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Nachkontrolle zur Inspektion «Spezialitätenliste der OKP: Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten» Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 14. November 2023

2023-3610

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Das Wichtigste in Kürze Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) befasste sich von 2019 bis 2023 mit der Praxis des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) in Bezug auf die Aufnahme von Medikamenten in die Spezialitätenliste (SL) der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) und auf die periodische Überprüfung der in der SL aufgeführten Medikamente. Sie prüfte, inwieweit der Bundesrat und die Bundesverwaltung die Empfehlungen und Postulate aus ihrem Inspektionsbericht von 2014 («Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste», Bericht vom 25. März 2014) umgesetzt haben. Ausserdem befasste sie sich im Rahmen dieser Nachkontrolle mit den aktuellen und künftigen Herausforderungen im Bereich der Aufnahme und der Überprüfung von Medikamenten.

Auf der Grundlage der erhobenen Informationen stellt die Kommission erfreut fest, dass der Bundesrat, das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) und das BAG dem Themenbereich der Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in den vergangenen Jahren grosse Aufmerksamkeit geschenkt haben. Sie kommt zum Schluss, dass die Massnahmen, die der Bundesrat seit 2014 ergriffen hat, es ermöglicht haben, die Verfahren in diesem Bereich auf verschiedenen Ebenen zu verbessern und mehrere ihrer Empfehlungen von 2014 umzusetzen.

Allgemein hat die GPK-S keine grundsätzlichen Mängel bei der Führung der Aufnahme- und Überprüfungsprozesse durch den Bundesrat, das EDI und das BAG erkannt. Gemäss ihrer Einschätzung erfüllt das Handeln der Bundesbehörden das Kriterium der Zweckmässigkeit und es gibt auch keine Hinweise darauf, dass das Kriterium der Rechtsmässigkeit nicht erfüllt wäre. Sie ist allerdings der Auffassung, dass die Wirksamkeit der Verfahren angesichts der aktuellen Herausforderungen im Arzneimittelbereich (Anstieg der Kosten zulasten der OKP, neue kostspielige Therapien und Versorgungssicherheit) zwingend verbessert werden muss.

Ausgehend von ihren Untersuchungen hat die GPK-S beschlossen, dem Bundesrat zehn neue Empfehlungen zu unterbreiten und zwei Postulate einzureichen, die auf eine wirksamere Umsetzung der rechtlichen Vorgaben im Arzneimittelbereich abzielen.

Prüfung der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW-Kriterien) klären Die Kommission ist der Ansicht, dass die Bewertung nach den WZW-Kriterien, die das
BAG bei der Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten vorzunehmen hat, verbessert werden muss. Sie hält fest, dass die Blockaden im aktuellen System quasi systematisch auf die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie über die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Medikamente zurückzuführen ist. Sie erachtet es zwar als angemessen, dass das BAG bei seiner Prüfung über einen gewissen Ermessensspielraum verfügt, ersucht den Bundesrat aber dennoch, verschiedene Massnahmen zu prüfen, mit denen die Wirtschaftlichkeitsbewertung durch das Bundesamt geklärt und optimiert werden kann. Im Weiteren erwartet die Kommission, dass das BAG die öffentliche Information über die geltenden Regeln für die Bewertung der Medikamente nach den WZW-Kriterien weiter verbessert und die Referenzdokumente aktualisiert. Ferner erachtet sie es als wichtig, 2 / 92

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dass das Bundesamt ein Nutzenbewertungmodell für die nicht-onkologischen Medikamente prioritär finalisiert.

Die Bilanz der GPK-S hinsichtlich der Health Technology Assessments (HTA), die das BAG in den vergangenen Jahren im Arzneimittelbereich durchgeführt hat, fällt durchwachsen aus. Die Kommission begrüsst die Bemühungen des Bundesamtes zur Weiterentwicklung der HTA, hält aber fest, dass deren konkrete Auswirkungen begrenzt sind. In ihren Augen muss die Wirksamkeit der HTA noch erhöht werden. Zudem ist sie der Auffassung, dass der Bundesrat die Schaffung einer unabhängigen HTA-Agentur prüfen sollte, weshalb sie ein entsprechendes Postulat verabschiedet hat.

Verfahren für die Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten optimieren Die Kommission begrüsst die Massnahmen, die der Bundesrat in den vergangenen Jahren ergriffen hat, um die Wirksamkeit dieser Verfahren zu erhöhen. Sie ist allerdings der Ansicht, dass sie weiter optimiert werden können und hat verschiedene Empfehlungen in diesem Sinne formuliert. Insbesondere erwartet sie vom Bundesrat, dass er auf eine Verkürzung der Dauer für die Bearbeitung der Aufnahmegesuche hinwirkt, das periodische Überprüfungsverfahren weiter optimiert und die Transparenz der Verfahren erhöht. Sie ersucht ihn ausserdem, dafür zu sorgen, dass das BAG einen regelmässigen und strukturierten Austausch mit der Pharmaindustrie pflegt, hält aber fest, dass die Unabhängigkeit des Bundesamtes bei der Ausübung seines gesetzlichen Auftrags gewahrt bleiben muss. Die Kommission hat ferner verschiedene weitere Empfehlungen zu den befristeten Aufnahmen von Medikamenten in die SL, zu den Ressourcen des BAG und der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) sowie zum 2023 eingeführten Early-Access-Verfahren für innovative Medikamente formuliert.

Ethische Fragen im Zusammenhang mit der Aufnahme sehr kostspieliger Medikamente thematisieren Die GPK-S hält fest, dass die Abrechnung neuer, sehr kostspieliger Therapien zulasten der OKP ethische Grundsatzfragen aufwirft. Da diese Fragen sehr heikel sind, kann ihre Beantwortung nicht allein dem BAG überlassen werden. Die Kommission erachtet es als äussert wichtig, dass der Bundesrat diese prioritär behandelt. Sie ersucht ihn, die Lancierung einer nationalen Debatte über dieses Thema zu prüfen und anschliessend in den einschlägigen
Gesetzen, Verordnungen und Weisungen entsprechende Leitlinien zu verankern. Sie hat ein entsprechendes Postulat verabschiedet.

Die GPK-S bittet den Bundesrat, ihren Feststellungen und neuen Empfehlungen bei seinen künftigen Arbeiten Rechnung zu tragen. Insgesamt ist sie der Auffassung, dass das Aufnahme- und Überprüfungsverfahren nur durch eine gemeinsame Anstrengung aller beteiligten Akteure verbessert werden kann. Sie ruft diese Akteure auf, konstruktiv zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu finden, die von allen Beteiligten mitgetragen werden können.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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Einleitung 1.1 Bisherige Arbeiten der GPK-S 1.2 Arbeiten der GPK-S im Rahmen der Nachkontrolle und Gegenstand der Prüfung Verfahren für die Aufnahme von Medikamenten in die SL und für deren Überprüfung 2.1 Verfahren zur Zulassung und Aufnahme für Medikamente 2.2 Überprüfung der Medikamente 2.3 Unterschiedliche Interessen 2.4 Aktuelle Herausforderungen

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Präsentation des Sachverhalts 3.1 Ablauf des Aufnahmeverfahrens 3.1.1 Aufgabenverteilung im Aufnahmeverfahren 3.1.2 Ressourcen und Fachkompetenz des BAG und der EAK 3.1.3 Dauer des Aufnahmeverfahrens 3.1.4 Transparenz des Aufnahmeverfahrens 3.1.5 Zusammenarbeit des BAG mit Swissmedic 3.1.6 Zusammenarbeit des BAG mit der Pharmaindustrie und den Krankenversicherern 3.2 Beurteilung der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittel 3.2.1 Rechtsgrundlagen und sonstigen Vorgaben 3.2.2 Kriterium der Wirtschaftlichkeit 3.2.3 Health Technology Assessments 3.2.4 Differenzierte Prüfung der WZW-Kriterien 3.3 Dreijährliche Überprüfung der Medikamente 3.4 Sonderfälle bei der Aufnahme und der Überprüfung 3.4.1 Befristete Aufnahmen 3.4.2 Streichung von Medikamenten aus der SL 3.4.3 Festlegung von Rabatten in der Limitation und Preismodelle 3.4.4 Einzelfallvergütung 3.4.5 Aufnahme und Überprüfung von Generika 3.5 Ethische Fragen im Zusammenhang mit den Medikamentenpreisen

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Beurteilung der GPK-S 4.1 Allgemeine Bemerkungen 4.2 Wichtigste aktuelle Herausforderungen aus Sicht der Oberaufsicht und neue Empfehlungen

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Bewertung der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit klären 4.2.2 Verfahren für die Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten optimieren 4.2.3 Die ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Aufnahme sehr kostspieliger Medikamente in Angriff nehmen Weitere Aspekte

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Schlussfolgerungen

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Abkürzungsverzeichnis

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Anhänge: 1 Liste der angehörten Personen 2 Definition der WZW-Kriterien 3 Abbildungen 4 Empfehlungen und Postulate aus dem Jahr 2014 5 Neue Empfehlungen und Postulate der GPK-S

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Bericht 1

Einleitung

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) führte von 2019 bis 2023 eine Nachkontrolle zu ihrer Inspektion von 2014 über die Aufnahme von Medikamenten in die Spezialitätenliste (SL) der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) sowie über die Überprüfung der in der SL aufgeführten Medikamente durch.1 Sie prüfte, inwieweit ihre damaligen Empfehlungen und Postulate vom Bundesrat, vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) und vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) umgesetzt wurden.

Die GPK-S erkannte bei ihren Arbeiten mehrere über den Rahmen der GPKEmpfehlungen von 2014 hinausgehende Herausforderungen, welche die Bundesbehörden aktuell und künftig im Zusammenhang mit der Aufnahme und Überprüfung der Medikamente zu bewältigen haben. Dabei geht es insbesondere um die Aufnahme sehr kostspieliger neuer Behandlungsmethoden, die ethische Fragen aufwerfen, um die zunehmende Bedeutung der Preismodelle für die Rückerstattung von Medikamentenkosten und um die Prozesse des BAG für die Preisfestlegung. Die Kommission beschloss, diese Aspekte zu vertiefen und im vorliegenden Bericht eine Reihe neuer Empfehlungen zu formulieren.

1.1

Bisherige Arbeiten der GPK-S

Ausgangspunkt der vorliegenden Nachkontrolle sind die acht Empfehlungen und drei Postulate aus dem Inspektionsbericht der GPK-S von 20142, welcher sich auf eine Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) von 20133 stützte.

Die GPK-S hatte ihre damalige Untersuchung im Februar 2015 nach der Kenntnisnahme von der Stellungnahme des Bundesrates4 abgeschlossen. In der Folge beschäftigte sich die Kommission immer wieder mit diesem Thema5, insbesondere nach der Veröffentlichung eines Entscheids des Bundesgerichts (BGer) im Dezember 2015, der den Bundesrat zwang, das System zur periodischen Überprüfung der Medikamente in 1 2

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5

Zur Rolle der SL und zum Ablauf des Aufnahme- und Überprüfungsverfahrens siehe Kap. 2.

Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste, Bericht der GPK-S vom 25.3.2014 (BBl 2014 7775; im Folgenden: Bericht der GPK-S vom 25.3.2014). Der Wortlaut der Empfehlungen und Postulate findet sich in Anhang 4.

Evaluation der Zulassung und Überprüfung kassenpflichtiger Medikamente, Bericht der PVK vom 13.6.2013 (BBl 2014 7795; im Folgenden: Evaluation der PVK vom 13.6.2013).

Namentlich: Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (SL), Stellungnahme des Bundesrates vom 27.8.2014 zum Bericht der GPK-S (BBl 2014 7839; im Folgenden: Stellungnahme des Bundesrates vom 27.8.2014).

Für weitere Informationen hierzu siehe die Jahresberichte 2017 und 2018 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation vom 30.1.2018 (BBl 2018 1987, 2012) und vom 28.1.2019 (BBl 2019 2729, 2762).

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der SL umfassend zu revidieren und dabei einen systematischen Vergleich mit ähnlichen Arzneimitteln vorzusehen.6 Nach einer Revision der entsprechenden Rechtsgrundlagen konnte die dreijährliche Überprüfung der Medikamente in der SL im März 2017 schliesslich wieder aufgenommen werden.

Im März 2017 teilte die GPK-S dem Bundesrat mit, in ein bis zwei Jahren eine Nachkontrolle durchzuführen, um den Stand der Umsetzung ihrer Empfehlungen zu überprüfen. Sie kündigte zudem an, sich im Rahmen der Nachkontrolle mit verschiedenen offenen Fragen namentlich in Bezug auf die Dauer der Aufnahmeverfahren sowie die Berücksichtigung der Kriterien der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit bei der Aufnahme und Überprüfung der Medikamente zu befassen. Verschiedene neue Entwicklungen zwischen 2017 und 2018 veranlassten die Kommission zu zusätzlichen Abklärungen, namentlich zu den Herausforderungen bei der Überprüfung der Medikamentenpreise und zu den Ressourcen des BAG in diesem Bereich.

1.2

Arbeiten der GPK-S im Rahmen der Nachkontrolle und Gegenstand der Prüfung

Die GPK-S begann im Februar 2019 mit der Nachkontrolle zu ihrer Inspektion und beauftragte ihre Subkommission EDI/UVEK7 mit detaillierten Abklärungen. Diese führte zwischen 2019 und Juni 20238 mehrere Anhörungen mit den involvierten Akteuren9 durch, namentlich dem EDI und dem BAG10, dem schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic11, der Pharmaindustrie12, den Krankenversicherern13, der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK)14 und der Nationalen Ethikkommission im Bereich 6

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Bundesgerichtsentscheid (BGE) 9C_417/2015 vom 14.12.2015. Das Gericht kam insbesondere zum Schluss, dass sich das BAG bei der periodischen Überprüfung der Arzneimittel nicht einzig auf einen Auslandspreisvergleich (APV) beschränken kann, sondern zudem systematisch einen therapeutischen Quervergleich (TQV) vornehmen muss mit den Produkten, die einen vergleichbaren therapeutischen Nutzen aufweisen (siehe auch Kap. 2 und 3.3).

Der Subkommission EDI/UVEK der GPK-S gehörten bis Dezember 2019 die Ständeräte Claude Hêche (Präsident), Joachim Eder, Peter Föhn und Werner Luginbühl sowie Ständerätin Géraldine Savary an. Ab Dezember 2019 setzte sie sich zusammen aus den Ständeräten Marco Chiesa (Präsident), Matthias Michel und Othmar Reichmuth (im August 2023 ersetzt durch Ständerätin Marianne Maret) sowie den Ständerätinnen Elisabeth Baume-Schneider (im Dezember 2022 ersetzt durch Mathilde Crevoisier Crelier) und Heidi Z'graggen.

Die lange Dauer der Nachkontrolle ist zum einen darauf zurückzuführen, dass aufgrund der Komplexität des Dossiers umfangreiche Informationen beschafft und diverse Anhörungen durchgeführt werden mussten, zum anderen darauf, dass im betreffenden Zeitraum ein Grossteil der Ressourcen der Kommission durch die Untersuchungen zur Covid-19-Pandemie gebunden waren.

Eine detaillierte Liste der angehörten Personen findet sich in Anhang 1.

Anhörung des EDI und des BAG vom 12.9.2019, Anhörung des BAG vom 12.10.2020, Anhörung des BAG vom 23.8.2021, Anhörung des BAG vom 4.7.2022.

Anhörung des EDI, des BAG und von Swissmedic vom 12.10.2020.

Anhörung einer Vertretung der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) vom 24.2.2022.

Anhörung einer Vertretung der Krankenversicherer (Santésuisse und Curafutura) vom 15.2.2023.

Anhörung der EFK vom 15.5.2023.

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der Humanmedizin (NEK)15. Zudem richtete sie per Schreiben Fragen an den Bundesrat, das EDI sowie das BAG und analysierte zahlreiche Unterlagen. Sie hat bei ihrer Analyse zudem die Ergebnisse eines Audits der EFK über den Zulassungs- und Vergütungsprozess bei Arzneimitteln berücksichtigt.16 Die Subkommission wurde bei ihren Arbeiten von der PVK unterstützt.

Die vorliegende Nachkontrolle betrifft das Verfahren des BAG zur Aufnahme von Medikamenten in die SL und zu deren Überprüfung. Eine allgemeine Präsentation dieses Verfahrens findet sich in Kapitel 2. Die GPK-S prüfte im Rahmen ihres Oberaufsichtsauftrags vorwiegend, inwieweit die Praxis des BAG in diesem Bereich den Kriterien der Angemessenheit (angemessene Nutzung des Handlungsspielraums zur Erreichung der angestrebten Ziele) und der Wirksamkeit (Vergleich der tatsächlichen Auswirkungen mit den angestrebten Zielen) entsprach. Punktuell befasste sie sich auch mit der Einhaltung des Legalitätskriteriums (Einhaltung des rechtlichen Rahmens). Sie legte ein besonderes Augenmerk auf die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt und den anderen Akteuren (namentlich Swissmedic, Krankenversicherer, Pharmaindustrie). Sie befasste sich zudem mit den aktuellen und künftigen Herausforderungen in Sachen Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten.

Im Weiteren informierte sich die GPK-S regelmässig über die Entwicklung des rechtlichen Rahmens für die Aufnahme und Überprüfung der Medikamente, namentlich über die Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG)17 zur Kostendämpfung (erstes und zweites Paket)18 sowie die verschiedenen Änderungen der einschlägigen Verordnungen.

Die Kommission evaluierte nicht die Zweckmässigkeit des gesamten Verfahrens zum Inverkehrbringen von Medikamenten in der Schweiz inklusive Zulassung durch Swissmedic (siehe Kap. 2). In diesem Zusammenhang verweist sie auf die jüngsten Arbeiten der EFK.19 Sie behandelte allerdings punktuell die Frage der Schnittstellen zwischen dem BAG und Swissmedic sowie das Zusammenspiel der jeweiligen Prozesse (siehe Kap. 3.1.5).

Der vorliegende Bericht fasst die von der GPK-S gesammelten Informationen zusammen und enthält die Schlussfolgerungen der Kommission aus Sicht der Oberauf-

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19

Anhörung der NEK vom 24.2.2022.

EFK: Prüfung des Zulassungs- und Vergütungsprozesses von Arzneimitteln, Audit Nr. 22608 vom 2.10.2023 (Veröffentlichung des Berichts ist für Anfang 2024 geplant).

Bundesgesetz vom 18.3.1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10).

Der von den eidgenössischen Räten 2021 und 2022 behandelte erste Teil der Revision beinhaltete unter anderem den Vorschlag, einen Referenzpreis für Generika einzuführen (siehe Kap. 3.4.5). Der zweite Teil der Revision, dessen Behandlung zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieses Berichts hängig ist, umfasst unter anderem die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Preismodelle von sehr kostspieligen Arzneimitteln (siehe Kap. 3.4.3) und die Einführung einer differenzierten Prüfung der Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Medikamente (siehe Kap. 3.2.4).

Für weitere Informationen zu diesem Thema siehe BAG: KVG-Änderung: Massnahmen zur Kostendämpfung: Paket 1 und 2, www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Laufende Revisionsprojekte (aufgerufen am 14.7.2023).

EFK: Prüfung des Zulassungs- und Vergütungsprozesses von Arzneimitteln, Audit Nr. 22608 vom 2.10.2023 (Veröffentlichung des Berichts ist für Anfang 2024 geplant).

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sicht.20 Nach Konsultation der betroffenen Stellen21 beriet und genehmigte die GPK-S die Endfassung des Berichts an ihrer Sitzung vom 14. November 2023 und liess diesen dem Bundesrat zukommen. Zudem beschloss sie, den Bericht zu veröffentlichen.

2

Verfahren für die Aufnahme von Medikamenten in die SL und für deren Überprüfung22

2.1

Verfahren zur Zulassung und Aufnahme für Medikamente

Wenn in der Schweiz ein neues Medikament auf den Markt kommt, wird dieses zunächst von Swissmedic im Rahmen des Zulassungsverfahrens geprüft. Die Prüfung von Swissmedic richtet sich nach dem Heilmittelgesetz (HMG)23 und verschiedenen Verordnungen24. Im Zentrum stehen dabei die Qualität und die Sicherheit des Medikaments sowie seine Wirksamkeit im Vergleich zu einem Placebo. Wurde die Zulassung für das Inverkehrbringen erteilt oder steht die Zulassung kurz bevor, kann der Hersteller beim BAG ein Gesuch auf Aufnahme in die SL stellen. Diese Aufnahme stellt die Voraussetzung für eine Rückvergütung durch die OKP (Grundversicherung) dar. Die SL umfasst derzeit rund 3000 Medikamente.25 Für jedes Produkt ist aufgeführt, welcher Maximalpreis zulasten der OKP abgerechnet werden darf. Das Verfahren zur Aufnahme in die SL richtet sich nach dem KVG, der KVV und der KLV26.

Zuständig dafür ist das BAG.

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25 26

Der Bericht berücksichtigt die Entwicklungen in diesem Dossier bis September 2023.

Im Rahmen der Konsultation zum Berichtsentwurf brachten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) eine Reihe zusätzlicher Anmerkungen zu den Prozessen für die Zulassung und Überprüfung von Arzneimitteln vor. Angesichts des engen Zeitplans für die Fertigstellung des Berichts war es der GPK-S nicht möglich, diese Anmerkungen inhaltlich zu überprüfen oder sie dem BAG zur Stellungnahme vorzulegen. Sie beschloss daher, diese an den entsprechenden Stellen als Fussnote anzubringen. Sie geht davon aus, dass der Bundesrat diese Aspekte prüfen und im Rahmen seiner Stellungnahme zum Bericht dazu Stellung nehmen wird, soweit er dies für notwendig und angemessen hält. Die GPK-S verzichtete im Weiteren darauf, Kommentare zu Aspekten, die über den Gegenstand der Nachkontrolle hinausgehen (z. B. über die Vergütung in Einzelfällen), in ihren Bericht aufzunehmen.

Für eine detaillierte Präsentation des Verfahrens und seiner Modalitäten siehe Bericht der PVK vom 13.6.2013 (BBl 2014 7795), Kap. 2.

Bundesgesetz vom 15.12.2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21); siehe insbesondere Artikel 8 bis 17.

Namentlich Verordnung vom 21.9.2018 über die Arzneimittel (VAM; SR 812.212.21) und Verordnung vom 14.11.2018 über die Bewilligungen im Arzneimittelbereich (Arzneimittel-Bewilligungsverordnung, AMBV; SR 812.212.1).

Insgesamt verfügen rund 7500 Arzneimittel über eine Bewilligung von Swissmedic.

Verordnung vom 27.6.1995 über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102) und Verordnung des EDI vom 29.9.1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31).

Siehe insbesondere Art. 52 KVG in Verbindung mit Art. 24­34 KVG, Art. 64­71 KVV und Art. 30­38 KLV.

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Um in die SL aufgenommen zu werden und dementsprechend über die OKP abrechenbar zu sein, muss ein Medikament die Kriterien der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit (WZW-Kriterien)27 erfüllen. Diese Kriterien und die Modalitäten für die Prüfung der Medikamente nach diesen Kriterien sind in den Verordnungen, dem Handbuch des BAG zur SL28 und im BAG-Grundlagendokument «Operationalisierung der WZW-Kriterien» von 202229 präzisiert. Ihre Definition findet sich in Anhang 2. Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit stellt zumeist den umstrittensten Punkt des Aufnahme- und Überprüfungsverfahrens dar. Die Wirtschaftlichkeit wird anhand eines Auslandpreisvergleichs (APV)30 und eines Vergleichs mit ähnlichen in der Schweiz zugelassenen Medikamenten (therapeutischer Quervergleich, TQV)31 evaluiert.

Ein Gesuch um Aufnahme in die SL kann dem BAG unterbreitet werden, sobald Swissmedic dem Hersteller einen Vorbescheid über die Marktzulassung zugestellt hat (siehe Abbildung 1).32 Das Prüfverfahren des BAG umfasst drei Schritte. Zunächst nimmt das Bundesamt ein «Assessment» (Evaluation) des Gesuchs im Hinblick auf die WZW-Kriterien vor. Darauf aufbauend erstellt es einen Assessment-Bericht, das sogenannte Faktenblatt, zuhanden der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK)33. In einem zweiten Schritt nimmt die EAK ein «Appraisal» (Beurteilung) des Gesuchs vor: Sie beurteilt die Erfüllung der WZW-Kriterien und spricht zuhanden des BAG eine Empfehlung betreffend die Aufnahme in die SL aus. Auf der Grundlage der gesammelten Informationen, der EAK-Empfehlung und der Verhandlungen mit dem Hersteller erlässt das BAG anschliessend einen Entscheid. Das Bundesamt kann die SL-Aufnahme mit Einschränkungen versehen (z. B. befristete Aufnahme oder Aufnahme nur für bestimmte Indikationen).

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33

Art. 32 KVG, Art. 65 Abs. 3 KVV BAG: Handbuch zur Spezialitätenliste (SL), gültig ab 1.5.2017. Dieses Handbuch «ist eine Verwaltungsverordnung, welche der Gewährleistung einer einheitlichen, verhältnismässigen Verwaltungspraxis und der Sicherstellung der willkürfreien und rechtsgleichen Behandlung dient.» (BAG: Antragsprozesse Arzneimittel, www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Bezeichnung der Leistungen > Antragsprozesse [aufgerufen am 9.8.2023]) [im Folgenden: Handbuch des BAG zur SL von 2017].

Operationalisierung der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit nach Artikel 32 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG), Grundlagendokument des BAG vom 31.3.2022, gültig ab 1.9.2022 (im Folgenden: Operationalisierung der WZW-Kriterien, Grundlagendokument des BAG vom 31.3.2022).

Art. 65b KVV, Art. 34abis, 34b und 34c KLV. Der APV umfasst eine Auswahl von 9 Ländern.

Art. 65b KVV Sobald Swissmedic intern im Rahmen der Begutachtung eine Gutheissung des Gesuches beabsichtigt, wird dem betreffenden Unternehmen ein Vorbescheid zugestellt. Anschliessend dauert es bis zu 150 Tage bis zur formellen Zulassung. Dieser Prozess sieht 60 Tage Antwortfrist für die Firma auf dem Vorbescheid und 90 Tage für die Begutachtung der Antworten durch Swissmedic vor.

Die EAK berät das BAG gemäss Art. 37e KVV im Arzneimittelbereich. Diese ausserparlamentarische Kommission setzt sich aus 16 Mitgliedern zusammen, darunter drei Ärztinnen oder Ärzte, drei Apothekerinnen oder Apotheker sowie Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der Spitäler, der Krankenversicherer, der Versicherten, der Pharmaindustrie, der Kantone und von Swissmedic.

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2020 hat das BAG 116 Anpassungen in der SL nach Gesuchen der Pharmaunternehmen (neue Arzneimittel, neue Indikationen), die der EAK vorgelegt wurden, umgesetzt. Im Jahr 2021 waren es 127 und im Jahr 2022 151 Anpassungen.34 Abbildung 1 Verfahren zur Zulassung und Aufnahme für Medikamente

Quelle: BAG

Das BAG sieht für das ordentlichen Prüfverfahren eine Dauer von 18 Wochen vor. In der KLV heisst es, dass «das BAG in der Regel innert 60 Tagen ab der definitiven Zulassung» durch Swissmedic entscheidet, sofern das Gesuch vor der Zulassung durch Swissmedic eingereicht wurde und die Voraussetzungen bezüglich der vorzulegenden Dokumentation erfüllt sind.35 Für gewisse Medikamente kommt ein beschleunigtes Verfahren mit einer verkürzten Behandlungsfrist für die EAK zur Anwendung.36 In bestimmten Fällen ist ferner ein Verfahren ohne Konsultation der EAK vorgesehen.37 Im Weiteren kann die OKP gemäss den Artikeln 71a bis 71d KVV in besonderen Fällen ­ namentlich bei lebensnotwendigen Medikamenten mit erwartet 34 35

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37

Generika, Biosimilars oder neue Packungen und Dosisstärken sind in diesen Zahlen nicht berücksichtigt.

Art. 31b KLV in Verbindung mit Art. 69 Abs. 4 KVV. Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht betonte das EDI gegenüber der GPK-S, dass die 60 Tage nur für die vom BAG für das Gesuch verwendete Zeit und nicht für die Zeit der Pharmaunternehmen gelten. Mit anderen Worten beginnt der Fristenlauf von 60 Kalendertagen ab Eingang der definitiven Zulassungsunterlagen der Swissmedic beim BAG und endet mit dem Ausgangsdatum der Verfügung (vgl. dazu auch Kap. 3.1.3).

Art. 31a KLV. Dieses Verfahren kommt bei Medikamenten zur Anwendung, für die Swissmedic vorgängig ein beschleunigtes Zulassungsverfahren akzeptiert hat (siehe hierzu Kap. 3.1.5).

Art. 31 Abs. 2 KLV

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hohem Nutzen ­ die Kosten für Medikamente übernehmen, die (noch) über keine Zulassung von Swissmedic verfügen oder (noch) nicht in die SL aufgenommen sind.38 In diesen Fällen obliegt es dem Krankenversicherer, den Rückerstattungsbetrag festzulegen.39

2.2

Überprüfung der Medikamente

Das BAG hat sämtliche Arzneimittel, die in der SL aufgeführt sind, alle drei Jahre daraufhin zu überprüfen, ob sie die Aufnahmebedingungen noch erfüllen (dreijährliche Überprüfung).40 Zu diesem Zweck werden die Arzneimittel in drei Einheiten aufgeteilt, von denen jedes Jahr im Wechsel eine überprüft wird. Das BAG hat im Rahmen seiner Überprüfung für jedes Medikament einen APV und einen TQV durchzuführen.41 Geht aus der Überprüfung hervor, dass der geltende Höchstpreis zu hoch ist, kann das BAG den in der SL festgelegten Preis senken. In bestimmten Fällen, namentlich zur Gewährleistung der Landesversorgung, kann auf eine Preissenkung verzichtet werden. Es ist auch eine Preiserhöhung möglich, wenn eine Zulassungsinhaberin ein Gesuch stellt, das in einem von der dreijährlichen Überprüfung unabhängigen Verfahren geprüft wird. Eine Überprüfung ist auch vorgesehen, wenn der Patentschutz eines Medikaments ausläuft. Seit 2012 haben die Überprüfungen der Medikamentenpreise zu Preissenkungen in der Höhe von fast 1,5 Milliarden Franken pro Jahr geführt (siehe Kap. 3.3).

2.3

Unterschiedliche Interessen

Der GPK-S ist wichtig, zu betonen, dass das BAG bei der Festlegung und Überprüfung der Preise der SL-Medikamente zahlreiche unterschiedliche, ja sogar widersprüchliche Interessen zu vereinen hat. Während die Patientinnen und Patienten ein Interesse an einem raschen Zugang zu wirksamen Medikamenten haben, geht es den Pharmaunternehmen um eine rasche Vergütung zu maximal gewinnbringenden Preisen und um Unterstützung für ihre Innovationsbestrebungen. Die Krankenversicherer wiederum ­ und über sie die Versichertengemeinschaften ­ streben eine tragbare und kostengünstige Finanzierung des Gesundheitssystems an. Die Dämpfung der OKPKosten42, die Sicherung der Qualität der Pflegeleistungen, die Versorgungssicherheit 38 39

40 41 42

Diese Variante ist auch für SL-Medikamente vorgesehen, die für eine andere als die von Swissmedic zugelassene oder in der SL verankerte Indikation verwendet werden.

Gemäss den Informationen des BAG betrifft diese Regelung rund 40 000 Einzelfälle pro Jahr, von denen ca. 80 Prozent eine Off-Label-Nutzung von Medikamenten darstellen, d. h. eine Nutzung von Medikamenten, die (noch) keine Zulassung von Swissmedic haben.

Art. 32 Abs. 2 KVG in Verbindung mit Art. 65d KVV.

Art. 34d bis 34f KLV; Diese im Jahr 2017 eingeführte Praxis entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts.

Gemäss den Zahlen des BAG sind die Medikamentenkosten zulasten der OKP zwischen 2014 und 2021 um 37,87 % gestiegen (Kostenanstieg für andere Leistungen: 23,8 %) und haben so 2021 erstmals die Schwelle von 8 Milliarden Franken überschritten (siehe Abbildung 3 in Anhang 3).

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und die Förderung von innovativen Medikamenten sind weitere Herausforderungen, denen das BAG bei seinen Entscheiden Rechnung tragen muss. Die GPK-S betont, dass diese Herausforderungen bei der Beurteilung der Tätigkeiten des BAG immer im Hinterkopf zu behalten sind (Kap. 3 und 4).

2.4

Aktuelle Herausforderungen

Die Herausforderungen, mit denen sich die Bundesbehörden bei der Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten konfrontiert sehen, haben in den letzten Jahren massiv zugenommen. Die Zahl der Gesuche um Aufnahme neuer Arzneimittel nimmt zu, ebenso wie die Komplexität dieser Gesuche. Zudem hat das BAG durch die Änderung verschiedener Vorgaben43 und durch mehrere Gerichtsentscheide44 zusätzliche Aufgaben erhalten.

Gleichzeitig sind die Medikamentenkosten zulasten der OKP kontinuierlich gestiegen: von 5,8 auf 8 Milliarden Franken zwischen 2014 und 2021 gemäss den Zahlen des BAG (siehe Abbildung 3, Anhang 3). Dieser Anstieg ist stärker als bei den anderen Leistungen zulasten der OKP.45 Er ist in erster Linie auf die neuen Arzneimittel zur Behandlung von Krebs und von seltenen Krankheiten zurückzuführen.46 In diesem Kontext erhöht sich die Arbeitslast des BAG und der Druck, der von den Akteuren des Gesundheitssektors auf das Bundesamt ausgeübt wird (z. B. Forderung der Industrie nach einer Beschleunigung der Aufnahmeverfahren, Forderung des Parlaments nach einer Begrenzung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen). Zudem

43 44 45 46

Zum Beispiel Verschärfung der Vorgaben in Sachen Transparenz, Änderung der Regeln für die periodische Überprüfung, Einbezug weiterer Länder in den APV.

Zum Beispiel BGE 9C_417/2015 vom 14.12.2015 zur periodischen Überprüfung.

Im Zeitraum 2014­2021 stiegen die Medikamentenkosten zulasten der OKP um 37,9 % gegenüber einer Kostenzunahme von 23,8 % bei den anderen OKP-Leistungen.

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht machten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) die folgenden Elemente zur Entwicklung der Kosten im Arzneimittelbereich geltend: «Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigen, dass der Anteil der Medikamente an den Gesundheitskosten seit über 10 Jahren konstant verläuft. Über den maximal verfügbaren Datenzeitraum des BFS hat sich der Anteil der Medikamente von 10,8 % in 2010 zu 10,6 % in 2021 entwickelt. Beim Medikamentenanteil an den OKP-Kosten ist ein moderates Wachstum zu verzeichnen, dies aufgrund der Verlagerung von stationär zu ambulant. Hier entwickelte sich der Anteil über den maximal verfügbaren Datenzeitraum des BFS von 15,7 % in 2010 zu 17,3 % in 2021.

Die Zahlen der OKP-Statistik [des BAG] beinhalten einen maximal verfügbaren Datenzeitraum von 2004-2022. Der Anteil der Medikamente an den OKP-Kosten ist hier absolut gesehen und auch pro Kopf betrachtet von 2004 bis 2022 konstant verlaufen.

Der Startzeitpunkt (Jahr 2014) der im Bericht ausgewiesenen Wachstumsberechnung ist beim Tiefpunkt des Anteils der Medikamente an den OKP-Ausgaben ausgewählt.

Dieses Minimum ist auf die ausserordentliche Preisüberprüfung aller SL-Präparate zurückzuführen. Wählt man als Startzeitpunkt z. B. 2009, oder auch 2004 als maximal verfügbaren Datenzeitraum der OKP-Statistik [des BAG], so kehrt sich das Verhältnis um: Die OKP-Kosten wachsen stärker als die Medikamente.

Die Kosten der OKP-Statistik [des BAG] und des BFS widerspiegeln Publikumspreise und nicht die Fabrikabgabepreise.»

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stellen sich neue ethische Fragen, z. B. in Bezug auf die Abrechnung kostspieliger Medikamente zulasten der OKP (siehe hierzu Kap. 3.5).

3

Präsentation des Sachverhalts

Das folgende Kapitel stützt sich auf die Erläuterungen und die Unterlagen der Bundesbehörden, aber auch auf die Einschätzungen anderer von der GPK-S angehörter Akteure (namentlich Swissmedic, Pharmaindustrie, Krankenversicherer und NEK).

Die Kommission hat bei ihrer Analyse zudem die Ergebnisse eines Audits der EFK über den Zulassungs- und Vergütungsprozess bei Arzneimitteln berücksichtigt. Die Veröffentlichung des entsprechenden Berichts ist für Anfang 2024 geplant.47

3.1

Ablauf des Aufnahmeverfahrens

3.1.1

Aufgabenverteilung im Aufnahmeverfahren

Im Aufnahmeverfahren (siehe Kap. 2) ist das BAG für die Evaluation («Assessment») und den Entscheid, die EAK für die Beurteilung («Appraisal») zuständig. Die GPK-S hatte den Bundesrat 2014 ersucht, die Zweckmässigkeit dieser Aufgabenverteilung und die Notwendigkeit allfälliger Präzisierungen zu prüfen (Empfehlung 1), namentlich angesichts der Aufgabenhäufung beim BAG.

Der Bundesrat erklärte im Rahmen der Nachkontrolle gegenüber der GPK-S, in den letzten Jahren verschiedene Massnahmen zur besseren Abgrenzung der unterschiedlichen Phasen des Aufnahmeverfahrens, zur Klärung der Aufgabenverteilung zwischen BAG und EAK sowie zur Erhöhung der Verfahrenseffizienz ergriffen zu haben.

In der Verordnung sei nun klarer bestimmt, in welchen Fällen die EAK zu konsultieren ist und in welchen nicht.48 Auch im Handbuch zur SL seien das Verfahren und die jeweiligen Aufgaben präzisiert worden.49 Zudem sei dafür gesorgt worden, dass die EAK an ihren Sitzungen über eine vollständigere Informationsgrundlage verfügt.50 Ferner komme die EAK nun siebenmal (statt viermal und dann sechsmal51) pro Jahr zusammen, wodurch mehr Zeit für die Beurteilung der einzelnen Gesuche zur Verfügung stehe. Diese Massnahmen haben dazu beigetragen, die Rolle der EAK zu festi47 48

49 50

51

EFK: Prüfung des Zulassungs- und Vergütungsprozesses von Arzneimitteln, Audit Nr. 22608 vom 2.10.2023 (noch nicht veröffentlicht).

Insbesondere Art. 31 KLV. Heute werden der EAK nur noch die komplexen Gesuche unterbreitet: neue Medikamente, Gesuche um Änderung der Indikationsbeschränkung oder um Erweiterung der Indikation, Gesuche um Preiserhöhungen. Die Gesuche um die Aufnahme neuer Verpackungen, neuer Dosierungen, neuer Darreichungsformen und von Biosimilars werden der EAK nur noch bei Bedarf vorgelegt.

BAG: Handbuch betreffend die Spezialitätenliste, siehe insbesondere Kap. A3.3, A3.4, A4 und A5.

Das BAG verfügt zur Behandlung der Gesuche und zur Erstellung der Faktenblätter inzwischen über zwei zusätzliche Wochen vor der Sitzung der EAK. Die Frist zwischen der Sitzung der EAK und dem Versand der Mitteilungen durch das BAG wurde hingegen um zwei Wochen verkürzt, sodass das ordentliche Verfahren nach wie vor insgesamt 18 Wochen dauert.

Im Jahr 2023 wurde die Anzahl EAK-Sitzungen von sechs auf sieben erhöht.

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gen (siehe hierzu auch Kap. 3.1.2). Die GPK-S hat allerdings festgestellt, dass die EAK nur teilweise unabhängig ist, da sich ihre Beratungen auf die Faktenblätter des BAG stützen und ihr Sekretariat vom Bundesamt geführt wird.

Der Bundesrat hatte 2014 angekündigt, zur Verbesserung der wissenschaftlichen Evaluation der Leistungen im Gesundheitswesen eine nationale HTA-Einrichtung (HTA: Health Technology Assessments) ins Leben zu rufen. Im Jahr 2017 wurde im BAG eine HTA-Sektion geschaffen, die organisatorisch abgegrenzt ist von den Sektionen, die für die Aufnahme und Überprüfung der Medikamente zuständig sind. Diese Sektion kann für die unabhängige Evaluation der Wirksamkeit bestimmter Medikamente externe Gutachten in Auftrag geben. Die GPK-S hat sich eingehend mit der Arbeit dieser Sektion und deren Bedeutung für die Medikamentenevaluation befasst. In diesem Zusammenhang hat sie insbesondere die Möglichkeit der Schaffung einer vom BAG unabhängigen HTA-Agentur geprüft (siehe hierzu Kap. 3.2.3).

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich in den Kapiteln 4.2.1 und 4.3.

3.1.2

Ressourcen und Fachkompetenz des BAG und der EAK

Eines der Hauptthemen dieses Dossier ist bereits seit Längerem die Frage, ob das BAG und die EAK über genügend Ressourcen für die Aufnahme und die Überprüfung der Medikamente verfügen. Angesichts zusätzlicher Aufgaben und wachsender Komplexität der Gesuche (siehe oben) sind die Durchführung der Verfahren innert angemessener Frist und in der nötigen Qualität (siehe Kap. 3.1.3) sowie die rechtskonforme Durchführung der dreijährlichen Überprüfung der Medikamente (siehe Kap. 3.3) nur möglich, wenn genügend Fachpersonal vorhanden ist. Die GPK-S hatte den Bundesrat 2014 aufgefordert, sicherzustellen, dass die EAK und die zuständige Sektion des BAG über ausreichende Ressourcen für die Erfüllung ihres Auftrags verfügen (Empfehlung 3). Dennoch stellte sich die Frage der Ressourcen des BAG 2017 und 2018 erneut: Aufgrund von Rückständen bei der dreijährlichen Überprüfung war das Bundesamt damals gezwungen, Priorisierungen vorzunehmen, dies zulasten der Aufnahme neuer Arzneimittel (siehe Kap. 3.3).52 Ressourcen des BAG Die Abklärungen der GPK-S haben ergeben, dass der Bundesrat die Ressourcen des BAG in diesem Bereich seit 2014 mehrfach erhöht hat. Die Zahl der Mitarbeitenden der betroffenen Sektionen ist von 11,8 Vollzeitstellen (VZÄ) im Jahr 2014 auf rund

52

Siehe Jahresberichte 2017 und 2018 der GPK und der GPDel vom 30.1.2018 (BBl 2018 1987, 2013) bzw. vom 28.1.2019 (BBl 2019 2729, 2763).

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25 VZÄ im Jahr 2023 gestiegen (siehe Abbildung 4, Anhang 3).53 Im Übrigen organisierte das Bundesamt die Arzneimittel-Sektion 2019 neu und teilte es diese in mehrere Sektionen auf.54 Dies trug nach Ansicht des BAG durch die Fokussierung auf spezifische Aufgaben zu einer gewissen Effizienzsteigerung bei.

Die GPK-S hat allerdings festgestellt, dass die Personalsituation auch nach der Ressourcenaufstockung weiterhin angespannt ist: So musste das EDI 2020 erneut Priorisierungen vornehmen und der für die Überprüfungen zuständigen Sektion zusätzliche Ressourcen zuteilen. Das BAG ist der Ansicht, dass angesichts der zunehmenden Arbeitslast über kurz oder lang eine weitere Ressourcenaufstockung ins Auge gefasst werden sollte.

Fachkompetenz des BAG Die Pharmaindustrie vertrat gegenüber der GPK-S die Auffassung, dass die Fachkompetenz des BAG im Arzneimittelbereich unzureichend ist und das Bundesamt vermehrt Fachleute einbeziehen sollte.55 Kritisiert wurde zudem die mangelnde Antizipation des technischen Fortschritts im Medikamentenbereich (z. B. neue Therapien) durch das Bundesamt. 56 Das BAG erläuterte der GPK-S, dass auf verschiedenen Stufen Fachleute am Verfahren für die Aufnahme und die Überprüfung von Medikamenten beteiligt sind: erstens die Pharmazeutinnen und Pharmazeuten im BAG, welche die Gesuche beurteilen, zweitens die EAK und drittens externe Fachleute, die bei Bedarf beigezogen werden57. Die Verzögerungen im Aufnahmeprozess seien grösstenteils auf Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit zurückzuführen (siehe Kap. 3.2.2) und nicht auf fehlendes Fachwissen bei der Beurteilung der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit. Das BAG erklärte, es sei «gerne bereit», in Ab-

53

54

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56

57

Namentlich: +2 VZÄ ab 2016 (Änderung der KVV und der KLV), +3,5 VZÄ ab 2018 (Änderung des Verfahrens für die dreijährliche Überprüfung), Unterstützung durch befristete externe Mitarbeitende bis Ende 2019 (3,4 VZÄ), +4 VZÄ ab 2020, +2,5 VZÄ für 2021­2023 (im Rahmen der Stärkung der Abteilung Leistungen Krankenversicherung). Ein Grossteil dieser Ressourcenerhöhungen wurde durch Gebühren finanziert, die den Herstellern in Rechnung gestellt werden.

Arzneimittelaufnahmen, Arzneimittelüberprüfungen, Leistungsrecht,. Gemäss Informationen des EDI war hingegen die Sektion HTA (vgl. Kap. 3.2.3) immer eine eigenständige Sektion, von den ehemaligen Sektion Medikamente und deren Nachfolgesektionen (Arzneimittelaufnahmen, Arzneimittelüberprüfungen, Leistungsrecht) unabhängig.

Zur Stärkung der Fachkompetenz in den Entscheidungen des BAG rät die Industrie «systematisch klinische Experten mit Erfahrung im entsprechenden Therapiegebiet bei der Beurteilung der SL-Anträge hinzuzuziehen».

Die Industrie nannte als Beispiel den Fall der Zelltherapien CAR-T, die auf der genetischen Veränderung von Zellen des Immunsystems beruhen und gegen gewisse Krebsformen eingesetzt werden.

Das Bundesamt teilte mit, bei der Evaluation der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit der Medikamente, aber auch zur Unterstützung der Arbeiten der EAK, regelmässig externe Fachleute zu konsultieren. Die GPK-S erkundigte sich nach den Kosten für die Konsultation externer Fachleute und nahm zur Kenntnis, dass diese Kosten in den vergangenen Jahren eher tief waren. So betrugen die Ausgaben für externe Fachberatung der Sektionen Arzneimittelaufnahmen und Arzneimittelüberprüfungen im Jahr 2019 beispielsweise ca. 27 000 Franken. Für 2020 waren 40 000 Franken budgetiert.

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sprache mit Swissmedic und der Pharmaindustrie einen «noch breiteren Experteneinbezug» zu prüfen.58 Das BAG verweist darauf, zur besseren Antizipation der technischen Entwicklungen in den letzten Jahren die internationale Zusammenarbeit verstärkt zu haben. Seit 2019 nimmt es an der «International Horizon Scanning Initiative» (IHSI) teil, die von mehreren europäischen Ländern lanciert wurde, um die Entwicklungen im Arzneimittelbereich vorherzusehen.59 Das BAG plant zudem, den «Early Dialogue» mit Swissmedic und der Pharmaindustrie über die geplanten Zulassungs- und Aufnahmegesuche in der Schweiz zu verstärken (siehe Kap. 3.1.5 und 3.1.6).

Die Krankenversicherer äusserten die Ansicht, dass die fachliche Kompetenz des BAG in den letzten Jahren grundsätzlich zugenommen hat, lediglich im wirtschaftlichen Bereich noch aufgestockt werden könnte.

Zusammensetzung und Fachkompetenz der EAK Die EAK umfasst 16 Mitglieder, darunter 6 Ärztinnen und Ärzte, 6 Apothekerinnen und Apotheker sowie diverse Vertreterinnen und Vertreter der Gesundheitsakteure.

Der Bundesrat teilte der GPK-S mit, dass die Rekrutierung von Mitgliedern mit der erforderlichen Fachkompetenz in verschiedener Hinsicht eine Herausforderung darstellt.60 So hatte die EAK bis Ende 2019 keine Expertin bzw. keinen Experten für Onkologie in ihren Reihen. Aus diesem Grund wurden regelmässig externe Fachleute an die Sitzungen der EAK eingeladen oder vor den Sitzungen vom BAG konsultiert, um sicherzustellen, dass das erforderliche wissenschaftliche Fachwissen vorhanden ist.

Der Bundesrat hat sich in den letzten Jahren bemüht, die Fachkompetenz der EAK zu stärken. So umfasst die EAK seit ihrer Erneuerung Ende 2019 auch eine Onkologin und einen Onkologen. Der Bundesrat betonte jedoch, dass eine umfassende Vertretung aller medizinischen Fachbereiche in der EAK nicht möglich ist. Deshalb würden das BAG und die EAK bei Bedarf weiterhin externe Fachleute beiziehen. Der Bundesrat nannte verschiedene Massnahmen, dank denen die Arbeit der EAK effizienter werden soll (siehe Kap. 3.1.1).

Die GPK-S stellte dem Bundesrat 2020 die Frage, ob dieser das Modell einer ausserparlamentarischen Kommission im Arzneimittelbereich angesichts der zunehmenden Zahl und Komplexität der Gesuche nach wie vor als zweckmässig erachtet.61 Der Bundesrat erklärte, dass er «das Modell
der ausserparlamentarischen Kommission, in der die relevanten politischen Akteure und Experten resp. Expertinnen ihre Meinungen und ihr Wissen einbringen können», weiterhin als gerechtfertigt betrachtet.62 Er räumte ein, dass in der EAK nicht immer ausreichendes wissenschaftliches Experten58 59 60

61 62

Anhörung des BAG vom 4.7.2022 www.ihsi-health.org (aufgerufen am 14.8.2023). Es handelt sich dabei um die Länder Belgien, Niederlande, Luxemburg und Österreich.

Namentlich wegen der Vorgaben in Sachen Sprache und Geschlecht für die Zusammensetzung der EAK, aber auch wegen der bescheidenen finanziellen Vergütung angesichts des erforderlichen Zeitaufwands. Schreiben des Bundesrates an die GPK-S vom 22.5.2019 (nicht veröffentlicht).

Diese Frage hatte die GPK-S bereits in ihrer Inspektion von 2014 aufgeworfen.

Schreiben des Bundesrates an die GPK-S vom 7.10.2020 (nicht veröffentlicht).

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wissen vorhanden ist, die Ressourcen knapp sind und das Engagement in der EAK für die Mitglieder einen erheblichen Zusatzaufwand bedeutet, ist aber der Meinung, dass diese Probleme mit dem Beizug externer Fachleute behoben werden können. Laut BAG würde eine Erhöhung der Anzahl EAK-Sitzungen die Effizienz des Prozesses nicht steigern. Entscheidend sei vor allem die gute Vorbereitung der Dossiers zuhanden der Kommission.

Die Krankenversicherer sind der Ansicht, dass sich die Vorbereitung der EAK in den letzten Jahren zunehmend professionalisiert hat. Sie begrüssten insbesondere die Strukturierung der Anträge durch das BAG und die Formulierung spezifischer Fragen an die EAK-Mitglieder.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich in den Kapiteln 4.2.2 und 4.3.

3.1.3

Dauer des Aufnahmeverfahrens

Einen der Hauptkritikpunkte der Pharmaindustrie stellt die Dauer des Verfahrens für die Aufnahme neuer Medikamente in die SL dar. Die Pharmaindustrie kritisiert, dass die in Artikel 31b KLV vorgesehene 60-tägige Frist für die Aufnahme in die Spezialitätenliste nicht eingehalten wird, die Verzögerungen kontinuierlich zunehmen63 und die Anzahl der hängigen Aufnahmegesuche zunimmt,64 wodurch sich der Zugang zu neuen innovativen Therapien für die Patientinnen und Patienten verzögere.65 Die Prozesse seien zu langsam. Es brauche verbindliche Timelines und planbarere Prozesse.

63

64 65

Gemäss den Zahlen der Pharmaindustrie (vgl. Abbildung 5, Beilage 3) betrug die Mediandauer des SL-Aufnahmeverfahrens (alle Präparate zusammengenommen) im Jahr 2021 267 Tage. Lediglich 6 Prozent der Gesuche seien innert der vorgeschriebenen Frist von 60 Tagen bearbeitet worden und bei 34 Prozent habe die Bearbeitung mehr als ein Jahr gedauert. Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht vertraten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) die Auffassung, dass sich die Verzögerung im Jahr 2023 noch verschlechtert hat (Mediandauer von 306 Tagen von der Marktzulassung bis zur Aufnahme in die SL, Stand Januar-Oktober 2023, gemäss Berechnungen der Industrie). Laut Pharmaindustrie beinhaltet diese Zahl ausschliesslich Produkte, bei denen das Gesuch mit dem Vorbescheid eingereicht wurde.

Gemäss den Zahlen der Pharmaindustrie waren 2021 insgesamt 213 Gesuche hängig.

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht machte das EDI geltend, dass die von der Pharmaindustrie vorgebrachte Statistik «nicht korrekt» und «fehlerhaft» ist.

Das Departement betont, dass «Artikel 31b KLV nur für mit Vorbescheid eingereichte Gesuche und nur für die vom BAG zur Gesuchsbearbeitung benötigte Zeit [gilt].

Die Statistik der Pharmaindustrie berücksichtigt alle Gesuche und auch die Zeit der Pharmaunternehmen. Die meisten Gesuche werden nicht mit Vorbescheid eingereicht und fallen deshalb nicht unter Artikel 31b KLV.»

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Das BAG räumte ein, dass die Fristen der KLV in vielen Fällen nicht eingehalten werden und dass die Zahl der hängigen Gesuche sehr hoch ist.66 Es begründete dies wie folgt:67 ­

Die 60-Tage-Frist finde nur auf Gesuche Anwendung, die dem BAG bereits mit Vorbescheid von Swissmedic unterbreitet werden (trifft auf ein Drittel der Gesuche zu68). Diese würden prioritär behandelt. Auf Grundlage einer Analyse seiner eigenen Daten gibt das BAG an, dass es in den Jahren 2020 und 2021 ca. 60 Prozent dieser Gesuche innert der vorgeschriebenen Frist behandelt hat (vgl. Abbildung 2 weiter unten).69 Zudem heisse es in der Verordnung «in der Regel innert 60 Tagen», diese Frist sei also nicht allgemein verpflichtend. Schliesslich betonte das EDI, dass die 60-Tagesfrist nur für die vom BAG für das Gesuch verwendete Zeit und nicht für die Zeit der Pharmaunternehmen gilt.

Abbildung 2

Anzahl vom BAG innert 60 Tagen nach Swissmedic-Zulassung verfügte Gesuche

Quelle: BAG 66 67

68

69

Gemäss den Zahlen des BAG 75 im Jahr 2019, 81 im Jahr 2020 und 96 im ersten Halbjahr 2021.

Anhörungen des BAG vom 12.10.2020 und vom 23.8.2021, Schreiben des BAG an die GPK-S vom 2.11.2020 (nicht veröffentlicht), Factsheet des BAG vom 23.8.2021 (nicht veröffentlicht).

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht stellten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) die Angaben des BAG zu diesem Punkt infrage. Sie behaupteten, dass «die meisten Aufnahmegesuche, welche mit Vorbescheid eingereicht werden können [...], frühzeitig mit dem Vorbescheid von Swissmedic durch die Zulassungsinhaberinnen eingereicht [werden]».

Und damit mehr als in den Vorjahren (2017: 33,3 %, 2018: 39,1 %).

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­

Bei mehr als 90 Prozent der hängigen Gesuche seien die Verzögerungen auf Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit, d. h. «auf hohe Preisforderungen» der Industrie zurückzuführen (siehe Kap. 3.2.2).70 Weitere Gründe sind laut BAG fehlende Daten, ein starker Anstieg der Anzahl Gesuche und die höhere Komplexität der Therapien.

­

Das BAG teilte mit, dass es den Unternehmen bei allen Gesuchen innert 60 Tagen seine Evaluation der WZW-Kriterien kommuniziert und dass es auch in der Lage wäre, innert dieser Frist einen Entscheid zu treffen. Allerdings müsste es dann viele Gesuche aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit ablehnen oder viel zu hohe Preise akzeptieren. Da dies weder im Interesse der Unternehmen noch der Patientinnen und Patienten sei, verhandle das BAG weiter, um Lösungen zu finden, die eine Aufnahme in die SL unter Einhaltung der Vorgaben hinsichtlich Wirksamkeit und Gesundheitskosten ermöglichen.71

Das BAG erachtet seinen Leistungsausweis in Bezug auf das Aufnahmeverfahren im internationalen Vergleich als gut. Es verwies auf eine Studie von 2022, gemäss der die Schweiz bei der Dauer zwischen Zulassung und Kostenübernahme von lebensnotwendigen Medikamenten in Europa den dritten Rang belegt.72 Die EFK ist zum Schluss gekommen, dass die Behandlungsfristen des BAG «international durchaus kompetitiv sind».73 Zudem ist gemäss Zahlen des BAG die Anzahl der Verfügungen und der angenommenen Gesuche in den letzten Jahren angestiegen.74 Die von der GPK-S gesammelten Informationen zeigen im Übrigen, dass die Pharmaunternehmen auch einen Teil der Verantwortung für die Verzögerungen bei der Aufnahme der Medikamente tragen. So werden laut BAG und EFK die meisten Aufnahmegesuche erst dann beim BAG eingereicht, wenn die Zulassung durch Swissmedic erfolgt ist (obwohl die Gesuchstellung bereits mit dem Vorbescheid von Swissmedic

70 71

72

73 74

Gemäss Analyse der EFK machen die Preisverhandlungen zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie bis zu 80 % der Dauer des Aufnahmeverfahrens aus.

Die Daten des BAG zeigen, dass die Mediandauer des Verfahrens bei den kostspieligsten Medikamenten am längsten ist (50,5 Tage bei den Medikamenten bis 50 000 Franken, 87 Tage bei den Medikamenten über 100 000 Franken).

European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA): Patients W.A.I.T. (Waiting to Access Innovative Therapies) Indicator 2022 Survey, www.efpia.eu > Publications (aufgerufen am 23.8.2023). Gemäss dieser Studie beträgt die Mediandauer zwischen Zulassung und Kostenübernahme in der Schweiz 148 Tage und die durchschnittliche Dauer 249 Tage (siehe Anhang 3, Abbildungen 6 und 7). Nur in Deutschland und Dänemark, wo die Unternehmen ihre Anfangspreise selbst festlegen können, sind diese Werte tiefer.

Anhörung der EFK vom 15.5.2023 Gemäss Zahlen des BAG vom November 2023 ist die Zahl der verfügten Gesuche (im Durchschnitt pro Monat) von 9,67 im Jahr 2020 auf 12,67 im Jahr 2022 gestiegen.

Die Zahl der angenommenen Gesuche ist von 94 im Jahr 2019 auf 120 im Jahr 2020 gestiegen.

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möglich ist).75 Diese Feststellung wird jedoch von der Pharmaindustrie in Frage gestellt.76 Aus den Informationen des BAG geht ferner hervor, dass es sich bei einem Teil der hängigen Gesuche um «inaktive» Gesuche handelt, d. h. um Fälle, in denen das BAG seit sechs Monaten nichts mehr von den Unternehmen gehört hat oder diese ihr Gesuch zurückgezogen haben.77 Ein Teil der Verfahrensdauer ist laut BAG auch auf die Behandlungsfristen der Industrie zurückzuführen (z. B. bei erforderlichen Präzisierungen).78 Die Industrie wünscht sich beschleunigte Aufnahmeverfahren (Fast-Track-Verfahren) nach dem Vorbild der Prozesse von Swissmedic bei Medikamenten, für die ein erhöhter medizinischer Bedarf besteht. Das BAG teilte mit, dass Gesuche, für die das beschleunigte Verfahren von Swissmedic gilt, auch vom Bundesamt ­ mit entsprechend höheren Gebühren ­ bereits jetzt bevorzugt behandelt werden,79 sofern die WZWKriterien erfüllt sind.80 Nach Ansicht der Industrie braucht es aber zusätzliche Anstrengungen und sollte das Bundesamt ein spezifisches und flexibleres beschleunigtes Verfahren einführen. Auch die EFK empfiehlt eine bessere Harmonisierung zwischen BAG und Swissmedic hinsichtlich der beschleunigten Verfahren und deren Anwendungsbereich.

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Laut EFK (Audit «Prüfung des Zulassungs- und Vergütungsprozesses von Arzneimitteln» vom 2.10.2023, Veröffentlichung des Berichts für Anfang 2024 geplant) reichen die Unternehmen ihr Gesuch beim BAG im Median 100 Tage nach Erhalt des Vorbescheids von Swissmedic ein. Die EFK und das BAG betonten auch, dass international tätige Unternehmen häufig zuerst die Zulassung bei anderen internationalen Behörden (wie der europäischen oder der amerikanischen Arzneimittelbehörde) beantragen und das Gesuch bei Swissmedic erst deutlich später einreichen. Diese Unternehmen ziehen laut BAG also «die Zulassung und Vergütung in anderen Ländern» vor und betrachten diesen Schritt für die Schweiz nicht als prioritär. Diese Problematik wird als «Submission Gap» bezeichnet.

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht vertraten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) die Auffassung, dass diese Einschätzung nicht nachvollziehbar ist: «Gemäss unseren Informationen werden die meisten Aufnahmegesuche, welche mit Vorbescheid eingereicht werden können (neue aktive Substanzen und neue Indikationen), frühzeitig mit dem Vorbescheid von Swissmedic durch die Zulassungsinhaberinnen eingereicht.» Gemäss Zahlen des BAG (mit Berücksichtigung der Periode von Oktober 2019 bis Oktober 2022) waren die Gesuche im Februar 2023 wie folgt eingeteilt: 47 zurückgezogene Gesuche (das Dossier wurde aufgrund einer Rückmeldung des Pharmaunternehmens geschlossen oder das BAG hat der Zulassungsinhaberin kommuniziert, dass das Dossier als geschlossen angesehen wird), 28 schlummernde oder «inaktive» Gesuche (bei welchen sich die Zulassungsinhaberin mehr als drei Monate nicht gemeldet hat) und 67 offene und «aktive» Gesuche.

Brief des BAG an die Subkommission EDI/UVEK der GPK-S vom 19.6.2023 (nicht veröffentlicht). Gemäss Zahlen des Bundesamtes dauerten die Bearbeitungszeiten des BAG im Median 48 Tage (2020) respektive 52 Tage (2021). Die Pharmaunternehmen benötigten ihrerseits 35 Tage (2020) respektive 56 Tage (2021).

In diesem Fall können die Gesuche bis 30 (statt 60) Tage vor der EAK-Sitzung eingereicht werden und die Mitteilung des BAG an die Zulassungsinhaberin erfolgt 14 (statt 30) Tage nach der Sitzung.

Das Bundesamt präzisierte hierzu, dass eine Vergütung ab dem ersten Tag der Zulassung durch Swissmedic
möglich ist, wenn die Gesuche im Rahmen des Fast-Track-Verfahrens die WZW-Kriterien erfüllen (z. B. Hepatitis-C-Medikamente). Leider führten aber immer häufiger hohe Preisforderungen zu erheblichen Verzögerungen bei der Behandlung der Gesuche im Fast-Track-Verfahren.

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Die Krankenversicherer hielten gegenüber der GPK-S fest, dass die Schweiz im internationalen Vergleich Medikamente relativ schnell zulässt und dass in den letzten Jahren Verbesserungen vorgenommen wurden. Sie betonten, dass eine Beschleunigung nicht zulasten der Prüfung der WZW-Kriterien gehen darf und das BAG diese unbedingt ernst nehmen muss, selbst wenn der Prozess dadurch etwas länger dauert.

Das BAG erklärte sich bereit, das Aufnahmeverfahren zu verbessern und nannte verschiedene Massnahmen zur Verkürzung der Behandlungsdauer wie die Erhöhung der Ressourcen (siehe Kap. 3.1.2), den Informationsaustausch mit Swissmedic (siehe Kap. 3.1.5), die Stärkung des «Early Dialogue» mit den Unternehmen (siehe Kap. 3.1.6), die Einführung von Preismodellen (siehe Kap. 3.4.3) und die Klärung der Modalitäten für die Einzelfallvergütung (siehe Kap. 3.4.4).

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.2.

3.1.4

Transparenz des Aufnahmeverfahrens

Die GPK-S hatte den Bundesrat 2014 ersucht, zu prüfen, wie die Verfahrensschritte und der Aufnahmeentscheid transparenter dokumentiert und der interessierten Öffentlichkeit kommuniziert werden können, sowie dafür zu sorgen, dass das BAG Entscheide, welche von der Beurteilung der EAK abweichen, ausreichend begründet (Empfehlung 6).81 Sie begrüsste 2015 die Absicht des Bundesrates, die Transparenz des Aufnahmeverfahrens zu erhöhen.

Die GPK-S hat bei ihrer Nachkontrolle festgestellt, dass der Bundesrat seitdem verschiedene Massnahmen in diesem Sinne ergriffen hat. Das BAG veröffentlicht seit 2015 auf seiner Website bei der Aufnahme eines Arzneimittels in die SL und bei Indikationserweiterungen oder Limitierungsänderungen die Grundlagen für die Beurteilung der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit des Arzneimittels, des TQV und des Innovationszuschlags sowie seit 2017 auch das Ergebnis des APV.82Auch die Dauer einer Aufnahmebefristung wird veröffentlicht. Laut Bundesrat konnte mit diesen Massnahmen die Gleichbehandlung der Zulassungsinhaberinnen verbessert83 und die Glaubwürdigkeit des BAG gestärkt werden.

Der Bundesrat teilte der GPK-S ab 2019 seine Absicht mit, angesichts der Forderungen gewisser Akteure84 auch die Transparenz hinsichtlich der dreijährlichen Überprüfung der Medikamenten zu erhöhen. In seinen Augen könnte damit aufgezeigt werden, dass das BAG «die Überprüfungen einheitlich und unter Berücksichtigung der recht-

81 82 83 84

Die GPK-S empfahl dem Bundesrat ausserdem, die befristete Aufnahme von Medikamenten in die SL transparent auszuweisen (Empfehlung 4).

Art. 71 KVV. Bei Rekursen gegen seine Entscheide veröffentlicht das BAG auch den Namen des betroffenen Medikaments.

Das BAG verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass «vor allem die Zulassungsinhaberinnen an den Publikationen (zu den Konkurrenzpräparaten) interessiert sind».

Namentlich Konkurrenzunternehmen und Krankenversicherer. Der Bundesrat hielt in diesem Zusammenhang fest, dass die Gesuche nach dem Öffentlichkeitsgesetz betreffend die dreijährliche Überprüfung der Medikamente seit dem Jahr 2017 zugenommen haben.

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lichen Grundlagen durchführt».85 Ein entsprechender Antrag86 und verschiedene andere Transparenzmassnahmen87 wurden in eine Revision der KVV und der KLV aufgenommen, die vom Bundesrat im September 2023 verabschiedet wurde.88 Gleichzeitig erklärte der Bundesrat aber auch, dass er für die kostspieligen Medikamente künftig vermehrt auf das Instrument der vertraulichen Preismodelle zurückgreifen möchte (siehe hierzu Kap. 3.4.3). Ein entsprechender Antrag zur Änderung des KVG, der unter anderem vorsieht, dass die Preismodelle nicht in den Anwendungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ)89 fallen, wird derzeit vom Parlament beraten. Der Bundesrat räumte gegenüber der Kommission ein, dass solche Preismodelle die Transparenz verringern, betonte aber, dass sie im Ausland sehr gängig sind und es ohne ihre Einführung in der Schweiz nicht mehr möglich ist, den Zugang zu neuen wirksamen Therapien zu einem vernünftigen Preis zu gewährleisten.90 Zur Eindämmung der Kosten und zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit sei die Schweiz deshalb gezwungen, sich der Praxis im Ausland anzuschliessen.91 Der Bundesrat hielt aber fest, dass er im Gegenzug mittels Änderungen der Verordnungen die Transparenz hinsichtlich der Entscheidgrundlagen des BAG erhöhen möchte (siehe vorheriger Absatz).92 Ferner wies er darauf hin, dass sich die Schweiz in den internationalen Gremien und im bilateralen Austausch für mehr Transparenz in der Festsetzung der Medikamentenpreise einsetzt. Der Bundesrat verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf eine Resolution der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Mai 2019.93 Die Krankenversicherer bedauerten gegenüber der GPK-S den Mangel an Transparenz im aktuellen Preisfestsetzungsverfahrens des BAG (siehe Kap. 3.2.2) und bei dessen Verhandlungen mit der Pharmaindustrie.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.2.

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88 89 90 91

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Schreiben des Bundesrates an die GPK-S vom 7.10.2020 (nicht veröffentlicht).

Neuer Art. 71 KVV. Veröffentlichung der Entscheidgrundlagen für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit sowie der Entscheidgrundlagen für die Beurteilung der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit, sofern diese neu beurteilt wurden.

Neuer Art. 71 KVV. Namentlich: Veröffentlichung der erhaltenen Gesuche, Veröffentlichung der Gesuche und Entscheide zu Preiserhöhungen, Veröffentlichung der Entscheidgrundlagen für die Ablehnung und Streichung von Medikamenten.

Der Bundesrat fördert Generika und Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.9.2023.

Bundesgesetz vom 17.12.2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ; SR 152.3).

Das BAG erklärte der Kommission, dass die Preistransparenzpolitik der Schweiz die Pharmaunternehmen davon abhält, Gesuche für innovative Medikamente einzureichen.

Laut Bundesrat wird die Umsetzung vertraulicher Preismodelle in der Schweiz «so lange nötig sein, wie das international praktizierte Preisfestsetzungssystem auf vertraulichen Vereinbarungen basiert».

Botschaft des Bundesrates vom 7.9.2022 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (BBl 2022 2427), namentlich Kap. 4.1.4.

WHO: Improving the transparency of markets for medicines, vaccines, and other health products, Resolution der 72. World Health Assembly vom 28.5.2019.

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3.1.5

Zusammenarbeit des BAG mit Swissmedic

Die GPK-S informierte sich eingehend über die Zusammenarbeit von BAG und Swissmedic im Rahmen von deren Zulassungs- und Aufnahmeverfahren für Arzneimittel (siehe Kap. 2). Beide Seiten bezeichneten die Zusammenarbeit gegenüber der Kommission als «sehr gut, eng und stetig».94 Seit 2019 ermöglicht das HMG einen leichteren Datenaustausch zwischen Swissmedic und dem BAG.95 BAG und Swissmedic bekräftigten ihren Willen, die Zusammenarbeit weiter zu vertiefen und zu optimieren. Drei Massnahmen wurden genannt: die Teilnahme des BAG an den Vorabtreffen von Swissmedic mit der Industrie («Pipeline Meetings»), die Stärkung des «Early Dialogue» des BAG mit den Unternehmen nach dem Vorbild von Swissmedic (siehe auch Kap. 3.1.6) und die Verbesserung des gegenseitigen Informationsaustauschs.96 Die beiden letztgenannten Massnahmen wurden in einer Revision der KVV und der KLV konkretisiert, die vom Bundesrat im September 2023 verabschiedet wurde.97 Die Pharmaindustrie liess gegenüber der Kommission durchscheinen, dass das BAG bei bestimmten Medikamenten die Einschätzung von Swissmedic in Bezug auf deren Wirksamkeit infrage stellt.98 Das BAG erläuterte hierzu, dass sich die beiden Stellen aufgrund ihres voneinander abweichenden gesetzlichen Auftrags bei ihrer Prüfung auf unterschiedliche Grundlagen stützen99, weshalb es auch möglich sei, dass sie teils zu verschiedenen Einschätzungen gelangten. Es unterstrich aber den gemeinsamen Willen des Bundesamts und des Heilmittelinstituts, die Zusammenarbeit in jenen Bereichen zu verstärken, in denen Synergien bestehen. Die Krankenversicherer wiederum erachten die differenzierte Herangehensweise von Swissmedic und BAG bei der Beurteilung der Wirksamkeit als zweckmässig.

Die Pharmaindustrie schlug im Übrigen vor, dass das BAG seinen Prozess für die Aufnahme in die SL parallel zum Zulassungsverfahren von Swissmedic durchführt (und nicht mehr erst ab dem Vorbescheid von Swissmedic), damit innovative Medikamente ab dem ersten Tag ihrer Zulassung durch Swissmedic, notfalls auch zu einem

94 95

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99

Anhörung des EDI, des BAG und von Swissmedic vom 12.10.2020.

Art. 63 HMG. Die GPK-S hatte in ihrer Inspektion von 2014 festgestellt, dass das BAG keinen Zugang zu den Berichten hat, die Swissmedic während des Zulassungsverfahrens erstellt.

Das BAG und Swissmedic betonten insbesondere die Absicht, ihre Zusammenarbeit im Bereich des Datenschutzes zu verstärken, da die Unternehmen unterschiedliche Informationen an das Bundesamt und das Heilmittelinstitut weitergeben.

Der Bundesrat fördert Generika und Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.9.2023. Die Revision umfasst einen neuen Art. 82 Abs. 1 AMV, der den frühzeitigen Dokumentenaustausch zwischen Swissmedic und BAG vereinfachen soll. Zum Early Dialogue mit den Unternehmen siehe Kap. 3.1.6.

Aus Sicht der Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) wäre es «wünschenswert, dass die Entscheidungen von Swissmedic in Bezug auf die Wirksamkeit vom BAG übernommen werden.» Swissmedic evaluiert die Wirksamkeit eines Medikaments im Vergleich zu einem Placebo, während das BAG die Wirksamkeit im Vergleich zu ähnlichen, bereits vergüteten Medikamenten evaluiert.

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vorläufigen Preis, über die OKP vergütet werden können.100 Auch die EFK ist der Ansicht, dass die parallele Durchführung der Prozesse verbunden mit der Festsetzung vorläufiger Preise dazu beitragen könnte, die Bearbeitungsdauer zu reduzieren. Die Krankenversicherer sind der Ansicht, dass die vorläufigen Preise einen Lösungsansatz darstellen könnten, verweisen aber darauf, dass sich deren Festlegung als herausfordernd erweisen dürfte.101 Das BAG erklärte 2022 gegenüber der GPK-S, bereit zu sein, in Zusammenarbeit mit der Industrie Pilotversuche zu prüfen, bei denen es darum geht, den Prozess für Arzneimittel von sehr hohem medizinischem Bedarf früher zu initialisieren. Es verwies aber darauf, dass ein solches Modell verschiedene Fragen aufwirft.102 Im Jahr 2023 informierte das Bundesamt die Kommission, dass ein erster Pilotversuch erfolgreich war und weitere Pilotversuche geplant sind.103 Es kündigte an, dass der entsprechende Prozess nun im Rahmen der laufenden Anpassungen der Arzneimittelverordnungen abgebildet wird, damit ab 1. Januar 2024 für alle Arzneimittel von hohem medizinischen Bedarf Fast-Track-Gesuche eingereicht werden können. Die entsprechende Änderung («Early Access») wurde vom Bundesrat im September 2023 verabschiedet.104 Parallel dazu beschloss der Nationalrat im Herbst 2023, dass es möglich sein soll, Medikamente von hohem medizinischem Bedarf ab dem ersten Tag der SwissmedicZulassung zu einem provisorischen Preis in die SL aufzunehmen.105 Der Ständerat wird diesen Antrag 2024 behandeln.

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Siehe hierzu Anhang 3, Abbildungen 8 und 9. In den Augen der Pharmaindustrie verlangt ein solcher Prozess eine bessere Ressourcenplanung seitens des BAG und einen systematischen «Early Dialogue» zwischen dem Bundesamt, den Unternehmen und Swissmedic.

Er würde im Übrigen ein provisorisches Vergütungssystem auf der Grundlage flexibler Preismodelle umfassen, das solange gilt, bis das BAG den endgültigen Vergütungsbetrag festgesetzt hat.

Sie schlugen in diesem Zusammenhang vor, den vorläufigen Preis anhand eines Algorithmus festzulegen.

Das Bundesamt hielt insbesondere fest, dass allfällige neue Prozesse «nicht zu einer jahrelangen Zementierung von zu hohen, im Ausland nicht effektiv vergüteten Preisen führen» dürfen.

Laut BAG hat der erfolgreiche Pilotversuch aufgezeigt, «dass der Zugang zur Vergütung lebenswichtiger Arzneimittel mit einer früheren Gesuchseinreichung vor Vorbescheid Gutheissung [...], einem transparenten Datenaustausch zwischen Swissmedic, BAG und dem Pharmaunternehmen sowie dank der Umsetzung von Preismodellen nochmals beschleunigt werden kann.» Der Bundesrat fördert Generika und Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.9.2023. Neue Bestimmungen Art. 69a und Art. 70b KVV sowie Art. 31d KLV. Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht informierten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) im Oktober 2023, dass ihnen kein weiterer Pilotversuch bekannt ist. Sie äusserten sich zudem kritisch zu den Verordnungsänderungen: «Obwohl die Pharmaindustrie die Einführung des «Early Dialogue» explizit begrüsst, ist diese der Ansicht, dass die im Rahmen der KVV-Revision beschlossenen Massnahmen nicht ausreichen, um den SL-Aufnahmeprozess nachhaltig zu beschleunigen.».

Neuer Art. 52d KVG. Der entsprechende Antrag wurde vom Nationalrat im Rahmen der Behandlung des zweiten Pakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen angenommen.

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Das BAG wies zudem mehrfach darauf hin, dass dank der Möglichkeit der OKPVergütung im Einzelfall (Art. 71a bis 71d KVV) Arzneimittel nötigenfalls auch vor der Zulassung durch Swissmedic vergütet werden können (siehe hierzu Kap. 3.4.4).

Die Pharmaindustrie zeigte sich hingegen kritisch gegenüber diesem Weg.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich in den Kapiteln 4.2.2 und 4.3.

3.1.6

Zusammenarbeit des BAG mit der Pharmaindustrie und den Krankenversicherern

Der Austausch des BAG mit der Pharmaindustrie und den Krankenversicherern spielt eine zentrale Rolle im Verfahren für die Aufnahme und die Überprüfung der Medikamente. Die GPK-S befragte die beteiligten Akteure zu deren Einschätzung dieser Zusammenarbeit. Sie stellte fest, dass das BAG und die Pharmaindustrie die Zusammenarbeit sehr unterschiedlich bewerten.

Das BAG äusserte die Meinung, dass sich der Austausch mit der Industrie in den letzten Jahren verbessert hat. Es verwies darauf, dass regelmässig Treffen mit den Dachverbänden106 und den Unternehmen stattfinden, an denen Fragen zu den Prozessen geklärt werden. Es zeigte sich bereit, diesen Austausch zu verstärken und zu systematisieren durch die Einführung eines «Early Dialogue» in Form von Abklärungsgesprächen vor der Gesuchseinreichung, die vom betroffenen Unternehmen verlangt werden können. So soll die Effizienz des Prozesses erhöht und ein allzu ausufernder Schriftverkehr vermieden werden.107 Die entsprechenden Verordnungsänderungen wurden vom Bundesrat im September 2023 verabschiedet.108 Das Bundesamt beabsichtigt ausserdem, an den Treffen von Swissmedic und der Pharmaindustrie («Pipeline Meetings») teilzunehmen (sieh Kap. 3.1.5).

Die Pharmaindustrie wiederum äusserte sich gegenüber der GPK-S sehr kritisch über den Austausch mit dem BAG. Der Dialog zwischen dem BAG und den Unternehmen sei nicht ausreichend und es fehle an einer «Diskussionskultur». Die Treffen mit dem 106

Das BAG erwähnte insbesondere einen institutionalisierten Austausch zweimal pro Jahr mit Interpharma und der Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz (Vips).

107 Anhörung des BAG vom 4.7.2022. Das BAG präzisierte dies wie folgt: «Der gebührenpflichtige Early Dialogue soll ein Termin zwischen dem BAG und der Zulassungsinhaberin sein, an dem Letztere in kompakter Form ihr beabsichtigtes Gesuch vorstellen kann; sie soll vor allem auch zu ihren Preisvorstellungen bzw. zu den Preisfestsetzungsmodalitäten [...] Stellung nehmen. Das BAG soll daraufhin eine unverbindliche erste Einschätzung zum beabsichtigten Gesuch abgeben, eine WZW-Überprüfung soll jedoch nicht stattfinden. Dadurch kann das BAG bereits vor Gesuchseinreichung eine Einschätzung zu offenen Fragen, allfälligen Herausforderungen und Problemen der Zulassungsinhaberin abgeben. Davon erhofft man sich, dass im später eingereichten Gesuch die Inputs des BAG bereits berücksichtigt sind. Langwierige Diskussionen mit den Zulassungsinhaberinnen nach Gesuchseinreichung und damit gleichzeitig auch die Dauer der Gesuchsbearbeitung könnten so idealerweise reduziert und im Ergebnis die Effizienz gesteigert werden.» 108 Der Bundesrat fördert Generika und Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.9.2023. Neue Bestimmungen Art. 69a und Art. 70b KVV und Art. 31d KLV.

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BAG dienten eher der Präsentation der jeweiligen Positionen oder der einseitigen Information durch das Bundesamt. Zudem würden diese Treffen zu spät angekündigt, wodurch keine korrekte Vorbereitung möglich sei. Die Industrie begrüsste die Absicht des BAG, einen «Early Dialogue» einzuführen, erklärte aber, dass dieser systematisch sein muss.

Die Direktorin des BAG betonte als Reaktion auf diese Kritik, dass sich das Bundesamt bemüht, gemeinsam mit der Industrie Lösungen zu finden, die Anreize für neue innovative Medikamente schaffen. Sie erinnerte aber daran, dass das BAG auch Aspekte wie Gesundheitskosten, gerechter Zugang zu Behandlungen und Versorgungssicherheit zu berücksichtigen hat. Das Bundesamt habe gegenüber der Industrie bereits zahlreiche Zugeständnisse gemacht109, wohingegen diese bei den Preisverhandlungen wenig Entgegenkommen zeige (siehe hierzu Kap. 3.2.2). Die EFK ist der Ansicht, dass das BAG bereits einiges getan hat, um den Austausch mit der Pharmabranche zu verbessern und deren Anliegen zu berücksichtigen. Sie erachtet es als wichtig, dass das Bundesamt seine Unabhängigkeit wahrt.110 Die Krankenversicherer bezeichneten ihren Einbezug in das Verfahren im Rahmen der EAK als sehr gut und zeigten sich erfreut über die Professionalisierung der Arbeit der EAK in den letzten Jahren. Zudem begrüssten sie grundsätzlich die Einführung des «Early Dialogue» zwischen BAG und Industrie.

Mehrere von der GPK-S befragte Akteure111 sind sich einig, dass das Verfahren für die Aufnahme und Überprüfung der Medikamente nur mit einem gemeinsamen Effort aller Beteiligten verbessert werden kann. Nach Ansicht der Pharmaindustrie verfolgen alle Beteiligten ein gemeinsames Ziel, «ein gesundes und leistungsfähiges Gesundheitssystem, in welchem die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sichergestellt ist». Es sei wichtig, «zusammen[zu]kommen, um einen tragfähigen Konsens und Lösungen zu finden». Die Industrie kündigte an, entsprechende Massnahmen vorschlagen zu wollen.112 Die Direktorin des BAG zeigte sich zuversichtlich, dass auf der Grundlage konstruktiver Gespräche Verbesserungen erzielt werden können. Das BAG betonte aber, dass allfällige Änderungen von Gesetzen und Verordnungen nicht allein mit der Industrie ausgearbeitet werden können, sondern nur unter Einbezug aller Akteure möglich sind.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich in den Kapiteln 4.2.2 und 4.3.

109 110 111 112

Namentlich mit der Entwicklung der Preismodelle und den «Schaufensterpreisen».

Anhörung der EFK vom 15.5.2023 Namentlich Pharmaindustrie, Swissmedic und EFK.

Die Pharmaindustrie nannte in diesem Zusammenhang das von ihr konzipierte «Radar», welches das BAG über die in den nachfolgenden Monaten und Jahren geplanten Gesuche informieren soll, um dem Amt so die Ressourcenplanung zu erleichtern. Diese Massnahme entspricht einem Wunsch des BAG.

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3.2

Beurteilung der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittel

Die Beurteilung der WZW-Kriterien (siehe Kap. 2 sowie Anhang 2) stellt ­ in materieller Hinsicht ­ das zentrale Element des Verfahrens für die Aufnahme von Medikamenten in die SL und für deren Überprüfung dar. In zwei am Rande ihrer Inspektion 2014 eingereichten Postulaten hatte die GPK-S den Bundesrat aufgefordert, die Präzisierung und Ergänzung der Kriterien für den Nachweis der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit (Po. 14.3295)113 sowie die Optimierung der Kriterien für die Bestimmung der Wirtschaftlichkeit (Po. 14.3296)114 zu prüfen.

3.2.1

Rechtsgrundlagen und sonstigen Vorgaben

Die Leitlinien für die Überprüfung der WZW-Kriterien sind in den Artikeln 32 und 33 KVG, den Artikeln 65 bis 65g KVV115 und den Artikeln 32 bis 37b KLV festgelegt.116 Die letzten grösseren Änderungen an diesen Rechtsgrundlagen erfolgten 2017.117 Die genauen Modalitäten für die Überprüfung sind im Handbuch des BAG zur SL enthalten, dessen aktuelle Version ebenfalls aus dem Jahr 2017 stammt.118 Die Beurteilung der Medikamente nach den WZW-Kriterien (und insbesondere die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit) ist regelmässig Gegenstand von Entscheiden des Bundesverwaltungs- und des Bundesgerichts, welche Auswirkungen auf die Praxis des BAG haben.119 Das Bundesamt verschickt mehrmals jährlich Kreis- und Informationsschreiben an die Pharmaindustrie und die Krankenversicherer, in denen es über Änderungen oder Präzisierungen des Verfahrens informiert.120 Die GPK-S stellte bei ihrer Nachkontrolle fest, dass das BAG in den letzten Jahren daran gearbeitet hat, die Beurteilung nach den WZW-Kriterien zu konkretisieren. Das BAG hat insbesondere eine entlang der WZW-Kriterien operationalisierte Beurteilung erstellt, die bereits ab der Erstellung des Faktenblatts für die EAK angewendet wurde. Zu diesem Zweck veröffentlichte das BAG 2022 ein Grundlagendokument für

113 114 115 116 117 118 119

120

Po. GPK-S «Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (1)» vom 14.5.2014 (14.3295).

Po. GPK-S «Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste (2)» vom 14.5.2014 (14.3296).

Art. 65a KVV bezieht sich auf die Wirksamkeit, während Art. 65b und Art. 65c KVV die Wirtschaftlichkeit betreffen.

Art. 32 KLV befasst sich mit der Wirksamkeit und Art. 33 KLV mit der Zweckmässigkeit, die Wirtschaftlichkeit ist Gegenstand der Art. 34abis­37b KLV.

Im Jahr 2023 wurden noch punktuelle Änderungen an Art. 34b KLV vorgenommen.

BAG: Handbuch zur Spezialitätenliste (SL), in Kraft seit dem 1.5.2017. In diesem Handbuch werden unter anderem der TQV und der APV beschrieben.

Z. B.: Urteil C-5955/2019 des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vom 28.1.2022, Urteil 9C_572/2015 des Bundesgerichts (BGer) vom 22.6.2016, Urteil 9C_417/2015 des BGer vom 14.12.2015.

Siehe dazu die BAG-Website, www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Leistungen und Tarife > Arzneimittel > Mitteilungen zur Spezialitätenliste (aufgerufen am 1.9.2023).

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die Operationalisierung der WZW-Kriterien121, welches Leitlinien festlegt und Fragen für die Beurteilung nach den drei Kriterien enthält.122 Laut Bundesrat soll diese Vorgehensweise eine Beurteilung der Anträge «anhand der Fakten» ermöglichen.123 Die Pharmaindustrie bezeichnete der GPK-S gegenüber die Regeln für die SL-Aufnahme und die Überprüfung der Arzneimittel als zu wenig klar. Die entsprechenden Kriterien seien nicht transparent dokumentiert und das BAG verfüge über einen zu grossen Ermessensspielraum bei der Preisfestlegung, wodurch es ständig die Modalitäten ändern könne (siehe dazu auch Kap. 3.2.2). Ausserdem seien die verschiedenen Rechtsebenen betreffend die SL-Aufnahme von Medikamenten nicht aufeinander abgestimmt und manchmal sogar widersprüchlich. Die geltende Praxis werde laufend angepasst, ohne jedoch systematisch und transparent dokumentiert und publiziert zu werden, was hinsichtlich der Rechtssicherheit problematisch sei. Weiter ist die Industrie der Ansicht, dass das Handbuch zur SL aktualisiert werden sollte.124 Das BAG wies die Kritik, wonach die Regeln für die Aufnahme und Überprüfung unklar und willkürlich seien, entschieden zurück. Der Rechtsrahmen ist aus seiner Sicht solide und im Handbuch konkretisiert. Es räumte zwar ein, dass Änderungen der Praxis ­ insbesondere infolge der Rechtsprechung ­ möglich sind, betonte jedoch, dass es sich bemüht, die Regeln so detailliert wie möglich festzuschreiben und in den Informationsschreiben an die Unternehmen transparent darzustellen. Das BAG bestätigte, dass es bei der Beurteilung nach den WZW-Kriterien über einen Ermessensspielraum verfügt, der von den Gerichten bestätigt worden ist und der seiner Meinung nach im Interesse der Unternehmen liegt. Es erinnerte zudem daran, dass die Unternehmen die Möglichkeit haben, gegen alle Entscheide Einsprache zu erheben.125 Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.1.

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125

Operationalisierung der Kriterien «Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit», Grundlagendokument des BAG vom 31.3.2022. Dieses Dokument, welches das Arbeitspapier aus dem Jahr 2011 ersetzt, wurde vom BAG in Zusammenarbeit mit den zuständigen beratenden Kommissionen erstellt.

In diesem Dokument sind die Begriffe «Wirksamkeit», «Zweckmässigkeit» und «Wirtschaftlichkeit» definiert und Fragelisten für die Evaluation und Beurteilung von Gesuchen («Assessment» und «Appraisal») sowie Grundsätze für die Erstellung von Empfehlungen durch die EAK enthalten. Der Bundesrat wies darauf hin, dass sich die angewendeten Methoden an international anerkannten Bewertungsgrundsätzen orientieren und an das schweizerische Gesundheitssystem angepasst wurden.

Schreiben des Bundesrates an die GPK-S vom 22.5.2019 (nicht veröffentlicht).

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht vertraten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) die Auffassung, dass «eine Neuauflage des SL-Handbuchs dringend nötig» ist.

Das BAG wies darauf hin, dass die Anzahl der Beschwerden in den letzten Jahren zurückgegangen ist, was seiner Ansicht nach zeigt, dass die Pharmaindustrie keinen Missbrauch des Ermessensspielraums durch das BAG erkennen kann.

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3.2.2

Kriterium der Wirtschaftlichkeit

Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit126 ist beim Verfahren für die Aufnahme und Überprüfung von Arzneimitteln in der Regel der Hauptstreitpunkt zwischen der Pharmaindustrie und dem BAG.127 Dieser Aspekt beeinflusst die Dauer des Verfahrens in entscheidender Weise (siehe Kap. 3.1.3).128 Die Wirtschaftlichkeit wird anhand eines Auslandpreisvergleichs (APV) und eines Vergleichs mit ähnlichen Medikamenten (therapeutischer Quervergleich, TQV) evaluiert, wobei die beiden Vergleiche je hälftig gewichtet werden.

Umsetzung der Wirtschaftlichkeitsbeurteilung (APV und TQV) Die GPK-S wurde bei ihrer Nachkontrolle vom BAG auf mehrere Herausforderungen hingewiesen, mit denen dieses bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit konfrontiert ist. Dazu gehören: ­

die Schwierigkeit, einen angemessenen Vergütungsbetrag für komplexe Behandlungen zu bestimmen, z. B. für Krebstherapien, bei denen mehrere Medikamente kombiniert werden, für Therapien gegen seltene Krankheiten oder für Präparate mit mehreren Indikationen129;

­

die Tatsache, dass die im Ausland üblichen vertraulichen Preismodelle «Schaufensterpreise» beinhalten, die nicht dem tatsächlichen Vergütungsbetrag entsprechen;130

­

die hohen Preisforderungen der Pharmaindustrie;

­

die Berücksichtigung der Anforderungen in Bereich der Landesversorgung mit Arzneimitteln;

­

die unerwünschten Auswirkungen des TQV bei bestimmten Arzneimittelkategorien131.

Das BAG teilte der GPK-S 2019 mit, dass Treffen mit der Pharmaindustrie und den Krankenversicherern stattfanden, bei denen Fragen im Zusammenhang mit dem APV 126

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Gemäss Art. 65b Abs. 1 KVV gelten Arzneimittel als wirtschaftlich, wenn sie «die indizierte Heilwirkung mit möglichst geringem finanziellem Aufwand» gewährleisten, d. h., wenn ihre «Tarife und Preise nachvollziehbar bemessen sind, sie im Vergleich zu den alternativen Verfahren ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis bezogen auf die direkten Gesundheitskosten [aufweisen] oder den Mehrkosten ein entsprechender Mehrnutzen gegenübersteht und die Kostenauswirkungen auf die obligatorische Krankenpflegeversicherung tragbar sind.» Für eine ausführlichere Definition siehe Anhang 2.

Die Beurteilung der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit ­ die in der Regel weniger umstritten ist ­ wurde von der GPK-S im Rahmen der Nachkontrolle nicht spezifisch vertieft.

Laut EFK machen die Preisverhandlungen zwischen dem BAG und der Industrie rund 80 Prozent der Gesamtdauer des Verfahrens für die Aufnahme von Arzneimitteln in die SL aus.

Also Arzneimittel, die gegen verschiedene Krankheiten eingesetzt werden können.

Das Vorgehen des EDI bei der Ermittlung der Auslandspreise wird in Art. 65b Abs. 3 und 4 KVV sowie in Art. 34a bis 34c KLV genauer ausgeführt.

Gemäss BAG kann es beispielsweise sein, dass «der Vergleichspreis zu tief» ausfällt, «wenn in Bereichen, wo es seit Jahren keine Innovation mehr gab, innovative Arzneimittel auf den Markt kommen und mit den bisherigen Standardmedikamenten verglichen werden».

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und dem TQV geklärt wurden, und dass die Ergebnisse dieses Austauschs ins Handbuch des BAG überführt wurden. Die GPK-S hat zudem zur Kenntnis genommen, dass der Bundesrat die Verordnungsbestimmungen zum APV und zum TQV in den letzten Jahren mehrfach präzisiert hat,132 dies insbesondere aufgrund von Gerichtsentscheiden. Im Jahr 2022 gab der Bundesrat weitere Verordnungsänderungen betreffend den APV und den TQV in die Vernehmlassung, mit denen zusätzliche Einsparungen erzielt werden sollen.133 Angesichts der kontroversen Reaktionen in der Vernehmlassung, sind diese Änderungen allerdings nicht mehr in der definitiven Revisionsvorlage des Bundesrates vom September 2023 enthalten. Sie sollen im Rahmen einer späteren Revision noch einmal geprüft werden.134 Die Pharmaindustrie äusserte sich der GPK-S gegenüber besonders kritisch zu der vom BAG durchgeführten Beurteilung der Wirtschaftlichkeit. Das BAG fokussiere sich bei der Aufnahme und Überprüfung der Medikamente einseitig auf den Preis und blende andere Kriterien wie die Qualität, den therapeutischen Nutzen und die Versorgungssicherheit aus.135 Ihre Hauptkritik betrifft den TQV: Die Kriterien für die Bildung der Vergleichsgruppen seien unklar und die Gruppen würden ständig geändert.136 Die Vergleichsprodukte würden ausschliesslich aus Kostenerwägungen ausgewählt, ohne zu berücksichtigen, ob die verschiedenen Produkte auch im Hinblick auf ihren Nutzen tatsächlich vergleichbar sind.137 Dies alles mache den Schweizer Markt wenig attraktiv, wenn es um die Einführung innovativer Medikamente geht.

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Revision der KLV vom 29.4.2015 (Aufnahme von Art. 34a­c zum APV), Revision der KLV und der KVV vom 1.2.2017 (Art. 34b KLV bzw. Art. 65b und 65c KVV), Revision der KLV vom 19.4.2023 (Art. 34b).

Anpassung des Länderkorbs (Referenzländer) und Änderung der Preisberechnung (neu anhand des Medians statt des arithmetischen Mittels der Auslandspreise) beim APV; Abschaffung des Kriteriums des Patentschutzes für die Aufteilung der Arzneimittel in zwei Vergleichsgruppen (und Ersetzung durch ein Kriterium «15 Jahre seit SwissmedicZulassung [...]») beim TQV; Änderung der Regeln für den APV und den TQV bei Präparaten mit mehreren Indikationen und Nachfolgepräparaten eines Originalpräparats. Siehe auch: Arzneimittel: Gleichbehandlung und Zugang sollen verbessert werden, Medienmitteilung des Bundesrates vom 3.6.2022; Massnahmen im Arzneimittelbereich, Faktenblatt des BAG vom 3.6.2022.

BAG: KVV und KLV, Änderungen per 1.1.2024. Bericht der Verwaltung vom 15.6.2023 über die Auswirkungen der Änderungen, namentlich über die Einsparungen für die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) Die Industrie wies darauf hin, dass die Qualität, die Versorgungssicherheit und der Zugang zur Gesundheitsversorgung ebenfalls Ziele des KVG sind.

Gemäss den Zahlen der Pharmaindustrie wurde bei der Überprüfung im Jahr 2021 der Preis von 35 Prozent der Produkte anhand einer neuen Vergleichsgruppe berechnet.

So wird der Industrie zufolge beispielsweise eine neue Krebstherapie mit sehr alten Therapien verglichen, welche in der Schweiz nur noch in Ausnahmefällen angewendet werden. In anderen Fällen würden nur die günstigsten Präparate für den Vergleich herangezogen, ohne dabei die aktuellen Behandlungsstandards zu berücksichtigen. Schliesslich würde das BAG nicht die Gesamtkosten über die ganze Behandlungsdauer berücksichtigen, sondern nur die direkten Kosten des Arzneimittels. Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht machten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) die folgenden zusätzlichen Kritikpunkte in Bezug auf den APV geltend: «Der Ausschluss des APV bei der Wirtschaftlichkeitsbeurteilung von Nebenindikationen bei Multiindikationsprodukten ist trotz Sistierung und damit fehlender Grundlage in der Verordnung und entgegen der Rechtsprechung immer noch Praxis des BAG.

Die Pharmazeutische Industrie erwartet, dass diese Praxis bis zur nochmaligen Überprüfung des Sachverhalts sistiert werden muss.»

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Das BAG wies angesichts dieser Kritik darauf hin, dass das Prinzip der Kostengünstigkeit ebenso im KVG verankert ist wie die Qualität und die Zweckmässigkeit der gesundheitlichen Versorgung138 und dass das Augenmerk des BAG daher ­ wegen des starken Anstiegs der Arzneimittelpreise in den letzten Jahren ­ verständlicherweise auch auf die Wirtschaftlichkeit gerichtet sein muss. Die BAG-Direktorin erklärte der GPK-S, dass die Bereitstellung innovativer Arzneimittel nicht um jeden Preis erfolgen kann. Sie beklagte die Härte und das fehlende Entgegenkommen der Pharmaindustrie bei der Verhandlung der Preise.139 Das BAG erinnerte ausserdem daran, dass seine Preisfestsetzungspraktiken von den Gerichten mehrfach bestätigt wurden.140 Schliesslich versicherte das BAG, dass es auch der Sicherheit der Arzneimittelversorgung in der Schweiz besondere Aufmerksamkeit schenkt und deshalb bei den Preissenkungen regelmässig Ausnahmen macht (siehe auch Kap. 3.3).

Angesichts der aktuellen Herausforderungen teilte das BAG mit, dass es zurzeit mit Unterstützung von Fachpersonen der Gesundheitsökonomie abklärt,141 ob der APV und der TQV noch in allen Fällen die richtigen Parameter sind oder ob bei bestimmten teuren Arzneimitteln alternative Ansätze für die Preisfestsetzung notwendig sind, insbesondere im Rahmen von Preismodellen (siehe Kap. 3.4.3). Die GPK-S diskutierte mit dem BAG, der Pharmaindustrie und den Krankenversicherern auch die Möglichkeit einer frühzeitigen Aufnahme mit vorläufigen Preisen (siehe Kap. 3.1.5).

Die Krankenversicherer wiederum bezeichneten die Regeln für den APV und den TQV gegenüber der GPK-S als relativ klar. Aus ihrer Sicht handelt das BAG angemessen, wenn es den Schwerpunkt auf das im KVG vorgesehene Kriterium der Kostengünstigkeit legt, und ist es sinnvoll, dass das BAG über einen gewissen Ermessensspielraum verfügt. Sie begrüssten zwar, dass das BAG die Preisforderungen der Industrie kritisch prüft, bedauerten aber, dass die Verhandlungen oft in festgefahrene Situationen münden und die SL-Aufnahme der Arzneimittel dadurch verzögert wird.

Sie wünschten sich mehr Transparenz bei der Preisfestsetzung sowie bei den Verhandlungen des BAG mit der Pharmaindustrie. Schliesslich bedauerten sie, dass die Krankenversicherer kein Rekursrecht gegen die Preisentscheide des BAG haben.142 Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.2.

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Art. 43 Abs. 6 KVG: «Die Vertragspartner und die zuständigen Behörden achten darauf, dass eine qualitativ hoch stehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird.» Laut BAG soll die Stärkung des «Early Dialogue» mit den Unternehmen (siehe Kap. 3.1.6) dazu beitragen, Unstimmigkeiten in Bezug auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit zu vermeiden.

Das BAG wies insbesondere darauf hin, dass es gemäss der Rechtsprechung des BGer nicht erforderlich ist, beim TQV mit allen möglichen Therapiealternativen zu vergleichen, sondern dass die kostengünstigeren Varianten bevorzugt werden können. Das BAG gab an, dass es sich beim TQV in der Regel auf die Arzneimittel stützt, die als Standardbehandlung für die zu betreffenden Krankheiten eingesetzt werden.

Insbesondere in Zusammenhang mit der Umsetzung der Mo. Dittli «Medikamentenkosten. Es braucht Anpassungen beim Zulassungs- und Preisbildungssystem im Bereich der Grundversicherung» vom 19.6.2019 (19.3703).

Aufgrund unzureichender Rechtsgrundlage wurde den Krankenversicherern das Rekursrecht per Gerichtsentscheid abgesprochen. Die Krankenversicherer äusserten den Wunsch, über das Recht auf eine solche Beschwerde, die keine aufschiebende Wirkung haben soll, zu verfügen.

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Bewertung des therapeutischen Nutzens von Arzneimitteln Der Bewertung des therapeutischen Nutzens kommt bei der Festlegung der Arzneimittelpreise eine entscheidende Bedeutung zu. Die KVV sieht nämlich vor, dass bei Arzneimitteln, die einen bedeutenden therapeutischen Fortschritt bringen, im Rahmen des TQV während höchstens 15 Jahren ein Innovationszuschlag berücksichtigt wird.143 Früher musste die EAK bei ihrer Beurteilung die Arzneimittel entsprechend ihrer therapeutischen Fortschrittlichkeit in fünf Kategorien einteilen.144 Im Jahr 2014 ersuchte die GPK-S den Bundesrat, die Zweckmässigkeit dieser Kategorisierung zu prüfen und allenfalls Anpassungen vorzunehmen (Empfehlung 2). Sie forderte den Bundesrat zudem dazu auf, für eine einheitliche Umsetzung der Vorgaben für den Innovationszuschlag zu sorgen und die Zuschlagsbedingungen zu präzisieren (Po. 14.3296).

Das EDI beschloss 2015, diese in der KVV vorgesehene Kategorisierung nach therapeutischer Fortschrittlichkeit abzuschaffen. Laut Bundesrat zeigte sich, «dass die Anwendung entsprechender Kriterien für die WZW-Beurteilung wenig hilfreich» war.145 Seither stützen sich das BAG und die EAK bei ihrer Prüfung auf die entlang der WZW-Kriterien operationalisierte Beurteilung sowie auf das Grundlagendokument zur Operationalisierung der WZW-Kriterien, das Richtlinien für die Bewertung und die Erstellung von Empfehlungen festlegt (siehe Kap. 3.2.1).

Bei ihrer Nachkontrolle stellte die GPK-S fest, dass das BAG in den letzten Jahren ­ in Zusammenarbeit mit den Krankenversicherern und der Pharmaindustrie ­ «Nutzenbewertungsmodelle» entwickelt hat. Diese zielen darauf ab, anhand strukturierter Kriterien den Mehrnutzen eines Arzneimittels im Vergleich zur Standardtherapie zu quantifizieren und dieses Arzneimittel in eine Nutzenkategorie einzuteilen.146 Diese Bewertung dient beim TQV als Grundlage für die Festlegung eines allfälligen Innovationszuschlag.147 Ein solches Modell wurde 2020 ausgearbeitet und 2021 in der Kategorie der onkologischen Arzneimittel umgesetzt.148 Die Verordnungsbestimmungen für die systematische Anwendung des Modells wurden vom Bundesrat im

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Art. 65b Abs. 7 KVV Früherer Art. 31 Abs. 3 KLV. Dieser Artikel sah vor, dass die EAK jedes Medikament in eine der folgenden Kategorien einteilt: medizinisch-therapeutischer Durchbruch, therapeutischer Fortschritt, Kosteneinsparung im Vergleich zu anderen Arzneimitteln, kein therapeutischer Fortschritt und keine Kosteneinsparung, unzweckmässig für die soziale Krankenversicherung.

Schreiben des Bundesrates an die GPK-S vom 22.5.2019 (nicht veröffentlicht).

Es sind folgende Kategorien vorgesehen: kein, geringer, moderater, grosser und sehr grosser Nutzen.

Ein Innovationszuschlag kann nur bei einem grossen therapeutischen Fortschritt gewährt werden, d. h., wenn der Mehrnutzen gross oder sehr gross ist. Die Höhe des Innovationszuschlags beträgt 5 % oder 10 % bei einem grossen Mehrnutzen und 15 % oder 20 % bei einem sehr grossen Mehrnutzen.

Dieses Modell basiert auf den Bewertungsstandards, die von Fachorganisationen im Bereich der Onkologie festgelegt wurden, z. B. von der European Society for Medical Oncology (ESMO) und der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO).

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September 2023 verabschiedet.149 Derzeit wird ein Nutzenbewertungsmodells für Nicht-Onkologika entwickelt und «soll zeitnah implementiert werden».

Die GPK-S stellte fest, dass die Entwicklung von Nutzenbewertungsmodellen von allen Akteuren insgesamt positiv aufgenommen wurde. Die Krankenversicherer hielten diese Modelle für eine sehr gute Lösung. Laut BAG belegt dieses Beispiel, dass es sich bemüht, die Planbarkeit und die Rechtssicherheit bei der SL-Aufnahme von Arzneimitteln zu verbessern. Die Pharmaindustrie begrüsste die Entwicklung solcher Modelle ebenfalls, bedauerte jedoch deren spätes verbindliches Inkrafttreten und äusserte sich kritisch zu einigen Modalitäten von deren Funktionsweise.150 Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.2.

3.2.3

Health Technology Assessments

In seiner 2013 verabschiedeten Strategie «Gesundheit2020»151 bekundete der Bundesrat seine Absicht, die Health Technology Assessment152 (HTA) zu stärken.

Dadurch sollte erreicht werden, dass Leistungen oder Arzneimittel, bei denen der Verdacht besteht, dass die WZW-Kriterien nicht ausreichend oder gar nicht erfüllt sind, genauer geprüft werden und gegebenenfalls von der Vergütung durch die OKP aus-

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Der Bundesrat fördert Generika und Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.9.2023. Siehe auch BAG: KVV und KLV, Änderungen per 1.1.2024, Wortlaut und Kommentar vom 22.9.2023. Es handelt sich in erster Linie um den neuen Art. 65bter KVV. In derselben Revision legt der Bundesrat Regeln für die Bestimmung des therapeutischen Nutzens bei der Einzelfallvergütung fest (siehe Kap. 3.4.4).

150 Die Industrie kritisiert insbesondere die Rolle, die den Krankenversicherern ­ durch ihre Vertrauensärztinnen und -ärzte ­ in den Nutzenbewertungsmodellen zukommt, sowie den Einfluss, den die Versicherer dadurch auf die Preisbildung der Medikamente haben.

Ferner stört sie sich daran, dass der Innovationszuschlag nur auf den TQV angewendet wird und somit zuweilen niedrig ausfällt, namentlich in Therapiegebieten, in denen es schon lange keine Innovation mehr gegeben hat. Dies habe zur Folge, dass viele Unternehmen, vor allem Start-ups, darauf verzichteten, ihre Produkte in der Schweiz anzubieten. Nach Ansicht BAG hingegen «wäre ein Innovationszuschlag auf den Auslandpreis paradox, da in der Schweiz im Vergleich zum Ausland hohe Arzneimittelkosten vergütet werden [...]. Zudem muss man davon ausgehen, dass Innovationen im Ausland ebenfalls honoriert werden. Ein Innovationszuschlag auf den APV würde somit einer Potenzierung der Innovationszuschläge entsprechen und zu enormen Kostensteigerungen führen.».

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht (Oktober 2023) bedauerten zudem die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika), dass die Implementierung des Nutzenbewertungsmodells für Nicht-Onkologika seit zwei Jahren hängig ist.

151 Die gesundheitspolitischen Prioritäten des Bundesrates, Bericht des EDI vom 23.1.2013.

152 Für eine ausführliche Darstellung der HTA sowie des HTA-Programms siehe BAGWebsite: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Leistungen und Tarife > Health Technology Assessment (HTA) (aufgerufen am 13.9.2023). Siehe auch: EFK: Prüfung der Verfahrenseffizienz von Health Technology Assessments, Bericht vom 19.5.2020, Kap. 2.1.

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geschlossen werden oder die Vergütung zumindest eingeschränkt wird.153 Im Arzneimittelbereich spielen solche HTA insbesondere im Rahmen der periodischen Überprüfung eine Rolle (siehe Kap. 3.3).

Nach einem ersten Pilotprojekt154 beschloss der Bundesrat 2016, innerhalb des BAG eine HTA-Sektion zu schaffen, die von den für die Aufnahme und Überprüfung der Medikamente zuständigen Sektionen organisatorisch getrennt ist. Diese Sektion wurde ab 2017 nach und nach aufgebaut. Bei ihrer Nachkontrolle befasste sich die GPK-S eingehend mit der Arbeit dieser Sektion und deren Bedeutung bei der Beurteilung der Arzneimittel.

Tätigkeit der HTA-Sektion Die HTA-Sektion besteht zum aktuellen Zeitpunkt aus sechs Vollzeitstellen155 und verfügt über ein Budget von rund 4,5 Millionen Franken156. Sie ist für die Auswahl der Leistungen und Arzneimittel zuständig, die einer vertieften Beurteilung unterzogen werden. Alle Personen und Organisationen, die dies möchten, können entsprechende Vorschläge einreichen. Die HTA-Sektion führt die Assessments nicht selbst durch, sondern beauftragt unabhängige externe Agenturen damit. Je nach Fall können vollständige HTA («Full HTA») oder Kurzformen («Short HTA») durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Assessments werden auf der Website des BAG veröffentlicht und in den nachfolgenden Verfahrensschritten (Beurteilung durch die EAK und Entscheid des BAG) berücksichtigt. 2018 teilte der Bundesrat mit, dass 6 bis 8 HTA pro Jahr geplant seien.157 Im Jahr 2020 veröffentlichte die EFK einen Prüfbericht158, in dem sie zum Schluss kam, dass die Wirksamkeit des HTA-Programms gesteigert werden muss. Sie war der Ansicht, dass die Anzahl der pro Jahr durchgeführten HTA zu gering ist und der HTAProzess zu lange dauert. Zudem stellte sie fest, dass bislang kein HTA zu einer Streichung bzw. Einschränkung von OKP-Leistungen führte. Sie empfahl dem BAG unter anderem, die jährliche Anzahl an HTA-Themen mit attraktivem Einsparpotenzial zu erhöhen, vermehrt kürzere HTA-Formen anzuwenden, die internationalen Partnerschaften besser zu nutzen und weniger Stakeholderkonsultationen durchzuführen. Das 153

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In Verbindung mit Art. 32 und Art. 33 Abs. 3 KVG. In Letzterem ist festgelegt, dass der Bundesrat bestimmt, in welchem Umfang die OKP die Kosten einer neuen oder umstrittenen Leistung übernimmt, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit oder Wirtschaftlichkeit sich noch in Abklärung befindet.

Dieses wurde von 2015 bis 2017 durchgeführt. Der Bundesrat hatte dem BAG dafür finanzielle Mittel in Höhe von 600 000 Franken pro Jahr, aber keine zusätzlichen Personalressourcen bewilligt.

Nach den Angaben des EDI im Jahr 2019 entsprachen die Personalressourcen damals 7,1 Vollzeitstellen.

Eine 2019 vom EDI durchgeführte Evaluation kam zum Schluss, dass das ursprüngliche Budget im Verhältnis zur Anzahl der Projekte, die das HTA-Team tatsächlich bewältigen konnte, zu hoch war, weshalb eine Budgetkürzung von 6 auf 5 Millionen Franken vorgenommen wurde.

Der Bundesrat schätzte das jährliche Einsparpotenzial auf 10 Millionen Franken pro geprüfte Leistung, also auf Einsparungen von bis zu 180 bis 220 Millionen Franken über drei Jahre gerechnet. Siehe Antwort des Bundesrates auf die Ip. Fiala «Überprüfung der Leistungen im Gesundheitswesen» vom 13.3.2018 (18.3146).

Prüfung der Verfahrenseffizienz von Health Technology Assessments, Bericht der EFK vom 19.5.2020.

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BAG teilte mit, dass es mit den Feststellungen und Empfehlungen der EFK im Grossen und Ganzen einverstanden ist.

Während der Nachkontrolle tauschte sich die GPK-S mit dem BAG regelmässig über die Herausforderungen aus, die sich bei der Durchführung von HTA stellen. Laut BAG verlangen die Pharmaunternehmen im Zusammenhang mit HTA-Verfahren sehr oft Akteneinsicht und strengen manchmal auch Gerichtsverfahren an.159 Darüber hinaus habe sich die Umsetzung einiger HTA-Berichte verzögert, da der Abschluss der dreijährlichen Überprüfung der Arzneimittel priorisiert wurde (siehe Kap. 3.3). Das BAG teilte mit, dass die Empfehlungen der EFK schrittweise umgesetzt worden sind.160 Die Pharmaindustrie kritisierte gegenüber der GPK-S, dass sich die HTA hauptsächlich auf die Medikamente161 fokussieren und dass praktisch nur Einzelleistungen beurteilt werden. Es fehle ein gesamtheitlicher Ansatz, der systematisch alle Leistungen einbeziehe und Parameter wie die Qualität und die Wirksamkeit berücksichtige. Die Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen HTA-Dossiers seien enorm. Zudem bedauert die Pharmaindustrie, dass die betroffenen Stakeholder nicht direkt vom BAG über die HTA informiert werden und dass die Stakeholderkonsultation eingeschränkt ist.

Als Reaktion auf diese Kritik teilte das BAG der GPK-S mit, dass das HTA-Verfahren transparent sei und auf international etablierten Methoden beruhe. Weiter erklärte es, dass es sich nicht das Ziel setzt, sich auf eine der verschiedenen Leistungen zu konzentrieren, sondern dass es die ganze Breite der Leistungen untersuchen muss, und dass alle Akteure Vorschläge einreichen können. Der stellvertretende BAG-Direktor bezeichnete das Verhältnis von HTA zu Arzneimitteln und HTA zu anderen Leistungen als ausgewogen162, zeigte sich aber offen dafür, den Anteil der Ersteren zu verringern, sofern die Akteure konkrete Begründungen vorbringen. Ausserdem informierte das EDI, dass das BAG den Wunsch der Stakeholder bezüglich der stärkeren Einbindung umgesetzt hat.163 Die Krankenversicherer ihrerseits äusserten die Meinung, dass sich die Qualität der HTA-Berichte stetig verbessert, dass diese aber noch zu relativ begrenzten Massnahmen geführt haben. Ihrer Ansicht nach gibt es insofern Verbesserungspotenzial, als Medikamente, die nicht den versprochenen Nutzen bringen, nach Durchführung eines 159

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Wie das BAG erläuterte, kam das BGer zum Schluss, dass die Unternehmen bei Arzneimittelüberprüfungen nicht von Beginn an ein Akteneinsichtsrecht haben, dass dieses Recht aber besteht, sobald ein HTA vorliegt.

Nach Angaben des BAG wurde die Themenfindung verstärkt, die Kommunikation zwischen den Sektionen intensiviert, bei den HTA-Verfahren die Anzahl der Konsultationen reduziert und es wurden Kurzberichtsformate getestet.

Nach den Angaben der Industrie betreffen rund 60 % der HTA Arzneimittel. Die Industrie wies darauf hin, dass die Arzneimittel bereits das am meisten geprüfte Segment des Gesundheitswesens sind ­ weil bei ihnen sowohl bei der SL-Aufnahme als auch bei der dreijährlichen Überprüfung eine Beurteilung den WZW-Kriterien vorgenommen wird ­, dass sie aber nur etwa 12 % der Gesamtkosten des Gesundheitswesens ausmachen.

Laut seiner Aussage betreffen rund 50 % der HTA Arzneimittel.

Das BAG hat eine 2020 gestrichene Konsultation der Stakeholder wieder eingeführt und informiert nun auch direkt die betroffenen Stakeholder (in diesem Fall die Zulassungsinhaberinnen) über die jeweiligen HTA.

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HTA aus der SL entfernt werden könnten oder ihre Anwendung klar eingeschränkt wird.

Im August 2023 zog der Bundesrat eine Zwischenbilanz des HTA-Programms.164 Er teilte mit, dass seit 2017 28 Berichte veröffentlicht worden sind, die zu 15 Vergütungsentscheiden und direkten Einsparungen in der OKP von bis zu 75 Millionen Franken pro Jahr geführt haben. Gemäss den Daten von der BAG-Webseite165 betrafen etwas mehr als die Hälfte der laufenden und abgeschlossenen Evaluationen direkt oder indirekt Arzneimittel. Dennoch führten erst drei arzneimittelbezogene HTA zu einer Änderung der Vergütung und noch keines zur Streichung eines Arzneimittels aus der SL. Gegenüber der Kommission betonte das EDI, dass «eine Schwierigkeit bei der raschen Umsetzung von Änderungen der Vergütung darin [besteht], dass die Zulassungsinhaberinnen die Möglichkeit haben, Verfahrens- und Parteirechte nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)166 wahrzunehmen» (vgl. auch Kap. 3.3 und Kap. 3.4.2).

Option einer unabhängigen HTA-Agentur Die GPK-S hat sich mit der Frage befasst, ob die Schaffung einer vom BAG unabhängige HTA-Institution nach ausländischem Vorbild sinnvoll wäre, um eine klarere Rollentrennung im Prüfungsverfahren zu gewährleisten (siehe auch Kap. 3.1.1). Diese Massnahme wurde von der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK) im Juli 2020 empfohlen, «um eine konsequente Trennung von HTAUntersuchungen und darauf basierenden Empfehlungen einerseits und politischen Entscheidungen andererseits zu ermöglichen.»167 Der NEK-Vizepräsident äusserte der GPK-S gegenüber die Ansicht, es sei nicht vertretbar, dass das BAG gleichzeitig für die Untersuchung, die Empfehlung und die Entscheidung zuständig ist.168

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HTA-Programm: Überprüfung medizinischer Leistungen dämpft Gesundheitskosten, Medienmitteilung des Bundesrates vom 30.8.2023.

Siehe BAG-Website: www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Leistungen und Tarife > Health Technology Assessment (HTA) > HTA-Projektübersicht (aufgerufen am 13.9.2023).

Bundesgesetz vom 20.12.1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021).

Medikamentenpreise ­ Überlegungen zum gerechten Umgang mit teuren neuen Medikamenten, Stellungnahme 35/2020 der NEK vom 2.7.2020. Siehe auch Medikamentenpreise ­ Überlegungen zum gerechten Umgang mit teuren neuen Medikamenten, Medienmitteilung der NEK vom 5.10.2020.

Anhörung der NEK vom 24.1.2022. Als Beispiel für eine unabhängige HTA-Institution nannte er das Swiss Medical Board (SMB), das zwischen 2011 und 2022 HTA-Berichte erstellt hat (www.swissmedicalboard.ch, aufgerufen am 14.9.2023). Träger des SMB war ein Verein, der sich unter anderem aus der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), Interpharma, Santésuisse und der Schweizerische Stiftung SPO Patientenorganisation zusammensetzte. Bis 2022 veröffentlichte das SMB in Zusammenarbeit mit universitären Instituten insgesamt 23 HTA-Berichte und 4 Vertiefungsstudien.

Das SMB stellte Mitte 2022 seine Aktivitäten ein, weil die vorgeschlagene Synergienutzung mit dem Bundesprogramm nicht zustande kam.

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Der Bundesrat bekundete 2014 seine Bereitschaft, die Option einer unabhängigen HTA-Agentur zu konkretisieren.169 Angesichts der unterschiedlichen Positionen der konsultierten Akteuren des Gesundheitswesens bei den Konsultationen zum betreffenden Projekt170, verzichtete er schliesslich auf diese Option und entschied sich für die Schaffung einer HTA-Sektion innerhalb des BAG (siehe oben). Das BAG gab an, dass die interne Lösung gewählt wurde, «weil sie am einfachsten und raschesten umgesetzt werden konnte und keine Gesetzesanpassungen notwendig waren. Auch stand sie im Einklang mit dem in den Vernehmlassungsantworten geäusserten Anliegen des Abstützens auf in universitären Instituten vorhandenem HTA-Know-how.»171 Das BAG betonte, dass es zwar Auftraggeber der Assessments ist, dass die HTA-Berichte jedoch von unabhängigen externen Agenturen verfasst werden, auf die es keinen Einfluss hat.172 Aus diesen Gründen hält es die Schaffung einer unabhängigen HTAInstitution für die Schweiz nicht für notwendig.

Im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags zur Kostenbremse-Initiative173 beschlossen die eidgenössischen Räte im September 2023, Artikel 32 KVG um einen neuen Absatz betreffend die Beurteilung der WZW-Kriterien zu erweitern.174 Bei der Behandlung im Nationalrat wurde beantragt, dass «der Bund verwaltungsunabhängige Dritte mit der Durchführung des Evaluationsverfahrens beauftragt»; dieser Antrag wurde in der Differenzbereinigung jedoch wieder fallen gelassen.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.1.

3.2.4

Differenzierte Prüfung der WZW-Kriterien

Der Bundesrat schlug dem Parlament im Rahmen der KVG-Revision «Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2»175 vor, Rechtsgrundlagen für eine differenzierte Prü-

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Antworten des Bundesrates auf die Motion 10.3353 (Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates [SGK-S], «Qualitätssicherung OKP») vom 19.5.2010 und die Motion 10.3451 (FDP-Liberale Fraktion, «Für eine effektive nationale HealthTechnology-Assessment-Agentur») vom 16.6.2010.

Ein Netzwerk für mehr Qualität in der Gesundheitsversorgung, Medienmitteilung des Bundesrates vom 13.5.2015.

Factsheet des BAG zuhanden der GPK-S vom 23.8.2021 (nicht veröffentlicht).

Das BAG wies darauf hin, dass der HTA-Prozess ein unabhängiger, nach transparenter und international etablierter Methodik durchgeführter wissenschaftlicher Prozess ist, der unter Einbezug der Stakeholder erfolgt und einer Peer-Review von unabhängigen Fach- und Methodik-Expertinnen und -Experten unterzogen wird.

Für tiefere Prämien ­ Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative).

Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag (Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung), Volksinitiative vom 10.11.2021 (21.067).

Art. 32 Abs. 3 KVG: «Leistungen, bei denen Anhaltspunkte bestehen, dass sie nicht oder nicht mehr wirksam, zweckmässig oder wirtschaftlich sind, werden anhand eines evidenzbasierten Verfahrens evaluiert. Das Evaluationsverfahren beruht auf transparenten Kriterien und den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist verhältnismässig.» Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2), Botschaft des Bundesrates vom 7.9.2022 (BBl 2022 2427), insbesondere Kap. 1.4, 4.1.2 und 4.3.2.

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fung der WZW-Kriterien zu schaffen.176 Er vertritt die Ansicht, dass nicht immer alle WZW-Kriterien in gleicher Tiefe geprüft werden sollen, sondern eine Differenzierung der WZW-Prüfung nach Leistungsart und nach Lebenszyklus einer Leistung177 möglich sein sollte. Eine solche Differenzierung würde es seiner Meinung nach eine Konzentration auf die Bereiche erlauben, bei denen erwartet werden kann, dass die Überprüfung einen Nutzen im Sinne einer besseren Kostenübernahme und Kostendämpfung bringt. So könnten beispielsweise sehr günstige Arzneimittel weniger häufig geprüft werden, um zu verhindern, dass sie mangels Rentabilität vom Markt verschwinden. Falls die Gesetzesänderung angenommen wird, beabsichtigt der Bundesrat, die detaillierte Ausgestaltung der differenzierten Prüfung178 auf Verordnungsstufe zu regeln.

In seiner Botschaft an das Parlament erklärte der Bundesrat, dass mit dieser Gesetzesänderung die Prüfung der WZW-Kriterien bei Arzneimitteln zu den verschiedenen Zeitpunkten des Lebenszyklus (z. B. Erstaufnahme, periodische Überprüfungen, Streichung) detaillierter ausgestaltet wird. Dementsprechend beantragte er die Abschreibung der drei Postulate, welche die GPK-S 2014 eingereicht hatte. Die GPK-S widersetzte sich dieser Abschreibung nicht, ist jedoch der Ansicht, dass es bei der Anpassung der Verordnungen noch mehrere Aspekte zu klären gibt (siehe Kap. 4).

Die Vorlage zur Revision des Gesetzeswurde in der Herbstsession 2023 im Nationalrat in erster Lesung behandelt. Dieser lehnte den Vorschlag des Bundesrates zur Einführung einer differenzierten Prüfung der WZW-Kriterien ab. Im Ständerat wird die Vorlage voraussichtlich im Jahr 2024 behandelt.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.1.

176

Vom Bundesrat vorgeschlagener neuer Art. 32 Abs. 3 KVG: «Der Bundesrat kann je nach Art der Leistung die Häufigkeit und den Umfang der Überprüfung von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit differenziert festlegen.» Dieser Vorschlag bezieht sich nicht nur auf den Arzneimittelbereich, sondern auf alle von der OKP zu vergütenden Leistungen, welche die WZW-Kriterien nach Art. 32 KVG zu erfüllen haben.

177 Z. B. Erstaufnahme, etablierte Anwendung, Überprüfung, Ablösung durch neue Leistungen.

178 Insbesondere welche Leistungen in welcher Art und Weise ­ je nach Zeitpunkt im Lebenszyklus einer Leistung ­ evaluiert werden sollen, denn «Tiefe und Aufwand einer WZW-Überprüfung sind höher, wenn neue Daten zu einer Leistung oder zu Therapiealternativen, wenn neue Leitlinien vorliegen oder wenn für eine Leistung ein HTA-Bericht erstellt wird.» Der Bundesrat legt die folgenden Leitlinien fest: «In allgemeiner Weise [wird] die erstmalige WZW-Prüfung einer Leistung grundsätzlich jeweils systematisch und vollständig durchgeführt. Bei der periodischen Überprüfung soll bezüglich der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit jeweils vor allem untersucht werden, ob seit der letzten Prüfung neue Studien mit Veränderungen der wissenschaftlichen Erkenntnisse oder der medizinischen Praxis vorliegen oder ob in klinischen Leitlinien gewisse Leistungen durch neue andere Leistungen ersetzt wurden. Solange dies nicht der Fall ist, besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, die Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit einer Leistung vertieft zu prüfen. Zusammengefasst erfolgt eine vertiefte Prüfung jeweils dann, wenn sich die Situation wesentlich verändert hat.»

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3.3

Dreijährliche Überprüfung der Medikamente

Gemäss Artikel 32 Absatz 2 KVG müssen die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen periodisch überprüft werden. Im Bereich der Medikamente findet diese Überprüfung alle drei Jahre statt (siehe Kap. 2). Die GPK-S forderte den Bundesrat 2014 auf, sich zu vergewissern, dass dabei eine umfassende Überprüfung der WZW-Kriterien vorgenommen wird (Empfehlung 7), was damals noch nicht der Fall war.179 Der Bundesrat kündigte zunächst an, einige punktuelle Anpassungen umzusetzen.180 Das Bundesgericht kam in seinem Urteil vom 14. Dezember 2015 allerdings zum Schluss, dass die Praxis des BAG nicht dem Gesetz entspricht: Das Bundesamt dürfe sich nicht auf einen APV beschränken, sondern müsse systematisch auch einen TQV durchführen.181 Dieser Entscheid zwang den Bundesrat, die Modalitäten der Überprüfung grundlegend zu überarbeiten. Nach einer Anpassung der Rechtsgrundlagen182 konnten die Überprüfungen ab 2017 wieder aufgenommen werden.

Durchführung der dreijährlichen Überprüfung Ab 2017 liess sich die GPK-S regelmässig über die Durchführung der Überprüfung durch das BAG informieren. Sie stellte fest, dass das neue Verfahren für das BAG in den ersten Jahren eine grosse Herausforderung bedeutete. Von 2017 bis 2020 war das Bundesamt nicht in der Lage, die Überprüfung innerhalb der in der Verordnung vorgesehenen Frist (1. Dezember)183 abzuschliessen, und war darum mehrfach zu Priorisierungen gezwungen.184 Der Bundesrat beschloss deshalb, dem BAG zusätzliche Ressourcen zu genehmigen, zudem wurde die zuständige Sektion neu organisiert (siehe Kap. 3.1.2). Wie die GPK-S feststellte, verbesserte sich daraufhin die Situation.

Dennoch gelang es auch in den Jahren 2021 und 2022 nicht, die Überprüfung bis zum 1. Dezember vollständig abzuschliessen.

Nach Angaben des Bundesrates und des BAG wurden in der ersten Überprüfungsrunde (2017­2019) jährliche Einsparungen von insgesamt rund 470 Millionen Franken realisiert, in der zweiten Runde (2020­2022) betrugen die jährlichen Einsparun-

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Die GPK-S hatte auf der Grundlage der PVK-Evaluation festgestellt, dass sich das BAG bei der dreijährlichen Überprüfung der Wirtschaftlichkeit in der Regel auf den APV beschränkte.

Stellungnahme des Bundesrates vom 27.8.2014 (BBl 2014 7839). Der Bundesrat kündigte insbesondere an, dass bei der Überprüfung unter bestimmten Bedingungen auch die Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit bewertet werden können.

BGE 9C_417/2015 vom 14.12.2015 Art. 65d KVV, Art. 34d­34h KLV Siehe Art. 34h KLV. Im Jahr 2017 wurde die Überprüfung rund drei Monate später abgeschlossen als geplant. In den Jahren 2018 und 2019 waren bis zum 1. Dezember 90 % der Überprüfungen abgeschlossen, die restlichen 10 % wurden in den nachfolgenden Monaten erledigt. 2020 konnten bis zum 1. Dezember nur rund 70 % der Arzneimittel überprüft werden (insbesondere wegen Personalwechseln sowie wegen der Inanspruchnahme des BAG durch die Covid-19-Pandemie).

Das BAG strich 2018 eine der jährlichen Sitzungen der EAK, sodass die Bearbeitung eines Teils der Aufnahmegesuche für neue Arzneimittel erst später erfolgen konnte.

Im Jahr 2020 schob es die Umsetzung von HTA-Berichten auf und verzichtete auf die Überprüfungen von Arzneimitteln, deren Patentschutz abgelaufen war.

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gen 270 Millionen Franken.185 Aufgrund der Überprüfung 2023 werden zusätzliche Einsparungen von mindestens 120 Millionen Franken erwartet.186 Gesamthaft betrachtet wurden bei 50 bis 60 Prozent der geprüften Arzneimittel Preissenkungen angeordnet.187 Anzumerken ist auch, dass die in der Periode 2012­2014 (d. h. vor Änderung der Überprüfungspraxis des BAG) durchgeführten Überprüfungen zu jährlichen Einsparungen in der Höhe von ca. 600 Millionen Franken führten.188 Unter Berücksichtigung dieser Zahlen belaufen sich die jährlichen Einsparungen für das Gesundheitssystem aufgrund der Überprüfung auf fast 1,5 Milliarden Franken.189 Herausforderungen bei der dreijährlichen Überprüfung Der GPK-S gegenüber nannte das BAG folgende Herausforderungen im Zusammenhang mit der dreijährlichen Überprüfung: erstens die grosse Zahl der jährlich zu überprüfenden Präparate (600­750, davon rund zwei Drittel Originalpräparate), zweitens die Komplexität einiger der zu überprüfenden Arzneimittel und drittens die Verfahrensschwierigkeiten, die mit der Gewährung des rechtlichen Gehörs und mit den von den Unternehmen eingereichten Beschwerden einhergehen.190 Das BAG verwies auf die «umfangreichen Stellungnahmen» der Unternehmen sowie auf die von diesen eingereichten Fristverlängerungsgesuche.191 Es hob seine Bemühungen hervor, die Effizienz der betreffenden Einheit zu steigern und ­ insbesondere mittels Informationsschreiben ­ die Transparenz seines Vorgehens zu erhöhen.

Die Pharmaindustrie kritisierte, dass sich das BAG bei der Überprüfung zu stark auf das Kriterium des günstigen Preises fokussiert, und bezeichnete die Praxis beim TQV als willkürlich (siehe auch Kap. 3.2.2). Sie begrüsste aber die jährlichen Meetings mit dem BAG zum Thema Überprüfung, die als konstruktiv angesehen werden und zu einem Rückgang der Beschwerdeverfahren geführt haben. Die Krankenversicherer ihrerseits lobten die Einsparungen, die durch die Überprüfungen erzielt werden konnten, und die diesbezügliche Transparenz des BAG. Sie bedauerten jedoch, dass einige Medikamente von der Überprüfung ausgenommen werden.192 Die GPK-S diskutierte mit den Akteuren die Frage, wie sich die dreijährliche Überprüfung auf die Versorgungssicherheit der Schweiz auswirkt. Die Industrie wies auf die Gefahr hin, dass einige Grundversorgungsprodukte durch Preissenkungen unter 185 186 187 188 189

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Senkung von Arzneimittelpreisen führt in den Jahren 2020­2022 zu Einsparungen von mindestens 250 Millionen Franken, Medienmitteilung des BAG vom 3.11.2022.

Arzneimittelüberprüfung 2023 ­ Bundesamt für Gesundheit senkt Preise, Medienmitteilung des BAG vom 2.11.2023.

Im Zeitraum 2020-2022 beliefen sich die Preissenkungen im Schnitt auf etwa 10 %.

Die Preise von Medikamenten sollen auf neue Art und Weise überprüft werden, Medienmitteilung des Bundesrates vom 6.7.2016.

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht vertraten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) die Auffassung, dass «die Pharmaindustrie die einzige Akteurin im Schweizer Gesundheitswesen [ist], die mit den institutionalisierten Preisüberprüfungen einen bedeutenden Beitrag zur Kostendämpfung leistet».

Die GPK-S stellte allerdings eine Abnahme der Anzahl Beschwerden im Laufe der Jahre fest (34 in den Jahren 2017/18, 13 im Jahr 2020, 7 im 2021).

Anhörung des BAG vom 4.7.2022.

Gemäss Art. 34d Abs. 2 KLV sind Originalpräparate, die bereits einer Preisüberprüfung aufgrund einer Indikationserweiterung oder einer Änderung oder Aufhebung einer Limitierung unterzogen wurden oder die am 1. Januar des Überprüfungsjahres seit weniger als 13 Monaten in der SL gelistet sind, von der Überprüfung ausgenommen.

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die Gewinnschwelle fallen und vom Markt verschwinden.193 Ihrer Meinung nach wäre es wünschenswert, eine Gesamtbilanz der Wirksamkeit der Überprüfung zu erstellen, die auch berücksichtigt, dass einige Produkte vom Markt zurückgezogen und durch andere, teurere Produkte ersetzt werden. Das BAG teilte der GPK-S mit, dass es bei der Überprüfung auch der Versorgungssicherheit viel Aufmerksamkeit schenkt und deshalb in den vergangenen Jahren bei lebenswichtigen und bereits günstigen Produkten in Ausnahmefällen auf eine Preissenkung verzichtete.194 Die Krankenversicherer betonten ihrerseits, dass die Versorgungsprobleme in der Schweiz vor allem auf Schwachstellen in der Logistikkette und nicht auf die Preise zurückzuführen seien, die oft immer noch höher seien als im Ausland.

Für die Industrie ist es im Hinblick auf die Planung problematisch, dass es jährlich mehrere Termine für die Preissenkungen gibt und die Preise erst spät kommuniziert werden: Die Gefahr von Wertverlusten im Logistikmanagement würde die Akteure dazu veranlassen, ihre Lagerbestände zu reduzieren, wodurch wiederum das Risiko für Versorgungsengpässe steige.

Beurteilung der WZW-Kriterien Bei ihrer Nachkontrolle stellte die GPK-S fest, dass das BAG bei der Überprüfung den Fokus weiterhin auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit (APV und TQV) legt.

Das BAG erklärte dazu, dass es auch die Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit überprüft,195 dass es zu diesen beiden Kriterien aber oft keine relevanten neuen Daten gibt und es nicht möglich ist, alle zu überprüfenden Arzneimittel einer vertieften Prüfung zu unterziehen. Es stellte jedoch klar, dass bei Zweifeln an der Wirksamkeit oder Zweckmässigkeit eines Arzneimittels eine vertiefte Prüfung in Form eines HTA angeordnet werden kann (siehe Kap. 3.2.3).196 Das BAG wies darauf hin, dass eine Überprüfung der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit vor allem bei relativ alten Arzneimitteln angebracht wäre, dass diese aufgrund ihrer tiefen Umsatzzahlen oft aber nur ein geringes Einsparpotenzial aufweisen.

Überprüfung nach Patentablauf Gemäss KVV ist das BAG verpflichtet, unmittelbar nach Ablauf des Patentschutzes umfassend zu prüfen, ob das betreffende Arzneimittel die Aufnahmebedingungen

193

Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht machten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) die folgenden Elemente geltend: «Bei den Preisüberprüfungen wird von der Verwaltung generell angestrebt, die Preise in Richtung 0 zu senken. Dies kann zur Folge haben, dass Marktrückzüge weiter beschleunigt werden.» 194 Laut den vom BAG vorgelegten Zahlen wurden von 2019 bis 2022 87 Gesuche um Verzicht auf eine Preissenkung genehmigt (und 13 abgelehnt). Im selben Zeitraum wurden zudem 27 Gesuche um Preiserhöhungen für Medikamente ohne gleichwertiger Therapiealternative genehmigt. Die Preiserhöhungen werden jedoch nicht bei der dreijährlichen Überprüfung gewährt (da Preiserhöhungen in diesem Rahmen gemäss Art. 65d KVV untersagt sind). Es handelt sich dabei um ein separates Verfahren.

195 Insbesondere anhand von Arbeiten von HTA-Instituten oder von im Ausland durchgeführten Gutachten.

196 Das BAG führte mehrere Beispiele von Fällen an, in denen die HTA-Ergebnisse bei den nachfolgenden Überprüfungen berücksichtigt werden konnten.

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noch erfüllt.197 Diese Regel ist eine Anpassung an die Rechtsprechung des BGer von 2016, gemäss der diese Überprüfungen eine eingehende Prüfung nach den WZWKriterien umfassen müssen. Die GPK-S stellte fest, dass das BAG von 2016 bis 2018 aufgrund der begrenzten Personalressourcen und der Priorisierung der dreijährlichen Überprüfungen nicht in der Lage war, die Überprüfungen nach Patentablauf fristgerecht durchzuführen. Bei den meisten der betroffenen Arzneimittel wurde die übliche dreijährliche Überprüfung vorgenommen. Ab 2019 konnte das BAG diese Fälle wieder separat überprüfen. Der Bundesrat schlug 2022 vor, auf eine systematische Überprüfung nach Ablauf des Patentschutzes zu verzichten, da sämtliche Arzneimittel der SL ohnehin alle drei Jahre überprüft würden.198 Nach der Vernehmlassung zu den entsprechenden Verordnungsänderungen beschloss er aber, an diesen Überprüfungen festzuhalten, da diese raschere Einsparungen zugunsten der OKP möglich machten.199 Perspektiven bezüglich Überprüfung Der Bundesrat schlug dem Parlament im Rahmen der KVG-Revision «Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2» vor, Rechtsgrundlagen für eine differenzierte Prüfung der WZW-Kriterien zu schaffen (siehe Kap. 3.2.4). Gemäss Bundesrat sollte diese Anpassung insbesondere eine differenziertere Regelung der Arzneimittelüberprüfung ermöglichen, so könnten beispielsweise bestimmten Präparate weniger häufig überprüft werden. Weiter sollte es auch möglich werden, bei der Überprüfung auf eine gründliche Beurteilung der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit zu verzichten, wenn es keine Hinweise auf diesbezügliche Mängel oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt.200 In den letzten Jahren haben mehrere Akteure des Gesundheitswesens gefordert, dass Arzneimittel jährlich und nicht nur alle drei Jahre überprüft werden.201 Der Bundesrat erklärte, dass diese Möglichkeit gegebenenfalls bei der Umsetzung der Vorlage zur differenzierten Prüfung der WZW-Kriterien geprüft werden kann. Er wies die GPK-S jedoch darauf hin, dass eine jährliche Überprüfung beim BAG zu einem erheblich 197 198 199

200

201

Art. 65e KVV; siehe auch Art. 37 KLV. In den letzten Jahren waren es zwischen 5 und 20 Arzneimittel pro Jahr.

Arzneimittel: Gleichbehandlung und Zugang sollen verbessert werden, Medienmitteilung des Bundesrates vom 3.6.2022 (siehe auch Factsheet des BAG vom 3.6.2022).

BAG: KVV und KLV, Änderungen per 1.1.2024. Bericht der Verwaltung vom 15.6.2023 über die Auswirkungen der Änderungen, namentlich über die Einsparungen für OKP.

Der Bundesrat schlug auch eine Änderung der Verordnungsbestimmungen über die Berücksichtigung des Patentstatus beim TQV vor. Bisher wurden einerseits patentgeschützte und andererseits patentabgelaufene Vergleichspräparate untereinander verglichen. Da das Bestehen patentrechtlicher Schutzansprüche teilweise schwer überprüfbar ist, schlug der Bundesrat vor, das Kriterium des Patentschutzes zu ersetzen und eine Frist als Kriterium zu verwenden (15 Jahre seit Swissmedic-Zulassung der ersten Handelsform des Originalpräparates oder seit Aufnahme des Generikums oder Biosimilars). Auf diese Anpassung wurde allerdings aufgrund des Widerstands in der Vernehmlassung verzichtet.

Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2), Botschaft des Bundesrates vom 7.9.2022 (BBl 2022 2427), insbesondere Kap. 1.4, 4.1.2 und 4.3.2.

Diese Massnahme wurde unter anderem im Expertenbericht zu den Gesundheitskosten aus dem Jahr 2017 empfohlen (Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, Bericht der Expertengruppe vom 24.8.2017, Massnahme Nr. 30). Auch die Krankenversicherer haben sich für diese Massnahme ausgesprochen, insbesondere bei neuen, teuren Medikamenten, deren Preis rasch sinkt.

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höheren Ressourcenbedarf führen würde und dass die erwarteten Einsparungen begrenzt wären, da die Preise der meisten Medikamente im Ausland kurzfristig kaum variieren.202 Aus seiner Sicht hätte eine häufigere Prüfung vor allem bei neuen, teuren Medikamenten Sinn.

Der Nationalrat lehnte den Vorschlag des Bundesrates zur Einführung einer differenzierten Prüfung nach den WZW-Kriterien in der ersten Lesung der Revisionsvorlage im Herbst 2023 ab (vgl. Kap. 3.2.4). Er beschloss aber, dass bestimmte Leistungen von der periodischen Überprüfung ausgenommen werden können, wenn diese einen geringen Umsatz aufweisen oder die Versorgung gefährdet ist.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.2.

3.4

Sonderfälle bei der Aufnahme und der Überprüfung

3.4.1

Befristete Aufnahmen

Die KVV sieht vor, dass das BAG ein vielversprechendes Arzneimittel, dessen Wirksamkeit, Zweckmässigkeit oder Wirtschaftlichkeit sich noch in Abklärung befindet, befristet in die SL aufnehmen kann.203 Die GPK-S hatte dem Bundesrat 2014 empfohlen, die befristete Aufnahme von Medikamenten in der Spezialitätenliste transparent auszuweisen und dafür zu sorgen, dass diejenigen Medikamente, welche die gesetzlichen WZW-Kriterien nicht erfüllen, nach erfolgter Evaluation konsequent von der Kassenpflicht ausgeschlossen werden (Empfehlung 4).

Die GPK-S stellte bei der Nachkontrolle fest, dass das BAG bei den Entscheiden für eine befristete Aufnahme die Transparenz erhöht hat (siehe Kap. 3.1.4).204 Sie bemerkte jedoch auch, dass die Zahl der befristeten Aufnahmen in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen ist. Gemäss Bundesrat führt die Beschleunigung der Aufnahmeverfahren dazu, dass für viele Arzneimittel nur erste vorläufige Daten zu den WZW-Kriterien vorliegen205, weshalb die Aufnahme dieser Arzneimittel in die SL mit Auflagen verbunden werden muss. Die betreffenden Arzneimittel werden vor Ablauf der Befristung (in der Regel innerhalb von ein bis drei Jahren) einer vertieften

202

Laut Bundesrat sind es vor allem die Preise der neuen Arzneimittel, die im Ausland in den ersten Jahren in der Regel deutlich sinken. Er wies darauf hin, dass sich das BAG bei diesen Medikamenten oft für eine befristete Aufnahme mit Überprüfungspflicht entscheidet (siehe Kap. 3.4.1), was eine rasche Preisanpassung und damit erhebliche Einsparungen ermöglicht.

203 Art. 65 Abs. 5 KVV in Verbindung mit Art. 33 Abs. 3 KVG. Dies gilt für Arzneimittel, für die es keine therapeutische Alternative gibt oder die eine bessere Wirksamkeit im Vergleich zu bestehenden Therapien versprechen.

204 Heute werden die Grundlagen der WZW-Beurteilung sowie die Dauer der befristeten Aufnahmen vom BAG systematisch veröffentlicht.

205 Laut Bundesrat und BAG fehlen oft noch Daten zu relevanten Kriterien der Wirksamkeit, wie zum Gesamtüberleben, und auch Daten für eine Langzeitanwendung werden erst spät vorgelegt. Auch kann die Zweckmässigkeit noch nicht definitiv bejaht werden, wenn der Platz des Arzneimittels im Behandlungsprozess noch unklar ist. Zudem kommt es immer häufiger vor, dass die Wirtschaftlichkeit aufgrund der hohen Anfangskosten des Arzneimittels und der unzureichenden Daten über die Auslandpreisen nicht gegeben ist.

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Überprüfung unterzogen.206 Der Bundesrat zieht eine insgesamt positive Bilanz dieser Praxis: Sie gewährleiste einen flexiblen und raschen Zugang zu neuen Therapien bei gleichzeitiger Kostenkontrolle. Zudem konnten nach Aussage des Bundesrates dank der Überprüfungen vor Ablauf der Befristung rasche Preissenkungen vorgenommen und Einsparungen in der Höhe von mehreren Dutzend Millionen Franken pro Jahr erzielt werden. Der Bundesrat betonte, dass dank der Praxis der befristeten Aufnahmen neue, teure Medikamente häufiger als alle drei Jahre überprüft werden können.

Die GPK-S stellte jedoch auch fest, dass ein Medikament nach Ablauf der Befristung nur selten aus der SL gestrichen wird.207 Dem Bundesrat zufolge ist dies darauf zurückzuführen, dass die WZW-Kriterien in der Regel schon vor Befristungsablauf als erfüllt angesehen werden können. In den Fällen, in denen dem BAG immer noch nicht genügend gesicherte Daten für eine endgültige WZW-Beurteilung vorliegen, wird das Arzneimittel erneut befristet zugelassen; bei Bedarf kann das BAG ein vertieftes HTA in Auftrag geben. Es gibt keine besonderen Regeln für die Verlängerung einer befristeten Aufnahme. Eine Höchstzahl an befristeten Aufnahmen festzulegen, erachtet der Bundesrat jedoch nicht als angezeigt, da die meisten befristet in die SL aufgenommenen Arzneimittel nach höchstens zwei Befristungen definitiv in die SL aufgenommen würden.208 Der Bundesrat räumte ein, dass es in der Praxis schwierig ist, ein befristet aufgenommenes Produkt aus der SL zu streichen, da einige Patientinnen und Patienten bereits auf das Medikament eingestellt sind.209 Dies ist seiner Meinung nach ein Grund mehr, die Arzneimittel sehr sorgfältig zu prüfen, bevor sie in die SL aufgenommen werden.

Der Bundesrat wies auch darauf hin, dass ein Arzneimittel, das nach Ablauf der Befristung aus der SL gestrichen wurde,210 gestützt auf Artikel 71a bis Art. 71d KVV vergütet werden kann (siehe Kap. 3.4.4).

Der GPK-S gegenüber beurteilten die Krankenversicherer die Praxis des BAG bezüglich der befristeten Aufnahme insgesamt als positiv. Sie äusserten jedoch den Wunsch nach einer transparenteren Zugänglichkeit des entsprechenden Registers des BAG, um einen langfristigen Überblick zu ermöglichen. Aus Sicht der Industrie können befristete Aufnahmen in begründeten Einzelfällen sinnvoll
sein. Die Dachverbände der Industrie betonen jedoch, dass die ansteigende Anzahl der befristeten Aufnahmen zu einer höheren Arbeitsbelastung beim BAG führt. Aus diesem Grund würden wichtige Ressourcen für den Vergütungsprozess von neuen Arzneimitteln fehlen. Dies führe zu administrativem Mehraufwand und höheren Kosten beim BAG, bei den Mitgliedern der EAK und bei den Zulassungsinhaberinnen.

Im Zusammenhang mit der befristeten Aufnahme vertiefte die GPK-S auch die Möglichkeit einer frühzeitigen Vergütung zu einem vorläufigen Preis (siehe Kap. 3.1.5).

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.2.

206 207 208 209 210

Diese Überprüfung muss getrennt von der dreijährlichen Überprüfung durchgeführt werden.

Von 2014 bis 2019 wurden z. B. nur drei Arzneimittel sowie eine Indikation für zwei weitere Arzneimittel nach Ablauf der Befristung nicht mehr übernommen.

Eine Ausnahme bilden die Arzneimittel mit Preismodellen. Sobald ein Preis ohne Preismodell angewendet werden kann, entfällt aber auch bei diesen die Befristung.

Diese Problematik hatte die PVK bereits in ihrer Evaluation von 2013 festgestellt.

Zum Beispiel, weil sein Preis immer noch zu hoch ist.

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3.4.2

Streichung von Medikamenten aus der SL

Die GPK-S stellte 2014 fest, dass in den Jahren zuvor kein einziges Medikament aufgrund einer negativen WZW-Beurteilung durch das BAG von der SL gestrichen wurde. Sie forderte den Bundesrat per Postulat (Po. 14.3297)211 auf, zu prüfen, mit welchen Massnahmen dafür gesorgt werden kann, dass Medikamente, die nicht mehr die WZW-Kriterien erfüllen, tatsächlich von der SL gestrichen werden.

Im Rahmen der Nachkontrolle teilte der Bundesrat mit, dass zwischen 2014 und 2018 jährlich 90 bis 180 Medikamente von der SL gestrichen wurden. Die meisten Streichungen seien entweder auf Antrag des Zulassungsinhabers oder aufgrund einer Anordnung des BAG erfolgt.212 In einigen Fällen hätten die Unternehmen das Medikament wegen einer Preissenkung nach der dreijährlichen Überprüfung zurückgezogen.213 In einigen wenigen Fällen habe das BAG ein Medikament von der SL gestrichen, weil bei der periodischen Überprüfung festgestellt worden sei, dass die Kriterien der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit nicht mehr erfüllt sind.214 Nach Ansicht des Bundesrates haben die Verordnungsänderungen, die 2017 in Sachen Überprüfung (siehe Kap. 3.3) und HTA-Entwicklung (siehe Kap. 3.2.3) in Kraft traten, die Prüfung nach den WZW-Kriterien und somit die Möglichkeit der Streichung von der SL verbessert. Der Bundesrat ist ausserdem der Auffassung, dass die Einführung einer differenzierten Prüfung der WZW-Kriterien (siehe Kap. 3.2.4) ebenfalls zur Erleichterung der Streichungen beitragen würde.

Der Bundesrat und das BAG wiesen gegenüber der GPK-S aber darauf hin, dass es sehr schwierig ist, Medikamente von der SL zu streichen, zum einen, weil die Patientinnen und Patienten an die Medikamente gewöhnt sind, zum anderen wegen des Widerstands der Pharmaindustrie. Die Pharmaindustrie geht ihrerseits davon aus, dass die Anzahl der Streichungen aufgrund der Verordnungsanpassungen weiter zunehmen wird, «was sich negativ auf die Versorgungssicherheit von neuen und etablierten Wirkstoffen auswirkt.» Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.3.

3.4.3

Festlegung von Rabatten in der Limitation und Preismodelle

Die PVK ermittelte bei ihrer Evaluation von 2013 einzelne Fälle, in denen das BAG für ein Medikament hohe öffentliche Rückvergütungspreise festgelegt, den Krankenversicherern in der Limitation aber Rabatte eingeräumt hatte. Die GPK-S wunderte sich über diese Zweckentfremdung der Limitation und ersuchte den Bundesrat, diese Praxis zu überprüfen (Empfehlung 5). Dieser kam zum Schluss, dass dieses Vorgehen 211

Po. 14.3297 der GPK-S vom 14.5.2014 («Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste» [3]).

212 Weil das Medikament auf dem Markt nicht mehr verfügbar oder nicht mehr von Swissmedic zugelassen war.

213 22 Medikamente in den Jahren 2017 und 2018.

214 Dies führte 2017/18 zu 9 Streichungen und 12 Limitationsanpassungen.

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in bestimmten Fällen sinnvoll und rechtmässig sein kann.215 Er erkannte keinen Handlungsbedarf, da damals nur zwei bis drei Medikamente betroffen seien und das BAG diese Praxis nur mit Zurückhaltung anwende.

Die GPK-S stellte bei ihrer Nachkontrolle fest, dass die Praxis der «Preismodelle»216 in der Schweiz in den letzten Jahren stark zugenommen hat und dass diese Modelle immer häufiger vertraulich sind.217 Der Bundesrat erklärte der Kommission, dass solche Preismodelle im Ausland üblich sind und es ohne deren Einführung in der Schweiz nicht mehr möglich ist, den Zugang zu neuen wirksamen Therapien zu wirtschaftlichen Preisen zu gewährleisten. Diese Praxis sei auch angesichts der zunehmenden Komplexität der Medikamente, der steigenden Zahl der Kombinationstherapien218 und der Medikamente, bei denen wegen unterschiedlicher Verwendungszwecke verschiedene Rückvergütungsbeträge bestehen, erforderlich. Ferner seien die Unternehmen nur bereit, Rabatte zu gewähren, wenn die Preismodelle vertraulich sind.219 Dank diesen Preismodellen könne man sich rascher auf Rückvergütungsbeträge einigen, welche das Kriterium der Wirtschaftlichkeit erfüllen (siehe Kap. 3.2.2), und so die Dauer des Aufnahmeverfahrens verkürzen (siehe Kap. 3.1.3).

Der Bundesrat hat im Rahmen der KVG-Revision «Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2»220 vorgeschlagen, die Rechtsgrundlagen für die Preismodelle zu stärken und vorzusehen, dass die entsprechenden Informationen nicht mehr öffentlich

215 216

217

218

219

220

Namentlich bei Medikamenten, die in unterschiedlichen Anwendungsbereichen und Kombinationen zum Einsatz kommen.

Diese Praxis besteht darin, für die Medikamente einen öffentlichen Rückvergütungspreis (auch «Schaufensterpreis» genannt) festzulegen und mit den Pharmaunternehmen einen Rabatt zu vereinbaren, den diese den Krankenversicherern gewähren. Hohe Schaufensterpreise sind im Interesse der Pharmaindustrie, da sie für die Festlegung der Preise im internationalen Vergleich verwendet werden. Preismodelle gibt es in unterschiedlichen Formen: z. B. Modelle mit Mengenlimitationen (maximal rückvergütbarer Jahresumsatz), Modelle mit maximal rückvergütbarem Betrag pro Behandlung und Patient/in («Capping») oder Modelle, bei denen der Preis an die Menge gekoppelt wird und ab einer bestimmten Menge Preisrabatte gelten.

Anfangs gab das BAG in der Limitation den vereinbarten Rabatt an. Ab 2019 verzichtete das Bundesamt bei einigen Medikamenten aber immer häufiger darauf, die Rabatte zu veröffentlichen. Im Jahr 2020 gab es bei einem halben Dutzend Medikamenten vertrauliche Rabatte.

Das BAG erwähnte gegenüber der GPK-S z. B. eine innovative Kombinationstherapie mit zwei Medikamenten à je 40 000 Franken. In der SL sind als Preis für diese Kombinationstherapie 70 000 Franken festgelegt. Parallel dazu ist mit den betroffenen Pharmaunternehmen ein vertraulicher Rabatt in Höhe von 20 000 Franken vereinbart.

Das BAG erklärte der Kommission, dass die Preistransparenzpolitik der Schweiz die Pharmaunternehmen davon abhält, Gesuche für innovative Medikamente einzureichen, bzw. dass die Unternehmen eher darauf verzichten, ihre Medikamente in der Schweiz anzubieten, als einen zu tiefen öffentlichen Vergütungspreis zu akzeptieren.

Botschaft des Bundesrates vom 7.9.2022 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (BBl 2022 2427), insbesondere Kap. 4.1.3, 4.1.4, 4.2.3, 4.2.4, 4.3.3 und 4.3.4.

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zugänglich sind.221 Die entsprechenden Anträge wurden vom Nationalrat in der Herbstsession 2023 erstberaten und grösstenteils angenommen.222 Die GPK-S thematisierte die Vor- und Nachteile der Preismodelle punktuell mit den verschiedenen Gesundheitsakteuren. Da dieser Aspekt jedoch vom Parlament und den zuständigen Sachbereichskommissionen behandelt wird, hat sie auf eine Vertiefung im vorliegenden Bericht verzichtet.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.3.

3.4.4

Einzelfallvergütung

Die GPK-S stellte in ihrer Nachkontrolle fest, dass viele Medikamente, die (noch) nicht von Swissmedic zugelassen oder (noch) nicht in die SL aufgenommen sind, gemäss den Artikeln 71a bis 71d KVV zulasten der OKP abgerechnet werden.223 In diesen Fällen wird der Rückvergütungsbetrag vom Krankenversicherer nach Konsultation des Zulassungsinhabers und der Vertrauensärztin bzw. des Vertrauensarztes einzeln festgelegt.

Das BAG erklärte gegenüber der GPK-S, dass die Einzelfallvergütung ­ neben der regulären Aufnahme in die SL ­ eine Option darstellt, dank der lebensnotwendige und innovative Medikamente sehr rasch, gegebenenfalls sogar vor der endgültigen Zulassung durch Swissmedic, zulasten der OKP abgerechnet werden können.224 Die Krankenversicherer bezeichneten es gegenüber der GPK-S als eher positiv, dass die Möglichkeit besteht, in Sonderfällen Medikamente zu vergüten, die noch nicht in die SL aufgenommen sind. Sie betonten allerdings, dass damit ein erheblicher Arbeitsaufwand verbunden ist, da es jeweils ein spezifisches Gesuch des betreffenden Leistungserbringers (z. B. den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin) braucht. Die Pharmaindustrie sieht diese Option hingegen kritisch, da diese in ihren Augen «missbräuchlich» genutzt wird, um Verzögerungen bei der Aufnahme in die SL abzubauen. Sie erachtet dieses Verfahren nicht als geeignet für die Übernahme der Kosten für neue innovative Therapien.225

221 222

Neue Bestimmungen Art. 52b und 52c KVG.

Der Nationalrat beschloss, Art. 52c um folgenden Absatz über die Kontrolle der vertraulichen Preismodelle zu ergänzen: «Das BAG erstellt und publiziert regelmässig einen von einem unabhängigen Gremium erarbeiteten Bericht über die Umsetzung der Preismodelle.» 223 Laut BAG betrifft diese Regelung rund 40 000 Einzelfälle pro Jahr, von denen ca. 80 Prozent eine Off-Label-Nutzung von Medikamenten darstellen, d. h. eine Nutzung von Medikamenten, die (noch) keine Zulassung von Swissmedic haben.

224 Unter der Voraussetzung, dass keine angemessene Therapiealternative besteht und ein hoher Nutzen erwartet werden kann. Laut BAG kann auf diese Weise die sogenannte «Submission Gap» überwunden werden, d. h. auf die Fälle reagiert werden, in denen Medikamente bereits von einer ausländischen Heilmittelbehörde zugelassen wurden, das betreffende Unternehmen aber noch kein Zulassungsgesuch in der Schweiz gestellt hat.

225 Die Industrie kritisiert insbesondere, dass auf diese Weise die anfängliche Bewertung innovativer Präparate an die Krankenversicherer ausgelagert wird. Dies berge die Gefahr einer Ungleichbehandlung der Patientinnen und Patienten.

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Der Bundesrat kam auf der Grundlage einer Evaluation von 2020226 zum Schluss, dass die Modalitäten der Einzelfallvergütung präzisiert werden müssen, um eine einheitliche Praxis der Krankenversicherer und somit die Gleichbehandlung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen.227 Im Jahr 2022 schickte er entsprechende Vorschläge für Änderungen der KVV und der KLV in die Vernehmlassung. Diese stiessen bei den Vernehmlassungsteilnehmenden jedoch auf heftige Kritik. Nach der Anpassung mehrere Punkte verabschiedete der Bundesrat die Vorlage im September 2023.228 Da die Einzelfallvergütung nur indirekt mit der Praxis des BAG für die Aufnahme von Medikamenten in die SL zu tun hat, hat die GPK-S diesen Aspekt nicht weiter vertieft.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.3.

3.4.5

Aufnahme und Überprüfung von Generika

Die Festlegung und die Überprüfung des Rückvergütungsbetrags für Generika229 sind in Artikel 65c KVV und Artikel 34g KLV230 geregelt. Die GPK-S ersuchte den Bundesrat 2014, zu prüfen, mit welchen Massnahmen griffigere Anreize für die Senkung der Preise von Generika und den entsprechenden Originalpräparaten sowie für die vermehrte Verschreibung von Generika geschaffen werden können. Sie forderte ihn insbesondere auf, zur Einführung eines Referenzpreissystems231 Stellung zu nehmen (Empfehlung 8).

Der Bundesrat folgte dieser Empfehlung und schlug im Rahmen der KVG-Revision «Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 1»232 ein Referenzpreissystem für Medi-

226

227

228

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231 232

Kägi, W. / Brugger, C. / Bollag, Y. / Frey, M. / Möhr, T.: Evaluation der Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall nach den Art. 71a­71d KVV. BSS Volkswirtschaftliche Beratung und asim. Evaluation im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit, 24.7.2020.

Die Notwendigkeit einer gerechten Regelung des Zugangs zu Medikamenten im Off-Label-Use (d. h. ohne Zulassung von Swissmedic) wurde auch von der NEK in deren Stellungnahme von 2020 zu den kostspieligen Medikamenten unterstrichen (siehe Kap. 3.5).

Der Bundesrat fördert Generika und Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.9.2023. Die Änderungen betreffen insbesondere die Nutzung eines gemeinsamen Instruments für die Nutzenbewertung für alle Krankenversicherer, die Möglichkeit der Krankenversicherer, gemeinsame Nutzenbewertungen vorzunehmen, den Einbezug klinischer Fachleute in die Ausarbeitung der Grundlagen für die Nutzenbewertung und die Definition der Kriterien für die Preisfestlegung.

Als Generikum gilt ein Arzneimittel, das aufgrund identischer Wirkstoffe sowie seiner Darreichungsform und Dosierung mit dem Originalpräparat (dessen Patentschutz ausgelaufen ist) austauschbar ist.

Bei der Prüfung der Generika konzentriert sich das BAG auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit, da es davon ausgeht, dass die Wirksamkeit und die Zweckmässigkeit gleich sind wie beim Originalpräparat.

Ein Referenzpreissystem bedeutet, dass Medikamente mit den gleichen Wirkstoffen von den Krankenkassen nur zum Preis des günstigsten Präparats vergütet werden.

Botschaft des Bundesrates vom 21.8.2019 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (BBl 2019 6071), siehe Kap. 1.2.4, 2.1.4, 2.2.4, 2.3.4, 4.1.4 und 4.3.4.

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kamente vor, deren Patent abgelaufen ist.233 Die eidgenössischen Räte lehnten diesen Vorschlag bei der Behandlung der Vorlage zwischen 2020 und 2022 allerdings ab und bevorzugten stattdessen verschiedene andere Massnahmen zur Förderung der Verwendung von Generika.234 Im Jahr 2022 führte der Bundesrat zu verschiedenen weiteren Änderungen der KVV und der KLV betreffend die Festlegung des Preises von Generika und Biosimilars eine Vernehmlassung durch.235 Nach Kritik im Vernehmlassungsverfahren beschloss der Bundesrat, die Vorlage in mehreren Punkten anzupassen. Er verabschiedete die entsprechenden Verordnungsänderungen im September 2023.236 Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.3.

3.5

Ethische Fragen im Zusammenhang mit den Medikamentenpreisen

Die starke Zunahme von Aufnahmegesuchen für kostspielige Medikamente wirft verschiedene ethische Fragen im Zusammenhang mit dem gerechten Zugang zu Behandlungen auf. Die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK) veröffentlichte 2020 auf Ersuchen des BAG eine Stellungnahme zu diesem Thema.237 Die GPK-S tauschte sich diesbezüglich mit dem Vizepräsidenten der NEK und dem BAG aus.

Die NEK ist der Ansicht, dass die Anwendung der WZW-Kriterien zukünftig kaum ausreichen wird, um die Kosten im Rahmen eines akzeptablen Budgets halten zu können. Angesichts der begrenzten Ressourcen sind in ihren Augen Begrenzungen hinsichtlich des Zugangs zu neuen teuren Medikamenten unabdingbar. Vor diesem Hintergrund formulierte sie in ihrer Stellungnahme «inhaltliche und verfahrensbezogene Überlegungen zur Ausgestaltung möglichst gerechter und für die Bevölkerung nachvollziehbarer Grenzziehungen». Neben der Nutzenmaximierung seien die Prinzipien 233 234

235

236

237

Der Bundesrat schlug die Festlegung eines Höchstvergütungsbetrags vor, falls mindestens drei Medikamente die gleiche Wirkstoffzusammensetzung aufweisen.

Die eidgenössischen Räte beschlossen insbesondere, das Substitutionsrecht der Apothekerinnen und Apotheker zu erweitern, indem sie die Möglichkeit erhalten, auch andere teure Arzneimittel mit biologischen Wirkstoffen durch günstigere wirkstoffgleiche Arzneimittel zu ersetzen und den Import von Generika zu erleichtern.

Nach Ablauf von Patent- und Unterlagenschutz von Originalmedikamenten kommen für chemische Wirkstoffe Generika auf den Markt. Für biologische Wirkstoffe sind dies sogenannte Biosimilars.

Der Bundesrat fördert Generika und Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln, Medienmitteilung des Bundesrates vom 22.9.2023. Die Änderungen betreffen insbesondere die Erhöhung des Preisabstandes zum Originalpräparat bei der Aufnahme von Generika, deren Wirkstoffe einen Marktumsatz von vier bis acht Millionen Franken generieren, die Erhöhung der Preisabstände zum Originalpräparat für alle Generika bei deren Überprüfung, die Einführung von gestuften Preisabständen bei Biosimilars (entsprechend dem Modell bei den Generika) und die Erhöhung des Selbstbehalts bei Medikamenten, die deutlich teurer sind als andere wirkstoffgleiche Produkte.

NEK: Medikamentenpreise ­ Überlegungen zum gerechten Umgang mit teuren neuen Medikamenten, Stellungnahme Nr. 35/2020 vom 2.7.2020. Siehe auch «Medikamentenpreise ­ Überlegungen zum gerechten Umgang mit teuren neuen Medikamenten», Medienmitteilung der NEK vom 5.10.2020.

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der Achtung der Menschenwürde, der Solidarität, der medizinischen Bedürftigkeit, sowie der Grundrechte, namentlich der Rechtsgleichheit und des Diskriminierungsverbots, zu berücksichtigen.238 Um sicherzustellen, dass die Begrenzungen demokratisch legitimiert und transparent sind, sollten nach schwedischem Vorbild239 «faktenbasierte öffentliche Debatten» über den Zugang zu neuen Medikamenten angeregt werden. Diese Massnahme soll angesichts der schwierigen künftigen Entscheide «das solidarische Bewusstsein und Handeln in der Gesellschaft» fördern. Ausserdem empfiehlt die NEK, die Kriterien für die Aufnahme von Medikamenten in die SL durch eine Verankerung im Gesetz demokratisch stärker zu legitimieren und eine vom BAG unabhängige HTA-Institution zu schaffen (siehe Kap. 3.2.3).240 Ferner hebt die NEK hervor, dass ein Anstieg der Gesundheitskosten aufgrund neuer teurer Medikamente negative finanzielle Auswirkungen auf andere sozialpolitische Bereiche haben und so langfristig das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gefährden könnte.241 Das BAG bezeichnete die Empfehlungen der NEK als wertvoll für die Weiterentwicklung des Preisfestsetzungssystems. Es teilt die Ansicht der NEK, dass Limitierungen oder Grenzen für die Vergütung von Arzneimitteln gerechtfertigt sind und in Zukunft notwendig werden könnten. Es wies darauf hin, dass das solidarische Bewusstsein und Handeln sowie die Wahrung der Rechtsgleichheit und die Einhaltung des Diskrimi238

Laut NEK sind die folgenden Aspekte zu beachten: Schweregrad der Erkrankung, Dringlichkeit der Behandlung, angemessene Berücksichtigung der Nutzenmaximierung.

Danach befragt, wie diese Prinzipien in der Praxis konkretisiert werden könnten, erklärte der Vizepräsident der NEK, dass dies nur auf iterative Weise möglich ist, d. h. anhand von konkreten Fällen und in engem Dialog mit den Gesundheitsakteuren. Er unterstrich die Notwendigkeit, sich hinsichtlich des Nutzens der Medikamente auf konkrete Sachverhalte stützen zu können.

239 Das schwedische Modell für die Festlegung der Prioritäten in der Gesundheitspflege verfolgt das Ziel, eine öffentliche Debatte über die ethischen Grundsätze für die Entscheide und über die Rechtfertigung der Limitationen zu fördern und zu führen, um so einen nationalen Konsens in diesem Bereich zu erzielen. Die Debatten wurden auf der Basis von staatlich koordinierten regionalen Initiativen organisiert. Zudem wurden Umfragen in der Bevölkerung durchgeführt. Ein ähnliches Vorgehen wurde auch in Grossbritannien gewählt.

240 Die NEK betont, dass bei der Festlegung fairer Preise verschiedene Parameter in Konflikt miteinander stehen (breiter Zugang zu Medikamenten, Deckung der Entwicklungs-, Produktions- und Marketingkosten, Widerspiegelung des Mehrwerts des Produkts, Honorierung der Innovativität und Risikobereitschaft, Nachvollziehbarkeit der Verfahren). All diesen Kriterien Rechnung zu tragen, ist laut NEK eine der Herausforderungen dieser Debatte.

241 Im Rahmen der Konsultation zum vorliegenden Bericht teilten die Dachverbände der Pharmaindustrie (Interpharma, Vips, Intergenerika) mit, dass diese Aussage für sie nicht nachvollziehbar ist. Sie machten diesbezüglich die folgenden Elemente geltend: «Wir möchten betonen, dass der grosse Teil der Medikamente kostensenkende Effekte in anderen Bereichen des Gesundheitswesens, der Sozialversicherungen oder allgemein der Gesellschaft und Volkswirtschaft zur Folge hat. Wir verweisen in diesem Zusammenhang zum Beispiel gerne auf die Studie von [Frank] Lichtenberg (2022), welche zeigt, dass die pharmazeutischen Innovationen, welche in der Schweiz auf den Markt kamen, die Krankenhausübernachtungen im Jahr 2019 um 17,3 % reduziert haben, was zu Einsparungen für das Schweizer Gesundheitswesen im selben Jahr von rund 3 Milliarden Franken
geführt hat sowie die frühzeitige Mortalität bei unter 85-Jährigen um ein Drittel reduziert haben. Leider müssen wir immer wieder feststellen, dass bei der Medikamentenvergütung ein komplett einseitiger Fokus auf die OKP-Kosten gelegt wird. Die pharmazeutische Industrie stellt sich gerne einer gesamtheitlichen Beurteilung von Kosten und Nutzen ihrer Produkte.

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nierungsverbots im Aufnahmeprozess bereits stark gewichtete Aspekte sind. Des Weiteren hielt das BAG fest, dass sich die ethischen Grundprinzipien der Menschenwürde, der Bedürftigkeit und der Solidarität zwar nicht explizit im Handbuch zur SL finden, aber in den gesetzlichen Grundlagen enthalten sind,242 und nichts das BAG davon abhält, diese entsprechend zu befolgen. Bestimmte ethische Grundsätze seien im Übrigen ins Dokument «Operationalisierung der WZW-Kriterien» von 2022 aufgenommen worden (siehe Kap. 3.2.1).

Die Forderung nach der Beteiligung der Bevölkerung an den Entscheiden über die Preisfestlegung ist nach Ansicht des BAG durch die Vertretung der Versicherten in der EAK bereits erfüllt. Im Weiteren ist es der Ansicht, dass die geplanten Revisionen des KVG und die Umsetzung verschiedener parlamentarischer Vorstösse243 eine gute Gelegenheit für eine politische und öffentliche Debatte über dieses Thema bieten. Es erklärte sich bereit, die Möglichkeit zu prüfen, bei der Förderung einer öffentlichen Diskussion mit den Kantonen zusammenzuarbeiten, hielt aber fest, dass es sich um ein schwieriges Thema handelt.

Das BAG zog eine sehr positive Bilanz der Zusammenarbeit mit der NEK in diesem Bereich. Die GPK-S stellte allerdings fest, dass das Amt nach der Veröffentlichung der NEK-Stellungnahme keinen direkten Kontakt mit der Ethikkommission hatte. Das BAG teilte mit, dass ein solcher Dialog von Anfang an nicht vorgesehen war, es jedoch nicht zögern wird, die NEK zu kontaktieren, sollten sich neue Fragen ergeben.

Die Beurteilung der GPK-S zu diesen Aspekten findet sich im Kapitel 4.2.3.

4

Beurteilung der GPK-S

4.1

Allgemeine Bemerkungen

Nach Ansicht der GPK-S sind die SL-Aufnahme und die periodische Überprüfung der Arzneimittel eine zentrale Herausforderung der Gesundheitspolitik des Bundes. Diese Prozesse dienen dazu, der Schweizer Bevölkerung Zugang zu qualitativ hochstehenden und zweckmässigen Arzneimitteln zu möglichst günstigen Kosten zu bieten (Art. 43 Abs. 6 KVG). Die entsprechende Praxis der Behörden hat einen direkten Einfluss auf die Kosten zulasten der OKP und allgemein auf die Gesundheitskosten in der Schweiz.

Die GPK-S stellte in ihrer Nachkontrolle erfreut fest, dass der Bundesrat, das EDI und das BAG diesem Themenbereich in den vergangenen Jahren grosse Aufmerksamkeit geschenkt haben. Der Bundesrat hat mehrere Revisionen der Verordnungen in seinem 242

Das BAG nannte in diesem Zusammenhang die WZW-Kriterien (Art. 32 KVG) und die Garantie des Zugangs zu einer qualitativ hochstehenden und zweckmässigen gesundheitlichen Versorgung zu möglichst tiefen Kosten (Art. 43 Abs. 6 KVG).

243 Das BAG nannte in diesem Zusammenhang die KVG-Revision «Massnahmen zur Kostendämpfung ­ Paket 2» (namentlich die Vorschläge zu den Preismodellen) sowie die Motion Dittli 19.3703 («Medikamentenkosten. Es braucht Anpassungen beim Zulassungs- und Preisbildungssystem im Bereich der Grundversicherung») vom 19.6.2019 und das Postulat Cassis 11.3218 («Wie viel soll die Gesellschaft für ein Lebensjahr zahlen?») vom 17.3.2011.

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Kompetenzbereich vorgenommen und dem Parlament verschiedene Vorschläge für Gesetzesänderungen unterbreitet. Die Kommission kommt zum Schluss, dass die vom Bundesrat seit 2014 ergriffenen Massnahmen die Verfahren für die Aufnahme und die Überprüfung der Arzneimittel auf verschiedenen Ebenen verbessert (siehe Kap. 4.2 bis 4.4) und mehrere ihrer Empfehlungen umgesetzt haben.

Allgemein erkennt die GPK-S keine grundsätzlichen Mängel beim Management der Aufnahme- und Überprüfungsprozesse durch den Bundesrat, das EDI und das BAG.

Sie gelangt auf der Grundlage der erhaltenen Informationen zur Auffassung, dass das Handeln der Bundesbehörden das Kriterium der Zweckmässigkeit erfüllt: Ihrer Ansicht nach machen die Bundesbehörden angemessen Gebrauch von ihrem Handlungsspielraum, um die gesetzten Ziele zu erreichen. In Sachen Rechtmässigkeit erkennt die GPK-S keine Hinweise, die vermuten lassen, dass die Behörden die rechtlichen Vorgaben im Arzneimittelbereich nicht einhalten. Ihre Bilanz hinsichtlich des Kriteriums der Wirksamkeit fällt allerdings deutlich durchwachsener aus: Die aktuelle Praxis garantiert der Bevölkerung zwar grundsätzlich Zugang zu geeigneten und qualitativ hochwertigen Medikamenten, doch dauert es lang bis zur Aufnahme der Arzneimittel in die SL und die aktuellen Verfahren stossen an ihre Grenzen in Anbetracht der neuen kostspieligen Therapien, der fehlenden Preistransparenz auf internationaler Ebene und der Versorgungsprobleme. Zudem sind die Kosten zulasten der OKP in diesem Bereich seit 2014 kontinuierlich gestiegen, trotz der erheblichen Einsparungen, die dank der Preissenkungen im Rahmen der dreijährlichen Überprüfung erzielt wurden.

Die GPK-S erachtet in diesem Zusammenhang zusätzliche Massnahmen für unerlässlich, um sicherzustellen, dass die KVG-Bestimmungen zu den Medikamenten wirksamer vollzogen und dabei die verschiedenen Herausforderungen (namentlich Kostendämpfung, Innovationsförderung, Versorgungssicherheit) ausgewogen berücksichtigt werden. Diese Massnahmen können nach Ansicht der Kommission unabhängig vom Ausgang der im Parlament laufenden Beratungen zu diesem Thema ergriffen werden.244 Die GPK-S bewertet im Folgenden die Umsetzung ihrer Empfehlungen von 2014.245 Sie legt in Kapitel 4.2 jene Punkte dar, bei denen sie aus Sicht der Oberaufsicht zusätzlichen Handlungsbedarf sieht. Die weiteren Aspekte sind in Kapitel 4.3 präsentiert.

244

Als parlamentarisches Oberaufsichtsorgan konzentriert sich die GPK-S auf die Umsetzung des geltenden Rechts durch den Bundesrat. Sie äussert sich nicht zur Angemessenheit der Beschlüsse oder laufenden Arbeiten des Parlaments, da dieser Bereich in die Zuständigkeit der Sachbereichskommissionen fällt.

245 Die Empfehlungen von 2014 finden sich in Anhang 4.

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4.2

Wichtigste aktuelle Herausforderungen aus Sicht der Oberaufsicht und neue Empfehlungen

Hauptursache für die Blockade im aktuellen System sind nach Auffassung der GPK-S die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesbehörden und der Pharmaindustrie betreffend die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Medikamente. Die Kommission ist der Auffassung, dass in diesem Bereich und allgemein in Bezug auf die Bewertung der WZW-Kriterien Verbesserungsbedarf besteht (Kap. 4.2.1). Sie schlägt im Weiteren verschiedene Massnahmen vor, um die Wirksamkeit und die Klarheit der Verfahren für die Aufnahme und Überprüfung der Medikamente zu erhöhen (Kap. 4.2.2). Ferner erachtet sie es als unerlässlich, dass der Bundesrat die ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Vergütung sehr kostspieliger Medikamente über die OKP klärt (Kap. 4.2.3). Vor diesem Hintergrund hat sie beschlossen, eine Reihe neuer Empfehlungen zuhanden des Bundesrates zu formulieren und zwei Postulate einzureichen.

4.2.1

Bewertung der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit klären

Rechtsgrundlagen und andere Vorgaben (Kap. 3.2.1 und 3.2.4) Insgesamt erkennt die GPK-S ­ mit Ausnahme einiger weiter unten dargelegter Aspekte (siehe Empfehlungen 2 und 3) ­ aus Sicht der Oberaufsicht keinen Handlungsbedarf hinsichtlich der Qualität der Verordnungen und der anderen Vorgaben für die Bewertung der Medikamente nach den WZW-Kriterien. Sie anerkennt, dass die Struktur des geltenden Rechts komplex ist und die häufigen Änderungen des Rechtsrahmens (Gesetze, Verordnungen, Weisungen und Handbücher)246 eine Herausforderung für alle Beteiligten darstellen, namentlich für die betroffenen Unternehmen. Sie hält aber fest, dass sich das BAG bemüht, in dieser Hinsicht mittels Rund- und Informationsschreiben transparent und regelmässig zu kommunizieren.

Die Kommission ersucht den Bundesrat, sicherzustellen, dass das BAG die öffentliche Kommunikation über die geltenden Vorgaben in diesem Bereich ­ im Rahmen des Möglichen und unter Nutzung der digitalen Möglichkeiten ­ weiter verbessert. Sie bittet ihn, zum Beispiel die Zweckmässigkeit eines Onlineverzeichnisses, das regelmässig aktualisiert wird, zu prüfen. Angesichts der jüngsten Verordnungsänderungen des Bundesrates erachtet sie es auch als wichtig, dass das BAG der Aktualisierung des Handbuchs zur SL, sechs Jahre nach dessen letzter Überarbeitung, Priorität einräumt.

Die Kommission begrüsst zudem, dass das BAG in den vergangenen Jahren auf die Konkretisierung der WZW-Kriterien hingearbeitet hat. Insbesondere die jüngste Veröffentlichung des Dokuments «Operationalisierung der WZW-Kriterien» (siehe Kap. 3.2.1) erachtet sie als wichtigen Fortschritt in Sachen Vereinheitlichung und Transparenz der Prüfung durch das Bundesamt. Dieses Dokument setzt zum Teil die Forderung nach einer Präzisierung der WZW-Kriterien um, welche die GPK-S in ihren Postulaten 14.3295 und 14.3296 formuliert hat. Die Kommission ersucht das 246

Durch Bundesrats- und Parlamentsbeschlüsse sowie aufgrund der Rechtsprechung.

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BAG, dieses Dokument regelmässig anhand der neusten Erkenntnisse zu aktualisieren.

Empfehlung 1

Rechtsgrundlagen und andere Vorgaben für die Bewertung der Medikamente nach den WZW-Kriterien

Der Bundesrat wird ersucht, dafür zu sorgen, dass das BAG das Handbuch zur SL und ­ soweit notwendig ­ das Dokument zur Operationalisierung der WZWKriterien aktualisiert.

Der Bundesrat wird zudem ersucht, sicherzustellen, dass das BAG die öffentliche Kommunikation über die Rechtsgrundlagen, die sonstigen Vorgaben und die Rechtsprechung in Sachen Bewertung der Medikamente nach den WZWKriterien im Aufnahme- und Überprüfungsverfahren weiter verbessert. Das Bundesamt wird gebeten, hierbei die digitalen Möglichkeiten zu nutzen.

Die GPK-S hat im Weiteren Kenntnis genommen vom Vorschlag des Bundesrates ans Parlament, eine differenzierte Prüfung der WZW-Kriterien einzuführen, d. h. den Detailgrad der Bewertung nach den WZW-Kriterien von der Art und dem Lebenszyklus der zu prüfenden Leistung abhängig zu machen (siehe Kap. 3.2.4).247 Grundsätzlich ist die Kommission der Ansicht, dass eine Gewichtung der Bewertung nach den WZW-Kriterien und eine Flexibilisierung des Überprüfungsrhythmus in gewissen Fällen sinnvoll sein können, um sich auf die Produkte zu konzentrieren, bei denen aufgrund neuer Informationen eine Bewertung notwendig ist oder bei denen ein erhöhter gesundheitlicher Nutzen oder nennenswerte Kosteneinsparungen zu erwarten sind.248 Ihr ist aber wichtig, dass eine solche Differenzierung nicht zu einer allgemeinen Schwächung der Bewertung nach den WZW-Kriterien führt. Dementsprechend ersucht sie den Bundesrat, für den Fall, dass dieser Vorschlag vom Parlament gutgeheissen wird, auf Verordnungsebene auf transparente Weise Leitlinien für die WZWBewertungen im Rahmen der verschiedenen Prüfungen und Überprüfungen festzulegen.

Spezifischer Fall der Bewertung der Wirtschaftlichkeit (Kap. 3.2.2) Die Bewertung der Wirtschaftlichkeit ist nach Ansicht der GPK-S die Hauptherausforderung im Aufnahme- und Überprüfungsverfahren und wird dies auch in den nächsten Jahren bleiben. Die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie in diesem Bereich haben erhebliche Auswirkungen auf die Dauer der Aufnahme- und Überprüfungsverfahren (Kap. 4.2.2), auf die Gesprächsbereitschaft beider Seiten (Kap. 4.2.2) und letztlich auf die Effizienz des 247

Dieser Vorschlag wird vom Parlament im Rahmen des zweiten Kostendämpfungspakets (Revision des KVG) behandelt. Der Nationalrat hat dem Vorschlag in erster Lesung keine Folge gegeben. Der Ständerat wird sich 2024 mit dieser Frage befassen.

248 So könnte es in den Augen der Kommission zweckmässig sein, bei gewissen bereits sehr günstigen Medikamenten auf die dreijährliche Überprüfung zu verzichten, um zu verhindern, dass diese aus Rentabilitätsgründen vom Markt verschwinden. Umgekehrt könnte bei bestimmten neuen Medikamenten, bei denen nur Teildaten über die Wirksamkeit oder Zweckmässigkeit vorliegen, eine häufigere Überprüfung (z. B. jedes Jahr) gerechtfertigt sein.

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gesamten Verfahrens. Die Kommission bedauert es, dass diese Meinungsverschiedenheiten den ganzen Prozess blockieren und die Aufnahme bestimmter Medikamente in die SL um mehrere Monate verzögern.

Die Kommission erachtet es als positiv, dass der Bundesrat in den vergangenen Jahren auf mehreren Ebenen darauf hingearbeitet hat, die Modalitäten der Wirtschaftlichkeitsbewertung zu ergänzen und zu präzisieren (APV und TQV). So schlug er regelmässig Änderungen der einschlägigen Verordnungen vor, berücksichtigte dabei aber stets die Einschätzungen der betroffenen Akteure.249 Zudem arbeitete er gemeinsam mit der Pharmaindustrie und den Krankenversicherern ein Nutzenbewertungsmodell für Onkologika aus, welches als Grundlage für die Berechnung des Innovationszuschlags im TQV dient (siehe auch weiter unten). Die Veröffentlichung des Dokuments «Operationalisierung der WZW-Kriterien» im Jahr 2022 erhöhte ebenfalls die Transparenz hinsichtlich der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch das Bundesamt. Im Weiteren akzeptierte der Bundesrat mit dem Vorschlag, die neuen Preismodelle mit vertraulichen Rückvergütungen im Gesetz zu verankern (siehe Kap. 3.4.3 und 4.3), eine wichtige Ausnahme zu den üblichen Grundsätzen für die Berechnung der Wirtschaftlichkeit, um Einigungen mit der Pharmaindustrie bei der Preisfestsetzung zu erleichtern.

Die GPK-S hält fest, dass die Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Medikamenten eine komplexe Aufgabe darstellt und das BAG in diesem Zusammenhang mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert ist (siehe Kap. 3.2.2). Sie erachtet es vor diesem Hintergrund als zweckmässig, dass das Bundesamt bei seiner Prüfung über einen gewissen Handlungsspielraum verfügt. Dieser soll es dem BAG ermöglichen, je nach geprüftem Arzneimittel ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen, bisweilen gegensätzlichen Zielen des KVG zu finden und einen angemessenen Vergütungsbetrag festzulegen. Dieser Ermessensspielraum ist von den Gerichten mehrfach bestätigt worden.250 Angesichts der derzeitigen Entwicklung der Gesundheitskosten ist es für die GPK-S nachvollziehbar, dass das BAG dem Kriterium der Kostengünstigkeit besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die Abklärungen der Kommission haben allerdings gezeigt, dass sich das Bundesamt nicht einseitig auf den Preis konzentriert, sondern auch anderen Kriterien wie der
Innovation und der Versorgungssicherheit Rechnung trägt.

Anknüpfend an die Forderungen in ihrem Postulat 14.3296 von 2014 und angesichts der grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesbehörden und der Pharmaindustrie, erachtet es die GPK-S als wichtig, dass der Bundesrat die Modalitäten der Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Medikamenten weiter bestmöglich klärt und optimiert: ­

249

Sie ersucht den Bundesrat, zu prüfen, ob für die Auswahl der Medikamente, die vom BAG für den TQV und den APV herangezogen werden, allgemeine Leitlinien definiert werden müssten, wobei der Handlungsspielraum des Bundesamtes für die Auswahl im Einzelfall nicht eingeschränkt werden sollte.

Der Bundesrat verzichtete zum Beispiel nach Kritik in der Vernehmlassung auf die 2022 von ihm vorgeschlagenen Verordnungsänderungen zum APV und zum TQV.

250 Aufgrund der Gewaltentrennung steht es der GPK-S nicht zu, sich zum Inhalt der Gerichtsurteile in dieser Sache zu äussern.

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­

Zudem ersucht sie ihn, zu prüfen, inwieweit die Verordnungsbestimmungen251 dahingehend angepasst werden könnten, dass im APV die im Ausland tatsächlich vergüteten Medikamentenpreise und nicht die deutlich höheren «Schaufensterpreise» berücksichtigt werden. Der Bundesrat wird in diesem Zusammenhang aufgefordert, die bilateralen Kontakte zu den im APV berücksichtigten Ländern zu intensivieren.

­

Ausserdem ersucht sie ihn, zu prüfen, inwieweit sich der APV und der TQV immer noch als Modelle für alle Szenarien eignen, oder ob es nicht alternative Ansätze braucht, insbesondere für die Festlegung der Preise bestimmter kostspieliger Medikamente.

Die Kommission ist ferner der Ansicht, dass verschiedene weitere Massnahmen die Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Medikamenten verbessern sollten, namentlich die Optimierung der HTA (siehe Postulat 1) und die Förderung eines regelmässigen Dialogs zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie (siehe Kap. 4.2.2).

Empfehlung 2

Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Medikamenten

Der Bundesrat wird ersucht, die Modalitäten der Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Medikamenten bestmöglich zu klären und zu optimieren, um den therapeutischen Quervergleich (TQV) und den Auslandpreisvergleich (APV) wirksamer zu machen. Er wird gebeten, in diesem Zusammenhang ­ in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren ­ insbesondere zu prüfen: ­

ob für die Auswahl der Medikamente, die vom BAG für den TQV und den APV herangezogen werden, allgemeine Leitlinien definiert werden müssten;

­

inwieweit die Verordnungsbestimmungen (KVV und KLV) dahingehend angepasst werden könnten, dass im APV die im Ausland tatsächlich vergüteten Medikamentenpreise berücksichtigt werden;

­

inwieweit sich der APV und der TQV immer noch als Modelle für alle Szenarien eignen, oder ob es nicht alternative Ansätze braucht.

Bewertung des therapeutischen Nutzens (Kap. 3.2.2) Die GPK-S begrüsst, dass das BAG gemeinsam mit den Krankenversicherern und der Pharmaindustrie Nutzenbewertungsmodelle entwickelt hat, anhand von denen der Innovationszuschlag im Rahmen des TQV berechnet wird. Sie sieht in diesen Modellen einen wichtigen Schritt zur Klärung der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Wie oben aufgeführt begrüsst sie die Umsetzung eines solchen Modells für Krebsmedikamente. Sie ersucht den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass das BAG ein solches Modell auch für andere (nicht-onkologische) Medikamente prioritär finalisiert und einführt. Sie geht davon aus, dass die Rechtsgrundlagen und die sonstigen einschlägigen Vorgaben (namentlich das Handbuch zur SL) nötigenfalls angepasst werden.

251

Namentlich Art. 65b Abs. 2 und 3 KVV und Art. 34b und 34c KLV

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Empfehlung 3

Nutzenbewertungsmodell für nicht-onkologische Medikamente

Der Bundesrat wird ersucht, dafür zu sorgen, dass das BAG ein Nutzenbewertungsmodell für nicht-onkologische Medikamente prioritär finalisiert und einführt.

Vorbehaltlich der Umsetzung der oben genannten Empfehlung 3 kommt die GPK-S zum Schluss, dass der Bundesrat ihre Empfehlung 2 von 2014 und einen Teil des Postulats 14.3296 (Präzisierung der Zuschlagsbedingungen und einheitliche Zuschlagsgewährung) umgesetzt hat.

Health Technology Assessments (Kap. 3.2.3) Die Bilanz der GPK-S über die Entwicklung der HTA im Verlauf der vergangenen Jahre fällt durchwachsen aus. Grundsätzlich erachtet die Kommission es als sehr wichtig, dass die Medikamente, bei denen der Verdacht besteht, dass die WZWKriterien nicht erfüllt sind, einer vertieften Prüfung unterzogen werden. Ein solches Vorgehen ermöglicht es dem BAG, faktenbasierte Entscheide zu treffen. Die GPK-S begrüsst die Bemühungen, die das BAG in diesem Bereich seit 2016 unternommen hat, und hält fest, dass die HTA-Abteilung des BAG nun, einige Jahre nach ihrer Schaffung, den vom Bundesrat angekündigten Arbeitsrhythmus erreicht hat. Sie hat bei ihrer Nachkontrolle keine Probleme im Zusammenhang mit der Führung und der Funktionsweise dieser Abteilung erkannt. Diese übt ihre Tätigkeit seriös aus und arbeitet an der Verbesserung der Berichtsqualität. Die Kommission begrüsst die Transparenz des BAG hinsichtlich der Prüfergebnisse. Sie erachtet es als angemessen, dass jede Person oder Organisation, Assessment-Vorschläge unterbreiten kann. In Bezug auf den aktuellen HTA-Anteil bei den Medikamenten (ca. 50 %) sieht sie keinen Handlungsbedarf.

Etwas skeptischer ist die GPK-S hingegen, was die konkreten Auswirkungen der Assessments angeht. Sie hält fest, dass der Einfluss der HTA im Arzneimittelbereich bislang sehr begrenzt ist.252 Die Einsparungen, die in den verschiedenen Bereichen dank der HTA insgesamt erzielt wurden (ca. 75 Mio. Franken jährlich laut Bundesrat), sind deutlich geringer als ursprünglich angenommen. Die Kommission ist sich bewusst, dass diese Situation insbesondere auf die Ausnutzung der Verfahrensrechte durch die betroffenen Unternehmen zurückzuführen ist. Ausserdem zeugt die geringe Zahl von Änderungen nach einem HTA auch von der guten Qualität der ursprünglichen WZW-Prüfung des BAG. Dennoch erachtet es die GPK-S als wichtig, dass die Wirksamkeit
des HTA-Programms noch erhöht wird, anknüpfend an die bereits ergriffenen Massnahmen. Bei der Wahl der Assessments sollte sich das BAG bestmöglich auf diejenigen Medikamente und Leistungen konzentrieren, bei denen umstritten ist, ob die WZW-Kriterien erfüllt sind, oder die ein erhebliches Sparpotenzial aufweisen. Zudem sollte der Erfahrungsaustausch mit den HTA-Agenturen anderer Länder und die Übernahme von HTA-Berichten aus dem Ausland verstärkt werden. Die GPK-S ist ferner der Ansicht, dass das BAG im Zusammenhang mit den neuen Me252

Nur drei der fünfzehn Assessments führten zur Änderung des Vergütungsbetrags und kein einziges zu einer Streichung eines Medikaments von der SL.

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dikamente, deren Preis provisorisch festgelegt wurde oder die befristet in die SL aufgenommen wurden, sowie den Medikamenten, bei denen bei der periodischen Überprüfung Meinungsverschiedenheiten mit der Pharmaindustrie auftreten, mehr HTA durchführen sollte (siehe Kap. 4.2.2).

Die GPK-S ist im Weiteren der Auffassung, dass die Schaffung einer vom BAG unabhängigen HTA-Einrichtung nach wie vor eine aktuelle Option ist. Die Kommission anerkennt, dass die HTA-Sektion des BAG organisatorisch getrennt ist von den anderen Abteilungen des Bundesamtes und dass die HTA-Berichte von externen Agenturen verfasst werden, auf die das BAG keinen Einfluss hat. Dennoch teilt sie die Ansicht der NEK, dass eine unabhängige Einrichtung zu einer klareren Rollentrennung im Prüfverfahren beitragen würde. Dies würde sich vermutlich positiv auf die öffentliche Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Assessments auswirken und deren Akzeptanz bei den betroffenen Akteuren des Gesundheitsbereichs stärken.253 Eine solche Agentur könnte in Zusammenarbeit mit anderen betroffenen institutionellen Akteuren (wie den Kantonen und der Wissenschaft) ins Leben gerufen werden, um mögliche Synergien zu nutzen.

Vor diesem Hintergrund reicht die GPK-S das nachfolgende Postulat ein.

Postulat 1

Health Technology Assessments (HTA): Bilanz, Erhöhung der Wirksamkeit und Prüfung der Schaffung einer unabhängigen Einrichtung

Der Bundesrat wird gebeten: 1.

bis 2025 eine detaillierte Bilanz der HTA-Praxis des BAG zu ziehen, die eine Analyse der Qualität der HTA, eine Analyse der Auswirkungen der HTA, eine Schätzung der erzielten Einsparungen und eine Auflistung der grössten Herausforderungen für das BAG umfasst;

2.

auf der Grundlage dieser Bilanz zu prüfen, welche Massnahmen ergriffen werden könnten, um die Wirksamkeit der HTA zu erhöhen;

3.

die Schaffung einer unabhängigen HTA-Agentur zu prüfen, in Zusammenarbeit mit anderen institutionellen Akteuren.

Der Bundesrat wird ersucht, die Ergebnisse seiner Arbeiten in einem Bericht darzulegen.

253

Insbesondere die Pharmaindustrie zeigt sich kritisch gegenüber der Tätigkeit des BAG im Allgemeinen (siehe Kap. 3.1.6) und jener der HTA-Sektion im Besonderen.

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4.2.2

Verfahren für die Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten optimieren

Dauer des Aufnahmeverfahrens (Kap. 3.1.3) Die GPK-S hält fest, dass die Verfahrensdauer nach wie vor eine der grössten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Aufnahme von Medikamenten in die SL ist. Sie konstatiert zudem, dass das BAG und die Pharmaindustrie in diesem Bereich sehr unterschiedliche Zahlen präsentieren und Positionen vertreten, namentlich was die Einhaltung der in Artikel 31b KLV genannten Frist angeht.254 Die Kommission erachtet es als besorgniserregend, dass der in Artikel 31b KLV genannte Regelwert von 60 Tagen in vielen Fällen nicht eingehalten wird und die Zahl der hängigen Gesuche weiterhin hoch ist.

Grundsätzlich teilt die GPK-S die Ansicht der Pharmaindustrie, dass eine Verkürzung der Dauer für die Bearbeitung der Aufnahmegesuche wünschenswert wäre. Sie ist allerdings der Auffassung, dass die Kritik der Pharmaindustrie am BAG in verschiedener Hinsicht zu relativieren ist: ­

Erstens haben der Bundesrat und das BAG in den vergangenen Jahren aktiv auf eine Verkürzung der Verfahrensdauer hingewirkt, z. B. durch die Aufstockung der Ressourcen des Bundesamtes (siehe Kap. 3.1.2) und durch die Verbesserung der Zusammenarbeit mit Swissmedic (siehe Kap. 3.1.5). Zudem bearbeitet das BAG mehr Gesuche pro Jahr als bisher. Die GPK-S stellt ausserdem fest, dass die Verfahrensdauer in der Schweiz im internationalen Vergleich relativ wettbewerbsfähig zu sein scheint.

­

Zweitens sind nach Ansicht der Kommission für die Länge des Verfahrens nicht mangelnde Effizienz oder fehlende Ressourcen des BAG hauptursächlich, sondern die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundesamt und der Pharmaindustrie in Bezug auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit (siehe Kap. 4.2.1). Zum aktuellen Zeitpunkt erachtet es die GPK-S als angemessen, dass das BAG bei Uneinigkeit über die Wirtschaftlichkeit eines Medikaments die Verhandlungen mit dem betroffenen Unternehmen auch nach Ablauf der 60-Tage-Frist fortsetzt, um eine einvernehmliche Lösung zu finden und keinen einseitigen ablehnenden Beschluss fassen zu müssen.

­

Drittens trägt die Pharmaindustrie nach Ansicht der Kommission ebenfalls einen Teil der Verantwortung für die Länge des Aufnahmeverfahrens. So haben die Abklärungen der GPK-S gezeigt, dass die Unternehmen in einigen Fällen zögern, ihre Aufnahmegesuche beim BAG einzureichen, bzw. nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Gesuche bereits mit dem Vorbescheid von Swissmedic einzureichen.255 Zudem kommt es vor, dass dem Bundesamt un-

254

Die GPK-S hat die Daten des BAG und der Pharmaindustrie zur Verfahrensdauer keiner eingehenden Plausibilitätsprüfung unterzogen, da dies den Rahmen der vorliegenden Nachkontrolle gesprengt hätte.

255 Die GPK-S hält fest, dass das BAG und die Pharmaindustrie diesbezüglich stark unterschiedliche Aussagen machen (siehe Kap. 3.1.3). Das jüngst vorgenommene Audit der EFK scheint die Aussagen des Bundesamtes aber zu bestätigen.

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vollständige Daten eingereicht werden. Generell haben auch die zunehmende Komplexität und die steigende Zahl der Gesuche Auswirkungen auf die Bearbeitungsdauer.

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, weiterhin darauf hinzuwirken, dass die Dauer für die Bearbeitung der Aufnahmegesuche verkürzt wird. Sie bittet ihn in diesem Zusammenhang, zu prüfen, inwieweit die Verordnungsbestimmungen über die Fristen ergänzt oder präzisiert werden müssen, z. B. durch differenzierte Fristen für bestimmten Arzneimittelkategorien. Zudem ersucht sie den Bundesrat, zu prüfen, wie die Transparenz bezüglich der tatsächlichen Bearbeitungsdauer der Aufnahmegesuche erhöht werden kann, z. B. durch die regelmässige Veröffentlichung entsprechender Statistiken durch das BAG.

Ferner lädt sie den Bundesrat ein, zu prüfen, ob es nicht zweckmässig wäre, in die Verordnungen ausdrücklich ein «Stop the clock»-System für das Aufnahmeverfahren, wie es Swissmedic kennt, aufzunehmen.256 Im Weiteren ersucht sie den Bundesrat, zu prüfen, ob und wie das beschleunigte Aufnahmeverfahren nach Artikel 31a KLV verbessert werden kann. Generell ist sie der Auffassung, dass die Beschleunigung der Verfahren nicht zulasten einer ordentlichen Prüfung der Medikamente nach den WZW-Kriterien gehen darf.

Die GPK-S ist im Weiteren der Meinung, dass die Stärkung des Austauschs zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie sowie die ausreichende Ausstattung des BAG und der EAK mit Ressourcen (siehe unten) Grundvoraussetzungen für die Verkürzung der Bearbeitungsdauer sind.

Empfehlung 4

Bearbeitungsdauer für die Aufnahmegesuche

Der Bundesrat wird ersucht, darauf hinzuwirken, dass die Dauer für die Bearbeitung der Gesuche um die Aufnahme von Medikamenten in die Spezialitätenliste verkürzt wird. Er wird in diesem Zusammenhang gebeten, in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren zu prüfen, inwieweit die Verordnungsbestimmungen über die Fristen ergänzt oder präzisiert werden müssen.

Der Bundesrat wird zudem gebeten, zu prüfen, wie die Transparenz bezüglich der Dauer für die Bearbeitung der Aufnahmegesuche erhöht werden kann, z. B. durch die regelmässige Veröffentlichung entsprechender Statistiken durch das BAG.

Ausserdem wird der Bundesrat eingeladen, zu prüfen, ob es nicht zweckmässig wäre, in die Verordnungen ausdrücklich ein «Stop the clock»-System für das Aufnahmeverfahren aufzunehmen. Ausserdem wird er gebeten, zu prüfen, ob und wie das beschleunigte Aufnahmeverfahren nach Artikel 31a KLV verbessert werden kann.

256

Gemäss den Informationen von Swissmedic kann das Institut die Frist stoppen, wenn für die Behandlung eines Gesuchs beim betroffenen Pharmaunternehmen zusätzliche Informationen eingeholt werden müssen. Dies soll einen Anreiz für die Unternehmen schaffen, die erforderlichen Informationen so schnell wie möglich zu liefern.

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Austausch des BAG mit der Pharmaindustrie (Kap. 3.1.6) Die GPK-S stellte bei ihrer Nachkontrolle fest, dass das BAG und die Pharmaindustrie ihre Zusammenarbeit im Bereich der SL-Aufnahme von Medikamenten sehr unterschiedlich beurteilen. Insbesondere die Dachverbände der Pharmaindustrie äusserten sich in dieser Hinsicht sehr kritisch über das Bundesamt.

Für die GPK-S ist es nachvollziehbar, dass es im Aufnahmeverfahren angesichts der unterschiedlichen Interessen des BAG und der Pharmaindustrie regelmässig zu Meinungsverschiedenheiten kommt. Die von der GPK-S gesammelten Informationen zeigen jedoch, dass sich das BAG in den letzten Jahren bemüht hat, den Austausch mit der Pharmaindustrie zu verstärken und zu systematisieren. Die Kommission begrüsst insbesondere die Einführung von Abklärungsgesprächen mit den Unternehmen vor der Gesuchseinreichung («Early Dialogue»).257 Positiv beurteilt sie auch die Absicht des BAG, an den Vorabtreffen von Swissmedic mit der Pharmaindustrie («Pipeline Meetings») teilzunehmen.258 Die Kommission hält ausserdem fest, dass der Bundesrat mehrere Massnahmen im Sinne der Pharmaindustrie ergriffen hat, wie die Einführung von vertraulichen Preismodellen (siehe Kap. 3.4.3 und 4.3) und die Schaffung eines Early-Access-Verfahrens (siehe Kap. 3.1.5 und unten).

Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie ist nach Ansicht der Kommission unerlässlich für ein effizientes Funktionieren des Aufnahmeverfahrens. Die GPK-S ist der Auffassung, dass die entsprechenden Bemühungen des Bundesamtes fortgesetzt werden müssen. Sie ersucht den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass das BAG einen regelmässigen und strukturierten Austausch mit den Dachverbänden der Pharmaindustrie und mit den betroffenen Unternehmen pflegt.

Um einen konstruktiven Austausch zu ermöglichen, sollten die Treffen früh genug geplant und der Inhalt klar festgelegt werden. Die Kommission erachtet es ausserdem als wichtig, dass sich auch die Pharmaindustrie aktiv an der Lösungssuche beteiligt und sich in den Verhandlungen, insbesondere in Bezug auf die Bewertung der Wirtschaftlichkeit, kompromissbereit zeigt. Sie begrüsst die von den Pharma-Dachverbänden angekündigte Gesprächsbereitschaft.

Die Kommission betont, dass die Stärkung des Dialogs zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie das Bundesamt
nicht daran hindern darf, seinen gesetzlichen Auftrag in voller Unabhängigkeit zu erfüllen. Das BAG ist gemäss dem Gesetz und den Verordnungen dafür zuständig, die Prüfung nach den WZW-Kriterien vorzunehmen und Beschlüsse über die Medikamentenpreise zu fassen, dies unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten (Patientinnen und Patienten, Pharmaindustrie, Krankenversicherer und andere) und der im KVG formulierten Ziele. In diesem Sinne sind bei

257

Neue Art. 69a und 70b KVV sowie 31d KLV, verabschiedet im September 2023, in Kraft ab 1.1.2024. Mit dieser Massnahme sollen die Meinungsverschiedenheiten im Aufnahmeverfahren und somit dessen Dauer verringert werden. Die Kommission erachtet es als verhältnismässig, dass diese Option fakultativ ist sowie nur auf Gesuch und Kosten der betroffenen Unternehmen zum Tragen kommt, da ein solcher Dialog nicht bei jedem Medikament gerechtfertigt ist und für das BAG zusätzlichen Arbeitsaufwand mit sich bringt.

258 Diese Massnahme soll es dem BAG ermöglichen, die Aufnahmegesuche besser zu antizipieren und so seine Ressourcenplanung zu optimieren.

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allfälligen Revisionen der Gesetze und Verordnungen alle Akteure und nicht nur die Industrie einzubeziehen.

Die GPK-S erwartet, dass alle betroffenen Akteure im Rahmen der Umsetzung der Empfehlungen dieses Berichts einen konstruktiven Dialog pflegen.

Empfehlung 5

Austausch zwischen BAG und Pharmaindustrie

Der Bundesrat wird ersucht, dafur zu sorgen, dass das BAG weiterhin einen regelmässigen und strukturierten Austausch mit den Dachverbänden der Pharmaindustrie und mit den betroffenen Unternehmen über das Verfahren zur Aufnahme und Überprüfung von Arzneimitteln pflegt. Ziel des Austauschs muss die konstruktive Suche nach Lösungen sein, die von allen Beteiligten unterstützt werden können. Die Unabhängigkeit des BAG bei der Ausübung seines gesetzlichen Auftrags muss gewahrt bleiben.

Einführung eines Early-Access-Verfahrens (Kap. 3.1.5) Die Kommission begrüsst die Bemühungen, die der Bundesrat und das BAG in den vergangenen Jahren unternommen haben, um das Aufnahmeverfahren bei Medikamenten, für die ein erhöhter medizinischer Bedarf besteht, früher zu initialisieren, sodass diese Medikamente so schnell wie möglich nach ihrer Zulassung durch Swissmedic anhand eines vorläufigen Preises über die OKP abgerechnet werden können («Early Access»).259 Sie bedauert allerdings, dass die entsprechenden Vorschläge der Pharmaindustrie vom BAG erst 2022 geprüft wurden. Sie lädt das Bundesamt ein, mit der Durchführung von entsprechenden Pilotprojekten, in Zusammenarbeit mit allen betroffenen Akteuren, fortzufahren.

Die GPK-S erachtet es als wichtig, dass der Bundesrat den Risiken dieses Verfahrens, die sich vor allem aus der Festlegung provisorischer Preise zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Prüfung ergeben, besondere Aufmerksamkeit schenkt. Sie teilt die Ansicht des BAG, dass die Gefahr besteht, einen für Jahre geltenden übermässig hohen Preis festzulegen, noch bevor ausreichend Elemente für die Prüfung des Medikaments nach den WZW-Kriterien vorliegen.260 Vor diesem Hintergrund ersucht die Kommission den Bundesrat, gemäss der nachfolgenden Empfehlung Bilanz zu ziehen über diesen neuen Prozess.

259

Pilotversuch von 2022/23, neue Art. 69a und 70b KVV und 31d KLV, verabschiedet im September 2023, in Kraft ab 1.1.2024, siehe Kap. 3.1.5.

260 Sie erachtet es diesbezüglich als sinnvoll, dass der Preis solcher Medikamente regelmässig, z. B. jährlich, überprüft wird (siehe unten).

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Empfehlung 6

Bilanz des Early-Access-Verfahrens

Der Bundesrat wird ersucht, in drei bis vier Jahren eine Bilanz zu ziehen über das neue Early-Access-Verfahren für Medikamente, für die ein erhöhter medizinischer Bedarf besteht. Er wird eingeladen, dabei den Auswirkungen dieser Massnahme auf die Dauer des Aufnahmeverfahrens und auf den Vergütungsbetrag besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Befristete Aufnahme von Medikamenten (Kap. 3.4.1) Die GPK-S ist der Ansicht, dass ihre Empfehlung 4 von 2014, mit der sie den Bundesrat ersucht hat, dafür zu sorgen, dass die Transparenz in Bezug auf die befristeten Aufnahmen erhöht wird und diejenigen Medikamente, welche die WZW-Kriterien nicht erfüllen, konsequent von der SL gestrichen werden, teilweise umgesetzt ist. Sie nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Transparenz hinsichtlich der befristeten Aufnahmen in die SL in den vergangenen Jahren erhöht worden ist (siehe Kap. 3.1.4). Sie teilt die Ansicht des Bundesrates, dass die vorläufige Aufnahme gepaart mit einer möglichst raschen Überprüfung nach den WZW-Kriterien eine geeignete Lösung ist, um die zunehmende Zahl Fälle, in denen nur erste vorläufige Daten zum Medikament verfügbar sind, zu bewältigen und so einen raschen Zugang zu innovativen Therapien sicherzustellen, ohne die Kontrolle über die Kosten zu verlieren.

Die Kommission weist aber darauf hin, dass diese Praxis auch Risiken birgt. Sie hält insbesondere fest, dass die zunächst befristet aufgenommenen Medikamente nur sehr selten wieder von der SL gestrichen werden. Wenn das BAG nicht über ausreichend sichere Daten für die definitive Prüfung nach den WZW-Kriterien verfügt, wird das Medikament erneut befristet aufgenommen. Dieses Vorgehen kann nach Ansicht der GPK-S dazu führen, dass Medikamente, bei denen die WZW-Kriterien nicht nachweislich erfüllt sind, jahrelang über die OKP abgerechnet werden. Da es keine spezifischen Regeln für die Verlängerung der befristeten Aufnahmen gibt, lastet auf den Pharmaunternehmen nur geringer Druck, rasch die fehlenden Informationen vorzulegen.

Die Kommission ersucht den Bundesrat, sicherzustellen, dass das BAG die befristet in die SL aufgenommenen Medikamente eng nachverfolgt. Sie lädt ihn ein, zu prüfen, welche Massnahmen ergriffen werden können, um die Zahl der Verlängerungen von befristeten Aufnahmen zu reduzieren und sicherzustellen, dass in diesen Fällen
die Informationen, die für die WZW-Prüfung fehlen, so rasch wie möglich vorgelegt werden. In ihren Augen könnten die folgenden Optionen ins Auge gefasst werden: erstens die Festlegung einer Höchstzahl von Verlängerungen für die befristete Aufnahme (verbunden mit einer Härtefallregelung); zweitens eine pauschale Kürzung des Vergütungsbetrags, falls die Verlängerung der befristeten Aufnahme erfolgt, ohne dass neue Informationen hinsichtlich der WZW-Kriterien vorliegen; drittens die systematische Durchführung von HTA für Medikamente, bei denen eine Verlängerung der befristeten Aufnahme notwendig ist. Die Kommission ist der Ansicht, dass diese Grundsätze auch auf die Medikamente angewendet werden könnten, die das EarlyAccess-Verfahren mit provisorischer Preisfestlegung durchlaufen haben (siehe oben).

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Im Weiteren ist es in den Augen der GPK-S wichtig, dass sich die Konzentration des BAG auf die Nachverfolgung der befristet aufgenommenen Medikamente nicht negativ auf die Ressourcen für die Aufnahme und Überprüfung der anderen Medikamente auswirkt. Sie lädt den Bundesrat ein, notfalls die Zweckmässigkeit einer Aufstockung der Ressourcen des BAG in den betroffenen Bereichen zu prüfen (siehe Empfehlung 9).

Empfehlung 7

Befristete Aufnahmen

Der Bundesrat wird ersucht, sicherzustellen, dass das BAG die befristet in die SL aufgenommenen Medikamente eng nachverfolgt.

Er wird zudem eingeladen, in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren zu prüfen, welche Massnahmen ergriffen werden können, um die Zahl der Verlängerungen von befristeten Aufnahmen zu reduzieren und sicherzustellen, dass in diesen Fällen die Informationen, die für die WZW-Prüfung fehlen, so rasch wie möglich vorgelegt werden.

Periodische Überprüfung der Medikamente (Kap. 3.3) Die GPK-S kommt zum Schluss, dass ihre Empfehlung 7 von 2014, für eine konsequente Anwendung der KVG-Bestimmungen zur periodischen Überprüfung zu sorgen, grösstenteils umgesetzt wurde. Sie begrüsst die Bemühungen, die der Bundesrat seit 2017 unternommen hat, um die dreijährliche Überprüfung der Medikamente gemäss den Vorgaben des KVG und der Rechtsprechung des BGer durchzuführen.261 Die Kommission hebt positiv hervor, dass die dreijährliche Überprüfung der Medikamente durch das BAG zu Preissenkungen geführt hat, die für die OKP Einsparungen zur Folge hatten in Höhe von mehreren Hundert Millionen Franken pro Jahr seit 2017 und von fast 1,5 Mrd. Franken seit 2012. In diesem Sinne haben sich die Investitionen in die Effizienz des Überprüfungsverfahrens in ihren Augen mehr als rentiert. Sie hält allerdings fest, dass die Durchführung dieser Überprüfungen für das BAG eine grosse Herausforderung darstellte und nach wie vor darstellt. Dies ist insbesondere auf die Vielzahl an Präparaten, die innert kurzer Zeit zu prüfen sind, und auf die komplexen Verhandlungen mit der Pharmaindustrie zurückzuführen. Auch hier sind die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit (siehe Kap. 4.2.1) die Hauptursache für die Blockadesituation.

Die Kommission erachtet es als sinnvoll, dass das BAG im Überprüfungsverfahren (wie bereits oben erwähnt, siehe Kap. 4.2.1) bei der Wirtschaftlichkeitsbewertung über Handlungsspielraum verfügt, um je nach Medikament ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen zu erreichenden Zielen zu finden. Sie betrachtet es als wichtig, dass die Frage der Versorgungssicherheit bei der Durchführung der Überprüfung berücksichtigt wird. Sie hat Kenntnis davon genommen, dass das BAG diesen Aspekt bei seinen Überprüfungen verhältnismässig berücksichtigt und dementsprechend in 261

Die Kommission hält fest, dass mit dem Bundesgerichtsentscheid von 2015 die Einschätzung bestätigt wurde, die sie bereits in ihrem Bericht von 2014 vertreten hatte, d. h., dass die periodische Überprüfung systematisch einen APV und einen TQV umfassen muss.

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den vergangenen Jahren mehrfach auf die Senkung des Preises bestimmter Medikamente verzichtet hat.262 Die Kommission erachtet es allerdings als sinnvoll, dass der Bundesrat am Ende des dritten Zyklus (2023­25) eine allgemeine Bilanz der Wirksamkeit der periodischen Überprüfung der Medikamente zieht und dabei unter anderem den erzielten Einsparungen, aber auch den Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung der Schweiz und auf die Qualität der Gesundheitsversorgung Rechnung trägt. In Bezug auf die allfällig notwendige Präzisierung der Modalitäten des APV und des TQV verweist sie auf ihre Empfehlung 2.

Die GPK-S hat bei ihrer Nachkontrolle festgestellt, dass das BAG, wie sie bereits 2014 festgehalten hatte, im Rahmen der Überprüfung selten eine vertiefte Bewertung der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit vornimmt. Ihr ist bewusst, dass eine vertiefte Prüfung für jedes einzelne Medikament angesichts der verfügbaren Ressourcen nicht realistisch ist. Sie erachtet es in diesem Zusammenhang als angemessen, dass sich das BAG auf jene Medikamente konzentriert, bei denen neue Daten verfügbar sind oder Hinweise auf Mängel bestehen. Sie lädt den Bundesrat aber ein, dafür zu sorgen, dass das BAG im Rahmen der Überprüfungen noch häufiger HTA durchführt (siehe Kap. 4.2.1).

Die Kommission ersucht den Bundesrat, das Überprüfungsverfahren in den kommenden Jahren weiter zu verbessern.263 Ihrer Ansicht nach ist es wichtig, dass so viele Medikamente wie möglich in den von der Verordnung vorgegebenen Fristen überprüft werden, ohne dass sich Priorisierungsmassnahmen negativ auf andere Aufgaben des Bundesamtes auswirken. Sie lädt den Bundesrat ein, im Sinne einer besseren Planungssicherheit für die betroffenen Akteure zu prüfen, ob es Anpassungen am Verfahren und an den Fristen für die Ankündigung der Preissenkungen braucht. Im Weiteren erachtet sie es als sinnvoll, dass der Bundesrat eine grössere Flexibilisierung des Überprüfungsrhythmus prüft: Präparate mit sehr tiefen Preis könnten seltener, neue kostspielige Medikamente häufiger (z. B. jedes Jahr) überprüft werden. In diesem Fall müssten aber klare Kriterien festgelegt werden, nach denen bestimmt wird, mit welcher Häufigkeit die Überprüfungen stattfinden.

Die Kommission begrüsst ferner die Absicht des Bundesrates, an der Überprüfung nach Patentablauf festzuhalten. Sie
ersucht den Bundesrat, sicherzustellen, dass diese Überprüfung systematisch, unabhängig von der dreijährlichen Überprüfung und unter Einhaltung der Vorgaben der KVV erfolgt.

Empfehlung 8

Periodische Überprüfung der Medikamente

Der Bundesrat wird ersucht, das Verfahren für die Überprüfung der Medikamente in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren weiter zu verbessern. Insbesondere wird er eingeladen, zu prüfen, ob es Anpassungen am Verfahren und an den Fristen für die Ankündigung der Preissenkungen braucht. Er wird zudem gebeten,

262

Gewisse Preiserhöhungen wurden vom BAG ausserhalb der dreijährlichen Überprüfung genehmigt.

263 Die GPK-S geht davon aus, dass die zusätzlichen Einsparungen in den kommenden Jahren geringer sein werden als jene der vorherigen Zyklen, da ein Grossteil der betreffenden Medikamente bereits zweimal überprüft wurde.

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die Möglichkeit einer grösseren Flexibilisierung des Überprüfungsrhythmus (geknüpft an klare Kriterien) zu prüfen. Ausserdem wird er eingeladen, dafür zu sorgen, dass im Rahmen der Überprüfungen noch häufiger Health Technology Assessments (HTA) durchgeführt werden.

Der Bundesrat wird ferner ersucht, sicherzustellen, dass die Überprüfungen nach Patentablauf unter Einhaltung der Vorgaben der KVV erfolgen.

Im Weiteren wird er ersucht, nach dem dritten Zyklus (2023­25) eine allgemeine Bilanz über die Wirksamkeit der periodischen Überprüfung der Medikamente zu ziehen.

Ressourcen und Fachkompetenz des BAG und der EAK (Kap. 3.1.2) Die GPK-S kommt insgesamt zum Schluss, dass ihre Empfehlung 3 von 2014, der EAK und dem BAG die nötigen Ressourcen für die Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung zu stellen, grösstenteils umgesetzt wurde. Der Bundesrat hat in den vergangenen Jahren auf verschiedenen Ebenen Massnahmen ergriffen, um diese Empfehlung zu erfüllen. Diese Voraussetzungen müssen in den Augen der GPK-S unbedingt erfüllt sein, um zu gewährleisten, dass die Aufnahme und Überprüfung der Medikamente gemäss den rechtlichen Vorgaben erfolgt.

Die Kommission begrüsst die Aufstockung der Personalressourcen des BAG und die Reorganisation der Arzneimittel-Sektion des Amtes, durch welche die Verfahrenseffizienz gesteigert werden konnte. Sie nimmt aber zur Kenntnis, dass die Lage in diesem Bereich nach wie vor angespannt ist. Sie erachtet es als wichtig, dass der Bundesrat die Lage weiterhin aufmerksam verfolgt und die Ressourcen des BAG nötigenfalls weiter aufstockt. Da die Beschleunigung der Verfahren im Interessen der betroffenen Unternehmen ist, sollte eine allfällige Aufstockung nach Ansicht der GPK-S zumindest teilweise aus den Gebühren finanziert werden, die von den Unternehmen erhoben werden, die Gesuche einreichen.

Die Kommission erkennt keinen Handlungsbedarf, was die Fachkompetenz des BAG und die Qualität der Gesuchsprüfung anbelangt. Sie hält fest, dass das Bundesamt neben den Apothekerinnen und Apothekern, die ihm zur Verfügung stehen, in bestimmten Bereichen regelmässig auch externe Fachleute hinzuzieht. Im Weiteren begrüsst sie die Bemühungen des BAG zur Stärkung seiner internationalen Zusammenarbeit im Hinblick auf eine bessere Antizipation der technologischen Entwicklungen und hält das Bundesamt
an, dieses Engagement fortzusetzen. Sie begrüsst die Bereitschaft des Bundesamtes, den verstärkten Einbezug von Fachleuten zu prüfen, und ersucht es, diesbezüglich einen engen Austausch mit Swissmedic und der Pharmaindustrie zu pflegen. Zudem ersucht sie den Bundesrat, zu prüfen, ob die Kompetenz des BAG im wirtschaftlichen Bereich, wie von den Krankenversicherern empfohlen, gestärkt werden muss.

Die GPK-S nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Fachkompetenz der EAK in den vergangenen Jahren offensichtlich gestärkt wurde. Sie erachtet die 2019 erfolgte Aufnahme einer Onkologin und eines Onkologen als wichtige Massnahme in diesem Sinne. Sie teilt die Ansicht des Bundesrates, dass eine Vertretung aller medizinischen 67 / 92

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Fachgebiete in der EAK nicht realistisch ist, und hält es deshalb für angemessen, dass die Kommission auch künftig externe Fachleute beiziehen kann, wenn sie es für notwendig befindet. Die GPK-S ersucht den Bundesrat allerdings, eine allfällige Anpassung der Entschädigungen für die Kommissionsmitglieder zu prüfen, da eine angemessene Vergütung in ihren Augen entscheidend ist, um sicherzustellen, dass qualifizierte Fachleute in die EAK Einsitz nehmen.264 Die Kommission begrüsst ferner, dass in den vergangenen Jahren Massnahmen zur Vervollständigung der Informationsgrundlage der EAK ergriffen wurden und die Anzahl der EAK-Sitzungen erhöht wurde, da dies dazu beigetragen hat, die Rolle der EAK zu stärken (sieh Kap. 3.1.1). Die Frage der Unabhängigkeit der EAK wird in Kapitel 4.3 behandelt.

Empfehlung 9

Ressourcen und Fachkompetenz des BAG und der EAK

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob die Ressourcen und die Fachkompetenz des BAG und der EAK für die Aufnahme und die Überprüfung der Medikamente ausreichend sind, und abhängig von den zu erwartenden Entwicklungen gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.

Zudem wird er gebeten, zu prüfen, ob die Fachkompetenz des BAG im wirtschaftlichen Bereich verstärkt werden muss.

Ausserdem wird er eingeladen, zu prüfen, ob die Entschädigung der Mitglieder der EAK angepasst werden sollte.

Transparenz des Aufnahme- und Überprüfungsverfahrens (Kap. 3.1.4) Die GPK-S ist der Ansicht, dass ihre Empfehlung 6 von 2014, die Transparenz der Verfahren zu erhöhen, grösstenteils umgesetzt ist. Der Bundesrat hat in den vergangenen Jahren mehrere Verordnungsänderungen verabschiedet, mit denen nicht nur eine höhere Transparenz des Aufnahmeverfahrens, sondern auch des Überprüfungsverfahrens angestrebt wurde. Diese Massnahmen tragen dazu bei, die Glaubwürdigkeit des Bundesamtes zu erhöhen und sicherzustellen, dass dieses einheitlich und rechtskonform handelt.

Die Kommission hält allerdings fest, dass der Bundesrat gleichzeitig eine nicht unerhebliche Einschränkung des Transparenzprinzips vorsieht, indem er beantragt hat, die vertraulichen Preismodelle für kostspielige Medikamente, die nicht dem BGÖ unterliegen, im Gesetz zu verankern (siehe Kap. 3.4.3 und 4.3). Sie nimmt Kenntnis von der Begründung des Bundesrates für diesen Entscheid. Sie erachtet es als angemessen, dass diese grundsätzliche Frage dem Parlament unterbreitet wurde. Da in dieser Sache derzeit gesetzgeberische Arbeiten laufen, nimmt sie zu diesem Punkt nicht Stellung.

Vom Sonderfall der Preismodelle abgesehen, ersucht die GPK-S den Bundesrat, dort, wo es möglich ist, die Transparenz des Aufnahme- und Überprüfungsverfahrens weiter zu erhöhen. Sie begrüsst das Engagement der Schweiz auf internationaler Ebene

264

Die Entschädigung der EAK-Mitglieder sollte der zunehmenden Arbeitslast im Zusammenhang mit der Prüfung der Dossiers Rechnung tragen.

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für mehr Transparenz bei den Arzneimittelpreisen265 und lädt den Bundesrat ein, die entsprechenden Bemühungen fortzusetzen.

Empfehlung 10

Transparenz des Aufnahme- und Überprüfungsverfahrens

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, wie die Transparenz des Verfahrens zur Aufnahme von Medikamenten in die SL und zur Überprüfung der in der SL aufgeführten Medikamente weiter erhöht werden kann.

Er wird zudem ersucht, die Kommission darüber zu informieren, wie sich die Schweiz auf internationaler Ebene für mehr Transparenz bei den Medikamentenpreisen einsetzen möchte.

4.2.3

Die ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Aufnahme sehr kostspieliger Medikamente in Angriff nehmen

Die GPK-S hält am Ende ihrer Nachkontrolle fest, dass die Rückvergütung sehr kostspieliger Medikamente über die OKP ethische Grundsatzfragen aufwirft, mit denen das BAG in den kommenden Jahren beim Aufnahmeverfahren konfrontiert sein wird.

Da diese Fragen sehr heikel sind, kann ihre Beantwortung nicht allein dem BAG überlassen werden. Die Kommission erachtet es als äusserst wichtig, dass der Bundesrat diesen Fragen mit Priorität behandelt, eine umfassende gesellschaftliche Debatte anregt und in diesem Bereich klare Leitlinien definiert.

Die GPK-S begrüsst, dass das BAG die NEK beauftragt hat, eine erste Lagebeurteilung zu diesen Fragen vorzunehmen (siehe Kap. 3.5). Sie teilt die Ansicht der NEK, dass die Anwendung der WZW-Kriterien allein langfristig nicht ausreichen wird, um die Gesundheitskosten in einem akzeptablen Rahmen zu halten. Deshalb erachtet sie es wie die NEK und das BAG als unerlässlich, Grenzen für die Abrechnung sehr kostspieliger neuer Medikamente zulasten der OKP festzulegen. Sie begrüsst die allgemeinen Erwägungen der NEK betreffend die Festlegung solcher Grenzen. Die Kommission anerkennt, dass sich die entscheidenden Grundsätze (z. B. Rechtsgleichheit, Diskriminierungsverbot, Menschenwürde, medizinischer Bedarf) bereits im KVG, in den Verordnungen und in der Praxis des BAG widerspiegeln. Sie ist allerdings der Ansicht, dass diese Grundsätze und die entsprechenden Verfahren im Hinblick auf die konkrete Anwendung ausdrücklich in den Rechtsgrundlagen und in den einschlägigen Weisungen definiert werden müssen.

Wie die NEK ist die GPK-S der Auffassung, dass Begrenzungen der Kostenübernahme für kostspielige Medikamente von der Bevölkerung nur dann nachvollzogen und akzeptiert werden können, wenn zuvor eine offene und faktenbasierte gesellschaftliche Debatte stattgefunden hat. In den Augen der Kommission wird die Behandlung von KVG-Revisionen oder Vorstössen zu diesem Thema wahrscheinlich 265

Insbesondere in der WHO. Die GPK-S betont, dass eine höhere Preistransparenz auf internationaler Ebene entscheidenden Einfluss auf die Preisfestlegung in der Schweiz hat, da sich diese zum Teil am APV orientiert (siehe Kap. 3.2.2).

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nicht ausreichen, um eine solche gesellschaftliche Debatte in Gang zu bringen. Sie ersucht den Bundesrat deshalb, in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Möglichkeit zu prüfen, eine landesweite öffentliche Debatte über dieses Thema zu lancieren. Ein solches Vorgehen soll sicherstellen, dass dieses Thema möglichst in der gesamten Schweiz diskutiert wird, um die Bevölkerung für die Herausforderungen in diesem Bereich zu sensibilisieren und konsensfähige Lösungen zu finden. Der Bundesrat wird eingeladen, sich in diesem Zusammenhang vom Beispiel Schweden inspirieren zu lassen (siehe Kap. 3.5). Die Kommission hat vor diesem Hintergrund entschieden, das nachfolgende Postulat einzureichen.

Postulat 2

Abrechnung sehr kostspieliger Medikamente zulasten der OKP klären

Der Bundesrat wird ersucht, in Zusammenarbeit mit der Nationalen Ethikkommission (NEK) im Bereich der Humanmedizin und den anderen betroffenen Akteuren Leitlinien für die Abrechnung sehr kostspieliger Medikamente zulasten der OKP festzulegen. Er wird in diesem Zusammenhang gebeten: 1.

in Zusammenarbeit mit den Kantonen anhand des Beispiels Schweden die Möglichkeit zu prüfen, eine landesweite öffentliche Debatte über dieses Thema zu lancieren;

2.

auf dieser Grundlage die notwendigen Anpassungen am geltenden Recht und an den einschlägigen Weisungen vorzunehmen und die entsprechenden Verfahren festzulegen.

4.3

Weitere Aspekte

Die GPK-S thematisiert nachfolgend einige weitere, zuvor nicht genannte Aspekte, für die sie ihre Empfehlungen von 2014 als umgesetzt betrachtet oder für die sie aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht keinen zusätzlichen Handlungsbedarf sieht.

Aufgabenverteilung im Aufnahme- und Überprüfungsverfahren (Kap. 3.1.1) Die aktuelle Situation, in der das BAG gleichzeitig für die Verfahrensschritte «Assessment» und Entscheid verantwortlich zeichnet, entspricht in den Augen der GPK-S nicht ganz dem Idealzustand, in dem diese Aufgaben unterschiedlichen Stellen obliegen. Im Übrigen ist auch die Unabhängigkeit der EAK, die für den Verfahrensschritt «Appraisal» zuständig ist, nur partiell, da sich ihre Beratungen auf die Faktenblätter des BAG stützen und ihr Sekretariat vom Bundesamt geführt wird. Die GPK-S hält aber fest, dass sich der Bundesrat mit diesen Fragen befasst und in den vergangenen Jahren verschiedene Massnahmen ergriffen hat, um die Aufgabenverteilung im Aufnahme- und Überprüfungsverfahren zu klären.

Die GPK-S kommt zum Schluss, dass die Rolle der EAK seit 2014 präzisiert und gestärkt worden ist. Sie erkennt keinen Hinweis darauf, dass diese Kommission bei ihren Beurteilungen in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt ist. Sie begrüsst den Einbezug einer Vielzahl von Akteuren des Gesundheitsbereichs in die EAK. Angesichts 70 / 92

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der Argumente des Bundesrates erachtet sie das Modell einer ausserparlamentarischen Kommission nach wie vor als geeignet. In ihren Augen ist es allerdings sehr wichtig, dass die EAK, wenn sie es als notwendig erachtet, externe Fachleute beiziehen kann (siehe Kap. 4.2.2).

Die Kommission begrüsst im Weiteren die Schaffung einer HTA-Sektion im BAG und die Tatsache, dass das Bundesamt die Assessments externen Agenturen anvertraut (siehe Kap. 3.2.3). Sie lädt den Bundesrat aber ein, die Schaffung einer vom BAG unabhängigen HTA-Agentur zu prüfen (siehe Postulat 1, Kap. 4.2.1). Dies würde ihrer Ansicht nach dazu beitragen, die Aufgaben im Verfahren noch besser zu trennen.

Die Vorschläge zu den HTA ausgenommen, ist die Kommission der Auffassung, dass ihre Empfehlung 1 von 2014 und die entsprechenden Teile ihrer Empfehlung 3 umgesetzt sind.

Zusammenarbeit zwischen BAG und Swissmedic (Kap. 3.1.5) Die GPK-S begrüsst die Massnahmen, die das BAG und Swissmedic zur Stärkung ihrer Zusammenarbeit im Arzneimittelbereich ergriffen haben. Sie lädt die beiden Einheiten ein, ihre Bemühungen zur Synergienutzung fortzusetzen, und ersucht das BAG, sich weiterhin an den innovativen Praktiken von Swissmedic zu orientieren.266 Sie erachtet es allerdings angesichts der unterschiedlichen gesundheitspolitischen Ziele des Bundesamtes und des Heilmittelinstituts als sinnvoll, dass diese ihre jeweiligen Prüfungen unabhängig voneinander und gemäss verschiedenen Kriterien durchführen.

Zusammenarbeit zwischen dem BAG und den Krankenversicherern (Kap. 3.1.6) Die GPK-S hat in diesem Bereich aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht keinen Handlungsbedarf festgestellt. Sie hält fest, dass die Krankenversicherer eine positive Bilanz ihres Einbezugs in das Aufnahme- und Überprüfungsverfahren ziehen und die Arbeiten des BAG in diesem Bereich allgemein positiv beurteilen, auch wenn sie bei gewissen Punkten (z. B. Wirtschaftskompetenz des BAG, Wirksamkeit der HTA) Verbesserungspotenzial sehen.

Streichung von Medikamenten aus der SL (Kap. 3.4.2) Die GPK-S hat bei ihrer Nachkontrolle festgestellt, dass nur sehr selten Medikamente aus der SL gestrichen werden, weil sie die Kriterien der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit nicht mehr erfüllen.267 Sie erachtet es als nachvollziehbar, dass solche Streichungen die Ausnahme darstellen.268 Ihr ist zudem bewusst, dass es schwierig ist, Medikamente, an die sich die Patientinnen und Patienten gewöhnt haben, von der 266 267

Zum Early-Access-Verfahren siehe Kap. 4.2.2.

Die meisten Streichungen von der SL erfolgen auf Antrag des Zulassungsinhabers (z. B. wegen einer Preissenkung nach einer Überprüfung) oder, weil das Medikament auf dem Markt nicht mehr verfügbar ist oder die Zulassung von Swissmedic zurückgezogen wurde.

268 Zum einen, weil Medikamente, die vom BAG als wirksam und zweckmässig bewertet wurden, diese Kriterien üblicherweise langfristig erfüllen, sofern nicht neue Therapien entwickelt werden, die deutlich wirksamer und zweckmässiger sind. Zum anderen, weil neue Studien über die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit älterer Medikamente selten sind.

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Liste zu streichen, und das es für die Landesversorgung problematisch sein kann, wenn bestimmte Medikamente nicht mehr über die OKP abgerechnet werden können.

Die Kommission hält es dennoch für wichtig, dass das BAG systematisch eine vertiefte Prüfung (z. B. anhand von HTA) vornimmt, wenn der Verdacht besteht, dass ein Medikament die WZW-Kriterien nicht mehr erfüllt. Bewahrheitet sich dieser Verdacht, dann ist das betreffende Medikament konsequent von der Liste zu streichen.

Insbesondere die Medikamente, die befristet aufgenommen wurden, müssen in den Augen der GPK-S eng nachverfolgt werden (siehe Empfehlung 7, Kap. 4.2.2).

Vorbehaltlich der in Kapitel 4.2 formulierten Verbesserungsvorschläge und der anderen Vorschläge des Bundesrates (namentlich die differenzierte Prüfung der WZWKriterien, siehe Kap. 3.2.4), ist die GPK-S der Ansicht, dass das BAG über die erforderlichen Instrumente verfügt, um Medikamente, welche die WZW-Kriterien nicht mehr erfüllen, von der SL zu streichen. Dementsprechend erachtet sie ihr Postulat 14.3297 als erfüllt.

Festlegung von Rückvergütungen in der Limitation und Preismodelle (Kap. 3.4.3) Die GPK-S hält fest, dass die Praxis der Rückvergütungen in der Limitation in Form von vertraulichen Preismodellen in den vergangenen Jahren immer gängiger geworden ist. Sie nimmt die Argumente, mit denen der Bundesrat diese Entwicklung rechtfertigt, zur Kenntnis. Sie hält es für angemessen, dass diese Praxis dem Parlament unterbreitet wird. Da in dieser Sache derzeit gesetzgeberische Arbeiten laufen, nimmt sie zu diesem Punkt nicht Stellung.

Die Kommission hält fest, dass sich der Bundesrat eingehend mit diesem Thema befasst hat, und betrachtet ihre Empfehlung 5 von 2014 deshalb als erfüllt.269 Einzelfallvergütung (Kap. 3.4.4) Die Kommission hält fest, dass die in den Artikeln 71a bis 71d KVV vorgesehene Einzelfallvergütung bei den Akteuren im Gesundheitsbereich unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Die GPK-S weist darauf hin, dass der Bundesrat in den vergangenen Jahren aktiv an einer Präzisierung der entsprechenden rechtlichen Bestimmungen gearbeitet hat. Da dieses Thema die Praxis des BAG bei der Aufnahme von Medikamenten in die SL nur indirekt betrifft, hat die Kommission diesen Aspekt nicht weiter vertieft und verzichtet sie auch auf eine Beurteilung.

Aufnahme und
Überprüfung von Generika (Kap. 3.4.5) Die Kommission ist der Ansicht, dass der Bundesrat ihre Empfehlung 8 von 2014 erfüllt hat, indem er dem Parlament die Einführung eines Referenzpreises für Generika vorgeschlagen hat. Dieser Vorschlag wurde vom Parlament allerdings abgelehnt.

Die GPK-S hält fest, dass der Bundesrat in der Folge auf Verordnungsebene Vorschläge zur Festlegung des Preises von Generika formulierte. Sie geht davon aus, dass er diesem Aspekt weiterhin besondere Aufmerksamkeit schenken und unter Einbezug der betreffenden Akteure und gegebenenfalls des Parlaments Optimierungsvorschläge auf Gesetzes-, Verordnungs- oder Weisungsebene unterbreiten wird.

269

Zu den Auswirkungen der Preismodelle auf die Transparenz siehe Kap. 4.2.2 und Empfehlung 8.

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5

Schlussfolgerungen

Die GPK-S hat im Rahmen ihrer Nachkontrolle zur Inspektion von 2014 die Praxis des BAG bei der Aufnahme von Medikamenten in die SL und bei der Überprüfung der in der SL aufgeführten Medikamente analysiert. Sie hat untersucht, inwieweit der Bundesrat ihre acht Empfehlungen und drei Postulate von 2014 umgesetzt hat. Zudem hat sie sich mit den aktuellen und künftigen Herausforderungen in diesem Bereich befasst.

Die GPK-S stellt erfreut fest, dass der Bundesrat, das EDI und das BAG diesem Themenbereich in den vergangenen Jahren grosse Aufmerksamkeit geschenkt haben. Sie kommt zum Schluss, dass es die Massnahmen, die seit 2014 ergriffen worden sind, ermöglicht haben, die Verfahren für die Aufnahme von Medikamenten in die SL und für die Überprüfung der Medikamente in der SL zu verbessern und mehrere ihrer Empfehlungen umzusetzen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang namentlich die Aufstockung der Ressourcen des BAG, die Erhöhung der Transparenz des Aufnahmeund Überprüfungsverfahrens, die Ausarbeitung von Nutzenbewertungsmodellen, die Schaffung einer HTA-Sektion im BAG, die Schaffung eines Early-Access-Verfahrens für innovative Medikamente und die Verbesserung des Verfahrens für die Überprüfung der Medikamente.

Auf der Grundlage der erhaltenen Informationen kommt die GPK-S zum Schluss, dass das Handeln der Bundesbehörden im Bereich der Aufnahme und Überprüfung der Medikamente das Kriterium der Zweckmässigkeit erfüllt. Sie hat zudem keine Hinweise erkannt, die vermuten lassen, dass das Kriterium der Rechtmässigkeit in diesem Bereich nicht erfüllt würde. Allerdings ist sie der Ansicht, dass die Wirksamkeit der Verfahren angesichts der Herausforderungen im Arzneimittelbereich (Anstieg der Kosten zulasten der OKP, neue kostspielige Therapien, Versorgungssicherheit) zwingend verbessert werden muss. Sie hält zudem fest, dass es in mehreren Punkten grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesbehörden und der Pharmaindustrie bestehen. Vor diesem Hintergrund hat sie 10 neue Empfehlungen zuhanden des Bundesrates formuliert und 2 Postulate eingereicht.

Die Kommission ist der Auffassung, dass das Aufnahme- und Überprüfungsverfahren nur verbessert werden kann durch eine gemeinsame Anstrengung aller betroffenen Akteure, d. h. nicht nur des BAG, sondern auch der Pharmaindustrie, der Krankenversicherer
und anderer Beteiligter. Sie ruft diese Akteure auf, in diesem Bereich konstruktiv zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu finden, die von allen Beteiligten mitgetragen werden können.

Umsetzung der Empfehlungen und Postulate von 2014 Die GPK-S kommt zum Schluss, dass ihre Empfehlungen 1 (Trennung der Aufgaben und Kompetenzen), 5 (Rückvergütungen in der Limitation) und 8 (Generikapreise) sowie das Postulat 14.3297 (Streichung von Medikamenten) vom Bundesrat umgesetzt wurden bzw. in Bezug auf diese kein zusätzlicher Handlungsbedarf aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht besteht.

Sie begrüsst die Massnahmen des Bundesrates zur Umsetzung der Empfehlungen 2 (Kategorisierung des therapeutischen Nutzens), 3 (Ressourcen der EAK und des BAG), 73 / 92

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4 (befristete Aufnahme von Medikamenten), 6 (Transparenz des Aufnahmeverfahrens) und 7 (periodische Überprüfung) sowie zur Erfüllung der Postulate 14.3295 und 14.3296 (Optimierung der Prüfung nach den WZW-Kriterien), ist allerdings der Ansicht, dass in diesen Bereichen noch zusätzliche Verbesserungen notwendig sind. Aus diesem Grund und angesichts der Herausforderungen, die im Rahmen der Nachkontrolle ermittelt wurden, hat sie eine Reihe neuer Empfehlungen formuliert.

Wichtigste aktuelle Herausforderungen und neue Empfehlungen Die GPK-S ist der Ansicht, dass die Bewertung nach den WZW-Kriterien, die das BAG im Rahmen der Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten vorzunehmen hat, noch verbessert werden muss. Sie hält fest, dass die Blockade im aktuellen System quasi systematisch auf die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie über die Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Medikamente zurückzuführen ist. Sie erachtet es in diesem Zusammenhang als sinnvoll, dass das BAG bei seiner Prüfung über einen gewissen Ermessensspielraum verfügt. Sie ersucht den Bundesrat dennoch, verschiedene Massnahmen zu prüfen, mit denen die Wirtschaftlichkeitsbewertung geklärt und optimiert werden kann (Empfehlung 2). Im Weiteren erwartet die Kommission, dass das BAG die öffentliche Information über die geltenden Regeln für die Bewertung der Medikamente nach den WZW-Kriterien weiter verbessert und dass es nötigenfalls die Referenzdokumente aktualisiert (Empfehlung 1). Die Kommission erachtet es zudem als wichtig, dass das Amt ein Nutzenbewertungmodell für die nicht-onkologischen Medikamente prioritär finalisiert und einführt (Empfehlung 3). Sie ist ausserdem der Auffassung, dass die Wirksamkeit der vom BAG vorgenommenen Health Technology Assessments (HTA) noch erhöht werden muss und dass der Bundesrat die Schaffung einer unabhängigen HTA-Agentur prüfen sollte, weshalb sie ein entsprechendes Postulat verabschiedet hat (Postulat 1).

Die GPK-S begrüsst die Massnahmen, die in den vergangenen Jahren ergriffen wurden, um die Verfahren für die Aufnahme von Medikamenten in die SL und für die Überprüfung der darin aufgeführten Medikamente zu verbessern. Sie ist allerdings der Ansicht, dass diese Verfahren weiter optimiert werden können, und hat verschiedene Verbesserungsvorschläge
formuliert. Diese betreffen die Bearbeitungsdauer (Empfehlung 4), den Austausch zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie (Empfehlung 5), die befristete Aufnahme von Medikamenten in die SL (Empfehlung 7), die periodische Überprüfung der Medikamente (Empfehlung 8), die Ressourcen des BAG und der EAK (Empfehlung 9) sowie die Transparenz der Verfahren (Empfehlung 10).

Zudem erwartet sie vom Bundesrat, dass er eine Bilanz des neuen Early-Access-Verfahrens für innovative Medikamente zieht, welches 2023 eingeführt wurde (Empfehlung 6).

Ferner hält die GPK-S fest, dass die Abrechnung neuer, sehr kostspieliger Therapien zulasten der OKP ethische Grundsatzfragen aufwirft. Sie erachtet es als äussert wichtig, dass der Bundesrat diese mit Priorität behandelt. Sie ersucht ihn, die Lancierung einer nationalen Debatte über dieses Thema zu prüfen und anschliessend in den einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Weisungen entsprechende Leitlinien zu verankern. Sie hat hierzu ein Postulat verabschiedet (Postulat 2).

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Nächste Schritte Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die Feststellungen und neuen Empfehlungen aus diesem Bericht bei seinen kommenden Arbeiten zu berücksichtigen. Ferner bittet sie ihn, ihr bis spätestens 17. April 2024 eine Stellungnahme zu diesem Bericht zukommen zu lassen.

14. November 2023

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S): Der Präsident: Matthias Michel Die Sekretärin der GPK und der GPDel: Ursina Jud Huwiler Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Marco Chiesa Der Sekretär der Subkommission EDI/UVEK: Nicolas Gschwind

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Abkürzungsverzeichnis AMBV

Verordnung vom 14 November 2018 über die Bewilligungen im Arzneimittelbereich (Arzneimittel-Bewilligungsverordnung; SR 812.212.1)

APV

Auslandspreisvergleich

BAG

Bundesamt für Gesundheit

BFS

Bundesamt für Statistik

BGer

Bundesgericht

BGÖ

Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsgesetz; SR 152.3)

BVGer

Bundesverwaltungsgericht

EAK

Eidgenössische Arzneimittelkommission

EDI

Eidgenössisches Departement des Innern

EFK

Eidgenössische Finanzkontrolle

EFPIA

European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations

ESMO

European Society for Medical Oncology

GDK

Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

HMG

Bundesgesetz vom 15. Dezember 2022 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz; SR 812.21)

HTA

Health Technology Assessments

IHSI

International Horizon Scanning Initiative

Ip.

Interpellation

KLV

Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (SR 832.102)

KVG

Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (SR 832.10)

KVV

Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung; SR 832.112.31)

Mo.

Motion

NEK

Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin

OKP

Krankenpflegeversicherung

Po.

Postulat

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PVK

Parlamentarische Verwaltungskontrolle

SAMW

Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften

SGK-S

Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates

SGMO

Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Onkologie

SL

Spezialitätenliste

SMB

Swiss Medical Board

TQV

Therapeutischer Quervergleich

VAM

Verordnung vom 21. September 2018 über die Arzneimittel (SR 812.212.21)

Vips

Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz

VwVG

Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz; SR 172.021)

VZÄ

Vollzeitstelle

W.A.I.T.

Waiting to Access Innovative Therapies

WHO

Weltgesundheitsorganisation

WZW-Kriterien Kriterien der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit

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Anhang 1

Liste der angehörten Personen Vertreterinnen und Vertreter des EDI und des BAG Bruhin, Lukas

Ehemaliger Generalsekretär des EDI (bis Ende März 2020) / Präsident des Insitutsrates von Swissmedic (seit August 2020)

Christen, Thomas

Stv. Direktor, Leiter Direktionsbereich Krankenund Unfallversicherung, BAG

Gresch, Lukas

Generalsekretär des EDI (seit April 2020)

Indermitte, Jörg

Leiter der Sektion Arzneimittelaufnahmen, Abteilung Leistungen Krankenversicherung, Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung, BAG

Lévy, Anne

Direktorin des AG (seit Oktober 2020)

Rizzi, Andrea

Leiterin der Sektion Arzneimittelüberprüfung, Abteilung Leistungen Krankenversicherung, Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung, BAG

Schneider, Marc

Co-Leiter der Abteilung Leistungen Krankenversicherung, Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung, BAG (seit August 2021)

Tandjung, Ryan

Ehemaliger Leiter der Abteilung Leistungen Krankenversicherung, Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung, BAG (vom Februar 2019 bis Juli 2021)

Weitere Angehörte Personen Bruhin, Raimund

Direktor, Swissmedic

Girard, Philippe

Stv. Direktor, Swissmedic

Kilchenmann, Christoph

Stv. Direktor, Santésuisse

Köhli, Martin

Fachbereichsleiter, EFK

Müller, Axel

Geschäftsführer, Intergenerika

Niemack, Ernst

Geschäftsführer, Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz (Vips)

Plattner, Marcel

Präsident, Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz (Vips)

Sandmeier, Heiner

Stv. Geschäftsführer, Interpharma

Sarbach, Daniel

Leiter der Arbeitsgruppe biosimilar.ch, Intergenerika

Schiesser, Andreas

Projektleiter Pharma, Curafutura

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Stirnimann, Pascal

Direktor, EFK

Walter, Patrick

Projektleiter Medikamente, Santésuisse

Zängerle, Pius

Geschäftsführer, Curafutura

Ziegler, Markus

Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Patient Access und IPR, Interpharma

Zimmermann, Markus

Vizepräsident, Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin

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Anhang 2

Definition der WZW-Kriterien Wirksamkeit: Dieses Kriterium betrifft die medizinische Wirkung des Arzneimittels auf die Patientin oder den Patienten. Eine Leistung gilt insbesondere dann als wirksam, wenn sie geeignet ist, die angestrebten Ziele zu erreichen, und wenn mit wissenschaftlichen Methoden ein im Vergleich zu alternativen Leistungen günstiges Verhältnis von Nutzen und Schaden nachgewiesen ist. Für die Aufnahme in die SL evaluiert das BAG die Wirksamkeit im Vergleich zu ähnlichen Medikamenten, die bereits vergütet werden.

Zweckmässigkeit: Dieses Kriterium betrifft die Eignung und die Relevanz im Behandlungspfad, d. h. den «medizinischen Bedarf» für das Medikament. Eine Leistung ist zweckmässig, wenn sie im Vergleich zu alternativen Verfahren für die Patientenversorgung relevant und geeignet ist, wenn sie mit den rechtlichen Bedingungen sowie den ethischen und sozialen Aspekten oder Werten vereinbar ist und wenn die Qualität sowie die angemessene Anwendung in der Praxis gewährleistet sind.

Wirtschaftlichkeit: Ein Arzneimittel gilt gemäss KVV als wirtschaftlich, wenn es die indizierte Heilwirkung mit möglichst geringem finanziellem Aufwand gewährleistet.

Eine Leistung erfüllt dieses Kriterium, wenn ihre Tarife und Preise nachvollziehbar bemessen sind, wenn sie im Vergleich zu den alternativen Verfahren ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist oder den Mehrkosten ein entsprechender therapeutischer Mehrnutzen gegenübersteht und wenn die Kostenauswirkungen auf die OKP tragbar sind.270 Die Wirtschaftlichkeit wird anhand eines Auslandpreisvergleichs (APV)271 und eines Vergleichs mit ähnlichen in der Schweiz zugelassenen Medikamenten (therapeutischer Quervergleich, TQV)272 evaluiert. APV und TQV fliessen jeweils hälftig in die Evaluation ein. Die KVV sieht die Möglichkeit vor, für Arzneimittel, die einen erheblichen therapeutischen Fortschritt darstellen, einen Innovationszuschlag in den TQV einzurechnen. Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit ist de facto das entscheidende ­ und umstrittenste ­ Kriterium im Verfahren zur Aufnahme eines Medikaments in die SL.

Die Vertragspartner und die zuständigen Behörden haben gemäss Artikel 43 Absatz 6 KVG darauf zu achten, «dass eine qualitativ hoch stehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird.»

270

Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt bei einer vergleichbaren Wirksamkeit und Zweckmässigkeit grundsätzlich die kostengünstigste Alternative als wirtschaftlich. Ein besseres Nutzen-Schaden-Verhältnis und eine erhöhte Zweckmässigkeit rechtfertigen hingegen höhere Kosten und deren Übernahme im Rahmen der OKP.

Obergrenzen bezüglich Kosten-Nutzen-Verhältnis sind in der Schweiz nicht festgelegt.

Das Verhältnismässigkeitsprinzip kommt dennoch zur Anwendung, insbesondere im Hinblick auf die Dämpfung der Gesundheitskosten.

271 Art. 65b KVV, Art. 34abis, 34b und 34c KLV. Der APV umfasst eine Auswahl von neun Ländern.

272 Art. 65b KVV

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Anhang 3

Abbildungen Abbildung 3 Entwicklung der Kosten zulasten der OKP im Arzneimittelbereich

Quelle: BAG

Abbildung 4 Ressourcen der BAG-Sektionen im Arzneimittelbereich

Quelle: BAG

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Abbildung 5 Behandlungsdauer für die Zulassung der Arzneimittel gemäss Berechnungen der Pharmaindustrie

Quelle: Interpharma, Vips, Intergenerika, Stand Oktober 2023

Abbildung 6 Mediane Dauer zwischen Zulassung und Vergütung von Arzneimitteln

Quelle: EFPIA / IQVIA

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Abbildung 7 Durchschnittliche Dauer zwischen Zulassung und Vergütung von Arzneimitteln

Quelle: EFPIA / IQVIA

Abbildung 8 Vorschlag der Pharmaindustrie für einen alternativen Prozess zur Aufnahme von Arzneimittel

Quelle: Interpharma, Vips, Intergenerika, Stand Februar 2022

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Abbildung 9 Vorschlag der Pharmaindustrie für einen Prozess zur frühzeitigen Aufnahme von Arzneimitteln («Rückvergüteter Innovationszugang für Patientinnen und Patienten»)

Quelle: Interpharma, Vips, Intergenerika, Stand Oktober 2023

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Anhang 4

Empfehlungen und Postulate aus dem Jahr 2014 Empfehlung 1: Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu prüfen, ob die gegenwärtige Aufgabentrennung zwischen der EAK und dem BAG zweckmässig und prozessoptimiert ist sowie der Zusammensetzung dieser Stellen gerecht wird. Dabei soll der Bundesrat insbesondere die Einführung von klar getrennten Verantwortlichkeiten gemäss der international anerkannten Aufteilung der Verfahrensschritte («Assessment», «Appraisal» und «Decision») prüfen.

Empfehlung 2: Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die Zweckmässigkeit und Praxistauglichkeit der Kategorisierung gemäss Artikel 31 Absatz 3 KLV zu prüfen und allenfalls Anpassungen vorzunehmen.

Empfehlung 3: Die GPK-S ersucht den Bundesrat, in Abhängigkeit der zukünftigen Rollen der EAK und der zuständigen Sektion des BAG und unter Berücksichtigung der Resultate der laufenden Effizienzüberprüfung des BAG sicherzustellen, dass beide Institutionen mit den für die Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen Ressourcen ausgestattet sind. Der Bundesrat trägt dabei insbesondere der Unabhängigkeit der EAK und einer angemessenen organisatorischen Trennung zum BAG Rechnung.

Empfehlung 4: Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, die befristete Aufnahme von Medikamenten in der Spezialitätenliste transparent auszuweisen und dafür zu sorgen, dass diejenigen Medikamente, welche die gesetzlichen WZW-Kriterien nicht erfüllen, nach erfolgter Evaluation konsequent von der Kassenpflicht ausgeschlossen werden.

Empfehlung 5: Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die Praxis der Festsetzung von Rückvergütungen in der Limitation eines Medikaments zu überprüfen.

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Empfehlung 6: Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, zu prüfen, wie die Verfahrensschritte und der Entscheid über die Aufnahme eines Medikaments in der Spezialitätenliste transparenter dokumentiert und der interessierten Öffentlichkeit kommuniziert werden können. Er berücksichtigt dabei sowohl das Interesse der Öffentlichkeit und der Leistungserbringer an der Bekanntgabe der Beurteilung des Medikamentennutzens als auch die Interessen der Arzneimittelhersteller auf Wahrung des Geschäftsgeheimnisses. Der Bundesrat stellt dabei sicher, dass Entscheide des BAG, welche von der Beurteilung der EAK abweichen, ausreichend begründet werden.

Empfehlung 7: Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, darzulegen, wie der Auftrag der periodischen Überprüfung gemäss Artikel 32 Absatz 2 KVG im Bereich der Medikamente künftig vollumfänglich umgesetzt werden kann.

Empfehlung 8: Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, im Bereich der patentfreien Medikamente Massnahmen zu prüfen, die griffigere Anreize zur Preissenkung von Originalpräparaten und Generika sowie zur vermehrten Verschreibung von Generika schaffen. Dabei nimmt er insbesondere zur möglichen Einführung eines Festbetragssystems Stellung.

Postulat 14.3295: Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, eine Präzisierung und Ergänzung der Kriterien zum Nachweis der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten. Dabei sorgt er insbesondere für eine verbesserte Berücksichtigung des Medikamentennutzens.

Postulat 14.3296: Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, eine Optimierung der Kriterien zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten. Im Bereich des therapeutischen Quervergleichs prüft er insbesondere die Festlegung von Vergleichsgruppen und eine Weiterentwicklung der KostenNutzen-Analyse. Im Zusammenhang mit dem Auslandpreisvergleich prüft er eine verbesserte Berücksichtigung der tatsächlich von den Krankenkassen im Ausland vergüteten Medikamentenpreise. Mit der Präzisierung der Bedingungen eines Innovationszuschlages sorgt er für eine einheitliche Zuschlagsgewährung.

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Postulat 14.3297: Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, in einem Bericht Massnahmen abzuklären, die es ermöglichen, in der Spezialitätenliste aufgenommene Medikamente, welche die WZW-Kriterien nicht mehr erfüllen, konsequent von der Spezialitätenliste zu streichen.

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Anhang 5

Neue Empfehlungen und Postulate der GPK-S Empfehlung 1

Rechtsgrundlagen und andere Vorgaben für die Bewertung der Medikamente nach den WZW-Kriterien

Der Bundesrat wird ersucht, dafür zu sorgen, dass das BAG das Handbuch zur SL und ­ soweit notwendig ­ das Dokument zur Operationalisierung der WZWKriterien aktualisiert.

Der Bundesrat wird zudem ersucht, sicherzustellen, dass das BAG die öffentliche Kommunikation über die Rechtsgrundlagen, die sonstigen Vorgaben und die Rechtsprechung in Sachen Bewertung der Medikamente nach den WZWKriterien im Aufnahme- und Überprüfungsverfahren weiter verbessert. Das Bundesamt wird gebeten, hierbei die digitalen Möglichkeiten zu nutzen.

Empfehlung 2

Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Medikamenten

Der Bundesrat wird ersucht, die Modalitäten der Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Medikamenten bestmöglich zu klären und zu optimieren, um den therapeutischen Quervergleich (TQV) und den Auslandpreisvergleich (APV) wirksamer zu machen. Er wird gebeten, in diesem Zusammenhang ­ in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren ­ insbesondere zu prüfen: ­

ob für die Auswahl der Medikamente, die vom BAG für den TQV und den APV herangezogen werden, allgemeine Leitlinien definiert werden müssten;

­

inwieweit die Verordnungsbestimmungen (KVV und KLV) dahingehend angepasst werden könnten, dass im APV die im Ausland tatsächlich vergüteten Medikamentenpreise berücksichtigt werden;

­

inwieweit sich der APV und der TQV immer noch als Modelle für alle Szenarien eignen, oder ob es nicht alternative Ansätze braucht.

Empfehlung 3

Nutzenbewertungsmodell für nicht-onkologische Medikamente

Der Bundesrat wird ersucht, dafür zu sorgen, dass das BAG ein Nutzenbewertungsmodell für nicht-onkologische Medikamente prioritär finalisiert und einführt.

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Postulat 1

Health Technology Assessments (HTA): Bilanz, Erhöhung der Wirksamkeit und Prüfung der Schaffung einer unabhängigen Einrichtung

Der Bundesrat wird gebeten: 1.

bis 2025 eine detaillierte Bilanz der HTA-Praxis des BAG zu ziehen, die eine Analyse der Qualität der HTA, eine Analyse der Auswirkungen der HTA, eine Schätzung der erzielten Einsparungen und eine Auflistung der grössten Herausforderungen für das BAG umfasst;

2.

auf der Grundlage dieser Bilanz zu prüfen, welche Massnahmen ergriffen werden könnten, um die Wirksamkeit der HTA zu erhöhen;

3.

die Schaffung einer unabhängigen HTA-Agentur zu prüfen, in Zusammenarbeit mit anderen institutionellen Akteuren.

Der Bundesrat wird ersucht, die Ergebnisse seiner Arbeiten in einem Bericht darzulegen.

Empfehlung 4

Bearbeitungsdauer für die Aufnahmegesuche

Der Bundesrat wird ersucht, darauf hinzuwirken, dass die Dauer für die Bearbeitung der Gesuche um die Aufnahme von Medikamenten in die Spezialitätenliste verkürzt wird. Er wird in diesem Zusammenhang gebeten, in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren zu prüfen, inwieweit die Verordnungsbestimmungen über die Fristen ergänzt oder präzisiert werden müssen.

Der Bundesrat wird zudem gebeten, zu prüfen, wie die Transparenz bezüglich der Dauer für die Bearbeitung der Aufnahmegesuche erhöht werden kann, z. B. durch die regelmässige Veröffentlichung entsprechender Statistiken durch das BAG.

Ausserdem wird der Bundesrat eingeladen, zu prüfen, ob es nicht zweckmässig wäre, in die Verordnungen ausdrücklich ein «Stop the clock»-System für das Aufnahmeverfahren aufzunehmen. Ausserdem wird er gebeten, zu prüfen, ob und wie das beschleunigte Aufnahmeverfahren nach Artikel 31a KLV verbessert werden kann.

Empfehlung 5

Austausch zwischen BAG und Pharmaindustrie

Der Bundesrat wird ersucht, dafur zu sorgen, dass das BAG weiterhin einen regelmässigen und strukturierten Austausch mit den Dachverbänden der Pharmaindustrie und mit den betroffenen Unternehmen über das Verfahren zur Aufnahme und Überprüfung von Arzneimitteln pflegt. Ziel des Austauschs muss die konstruktive Suche nach Lösungen sein, die von allen Beteiligten unterstützt werden können. Die Unabhängigkeit des BAG bei der Ausübung seines gesetzlichen Auftrags muss gewahrt bleiben.

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Empfehlung 6

Bilanz des Early-Access-Verfahrens

Der Bundesrat wird ersucht, in drei bis vier Jahren eine Bilanz zu ziehen über das neue Early-Access-Verfahren für Medikamente, für die ein erhöhter medizinischer Bedarf besteht. Er wird eingeladen, dabei den Auswirkungen dieser Massnahme auf die Dauer des Aufnahmeverfahrens und auf den Vergütungsbetrag besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Empfehlung 7

Befristete Aufnahmen

Der Bundesrat wird ersucht, sicherzustellen, dass das BAG die befristet in die SL aufgenommenen Medikamente eng nachverfolgt.

Er wird zudem eingeladen, in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren zu prüfen, welche Massnahmen ergriffen werden können, um die Zahl der Verlängerungen von befristeten Aufnahmen zu reduzieren und sicherzustellen, dass in diesen Fällen die Informationen, die für die WZW-Prüfung fehlen, so rasch wie möglich vorgelegt werden.

Empfehlung 8

Periodische Überprüfung der Medikamente

Der Bundesrat wird ersucht, das Verfahren für die Überprüfung der Medikamente in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren weiter zu verbessern. Insbesondere wird er eingeladen, zu prüfen, ob es Anpassungen am Verfahren und an den Fristen für die Ankündigung der Preissenkungen braucht. Er wird zudem gebeten, die Möglichkeit einer grösseren Flexibilisierung des Überprüfungsrhythmus (geknüpft an klare Kriterien) zu prüfen. Ausserdem wird er eingeladen, dafür zu sorgen, dass im Rahmen der Überprüfungen noch häufiger Health Technology Assessments (HTA) durchgeführt werden.

Der Bundesrat wird ferner ersucht, sicherzustellen, dass die Überprüfungen nach Patentablauf unter Einhaltung der Vorgaben der KVV erfolgen.

Im Weiteren wird er ersucht, nach dem dritten Zyklus (2023­25) eine allgemeine Bilanz über die Wirksamkeit der periodischen Überprüfung der Medikamente zu ziehen.

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Empfehlung 9

Ressourcen und Fachkompetenz des BAG und der EAK

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob die Ressourcen und die Fachkompetenz des BAG und der EAK für die Aufnahme und die Überprüfung der Medikamente ausreichend sind, und abhängig von den zu erwartenden Entwicklungen gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.

Zudem wird er gebeten, zu prüfen, ob die Fachkompetenz des BAG im wirtschaftlichen Bereich verstärkt werden muss.

Ausserdem wird er eingeladen, zu prüfen, ob die Entschädigung der Mitglieder der EAK angepasst werden sollte.

Empfehlung 10

Transparenz des Aufnahme- und Überprüfungsverfahrens

Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, wie die Transparenz des Verfahrens zur Aufnahme von Medikamenten in die SL und zur Überprüfung der in der SL aufgeführten Medikamente weiter erhöht werden kann.

Er wird zudem ersucht, die Kommission darüber zu informieren, wie sich die Schweiz auf internationaler Ebene für mehr Transparenz bei den Medikamentenpreisen einsetzen möchte.

Postulat 2

Abrechnung sehr kostspieliger Medikamente zulasten der OKP klären

Der Bundesrat wird ersucht, in Zusammenarbeit mit der Nationalen Ethikkommission (NEK) im Bereich der Humanmedizin und den anderen betroffenen Akteuren Leitlinien für die Abrechnung sehr kostspieliger Medikamente zulasten der OKP festzulegen. Er wird in diesem Zusammenhang gebeten: 1.

in Zusammenarbeit mit den Kantonen anhand des Beispiels Schweden die Möglichkeit zu prüfen, eine landesweite öffentliche Debatte über dieses Thema zu lancieren;

2.

auf dieser Grundlage die notwendigen Anpassungen am geltenden Recht und an den einschlägigen Weisungen vorzunehmen und die entsprechenden Verfahren festzulegen.

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