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16.442 Parlamentarische Initiative Arbeitnehmende in Start-ups mit Firmenbeteiligungen sollen von der Arbeitszeiterfassung befreit sein Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 29. August 2023

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Arbeit.1 Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

29. August 2023

Im Namen der Kommission Der Präsident: Leo Müller

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Übersicht Mit dieser Vorlage sollen die Rahmenbedingungen für neugegründete Firmen, sogenannte Start-ups, insofern verbessert werden, als deren Mitarbeitende unter gewissen Bedingungen nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt sein sollen.

Ausgangslage 2016 wurden mehrere parlamentarische Initiativen eingereicht, die eine Lockerung von Vorschriften des Arbeitsgesetzes verlangten, vor allem was Fragen der Arbeitszeit angeht. Die Initiative 16.442 von Nationalrat Marcel Dobler, Arbeitnehmende in Start-ups mit Firmenbeteiligungen sollen von der Arbeitszeiterfassung befreit sein, ist eine davon. Sie hat zum Ziel, Mitarbeitenden von Start-ups die Möglichkeit zur Vertrauensarbeitszeit zu geben.

Inhalt der Vorlage Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates ist der Ansicht, neu gegründete Firmen bräuchten mehr Flexibilität als vom Arbeitsgesetz heute erlaubt; dessen Bestimmungen würden Jungunternehmen zu stark einschränken. Sie schlägt deshalb vor, die parlamentarische Initiative so umzusetzen, dass bestimmte Mitarbeitende von neu gegründeten Unternehmen in den ersten fünf Jahren seit Firmengründung ganz vom Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgenommen werden.

Bedingung für die Ausnahme ist, dass diese Mitarbeitenden im Besitz einer Erfolgsbeteiligung am Unternehmen sind. Bezüglich Gesundheitsschutz sollen nach dem Willen der Kommission jedoch auch die neu vom Geltungsbereich auszunehmenden Mitarbeitenden dem Gesetz unterstellt bleiben; eine Minderheit lehnt dies ab. Mehrere andere Minderheiten möchten die Bedingungen für die Ausnahme präzisieren, eine weitere Minderheit möchte ausserdem eine nach anderen Kriterien umschriebene Kategorie von Arbeitnehmenden vom Gesetz ausnehmen. Eine letzte Minderheit schliesslich lehnt die vorgesehene Änderung vollständig ab.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 9. Juni 2016 reichte Nationalrat Marcel Dobler seine parlamentarische Initiative 16.442 Arbeitnehmende in Start-ups mit Firmenbeteiligungen sollen von der Arbeitszeiterfassung befreit sein ein. Er forderte damit, das Arbeitsgesetz (ArG)2 sei dahingehend zu ändern, dass Arbeitnehmende bei Start-ups, die über Mitarbeiterbeteiligungen (Employee Stock Option Plans) verfügen, die Vertrauensarbeitszeit vereinbaren und somit auf die Erfassung ihrer Arbeitszeit verzichten könnten. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) gab der parlamentarischen Initiative am 20. Februar 2017 mit 18 zu 6 Stimmen Folge. Ihre ständerätliche Schwesterkommission verweigerte die Zustimmung zum Folgegeben am 23. Januar 2018 jedoch einstimmig. Sie war damals mit zwei weiteren parlamentarischen Initiativen zum Arbeitsgesetz befasst (16.414 Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle und 16.423 Ausnahme von der Arbeitszeiterfassung für leitende Angestellte und Fachspezialisten) und wollte aus Effizienzgründen vermeiden, dass die WAK-N parallel dazu ebenfalls an einer Revision des Arbeitsgesetzes arbeiten würde. Zudem bestand die Hoffnung, das Anliegen der vorliegenden parlamentarischen Initiative in eine der Vorlagen zur Umsetzung der anderen beiden genannten Initiativen integrieren zu können. Der Nationalrat gab der parlamentarischen Initiative am 7. Mai 2019 auf Antrag seiner Kommission mit 130 zu 52 Stimmen dennoch Folge. Nachdem der Ständerat in der Zwischenzeit die inhaltlich am engsten mit der vorliegenden Initiative verbundene parlamentarische Initiative 16.423 Ausnahme von der Arbeitszeiterfassung für leitende Angestellte und Fachspezialisten auf Antrag seiner WAK abgeschrieben hatte, während gleichzeitig die Arbeiten zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative 16.414 ins Stocken geraten waren, stimmte die WAK-S dem Folgegeben schliesslich am 21. August 2020 mit 7 zu 5 Stimmen zu. Sie bat die WAK-N gleichzeitig, mit der Ausarbeitung eines Vorentwurfs zuzuwarten, bis die Vorlage zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative 16.414 bereit sei, um allenfalls beide Anliegen in ein- und derselben Vorlage umsetzen zu können. Mittlerweile hat der Ständerat auch diese Initiative allerdings abgeschrieben: Da sich die Sozialpartner auf eine Verordnungslösung
einigen konnten, hält er den Auftrag an seine Kommission zur Ausarbeitung eines Entwurfs nicht länger aufrecht. Weil sich diese Entwicklung abzeichnete, verabschiedete die WAK-N am 5. Mai 2022 mit 10 zu 7 Stimmen bei 8 Enthaltungen einen ausformulierten Text zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative 16.442. Sie beriet den daraufhin ausgearbeiteten Vorentwurf, mit dem sie für bestimmte Mitarbeitende von Start-ups eine Ausnahme von der Unterstellung unter das Arbeitsgesetz vorschlägt, an ihrer Sitzung vom 24. Oktober 2022 und nahm ihn in der Gesamtabstimmung mit 17 zu 8 Stimmen an.

Die Kommission gab ihren Vorentwurf vom 17. November 2022 bis zum 3. März 2023 in die Vernehmlassung und nahm am 26. Juni 2023 Kenntnis vom entsprechen2

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den Ergebnisbericht. Angesichts der kontroversen Stellungnahmen prüfte sie verschiedene Präzisierungen ihres Textes. Die Mehrheit lehnte es jedoch letzten Endes ab, sie aufzunehmen. Am 29. August 2023 verabschiedete die Kommission ihren Entwurf mit 14 zu 8 Stimmen (0 Enthaltungen) zuhanden ihres Rates. Es liegen mehrere Minderheitsanträge vor.

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Ausgangslage

2.1

Handlungsbedarf und Ziele

Die Kommission geht davon aus, dass es sich bei etwa zehntausend Firmengründungen pro Jahr um sogenannte Start-ups handelt. Diese Firmen schaffen Arbeitsplätze und leisten mit neuen Ideen und mit Innovation einen wertvollen Beitrag für die Entwicklung der Schweiz. Bisher nimmt das Arbeitsgesetz keine Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse und die Realität von Start-ups. Diese funktionieren anders als bestehende Firmen: Oft gelten keine geregelten Arbeitszeiten und es braucht besonders in der Anfangsphase ein grosses Engagement der Beteiligten, da es darum geht, im Markt Fuss zu fassen. Ziel der Kommission ist es deshalb, für Mitarbeitende solcher neu gegründeter Firmen im Arbeitsgesetz eine Ausnahme zu schaffen.

2.1.1

Antrag der Mehrheit

Mit der Inkraftsetzung von Artikel 73a der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1)3 per 1. Januar 2016 wurde die Möglichkeit geschaffen, unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Arbeitszeiterfassung zu verzichten. Die Mehrheit der Kommission ist allerdings der Ansicht, insbesondere im Kontext von Firmenneugründungen seien diese Voraussetzungen zu restriktiv und administrativ viel zu aufwändig.

Die Regelung der ArGV 1 eigne sich auch gar nicht für alle Branchen, denn nicht überall könnten die leitenden Arbeitnehmenden ihre Arbeitszeiten zu über 50 Prozent selber festsetzen, auch dann nicht, wenn sie grundsätzlich grosse Befugnisse hätten und über weitreichende Autonomie verfügten. Weiter gälten nicht in allen Branchen Gesamtarbeitsverträge und auch die Lohngrenze von 120 000 Franken sei zu hoch angesetzt. Mitarbeitende von Start-ups würden beim Lohn oft bewusst Abstriche machen, seien im Gegenzug aber an der Firma beteiligt. In neu gegründeten Betrieben würden zudem häufig Menschen arbeiten, bei denen Arbeit, Freizeit und soziales Leben ohnehin nicht scharf voneinander getrennte Bereiche seien.

Die Vorschriften des ArG stammen aus einer Zeit, als vor allem industriell gearbeitet wurde, im Kontext von Start-ups sind sie nach Ansicht der Mehrheit ungeeignet. Die Mehrheit ist vielmehr der Überzeugung, Mitarbeitende von neu gegründeten Unternehmen, wo Eigenverantwortung und Unternehmergeist die Regel sind, sollten mehr Freiheit erhalten und dem ArG nicht unterstellt werden.

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Mit der Anpassung, die die Kommission nun vorschlägt, werden für neu gegründete Firmen gleichzeitig die administrativen Auflagen reduziert, was wiederum der Attraktivität des Standorts Schweiz zugutekommt. Dabei soll die Ausnahme vom Geltungsbereich des ArG nur für Arbeitnehmende in neu gegründeten Firmen gelten, die mittels Mitarbeiterbeteiligungen finanziell am Unternehmen beteiligt sind. Mindestens ein Teil dieser Kategorie von Arbeitnehmenden dürfte dem ArG zwar ohnehin nicht unterstellt sein: Mitarbeitende kleiner Start-ups haben öfter bedeutende Entscheidungsbefugnisse und gelten somit als Arbeitnehmende, «die eine höhere leitende Tätigkeit» oder «eine wissenschaftliche Tätigkeit» gemäss Artikel 3 Buchstabe d ArG ausüben. Damit sind sie heute schon von den Bestimmungen zur Dauer der Arbeitszeit und der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausgenommen. Allerdings gälte diese Nichtunterstellung für die Mitarbeitenden eines Jungunternehmens nur dann, wenn z. B.

drei, vier im gleichen Umfang beteiligte Personen die Entscheidungen gleichwertig fällen. Mit anderen Worten: Das Kriterium ist die Entscheidungsmacht für das gesamte Unternehmen. Sind die Kompetenzbereiche und die Einflussmöglichkeiten sehr unterschiedlich, lässt sich die genannte Bestimmung für die Begründung einer Ausnahme nicht hinzuziehen. Deshalb will die Kommission nun eine neue Bestimmung aufnehmen.

Für den Begriff «Start-ups» findet sich im geltenden Recht keine Definition. Man könnte sich zwar von anderen Ländern inspirieren lassen, die diesbezüglich spezifische Gesetzgebungen erarbeitet haben, die Kommission verzichtet jedoch darauf. Sie denkt in erster Linie an Firmen in den ersten fünf Betriebsjahren. Sie hat in ihrem Text deshalb den Begriff «Start-up» aus der parlamentarischen Initiative ersetzt durch die Wendung «Betrieb in den ersten fünf Jahren seit Firmengründung». Wenn eine solche Firma ihre Mitarbeitenden finanziell beteiligt, fördert dies deren Verantwortungsgefühl gegenüber der Firma und das unternehmerische Denken. Sie werden damit zu Mitunternehmerinnen und Mitunternehmern, die, weil sie eben an der Firma beteiligt sind, bereit sind, einen Mehreinsatz zu leisten.

Der Kommission liegen keine genauen Informationen zur aktuellen Praxis der Arbeitszeiterfassung in Start-ups vor. Angesichts der obigen Ausführungen
erachtet sie die Gefahr von Missbräuchen in diesen Unternehmen indessen als nicht besonders hoch.

Wichtig ist der Kommissionsmehrheit nicht zuletzt der Hinweis, dass die Bestimmungen zum Gesundheitsschutz auch für diejenigen Personengruppen, die in Artikel 3 ArG vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden, weiterhin gelten sollen. Damit bleibt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bestehen, unabhängig davon, ob seine Mitarbeitenden dem Arbeitsgesetz unterstellt sind oder nicht. Daran soll nicht gerüttelt werden.

2.1.2

Minderheitsanträge

Die von Nationalrat Cédric Wermuth angeführte Minderheit lehnt die Vorlage dezidiert ab und beantragt, nicht darauf einzutreten; der entsprechende Antrag wurde jedoch mit 17 zu 8 Stimmen abgelehnt. Sie erachtet eine Gesetzesänderung gegen den Willen der Sozialpartner als nicht zielführend und verweist auf die Verordnungslö5 / 12

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sung, die die Sozialpartner im Zusammenhang mit der parlamentarischen Initiative 16.414 erarbeitet haben. Diese könnte ihres Erachtens als Vorbild für die Umsetzung des Anliegens der vorliegenden Initiative dienen.

Die Minderheit wehrt sich grundsätzlich gegen das Ansinnen, finanziell an ihrer Firma beteiligte Mitarbeitende neu gegründeter Unternehmen vom Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes auszunehmen. Mitarbeitende, die in einer Art und Weise an einem neu gegründeten Unternehmen mitbeteiligt sind, dass sie dessen Entscheide mittragen und mitgestalten können, würden ohnehin nicht unter die Arbeits- und Ruhezeitbestimmungen des Arbeitsgesetzes fallen, weil sie als höhere leitende Angestellte gälten, und seien somit auch von der Arbeitszeiterfassung befreit. Dass das Arbeitsgesetz jetzt aber auch für Angestellte von Start-ups, die keine leitende, einflussreiche Funktion haben, ausser Kraft gesetzt werden soll, ist nach Überzeugung der Minderheit ein Totalangriff auf die Arbeitsschutzgesetzgebung. Für diejenigen Arbeitnehmenden, die keine Entscheidungskompetenzen haben, könnten Mitarbeiterbeteiligungen eine Abschwächung der Lohngarantien zur Folge haben.

Weiter sehe das Arbeitsgesetz nach grossen Belastungsspitzen für die Mitarbeitenden gerade deshalb eine zeitnahe Kompensation vor, weil nach den Erkenntnissen der Arbeitsmedizin der menschliche Körper auf regelmässige Ruhepausen angewiesen sei.

Vier Wochen Ferien Ende Jahr brächten diesbezüglich nicht viel. Schon das Obligationenrecht (OR)4 halte in Artikel 328 explizit fest, der Arbeitgeber habe auf die Gesundheit des Arbeitnehmers «gebührend Rücksicht zu nehmen» sowie die «zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer» notwendigen Massnahmen zu treffen. Diese Fürsorgepflicht des Arbeitgebers werde im Arbeitsgesetz ausdrücklich bekräftigt, würde jedoch durch den vorliegenden Entwurf ausser Kraft gesetzt.

Mehrere weitere Minderheiten verlangen im Nachgang zur Vernehmlassung Präzisierungen der neuen Bestimmung. Die Minderheit von Nationalrat Balthasar Glättli möchte den Text dahingehend ergänzen, dass die Ausnahme auf Betriebe beschränkt wird, die zwecks Entwicklung von Innovationen gegründet wurden (abgelehnt mit 18 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung). Die Minderheiten von Nationalrat Cédric Wermuth
möchten a) die Ausnahme nur für diejenigen Betriebe zulassen, die in den Bereichen Wissenschaft oder neue Technologien tätig sind (abgelehnt mit 13 zu 7 Stimmen bei 3 Enthaltungen); b) Branchen ausschliessen, die einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag unterstehen (abgelehnt mit 14 zu 9 Stimmen, 0 Enthaltungen); c) die Ausnahme nur für diejenigen Mitarbeitenden gewähren, die massgeblich am Unternehmen beteiligt sind, um zu verhindern, dass bereits Kleinstbeteiligungen zu einer Ausnahme berechtigen (abgelehnt mit 12 zu 11 Stimmen, 0 Enthaltungen).

Die Minderheit von Nationalrat Thomas Aeschi möchte zusätzlich eine anhand anderer Kriterien umschriebene Arbeitnehmergruppe vom Arbeitsgesetz ausnehmen (abgelehnt mit 12 zu 7 Stimmen bei 6 Enthaltungen): Ihr zufolge soll die Ausnahme für bestimmte Mitarbeitende von Dienstleistungsunternehmen in den ersten fünf Geschäftsjahren seit Unternehmensgründung möglich sein, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind: Die Arbeitnehmenden müssen eine Vorgesetztenfunktion innehaben oder Fachspezialistinnen und -spezialisten sein, sie müssen entweder ein Bruttojah4

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reseinkommen von 120 000 Franken erzielen oder über einen höheren Bildungsabschluss verfügen, bei ihrer Arbeit über eine grosse zeitliche und inhaltliche Autonomie verfügen und der Nichtanwendbarkeit des Gesetzes schriftlich zugestimmt haben.

Auf das Kriterium der Erfolgsbeteiligung am Unternehmen verzichtet diese Minderheit.

Die Minderheit von Nationalrat Olivier Feller schliesslich will darauf verzichten, die neu vom Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgenommene Arbeitnehmerkategorie in Bezug auf den Gesundheitsschutz dem Gesetz unterstellt zu belassen (abgelehnt mit 14 zu 11 Stimmen).

3

Vernehmlassung

Vom 17. November 2022 bis zum 3. März 2023 führte die WAK-N eine Vernehmlassung zu ihrem Vorentwurf durch, in deren Verlauf insgesamt 49 Stellungnahmen eingingen. Geantwortet haben sämtliche Kantone, die Stadt Lausanne, vier politische Parteien (Die Mitte, FDP.Die Liberalen, GLP und SPS) sowie 18 Organisationen, Verbände und weitere interessierte Kreise.5 Die Vorlage ist umstritten. Die Hälfte der Kantone, die teilnehmenden bürgerlichen Parteien (Die Mitte, FDP.Die Liberalen, GLP) und die Arbeitgeberorganisationen plädieren für noch mehr Flexibilität als im Vorentwurf vorgesehen, die andere Hälfte der Kantone, die SPS und die Arbeitnehmerorganisationen stehen der Vorlage ablehnend gegenüber.

Die Mehrheit der Kantone anerkennt, dass Start-ups gerade in bestimmten Branchen eine gewisse Flexibilität brauchen. Praktisch alle Kantone weisen indessen auf die Gefahr von Missbräuchen aufgrund unklarer Begriffe hin und unterbreiten teilweise auch Präzisierungsvorschläge, sei es in Bezug auf die Mitarbeiterbeteiligungen, sei es in Bezug auf den Kreis der betroffenen Unternehmen. Ausserdem weisen mehrere Kantone darauf hin, bei einer Nichtunterstellung unter das Arbeitsgesetz seien Betroffene möglicherweise während fünf Jahren einer nicht kontrollierbaren Dauerbelastung ausgesetzt, weshalb es griffige Präventions- und Begleitmassnahmen brauche.

Einige Kantone befürchten zudem Erschwernisse für die Vollzugsorgane.

Mehrere Befürworter sehen in der geplanten Flexibilisierung für Start-ups eine Notwendigkeit. Das heutige Arbeitsgesetz entspreche in vielen Punkten nicht mehr der Realität und werde den Bedürfnissen von Start-ups nur begrenzt gerecht. Mit der vorgeschlagenen Anpassung würden die Rahmenbedingungen für Start-ups verbessert, und es sei zentral, dass diese in ihrem Potenzial nicht gehemmt würden. Ausserdem würde das Gesetz durch die Änderung wieder besser mit der Realität in Einklang gebracht, zugleich würde die Rechtssicherheit gestärkt. Einige Vernehmlassungsteilnehmende möchten weiter gehen als von der Kommission vorgesehen, weil sie einerseits der Ansicht sind, fünf Jahre seien zu kurz, andererseits generell für eine Beschleunigung der Reformen des Arbeitsrechts eintreten.

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Ergebnisbericht und eingegangene Stellungnahmen unter folgendem Link: https://fedlex.data.admin.ch/eli/dl/proj/2022/74/cons_1.

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Der Baumeisterverband und GastroSuisse befürworten die Vorlage zwar grundsätzlich, plädieren jedoch dafür, dass nur Arbeitnehmende zum Zug kommen sollen, die keinem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt sind.

Die Gegner der Revision sehen in der Vorlage eine Schwächung des Arbeitnehmerschutzes. Gerade diejenigen, die grosse Verantwortung übernähmen, seien besonders zu schützen, wolle man nicht in Kauf nehmen, ihre Gesundheit zu gefährden. Eine ausreichende Erholungszeit sei entscheidend, und dass sie eingehalten werde, lasse sich nur durch die Arbeitszeiterfassung gewährleisten. Die Artikel 73a und 73b der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz würden bereits einen sinnvollen Kompromiss zwischen Arbeitnehmerschutz und Flexibilisierungsbedürfnissen der Arbeitgebenden darstellen. Es sei nicht angezeigt, noch weiter zu gehen, zumal die Schweiz schon heute eines der flexibelsten Arbeitsgesetze der Welt habe.

4

Grundzüge der Vorlage

Grundsätzlich ist das Arbeitsgesetz auf alle öffentlichen und privaten Betriebe anwendbar (Art. 1 Abs. 1 ArG). Die Arten von Betrieben, die von diesem Geltungsbereich ausgenommen sind, werden in Artikel 2 ArG genannt (Ausnahmen vom betrieblichen Anwendungsbereich), während Artikel 3 die Arbeitnehmenden auflistet, auf welche das Arbeitsgesetz keine Anwendung findet (Ausnahmen vom persönlichen Anwendungsbereich). Die vorliegende Revision sieht nun die Ausnahme einer weiteren Personengruppe vom persönlichen Geltungsbereich in Artikel 3 ArG vor. Ziel dieses Ausschlusses vom Arbeitsgesetz ist es, bestimmte Arbeitnehmende insbesondere von den Arbeits- und Ruhezeitbestimmungen auszunehmen, damit es mehr Flexibilität für den Einsatz dieser Arbeitskräfte gibt.

Der Begriff «Start-up», der im Text der parlamentarischen Initiative steht, ist kein juristisch präziser Begriff, d. h. es gibt dafür keine Legaldefinition6. Wenig hilfreich für das vorliegende Revisionsprojekt wäre eine Definition, bei welcher sich erst im Nachhinein (ex post) feststellen liesse, ob die entsprechenden Bedingungen erfüllt waren (wie beispielsweise bei sogenannten Gazellen ein durchschnittliches Wachstum der Mitarbeitendenzahlen oder des Umsatzes von mehr als 20 Prozent über drei Jahre).

Aus diesem Grund wurde der Begriff im vorliegenden Entwurf ersetzt durch die Umschreibung «Betriebe in den ersten fünf Jahren seit Firmengründung».

Als weitere Bedingung nennt die Initiative die Mitarbeiterbeteiligung mittels eines «Employee Stock Option Plan». Dieser Begriff wurde im Entwurf umschrieben mit dem Vorliegen eines Mitarbeiterbeteiligungsmodells, bei dem die betroffenen Arbeitnehmenden unmittelbar am Unternehmenserfolg beteiligt sind. Ziel ist es, Mitarbeitenden, die auch finanziell Mitbeteiligte sind, während der Startphase eines Unternehmens für die Organisation ihrer Arbeitszeiten die gleichen Freiheiten zu geben wie 6

«Rasch wachsende Jungunternehmen in der Schweiz», Bericht des Bundesrates vom 29. März 2017 in Erfüllung des Postulates 13.4237 Derder vom 12. Dezember 2013, S. 15: «Eine genaue Definition bzw. Abgrenzung ist notwendig, wenn eine gesetzliche Grundlage dies erfordert. Eine solche Definition ist jeweils in Funktion des gesetzlichen Zweckes vorzunehmen. Ohne dieses Erfordernis sieht der Bundesrat keinen Anlass für eine juristisch präzise Definition.»

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den Selbstständigerwerbenden und somit vergleichbare Situationen gleich zu behandeln.

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel

Art. 3

Ausnahmen vom persönlichen Geltungsbereich

Das Gesetz ist nicht anwendbar auf Arbeitnehmende von Betrieben in den ersten fünf Jahren seit Firmengründung, die aufgrund eines Mitarbeiterbeteiligungsmodells am Unternehmenserfolg beteiligt sind.

Damit eine solche Bestimmung vollzugstauglich und für die kantonalen Arbeitsinspektorate als Kontrollbehörden praktikabel ist, braucht es objektive Kriterien. Als massgeblicher Zeitpunkt für die Firmengründung gilt der Eintrag in das Handelsregister; die fünf Jahre laufen ab diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf dieser Frist fällt die Ausnahme vom Geltungsbereich automatisch dahin. Berücksichtigt werden nur echte Neugründungen. Eine Geschäftsaufgabe unmittelbar gefolgt von der Gründung eines identischen Betriebs zwecks Optimierung der Rahmenbedingungen würde nicht darunterfallen.

Unter die Ausnahme sollen weiter nur diejenigen Arbeitnehmenden von neu gegründeten Betrieben fallen, welche aufgrund eines Mitarbeiterbeteiligungsmodells am Unternehmenserfolg beteiligt sind. Dabei reicht es nicht, dass der Betrieb solche Modelle bloss vorsieht. Die betroffenen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen müssen solche Beteiligungsansprüche als Gegenleistung für die geleistete Arbeit auch tatsächlich erhalten haben, damit das Arbeitsgesetz auf sie keine Anwendung findet. Die Art der Mitarbeiterbeteiligung ist nicht eingeschränkt. Es gibt eine ganze Reihe von möglichen Modellvarianten solcher Beteiligungen von Mitarbeitenden am Unternehmenserfolg (Employee Stock Option Plans). Dabei handelt es sich entweder um echte Beteiligungsmodelle, bei denen die Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, Aktien oder Unternehmensbeteiligungen zu erwerben, oder um sogenannte unechte Beteiligungsmodelle, bei denen es beispielsweise um die Ausgabe von fiktiven Aktien geht, deren reale Auszahlung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt und bei denen es sich aus Sicht des Steuerrechts beispielsweise nur um Anwartschaften handelt. Die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen also im Besitz von solchen Wertpapieren sein.

Damit die Vollzugsbehörden rasch feststellen können, auf wen das Arbeitsgesetz Anwendung findet und auf wen nicht, ist vorgesehen, in Artikel 73 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz eine Bestimmung aufzunehmen, wonach von neu gegründeten Betrieben die Herausgabe von Namenslisten derjenigen Mitarbeitenden, die von Mitarbeiterbeteiligungsmodellen profitieren, verlangt werden kann.

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Art. 3a

Vorschriften über den Gesundheitsschutz

Es gibt verschiedene vom Anwendungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgenommene Betriebe und Arbeitnehmergruppen, auf welche die Vorschriften über den Gesundheitsschutz gemäss Artikel 6 (allgemeine Pflichten, inklusive Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz), Artikel 35 (Gesundheitsschutz bei Mutterschaft, inklusive Mutterschutzverordnung) und Artikel 36a (andere Gruppen von Arbeitnehmern) dennoch anwendbar sind. Genau wie die Arbeitnehmenden mit einer höheren leitenden Tätigkeit sollen auch die von der vorliegenden Änderung von Artikel 3 betroffenen Arbeitnehmenden weiterhin von diesem allgemeinen Gesundheitsschutz profitieren.

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Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf den Bund.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Der Vollzug des Arbeitsgesetzes obliegt den Kantonen (Art. 41 ArG). Die Umsetzung der neuen Bestimmung erfolgt im Rahmen des ordentlichen Vollzugs, es sind keine Subventionen und kein zusätzliches Personal vorgesehen.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Mit der vorliegenden Revision sollen neu gegründete Betriebe während fünf Jahren mehr Flexibilität für den Einsatz ihrer Mitarbeitenden erhalten. Damit möchte man sogenannten Start-ups bessere Startbedingungen verschaffen. Dies könnte zwar zu einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber bestehenden Betrieben in der gleichen Branche führen, da Start-ups in der Regel auch noch tiefere Löhne bezahlen. Allerdings ist klar, dass aufgrund der Anforderung einer Mitarbeiterbeteiligung längst nicht alle neu gegründeten Betriebe betroffen sind. Die zeitliche Beschränkung dieser Sonderbehandlung auf fünf Jahre erfordert von den Unternehmen zudem eine vorausschauende Planung, damit die darauffolgende (vollständige) Unterstellung unter das Arbeitsgesetz nicht zu einem unüberwindbaren Hindernis wird und womöglich sogar den weiteren Geschäftsverlauf infrage stellt.

2019 wurden in der Schweiz 42 606 Betriebe neu gegründet (BFS-Medienmitteilung vom 14.03.2022 zur Statistik der Unternehmensdemographie UDEMO7). Allerdings beschäftigten 83 Prozent der neu gegründeten Unternehmen nur eine Person. Dabei 7

Unternehmensdemografie 2013­2019, Bundesamt für Statistik: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Kataloge und Datenbanken > Medienmitteilungen.

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handelt es sich aus Sicht des Arbeitsgesetzes vermutlich oft um höhere leitende Angestellte, die aufgrund des grossen Handlungsspielraums gemäss Artikel 3 Buchstabe d ArG heute schon vom Anwendungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgeschlossen sind. Lediglich 1,7 Prozent der Unternehmen beschäftigten im ersten Jahr fünf Beschäftigte. Zum Anteil derjenigen neu gegründeten Unternehmen, welche in den ersten fünf Jahren auch Mitarbeiterbeteiligungen abgeben, gibt es keine offiziellen Zahlen. Ausgehend von den am ehesten betroffenen Wirtschaftskategorien, den Unternehmen mit mehr als einem Angestellten und der Schätzung, dass rund ein Fünftel dieser Unternehmen Mitarbeiterbeteiligungen abgeben, könnten zwischen 1 und 3 Prozent der Neugründungen betroffen sein.

6.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Es sind keine Auswirkungen auf die Gesellschaft zu erwarten.

6.5

Auswirkungen auf die Umwelt

Es sind keine Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten.

6.6

Andere Auswirkungen

Keine.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Der Entwurf stützt sich auf Artikel 110 der Bundesverfassung vom 18. April 19998 der dem Bund die Kompetenz gibt, Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erlassen.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Der Entwurf widerspricht keinen von der Schweiz eingegangenen internationalen Verpflichtungen. Die von der Schweiz ratifizierten ILO-Übereinkommen sind durch diese Revision nicht infrage gestellt.

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SR 101

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7.3

Erlassform

Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Arbeitsgesetzes müssen auf Gesetzesstufe festgelegt werden, wie dies vorliegend auch vorgesehen ist.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Revision sieht keine zusätzlichen Bundesausgaben vor.

7.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Die Revision sieht keine neuen Bundeskompetenzen vor.

7.6

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Die Revision sieht keine zusätzlichen Bundesausgaben vor.

7.7

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Es findet keine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen statt.

7.8

Datenschutz

Gemäss Artikel 46 ArG sind die Arbeitgeber verpflichtet, den Vollzugs- und Aufsichtsorganen die Verzeichnisse oder andere Unterlagen, aus denen die für den Vollzug dieses Gesetzes erforderlichen Angaben ersichtlich sind, zur Verfügung zu halten.

Personen, die mit Aufgaben nach diesem Gesetz betraut sind, unterstehen einer strikten Schweigepflicht gemäss Artikel 44 ArG.

Gestützt auf die neue Bestimmung sollten die kantonalen Behörden deshalb befugt werden, von neu gegründeten Betrieben die Herausgabe von Namenslisten derjenigen Mitarbeitenden zu verlangen, welche von Mitarbeiterbeteiligungsmodellen profitieren. Das erfordert eine entsprechende Anpassung von Artikel 73 (Verzeichnisse und andere Unterlagen) der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz.

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