Um zu einem solchen Schlüsse zu gelangen, müßte dieses Gesetz derart absolut gehalten sein, daß es jedes anderswo entstandene Rechtsverhältniß von dauernder Gestalt wie das eheliche Gütersystem auf seinem Herrschaftsgebiete ausschlösse. Nun geht umgekehrt der Zug der Zeit gerade dahin, die Geltung eines fremden Rechts für ein konkretes Rechtsverhältniß mehr und mehr zuzulassen und dadurch die gegenseitigen Verkehrsbeziehuugen immer vollkommener zu gestalten. Sind diese Prinzipien richtig im Privatrechtsverkehr von Nation zu Nation, so erlangen sie erst recht ihre volle Bedeutung innerhalb den Gliedern eines Bundesstaates, der das allgemeine Landesbürgerrecht und die freie Niederlassung zu verfassungsmäßigen Axiomen erhebt. Es bleibt daher gewiß nur noch übrig, aus der Natur des ehelichen Gilterverhältnisses zu deduciren, daß seine Feststellung durch das Gesetz nicht bloß die Möglichkeit einer Anwendung bestimmter Rechtssätze, sondern auch eine positive, im Leben fixirte Gestaltung der vermöu-ensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten bedeutet, welche eine Reihe gegenseitiger Rechte und Verbindlichkeiten erzeugt, um zu dem Resultate zu gelangen, daß dasselbe weder zeitlich noch
örtlich den Veränderungen der Gesetzgebung unterworfen sein kann. Daß das durch Vertrag begründete Güten-echt unter dem Wechsel der Gesetzgebung nicht leiden solle, ergibt sich schon aus der Unantastbarkeit wohl erworbener Rechte. Zum Ueberflusse darf auch noch auf das praktische Moment verwiesen werden, daß der Wille des Ehemannes schon für sich allein den Wechsel des

817 Domizils zu bestimmen vermag und daß daher unter Umständen nicht nur die Voraussetzungen einer Unterwerfungsfiktion unter das neue Gesetz für die Ehefrau gar nicht zutreffen, sondern letztere überdieß noch in ihren vermögensrechtlichen Interessen auf das Empfindlichste geschädigt werden könnte.

Wie später auszuführen ist, gelangt die Kommission, unter Aufrechthaltung des einmal begründeten Güterrechts unter den Ehegatten, zu dem Resultate, daß den Gläubigern gegenüber ausschließlich das Domizilrecht gelten solle. Sie hält nämlich das im Entwurfe des Bundesrathes und im Beschlüsse des Nationalrathes aufgenommene Mittel^ der Publikation des bisherigen Güterrechts für unpraktisch und wirkungslos, geeignet, um auf dem Wege einer gesetzlichen Fiktion Täuschung in das Geschäftsleben einzuführen.

Es ist doch sicher etwas ganz Anderes, mit einer Ediktalladung zur Vornahme eines einmaligen Rechtsaktes oder mit einer Publikation der H a n d e l s r e g i st er eintragungen über Thatsachen und Rechtswirkungen, welche gesetzlich genau geordnet sind und sich nur an einen bestimmten'Stand, die H a n d e l s w e l t , richten, die Fiktion der Notorietät zu knüpfen, -- und wieder etwas Anderes, vorauszusetzen, daß die Veröffentlichung eines Güterrechtssystems, dem irgend ein Vertrag oder das Gesetz oder Statut eines der 25 Mitstände, mit seinen mehr oder weniger deutlichen Bestimmungen, zu Grunde liegt, die zu irgend einer Zeit vor 10 oder 20 Jahren am gegenwärtigen oder einem frühern Domizil innerhalb des nämlichen Kantonsgebietes stattgefunden hat, in ihrem maßgebenden Inhalte Jedermann bekannt sei, und daß auch jeder Dritte fortwährend wisse, daß jene Publikation gerade diejenigen Eheleute betreffe, mit denen er heute ein Geschäft abschließt.

Für Ihre Kommission blieb daher nur noch das e i n e System übrig, zwischen dem Güterverhältniß der Ehegatten unter sich uud seinen Wirkungen Dritten gegenüber zu unterscheiden, sobald sie zu der Ueberzeugung kommen mußte, daß eine solche Spaltung juristisch zuläßig und durch die Interessen des Verkehrs geboten sei. Ueber beide Fragen ist der Ständerath schon im Jahre 1863 ein Mal schlüssig geworden, wie folgenden Stellen aus dem Berichte der Mehrheit der nationalräthlichen Kommission vom 29. Mai 1863 zu entnehmen ist: .,,Schon bestrittener ist die Frage (Nationalität
oder Territorialität) wegen des ehelichen Güterrechts. Der Bundesrath wollte auch hier das Prinzip des Niederlassungsortes zur Geltung bringen ; der Ständerath dagegen entschied sich für das der Heimathörigkeit und machte bloß den Vorbehalt, daß ürittleuten gegenüber -- also praktisch gesprochen im Konkursfalle -- das Recht des Niederlassungsortes zur Anwendung kom-

818 meo solle. Die Mehrheit Ihrer Kommission (6 gegen l St.) pflichtet hierin dem ständeräthlichen Vorschlage vollständig bei.a In dem nämlichen Berichte heißt es weiterhin: ,,Ist durch diese Bestimmung der Regel (Umwandelbarkeit unter den Ehegatten) den Interessen namentlich der Ehefrau Rechnung getragen, so ist dagegen nicht zu verkennen, daß auch die- Interessen des Publikums am Niederlassungsorte eine angemessene Berücksichtigung verdienen.

Es ist nicht zu erwarten, daß dieses Publikum, mit welchem ein niedergelassenes Ehepaar verkehrt, die ehelichen Güterrechte aller 22 Kautone kenne; man nimmt eben gemeinhin an, die Verpflichtung der Frau zur Bezahlung der Schulden des Mannes sei die gleiche, wie sie nach den Gesetzen des Ortes, wo man lebt, geregelt ist.tt Entsprechend dieser Erörterung lautete der betreffende Satz im damaligen Kommissionalentwurfe: ,,Die güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten während der Dauer der Ehe stehen, nur insoweit sie die Haftung für Schulden gegenüber Dritten beschlagen, unter der Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit des Niederlassungskantons, im Uebrigen dagegen unter derjenigen des Heimatkantons."

Grundsätzlich die nämliche Unterscheidung zwischen dem güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten unter sieh und der Haltbarkeit derselben nach Außen stellen der Entwurf des Bundesrathes vom 25. Oktober 1876, der Beschluß des Nationalrathes vom 18. Dezember 1876 und derjenige des Ständerathes vom 16. Juni 1877 auf, wie sich aus dem daherigen Wortlaute ergibt: Entwurf des Bundesrathes: ,,Ein gültig abgeschlossener Ehevertrag verliert durch eine spätere Veränderung des Domizils seine Rechtswirkungen nicht, sofern der eine oder andere Ehegatte denselben Innnen drei Monaten nach der Wohnsitzänderung bei der zuständigen Behörde einregistriren läßt. Ist d i e s e A n m e l d u n g u n t e r l a s s e n w o r d e n , so gilt b e z ü g l i c h de r A n s p r ü c h e von Drittpersonen (Gläubiger) das Recht des neuen Wohnsitzes."

Beschluß des Nationalrathes: ,,Nach Verlegung des Wohnsitzes gilt im Falle des Konkurses das Recht des neuen Wohnsitzes."

Beschluß des Ständerathes: ,,Das durch Gesetz oder Ehevertrag einmal begründete eheliche Güterrecht behält unter den Ehegatten seine Wirkungen auch nach einem Wechsel des Wohnsitzes.

,,Dritten gegenüber gilt das eheliche Güten-echt des frühern Wohnsitzes, wenn es am neuen Wohnsitze . .. durch Einregistrirung . . . bekannt gemacht wurde."

819 Angesichts dieser Vorgänge halten wir eine weitere Ausführung über die juristische Zulälligkeit der geplanten Unterscheidung für überflüssig. Es mag dieselbe nicht zu der ,,eleganten Jurisprudenza gehören, sie wird auch wenn das Gesetz des Konkursortes mehr Frauengut den Gläubigern des Ehemannes überläßt, als das unter den Ehegatten geltende Güterrecht, gewisse Komplikationen in der Abrechnung zwischen diesen letztern oder ihren Rechtsnachfolgern im Gefolge haben, aber eine eminent praktische Seite im geschäftliehen Verkehrsleben wird man ihr kaum absprechen wollen. Wir sind übrigens, um dies zu wiederholen, zu diesem System durch die Erkenntniß geführt worden, daß es kein hinlängliches Mittel gibt, das Güterrecht am neuen Domizil der Ehegatten Dritten gegenüber aufrecht zu erhalten, ohne Treu und Glauben im Verkehr ganz gewaltig zu schädigen.

Daß wohlerworbene Rechte geschützt bleiben sollen, ist selbstverständlich. Darunter versteht Ihre Kommission jedoch nur diejenigen Verpflichtungen der Ehefrau, welche die Folge besonderer Rechtsgeschäfte derselben sind, nicht aber bloße Anwartschaften der Gläubiger des Ehemannes auf das Frauengut, welche sich aus dem bisherigen ehelichen Gütersystem ergeben.

Haben wir bisher den Kommissionalentwurf behandelt, soweit er auf gemeinschaftlicher Grundlage beruht, so sind nun auch noch die Differenzen kurz zu besprechen. Der Antrag der HH. Haberstich, Schmid und Rusch stellt ab auf das Heimatpi-inzip und hat in dieser Beziehung den Vorgang aus dem Jahre 1863 für sich.

DiHse Fraktion begründet ihren Antrag im Wesentlichen mit dem Zusammenhange, der /.wischen dem ehelichen Güterrecht und dem Erbrecht bestehe, und des Weitem damit, daß das heimatliche Recht des Ehemannes als ein unter allen Umständen feststehendes, dem Güterrecht von vornherein einen sichern Rechtsboden verschaffe, was bei dem Rechte des ersten, ehelichen Wohnsitzes nicht immer der Fall sei. Die Fraktion der HH. Göttisheim, Loretan und Eggli hält sich gegenüber dem Vorgange von 1863 au dem seither entstandenen verfassungsmäßigen Grundsatze, daß die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen in der Regel unter dem Gesetze des Wohnsitzes stehen ; sie anerkennt einen unbedingten Zusammenhang zwischen Güterrecht und Erbrecht nicht, ist vielmehr der Ansicht, daß mit der Ordnung der
Schuldverhältnisse unter den Gatten, der Ausscheidung der eingekehrten Vermögen und der Zuscheidung eines allfälligen Vorschlages, auch wenn diese Liquidations-Grundsätze vorläufig nur gesetzlich bestimmt und die wirkliche Abscheidung auf einen spätem Zeitpunkt verschoben wird, das eheliche Güterrecht seinen Abschluß erreicht habe, während alle Zu-

820 Wendungen, welche dem Ueberlebendeü von Todeswegen aus der Verlassenschaft des Vorverstorbenen zukommen, erbrechtlicher Natur seien ; sie hält auch dafür, daß die Peststellung des ersten ehelichen Wohnsitzes im einzelnen Falle unüberwindlichen Schwierigkeiten nicht begegnen könne, zumal die Gerichtspraxis bei vorhandener Ungewißheit voraussichtlich auf den Wohnsitz des Ehemannes zur Zeit des Eheabschlusses abstellen wird; die Haupterwägung dieses Fraktionsantrages liegt aber darin, daß mit der Güterrechtsordnung die Ehegatten eingreifen in den wirtschaftlichen Verkehr ihrer nächslen Umgebung und daß daher das Wesen dieses Rechtsinstitutes eine Regelung nach Territorialrecht gebieterisch verlangt; die Anwendung des Territorialrechts gestattet auch bei den sog. ,,säßhafteu a Niedergelassenen eine einheitliche Ordnung der Rechtsverhältnisse nach Innen und Außen, während das System des heimatlichen Rechts immer einen Dualismus im Gefolge hat.

In dieses auf dem Boden des Domizilrechtes aufgebaute System fügt die hetreffeude Kommissionsfraktion die Fakultät der Ehegatten ein, sich durch einen gemeinschaftlichen Willensakt unter das Recht des neuen Wohnsitzes zu begeben, und zwar soll nach ihrer Meinung diese ßefugniß, weil aus einem Bundesgesetze hervorgehend, auch dann zutreffen, wenn die Eheleute ihre Güterrechtsverhältnisse durch Vertrag geordnet haben und das kantonale Gesetz des neuen Wohnsitzes eine Abänderung oder Aufhebung des Ehekontraktes während der Dauer der Ehe untersagt. Der Grundsatz der Unwaudelbarkeit des Gütersystems bei einem Wohnsitzwechsel richtet sich nur gegen die Theorie der stillschweigenden Unterwerfung unter das Gesetz des neuen Wohnsitzes, schließt dagegen nicht aus, daß die Ehegatten sich aus freien Stücken diesem Gesetze unterstellen. Im Interesse einer möglichst gleichmäßigen Gestaltung des Güterrechtes muß in einem solchen Palle die Rückwirkung des betreffenden Rechtsaktes auf den Zeitpunkt der Begründung oder einer bereits vorausgegangenen Abänderung des Gütersystems von Gesetzes wegen ausgesprochen werden. Das Interesse der Eheleute an einer derartigen Unterstellung unter das Recht des neuen Wohnsitzes ist nach verschiedenen Richtungen hin denkbar, sei es, weil das letztere ihrer Oekonomie überhaupt besser entspricht, oder wäre es auch nur, um bei drohender Krisis
die dem Frauengut gewährten Sicherungsmittel nach diesem Gesetze gebrauchen zu können. Auch hier dürfen die wohlerworbenen Rechte, welche durch besondere Rechtsakte der Frau entstanden sind, nicht verletzt werden. Da der betreffende Rechtsvorgang nur die interne Seite des Güterverhältnisses berührt, so ist Publizität desselben nicht erforderlich. Immerhin soll nicht ausgeschlossen sein, daß die Kantone in dem von ihnen

821 gemäß einer Vorschrift der Schlußbestimmungen zu ordnenden Verfahren, die Eintragung der betreffenden Erklärung in ein öffentliches Buch und sogar eine weitergehende Veröffentlichung verfügen . können.

C. Erbrecht und Schenkungen.

Im Erbrecht handelt es sich vor Allem aus darum, dem Gedanken der Universalsuccession, der einheitlichen Behandlung aller Verlassenschaftssachen ohne Rücksicht auf das Rechtsgebiet, in dem sie sich befinden, Ausdruck zu geben. In zweiter Linie entsteht dann die Frage, ob dieses einheitliche Recht das des Wohnsitzes des Erblassers oder dasjenige seiner Heimat sein solle. Bei Lösung dieser letztern Frage fallen Rücksichten auf Drittpersonen, auf die Erfordernisse des geschäftlichen Verkehrs nicht in Betracht, wie dies in so hervorragendem Maße bei dem ehelichen Güterrechte der Fall ist, denn die schweizerischen Erbgesetze kennen allerorts den im Begriffe der Universalsuccesion enthaltenen Rechtssatz, daß die übertragbaren Verbindlichkeiten des Erblassers auf seine Erben übergehen. Was dagegen ganz besonders in's Auge gefaßt werden muß, das ist die Behandlung des vertragsmäßigen, testamentarischen und gesetzlichen Erbrechts nach ein und dem nämlichen Gesetze, wenn man nicht in unentwirrbare Komplikationen hineingerathen will. Die kantonalen Gesetze enthalten sehr verschiedenartige Bestimmungen über vertragsmäßiges Erbrecht unter Ehegatten, sei es in der Form der Erbeseinsetzung oder Zuwendung von Liberalitäten auf den Todesfall, sei es in der Form der Aufhebung des gesetzlichen Erbrechtes; einzelne Kantonalrechte kennen ferner den Erbverzieht auf die PflichttheilsberechtigMgg unter Notherben (sog. Erbauskauf) ; die disponible Quote im testamentarischen Erbrecht ist in der mannigfaltigsten Weise bestimmt; das gesetzliche Erbrecht des überlebenden Ehegatten kann sich steigern bis zum Notherbrecht an dem gesammten Nachlaß des Vorverstorbenen, während wieder andere Gesetzgebungen gar kein Erbrecht unter Ehegatten anerkennen; die Wirkungen der Wiederverheirathung sind ebenso mannigfach geregelt; die Intestaterbfolge endlich weist in den Pflichttheilsrechten, in den Verwandtschaftsgraden, in den Vorzugsrechten des Geschlechts und der Geburt eine wahre Musterkarte abweichender Grundsätze auf. Angesichts einer solchen Mosaik muß es das Bestreben des Gesetzgebers sein, jedes Ineinandergreifen erbrechtlicher Titel, welche an verschiedenen Orten unter der Herrschaft abweichender Kaatonalgesetze entstanden, die aber sämrntlich ihre Wirksamkeit im nämlichen Zeitpunkte, io demjenigen der Eröffnung der Erbfolge, zu entfalten

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bestimmt sind, so viel als thunlich zu vermeiden; denn nur auf diesem Wege wird es möglich sein, die erhrechtliche Behandlung einer Verlassenschaftsmasse unter klares und einheitliches Recht zu stellen.

Bei Festhaltung solcher Gesetzgebungsprinzipien wäre die Anwendung des Domizilrechts ohne Komplikationen nur denkbar bei den ,,säßhaften"1 Niedergelassenen, welche den Niederlassungskanton nicht wechseln. Sobald dagegen der mehr flottante Theil der Bevölkerung in Frage kommt, ist das Heil für ein einheitliches Erbrecht nur im Gesetz der Heimat zu suchen.

Das heimatliche Recht ist in dieser Materie auch in der Natur der Sache begründet: denn das Intestaterbrecht beruht auf dem Gedanken, daß die Verwandtschaft eines Verstorbenen in erster Linie berufen sei, in das zurückgelassene Vermögen desselben nachzufolgen. Diese Verwandtschaft nun gehört zum engern oder weitem Familienkreise des Erblassers, und die Heimat ist es in der Regel, in welcher die Sippe eines nach Außen gezogenen Bürgers sich vorzufinden pflegt; in der Heimat werden auch die Bücher geführt, welche über die Erbberechtigungsverhältnisse Auskunft zu geben vermögen.

Nach dem Gesetze der Heimat richtet sich übrigens zur Stunde die. Behandlung des Erbrechts im größten Theile schweizerischen Gebietes: dem Konkordate über Testirungsfähigkeit und Erbrechtsverhältnisse vom 15. Juli 1822 gehören an die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Zug, Solothurn, Schaffhausen, Appeozell I. Rh., Aargau und Tessin ; außerhalb den Konkordatsständen huldigen dem Heimatsprinzip die Kantone Basel, Appenzell A. Rh. und Graubünden (vergi. Huber, schweizerisches Privatrecht, Bd. I, S. 81). -- Im internationalen Vertragsrechte der Schweiz gilt das Heimatrecht nach dem Handelsvertrage von 1868 mit Italien, nach dem Gerichtsstands vertrage von 1869 mit Frankreich, nach dem Handelsvertrage von 1873 mit Persien und nach dem Konsularvertrage von 1878 mit Brasilien, -- während dagegen der Freizügigkeitsvertrag von 1856 mit Baden das Gesetz des Domizils und der Niederlassungsvertrag von 1850 mit den Vereinigten Staaten, entsprechend der englisch-amerikanischen Rechtsauffassung, das Gesetz der gelegenen Sache zur Geltung bringt.

Nach allen diesen Erwägungen gelangte Ihre Kommission zu dem Schlüsse, Ihnea die Aufnahme des Nationalitätsprinzips als
das maßgebende für das Erbrecht und, soweit damit zusammenhängend, für die Schenkungen vorzuschlagen, wobei immerhin, was die Förmlichkeiten bei letztwilligen Verfügungen, Erbverträgen

823 und Schenkungen anbetrifft, der Grundsatz ,,locus régit aetum tl Berücksichtigung finden soll.

Auf speziellen Wunsch des Kommissionsmitgliedes Herrn Rusch wird bemerkt, daß die im Gesetzesentwurf und gegenwärtigen Berichte vorkommenden Ausdrücke ,,Pflichttheilsrecht a , ,,Pflichttheilsverhältnisse" u. dgl. auf das Erbrecht des Kantons Appenzell I. Rh. nur in einem uneigentlichen Sinne anwendbar sind, indem dieses Erbrecht, als auf germanischen Rechtsgrundsätzen beruhend, die testamentarische Erbfolge nur in sehr beschränktem Maße kennt, d. h. bis zu 2 °/o des Nachlasses beim Vorhandensein von Nachkommen und bis zu 5 % in allen übrigen Fällen.

D n. £. Verhältnisse der Schweizer im Auslande und der Ausländer in der Schweiz.

Diese beiden Abschnitte geben zu keinen Bemerkungen Anlaß, indem die Kommission den Beschlüssen des Nationalrathes beizutreten beantragt. Einzig bezüglich der unter Vormundschaft stehenden Personen, welche sich außer Landes begeben, ist die Befugniß der Heimatbehörde vorbehalten, sich die vormundsehaftliche Verwaltung abtreten zu lassen.

F. Uebergangs- und Schlußbestimmungen.

Entsprechend der Auffassung Ihrer Kommission, daß das Publikationsverfahren zur Festhaltung des bisherigen ehelichen Güterrechts undurchführbar sei, hat sie die daherigen Vorschriften dieses Abschnittes weggelassen.

Der Nationalrath glaubte die Bestimmung, welche von der Beurtheilung der aus diesem Gesetze entstehenden Streitigkeiten handelt, in der Weise ergänzen zu sollen, daß er, anschließend an die Systematisirung der Art. 57 u. 58 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesreehtspflege, Streitigkeiten zwischen Kantonen und Beschwerden von Privaten unterscheidet, um denselben als fernere" Spezies Anstände in Bezug auf den Wohnsitzwechsel anzureihen. Nach der Ansicht Ihrer Kommission geht der Zweck der vorgeschlagenen Vorschrift nur dahin, einerseits die sachliche Zuständigkeit des Bundesgerichts und anderseits das zu beobachtende Verfahren zu normiren. Die Legitimation der Parteien und der Gegenstand des Streites sollen sich dagegen aus den materiellen Vorsohriften des gegenwärtigen Gesetzes im einzelnen Falle von selbst ergeben, so daß eine Herbeiziehung der Bestim-

824 mungen in Art. 57 und 58 1. c. leicht die Gefahr einer unzulänglichen Exemplifikation in sich schließen könnte.

Mit diesen erläuternden Bemerkungen empfiehlt Ihnen die Mehrheit der Kommission das Eintreten auf den Gesetzesentwurf.

Die einzelnen Mitglieder der Kommission behalten sich vor, den schriftlichen Bericht mündlich zu ergänzen.

B e r n , den 14. Juni 1889.

Der B e r i c h t e r s t a t t e r : Eggli.

Mitglieder der Kommission: Göttisheim.

Haberstich.

Loretan.

Moriaud.

Rusch.

Schmid.

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Bericht der Kommission des Ständerathes zu dem Gesetzes-Entwurf betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter. (Vom 14. Juni 1889.)

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1889

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29

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06.07.1889

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809-824

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