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Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte vom 17. November 2023

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Das Wichtigste in Kürze Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte haben an ihrer Sitzung vom 24. Januar 2023 beschlossen, eine Inspektion zu den Indiskretionen im Zusammenhang mit den Covid-19-Bundesratsgeschäften einzuleiten und haben hierzu eine sechsköpfige Arbeitsgruppe eingesetzt. Die Arbeitsgruppe nahm ihre Arbeit an der Sitzung vom 15. Februar 2023 auf und verabschiedete dabei das Untersuchungskonzept.

Auftragsgemäss befasste sich die Arbeitsgruppe insbesondere mit den folgenden Hauptthemen: Sie sollte klären, zu welchen Indiskretionen es im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates gekommen ist, wer diese ausgelöst hat und wer Empfänger dieser Indiskretionen war. Zudem sollte untersucht werden, welche Massnahmen der Vorsteher des EDI einerseits und der Bundesrat als Gremium andererseits ergriffen haben, um die regelmässig auftretenden Indiskretionen zu verhindern.

Vor dem Hintergrund des laufenden Strafverfahrens gaben die Kommissionen ein Rechtsgutachten bei Prof. Giovanni Biaggini in Auftrag, um Fragen zur Abgrenzung der Abklärungen der GPK zu laufenden Strafverfahren sowie zum Schutz der Persönlichkeitsrechte zu klären.

Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrats Die Arbeitsgruppe führte eine Medienanalyse der Berichterstattung vor und nach den relevanten Sitzungen des Bundesrates durch, hörte alle während dem Untersuchungszeitraum amtierenden Bundesrätinnen und Bundesräte sowie weitere Personen an und wertete verschiedene E-Mails mit dem Ziel aus, Klarheit über die erfolgten Indiskretionen, deren Urheber und Mitwisser zu erhalten. Mit Rücksicht auf das laufende Strafverfahren gegen den ehemaligen Kommunikationschef des EDI verzichtete die GPK darauf, die aktuell beim Zwangsmassnahmengericht gesiegelten Akten einzuverlangen. Auch waren verschiedene potentiell relevante E-Mails bei Beginn der Untersuchung der GPK bereits gelöscht bzw. nicht mehr vorhanden, andere E-Mails wurden später gelöscht. Bei der Einordnung der Ergebnisse ist diese lückenhafte Quellenlage zu berücksichtigen.

Die GPK stellen gestützt auf eine Liste des Bundesrates und einer darauf basierenden Medienanalyse fest, dass Covid-19-Vorlagen des Bundesrates regelmässig Gegenstand von Indiskretionen waren. Die Medienanalyse bestätigt, dass verschiedene Medien besonders
häufig über klassifizierte Informationen verfügten und darüber berichteten. Die Abklärungen der GPK haben zudem gezeigt, dass der CEO der Ringier AG vom ehemaligen Kommunikationschef des EDI vertraulich klassifizierte Informationen erhalten hat, wobei die Auswertung der Medienberichterstattung keine Hinweise auf die Verwendung der übermittelten Informationen in der Berichterstattung ergeben hat. Darüber hinaus konnten gestützt auf die Medienanalyse und die der Arbeitsgruppe zur Verfügung stehenden Quellen weder weitere Empfänger noch Urheber oder allfällige Mitwisser der zahlreichen Indiskretionen während der Pandemie identifiziert werden.

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Massnahmen des Bundesrates zur Verhinderung von Indiskretionen ­ Auswirkungen der Indiskretionen auf seine Geschäftsführung Die Untersuchung der GPK zeigte, dass der Bundesrat verschiedene Massnahmen getroffen hatte, um die Anzahl an Indiskretionen zu minimieren. So hatte er auf Antrag des EDI und der BK etwa beschlossen, die Konsultationsunterlagen selber zu veröffentlichen, und ein Sonderverfahren für besonders sensible Bundesratsgeschäfte einzuführen. Da diese Massnahmen jedoch nicht erfolgreich waren, wurden sie teilweise kurz nach ihrer Einführung wieder eingestellt. Das Thema der Indiskretionen wurde zudem in verschiedenen departementübergreifenden Gremien und vereinzelt auch in Bundesratssitzungen angesprochen. Die Kommissionen stellten jedoch fest, dass sich in Bezug auf das Thema der Indiskretionen eine Art Resignation eingestellt hat und dies mitunter ein Grund dafür war, dass keine weitergehenden Massnahmen ergriffen wurden. Konkret wurden trotz der zahlreichen Indiskretionen während dem Untersuchungszeitraum lediglich zwei Strafanzeigen eingereicht; beide stammten aus dem EDI (s. unten).

Die Anzahl und teilweise auch die Art der Indiskretionen ­ insbesondere jene aus den Bundesratssitzungen ­ haben nach den Erkenntnissen der Kommissionen zu einem grossen Vertrauensverlust innerhalb des Bundesrates geführt. Die Häufung von Indiskretionen hatte konkrete Auswirkungen auf die Entscheidfindung und Beschlussfassung des Bundesrates. So wurden einerseits etwa vermehrt Geschäfte höher klassifiziert als notwendig, was dazu geführt hat, dass eine Konsultation der Fachexpertinnen und -experten ausblieb. Andererseits verzichteten die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher vermehrt auf das Einreichen von Mitberichten, wodurch die Vorbereitung erschwert wurde. Die GPK bedauern, dass trotz des klar spürbaren Vertrauensverlusts im Zuge der vielen Indiskretionen während der Pandemie eine Aussprache im Bundesrat erst im Januar 2023 im Zuge der Berichterstattung über mutmassliche Covid-19-Indiskretionen aus dem EDI stattgefunden hat.

Massnahmen des Vorstehers des EDI einerseits und der anderen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher andererseits zur Verhinderung von Indiskretionen Die Untersuchung hat gezeigt, dass der Departementsvorsteher des EDI vom regelmässigen Kontakt zwischen seinem
Kommunikationschef und dem CEO der Ringier AG Kenntnis hatte. Der Arbeitsgruppe liegen jedoch keine Nachweise vor, wonach er über den konkreten Inhalt dieses Austausches informiert gewesen ist oder dass die Indiskretionen in seinem Auftrag erfolgt wären. Für die GPK ist nur beschränkt nachvollziehbar, dass der Departementsvorsteher des EDI im Wissen um diese Kontakte und die zahlreichen und wiederholt auftretenden Indiskretionen zu Geschäften des EDI keine spezifischen Massnahmen in seinem Departement ergriffen hat. Klar festzuhalten ist aber auch, dass die Untersuchung keine Belege dafür fand, dass die Quelle der Indiskretionen im EDI war und dass der Vorsteher des EDI von allfälligen Leaks wusste oder diese toleriert hätte.

Alle angehörten Departementsvorsteherinnen und Departementsvorsteher betonten, dass in ihren Departementen eine Nulltoleranz gegolten habe bzw. gelte. Umso erstaunlicher ist aus Sicht der GPK die auffällige Häufigkeit der Verbreitung von ver-

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traulich klassifizierten Informationen, nicht nur im Untersuchungszeitraum, sondern auch in der jüngeren Vergangenheit.

Eine wichtige Massnahme im Kampf gegen Indiskretionen stellt aus Sicht der Kommissionen die Einreichung einer Strafanzeige wegen einer Amtsgeheimnisverletzung dar. Auffallend ist aber, dass mit Ausnahme des EDI im Berichtszeitraum weder ein anderes Departement noch die Bundeskanzlei im Namen des Bundesrates eine Strafanzeige eingereicht hat. Die angehörten Personen haben dies damit begründet, dass die Erfolgsaussichten einer Strafanzeige sehr gering sind. Die GPK bedauern dies und begrüssen daher die derzeit in Umsetzung begriffenen Aufträge des Bundesrates, welche auf die Arbeiten der durch den Bundeskanzler eingesetzten Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrund-lagen zurückgehen. Dabei sollen insbesondere die Erfolgsaussichten einer eingereichten Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung gesteigert und die Mitarbeitenden der Bundesverwaltung besser für die Thematik sensibilisiert werden.

Die Abklärungen der Arbeitsgruppe ergaben weiter, dass verschiedene Indiskretionen direkt die Diskussionen an Sitzungen des Bundesrates betrafen. Es ist davon auszugehen, dass diese Indiskretionen aus dem nahen Umfeld der Mitglieder des Bundesrates stammen, weshalb den departemental sehr heterogen ausgestalteten Debriefings nach den Bundesratssitzungen eine bedeutende Rolle zukommt. In diesem Zusammenhang gaben sämtliche angehörten Departementsvorsteherinnen und -vorsteher zu Protokoll, sehr restriktiv mit klassifizierten Informationen umzugehen. Nichtsdestotrotz berichteten Medien regelmässig über den Inhalt von Bundesratssitzungen.

Die GPK bedauern sehr, dass es dem Bundesrat als Gremium bisher nicht gelungen ist, die Problematik der Indiskretionen effektiver anzugehen. Sie richten daher im vorliegenden Bericht neun Empfehlungen an den Bundesrat. Dieser muss nun bis am 2. Februar 2024 Stellung zu den Empfehlungen und Erkenntnissen der GPK nehmen.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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1

Einleitung 1.1 Hintergrund der Untersuchung ­ Auslöser 1.2 Fokus und Hauptfragen der Untersuchung der GPK 1.3 Vorgehen

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2

Indiskretionen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften 2.1 Definition und rechtliche Vorgaben 2.2 Abgrenzung zu Strafverfahren

12 12 13

3

Indiskretionen während der Covid-19 Pandemie 3.1 Medienanalyse 3.1.1 Methodisches Vorgehen 3.1.2 Erkenntnisse 3.1.3 (Zwischen-)Fazit zur Medienanalyse 3.2 Auswertung von E-Mails 3.2.1 Auswertung der E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI 3.2.2 Auswertung der E-Mails des Vorstehers des EDI und Kontakte zum CEO der Ringier AG 3.3 Aussagen der angehörten Personen zu den Indiskretionen 3.4 Zusammenfassung

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5

Umgang des Bundesrates mit den verschiedenen Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19 und deren Einfluss auf die Arbeit des Bundesrates 4.1 Vorgaben/Massnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit 4.1.1 Vor der Covid-19-Pandemie bzw. generelle Massnahmen 4.1.2 Während der Covid-19-Pandemie 4.1.3 Laufende Arbeiten und Lehren aus der Covid-19-Pandemie 4.1.4 Bewertung der Vorgaben und Massnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit 4.2 Einfluss der Indiskretionen auf die Arbeit des Bundesrates und dessen Vertrauensverhältnis 4.3 Aussprache im Bundesrat vom 25. Januar 2023 4.4 Bewertung der Auswirkungen der regelmässigen Indiskretionen auf die Funktionsweise, die Arbeit und das Vertrauensverhältnis im Bundesrat Umgang und Massnahmen der Departemente und der Bundeskanzlei mit Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19 5.1 Eidgenössisches Departement des Innern

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5.2

5.3

5.1.1 Massnahmen zur Vermeidung von Indiskretionen im EDI 5.1.2 Rolle des früheren Kommunikationschefs des EDI 5.1.3 Zusammenfassung und Bewertung Die weiteren Departemente und die Bundeskanzlei 5.2.1 Bundeskanzlei 5.2.2 Eidgenössisches Finanzdepartement 5.2.3 Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten 5.2.4 Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung 5.2.5 Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport 5.2.6 Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement 5.2.7 Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Zusammenfassung und Bewertung der Massnahmen

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Zusammenfassende Bewertung und Auflistung der Empfehlungen

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7

Weiteres Vorgehen

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Abkürzungsverzeichnis

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Anhänge 1 Liste der angehörten Personen 2 Medienanalyse: Sitzungen des Bunderates, bei denen es sicher oder sehr wahrscheinlich zu Indiskretionen kam

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Hintergrund der Untersuchung ­ Auslöser

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidg. Räte (GPK) haben am 24. Januar 2023 entschieden, verschiedene Fragen im Zusammenhang mit der Häufung von Indiskretionen zu Covid-19-Geschäften des Bundesrates zu untersuchen. Auslöser dieser Untersuchung waren Medienberichte über mutmassliche Indiskretionen zu Covid-19Geschäften des Bundesrates, welche aus einem Strafverfahren gegen den ehemaligen Kommunikationschef des Eidg. Departements des Innern (EDI) an die Öffentlichkeit gelangt waren.

Die GPK hatten aufgrund einer Indiskretion im Rahmen der Verwaltungskonsultation im Falle Crypto am 10. November 2020 eine Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung gegen Unbekannt eingereicht. Da die Bundesanwaltschaft (BA) einen Teil des Berichtsentwurfs ebenfalls zur Konsultation erhalten hatte, bat diese die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) einen ausserordentlichen (a.o.) Staatsanwalt des Bundes für die Strafverfolgung einzusetzen. Letztere mandatierte daraufhin Peter Marti als a.o. Staatsanwalt des Bundes mit der Verfolgung der geltend gemachten Amtsgeheimnisverletzung. Das Verfahren gegen den ehemaligen Kommunikationschef des EDI bezüglich der geltend gemachten Amtsgeheimnisverletzung zu Crypto wurde durch den a.o. Staatsanwalt rechtskräftig eingestellt. Er stiess bei seinen Ermittlungen jedoch auf Informationen, die auf Indiskretionen im Zusammenhang mit den Bundesratsgeschäften bzgl. Covid-19 hindeuteten.

Der a.o. Staatsanwalt Marti begann, auch bzgl. der Covid-19-Indiskretionen wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses zu ermitteln. Sein Auftrag wurde durch die AB-BA in Anwendung des Prinzips der Verfahrenseinheit entsprechend erweitert.

Die Strafverfolgung richtete sich unter anderem gegen den damaligen Chef Kommunikation des EDI. Dieser verlangte in der Folge die Siegelung verschiedener Datenträger und E-Mails, die der a.o. Staatsanwalt unter anderem vom Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) erhalten hatte.1 Im Januar 2023 gelangten verschiedene Informationen aus dem Strafverfahren, welches vom a.o. Staatsanwalt Marti geführt wurde, an die Öffentlichkeit, u.a. Inhalte von Einvernahmeprotokollen und E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des

1

Der ehemalige Kommunikationschef des EDI reichte Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch gegen den a.o. Staatsanwalt des Bundes Peter Marti ein. Aufgrund dieser Anzeige betraute die AB-BA in der Folge Stephan Zimmerli als weiteren a.o. Staatsanwalt des Bundes mit der Strafverfolgung von Peter Marti wegen Amtsmissbrauch. Der a.o. Staatsanwalt des Bundes Zimmerli hat das Verfahren mit Verfügung vom 19.6.2023 eingestellt, da kein strafbares Verhalten vorliegt (siehe hierzu: Medienmitteilung vom 20.6.2023 von Stephan Zimmerli: «Einstellung des Strafverfahrens gegen den ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes Peter Marti»). Über eine dagegen erhobene Beschwerde hat das Bundesstrafgericht bis heute nicht entschieden.

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EDI.2 Gemäss der Medienberichterstattung soll dieser wiederholt den CEO der Ringier AG mit verschiedenen Informationen bedient haben, die zum Zeitpunkt der Weitergabe dem Amtsgeheimnis unterlegen haben sollen.

Als Vorbemerkung sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die GPK bewusst sind, dass die Bewältigung der Covid-19-Pandemie für den Bundesrat eine besonders beanspruchende Situation von historischem Ausmass mit unterschiedlichsten Herausforderungen darstellte und der Druck auf den Bundesrat als Gesamtgremium und insbesondere auch auf diejenigen Mitglieder, die den Grossteil der Covid-19-Geschäfte verantworteten, konstant hoch gewesen ist.

1.2

Fokus und Hauptfragen der Untersuchung der GPK

Die GPK befassten sich erstmals an ihrer Sitzung vom 24. Januar 2023 mit den Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Bundesratsgeschäften. Sie führten hierzu erste Anhörungen mit Vertreterinnen und Vertretern der AB-BA sowie des Bundesanwaltes (BA) durch, um sich einen Überblick über die geltende Rechtslage sowie die laufenden Strafverfahren zu verschaffen, bevor sie über die Einleitung einer Inspektion entschieden. Im Anschluss an die Anhörungen beschlossen die GPK am 24. Januar 2023 eine Inspektion einzuleiten und die Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Bundesratsgeschäften zu untersuchen.3 Da die Kommissionen davon ausgingen, dass bei der Inspektion teils sehr sensible Unterlagen und Informationen zu behandeln sein würden, setzten sie eine kleine, gemeinsame Arbeitsgruppe mit je drei Mitgliedern der GPK-N und der GPK-S ein. Neben dem Präsidenten Ständerat Philippe Bauer (FDP/NE) gehören die beiden Ständeräte Daniel Fässler (Mitte/AI) und Hans Stöckli (SP/Bern) sowie die beiden Nationalrätinnen Manuela Weichelt (Grüne/ZG), Katja Christ (GLP/BS) und Nationalrat Thomas de Courten (SVP/BL) der Arbeitsgruppe an.

Da der Ausgangs- und Anknüpfungspunkt der Kommissionen die E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI waren. welche in der Presse publiziert worden waren ­ Informationen, die in erster Linie das EDI betrafen ­ beschlossen die Kommissionen, den Schwerpunkt auf dieses Departement zu legen. Sie formulierten folgenden Auftrag an die Arbeitsgruppe:

2 3

1.

Die Arbeitsgruppe soll untersuchen, zu welchen Indiskretionen es im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates gekommen ist, wer diese ausgelöst bzw. unterstützt hat, sowie wer Empfänger der Indiskretionen war.

2.

Die Arbeitsgruppe soll untersuchen, welche Massnahmen der Bundesrat als Gremium für die fragliche Periode getroffen hatte, um Indiskretionen aus den Departementen generell zu verhindern bzw. um solche angesichts der wieder-

Die BA erstattete daraufhin Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Amtsgeheimnisverletzung.

Siehe hierzu: Medienmitteilung der GPK-N/S vom 24.1.2023 «GPK untersuchen die Indiskretionen im Zusammenhang mit den Covid-19-Geschäften des Bundesrates einschliesslich der Rolle des Vorstehers des EDI».

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kehrenden Medienberichterstattung im Vorfeld von Bundesratssitzungen zu unterbinden.

3.

Die Arbeitsgruppe soll untersuchen, welche Massnahmen Bundespräsident Alain Berset für die fragliche Periode getroffen hatte, um Indiskretionen aus dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) generell zu verhindern bzw. um solche angesichts der wiederkehrenden Medienberichterstattung im Vorfeld von Bundesratssitzungen zu unterbinden.

Dabei hielten die GPK fest, dass die verfassungsmässig garantierte Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung zu gewährleisten sei und eine sorgfältige Abwägung mit dem ebenfalls durch die Verfassung garantierten Interesse der Oberaufsicht vorgenommen werden müsse. Gleichzeitig beauftragten die Kommissionen die Geschäftsprüfungsdelegation unter Anwendung von Artikel 153 Absatz 7 Parlamentsgesetz4 die publik gewordenen Indiskretionen sowie allfällige weitere Indiskretionen aus dem EDI anhand der Protokolle der Bundesratssitzungen sowie der dazu eingereichten Anträge des EDI sowie der Mitberichte der übrigen Departemente zu prüfen und der Arbeitsgruppe der GPK darüber schriftlich Bericht zu erstatten. Die GPK definierten in ihrem Auftrag an die Arbeitsgruppe auch den zu untersuchenden Zeitraum (Februar 2020 bis Juni 2022).

Die zuständige Arbeitsgruppe erarbeitete in der Folge ein detailliertes Untersuchungskonzept. Darin wurden die Hauptfragen wie folgt konkretisiert:

4

1.

Welche Indiskretionen gab es im Zusammenhang mit Covid-19 Geschäften des Bundesrates?

a. Welche Indiskretionen gab es?

b. Wer war Verursacher der Indiskretionen?

c. Wer war Empfänger der Indiskretionen?

d. Wer wusste über die Indiskretionen Bescheid?

2.

Welche Massnahmen hat der Bundesrat ergriffen, um Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19 Geschäften des Bundesrates zu verhindern bzw. zu unterbinden?

a. Gibt es hierzu (rechtliche) Vorgaben (Weisungen etc.)?

b. Wie ging der Bundesrat mit den Indiskretionen um?

c. Wie wurde mit den Indiskretionen in der Konferenz der Informationsdienste (KID), die von der Bundeskanzlei geleitet wird, umgegangen?

Was waren die Schlussfolgerungen hierbei?

d. Welche Massnahmen haben der Bundesrat und die Bundeskanzlei ergriffen?

e. Welchen Einfluss hatten die Indiskretionen auf die Arbeitsweise bzw.

das Funktionieren des Bundesrates während der Krise?

Bundesgesetz vom 13.12.2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10).

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f.

An der Sitzung des Bundesrates vom 25. Januar 2023 fand eine Aussprache zum Thema der Indiskretionen von Covid-19-Bundesratsgeschäften statt.

i. Was war Gegenstand dieser Aussprache?

ii. Welches waren die Haupterkenntnisse zu den Indiskretionen, die aus dem EDI oder anderen Departementen an den Ringier-Verlag oder andere Medien gelangt sind?

iii. Welche Lehren zog der Bundesrat als Gremium im Zusammenhang mit den Indiskretionen?

3.

Indiskretionen aus dem EDI zu Covid-19 Bundesratsgeschäften a. Wer hatte im genannten Zeitraum im EDI Zugang zu den vertraulich klassifizierten Unterlagen zu Covid-19-Geschäften, welche dem Bundesrat vorgelegt wurden?

b. Welches war die Verantwortung bzw. der Wissenstand von BR Berset zu den Indiskretionen im EDI im Zusammenhang mit Covid-19 Geschäften?

c. Wusste BR Berset konkret von den Kontakten zwischen seinem ehemaligen Kommunikationschef und der Ringier Gruppe Bescheid?

d. Welche Massnahmen traf BR Berset, um Indiskretionen im Zusammenhang mit den Covid-19 Geschäften des Bundesrates zu verhindern bzw.

zu unterbinden (bspw. Erstattung Strafanzeige, interne Weisungen etc.)?

e. Wie befasste sich das GS EDI mit den Indiskretionen und auf welcher Stufe? Welche Rolle kam dabei dem GS des EDI zu?

f. Welches waren die Gründe für die Aufhebung des Arbeitsvertrages mit dem ehemaligen Kommunikationschef des EDI ­ erfolgte diese (u.a.)

aufgrund der Indiskretionen?

4.

Waren andere Departemente als das EDI von Indiskretionen im Kontext der Covid-19-Geschäfte betroffen?

a. Welche Covid-19-Geschäfte aus anderen Departementen waren von Indiskretionen betroffen?

b. Welche Massnahmen trafen die Departemente, um Indiskretionen zu verhindern bzw. zu unterbinden?

c. Wer hat innerhalb der Generalsekretariate Zugriff zu vertraulich klassifizierten Informationen, welche in den Bundesrat gehen?

Die Arbeitsgruppe hielt im Untersuchungskonzept zudem fest, dass ihre Untersuchung klar von den bereits länger laufenden Arbeiten der Subkommissionen Gerichte/BA zu Indiskretionen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften im Allgemeinen abzugrenzen sei. Die Subkommissionen Gerichte/BA sollen unter anderem klären, ob der BA über genügend Ressourcen verfügt, um seine Aufgabe in diesem Bereich wahrnehmen zu können und ob in Bezug auf Indiskretionen ein gesetzgeberischer Anpassungsbedarf besteht. Die GPK entschieden später, dass die Arbeitsgruppe zweckdienliche Informationen und Unterlagen aus ihrer Untersuchung den Subkommissionen Gerichte/BA weiterleiten soll.

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Die Arbeitsgruppe brachte den Plenarkommissionen an ihren Sitzungen vom 17. Februar 2023 (GPK-S) bzw. vom 24. Februar 2023 (GPK-N) ihr Untersuchungskonzept zur Kenntnis.

1.3

Vorgehen

Im Rahmen ihrer Untersuchung führte die Arbeitsgruppe 14 Sitzungen durch und hörte dabei insgesamt 16 Personen an. Dazu gehörten unter anderem sämtliche Departmentsvorsteherinnen und -vorsteher, die zum Untersuchungszeitraum im Amt waren, der Bundeskanzler und die Vizekanzler, der ehemalige Kommunikationschef des EDI sowie der a.o. Staatsanwalt Marti.5 Die Arbeitsgruppe wollte auch den CEO der Ringier AG, Marc Walder, anhören. Dieser lehnte eine Anhörung unter Berufung auf den medienschaffenden Personen zustehenden Quellenschutz ab.

Zudem analysierte die Arbeitsgruppe Unterlagen von sämtlichen Departementen, der Bundeskanzlei, verschiedenen Bundesämtern, der AB-BA, der BA, des a.o. Staatsanwaltes des Bundes Peter Marti und des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI.

Zudem entschied sich die Arbeitsgruppe, ein Rechtsgutachten von Prof. Giovanni Biaggini einzuholen,6 um verschiedene rechtliche Fragen zur Tragweite der Informationsrechte der GPK und insbesondere zur Abgrenzung der Oberaufsicht zu laufenden Strafverfahren zu klären (vgl. dazu Kap. 2.2). Die Arbeitsgruppe nahm zudem mit Unterstützung der Parlamentsbibliothek eine Medienanalyse vor. Diese sollte insbesondere zur Beantwortung der Hauptfrage 1 beitragen («Welche Indiskretionen gab es, wer waren Urheber, Empfänger und Mitwisser?»; vgl. dazu Kap. 3.1) Da die Arbeitsgruppe im Rahmen ihrer Abklärungen sehr sensible Informationen, welche in der Regel als vertraulich und teilweise auch geheim klassifiziert waren, erhielt, traf sie besondere Massnahmen zu deren Schutz. Neben der Einsetzung einer sehr kleinen Arbeitsgruppe wurden als weitere Massnahmen die Sitzungsunterlagen jeweils persönlich nummeriert abgegeben. Speziell heikle vertrauliche und sämtliche geheim klassifizierten Unterlagen wurden von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe jeweils nur vor Ort konsultiert. Zudem waren im Sitzungszimmer keine elektronischen Geräte wie Notebook und Mobiltelefone erlaubt. Bedauerlicherweise haben diese Massnahmen nicht verhindert, dass es mutmasslich zu einzelnen Indiskretionen gekommen ist. Die GPK haben entsprechend Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht.

Vorliegender Bericht basiert auf den Erkenntnissen aus den verschiedenen Anhörungen, der erhaltenen Dokumente, der Medienanalyse und dem eingeholten Rechtsgutachten von Prof. Giovanni Biaggini. Im
Bericht findet sich in Kapitel 2 eine genauere Definition des Begriffs der Indiskretion und Erläuterungen zur Abgrenzung zum Strafverfahren. Im Kapitel 3 finden sich die Erkenntnisse aus der Analyse der Medienberichterstattung und der ausgewerteten E-Mails. Das Kapitel 4 beschreibt den Um5 6

Vgl. dabei die Liste im Anhang.

Giovanni Biaggini, Gutachterliche Abklärungen im Hinblick auf die Inspektion «Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates» vom 30.9.2023 (hiernach: Gutachten von Prof. Biaggini 2023).

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gang des Bundesrates mit den Indiskretionen und deren Einfluss auf Arbeit im Gremium. Wie das EDI und die weiteren Departemente mit den Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19 umgingen und welche Massnahmen gegen Indiskretionen getroffen wurden, wird in Kapitel 5 erläutert. Das Kapitel 6 fasst die wesentlichen Erkenntnisse und Empfehlungen zusammen.

2

Indiskretionen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften

2.1

Definition und rechtliche Vorgaben

Eine rechtliche Definition des Begriffes der Indiskretion besteht nicht. Der Begriff lässt sich aber an jenen der Amtsgeheimnisverletzung anlehnen.

Gemäss Artikel 320 Schweizerisches Strafgesetzbuch7 liegt eine Verletzung des Amtsgeheimnisses vor, wenn jemand ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat. Nicht strafbar macht sich, wer ein Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat. Die Verletzung des Amtsgeheimnisses stellt ein Offizialdelikt dar. Sie ist unter anderem strafbar, um das Funktionieren der staatlichen Verwaltung sicherstellen zu können.8 Ein Geheimnis ist eine «Tatsache, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung der Geheimnisherr ein berechtigtes Interesse hat».9 Da es sich bei der Verletzung des Amtsgeheimnisses um einen Begriff aus dem Strafrecht handelt, wird auf dessen Verwendung im vorliegenden Bericht verzichtet und stattdessen jener der Indiskretion verwendet. Die Arbeitsgruppe hat für ihre Untersuchung eine eigene Definition einer Indiskretion vorgenommen, die weniger weit als die Amtsgeheimnisverletzung geht: Eine Indiskretion liegt vor, wenn an nichtberechtigte Personen ­ vor allem an Medienschaffende ­ Informationen weitergegeben werden, die aufgrund ihrer Klassifizierung entweder zum Zeitpunkt der Weitergabe10 oder ganz generell nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.

Für die GPK waren insbesondere materielle Indiskretionen, wie sie etwa Gegenstand der Medienberichterstattung vom 14.11 und 21. Januar 202312 waren, von Interesse.

Mit der gewählten Definition sollte sichergestellt werden, dass etwa jene Indiskretio7 8 9 10 11 12

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21.12.1937 (StGB; SR 311.0).

Oberholzer Niklaus, Art. 320 StGB, Rn. 1 und 5, in: Niggli Marcel Alexander, Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar Strafrecht, 4. Aufl., 2019.

Oberholzer Niklaus, Art. 320 StGB, Rn. 8, in: Niggli Marcel Alexander, Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar Strafrecht, 4. Aufl., 2019.

Dabei geht es insbesondere um die Weitergabe von Informationen über Massnahmen bevor der Bundesrat hierüber Beschluss gefasst hat.

Schweiz am Wochenende AZ vom 14.1.2023, «Berset und der Blick: die geheimen Corona-Protokolle».

Schweiz am Wochenende AZ vom 21.1.2023, «Das grosse Misstrauen» und «Wegen Leaks: Interne Prüfung bei Ringier».

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nen, wann ein bestimmtes Geschäft im Bundesrat traktandiert ist, nicht im Vordergrund der Abklärungen der GPK standen. Zudem wurde der Untersuchungsgegenstand durch den Auftrag der GPK an die Arbeitsgruppe dahingehend eingeschränkt, als die Indiskretionen einen Bezug zu Covid-19-Geschäften des Bundesrates haben müssen.

Die gewählte Definition einer Indiskretion durch die Arbeitsgruppe unterscheidet sich auch von jener, welche im Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen der Bundesverwaltung13 enthalten ist und die sich stark an der Amtsgeheimnisverletzung orientiert: «Indiskretionen» ist kein rechtlicher, sondern ein politischer Begriff. Als «Indiskretionen» werden im allgemeinen Amtsgeheimnisverletzungen bezeichnet, die begangen werden, um Medienschaffenden Informationen zukommen zu lassen, damit diese sie für ihre Publikationstätigkeit verwenden können.14 Die von der Arbeitsgruppe der GPK gewählte Definition unterscheidet sich von der eben erwähnten Definition im Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen, da vorliegend in erster Linie das Funktionieren und das Vertrauensverhältnis in der Landesregierung im Vordergrund steht.

2.2

Abgrenzung zu Strafverfahren

Bei der Untersuchung der GPK und im vorliegenden Bericht geht es um eine politische Aufarbeitung der Indiskretionen zu Covid-19-Geschäften des Bundesrates aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht. Somit stellt die vorliegende Untersuchung insbesondere kein strafrechtliches Verfahren dar. Die parlamentarischen Aufsichtskommissionen sind keine Organe der Strafverfolgungsbehörden und haben hierzu keinerlei Befugnisse. Der Praxis der GPK zufolge befassen sich die Kommissionen in der Regel nicht mit Themen, die Gegenstand von hängigen Strafverfahren sind. Da der auch den damals bzw. teilweise zum Zeitpunkt der Publikation noch hängigen Strafverfahren zugrundeliegende Sachverhalt eine grosse staatspolitische Bedeutung aufweist ­ die mutmasslichen Indiskretionen könnten die Arbeitsweise und das Funktionieren der obersten Exekutivbehörde der Schweiz beeinflusst haben ­, beschlossen die Kommissionen am 24. Januar 2023, sich dennoch mit dem Thema zu befassen, explizit unter Berücksichtigung des Prinzips der Gewaltenteilung.

Die GPK sind sich dem Spannungsfeld zwischen hängigen Strafverfahren einerseits und der Ausübung der Oberaufsicht andererseits bewusst. Dieses Spannungsverhältnis geht direkt aus der Verfassung hervor. Die Verfassung räumt der Bundesversammlung zum einen in Artikel 169 Bundesverfassung15 die Kompetenz zur Ausübung der 13

14 15

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen vom 31. Mai 2022 (ergänzt im Dezember 2022), Rechtsgrundlagen zur Verfolgung von Indiskretionen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften: Mögliche Massnahmen zur Erhöhung des Ermittlungserfolgs (VERTRAULICH, nicht öffentlich; hiernach Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen). Der Arbeitsgruppe gehörten Vertreter und Vertreterinnen der BK, der BA und des BJ an.

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen, S. 2.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.4.1999 (BV; SR 101).

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Oberaufsicht über den Bundesrat, die Bundesverwaltung, die eidgenössischen Gerichte und die anderen Träger von Aufgaben des Bundes ein. Diese Kompetenzen wurden in den Artikeln 153 ff. ParlG konkretisiert. Zum anderen enthält die Verfassung jedoch auch den Schutz des Untersuchungszwecks (Strafverfolgungsinteresse) und das gute Funktionieren der Strafverfolgungsbehörden. Beide Aspekte stellen ein gewichtiges öffentliches Interesse im Sinne von Artikel 5 BV dar.16 Dieses Spannungsverhältnis der verschiedenen verfassungsmässigen Interessen ist über eine verfassungskonforme Auslegung der Informationsrechte der GPK (Art. 153 ff. ParlG) aufzulösen bzw. abzufedern.17 Vor dem Hintergrund des vorliegenden Sachverhalts beauftragten die GPK Prof.

Dr. Giovanni Biaggini mit der Ausarbeitung eines neuen Gutachtens, welches zur Klärung unter anderem folgender Fragen führen sollte:18 ­

Hat sich an den Schlussfolgerungen aus dem Gutachten aus dem Jahr 2008 etwas Grundlegendes geändert (unter spezifischem Einbezug der Informationsrechte der GPK)?

­

Fallen die Unterlagen aus dem Strafverfahren, welches von a.o. Staatanwalt des Bundes Marti geführt wurde, in den Anwendungsbereich der Informationsrechte der GPK? Wie sieht es in Bezug auf die gesiegelten Unterlagen aus und welche Schranken ergeben sich dabei?19

­

Können die Kommissionen auch Informationen aus einem privaten E-Mailaccounts edieren, soweit es sich dabei um berufliche Angelegenheiten handelt und welche Voraussetzungen sind dabei zu beachten?

Das Gutachten hält fest, dass die Kommissionen grundsätzlich Anspruch auf sämtliche zweckdienliche Informationen ­ auch aus dem Strafverfahren ­ haben. Dieses Recht steht den Kommissionen auch bzgl. des privaten E-Mailaccounts des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI zu (Art. 153 Abs. 2 ParlG). Allein aufgrund der Edierung verschiedener Unterlagen wird weder das Strafverfolgungsinteresse noch das Funktionieren der Strafverfolgung beeinträchtigt. Weiter sind die Mitglieder der Kommissionen in der Ausübung des Parlamentsmandates ihrerseits an das Amtsgeheimnis gebunden (Art. 8 ParlG). Die Frage nach der Tragweite der Informationsrechte der GPK stellt sich somit nicht im Innenverhältnis, das heisst im Rahmen der Arbeiten der Arbeitsgruppe bzw. der Kommissionen. Das Spannungsverhältnis zwischen den verfassungsmässigen Interessen an der Ausübung der parlamentarischen Oberaufsicht auf der einen und des Strafverfolgungsinteresses (Wahrung des Unter16

17

18 19

Giovanni Biaggini, Informationsrechte der Geschäftsprüfungskommissionen der Eidgenössischen Räte im Bereich der Strafverfolgung aus verfassungsrechtlicher Sicht, Gutachten vom 5.6.2008 im Auftrag der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (hiernach: Biaggini, 2008), S. 22.

Biaggini, 2008, S. 33: Biaggini hält hier fest, dass eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung nicht leichthin bejaht werden darf, dass es jedoch Einzelfälle geben kann, in denen der Informationsanspruch der Kommissionen zurücktreten muss, nämlich dann, wenn laufende Ermittlungen gefährdet oder gar vereitelt würden.

Die Fragestellungen werden an dieser Stelle nur summarisch wiedergegeben und können im Detail dem veröffentlichten Gutachten entnommen werden.

Die Arbeitsgruppe hat zu keinem Zeitpunkt Einsicht in die gesiegelten Unterlagen verlangt.

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suchungszwecks), dem Interesse an einer funktionierenden Strafverfolgung (Funktionsfähigkeit) auf der anderen Seite kommt dann zum Vorschein, wenn es um die Verwendung der erhaltenen Informationen gegen aussen geht (etwa ein zu publizierender Bericht). Zusätzlich ist auch dem verfassungsmässig garantierten Persönlichkeitsschutz der vom Strafverfahren betroffenen Personen und der entsprechenden Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen.20 Es obliegt den Geschäftsprüfungskommissionen, diese (teils schwierige) Abgrenzung vorzunehmen, wobei etwa dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit eine wichtige Rolle zukommt.21 Das Gutachten kommt weiter zum Schluss, dass das Ergebnis der vom EFD in Auftrag gegebenen Untersuchung zur Herausgabe der E-Mails an den ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes durch das BIT, wonach diese nicht rechtmässig gewesen sei, für die Untersuchung der GPK von begrenzter Tragweite ist und die GPK nicht daran hindert, die E-Mails heranzuziehen und zu verwenden, soweit die Informationen zweckdienlich sind.22 Die Kommissionen haben diese zentrale Abwägung im vorliegenden Bericht minutiös und verfassungskonform vorgenommen, so dass die hierin enthaltenen Aussagen, Erwägungen und Empfehlungen nicht im Widerspruch zu den verschiedenen verfassungsmässig garantierten Interessen (Funktionieren der Strafverfolgung, Strafverfolgungsinteresse und dem Persönlichkeitsschutz der beteiligten Personen) stehen.

Abschliessend soll an dieser Stelle erwähnt sein, dass die Tätigkeit des a.o. Staatsanwaltes Marti zur Strafverfolgung wegen Amtsgeheimnisverletzungen in den Fällen Crypto und Covid-19 nicht Gegenstand des vorliegenden Berichts ist. Im Zusammenhang mit der Aufsicht über von der AB-BA eingesetzte a.o. Staatsanwälte des Bundes gilt es festzuhalten, dass die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) in einem anderen Kontext im Juni 2023 beschlossen hat, ein Postulat diesbezüglich einzureichen23 (Postulat 23.3963). Das Postulat wurde trotz Ablehnungsantrag des Bundesrates vom Nationalrat am 27. September 2023 mit 158 (einstimmig) Stimmen und einer Enthaltung angenommen und an den Bundesrat überwiesen.

3

Indiskretionen während der Covid-19 Pandemie

Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, wollten die GPK im Rahmen ihrer Inspektion soweit wie möglich klären, zu welchen Indiskretionen es im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates gekommen ist, wer die Verursacher und Empfänger der Indiskretionen waren und wer sonst noch davon wusste.

20

21 22 23

Gutachten von Prof. Biaggini 2023. Da das Gutachten ebenfalls Gegenstand der Publikation ist, verzichten die GPK an vorliegender Stelle, das Gutachten im Detail wiederzugeben.

Gutachten von Prof. Biaggini 2023, S. 16.

Gutachten von Prof. Biaggini 2023, S. 39.

Postulat 23.3963, Aufsicht über von der AB-BA eingesetzte ausserordentliche Staatsanwältinnen bzw. Staatsanwälte des Bundes. Allfällige weitere Fragen im Zusammenhang mit der AB-BA und von dieser eingesetzten a.o. Staatsanwältinnen und Staatsanwälten des Bundes werden von den Subkommissionen Gerichte/BA der GPK behandelt.

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Die Arbeitsgruppe wertete zu diesem Zweck die Medienberichterstattung, E-Mails aus der relevanten Zeitspanne und die verschiedenen Anhörungen aus.

3.1

Medienanalyse

3.1.1

Methodisches Vorgehen

Da der Bundesrat gemäss eigener Auskunft zwischen Februar 2020 und Juni 2022 fast 900 Geschäfte oder Informationsnotizen zum Thema Covid-19 behandelt hatte und gemäss einer Studie der Universität Luzern alleine in den Printmedien der Deutschund Westschweiz von Anfang 2020 bis Mitte 2021 über eine halbe Million Artikel zum Thema erschienen waren24, war eine umfassende und vollständige Medienanalyse unmöglich.

Die Arbeitsgruppe entschied daher, die Analyse auf die Berichterstattung rund um jene Sitzungen des Bundesrates, bei denen es mutmasslich zu Indiskretionen gekommen war, zu beschränken und dabei eine repräsentative Auswahl an Print-Medien einzubeziehen25. Als Basis für ihre Arbeiten forderte sie vom Bundesrat eine Übersicht zu allen Covid-19-Geschäften des Bundesrates, die vor oder nach deren Traktandierung mutmasslich Gegenstand von Indiskretionen waren. Zugleich definierte die Arbeitsgruppe eine repräsentative Auswahl von Printmedien, deren Berichterstattung mit Unterstützung der Parlamentsbibliothek genauer untersucht werden sollte. Sie wählte schliesslich 24 Zeitungen aus (sowohl täglich als auch wöchentlich erscheinende Medien in Form von Tages-, Sonntags- und Wochenzeitungen, Einzeltitel ebenso wie Titel von grossen Konzernen), darunter alle Titel von nationaler Bedeutung der verschiedenen Sprachregionen.26 Damit sollte sichergestellt sein, dass der Grossteil der Artikel in Printmedien, welche auf Indiskretionen beruhen, von der Analyse abgedeckt sind. Die Parlamentsbibliothek erstellte in der Folge im Auftrag der Arbeitsgruppe zu jedem Geschäft bzw. zu jeder Sitzung des Bundesrates, zu der es mutmasslich Indiskretionen gegeben hatte, eine Presseschau.27 Diese wurde in der Folge vertieft analysiert. Die einzelnen Artikel wurden nach folgenden Kriterien ausgewertet: ­

24

25

26 27

Zeitpunkt der Berichterstattung: Erschien der Artikel vor oder nach der Sitzung des Bundesrates bzw. konkret vor oder nach der offiziellen Kommunikation der Entscheide des Bunderates?

Ort Alexander, Rohrbach Tobias, Diviani Nicola und Rubinelli Sara (2023): Covering the Crisis: Evolution of Key Topics and Actors in COVID-19 News Coverage in Switzerland.

In: International Journal of Public Health 67:1605240.

Der Arbeitsgruppe ist bewusst, dass Indiskretionen auch über Radio, Fernsehen und soziale Medien verbreitet wurden. Sie ging davon aus, dass solche Indiskretionen in der Regel auch in den Printmedien repliziert oder verbreitet werden. Vor diesen Hintergrund und da eine Untersuchung der Beiträge in Radio, Fernsehen und sozialen Medien schwer möglich war, verzichtete sie auf letztere.

Vgl. Anhang 2.

Der Fokus der Parlamentsbibliothek lag auf den ausgewählten 24 Titeln, in der Presseschau wurden aber auch Artikel aus anderen Medien aufgenommen und anschliessend ausgewertet.

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­

Inhalt der Berichterstattung: Informiert der Artikel über Massnahmen, die der Bundesrat diskutiert (inkl. Anträge und damit verbundene Informationen oder Dokumente)28 oder berichtet er (auch) über die Entscheidfindung im Bundesrat (insbesondere: Informationen zur Diskussion im Bundesrat, zur Positionierung der einzelnen Mitglieder, zu Mitberichten)?

­

«Qualifizierung»: Enthält der Artikel sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit Informationen, die auf Indiskretionen zurückzuführen sind? Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Artikel Informationen zur Diskussion im Bundesrat enthält oder aus Anträgen, Mitberichten oder Aussprachepapieren zitiert wird).

­

Quelle der Indiskretion: Wird aus dem Artikel ersichtlich, woher die (vertraulichen) Informationen stammen (falls ja, Nennung der Quelle)?

Die Arbeitsgruppe ist überzeugt, dass ihr das gewählte Vorgehen einen guten Überblick über die Problematik ermöglicht und gestützt auf diese Analyse auch belastbare Schlussfolgerungen möglich sind, auch wenn das Vorgehen den Anspruch auf Vollständigkeit nicht erfüllen kann.

3.1.2

Erkenntnisse

Der Bundesrat wies die Arbeitsgruppe auf 65 Geschäfte bzw. 50 Sitzungen hin, zu denen es mutmasslich Indiskretionen gab. Die Parlamentsbibliothek fand zu diesen Geschäften bzw. Sitzungen in den ausgewählten Printmedien über 500 Artikel, davon enthielten rund 200 Informationen, welche sicher oder wahrscheinlich auf Indiskretionen zurückzuführen sind. Dazu zählen insbesondere Informationen zu Anträgen und geplanten Massnahmen, bevor diese öffentlich kommuniziert wurden, aber auch Informationen über Mitberichte und die Entscheidfindung im Bundesrat.

Eine detailliertere Auswertung der gefundenen Artikel ergab folgendes Bild: ­

Bei 38 der 50 Sitzungen, bei denen der Bundesrat Indiskretionen vermutete, trifft diese Vermutung mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit zu, d.h.

es kam zu Indiskretionen. Umgekehrt fanden sich in den ausgewerteten Printmedien zu 12 der 50 Sitzungen keine Artikel, welche klar oder mit hoher Wahrscheinlichkeit Indiskretionen enthielten.

­

Die meisten Indiskretionen betrafen Anträge bzw. vorgesehene Massnahmen zur Bewältigung der Pandemie inkl. der notwendigen Verordnungsänderungen. Die betreffenden Artikel erschienen häufig am Vortag oder am Tag der Bundesratssitzung, ab und zu auch ein paar Tage früher.

Im ersten Jahr der Pandemie, vom Februar 2020 bis im Januar 2021, entschied und informierte der Bundesrat jeweils erst nach einer externen Konsultation.

Er bezog dabei jeweils die Kantone ein, teilweise aber auch Verbände, Interessengruppen oder sogar die politischen Parteien. Dies führte dazu, dass die

28

Der Bundesrat entschied am 20. Januar 2021, die Unterlagen zur Konsultation der Kantone jeweils selber öffentlich zu machen (siehe hierzu Kap. 4.1.2 und 5.1.1).

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Informationen über die im Bundesrat diskutierten Massnahmen jeweils einem sehr grossen Personenkreis bekannt waren, obwohl diese dem Amtsgeheimnis unterlagen. Verschiedene der angehörten Personen äusserten gegenüber der Arbeitsgruppe denn auch die Vermutung, dass viele Indiskretionen aus diesen Konsultationen hervorgingen. Der Bundesrat entschied aus diesem Grund am 20. Januar 2021, bei der Eröffnung von Konsultationen der Kantone die Unterlagen jeweils bereits zu publizieren (vgl. Kap. 4.1.2). Ungeachtet dessen gab es auch nach diesem Verfahrenswechsel weiterhin Medienberichte zu geplanten Massnahmen, nun zu den Vorschlägen, welche der Bundesrat im Hinblick auf die Konsultation der Kantone diskutierte.

Beispiele Berichterstattung zur Sitzung des Bundesrates vom 8.9.2021:29 ­ SonntagsZeitung, 5.9.: Nun also doch: Am Mittwoch wird der Bundesrat beschliessen, den Anwendungsbereich des Covid-Zertifikats auszuweiten.

Gesundheitsminister Alain Berset hat am Freitag beim Treffen mit den Spitzen der Bundesratsparteien SVP, FDP und Die Mitte diesen Schritt in Aussicht gestellt, wie mehrere Quellen bestätigen.

­ Blick, 8.9.: Und jetzt dürfte es schnell gehen: Hatte Gesundheitsminister Alain Berset (49) vergangene Woche mit der Ausdehnung der Covid-Zertifikatspflicht noch gezögert, soll es nun bereits ab Montag so weit sein, wie Blick.ch publik machte. Berset hat einen entsprechenden Antrag eingebracht, über den der Gesamtbundesrat heute entscheidet.

­ Le Temps, 8.9.: Selon plusieurs sources concordantes qui confirment les informations du Blick, le ministre de la Santé propose ce mercredi à ses collègues d'étendre dès lundi prochain le passeport sanitaire à plusieurs lieux clos: [...]

­ NZZ, 8.9.: Gesundheitsminister Alain Berset beantragt seinen Bundesratskollegen an diesem Mittwoch, die angekündigte Ausweitung der Zertifikatspflicht Anfang Woche in Kraft zu setzen.

­ Tages-Anzeiger, 8.9.: Der Bundesrat wird den Antrag am Mittwoch beraten.

In Kraft setzen will Berset die neue Massnahme am nächsten Montag, 13. September. Er begründet sein Umdenken laut zuverlässigen Informationen mit der sehr angespannten Situation auf den Intensivpflegestationen, [...] Die Grundzüge der neuen Massnahmen sind bereits bekannt, seitdem der Bundesrat sie vor zwei Wochen in eine Konsultation geschickt hat. In mehreren Punkten hat Berset die Vorlage jedoch angepasst und präzisiert: [...]

29

Der Vorsteher des EDI machte im Rahmen der Verwaltungskonsultation geltend, die folgenden Artikel, insbesondere jener in der Sonntagszeitung vom 5.9.2020, basierten nicht aus Indiskretionen von Seiten der Verwaltung. Der Bundesrat habe am 3.9.2020 eine Vertretung der Bundesratsparteien getroffen und diese bewusst über seine Überlegungen informiert. Anschliessend habe ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin an diesen Gesprächen diese Information gegenüber der SonntagsZeitung bestätigt.

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­ Tages-Anzeiger, 9.9.: Ohne Widerspruch gingen die Vorschläge aus dem Departement von Gesundheitsminister Alain Berset nicht durch. Die SVPVertreter Ueli Maurer und Guy Parmelin blieben in der Bundesratssitzung mit Blick auf ihre Verantwortungsbereiche ­ Finanzen und Wirtschaft ­ bei ihrer ablehnenden Haltung zum Zertifikat, wie bundesratsnahe Kreise berichten.

Auch andere Departemente äusserten demnach in vertraulichen Mitberichten oder direkt in der Sitzung Kritik, wobei sich diese eher auf Detailfragen in der Ausgestaltung der Zertifikatspflicht bezog.

­

Daneben finden sich in etwa 50 Artikeln auch Informationen zur Entscheidfindung im Bundesrat. Dazu gehören insbesondere Informationen über Mitberichte und deren Inhalte, zum Ablauf und zu den Inhalten der Diskussion im Bundesrat und zur Positionierung einzelner Mitglieder des Bundesrates.

Da diese Informationen jeweils nur einem kleinen Kreis von Personen zugänglich sind, ist der Kreis der Personen, welche diese weitergeben konnten (an Personen in- oder ausserhalb der Verwaltung), eng eingrenzbar. Die Inhalte und Diskussionen im Bundesrat kennen zudem nur die Sitzungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, d.h. die sieben Bundesrätinnen und Bundesräte, der Bundeskanzler und die beiden Vizekanzler. Bemerkenswert ist dabei, dass Artikel, welche auf Mitberichte verwiesen, in vielen Fällen schon am Abend vor der Sitzung (online) oder am Tag der Sitzung erschienen. Dabei ist zu beachten, dass Mitberichte erst kurz vor der Sitzung eingereicht (normalerweise bis am Vortag um 14 Uhr bzw. um 18 Uhr für Ausnahmefälle, während der Pandemie galten teilweise noch kürzere Fristen) und anschliessend an die anderen Departemente verteilt werden.

Beispiele Berichterstattung zur Sitzung des Bundesrates vom 11.12.2020: ­ Blick, 11.12.30: Doch trotz massiver Kritik versucht SP-Gesundheitsminister Alain Berset (48) die harte Linie zu halten, heisst es in Bundesbern. Verwässere man die Vorschläge zu stark, drohe zwischen Weihnachten und Neujahr eine epidemiologische Katastrophe. Das sehen nicht alle so. So soll Karin Keller-Sutter (56) einen kritischen Mitbericht verfasst haben ­ und Ueli Maurer (70) ist ohnehin skeptisch.

Berichterstattung zur Sitzung des Bundesrates vom 11.8.2021: ­ Tages-Anzeiger, 11.8.31: Nun ist es aber ein SVP-Bundesrat, der den Druck auf Ungeimpfte erhöhen will: Laut mehreren bundesratsnahen Quellen hat SVP-Bundesrat und Finanzminister Ueli Maurer einen entsprechenden Mitbericht verfasst. Er fordert das Ende der Gratistests.

30 31

Der Artikel erschien vor der Sitzung des Bundesrates und verweist auf einen Mitbericht.

Vgl. Fussnote 30.

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­

Betrachtet man die Titel, in denen die Artikel mit Indiskretionen erschienen sind, zeigt sich, dass deutschsprachige Zeitungen weit häufiger vertreten sind als Titel aus der Westschweiz oder dem Tessin.32 Die Auswertung zeigt zudem, dass gewisse Medien ­ notabene die Zeitungen von Ringier (Blick und SonntagsBlick) und Tamedia (Tages-Anzeiger und SonntagsZeitung) ­ häufiger als andere über vertrauliche Informationen verfügten (je 60 Artikel in Blick und SonntagsBlick sowie in Tages-Anzeiger und SonntagsZeitung).

Diese beiden Gruppen stellen den grössten Teil der medialen Berichterstattung des Landes sicher und verfügen daher über die grösste Anzahl an Journalistinnen und Journalisten in Bern. In einigen dieser Fälle berichteten sie dabei als erste über geplante Massnahmen bzw. über Inhalte von Anträgen oder Mitberichten; dies zeigte sich darin, dass andere Zeitungen in der Folge in ihren Artikeln explizit auf diese ersten Berichte verwiesen. Neben den bereits erwähnten Titeln erschienen ­ wenn auch in deutlich geringerem Ausmass ­ ebenfalls in der NZZ und NZZ am Sonntag (28) sowie in der Aargauer Zeitung (17) überdurchschnittlich viele Artikel mit Indiskretionen. Bei den französischsprachigen Medien fanden sich in LeTemps und 24 heures je 6 Artikel, die auf Indiskretionen basierten, in den italienischsprachigen Zeitungen noch weniger. In einzelnen Fällen waren auch «kleine» Medien wie z.B. der Nebelspalter die ersten, welche Informationen verbreiteten, die auf Indiskretionen zurückzuführen sein dürften.

Beispiele Berichterstattung zur Sitzung des Bundesrates vom 28.10.2020: ­ Blick, 24.10.: Der Bundesrat will aber erst am Mittwoch über weitere Massnahmen entscheiden. Er hat nun einen Entwurf an die Kantone verschickt.

Dieser liegt BLICK vor. Das sind die wichtigsten Punkte: [...]

­ NZZ am Sonntag, 25.10.: An diesem Wochenende legt er ihnen eine Reihe von drastischen Massnahmen vor, wie der «Blick» schreibt. Mehrere Quellen bestätigen diese auch gegenüber der «NZZ am Sonntag».

­ 24 heures, 27.10.: Le Conseil fédéral attend mercredi pour annoncer d'éventuelles nouvelles mesures. Selon les informations de «Blick», le ministre de la Santé Alain Berset plaiderait pour un port du masque généralisé en extérieur. «Chaque personne doit porter un masque facial dans l'espace public des zones habitées», aurait-il proposé aux Cantons, selon le journal alémanique.

32

Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Deutschschweiz die Vielfalt an Tages- und Sonntagszeitungen auch deutlich höher ist als in den lateinischen Sprachregionen, und dass unter den ausgewählten Titeln dementsprechend auch von Beginn an mehr deutschsprachige Titel als französischsprachige oder italienischsprachige Zeitungen vertreten waren.

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­ Blick, 29.10.: Die Bundesratssitzung dauerte ungewöhnlich lange. Schon im Vorfeld war der Ton gehässig. Berset hatte eine ganze Reihe an Mitberichten erhalten. Parmelin und SVP-Finanzminister Ueli Maurer (69) hätten Bersets Vorschläge zerzaust, heisst es aus Bundesbern. Ihre Mitberichte seien «ungewohnt scharf» formuliert gewesen ­ sie hätten Berset «lausige Arbeit» vorgeworfen. CVP-Bundesrätin Viola Amherd (58) wiederum setzte sich für noch strengere Massnahmen ein. Auch die ausschlaggebenden Freisinnigen Karin Keller-Sutter (56) und Ignazio Cassis (59) stützten Bersets Stossrichtung. Ihr Ziel: einen zweiten Lockdown mit Betriebsschliessungen und damit noch schlimmeren wirtschaftlichen Folgen verhindern. Cassis verzichtete sogar bewusst auf einen Mitbericht, weil er das Hickhack im Bundesrat nicht befeuern wollte Berichterstattung zur Sitzung des Bundesrates vom 10.12.2021: ­ Nebelspalter, 8.12.: «Angesichts der Subsidiaritätskriterien, die der Bundesrat beim zweiten Corona-Einsatz festgelegt hat, halten wir es für wenig wahrscheinlich, dass das Unterstützungsgesuch dem Jura bewilligt wird. In der Tat ist die Subsidiarität in diesem Stadium nicht erfüllt», steht in einer internen Korrespondenz von VBS-Kaderbeamten, die dem «Nebelspalter» vorliegt. Die Berichte aus dem VBS zeigen, dass ... Das Gesuch wird nun trotzdem bewilligt.

Berset sei über die «Anfrage aus dem Jura informiert worden» und «würde einen Einsatz der Armee befürworten», steht in einem internen Schreiben.

­

Insgesamt lassen sich auf der Basis der Medienanalyse keine klaren Rückschlüsse auf die Quelle bzw. den Urheber der Indiskretion oder auf mögliche Mitwisser ziehen, da in den ausgewerteten Artikeln selbstverständlich nicht offengelegt ist, woher die Informationen stammen (Quellenschutz). Bei einigen Berichten könnten die Informationen auch von den Kantonen oder Verbänden stammen, die konsultiert wurden; diese These wurde von einigen der angehörten Personen vertreten. In anderen Artikeln wird dagegen auf «gut unterrichtete» oder «regierungsnahe» Quellen oder auf das «Umfeld» von Bundesrätinnen und Bundesräte verwiesen. Dass Informationen aus dem engeren Umfeld der Bundesrätinnen und Bundesräte oder des Bundeskanzlers stammen, ist insbesondere dann der Fall, wenn diese die Entscheidfindung im Bundesrat selber betreffen.

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Beispiele Berichterstattung zur Sitzung des Bundesrates vom 13.1.2021: ­ Neue Zürcher Zeitung, 12.1.: Der Bundesrat hat den Kantonen weitergehende Massnahmen vorgeschlagen, die er ergreifen will, falls sich in der CoronaPandemie die Lage verschlechtert. [...] Ein Teil der Regierungen, unter anderem diejenige des Kantons Zürich, will seine Rückmeldung nicht vor Mittwoch offenlegen. Zehn Kantone haben jedoch auf Anfrage Einblick gewährt, [...]

­ 20 Minutes, 13.1.: Parmi elles, la fermeture des magasins ne vendant pas de biens de consommation courante, la limitation des rassemblements à dix personnes et le télétravail qui deviendrait obligatoire autant que possible, a rappelé hier le «Tages-Anzeiger». Le Canton du Valais nous a transmis sa réponse à la consultation de la Confédération. [...]

­ Tages-Anzeiger, 13.1.: So jedenfalls ist ein Mail zu verstehen, welches das Innendepartement von Bundesrat Alain Berset am Montagabend an die anderen Departemente geschickt hat: Die hoch ansteckende britische Variante des Virus macht sich in der Schweiz breit, [...] Berset beantragt darum «klar», alle Verschärfungen, die vergangene Woche zur Stellungnahme an die Kantone gingen, «voll» und innert der nächsten Tage durchzusetzen, wie eine Person aus dem Umfeld des Bundesrats sagt. Mehrere Quellen bestätigen die Information. [...] Das Wirtschaftsdepartement und das Finanzdepartement von Bundesrat Ueli Maurer sehen aber noch bürokratische Hindernisse: [...] Aus den Departementen mit linkerer Spitze hingegen heisst es, jetzt mit einer Verschärfung zuzuwarten, vergrössere das Problem nur.

­ Neue Zürcher Zeitung, 14.1.: Die Verschärfung ist dem Vernehmen nach auf Bundesrätin Karin Keller-Sutter (fdp.) zurückzuführen. [...] Laut mehreren Quellen hat sich lediglich ein Bundesrat dieser Strategie entschlossen in den Weg gestellt: Ueli Maurer (svp.), der Finanzminister. Aus seiner Sicht lässt sich das Gremium von Angst treiben. Maurer hat einen Mitbericht verfasst, der in der Verwaltung zu reden gab: [...] Gegen diese hatte sich neben Maurer auch Wirtschaftsminister Parmelin ausgesprochen, an der Sitzung soll er aber eingelenkt haben. Von den zwei FDP-Vertretern sei kaum Opposition gekommen.

­ Tages-Anzeiger, 14.1.: Wie bundesratsnahe Kreise bestätigen, war es Finanzminister Ueli Maurer (SVP), der sich in einem Mitbericht
gegen die Anträge Bersets ausgesprochen hatte. Maurers Antrag, auf neuerliche Verschärfungen zu verzichten, hatte im Bundesrat wegen der Angst vor dem neuen Virus keine Chance. Selbst Bundespräsident Parmelin, der Parteikollege Maurers, trug schliesslich die Verschärfungen mit.

­ Blick, 13.2.: Trotzdem verzichten Berset und sein Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Altersheimstrategie. Das geht auch aus einem Begleitschreiben zum Verschärfungspaket Mitte Januar hervor, das BLICK vorliegt. [...] Auch SVP-Bundesrat Ueli Maurer (71) konnte sich einen Seitenhieb gegen Berset nicht verkneifen. «Wir sind erstaunt, [...]», schrieb sein Generalsekretariat in

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der Ämterkonsultation. [...] Das Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundespräsident Guy Parmelin (61) schlug in dieselbe Kerbe. Statt eines Laden-Lockdowns «favorisieren wir lieber konkrete Massnahmen im Bereich Alters- und Pflegeheime», schrieb es Mitte Januar. [...] Auch das Justizdepartement von FDP-Magistratin Karin Keller-Sutter (57) stellte sich kopfschüttelnd auf die Seite der beiden SVP-Mannen. Ihr Generalsekretariat bat das Innendepartement mit süffisantem Unterton, «darzulegen, warum der Bund hier auf rechtliche Vorgaben ­ zum Beispiel zur seriellen Testung des Pflegepersonals ­ verzichten sollte».

­

Die Auswertung der Medienberichterstattung zeigt auch, dass sich Phasen, in denen es fast zu jeder Sitzung des Bundesrates Indiskretionen gab, mit Phasen abwechselten, zu denen es vergleichsweise zu weniger Indiskretionen kam.

Dabei ist wenig erstaunlich, dass es vor allem dann zu Indiskretionen kam, als sich die Pandemie-Situation zuspitzte und schwierige Entscheide anstanden.

Besonders viele Indiskretionen gab es im März-April 2020, als es zum ersten Mal zu einschneidenden Massnahmen und zum Lockdown kam und als gleichzeitig umfangreiche wirtschaftliche Hilfsmassnahmen aufgegleist wurden. Die zweite Phase mit vielen Indiskretionen begann im Dezember 2020 und dauerte bis etwa Ende Januar 2021. In dieser Zeit wurde die Schweiz von der zweiten Welle getroffen und es wurden wiederum einschneidende Massnahmen diskutiert und beschlossen (Maskenpflicht, Beschränkungen für Weihnachtsfeiern und Tourismus). Die dritte Phase mit vielen Indiskretionen betrifft den zweiten Corona-Herbst bzw. Winter (September 2021 ­ Februar 2022) und damit wiederum eine Phase, in der sich die epidemiologische Lage verschlechterte. In dieser Zeit wurden wiederum Massnahmen diskutiert, gleichzeitig erhöhte sich aber der Widerstand gegen solche bzw. die Forderungen für Lockerungen wurden lauter.

­

Die obige Beschreibung deutet darauf hin, dass Indiskretionen vor allem in Phasen vorkamen, in denen der Bundesrat heikle Entscheide zu treffen hatte.

Die Vermutung von einzelnen Departementsvorsteherinnen und -vorstehern, wonach es auch von der jeweiligen Bundespräsidentin bzw. des jeweiligen Bundespräsidenten abhänge (bzw. deren Art, die Sitzungen zu leiten und das Kollegium jeweils an die Kollegialität und Vertraulichkeit zu erinnern), kann somit durch die Medienanalyse in Bezug auf die Covid-Bundesratsgeschäfte nicht bestätigt werden.

­

Abschliessend ist noch festzuhalten, dass im Verlauf der Covid-19-Pandemie auch einzelne Artikel erschienen, welche die Häufung von Indiskretionen und die damit verbundene Problematik thematisierten.

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Beispiele ­ Le Temps, 10.12.2020: Depuis le début de la crise, on a pris l'habitude de prendre connaissance, par des fuites dans un quotidien alémanique, des restrictions envisagées par Alain Berset avant qu'elles ne soient formellement adoptées par le Conseil fédéral.

­ Aargauer Zeitung, 11.12.2020: Am letzten Freitag drückte sich das Gremium um diese Entscheidung. Die bürgerlichen Bundesräte wollten den Kantonen noch einmal eine Chance geben, um härtere Massnahmen zu beschliessen. [...]

Das Gremium diskutierte lange und intensiv, um einen Konsens zu finden. Um die Reihen wieder zu schliessen. Ob der Bundesrat die Öffentlichkeit informieren soll über die Vorschläge, war intern umstritten. [...] Die geplanten Regeln wären ohnehin an die Öffentlichkeit gelangt. Die Indiskretionen aus dem Bundesrat sind zum Merkmal dieser Krise geworden. «Bei so schwierigen Geschäften darf es das nicht geben», konstatierte alt Bundesrat Pascal Couchepin diese Woche in der NZZ. Die Indiskretionen würden Schlagzeilen und Unruhe bringen. Recht hat er. Nur sind die Kantone daran nicht ganz unschuldig. [...]

­ Nebelspalter, 23.9.2021: Marc Walder, Mitbesitzer des Ringier-Verlags, ist seit Jahren befreundet mit Alain Berset und hat jederzeit Zugang zum Gesundheitsminister. [...] Im Gegenzug werden die Ringier-Medien aufs zuverlässigste mit Interna aus dem Departement Berset versorgt. Die übrigen sechs Bundesräte müssen jeweils nur den Blick konsultieren, wenn sie wissen wollen, welche Anträge der Gesundheitsminister an der nächsten Bundesratssitzung stellen wird.

3.1.3

(Zwischen-)Fazit zur Medienanalyse

Die Medienanalyse zeigt deutlich, dass es während der Covid-19-Pandemie zu sehr vielen Indiskretionen kam. Obwohl ein Vergleich zur Situation vor und nach der Pandemie fehlt, ist davon auszugehen, dass es zu mehr Indiskretionen als üblich kam, da es in bestimmten Phasen kaum eine Sitzung ohne Indiskretionen gab. Besonders viele Indiskretionen waren in Phasen zu verzeichnen, in denen sich die epidemiologische Lage verschlechterte und der Bundesrat über mehr oder weniger einschneidende Massnahmen entscheiden musste (konkret bei der 1. Welle der Pandemie im März-April 2020, bei der 2. Welle im Winter 2020/2021 sowie ab dem Herbst 2021, als der zweite Corona-Winter anstand).

Die Auswertung zeigt ausserdem klar, dass bestimmte Medien ­ insbesondere die Zeitungen von Ringier und Tamedia (vor allem der Blick und der Tages-Anzeiger) ­ häufig als Erste und/oder sehr detailliert über anstehende Entscheide, vorgesehene Massnahmen oder Anträge zuhanden des Bundesrates, aber auch über Internas aus dem Bundesrat, berichteten. Es ist daher aus Sicht der GPK davon auszugehen, dass bestimmte Medien bzw. deren Exponenten und Mitarbeitenden häufig die Empfänger der Indiskretionen waren.

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In Bezug auf die Urheber von Indiskretionen lässt sich festhalten, dass die Quellen nur schwierig zu identifizieren sind. Bei Geschäften, welche geplante Massnahmen betrafen, war der Kreis der möglichen Urheber zudem sehr gross, da diese jeweils mit Kantonen, Verbänden oder Interessengruppen oder teilweise auch mit den Parteien diskutiert wurden. Bei Indiskretionen zu Mitberichten, zur Diskussion im Bundesrat und zur Positionierung einzelner Mitglieder des Bundesrates ist der Kreis der möglichen Urheber grundsätzlich deutlich kleiner, da neben Bundesrätinnen und Bundesräten sowie dem Bundeskanzler und den Vizekanzlern nur Personen aus deren engsten Umfeld Zugang zu diesen Informationen haben. Da gewisse Informationen zur Entscheidfindung im Bundesrat anschliessend aber mit weiteren Personen geteilt werden, insbesondere in den Debriefings zu Bundesratssitzungen in den einzelnen Departementen und der Bundeskanzlei, wird der Kreis der möglichen Urheberinnen oder Urheber von Indiskretionen vergrössert. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern eine Weitergabe für die Umsetzung der Entscheide nötig ist bzw. welche Informationen in welcher Form weitergegeben werden (vgl. dazu Kap. 5.1.1 und 5.2 zu den Debriefings).

3.2

Auswertung von E-Mails

Um zu klären wer der Verursacher von Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates war und wer darüber Bescheid wusste, hat die Arbeitsgruppe neben verschiedenen anderen Unterlagen auch E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI und des Vorstehers des EDI einverlangt und ausgewertet. Da die Untersuchung keine konkreten Hinweise darauf ergab, welche weiteren Personen (auch ausserhalb des EDI) Informationen weitergegeben hatten, wurde die Auswertung von E-Mails nicht ausgeweitet. Herausverlangte Unterlagen müssen jeweils zweckdienlich für die Ausübung der Oberaufsicht sein, wobei dem Prinzip der Verhältnismässigkeit eine wichtige Bedeutung zukommt. Die Arbeitsgruppe kam daher zum Schluss, dass die Edierung von E-Mails weiterer Personen ohne konkrete Anhaltspunkte nicht verhältnismässig wäre.

Dem Prinzip der Verhältnismässigkeit wurde auch bei der Edierung der E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI und des Vorstehers des EDI Rechnung getragen. Der Zeitraum der verlangten E-Mails wurde jeweils klar eingegrenzt. Aufgrund des Ausscheidens des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI aus der Bundesverwaltung deckten die vom Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT)33 zur Verfügung gestellten E-Mails nur einen Teil des von den GPK untersuchten Zeitraums ab (Februar 2020 ­ September 2021). Dies hängt direkt damit zusam-

33

Nachdem bekannt geworden ist, dass das BIT zu viele E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI dem a.o. Staatsanwalt Marti zur Verfügung gestellt hat, leitete die Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartementes (EFD), Bundesrätin Karin Keller-Sutter, eine formlose Untersuchung ein. Diese kam zum Schluss, dass die Herausgabe der gesamten Mailbox des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI an den a.o. Staatsanwalt Marti widerrechtlich erfolgt sei. Auf eine entsprechende Anzeige zur Strafverfolgung verzichtete das EFD jedoch. Das BIT passte daraufhin seine Praxis in Bezug auf die Herausgabe von Mails an die Strafverfolgungsbehörden an.

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men, dass E-Mails von Personen, die aus der Bundesverwaltung austreten, in der Regel 135 Tage nach dem Austritt unwiderruflich gelöscht werden.34 Bei der Edierung der E-Mails des Vorstehers des EDI wurden ­ neben der zeitlichen Einschränkung auf den Untersuchungszeitraum ­ nur E-Mails an und von bestimmten Personen herausverlangt. Um dem Persönlichkeitsschutz der betroffenen Personen Rechnung zu tragen, ergriff die Arbeitsgruppe spezifische Informationsschutzmassnahmen.35

3.2.1

Auswertung der E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI

Es ist vorliegend darauf hinzuweisen, dass sich die Untersuchung der GPK grundsätzlich nicht gegen den ehemaligen Kommunikationschef des EDI richtete. Die Kommissionen respektieren damit auch die vorgesehene Kompetenzordnung sowie das laufende Strafverfahren und stellen sicher, dass ihre Arbeiten nicht mit diesem in Konflikt geraten.

Auf die Wiedergabe einzelner E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI wird an vorliegender Stelle aus Gründen der Gewährleistung der Persönlichkeitsrechte, des laufenden Strafverfahrens und der verfassungsrechtlich garantierten Unschuldsvermutung grundsätzlich verzichtet, womit auch dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung getragen wird. In diesem Sinne wird bewusst auch darauf verzichtet, Angaben zu Absender und Adressat bei der Quellenangabe zu nennen.

Viele von der Arbeitsgruppe als problematisch eingestufte E-Mails wurden in den Medien bereits wiedergegeben und dürften der Öffentlichkeit daher bekannt sein.

Die Auswertung der E-Mails vom ehemaligen Kommunikationschef des EDI hat gezeigt, dass dieser regelmässig E-Mails beruflichen und vertraulichen Inhalts an seine private E-Mailadresse geschickt hat. Aufgrund dieser Tatsache beschloss die Arbeitsgruppe auch diese E-Mails einzuholen, wobei auch hier klar nach Empfängern und Absendern differenziert wurde, um der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen. Insbesondere wollte die Arbeitsgruppe dadurch in Erfahrung bringen, weshalb der ehemalige Kommunikationschef des EDI häufig berufliche und vertrauliche Informationen an seine private Adresse geschickt hat bzw. ob und an wen er diese Informationen 34

35

E-Mail der BK an die Arbeitsgruppe vom 22.5.2023 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Der Arbeitsgruppe standen nur die E-Mails aus jener Zeitspanne zur Verfügung, für die das BIT im Zusammenhang mit der Edierung der E-Mails durch a.o. Staatsanwalt Marti eine Sicherungskopie angefertigt hatte. Um die verschlüsselten Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI zu lesen, war ein spezifisches Zertifikat notwendig. Die Arbeitsgruppe beschränkte sich dabei auf die potentiell für die Untersuchung zweckdienlichen E-Mails.

Die E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs wurden der Arbeitsgruppe am 30.3.2023 auf einer passwortgeschützten Festplatte zur Verfügung gestellt. Die Analyse der Festplatte wurde von einer Person im Sekretariat durchgeführt, um den Kreis an Personen klein zu halten. Die E-Mails des Vorstehers des EDI wurden am 8.6.2023 auf zwei passwortgeschützten Sticks dem Sekretariat zur Verfügung gestellt, welche nach Abschluss der Arbeiten dem EDI retourniert werden. Es werden jeweils nur jene E-Mails den Mitgliedern der Arbeitsgruppe zur Verfügung gestellt, die zweckdienlich für vorliegende Untersuchung sind.

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vom privaten E-Mailaccount an andere Empfänger weiterleitete. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um die Untersuchungsfragen nach Verursacher und Mitwisser zumindest teilweise beantworten zu können.

Die Arbeitsgruppe versuchte daher die privaten E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI bei der Swisscom zu beschaffen. Mit Brief vom 21. Juli 2023 teilte diese der Arbeitsgruppe mit, dass sie nicht in der Lage ist, die nachgefragten E-Mails der Arbeitsgruppe zur Verfügung zu stellen, da der entsprechende E-Mailaccount am 14. Mai 2023 gelöscht worden sei.36 Der ehemalige Kommunikationschef des EDI kündigte den Vertrag mit der Swisscom sieben Wochen nach seiner Anhörung durch die Arbeitsgruppe, woraufhin die Swisscom vertragsgemäss die E-Mails gelöscht hat.37 Die beruflichen E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI belegen, dass es zwischen ihm und dem CEO der Ringier AG viele und häufig direkte Kontakte gab.

Gegenstand dieses Austausches waren oft Informationen zu anstehenden Entscheiden des Bundesrates. So stellte der ehemalige Kommunikationschef des EDI dem CEO der Ringier AG etwa Medienmitteilungen und deren Entwürfe zu oder informierte ihn darüber, bevor ein entsprechender Entscheid des Bundesrates vorgelegen hatte (E-Mails vom 27. und 28. April 2021, 23. Juni 2021, 26. Mai 2021, 11. August 2021).

Der Entwurf der Medienmitteilung ist Bestandteil der Dokumentation für die Bunderatssitzung, er ist daher bis zum Entscheid des Bundesrates entsprechend klassifiziert und darf nicht ausserhalb jenes Kreises, der von Amtes wegen Zugang dazu hat, geteilt werden. Dies wurde von der Bundeskanzlei so bestätigt.38 Im Falle einer Medienkonferenz wird die Medienmitteilung den akkreditierten Journalisten unter der Auflage einer Sperrfrist bereits vor der Medienkonferenz zugestellt; auf jeden Fall aber erst nach dem entsprechenden Beschluss des Bundesrates.39 Aus den E-Mails geht ebenfalls hervor, dass sich der ehemalige Kommunikationschef des EDI und der CEO der Ringier AG über vertrauliche Informationen mündlich ausgetauscht haben (E-Mail vom 11. August 2021). Hinweise auf übermittelte Informationen zu traktandierten Geschäften im Bundesrat und das Angebot, sich dazu zu unterhalten, finden sich ebenfalls in den E-Mails (E-Mails vom 2. März 2021, 15. März 2021) wie auch das Teilen der eigenen
Einschätzung zu den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat (E-Mail vom 6. November 2020) oder Hinweise auf Gespräche, an denen vertrauliche Informationen geteilt wurden. Die Auswertung der Medienberichterstattung hat keine Hinweise auf die Verwendung der vom ehemaligen Kommunikationschef des EDI an den CEO der Ringier AG übermittelten Informationen bei der Berichterstattung ergeben.

36

37

38 39

Der Grund, weshalb die Arbeitsgruppe mit der Einforderung der privaten E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI zugewartet hat, ist in den vorab notwendigen rechtlichen Abklärungen zu sehen.

Brief der Swisscom an die Arbeitsgruppe Indiskretionen Covid-19 der GPK-N/S vom 21.7.2023 (VERTRAULICH; nicht öffentlich). Mit der Beendigung des Vertrages zum E-Mail-Produkt werden der E-Mail-Account (inkl. Inhalte) und die E-Mailadressen gelöscht. Ein gekündigtes Konto kann nicht reaktiviert werden.

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 33 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 33 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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Weitere E-Mails des oder an den ehemaligen Kommunikationschef des EDI deuten aus Sicht der GPK zudem auf einen wenig restriktiven Umgang mit klassifizierten oder nicht-öffentlichen Informationen bzw. darauf hin, dass solche Informationen nicht selten mit aussenstehenden Personen oder Medien geteilt wurden (bspw. E-Mail von einem Mitarbeiter im GS-EDI an den ehemaligen Kommunikationschef des EDI vom 14. Dezember 2020; «wir sollten das leaken»; diese Information betraf den Anhang einer Bundesratsverordnung, wobei dessen Aktualisierung in der Kompetenz des EDI lag, welches sich dazu mit dem EJPD, dem EFD und dem EDA absprechen musste40; anzumerken ist, dass die Arbeitsgruppe keine Hinweise dafür fand, dass diese E-Mail kausal ursächlich für die mediale Berichterstattung gewesen ist).41 Im Rahmen der Anhörung des ehemaligen Kommunikationschef des EDI wurde dieser danach gefragt, wie eine Indiskretion im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates zu definieren ist. Dabei zeigte sich, dass dessen Auffassung nicht den Vorgaben aus der Informationsschutzverordnung42 und dem Leitbild der Konferenz der Informationsdienste (KID) entspricht. Ihm zufolge dürfen Informationen durchaus mit Medienschaffenden im Sinne von Hintergrundinformationen geteilt werden, zudem habe die ausserordentliche Situation eine aktive Information notwendig gemacht.43 Seine Aufgabe sei es gewesen, den Boden für die Akzeptanz des Mittelwegs, der die Schweiz zur Bewältigung der Pandemie gewählt habe, zu bereiten.

Für die Arbeitsgruppe ist diese Haltung selbst im Kontext der ausserordentlichen Situation nicht nachvollziehbar. Bemerkenswert fand die Arbeitsgruppe auch die Aussage des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI, wonach es sich beim Austausch mit dem CEO der Ringier AG um einen normalen Austausch gehandelt hat,44 was auch von weiteren angehörten Personen skeptisch beurteilt wurde.45 Im Leitbild der KID werden Hintergrundgespräche explizit erwähnt und «als ergänzendes Element einer umfassenden Informationsleistung» als zulässig beschrieben.46 Diese Hinter40

41

42 43 44 45 46

Verordnung des Bundesrates vom 2.7.2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) im Bereich des internationalen Personenverkehrs (Covid 19-Verordnung Massnahmen im Bereich des internationalen Personenverkehrs; AS 2020 2737); Art. 3 Abs. 2 der Verordnung beinhaltete die Delegationsnorm. Art. 41 Abs. 3 Bundesgesetz vom 28.9.2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EPG; SR 818.101) räumt die Kompetenz dem Bundesrat bzw. dem BAG ein.

Der Vorsteher des EDI teilte der Arbeitsgruppe ebenfalls mit, beim fraglichen Geschäft habe es sich nicht um ein Bundesratsgeschäft gehandelt, sondern um ein Geschäft des EDI. Er wies weiter darauf hin, dass die Anpassung des Anhangs einem Automatismus folgte, abgesehen vom Datum der Unterzeichnung, habe es sich daher nicht um ein Amtsgeheimnis gehandelt. Der Ausdruck «leaken» habe zudem im Dezember 2020 noch nicht die Bedeutung gehabt, die er im Verlauf der Pandemie und der Pressekampagne seit Anfang 2023 erhalten habe. Aufgrund dieser Überlegungen und nach einer gründlichen Voruntersuchung des Departements sehe er keine Hinweise auf strafrechtliche oder disziplinarische Vorwürfe und werde daher keine weiteren Schritte bzw. keine Disziplinaruntersuchung einleiten.

Verordnung vom 4.7.2007 über den Schutz von Informationen des Bundes (Informationsschutzverordnung, ISchV; SR 510.411).

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 13 f. und 20 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 13 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 35 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Leitbild der Konferenz der Informationsdienste, Information und Kommunikation von Bundesrat und Bundesverwaltung, S. 7.

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grundgespräche stellen gemäss den Informationen der BK eine Art Pressekonferenz auf technischem Niveau dar. Das Leitbild hält fest, dass die Information und Kommunikation im Krisenfall nicht Gegenstand dieses Leitbildes sind.47 Die GPK stellen fest, dass die Vorgaben zu den Hintergrundgesprächen nur wenig bis gar nicht präzisierend im Leitbild bzw. in den Weisungen über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung48 festgehalten sind. Gemäss den Informationen der Bundeskanzlei kämen auch bei Hintergrundgesprächen dieselben Grundsätze zur Anwendung, wie bei der regulären Kommunikation: insbesondere ist die Durchführung eines Hintergrundgesprächs vor der Entscheidung des Bundesrates nicht zu zulässig.49 Der Vorsteher des EDI gab in seiner Anhörung zu Protokoll, dass er einige E-Mails seines damaligen Kommunikationschefs an den CEO der Ringier AG als unangebracht einstufe. Gleichzeitig war er aber der Ansicht, dass man daraus nicht auf Indiskretionen aus dem EDI schliessen könne50 und dass er die soweit ihm bekannten Vorabinformation eher als Kontaktpflege betrachtete.51 Der Vorsteher des EDI gab an, dass die zu grosse Nähe zwischen seinem damaligen Kommunikationschef und dem CEO der Ringier AG vielleicht zu zuviel Vertrauen geführt habe. Er habe aber trotz allem nicht den Eindruck, dass die Informationen an den CEO der Ringier AG mit der Absicht erfolgt seien, diese an eine Redaktion zu liefern.52

3.2.2

Auswertung der E-Mails des Vorstehers des EDI und Kontakte zum CEO der Ringier AG

Wie oben beschrieben, hat die Arbeitsgruppe auch Mails des Departementsvorstehers des EDI ediert. Sie beschränkte die Edierung der E-Mails auf jene, von und an den CEO der Ringier AG, den ehemaligen Kommunikationschef des EDI und weitere für die Arbeitsgruppe relevante E-Mails im Zusammenhang mit den Covid-19-Indiskretionen. Der Vorsteher des EDI stellte der Arbeitsgruppe die gewünschten E-Mails ­ trotz rechtlicher und politischer Bedenken, sowie solcher zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit und zum Schutz der Persönlichkeit ­ zur Verfügung. Aufgrund des sensiblen Inhalts wurden in Absprache mit dem Departementsvorsteher des EDI verschiedene Informationsschutzmassnahmen ergriffen.

Die Auswertung der E-Mails sowohl des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI als auch des Vorstehers des EDI ergab keine Hinweise darauf, dass der Bundespräsident Kenntnis vom konkreten Inhalt des Austauschs zwischen dem ehemaligen Kommunikationschef des EDI und dem CEO der Ringier AG gehabt hatte. Dies wurde übrigens auch vom ehemaligen Kommunikationschef des EDI gegenüber der Arbeitsgruppe bestätigt.53 Allerdings ist hier auch zu beachten, dass gemäss den Aussagen 47 48 49 50 51 52 53

Leitbild der Konferenz der Informationsdienste, Information und Kommunikation von Bundesrat und Bundesverwaltung, S. 7.

Weisungen des Bundesrates vom 21.6.2019 über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung.

E-Mail vom Bundesratssprecher an die Arbeitsgruppe vom 13.10.2023.

Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 23 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 24 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 29 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 18 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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sowohl des Departementsvorstehers des EDI als auch des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI ihr Austausch in dieser Zeit sehr intensiv war und vor allem mündlich stattfand, insbesondere an den täglichen Briefings.54 Gemäss den Informationen der angehörten Personen aus dem EDI fanden täglich Briefings statt, an denen auch jeweils die aktuellste Medienschau besprochen und Indiskretionen regelmässig thematisiert wurden.55 An diesen Briefings nahmen neben dem Departementsvorsteher dessen beide persönlichen Mitarbeiter, der Generalsekretär, die beiden Kommunikationschefs und eine Vertretung aus dem Vorzimmer teil (vgl. hierzu Kap. 5.1).56 Aus den verschiedenen E-Mails und Anhörungen ging aber klar hervor, dass der Vorsteher des EDI von den Kontakten seines damaligen Kommunikationschefs zum CEO der Ringier AG wusste. An einzelnen Treffen betreffend konkrete Projekte (siehe weiter unten) hat der Vorsteher EDI selber teilgenommen.57 Gemäss der Aussage des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI wurde dieser auch einmal gar gebeten Marc Walder Grüsse vom Departementsvorsteher des EDI auszurichten.58 Dieser Bitte kam der ehemalige Kommunikationschef des EDI in einer E-Mail an den CEO der Ringier AG nach (E-Mail an eine private E-Mailadresse mit der Anschrift von Marc Walder vom 6.11.2020).

Der Vorsteher des EDI hat an den beiden Anhörungen durch die Arbeitsgruppe erklärt, dass er immer wieder einmal im Kontakt mit dem CEO der Ringier AG stand.

Er nahm diesen gemäss eigenen Aussagen jedoch nicht als Medienschaffenden, sondern als CEO eines multinational in 19 Ländern tätigen Unternehmens wahr.59 Weiter betonte er, dass eine besondere Nähe zu oder eine Freundschaft mit dem CEO der Ringier AG zu keiner Zeit bestanden habe, man sei sich nur beruflich begegnet.60 Während der Pandemie seien diese Kontakte aus verschiedenen Gründen regelmässig gewesen: Unter anderem habe der CEO der Ringier AG während der Pandemie verschiedene Ideen und Projekte vorgelegt. Im Herbst und Winter 2020 handelte es sich um eine Initiative verschiedener CEO grosser Unternehmen zu den psychischen Auswirkungen der Pandemie und des Homeoffice auf die Angestellten. Dies habe zu verschiedenen Projekten geführt, unter anderem zum Tag der psychischen Gesundheit im Dezember 2020. Im Frühling und Sommer 2021 sei ausgehend vom CEO der Ringier AG unter Einbezug einer Gruppe grosser Unternehmen eine Kampagne zur Impfung in den Unternehmen lanciert worden. Das Pilotprojekt wurde von Bund und dem Kan54 55

56 57 58

59 60

Protokoll der Anhörung vom 26.6.2023, S. 11 und 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 17.8.2023, S. 8 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 4 und 24 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 16 und 24 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 17.8.2023, S. 8 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 16 und 18 (VERTRAULICH, nicht öffentlich), verschiedene E-Mails und Outlook-Einträge.

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 18 (VERTRAULICH, nicht öffentlich), E-Mail an eine private E-Mailadresse mit der Anschrift von Marc Walder vom 6.11.2020.

Andere Darstellung des Departementsvorstehers des EDI in: Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 29 (VERTRAULICH, nicht öffentlich): Der Departementsvorsteher des EDI erinnert sich nicht daran.

Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 17 und 27 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.6.2023, S. 11 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 16 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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ton Zürich unterstützt und daraufhin realisiert. Weiter habe der CEO der Ringier AG auch das System von TicketCorner zur Organisation der Impfungen und der Einbezug von Digital Switzerland bei der Erarbeitung des Zertifikates in Aussicht gestellt. 61 Gemäss den Informationen der GPK hat der CEO der Ringier AG auch mit anderen Bundesräten den Kontakt gesucht.62 Der CEO der Ringier AG war gemäss Artikel 153 i.V.m. 156 Parlamentsgesetz rechtlich nicht verpflichtet, einer Anhörung durch die Arbeitsgruppe zuzustimmen. Er lehnte eine solche ab und berief sich dabei zusätzlich auf den den Medienschaffenden zustehenden strafrechtlichen Quellenschutz.63 Indem er sich als Medienschaffender bezeichnet, hat er eine andere Einschätzung als der Departementsvorsteher des EDI, welcher ihn als CEO eines multinational tätigen Unternehmens wahrgenommen hatte.

3.3

Aussagen der angehörten Personen zu den Indiskretionen

Vorliegendes Kapitel hat zum Zweck, jene Informationen wiederzugeben, welche die Arbeitsgruppe im Rahmen der verschiedenen Anhörungen erhalten hat und die auf weitere Indiskretionen hinweisen. Zudem stellte die Arbeitsgruppe auch jeweils die Frage nach der Motivation, eine Indiskretion zu begehen.

Häufigkeit und Art der Indiskretionen Die meisten Angehörten betonten die auffällige Häufigkeit der Indiskretionen während dem Untersuchungszeitraum ­ die Rede war von ständigen Indiskretionen. Mehrere Angehörte wiesen darauf hin, dass während der Pandemie insbesondere die Indiskretionen vor den Bundesratssitzungen zugenommen hatten und namentlich auch Mitberichte sehr rasch an Medienvertreter durchgesickert seien. Angehörte berichten, dass zwischen der Einreichung von Mitberichten und Anfragen von Medienschaffenden zuweilen kaum eine Stunde vergangen sei. Gegenstand von Indiskretionen waren aber nicht nur Mitberichte und Anträge, sondern im Nachgang zu den Sitzungen teilweise auch der Inhalt der bundesrätlichen Beratungen (siehe hierzu Kapitel 4.2).

Mögliche Motive für die Indiskretionen ­ begünstigende Faktoren Mehrere Angehörte gaben an, dass Indiskretionen ein politisches Instrument seien: Man gebe etwas und erhoffe sich hierfür eine Gegenleistung.64 Wenn es sich um Zi61 62 63

64

Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 17 und 27 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.6.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Briefe von Marc Walder an die Arbeitsgruppe vom 4.5.2023 und vom 16.6.2023 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Der strafrechtliche Quellenschutz steht gemäss Lehre nicht nur den eigentlichen Medienschaffenden, sondern auch Hilfspersonen wie etwa Verlegern zu (Franz Zeller, Kommentar zu Art. 28a StGB Rn. 43, in: Niggli/Wiprächtig-er, Basler Kommentar Strafrecht, 2019). Inwieweit die Berufung auf den Quellenschutz tatsächlich greift, kann vor dem Hintergrund, dass Herr Walder gem. ParlG nicht verpflichtet ist, vor der GPK auszusagen, vorliegend offenbleiben.

Protokoll der Anhörung vom 4.5.2023, S. 2 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 14 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 2 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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tate aus den Bundesratssitzungen handle, seien es gezielte Indiskretionen, von denen man sich selber entweder einen Nutzen verspreche oder einem Mitglied des Bundesrates schaden bzw. dieses gezielt diskreditieren wolle.65 Als ein Motiv für Indiskretionen wurde des Weiteren genannt, dass mittels Indiskretionen vor der Bundesratssitzung das federführende Departement seine Position stärken konnte, da aufgrund der vorzeitigen Information in der Öffentlichkeit der Handlungsspielraum des Kollegiums eingeschränkt wurde.66 Andere Stimmen wiesen darauf hin, dass Indiskretionen zu Mitberichten unterlegener Departemente dazu dienen konnten, Minderheitspositionen publik zu machen. Damit sollte von der unterlegenen Partei ihr Einsatz gegen die abgelehnten Massnahmen zum Ausdruck gebracht werden oder die zustimmenden Departemente unter Druck gesetzt werden.

Begünstigend wirkte sich gemäss mehreren Angehörigen auch die angespannte Stimmung während der Pandemie vor allem in der zweiten Welle aus. Gemäss der Aussage einer angehörten Person sei die Stimmung vor allem während der zweiten Welle derart aufgeladen gewesen sei, dass sowohl Massnahmengegner als auch Massnahmenbefürworter Interesse an Indiskretionen gehabt hätten.67 Schliesslich hätte Covid-19 die Bürgerinnen und Bürger des Landes sehr interessiert.68 Verschiedene angehörte Personen wiesen zudem darauf hin, dass teilweise ein sehr grosser Kreis an Personen (Bundesrat, Bundesverwaltung, Kantone, Sozialpartner, etc.) Zugang zu den entsprechenden Dokumenten hatte.69 Der Departementsvorsteher des EDI führte aus, dass eine Indiskretion demjenigen Departement am meisten schade, welches das betreffende Geschäft bearbeitet, weil damit der Druck erhöht und die Kommunikation erschwert werde.70 Andere Departementsvorstehende sind hingegen der Ansicht, dass die Indiskretionen aus dem EDI stammten und diesem Vorteile gebracht haben.71 Der Bundeskanzler sprach bei seiner Anhörung von mindestens fünf Faktoren, die eine Indiskretion begünstigen: 1. die Führungskraft des Bundesrates und der einzelnen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher, 2. die Umstände (Krise oder Normalsituation?), 3. die Verfahren (Informationssicherheitsgesetz, Informationsschutzverordnung, Umgang mit den Dokumenten des Bundesrates in der BK, etc.), 4. die Verfolgung von Indiskretionen durch die
BA und 5. die Personalpolitik.72 Weiter könnten auch Intrigen und politische Kampagnen Auslöser von Indiskretionen sein ebenso wie Journalisten, welche verschiedene Personen der Bundesverwaltung gegeneinander

65 66 67 68 69

70 71 72

Protokoll der Anhörung vom 4.5.2023, S. 10 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 12 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 4.5.2023, S. 2 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 9 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 27 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 25 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 4.5.2023, S. 1 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 3 und 19 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 24 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 4.5.2023, S. 4 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 4 und 14 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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ausspielen, oder Mitarbeitende, die sich wichtigmachen wollen oder unzufrieden seien.73 Quelle der Indiskretionen Im Rahmen der Anhörungen wurden verschiedene mögliche Quellen der Indiskretionen während der Pandemie genannt. Während einige den Eindruck hatten, dass die grösste Anzahl an Indiskretionen aus jenem Departement stammte, welches den Antrag eingereicht hat, vermuteten andere Angehörte verschiedene Quellen oder wollten sich zu den mutmasslichen Quellen nicht äussern. Einige angehörte Personen hielten zudem fest, dass Indiskretionen nicht unbedingt aus der obersten Hierarchiestufe und damit aus dem Bundesrat selber kommen, sondern vermuteten deren Ursprung im nahen Umfeld der einzelnen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher, wobei dem Debriefing zu den Bundesratssitzungen eine bedeutende Rolle zukomme.74 Die Debriefings sind in diesem Kontext von Bedeutung, weil anlässlich der Anhörungen auch verschiedentlich ausgeführt wurde, dass Indiskretionen die Beratungen des Bundesrates betrafen und direkt nach den Bundesratssitzungen erfolgt seien.

3.4

Zusammenfassung

Die GPK stiessen bei ihren Arbeiten auf verschiedene Quellen, welche Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Bundesratsgeschäften belegen oder darauf schliessen lassen. Einerseits zeigt die der Medienanalyse zugrundeliegende Liste des Bundesrates auf, dass es während der Bewältigung der Covid-19-Pandemie häufig zu Indiskretionen gekommen ist. Andererseits bestätigen sowohl die Auswertung verschiedener E-Mails als auch die Aussagen der angehörten Personen, dass Covid-19Vorlagen des Bundesrates während des Untersuchungszeitraums regelmässig Gegenstand von Indiskretionen waren.

Aufgrund der Medienanalyse ist erkennbar, welche Medien in erster Linie mit Indiskretionen bedient worden sind (Ringier und Tamedia). Die Auswertung der E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI legen des Weiteren offen, dass mindestens der CEO der Ringier AG Empfänger von Indiskretionen war. Die Auswertung der Medienberichterstattung hat keine Hinweise auf die Verwendung der vom ehemaligen Kommunikationschef des EDI an den CEO der Ringier AG übermittelten Informationen bei der Berichterstattung ergeben. Generell ist festzuhalten, dass gestützt auf die Medienanalyse und die der Arbeitsgruppe zur Verfügung stehenden Quellen weder die Empfänger noch die Urheber sowie allfällige Mitwisser von Indiskretionen identifiziert werden können. Dieser Aspekt dürfte auch ausschlaggebend sein, weshalb die Ermittlungen der BA wegen Amtsgeheimnisverletzungen gegen Unbekannt meist eingestellt werden (vgl. dazu Kap. 4.1 und 5).

73

74

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 13 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 27 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 4.5.2023, S. 4 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 22 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 5 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 22 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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Sowohl die Medienanalyse als auch die verschiedenen Anhörungen zeigten auf, dass bei vielen Geschäften der Kreis jener Personen, welche im Besitz von Informationen waren, beträchtlich bis sehr gross gewesen ist. Konkret hatten von den Bundesratsgeschäften während der Pandemie nicht nur diverse Stellen in der Bundesverwaltung, sondern auch die Kantone, Verbände, Interessengruppen sowie teilweise auch die politischen Parteien Kenntnis. Der genannte Kreis an Personen, der Zugang zu den Covid-19-Geschäften des Bundesrates oder Teilen davon hatte, ist in den meisten Fällen zu gross, um zuverlässig eingrenzen zu können, wer eine Indiskretion begangen oder zumindest davon gewusst hat.

Sowohl aus der Medienanalyse als auch aus den verschiedenen Anhörungen geht hervor, dass es auch zu Indiskretionen aus den Sitzungen des Bundesrates gekommen ist.

Diesbezüglich kämen primär die an der Sitzung anwesenden Teilnehmenden in Frage (sieben Departementsvorstehende, der Bundeskanzler und die beiden Vizekanzler).

Es ist jedoch ­ insbesondere auch aufgrund der Aussagen der angehörten Personen ­ davon auszugehen, dass die Indiskretionen zumindest teilweise auch auf die Debriefings und damit die Weiterleitung der Informationen durch die einzelnen Departementsvorstehenden an ihr jeweiliges Team zurückzuführen sind.

Die Arbeitsgruppe konnte in Einzelfällen Hinweise auf Indiskretionen bzw. eine Aufforderung zur Weitergabe von nicht-öffentlichen Informationen hierzu anhand der ausgewerteten E-Mails von zwei Personen aus dem EDI eruieren.75 Es handelt sich dabei grösstenteils um jene E-Mails, welche in den Medien bereits publiziert worden sind. Die GPK können die Echtheit dieser Nachrichten bestätigen. Aus den analysierten E-Mails geht zudem hervor, dass der ehemalige Kommunikationschef des EDI E-Mails mit beruflichem und teils gar vertraulichem Inhalt an seine private E-Mailadresse geschickt hat, was für die GPK nicht nachvollziehbar ist. Die E-Mails waren, trotz Versand an die eigene private E-Mailadresse, an andere Personen adressiert, wobei ein bestimmter «Code» zur Anwendung kam (je nach dem wer angeschrieben wurde, verwendete der ehemalige Kommunikationschef des EDI einen anderen Buchstaben als Betreff). Der ehemalige Kommunikationschef des EDI äusserte sich anlässlich seiner Anhörung vom 27. März 2023 nicht zum
Grund, weshalb er diese Nachrichten an seine private Adresse geschickt hat.

Der Arbeitsgruppe liegen keine Nachweise vor, dass der Vorsteher des EDI über die Indiskretionen aus seinem Departement im Bild gewesen wäre. Auch fand die Arbeitsgruppe keine Belege dafür, dass die Indiskretionen in seinem Auftrag erfolgt wären. Auch die ausgewerteten E-Mails des Departementsvorstehers des EDI enthalten keine diesbezüglichen Hinweise. Es sind jedoch zwei Aspekte zu erwähnen: Einerseits fand die Kommunikation zwischen dem Vorsteher des EDI und dem ehemaligen Kommunikationschefs des EDI während dieser Zeit in erster Linie mündlich statt. Es ist davon auszugehen, dass dies auch auf die Kommunikation mit weiteren Personen im EDI zutrifft. Andererseits wusste der Departementsvorsteher des EDI von den teils sehr engen Kontakten zwischen seinem Kommunikationschef und dem CEO der Ringier AG Bescheid.

75

Vgl. Kap. 3.2.1: Die Aufforderung, eine nicht-öffentliche Information weiterzugeben, betraf den Anhang einer Bundesratsverordnung, wobei die Kompetenz für deren Anpassung dem EDI zukam (nach Absprache mit dem EJPD, dem EFD und dem EDA).

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Sowohl die Aufgabe der GPK als auch deren Untersuchungsmittel sind im ParlG abschliessend geregelt und unterscheiden sich grundlegend von jenen der Strafverfolgungsbehörden. Bei den GPK handelt es sich um Kommissionen der eidg. Räte und daher um politische Gremien. Die Ausführungen in diesem Bericht sind damit abzugrenzen von (laufenden) Strafverfahren. Den GPK ist es ein Anliegen zu betonen, dass im Sinne des Vorstehenden für sämtliche involvierten Akteure im Falle eines Strafverfahrens die Unschuldsvermutung gilt.

Weiter sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Medienanalyse deutlich macht, dass nicht nur das EDI von Indiskretionen im Kontext der Covid-19-Geschäfte des Bundesrates betroffen war. Aus der Liste, welche der Bundesrat für die Arbeitsgruppe erstellt hat, ist ersichtlich, dass auch weitere Departemente von Indiskretionen betroffen waren.76 Was die Hintergrundgespräche betrifft, kommen die GPK zum Schluss, dass die Vorgaben im Zusammenhang mit der Durchführung von Hintergrundgesprächen nur wenig klar und nicht abschliessend ausgestaltet sind. Dies kann aus Sicht der Kommissionen zu unbefriedigenden Situationen und Ergebnissen führen.77 Empfehlung 1 Der Bundesrat sorgt in Zusammenarbeit mit der BK dafür, die Kriterien zur Durchführung eines Hintergrundgesprächs einerseits generell und andererseits im Krisenfall klar festzuhalten, rechtlich verbindlich zu regeln und den Kommissionen anzugeben, in welchem Produkt diese Empfehlung umgesetzt wird.

Abschliessend ist es den GPK ein Anliegen, die Praxis der Löschung der Mails von austretenden Personen aus der Bundesverwaltung nach 135 Tagen zu thematisieren.

Die Untersuchung durch die Arbeitsgruppe hat gezeigt, dass für diese Frist keine gesetzliche Grundlage besteht. Die GPK gelangen zum Schluss, dass die Frist von 135 Tagen grundsätzlich angemessen ist und die Gründe hierfür (Speicherplatz, Datenschutz, und weitere) nachvollzogen werden können. Allerdings stufen die Kommissionen diese Frist beim Austritt von Departementsvorsteherinnen und -vorsteher, sowie weiteren Personen, die eine Kaderstelle innehaben weder als angemessen noch als verhältnismässig ein. Die GPK üben die Oberaufsicht in der Regel nachträglich aus. Dies führt dazu, dass ein Sachverhalt unter Umständen nicht mehr einwandfrei nachvollzogen werden kann, wenn ein Mailaccount bereits nach 135 Tagen nach Austritt der betroffenen Person gelöscht wird. Die GPK sprechen sich daher für eine differenzierte Lösung aus.

76

77

Beispiele: Geschäft des WBF «Wirtschaftliche Abfederung der behördlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Covid-19» vom 13.3.2020; Geschäft des EFD «Covid-19-Überbrückungskredite: Zusatzkredit für Covid-19-Solidarbürgschaften» vom 3.4.2020; Geschäft des EDA «Covid-19: zusätzliche Massnahmen zur Unterstützung von blockierten Schweizer Reisenden und von schweizerischen Vertretungen im Ausland» vom 5.6.2020.

Siehe hierzu etwa eine Mail des ehemaligen Kommunikationschef des EDI an eine Mitarbeiterin des Blick vom 15.10.2020: In dieser Mail, deren Betreff Hintergrundgespräch lautete, zeigte sich der Absender bereit, Informationen über ein anderes Mitglied des Bundesrates zu teilen. Es sei vorliegend darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine Information im Zusammenhang mit Covid-19 handelte.

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Empfehlung 2 Der Bundesrat sorgt dafür, dass eine konkrete gesetzliche Grundlage zur Löschung der E-Mails von austretenden Personen aus der Bundesverwaltung geschaffen wird. Hierbei soll er einen differenzierten Ansatz verfolgen, in dem die Löschfrist für Departementsvorsteherinnen und -vorsteher und weiterer Personen in Kaderfunktionen im Vergleich zu den heute geltenden 135 Tagen deutlich verlängert wird. Der Bundesrat soll dabei auch bestimmen, welche Personen als Kader im Sinne dieser Bestimmung gelten.

4

Umgang des Bundesrates mit den verschiedenen Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19 und deren Einfluss auf die Arbeit des Bundesrates

Vorliegendes Kapitel soll den Umgang des Bundesrates mit den verschiedenen Indiskretionen im Untersuchungszeitraum beleuchten und aufzeigen, ob bzw. wie diese die Arbeit des Bundesrates beeinflusst haben. Hierzu wurden sowohl sämtliche damaligen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher als auch der Bundeskanzler und die beiden Vizekanzler befragt.

Dabei steht insbesondere auch die Frage im Zentrum, welche Massnahmen der Bundesrat ergriffen hat, um Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Bundesratsgeschäften zu verhindern bzw. zu unterbinden. Weiter wird auch die Sitzung des Bundesrates vom 25. Januar 2023 thematisiert, an der eine Aussprache zu den mutmasslichen Indiskretionen aus dem EDI geführt worden ist. Dabei werden der Gegenstand der Aussprache, die Erkenntnisse und Lehren diesbezüglich erläutert.

4.1

Vorgaben/Massnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit

Um zu eruieren, welche Massnahmen der Bundesrat im Rahmen der Bewältigung der Covid-19-Pandemie bzgl. Informationsschutz ergriffen hat, ist es in einem ersten Schritt notwendig, aufzuzeigen, welche Vorgaben diesbezüglich ganz generell gelten.

In einem zweiten Schritt werden dann die ergriffenen Massnahmen dargestellt und erläutert. Diesbezüglich wird auch die Rolle der Bundeskanzlei beleuchtet.

4.1.1

Vor der Covid-19-Pandemie bzw. generelle Massnahmen

Bei den Vorgaben und Massnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit von Bundesratsgeschäften gilt es in erster Linie die Ämterkonsultation und das Mitberichtsverfahren zu erwähnen. Vorliegend sollen der Verständlichkeit halber nur die wichtigsten Aspekte der beiden Verfahren aufgezeigt werden.

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Gemäss den Angaben der BK wird ein Geschäft, bevor dieses ins Mitberichtsverfahren kommt, in den Ämtern, Generalsekretariaten und interdepartementalen Arbeitsgruppen vorbereitet.78 Die so erarbeiteten Entwürfe werden daraufhin in die Ämterkonsultation ­ bundesverwaltungsintern ­ geschickt. Hierbei haben eine grössere Anzahl von Personen Zugriff auf die Unterlagen, wozu es allerdings keine genauen Angaben gibt.79 In diesem Rahmen werden die mitinteressierten Verwaltungseinheiten begrüsst (mindestens alle Generalsekretariate, die BK, das Bundesamt für Justiz (BJ), die verwaltungsinterne Redaktionskommission (VIRK), die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) und das Eidgenössische Personalamt (EPA)). Dies gilt für nicht vertraulich oder geheim klassifizierte Unterlagen. Handelt es sich um vertrauliche oder geheime Unterlagen, ist der Adressatenkreis stark eingeschränkt und es werden zu wichtigen und strittigen Rechtsfragen das BJ und je nachdem die BK, die EFV, das EPA und die VIRK im Vorfeld einer Bundesratssitzung konsultiert.80 Bevor ein Geschäft im Bundesrat behandelt wird, findet das sogenannte Mitberichtsverfahren (gestützt auf Art. 15 RVOG) statt. Dieses beginnt mit der Unterzeichnung des Antrages an den Bundesrat durch das federführende Departement (Art. 5 Abs.

1bis RVOV). Der unterzeichnete Antrag bzw. das unterzeichnete Aussprachepapier wird der BK elektronisch via GEVER ÜDP übermittelt. Die BK prüft und registriert das Geschäft und schaltet es anschliessend auf der zentralen Plattform für die Bundesratsgeschäfte, dem EXEBRC, auf. Zugleich übermittelt die BK alle Geschäfte via GEVER ÜDP an die GEVER-Systeme aller Departemente und der Bundeskanzlei.

Ab diesem Moment haben die Departemente und die BK die Möglichkeit, zu den Geschäften Mitberichte einzureichen. Mitberichte können Anträge, Kommentare oder Fragen beinhalten. Eingereichte Mitberichte werden nach dem oben beschriebenen Verfahren auf EXEBRC aufgeschaltet und zugleich an die GEVER-Systeme aller Departemente und der BK versendet. Das federführende Departement nimmt in der Regel in Form einer Stellungnahme Stellung zu den Mitberichten. Im Hinblick auf die Bundesratssitzung fasst die Bundeskanzlei die Mitberichte und Stellungnahmen in Form einer sogenannten Differenzenliste zusammen.81 Damit ein Geschäft an der Bundesratssitzung
traktandiert wird, müssen für die Sitzung am darauffolgenden Mittwoch die diesbezüglichen elektronischen Dossiers jeweils am vorangehenden Donnerstag bis um 9.30 Uhr im Postfach GEVER ÜDP eingehen.82 Die BK erstellt gestützt darauf die definitive Traktandenliste für die Sit78

79 80 81

82

Bundesratsgeschäfte, Übersicht der BK vom 22.2.2023 zu Prozessen, Zugriffen und Applikationen zuhanden von GPK und GPDel, S. 1 (hiernach: Übersicht der BK vom 22.2.2023).

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 1.

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 1.

Informationen der Bundeskanzlei, zu finden unter www.bk.admin.ch > Unterstützung der Regierung > Bundesratsgeschäfte > Vor der Bundesratssitzung (zuletzt besucht am 27.7.2023); Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 2.

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 2: GEVER ÜDP ist eine IKT-Anwendung, in der die Dokumente für die Bundesratssitzungen abgelegt werden. Über einen Link können diese dann in EXEBRC abgerufen werden. Letzteres ist eine Anwendung zur Steuerung der Geschäfte und der Sitzungen des Bundesrates. Geheim klassifizierte Geschäfte finden sich in keiner der beiden Anwendungen. Ausnahmen in Bezug auf die Fristen (Donnerstag für Sitzung am Mittwoch) finden sich während den Sessionen (Frist am Montag für Sitzung am Freitag).

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zung.83 Allfällige Mitberichte sind bis am Vortag der Sitzung bis um 14.00 Uhr einzureichen und diesbezügliche Stellungnahmen bis um 20.00 Uhr.84 Bei vertraulich und geheim klassifizierten Geschäften unterscheidet sich der Kreis der Zugriffsberechtigten, der Prozess sowie die Fristen im Vergleich zu den Ausführungen oben. Die Klassifizierung wird durch das federführende Departement bzw. die Bundeskanzlei (bei ihren Geschäften) vorgenommen.

Vertraulich klassifizierte Bundesratsgeschäfte dürfen nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht werden.85 Die Abwicklung läuft ebenfalls über GEVER ÜDP und EXEBRC; allerdings in verschlüsselter Form, womit der Kreis an Personen, welcher Zugriff auf die vertraulichen Dokumente hat, stärker eingeschränkt wird.86 Die zur Einsicht berechtigten Personen können das Geschäft allerdings umschlüsseln und weiteren Personen zugänglich machen.87 Die Fristen für die Mitberichte und Stellungnahmen unterscheiden sich nicht von jenen bei nicht vertraulich oder geheim klassifizierten Bundesratsgeschäften.88 Bei geheim klassifizierten Bundesratsgeschäften ist die BK für Registrierung, Verteilung, Rückzug, Archivierung, Vernichtung und Aktenkontrolle zuständig.89 Dabei ist die Informationsschutzverordnung einzuhalten. Ein geheim klassifiziertes Geschäft wird der BK so früh als möglich gemeldet und die Dokumente dem Leiter Bereich Bundesrat der BK (Vizekanzler) persönlich übergeben.90 Die BK erstellt die notwendigen Kopien auf grünem Papier, nummeriert diese und verteilt sie an den Adressatenkreis.91 Die Dokumente werden noch an der Sitzung selber wieder eingezogen und daraufhin vernichtet, wobei ein Mitglied des Bundesrates zum Zwecke der Weiterführung eines Geschäftes die entsprechenden Dokumente behalten darf (die Rückgabe der geheim klassifizierten Dokumente muss jedoch spätestens beim Amtsende erfolgen).92 Ein allenfalls ergangener Bundesratsentscheid wird durch die BK ausgefertigt und den Mitgliedern des Bundesrates sowie den weiteren Adressaten überbracht.93 Eine Auflistung der BK zur Anzahl geheim klassifizierter Bundesratsgeschäfte über die letzten 14 Jahre zeigt seit 2020 einen Anstieg an geheim klassifizierten Bundesratsgeschäften, wobei im Jahr 2022 ein neuer Spitzenwert erreicht wurde.94 Nichtsdestotrotz werden weiterhin die meisten Bundesratsgeschäfte
vertraulich oder intern klassifiziert. Aufgrund der dieser Untersuchung zugrundeliegenden Vorfälle stellen sich daher folgende Fragen nach den Berechtigungen, auf EXEBRC sowie auf die GEVER-Systeme der Departemente bzw. der BK zugreifen zu können: ­ 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94

Wer legt die Zugriffsrechte fest?

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 2: Die BK nimmt Ab- und Nachmeldungen bis am Dienstag 9.30 Uhr vor der Sitzung vor.

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 2.

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 3.

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Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 3 f.

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 4.

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­

Wer kontrolliert die Einhaltung der Zugriffsrechte? Und findet dazu ein Monitoring statt?

Gemäss den Informationen der Bundeskanzlei sind die Departemente selber zuständig für die Regelung der Zugriffe auf nicht vertrauliche Geschäfte.95 Diese sind daran gehalten, die Zugriffsberechtigungen nach dem «need-to-know»-Prinzip zu vergeben.96 Die Zugriffsberechtigungen auf EXEBRC für vertraulich klassifizierte Geschäfte werden von der Generalsekretärenkonferenz geregelt.97 Bei den Berechtigungen gibt es sieben verschiedene Rollen und damit Kategorien an Zugriffsberechtigungen. Insgesamt haben 667 Personen in der Bundesverwaltung Zugang auf EXEBRC.98 Insgesamt haben 108 Personen Zugang zu den vertraulich klassifizierten Geschäften, wobei 25 den Sektionen Bundesratsgeschäfte sowie Strategie und Planung der BK zukommen, zehn Berechtigungen sind für die Departementsvorstehenden, den Bundeskanzler und die beiden Vizekanzler und sechs Berechtigungen für die GPDel, die FinDel und die Eidgenössische Finanzkontrolle vorgesehen. Die Departemente verfügen derzeit über je acht bis zehn Zugriffsberechtigungen auf vertraulich klassifizierte Geschäfte. 143 Zugriffsberechtigungen beschränken sich in den Departementen und der BK auf nicht-vertrauliche Geschäfte materiellen Inhalts (Bundesratsbeschlüsse, Geschäftsdokumente, Dokumente aus den Mitberichtsverfahren, etc.).99 Vor der Covid-19 Pandemie waren die Zugriffsmöglichkeiten auf vertrauliche Bundesratsgeschäfte restriktiver und auf sechs Personen pro Departement plus Vorsteherin bzw. Vorsteher, den Bundeskanzler und die beiden Vizekanzler beschränkt.100 Bis zur Covid-19-Pandemie hatte die BK zwar die Kontrolle und den Überblick über die Zugriffsberechtigungen in EXEBRC, weshalb sie ­ systembedingt ­ Klarheit über den Personenkreis hatte, welcher in den GEVER-Systemen der Departemente und der BK Zugriff auf Geschäfte des Bundesrates hat. Inwieweit eine periodische Kontrolle über die tatsächlichen Zugriffe erfolgte, entzieht dich der Kenntnis der GPK. Die Transparenz wurde während der Pandemie jedoch auf Antrag der BK von der GSK erhöht. Seither wird die Übersicht, wie viele Personen im jeweiligen Departement Zugriff haben, zweimal jährlich aktualisiert.

Eine weitere Massnahme gegen Indiskretionen ist die strafrechtliche Verfolgung von Amtsgeheimnisverletzungen. Die Bundeskanzlei erstattete im Auftrag des Bundesrates in einigen Fällen Strafanzeige wegen einer Amtsgeheimnisverletzung101 (zu den Strafanzeigen der einzelnen Departemente siehe unten Kapitel 5). Eine genaue Über95

Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 19 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Aussprachepapier der BK vom 4.2.2022 für GSK vom 25.2.2022. An dieser Stelle finden sich detailliertere Ausführungen zum Umgang mit nicht vertraulichen Geschäften in den Departementen.

96 Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 8 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

97 Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 19 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

98 Anzahl Berechtigungen EXEBRC nach Rolle und Departement / BK, Übersicht der BK (Stand vom 6.6.2023): 416 Zugriffsberechtigungen fallen auf jene Kategorie mit den wenigsten weitgehenden Rechten. Diese Personen sehen insbesondere keine materiellen Informationen, sondern nur Meta-Daten.

99 Alle Zahlen stammen aus der Übersicht der BK (Stand vom 6.6.2023).

100 Aktennotiz der BK vom 26.3.2021: Zugriffe EXEBRC und Sonderverfahren EDI-Corona-Geschäfte, S. 1.

101 Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen, S. 1.

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sicht zur Anzahl Strafanzeigen für die Zeit vor der Pandemie liegt den GPK nicht vor.

Per 1. Juni 2023 waren bei der Bundesanwaltschaft zehn Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzungen, die in einem Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften stehen und nicht Covid-19 betreffen, hängig.102 Sechs dieser Verfahren wurden sistiert; die vier pendenten Fälle wurden alle im Jahr 2023 eingereicht. Vier der zehn Anzeigen wurden im Namen des Bundesrates eingereicht.103 Gemäss den Aussagen der BK ist es in erster Linie Sache der Departemente, das Einreichen einer Strafanzeige zu beantragen.104 In den letzten 20 Jahren habe keine Strafanzeige zu einer Verurteilung geführt.105 Im Rahmen der Anhörungen der Arbeitsgruppe wurde allerdings auch auf einen Fall verwiesen, bei dem der Bundesrat nach einer Indiskretion, deren Quelle in einem sehr engen Kreis von hohen Kadern der Bundesverwaltung liegen musste, die Einreichung einer Strafanzeige diskutierte, schliesslich aber keine einreichte.106 Gemäss den grossmehrheitlichen Aussagen der Departementsvorsteherinnen und -vorsteher, sowie des Bundeskanzlers sei es eine Führungsfrage, ob es in einem Departement zu Indiskretionen komme oder nicht.107 Ein wichtiger Aspekt der Führungsaufgabe sei auch, wie eine Departementsvorsteherin bzw. ein Departementsvorsteher mit der eigenen Partei im Austausch stehe bzw. ob in diesem Rahmen ­ sei es durch die Vorsteherin oder den Vorsteher oder deren direktes Umfeld im Generalsekretariat ­ Informationen geteilt werden.108 Weiter werde ein neues Mitglied des Bundesrates in den Wochen vor Amtsantritt eng durch die BK begleitet. Dabei werden dem neuen Mitglied Informationen bzgl. Umgang mit klassifizierten Dokumenten, Ablauf der Bundesratssitzungen, Mitberichtsverfahren und weiteren Themen vermittelt.109 Zudem ist der Bundesratssprecher verantwortlich für die Einführung und Sensibilisierung eines neuen Kommunikationsverantwortlichen auf Stufe Departement.110 Diese würden auch speziell auf die Auswirkungen von Indiskretionen hingewiesen.111 In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage der Einführung neuer Kommunikationsverantwortlicher in den Departementen und neuer Generalsekretä-

102 103 104 105 106

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108 109

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Brief der BA an die BK vom 6.6.2023.

Brief der BA an die BK vom 6.6.2023.

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 8 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 8 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Im vorliegenden Fall ging es um einen Bericht in der Weltwoche. Die darin enthaltene Indiskretion betraf nicht ein Covid-19-Geschäft, sondern stand im Zusammenhang mit der Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinführung von Zuwanderungskontingenten (Rasa-Initiative)».

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 4, 11 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 5.4.2023, S. 10 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 9, 16, 28 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 2, 17 f., 23 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 17 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 17 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 31 (VERTRAULICH, nicht öffentlich). Die Bundeskanzlei gab an, dass die neu gewählten Bundesrätinnen und Bundesräte eingehend und vertieft in diese Problematik eingeführt werden. Dabei würden auch die über die Erwartungen an die Debriefings gesprochen, über den Austausch mit den Parteien und den Medien diskutiert sowie Beispiele und Vorgehen erläutert.

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 31 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 31 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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rinnen und -sekretäre, bzw. deren Sensibilisierung für auftretende Indiskretionen und deren Bedeutung.

4.1.2

Während der Covid-19-Pandemie

Einleitend sei hier festgehalten, dass der Bundesrat den Sitzungsrythmus zu Beginn der Covid-19-Pandemie substantiell erhöhen musste, so dass ab Ende März 2020 jeweils zwei Bundesratssitzungen pro Woche stattgefunden haben (Mittwoch und Freitag).112 Für die Freitagssitzung wurde bzgl. der nicht-Covid-19 relevanten Geschäften an den normalen Regeln festgehalten. Für Covid-19 Geschäfte wurden Spezialfristen eingesetzt, welche für die Sitzung am Mittwoch und die Covid-19 Geschäfte am Freitag galten.113 Der Behandlung von Covid-19-Geschäften wurde bei der Traktandierung der Geschäfte Priorität zugewiesen.

Zugriffsberechtigungen und Verfahren Während der Covid-19-Pandemie wurden die Anzahl an Zugriffsberechtigungen in EXEBRC auf vertrauliche Bundesratsgeschäfte von den normalerweise sieben Personen (inkl. Vorsteherin oder Vorsteher) auf maximal zehn Personen pro Departement erhöht.114 Diese drei zusätzlichen Berechtigungen waren gemäss Beschluss der GSK vom 17. März 2020 befristet zu vergeben.115 Nachdem es bei Konsultationen durch das EDI zu vielen Indiskretionen kam, wurden die Unterlagen vor der Konsultation zuerst dem Bundesrat vorgelegt. Dieser Wechsel fand am 8. Dezember 2020 statt. An der Sitzung vom 20. Januar 2021 fasste der Bundesrat auf Antrag des EDI aufgrund der weiterhin laufend auftretenden Indiskretionen den Beschluss, das Mitberichtsverfahren bei besonders sensiblen Covid-19-Geschäften auf Papier und nicht mehr digital durchzuführen.116 Dieses Sonderverfahren kam jedoch nur gerade bei vier Aussprachepapieren des EDI und einem Antrag auf Verordnungsanpassung zur Anwendung (zwischen 2. Februar 2021 und dem 18. März 2021).117 Auch bei diesem Verfahren hatten letztlich jeweils zwischen 40 und 68 Personen Kenntnis von diesem Geschäft, obwohl von der Bundeskanzlei nur jeweils elf Papierexemplare verteilt worden sind.118 Die Dokumente sind gemäss der Bundeskanzlei zur Vorbereitung der Bundesratssitzungen von den Departementen kopiert

112 113 114 115 116 117 118

Merkblatt der Bundeskanzlei vom 1.4.2020: COVID-19: Merkblatt für die Abwicklung der BRS, S. 1.

Merkblatt der Bundeskanzlei vom 1.4.2020: COVID-19: Merkblatt für die Abwicklung der BRS, S. 1.

Aktennotiz der BK vom 26.3.2021: Zugriffe EXEBRC und Sonderverfahren EDI-Corona-Geschäfte, S. 1.

Aktennotiz der BK vom 26.3.2021: Zugriffe EXEBRC und Sonderverfahren EDI-Corona-Geschäfte, S. 1.

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 4.

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 5.

Aktennotiz der BK vom 26.3.2021: Zugriffe EXEBRC und Sonderverfahren EDI-Corona-Geschäfte, S. 2: Die GPK verfügen über eine detaillierte Aufstellung nach Departementen und BK zur Anzahl Personen, die Zugang hatten; Aussprachepapier der BK vom 4.2.2022 für GSK vom 25.2.2022, S. 7.

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bzw. eingescannt und wiederum verteilt worden.119 Die Bundeskanzlei kam zum Schluss, dass das angestrebte Ziel ­ die Verhinderung von Indiskretionen ­ mit der Einführung des Sonderverfahrens nicht erreicht werden konnte, obwohl weniger Personen Zugriff hatten.120 Weiter seien damit auch die bestehenden und bekannten Verfahren umgangen worden, so etwa der Einbezug der Aufsichtskommissionen der eidg. Räte (hier insbesondere FinDel und GPDel).121 Schliesslich habe dieses Sonderverfahren zu einem Zusatzaufwand bei allen Departementen und der BK geführt122 und eine Kontrolle des effektiven Empfängerkreises habe nicht stattfinden können.123 Aufgrund dieser Erfahrungen wurde das Sonderverfahren ab dem 18. März 2021 nicht mehr eingesetzt. Die GSK entschied am 25. Februar 2022, künftig auf die Abwicklungen des Mitberichtsverfahrens ausserhalb der beschriebenen Prozesse zu verzichten.124 Der Bundesrat konsultierte zu vielen Covid-19-Geschäften auch die Kantone, dadurch waren die Vorlagen jeweils einem breiten Kreis bekannt. Gemäss einer Mehrzahl der angehörten Personen bestand die Vermutung, dass gewisse Indiskretionen aus diesen Konsultationen bzw. den Kantonen stammten.125 Um dies zu verhindern habe der Bundesrat am 20. Januar 2021 auf Vorschlag der Bundeskanzlei entschieden, die Konsultationsunterlagen bei der Eröffnung der Konsultationen jeweils zu veröffentlichen.126 In der ersten Zeit nach diesem Entscheid, das zeigt die Medienanalyse, gab es tatsächlich eher weniger Indiskretionen als in der Zeit davor. Dies liegt aber wohl eher an der epidemiologischen Lage, denn wie die Medienanalyse zeigt, gab es vor allem dann viele Indiskretionen, wenn sich die Covid-Situation verschlechterte und der Bundesrat über einschneidende Massnahmen entscheiden musste.

Strafanzeigen Der Bundesrat bzw. der Bundeskanzler im Namen des Bundesrates reichten im Untersuchungszeitraum keine Strafanzeigen wegen Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Bundesratsgeschäften ein (zu Strafanzeigen der Departemente siehe unten 5.1 und 5.2). Die Bundeskanzlei reicht nur Strafanzeige im Auftrag des Bundesrates ein oder wenn eigene Vorlagen betroffen sind.127 Grundsätzlich sei es Sache der einzelnen Departemente, eine Strafanzeige einzureichen, wenn es Indiskretionen zu deren Geschäfte gab. Der Grund, weshalb der Bundesrat in dieser Zeit keine Strafanzeigen einreichte, ist nach Ansicht der BK darin zu sehen, dass Strafanzeigen in den letzten Jahren zu nichts geführt haben.128

119 120 121 122 123 124 125 126 127 128

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 4 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Aktennotiz der BK vom 26.3.2021: Zugriffe EXEBRC und Sonderverfahren EDI-Corona-Geschäfte, S. 2.

Aktennotiz der BK vom 26.3.2021: Zugriffe EXEBRC und Sonderverfahren EDI-Corona-Geschäfte, S. 2.

Aktennotiz der BK vom 26.3.2021: Zugriffe EXEBRC und Sonderverfahren EDI-Corona-Geschäfte, S. 2.

Aussprachepapier der BK vom 4.2.2022 für GSK vom 25.2.2022, S. 8.

Übersicht der BK vom 22.2.2023, S. 6.

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 5 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 5 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 8 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 8 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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Thematisierung der Indiskretionen im Bundesrat Die GPK haben die Delegation der Geschäftsprüfungskommissionen (GPDel) aufgrund deren umfassenden Informationsrechten beauftragt, die für die Untersuchung relevanten Protokolle der Bundesratssitzungen einzuverlangen und der Arbeitsgruppe hierüber Bericht zu erstatten. Die GPDel kam diesem Auftrag nach und informierte die Arbeitsgruppe über ihre Erkenntnisse. Sie hielt fest, dass der Bundesrat die ständig auftretenden Indiskretionen in Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates gemäss den Protokollen im Untersuchungszeitraum an drei Sitzungen thematisiert hat (BRS vom 11. Dezember 2020, vom 20. Januar 2021 und vom 30. November 2021), davon einmal als eigenständiges Traktandum (BRS vom 30. November 2021). Die GPDel wies aber auch darauf hin, dass es nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Thema auch an weiteren Sitzungen bzw. bei Diskussionen am Rand der Sitzungen behandelt worden sei, von denen die GPDel jedoch keine Kenntnis habe, weil sie in den Protokollen nicht abgebildet sind. Bei den Anhörungen der Departementsvorstehenden und der Vertreter der Bundeskanzlei wurde dies bestätigt.

Die informellen Diskussionen am Rand der Sitzungen werden aber ­ naturgemäss ­ nicht protokolliert.

An den drei genannten Sitzungen wurde zum Thema jeweils in den Protokollen generell festgehalten, dass die Indiskretionen bedauert werden, inakzeptabel seien und dass es an den einzelnen Departementsvorsteherinnen und -vorstehern sei, Massnahmen zu ergreifen. An der Sitzung vom 20. Januar 2021 wurde der Beschluss gefasst, das Sonderverfahren (siehe hierzu oben) einzuführen.

Die Delegation hielt zudem fest, dass die Protokolle zu den Bundesratssitzungen nur sehr summarisch abgefasst waren («erweiterte Beschlussprotokolle»). So sei es nicht möglich gewesen, die Positionierung einzelner Mitglieder des Bundesrates zu erkennen, auch nicht in Bezug auf die Indiskretionen.

Weiter führte der Bundesrat an seiner Sitzung vom 25. Januar 2023 eine Aussprache zur Indiskretionsproblematik durch (siehe hierzu unten 4.3).

Thematisierung der Indiskretionen in weiteren departementübergreifenden Gremien Die Indiskretionen wurden auch in den departementübergreifenden Gremien thematisiert.129 Hierunter fallen die Generalsekretärenkonferenz (GSK) und die Konferenz der
Informationsdienste (KID) sowie die Wochen-Generalsekretären Konferenz (W-GSK).

Die GSK ist das oberste Koordinationsorgan der Bundesverwaltung, wird vom Bundeskanzler geleitet und nimmt Koordinationsaufgaben wahr, namentlich zur Vorbereitung von Bundesratsgeschäften.130 Der GSK gehören alle Generalsekretärinnen und Generalsekretäre der Departemente sowie die beiden Vizekanzler an.131 In der 129 130

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 4 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Art. 53 Abs. 1 und 2 Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (RVOG; SR 172.010).

131 Informationen der Bundeskanzlei: www.bk.admin.ch > Über die Bundeskanzlei > Organisation der Bundeskanzlei > Überdepartementale Gremien > Generalsekretärenkonferenz (zuletzt besucht am 11.8.2023): Der Generalsekretär der Bundesversammlung und die Vizekanzler nehmen mit beratender Stimme an der GSK Teil.

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GSK wurden die Indiskretionen während des Untersuchungszeitraums mehrmals thematisiert. Gemäss einer Übersicht der BK geschah dies insgesamt acht Mal.132 Die betreffenden, sehr summarisch abgefassten Protokollauszüge zeigen, dass das Thema in sechs der acht Fälle unter dem Traktandum «Varia» besprochen wurde. In den meisten Fällen handelte es sich um eine Information der GSK durch die BK oder ein entsprechendes Departement. An der Sitzung vom 29. Oktober 2021 bat die BK die Departemente, «darauf hinzuwirken, dass die Indiskretionen aufhören». An der Sitzung vom 25. Februar 2022 unterbreitete die BK der GSK ein Aussprachepapier133 zum «Zugriff auf Bundesratsgeschäfte in GEVER-Systemen der Departemente/BK und EXEBRC». Dieses Aussprachepapier informiert über die verschiedenen Verfahren, die Zugriffsberechtigungen, die effektiv getätigten Zugriffe und die Erkenntnisse aus einer von der BK durchgeführten Umfrage bei den Departementen. Das Papier enthielt insgesamt vier Empfehlungen, welche einen Beitrag zur Senkung des Risikos einer Indiskretion leisten sollten. Neben dem Verzicht auf das Sonderverfahren und der Bekräftigung des «need to know»-Prinzips soll die BK den Departementen künftig halbjährlich eine Liste der in EXEBRC berechtigten Personen zur Kontrolle und Freigabe zu, um die Aktualität der Zugriffsberechtigungen sicherzustellen. Zudem wollte die BK eine allgemeine Einwilligung prüfen, ob in EXEBRC getätigte Zugriffe ausgewertet werden können.134 Die Generalsekretärinnen und -sekretäre kamen an besagter Sitzung zum Schluss, dass die Rechtsgrundlagen angepasst werden müssten, um die Überwachungs- und Sanktionsmöglichkeiten zu verstärken. Nur so liessen sich Indiskretionen effektiv reduzieren. Die GSK schloss sich den Empfehlungen der BK im Aussprachepapier, soweit dies für die Kommissionen ersichtlich ist, an.135 Neben der GSK gibt es auch eine Wochen-GSK auf Stufe der stellvertretenden Generalsekretärinnen und -sekretäre, welche vom Leiter Bereich Bundesrat der BK (Vizekanzler) geleitet wird und in welcher die jeweils anstehende Bundesratssitzung vorbereitet wird. Die Indiskretionen wurden auch in diesem Rahmen thematisiert. Dabei kam die Wochen-GSK zum Schluss, dass die weitere Limitierung der Zugriffe auf die Bundesratsgeschäfte zu einer Reduzierung von Indiskretionen führe.136 Dies dürfe
jedoch nicht dazu führen, dass Personen, welche Zugriff benötigen keinen Zugriff mehr haben.137 Die Konferenz der Informationsdienste (KID) ist das Koordinationsorgan für departementsübergreifende Belange der Information und der Kommunikation und besteht aus dem Bundesratssprecher, dem der Vorsitz zukommt, und den Informationsverant-

132

133 134 135 136 137

Behandlung des Themas «Indiskretionen» in der GSK für den Zeitraum Februar 2020 ­ Juni 2022. An folgenden Sitzungen der GSK wurden die Indiskretionen aufgegriffen: 14.12.2020, 22.1.2021, 29.3.2021, 29.10.2021, 26.11.2021, 13.12.2021, 25.2.2022 und 24.6.2022.

Aussprachepapier der BK an die Mitglieder der GSK vom 4.2.2022: Zugriff auf Bundesratsgeschäfte in GEVER-Systemen der Departemente/BK und EXEBRC.

Aussprachepapier der BK an die Mitglieder der GSK vom 4.2.2022: Zugriff auf Bundesratsgeschäfte in GEVER-Systemen der Departemente/BK und EXEBRC, S. 9 f.

Protokollauszug zur GSK vom 25.2.2022.

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 11 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 11 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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wortlichen der Departemente, der Bundeskanzlei und der Parlamentsdienste.138 Auch in diesem Gremium wurden die Indiskretionen thematisiert. Im Leitbild der KID wird die Wahrung des Amtsgeheimnisses und die Vertraulichkeit im Vorfeld von Entscheiden des Bundesrates sowie Indiskretionen erwähnt.139 Gemäss den Protokollauszügen zu Sitzungen der KID wurden Indiskretionen im Untersuchungszeitraum in zwei Fällen thematisiert.140 Dabei wurde festgehalten, dass Indiskretionen die Arbeit des Bundesrates erschweren, da es nicht möglich sei, «die Hoheit über die Kommunikation zu behalten».141 Der Vorsitzende der KID erinnerte die Mitglieder daran, dass Indiskretionen gesamthaft dem Vertrauen in den Bundesrat schaden, weshalb er an beiden Sitzungen einen Appell an die Mitglieder richtete, Indiskretionen zu unterlassen.142 Gemäss Auskunft der BK während den Anhörungen wurden diese Interventionen jeweils gut aufgenommen und die Ansicht des Vorsitzenden der KID von deren Mitgliedern geteilt.143 An der Sitzung vom 3. März 2021 wurde das Thema der Indiskretionen in der KID behandelt und protokolliert. Im Protokollentwurf wurde festgehalten, dass die Indiskretionen an der nächsten Sitzung erneut thematisiert werden sollten. Im genehmigten, definitiven Protokoll fehlte diese Aussage, denn gemäss der BK wurde letztlich entschieden, das Thema nicht wieder aufzunehmen, da die Mitglieder der KID keinen Sinn in einer Wiederaufnahme sahen.144 Letztlich ist zu erwähnen, dass der Bundesratssprecher in einer E-Mail an die Kommunikationsverantwortlichen der Departemente vom 7. Januar 2021 schreibt, er bitte diese «ein letztes Mal», dafür zu sorgen, dass Indiskretionen nicht mehr vorkommen.145

4.1.3

Laufende Arbeiten und Lehren aus der Covid-19-Pandemie

Derzeit laufen verschiedene Arbeiten in der Bundesverwaltung, um Indiskretionen künftig zu reduzieren. Eine Massnahme davon zielt auf eine griffigere Strafverfolgung von Amtsgeheimnisverletzungen.

138

139 140 141 142 143 144 145

Informationen der Bundeskanzlei: www.bk.admin.ch > Über die Bundeskanzlei > Organisation der Bundeskanzlei > Überdepartementale Gremien > Konferenz der Informationsdienste (zuletzt besucht am 11.8.2023).

Leitbild der Konferenz der Informationsdienste, Information und Kommunikation von Bundesrat und Bundesverwaltung, S. 7 und 13.

An den Sitzungen der KID vom 14.12.2020 und vom 3.3.2021.

Protokoll der KID vom 14.12.2020.

Protokolle der KID vom 14.12.2020 und vom 3.3.2021.

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 10 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

E-Mail Vizekanzler Simonazzi an die Kommunikationsverantwortlichen der Departemente vom 7.1.2021.

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Einsetzung einer Arbeitsgruppe «Indiskretionen/Rechtsgrundlagen» Aufgrund der immer wieder auftretenden Indiskretionen zu Geschäften des Bundesrates hat der Bundeskanzler im Januar 2022 nach ersten Aussprachen mit dem Bundesanwalt zusammen mit der BA und dem BJ eine Arbeitsgruppe «Indiskretionen/Rechtsgrundlagen» (AG IR) eingesetzt und den Bundesrat darüber informiert.

Die AG IR bestand aus Vertreterinnen und Vertretern der BK, der BA und des Bundesamtes für Justiz (BJ). Die Leitung kam der BK zu.146 Dabei standen auch Indiskretionen zu nicht-Covid-19-Geschäften des Bundesrates am Ursprung.

Da die Strafverfahren bisher in den allermeisten Fällen sistiert oder eingestellt werden, war es die Aufgabe der AG IR, mögliche Anpassungen der Rechtsgrundlagen (Strafgesetzbuch, Strafprozessordnung, Parlamentsrecht, etc.) aufzuzeigen, «welche die Ermittlungschancen der BA bei der Verfolgung von Amtsgeheimnisverletzungen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften erhöhen sollen.»147 Die AG IR verfasste einen 42-seitigen Bericht zuhanden der BA und der BK. Sie kam dabei zum Schluss, dass mögliche Anpassungen des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung nicht zielführend wären, da sie entweder die Erfolgsaussichten nicht erhöhen oder mit übergeordnetem Recht nicht vereinbar wären.148 Sie empfiehlt Massnahmen allenfalls im Bereich der Bestimmung verdächtiger Personen. Daher wären Anpassungen im Verwaltungsorganisations- und Bundespersonalrecht sowie bei der Ermittlungstätigkeit anzustreben,149 wobei letztere aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten eines Strafverfahrens und knappen Ressourcen der BA nicht im Vordergrund stünden.150 Allfällige Massnahmen müssten jedoch in einem ersten Schritt vertieft und deren Vereinbarkeit mit den verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben abgeklärt werden.151 Der Bericht der AG IR wurde dem Bundesrat an seiner Sitzung vom 22. Februar 2023 vorgelegt. Der Bundesrat beauftragte die BK, in Zusammenarbeit mit dem BJ die im Bericht skizzierten Massnahmen zu vertiefen. Dabei geht es in erster Linie um folgende Aspekte: ­

Erleichterter Zugriff auf Randdaten von Systemen, die der Bearbeitung von Bundesratsgeschäften dienen

­

Offenlegungspflicht betreffend Interaktion mit Medienschaffenden/Implementierung eines spezifischen Whistleblower-Systems.

Weiter soll die BK ein Merkblatt erarbeiten, um in der Bundesverwaltung die Aufklärung und Ahndung von Amtsgeheimnisverletzungen zu fördern.

146

147 148 149 150 151

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen (AG IR) vom 31.5.2022 (mit Ergänzung vom Dezember 2022), Rechtsgrundlagen zur Verfolgung von Indiskretionen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften: Mögliche Massnahmen zur Erhöhung des Ermittlungserfolges, S. 1 (VERTRAULICH, nicht öffentlich; hiernach: Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen vom 31.5.2022).

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen vom 31.5.2022, S. 2.

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen vom 31.5.2022, S. 24.

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen vom 31.5.2022, S. 24.

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen vom 31.5.2022, S. 24.

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen vom 31.5.2022, S. 24.

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Die Bundeskanzlei hat die verschiedenen Massnahmen vertieft geprüft und dem Bundesrat an seiner Sitzung vom 22. September 2023 Bericht erstattet. Der Bundesrat informierte die Arbeitsgruppe «Indiskretionen Covid-19» der GPK mit Brief vom selben Tag über die wichtigsten Entscheidungen diesbezüglich: ­

Die BK wird dem Bundesrat bis Ende Juni 2024 eine Botschaft zur Änderung des RVOG vorlegen. Ziel hierbei ist die Einführung der Auswertung von Randdaten bzgl. Systemen, welche der Bearbeitung von Bundesratsgeschäften dienen.

­

Das EFD überprüft eine mögliche Stärkung der Nutzung der WhistleblowingMeldestelle bei der EFK in Bezug auf die Meldung von Indiskretionen und der diesbezüglichen Rechtsgrundlagen.

Zudem konkretisierte der Bundesrat die Anforderungen an das Merkblatt, welches von der BK erarbeitet werden und zur Sensibilisierung in der Bundesverwaltung beitragen soll.

Periodische Überprüfung der Notwendigkeit der Zugriffsberechtigungen Der Bundesrat hat am 22. Februar 2023, auf Antrag der Bundeskanzlei, den Auftrag erteilt, eine Übersicht der Zugriffsberechtigten auf die GEVER-Systeme der Departemente und der BK zu erstellen und diese periodisch, nach dem «need to know-Prinzip» aktualisieren zu lassen. Ziel dabei ist es, die Zugriffe transparent auszuweisen.152 Im Zusammenhang mit diesem Auftrag hat die BK alle Departemente aufgefordert, die Zugriffsberechtigungen periodisch zu überprüfen und allenfalls anzupassen. Auch dieser Auftrag (periodische Überprüfung der Notwendigkeit von Zugriffen, Reduktion der Anzahl Zugriffsberechtigungen und die Optimierung der Abwicklung von geheim klassifizierten Bundesratsgeschäften) wurde der BK vom Bundesrat an seiner Sitzung vom 22. Februar 2023 erteilt. Hierüber soll die BK dem Bundesrat bis Ende 2023 Bericht erstatten.

Periodische Information über den Stand der Strafverfahren durch die BA Der Bundesrat beauftragte am 22. Februar 2023 die BK weiter, periodisch Information bei der BA zum Stand der Ermittlungen zu Indiskretionen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften einzuholen. Die BK forderte diese erstmals mit Schreiben vom 1. März 2023 ein und erhielt die gewünschten Auskünfte von der BA mit Brief vom 6. Juni 2023.153 Aus diesem Schreiben geht hervor, dass von den dreizehn per 1. Juni 2023 hängigen Strafverfahren gegen Unbekannt wegen Indiskretionen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften acht sistiert und fünf derzeit pendent sind.154 Als Grund für die verschiedenen Sistierungen wird jeweils die grosse Anzahl an Personen genannt, die

152 153

Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 8 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Brief der BA an die BK vom 6.6.2023. Daraus geht hervor, dass die BA die Liste künftig zweimal im Jahr zustellen wird (jeweils ca. Mitte Januar bzw. Juli).

154 Beilage zum Brief der BA an die BK vom 6.6.2023: Liste der Verfahren betreffend Indiskretionen im Zusammenhang mit Bundesratsgeschäften, Stand 1. Juni 2023.

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Zugang zu den geleakten Informationen hatten.155 Zu den pendenten Fällen erteilte die BA aufgrund der laufenden Ermittlungen keine detaillierten Informationen.156

4.1.4

Bewertung der Vorgaben und Massnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit

Die GPK begrüssen die verschiedenen Massnahmen, welche der Bundesrat und die Bundeskanzlei ­ in der Regel aufgrund von Anträgen des EDI und der BK ­ ergriffen haben, um die Anzahl an Indiskretionen zu Covid-19-Bundesratsgeschäften zu reduzieren. Sie anerkennen, dass die Problematik thematisiert worden ist und mit verschiedenen Mitteln, insbesondere mit dem Sonderverfahren zu den Covid-19-Geschäften, versucht wurde, vertrauliche Informationen besser zu schützen, indem der Zugriff auf gewisse Bundesratsgeschäfte stärker eingeschränkt wurde. Gleichzeitig gilt es festzuhalten, dass während der Covid-19-Pandemie die Zugriffsberechtigungen auf vertraulich klassifizierte Bundesratsgeschäfte in EXEBRC pro Departement aufgestockt wurden. Diese beiden Massnahmen dürften in einem gewissen Spannungsfeld zueinanderstehen. Die Erhöhung der Zugangsberechtigungen wurde unter anderem mit dem zeitlich hohen Druck begründet und sie sollte zeitlich befristet sein; allerdings ist unklar bis wann.

Das Sonderverfahren hat sein Ziel ­ die Reduzierung der Anzahl Indiskretionen ­ nicht erreicht, auch weil die Anzahl Personen, die schliesslich tatsächlich Einsicht in diese Papierdossiers erhielten, nicht bzw. nur teilweise abnahmen. Für die GPK ist nachvollziehbar, dass der Bundesrat dieses Sonderverfahren nach nur kurzem Einsatz wieder abschaffte, zumal dieses auch nicht vollumfänglich den rechtlichen Vorgaben entsprach.

Diese Erfahrung bestätigt aus Sicht der GPK die Aussagen von verschiedenen angehörten Personen, welche darauf hinwiesen, dass alleine technische Massnahmen nicht ausreichen, um Indiskretionen zu verhindern oder mindestens deren Anzahl zu reduzieren. Die Abklärungen der GPK zeigen zudem, dass sich in verschiedenen Gremien, insbesondere in der KID, aber auch in der GSK und im Bundesrat selber, eine gewisse Resignation im Hinblick auf die Indiskretionen eingestellt hat. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Problematik rund um die Indiskretionen in den verschiedenen Gremien (Bundesrat, GSK, Wochen-GSK und KID) angesprochen worden ist.

Weil diese Massnahmen ­ Anpassung der Prozesse für die Bundesratsgeschäfte und die Befassung damit in verschiedenen Gremien ­ jedoch wirkungslos blieben, wurden keine weitergehenden Massnahmen ergriffen.

155 156

Beilage zum Brief der BA an die BK vom 6.6.2023.

Beilage zum Brief der BA an die BK vom 6.6.2023.

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Empfehlung 3 Der Bundesrat wird aufgefordert zu prüfen, wie die Thematik der Indiskretionen häufiger aufgenommen und die laufenden Arbeiten der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen genutzt werden könnten, um mit griffigeren Massnahmen tatsächlich eine Änderung herbeizuführen. Unter anderem ist dabei sicherzustellen, dass im Sinne einer Definition des Begriffes einer Indiskretion festgehalten wird, welche Informationen nicht mit Unberechtigten geteilt werden dürfen.

Die GPK bedauern überdies, dass die Protokolle der Bundesratssitzungen weiterhin ausgesprochen summarisch abgefasst sind und somit die Diskussionen und Entscheide nicht nachvollzogen werden können. Die heutige Form der Protokollierung genügt den gesetzlichen Anforderungen von Artikel 13 Absatz 3 RVOG nicht. Der genannte Artikel bestimmt, dass der wesentliche Inhalt der Verhandlungen und die Beschlüsse des Bundesrates durchgehend schriftlich festgehalten werden und dass die Bundesratsprotokolle deren Nachvollziehbarkeit gewährleisten müssen. Mit dieser summarischen Protokollierung wird letztlich auch eine effektive Geschäftsführung erschwert, da wesentliche Elemente der Entscheidfindung später nicht mehr nachvollziehbar sind und die Protokollierung diesbezüglich nicht zweckmässig ist. Zudem wird auch die parlamentarische Oberaufsicht erschwert bzw. teilweise verunmöglicht. Dies ist aus Sicht der GPK nicht akzeptabel.

Empfehlung 4 Der Bundesrat und insbesondere die Bundeskanzlei sorgen dafür, dass die Bundesratsprotokolle in einer Art und Weise abgefasst sind, dass sie die Diskussion und die Beschlussfassung im Bundesrat in nachvollziehbarer Art und Weise wiedergeben.

Für die GPK ging aus den Ausführungen der angehörten Personen nicht klar hervor, welcher Stellenwert das Thema der Indiskretionen bei einem Amtsantritt eines neuen Mitglieds des Bundesrates, eines neuen Kommunikationsverantwortlichen eines Departementes und bzw. zu einer neuen Generalsekretärin bzw. einem neuen Generalsekretären hat. Zumindest wird bei Personen, welche mit vertraulichen Informationen arbeiten, eine Personensicherheitsprüfung durchgeführt. Bei allen Personen im direkten Umfeld eines Bundesratsmitglieds werden sogar vertiefte, mehrstündige Personensicherheitsprüfungen durchgeführt, bei der das Risiko von Indiskretionen ein wichtiger Bestandteil ist.

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Empfehlung 5 Der Bundesrat stellt sicher, dass neue Mitglieder des Bundesrates, neue Kommunikationsverantwortliche in den Departementen und neue Generalsekretärinnen und Generalsekretäre in genügendem Masse auf die Problematik der Indiskretionen sensibilisiert und geschult werden. Der Bundesrat wird aufgefordert, hierzu ein Konzept zu erarbeiten. Dieses soll auch das Thema der Briefings und Debriefings von Bundesratssitzungen, sowie des Informationsflusses zur eigenen Partei enthalten und ist den Kommissionen vorzulegen. Falls ein solches Konzept bereits besteht, bitten die Kommissionen um dessen Zustellung.

Die GPK begrüssen die Tatsache, dass der Bundesrat vorgegeben hat, dass die Zugriffe und Zugriffsberechtigungen zwei Mal jährlich überprüft und das Resultat der BK gemeldet werden muss. Diese erstellt danach eine Übersicht zuhanden aller Departemente. Ziel dieser Massnahme ist es, die Zugänge besser nachvollziehen zu können. Aus Sicht der Kommissionen muss dieses Monitoring mit der Überwachung der effektiven Zugriffe bzw. der innerdepartementalen Weiterverteilung von klassifizierten Informationen verknüpft werden. Die GPK nehmen auch zu Kenntnis, dass der Bundesrat am 22. September 2023 auf Antrag der Bundeskanzlei den Auftrag erteilt hat, eine Änderung des RVOG auszuarbeiten, welche den Zugriff auf Randdaten von Systemen, die der Bearbeitung von Bundesratsgeschäften dienen, ermöglichen bzw. erleichtern soll. Dies mit dem Ziel, bei Indiskretionen eine unmittelbare Durchführung einer namentlichen personenbezogenen Auswertung der Zugriffe vornehmen zu können.

Ob sich diese und die weiteren Massnahmen (Berichterstattung der BA an die BK, etc.) bewähren und ob sie insbesondere zu einer Minimierung der Anzahl Indiskretionen führen werden, muss derzeit noch offenbleiben. Ebenso wenig kann derzeit die Umsetzung der Arbeiten der AG IR abschliessend beurteilt werden. Die GPK halten an dieser Stelle fest, dass die schlechten Erfolgsaussichten einer Strafanzeige gegen Unbekannt zur Verfolgung einer Amtsgeheimnisverletzung gemäss den angehörten Personen der Hauptgrund dafür ist, dass oft von vornherein auf die Erstattung einer Anzeige verzichtet wird, obwohl der Tatbestand einer Amtsgeheimnisverletzung ein Offizialdelikt darstellt. Aus Sicht der Kommissionen kommt daher den Folgearbeiten zum Bericht der
AG IR eine sehr grosse Bedeutung zu. Vorliegender Bericht fokussiert auftragsgemäss auf die Indiskretionen während der Covid-19 Pandemie (siehe hierzu Kap. 1.2). Die übergeordnete Thematik der Indiskretionen verbleibt gemäss Entscheid der GPK vom 24. Januar 2023 bei den Subkommissionen Gerichte/BA der GPK. Die genannten Folgearbeiten zum Bericht der AG IR werden daher durch diese Subkommissionen sichergestellt.

Die GPK stimmen dem Grossteil der Mitglieder des Bundesrates und dem Bundeskanzler zu, wenn diese zum Schluss kommen, dass es sich um eine Führungsfrage handelt, ob in einem Departement viele Indiskretionen vorkommen. Allerdings ist es den Kommissionen ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass auch bei einer strikten Führung eines Departementes, Indiskretionen auftreten können.

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4.2

Einfluss der Indiskretionen auf die Arbeit des Bundesrates und dessen Vertrauensverhältnis

Die GPK sind der Frage nachgegangen, ob die zahlreichen Indiskretionen einen Einfluss auf die Arbeit des Bundesrates gehabt haben. Die Erkenntnisse der Kommissionen zeigen, dass dies gleich in mehrfacher Hinsicht der Fall war. Die Beeinflussungsversuche auf den Bundesrat von aussen waren während der Pandemie sehr stark157 und sowohl die Arbeitsweise als auch das Vertrauensverhältnis wurden beeinträchtigt.

Traktandierung gewisser Geschäfte Die Indiskretionen haben gemäss Aussagen von angehörten Personen dazu geführt, dass gewisse Geschäfte früher als geplant traktandiert worden sind bzw. dass der Bundesrat zu gewissen Geschäften rascher eine Entscheidung getroffen hat, als dies ohne Druck der Öffentlichkeit der Fall gewesen wäre.158 Einfluss auf Klassifizierung von Geschäften Die wiederholt auftretenden Indiskretionen hätten unter anderem auch dazu geführt, dass Geschäfte als vertraulich oder sogar geheim höher klassifiziert wurden, obwohl es aufgrund deren Inhalts nicht nötig gewesen wäre.159 Dies hatte zur Folge, dass nicht die gleiche Anzahl an Personen einen Zugriff auf die entsprechenden Dokumente hatten, dass allenfalls Personen mit wichtigem Fachwissen nicht einbezogen waren und dies jeweils ein Mehraufwand darstellte.

Verzicht auf Mitberichte und spätere Einreichung der Dokumente Fast alle angehörten Bundesrätinnen und Bundesräte gaben an, dass entweder sie selber oder (andere) Mitglieder des Bundesrates auf die Einreichung von Mitberichten zumindest teilweise verzichtet und Anträge oder Fragen nur mündlich an der Sitzung eingebracht haben160 oder dass die relevanten Dokumente erst sehr spät eingereicht worden sind.161 Letzteres sei vor allem der Fall gewesen, um das Risiko einer Indiskretion in der Sonntagspresse möglichst klein zu halten.162 Hierunter habe auch die Beschlussfassung gelitten, weil die kurze Vorbereitungszeit keine vertiefte fachliche Auseinandersetzung mit dem Geschäft erlaubt habe.163

157 158 159 160

161 162 163

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 3 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 5 und 9 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 12 und Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 4 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 5.4.2023, S. 5 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 13 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 21 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); siehe hierzu ausführlich unten Kapitel 5.1 ff.

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 14 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 12 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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Vertrauensverlust und Beeinträchtigung des Arbeitsklimas Die Indiskretionen haben zu einem Vertrauensverlust innerhalb des Bundesrates geführt und das Arbeitsklima mindestens zeitweilig geschädigt. Dies bestätigte die grosse Mehrheit der angehörten Personen.164 Die vielen Indiskretionen hätten etwas «Zersetzendes165» und führten nicht zuletzt dazu, dass die Zusammenarbeit im Bundesrat erschwert werde.166 Wie oben beschrieben, kam es auch immer wieder zu Indiskretionen, welche den Inhalt und die Diskussion im Bundesrat zum Gegenstand hatten (vgl. hierzu Kapitel 3).

Gemäss verschiedenen Aussagen seien diese Indiskretionen wiederholt auch am Rand und während Bundesratssitzungen erörtert worden und es habe sich eine spürbare Resignation breitgemacht.167 Diese Indiskretionen hätten das Vertrauensverhältnis im Gremium besonders belastet, weil an den Sitzungen nur die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher und der Bundeskanzler sowie die zwei Vizekanzler anwesend sind.168 Bei dieser Gelegenheit wurde jedoch auch klargestellt, dass eine Indiskretion nicht unbedingt von einem der anwesenden Personen stammen muss, sondern allenfalls von Personen, die an den Debriefings in den Departementen teilgenommen haben.169 An diesen Debriefings soll gemäss Bundeskanzlei nur über Inhalte und Entscheide, nicht aber über die Äusserungen und Positionierungen einzelner Mitglieder des Bundesrates berichtet werden und sich damit auf das Notwendigste beschränken.170 Schriftliche Weisungen oder einen Leitfaden hierzu gäbe es nicht.171 Allerdings würden neue Mitglieder des Bundesrates auch in diese Thematik durch die BK eingeführt.172 Einfluss auf die Entscheidfindung und die Qualität der Arbeit im Bundesrat Bei der Frage, ob die Indiskretion einen Einfluss auf die konkrete Entscheidfindung im Bundesrat hatten oder nicht, gingen die Meinungen der angehörten Personen auseinander. Die einen verneinten entschieden einen Einfluss der Indiskretionen auf die Entscheidfindung im Bundesrat.173 Andere sahen dies nicht ganz so absolut, gingen 164

165 166 167 168 169 170 171 172 173

Protokoll der Anhörung vom 27.3.2023, S. 24 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 4.5.2023, S. 3 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 9 und 23 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 32 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 2 und 10 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 23 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 11 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 17 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 9 und 22 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 13 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 13 und 31(VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 13 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 30 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 18 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 18 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 14 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 12 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 28.4.2023, S. 26 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 25 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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jedoch auch davon aus, dass sie keine entscheidende Rolle für die Entscheidfindung spielten.174 Wiederum andere sahen einen klaren Einfluss der Indiskretionen auf die Entscheidfindung des Bundesrates. Die unabhängige Entscheidfindung sei behindert worden und gewisse Entscheide seien aufgrund der Indiskretionen und des damit verbundenen Drucks anders getroffen worden.175 Dies führe dazu, dass die Qualität und die Beschlussfassung als solche beeinträchtigt sei bzw. dass die Indiskretionen einen nachteiligen Einfluss auf die Qualität der Arbeit des Bundesrates haben.176 Die Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen sah sogar die Gewährleistung der Handlungsfähigkeit und den Zusammenhalt im Bundesrat gefährdet.177 Einzelne Befragte sahen in den zahlreichen Indiskretionen direkt aus den Sitzungen des Bundesrates gar eine Bedrohung für die gute Führung des Staates.178 Einfluss auf die Glaubwürdigkeit des Bundesrates Ständig wiederkehrende Indiskretionen würden gemäss den Ausführungen in der KID der Glaubwürdigkeit des Bundesrates schaden.179 Die Glaubwürdigkeit des Bundesrates und der Institutionen würden dann gestärkt, wenn es keine Indiskretionen gebe.180 Das Vertrauen in den Bundesrat in der Bevölkerung leide unter vielen Indiskretionen.181

174 175

176

177 178 179 180 181

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 5 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 4.5.2023, S. 3 f. (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 5 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 10 und 31 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 27.2.2023, S. 12 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 13 und 23 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 15 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Bericht der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen vom 31.5.2022, S. 4 f.

Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 22 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokollauszug zur Sitzung der KID vom 18.4.2019.

Protokollauszug zur Sitzung der KID vom 18.4.2019.

Protokollauszug zur Sitzung der KID vom 14.12.2020.

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4.3

Aussprache im Bundesrat vom 25. Januar 2023182

Nach dem Bekanntwerden der engen Kontakte zwischen dem ehemaligen Kommunikationschef des EDI und dem CEO der Ringier AG führte der Bundesrat an seiner Sitzung vom 25. Januar 2023 eine Aussprache zu diesem Thema.183 Ziel hierbei sei es gewesen, die Vorwürfe zu klären und das Vertrauensverhältnis im Bundesrat und gegenüber der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Einzelne Befragte erachteten diese Aussprache aufgrund der ständigen Indiskretionen als wichtig oder sogar als überfällig.184 Im Rahmen der Aussprache konnte der Vorsteher des EDI den anderen Mitgliedern des Bundesrates seine Sicht schildern, diese diskutierten anschliessend teilweise ohne den Vorsteher des EDI. An der daraufhin stattfindenden Medienkonferenz wurde informiert, dass der Vorsteher des EDI versichert habe, keine Kenntnis von allfälligen Indiskretionen gehabt zu haben, und dass das Vertrauen im Bundesrat wiederhergestellt sei.

Insgesamt zogen die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher ein positives Fazit zur Aussprache.185 Allerdings teilten nicht alle Personen den Eindruck, wonach das Vertrauen nach der Aussprache im Bundesrat wieder hergestellt worden sei.186 Zentral sei jedoch gewesen, dass der Departementsvorsteher des EDI gegenüber dem Kollegium bestätigte, nichts von allfälligen Indiskretionen gewusst zu haben und solche auch nicht zu tolerieren.187

182

183 184 185 186 187

Die BK sowie der Vorsteher des EDI machten im Rahmen der Verwaltungskonsultation geltend, dass Verhandlungen des Bundesrates gemäss Art. 21 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes (RVOG, SR 172.010) nicht öffentlich sind und der Absatz dementsprechend zu streichen sei. Die GPK halten dazu fest, dass gemäss dem Kommentar zum RVOG (Sägesser, Thomas, 2007) der Sinn und Zweck der Nicht-Öffentlichkeit darin liegt, dem Bundesrat eine offene Willensbildung und Konsensbildung zu ermöglichen. Die besagte Bestimmung des RVOG bedeutet nach Ansicht der GPK aber nicht, dass die Entscheidfindung des Bundesrates im Nachgang grundsätzlich nicht untersucht werden darf. Dies zeigt sich auch darin, dass die GPK grundsätzlich Zugang zu diesen Informationen haben. Sie üben bei deren Nutzung aber Zurückhaltung und beziehen sich nur soweit darauf, wie es für die Wahrnehmung ihres gesetzlichen Auftrags bzw. für die Nachvollziehbarkeit ihrer Bewertung nötig ist und nehmen dabei auch eine Interessenabwägung vor. Die Aussprache im Bundesrat betrifft den Kern vorliegender Untersuchung der GPK. Die Bezugnahme auf nichtöffentliche Informationen wurde auf ein Minimum reduziert, um den Bedenken von BK und dem Vorsteher EDI Rechnung zu tragen. Zudem informierte der Bundesrat selber öffentlich über die Aussprache und verschiedene Mitglieder des Bundesrates verwiesen im Rahmen ihrer Anhörung durch die GPK auf diese Aussprache und äusserten sich dazu.

Der Bundesrat stellte der Arbeitsgruppe das Sitzungsprotokoll zu dieser Aussprache zur Verfügung (GEHEIM, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 1 (GEHEIM, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 1 (GEHEIM, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 22 und 32 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 14 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 14 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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4.4

Bewertung der Auswirkungen der regelmässigen Indiskretionen auf die Funktionsweise, die Arbeit und das Vertrauensverhältnis im Bundesrat

Obenstehende Ausführungen zeigen aus Sicht der GPK auf, dass die regelmässigen Indiskretionen das Vertrauensverhältnis innerhalb des Bundesrates beeinträchtigt sowie dessen Arbeit erschwert haben. Die verschiedenen Massnahmen zur Vermeidung von Indiskretionen gingen teilweise zu Lasten der Funktionsweise des Bundesrates und der Qualität seiner Arbeit. Aus Sicht der GPK sind diesbezüglich vor allem folgende Aspekte zu nennen: ­

Die Anwendung einer höheren Klassifizierungsstufe als inhaltlich notwendig führt dazu, dass weniger Personen Zugriff zum Geschäft und den Dokumenten haben. Dies hat zur Folge, dass allenfalls nicht das erforderliche Wissen aus der Bundesverwaltung in die Entscheidfindung integriert werden kann und somit die Qualität eines Beschlusses des Bundesrates vermindert sein könnte.

­

Gleiches kann in Bezug auf den Verzicht einer Einreichung von schriftlichen Mitberichten bzw. der späten Zustellung der Unterlagen für eine Sitzung des Bundesrates festgehalten werden. Auch dies kann dazu führen, dass Fachwissen der Bundesverwaltung nicht bzw. nur teilweise abgeholt werden kann, was sich auf die Qualität auswirken dürfte. Ein weiteres Problem in Bezug auf den Verzicht der Einreichung von schriftlichen Mitberichten stellt die Nachvollziehbarkeit von Entscheiden des Bundesrates ­ gerade auch für die parlamentarische Oberaufsicht ­ dar.

­

Weiter erschwert der Verzicht auf die Einreichung von Mitberichten auch die Sitzungsleitung. So weiss der Präsident bzw. die Präsidentin etwa nicht, in welche Richtung eine gewisse Diskussion gehen wird und kann sich entsprechend weniger gut vorbereiten.188

Die GPK kommen zum Schluss, dass die dargestellten Massnahmen (Verzicht auf schriftliche Mitberichte, höhere Klassifizierungsstufe als notwendig, späte Einreichung von Unterlagen) während der Covid-19-Pandemie zwar teilweise nachvollziehbar sind. Aufgrund der ausgeführten negativen Nebenwirkungen darf dies aus ihrer Sicht aber auf keinen Fall zum Normalzustand werden. Die Kommissionen erachten insbesondere den Verzicht auf schriftliche Mitberichte als bedenklich und sie möchten an dieser Stelle die Bedeutung des Mitberichtsverfahrens betonen. Es handelt sich um ein sehr wichtiges rechtsstaatliches Instrument, welches die Qualität der Entscheide des Bundesrates sicherstellt und das daher wenn immer möglich anzuwenden ist.

Empfehlung 6 Der Bundesrat und die Bundeskanzlei werden aufgefordert, die Regelungen im Zusammenhang mit dem Mitberichtsverfahren zu konkretisieren und darauf hinzuweisen, dass nur aus sehr wichtigen Gründen auf schriftliche Mitberichte verzichtet werden sollte.

188

Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 10 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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Viele der angehörten Personen gehen davon aus, dass Indiskretionen, welche direkt die Bundesratssitzungen betreffen bzw. deren Inhalt zum Gegenstand haben, ihren Ursprung in den departementalen Debriefings haben. Dieser Ansicht schliessen sich die GPK an. Die Kommissionen kritisieren die Tatsache, dass es keine Vorgaben in Form von Richtlinien oder Weisungen betreffend die Durchführung von Debriefings zu den Sitzungen des Bundesrates gibt. Inwieweit die von der Bundeskanzlei beim Neueintritt eines Mitglieds des Bundesrates durchgeführte Sensibilisierung und Schulung zweckmässig und angemessen ist, lässt sich für die GPK nicht beurteilen. In den Departementen und in der Bundeskanzlei finden die Debriefings auf eine sehr heterogene Art und Weise statt (Form, Teilnehmende, Inhalt, etc.; siehe hierzu die Ausführungen in Kap. 5.1 f.).

Empfehlung 7 Der Bundesrat und die Bundeskanzlei werden aufgefordert, Leitlinien für die Durchführung von Debriefings zu den Sitzungen des Bundesrates in den Departementen und in der Bundeskanzlei zu erarbeiten und diese umzusetzen. Ziel hierbei ist es, dass diese Debriefings möglichst homogen stattfinden. Die Einarbeitung eines neuen Mitglieds des Bundesrates soll künftig auf der Basis dieser Leitlinien erfolgen.

Die GPK können nachvollziehen, dass es Umstände gibt, die sich nachteilig auf das Vertrauensverhältnis im Bundesrat auswirken und Spannungen, die über Meinungsverschiedenheiten zu einzelnen Dossiers hinausgehen, entstehen können. Es gab bereits in der Vergangenheit Phasen, in welchen die Zusammenarbeit im Bundesrat auch in der Aussenwahrnehmung erschwert war. Die Gründe dafür waren vielgestaltig.

Dass die häufig aufgetretenen Indiskretionen während der pandemiebedingten Krise dem Vertrauensverhältnis im Bundesratsgremium geschadet haben, liegt auf der Hand. Die zahlreichen Indiskretionen und der Vertrauensverlust im Bundesrat schadeten der Institution Bundesrat als solches auch in der Aussenwahrnehmung. Dies führte zu Verunsicherungen bei der Bevölkerung und hat die Glaubwürdigkeit des Bundesrates geschmälert. Aus Sicht der GPK sind auch diese Auswirkungen gerade während einer Krise problematisch.

Die GPK legen dem Bundesrat aus den vorgenannten Gründen nahe, die Bestrebungen zu griffigeren Massnahmen zur Verfolgung von Indiskretionen und damit auch zur
präventiven Wirkung weiter zu verfolgen (vgl. Empfehlung 3).

Die GPK begrüssen ausdrücklich, dass der Bundesrat an seiner Sitzung vom 25. Januar 2023 eine Aussprache zu diesem wichtigen Thema geführt hat. Wie oben beschrieben, handelte es sich um eine schwierige Situation. Die GPK möchten den Bundesrat dennoch dazu ermuntern, in Zukunft wieder zu diesem Instrument zu greifen, falls das Vertrauensverhältnis aufgrund von Indiskretionen oder anderen Entwicklungen in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Sie zeigen sich denn auch erstaunt darüber, dass eine solche Aussprache vor dem Hintergrund der häufigen Indiskretionen nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat, denn das Vertrauensverhältnis war nicht erst seit der Publikation der Vorwürfe gegen den ehemaligen Kommunikationschef des EDI gestört.

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Die GPK halten weiter fest, dass aus dem Protokoll wie auch aus den Anhörungen der verschiedenen Akteure nicht hervorgeht, ob in Bezug auf die Aussprache weitere Massnahmen beschlossen wurden oder ob ein follow-up vorgesehen ist.

Bei der Traktandierung einer Aussprache sieht die GPK in erster Linie die Bundespräsidentin bzw. den Bundespräsidenten in der Pflicht. Während der Covid-19 Pandemie haben die jeweiligen Präsidentinnen und Präsidenten gemäss eigenen Angaben das Thema der Indiskretionen im informellen Rahmen bzw. am Rand einer Sitzung erwähnt.189 Diese Gespräche werden nicht protokolliert und die Kommissionen können daher nicht beurteilen, ob und wie oft dies der Fall gewesen ist. Dies ist gerade deshalb problematisch aus Sicht der Oberaufsicht, da eine Überprüfung dieser Aussagen nicht möglich ist. Dem Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin kommt eine wichtige Rolle zu, da ihm bzw. ihr die Legitimation kraft Amtes zukomme, um eine entsprechende Traktandierung an der wöchentlichen Bundesratssitzung vorzunehmen.190 Die Bundespräsidentin bzw. der Bundespräsident muss bemüht sein, eine konstruktive Stimmung zu schaffen, die der Arbeit des Gremiums förderlich ist. Dies kann nicht zuletzt auch dazu beitragen, dass weniger Indiskretionen auftreten.

Empfehlung 8 Der Bundesrat wird aufgefordert, Indiskretionen in regelmässigen Abständen sowie beim Anschein eines groben Vertrauensverlustes innerhalb des Bundesrates, im Rahmen einer allgemeinen Aussprache zu thematisieren. Dabei soll insbesondere Empfehlung 4 Rechnung getragen und ein ausführliches Protokoll im Sinne von Artikel 13 Absatz 3 RVOG erstellt werden, das auch über den Beschluss bzgl.

allfälliger Massnahmen und des weiteren Vorgehens Rechenschaft ablegt.

Die Bundeskanzlei wird gebeten, aufzuzeigen, welche Rolle ihr betreffend die Beobachtung und Beratung des Bundesrates zukommen könnte.

5

Umgang und Massnahmen der Departemente und der Bundeskanzlei mit Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19

Gegenstand des nachfolgenden Kapitels ist der Umgang der Bundeskanzlei und der einzelnen Departemente mit der Thematik der Indiskretionen generell und im Kontext der Pandemie. Dargestellt werden zum einen die departements- und bundeskanzleiinternen Massnahmen, die sie in Ergänzung zu den gesetzlichen Grundlagen und den generell geltenden Weisungen zur Verhinderung von Indiskretionen getroffen haben.

Zudem wird aufgezeigt, ob Strafanzeigen eingereicht wurden. Schliesslich wird die Frage vertieft, wie die Departemente ihre Geschäftsführung im Kontext der gehäuften Indiskretionen während der Pandemie angepasst haben.

189

Protokoll der Anhörung vom 16.5.2023, S. 21 (VERTRAULICH, nicht öffentlich); Protokoll der Anhörung vom 26.5.2023, S. 24 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

190 Protokoll der Anhörung vom 19.6.2023, S. 18 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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Die GPK haben Informationen sämtlicher Departemente und der Bundeskanzlei verlangt. Die Rückmeldungen auf die Ausübung der Informationsrechte der GPK fielen allerdings sehr heterogen aus. Da den Kommissionen nicht für alle Departemente und die Bundeskanzlei die gleiche Fülle an Informationen zur Verfügung stand, unterscheiden sich die nachfolgenden Kapitel auch was deren Inhalt betrifft.

5.1

Eidgenössisches Departement des Innern

In diesem Kapitel werden ­ wie bei den darauffolgenden Kapiteln zu den anderen Departementen ­ die Massnahmen erläutert, welche das Departement zur Verhinderung von Indiskretionen getroffen hatte. Gemäss dem Untersuchungskonzept werden darüber hinaus aber auch spezifische Fragen im Zusammenhang mit der Rolle des früheren Kommunikationschefs des EDI behandelt (Zugang zu vertraulichen Informationen, Medienkontakte, Ausscheiden aus dem Departement).

5.1.1

Massnahmen zur Vermeidung von Indiskretionen im EDI

Generelle Massnahmen innerhalb des Departements zur Vermeidung von Indiskretionen Im EDI bestanden keine spezifischen Weisungen oder Vorgaben bezüglich Indiskretionen bzw. bezüglich des Umgangs mit vertraulichen Informationen.191 Die befragten Personen aus dem EDI verwiesen darauf, dass die Vorschriften zum Amts- und Berufsgeheimnis gelten und alle Mitarbeitenden zu Beginn ihres Arbeitsverhältnisses darauf aufmerksam gemacht würden. Im engeren Kreis und insbesondere im «Briefing-Team»192 um den Departementsvorsteher sei allen klar gewesen, dass namentlich bei der Vorbereitung von Bundesratsgeschäften Vertraulichkeit herrscht und die Meinungsbildung des Bundesrates ein schützenswertes Gut darstelle. Sowohl die beiden befragten Generalsekretäre als auch der Departementsvorsteher selber betonten, dass immer wieder klar kommuniziert wurde, dass Indiskretionen nicht geduldet werden und personalrechtliche Sanktionen zur Folge hätten. Bei Hinweisen auf Indiskretionen aus dem EDI habe man auch eine Strafanzeige eingereicht. Der Vorsteher des EDI hat zudem darauf hingewiesen, dass er seit 2018 und dem damaligen Anstieg an Indiskretionen bereits verschiedene Diskussionen mit dem Bundeskanzler diesbezüglich geführt hatte. Das Ergebnis war mehr oder weniger das gleiche, wie jenes der eingesetzten Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen. Faktisch sei es fast unmöglich gegen Indiskretionen vorzugehen.

Die Abklärungen der GPK zeigen, dass der Vorsteher des EDI sich bei der Vorbereitung der Geschäfte und der Bundesratssitzungen vor allem auf sein «Briefing191

In der Weisung des EDI über die elektronische Geschäftsverwaltung im GS-EDI (GEVER-Weisung) wird der Umgang mit (klassifizierten) Dokumenten geregelt.

192 Zu diesem Team gehören neben dem Generalsekretär und den beiden persönlichen Mitarbeitern auch der Kommunikationschef, die Beraterin für Internationales und das Vorzimmer.

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Team»193 stützte. In diesem Kreis fand eine tägliche Sitzung statt, in der die anstehenden Termine, Geschäfte und punktuell auch Kommunikationsmassnahmen besprochen wurden. Zum Briefing gehörte eine tägliche Presseschau, deren wichtigste Elemente dem Vorsteher des EDI auch mündlich präsentiert wurden.

Das Briefing-Team ist auch bei den Debriefings nach den Bundesratssitzungen dabei, zu dem je nach Geschäft und Vertraulichkeit auch noch weitere Personen dazukommen. Der Vorsteher des EDI gab an, dass er bei den Debriefings immer sehr genau darauf achte, nur die Entscheide des Bundesrates und die Informationen zu kommunizieren, die nötig seien, damit die zuständigen Personen ihre Arbeit weiterführen könnten. Heute verzichte er zudem sehr oft auf ein Debriefing bzw. gebe die nötigen Informationen bilateral an die direkt zuständige Person weiter. Während der Pandemie hätten aus Zeitgründen nur wenige Debriefings zu den Geschäften anderer Departemente stattgefunden. Die täglichen Briefings fanden hingegen statt.

Sowohl der Vorsteher des EDI als auch der frühere und der aktuelle Generalsekretär des EDI betonten, dass Indiskretionen im Briefing-Team, in der Amtsdirektorenkonferenz und im Generalsekretariat Thema waren und die Mitarbeitenden regelmässig ans Amtsgeheimnis erinnert wurden. Hierzu ist festzuhalten, dass zwei Mitarbeitende des GS EDI, u.a. der ehemalige Kommunikationschef, die Ansicht vertraten, dass klassifizierte Informationen, unter gewissen Voraussetzungen auch mit Dritten geteilt werden dürfen, beispielsweise im Rahmen von Hintergrundgesprächen und unter Verweis auf deren Vertraulichkeit (vgl. dazu auch Kap. 3.2.1).

Der Vorsteher des EDI habe ausdrücklich verlangt, dass der Kontakt zu externen Stakeholdern gepflegt wurde und insbesondere mit den direktbetroffenen Branchen auch die konkrete Ausgestaltung von Massnahmen vorbesprochen wurden. Es sei dabei jedoch streng zwischen Kontakten mit Stakeholdern und jenen mit medienschaffenden zu Inhalten kommender Bundesratssitzungen unterschieden worden. Ein Mitarbeiter im Generalsekretariat wiederum sprach von einem «Graubereich» im Kontakt mit Stakeholdern, da man die Covid-Massnahmen habe mit diesen absprechen müssen. In diesem Zusammenhang verwiesen zudem beide auf die ausserordentliche Situation. In dieser sei sehr wichtig gewesen, Akzeptanz
für die schwierigen Entscheide zu schaffen, um die Krise so gut wie möglich zu bewältigen.

Betroffenheit von Indiskretionen während des Untersuchungszeitraums und eingereichte Strafanzeigen Während der Pandemie gab es gemäss dem Vorsteher des EDI Phasen, in welcher der Anteil der EDI-Geschäfte im Bundesrat 80-90% und in Einzelfällen sogar 100% ausmachten. Dementsprechend habe es auch sehr viele Indiskretionen zu EDI-Geschäften gegeben.

Das EDI reichte während der Pandemie in zwei Fällen eine Strafanzeige ein (am 13. Januar und am 29. November 2021). Gemäss dem aktuellen Generalsekretär des EDI handelte es sich dabei um Fälle, bei denen die geleakten Informationen nur einem kleinen Kreis von Personen zugänglich waren.194

193 194

Vgl. Fussnote 192.

Die beiden Verfahren wurden von der BA sistiert.

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Der Vorsteher wie auch der ehemalige und aktuelle Generalsekretär des EDI wiesen darauf hin, dass man sich regelmässig über Indiskretionen geärgert habe und oft zum Schluss kam, dass man eigentlich Anzeige einreichen sollte. Aufgrund der Erfahrungen, die sie bei früheren Anzeigen gemacht hatten, sei darauf verzichtet worden. Solche Anzeigen seien aufwendig. Im EDI hätten sie, gerade während der Pandemie bzw.

aufgrund der immensen Arbeitslast, keine Zeit für die Einreichung von Strafanzeigen gehabt, bei denen von vornherein klar war, dass der Kreis der involvierten Personen gross sei und dass die BA entweder kein Verfahren an die Hand nehmen oder es relativ rasch sistieren würde. Der Vorsteher und die befragten Personen aus dem EDI wiesen darauf hin, dass in der Bundesverwaltung in Bezug auf die Erfolgsaussichten von Strafanzeigen wegen Amtsgeheimnisverletzungen eine gewisse Frustration bzw. Resignation vorherrschte.

Die angehörten Personen aus dem EDI, insbesondere der Vorsteher, der aktuelle Generalsekretär und der ehemalige Kommunikationschef vertraten gegenüber der GPK die Ansicht, dass die Indiskretionen nicht aus dem EDI stammen. Der Vorsteher des EDI gab an, dass Indiskretionen vor allem dem federführenden Departement schaden und dessen Arbeit massiv erschweren. Insbesondere hätten die Indiskretionen die Arbeit der Kommunikation stark beeinträchtigt. Bei der Bewältigung der Krise komme dem Verständnis der ergriffenen Massnahmen eine essentielle Bedeutung zu, so seien die Massnahmen nur dann wirksam, wenn diese von der Bevölkerung verstanden und befolgt würden. Zudem vertraten sowohl der Vorsteher des EDI als auch der aktuelle Generalsekretär die Meinung, dass der Vorsteher des EDI im Fokus von Medien und Öffentlichkeit gestanden habe statt der Gesamtbundesrat. Dies habe dazu geführt, dass sich auch der Ärger der Massnahmengegner gegen den EDI-Vorsteher gerichtet habe, so dass er und seine Familie ernsthaft bedroht wurden und Polizeischutz benötigten.

Der Vorsteher des EDI schilderte gegenüber der zuständigen Arbeitsgruppe, unter welchem Druck er und seine Mitarbeitenden während der Pandemie gearbeitet haben und wie er und seine Familie bedroht wurden. Es sei immer das Ziel gewesen, Geschäfte in Ruhe und ohne Indiskretionen vorzubereiten und erst öffentlich zu informieren, wenn der Bundesrat
entschieden habe. Aufgrund der Indiskretionen sei dies aber nicht möglich gewesen. Jede Indiskretion habe den sowieso bereits riesigen Druck nochmals erhöht. Gemäss Fedpol hätten sich damals über 90% der Drohungen gegen Mitglieder des Bundesrates auf ihn bezogen und die Indiskretionen hätten als direkte Konsequenz zu Morddrohungen geführt.

Aus Sicht der befragten Personen aus dem EDI stammten die Indiskretionen aus verschiedenen anderen Quellen. Die Urheber könnten Personen aus der Verwaltung sein, die Zugang zu den entsprechenden Geschäften hatten, die Mitglieder des Steuerungsausschusses Covid-19, dem sämtliche Generalsekretärinnen und Generalsekretäre sowie andere Stakeholder angehörten oder auch die Empfänger von vertraulichen Konsultationsunterlagen in den Kantonen, Wirtschaftsverbänden oder Sozialpartner.

Die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe zeigen, dass die angehörten Personen aus anderen Departementen die Meinung des EDI nur teilweise teilen. Einige der anderen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher hielten fest, dass sie davon ausgingen, dass die Indiskretionen aus dem EDI stammten. Eine Person betonte, es sei eigentlich «Konsens» gewesen, dass es gezielte Indiskretionen aus dem EDI gab und am Rand der 60 / 88

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Bundesratssitzungen sei dies auch mit dem Vorsteher des EDI thematisiert worden.

Zwei weitere Mitglieder des Bundesrates hatten aufgrund der Indiskretionen auch bilateral das Gespräch mit dem Vorsteher des EDI gesucht, wobei es in einem Fall nicht um eine Indiskretion zu einem Covid-19-Geschäft ging.195 Anpassungen in der Geschäftsführung als Folge der gehäuften Indiskretionen mit Fokus auf Debriefings und Mitbericht Die angehörten Personen aus dem EDI wiesen darauf hin, dass verschiedene Massnahmen getroffen wurden, um Indiskretionen zu verhindern. Dazu gehört insbesondere das angepasste Mitberichtsverfahren, welches Anfang 2021 auf Initiative des EDI eingeführt und während ein paar Wochen angewendet wurde (vgl. Kap. 4.1.2).

Zudem haben das EDI und die BK vorgeschlagen, dass die Konsultationen der Kantone und anderer externer Akteure durch den Bundesrat statt durch das EDI eröffnet wurden und die Konsultationsunterlagen ab Ende Januar 2021 jeweils direkt publiziert wurden. Zudem hat das EDI gemäss dessen Vorsteher versucht, die Fristen möglichst kurz zu halten und Dokumente erst im letzten Moment zu verteilen, was aber von den anderen Departementen nicht gutgeheissen wurde, weil so keine angemessene Vorbereitung möglich war.

Im EDI selber gab es während der Pandemie keine spezifischen Anpassungen in der Geschäftsführung. Der Vorsteher des EDI wies aber darauf hin, dass er aus Zeitgründen oft ganz auf ein Debriefing nach den Bundesratssitzungen verzichtet habe, da jeweils sofort die öffentliche Kommunikation und Medienkonferenz vorbereitet werden mussten.

Die Frage nach einem Verzicht auf Mitberichte stellte sich für den Vorsteher des EDI kaum, da die grösste Zahl der Geschäfte aus seinem Departement kam. Er wies aber darauf hin, dass er die Indiskretionen im Briefing-Team mehrmals thematisierte und Überlegungen angestellt wurden, woher diese kämen. Er sei sich aber sicher, dass die Quelle nicht dort war, denn für ihn sei klar, dass sich niemand selber die Arbeit so viel schwerer machen würde.

5.1.2

Rolle des früheren Kommunikationschefs des EDI

Zugang zu vertraulichen Informationen Der frühere Kommunikationschef des EDI gehörte zum engsten Mitarbeiterkreis um den Vorsteher des EDI und damit auch zum «Briefing Team» (vgl. oben, 5.1.1). Sowohl der Vorsteher als auch der frühere Kommunikationschef betonten, dass eine gute Kommunikation nur möglich sei, wenn die für die Kommunikation zuständigen Personen genau über die Bundesratsgeschäfte informiert seien. Der frühere Kommunikationschef hatte daher auch Zugang zur Geschäftsdatenbank des Bundesrates (EXEBRC). Da er sowohl bei den täglichen Briefings als auch bei den Vorbereitungs-

195

Ein weiteres Mitglied des Bundesrates bestätigte ebenfalls, aufgrund eines Covid-Leaks bilateral Kontakt mit einem Kollegen aufgenommen zu haben, ohne aber einen Namen zu nennen.

61 / 88

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sitzungen der Bundesratssitzungen und den Debriefings nach diesen dabei war, hatte er Zugang zu allen Informationen mit Ausnahme der geheim klassifizierten Geschäfte.

Der Vorsteher des EDI wies gegenüber der Arbeitsgruppe darauf hin, dass es gerade während der Pandemie eine sehr enge Zusammenarbeit im engsten Team gab, man sei jeden Tag zwölf Stunden zusammen gewesen und habe wichtige Themen mündlich abgesprochen. Der frühere Generalsekretär des EDI wies die Arbeitsgruppe darauf hin, dass die Kommunikationsabteilung im EDI nicht dem Generalsekretär, sondern direkt dem Vorsteher unterstellt war. Die Details der Kommunikation seien jeweils durch den Vorsteher und den Kommunikationschef bestimmt worden.

Kontakte mit Medienschaffenden Wie in Kapitel 3.2.1 beschrieben, bestand während der Covid-19-Pandemie ein reger Austausch des ehemaligen Kommunikationschefs mit dem CEO der Ringier AG. Der ehemalige Kommunikationschef sowie der Vorsteher des EDI wiesen darauf hin, dass es bei einer Vielzahl dieser Kontakte um konkrete Projekte ging und es sich insofern um einen «normalen Austausch» gehandelt habe. Der Vorsteher des EDI gab an, er sei über die Kontakte grundsätzlich informiert gewesen, sein Kommunikationschef habe auch zu anderen Medien enge Kontakte gepflegt, dies gehöre zu seinen Aufgaben.

Wie in Kapitel 3.2.1 dargelegt, teilte der ehemalige Kommunikationschef dabei in einigen Fällen auch vertrauliche Informationen mit dem CEO der Ringier AG. Dass diese Weitergabe vor dem Hintergrund des Leitbildes der KID und der Informationsschutzverordnung problematisch war, wurde nicht nur von der Bundeskanzlei, sondern auch vom Vorsteher des EDI bestätigt. Dieser vertrat aber die Ansicht, dass es sich dabei nicht um gezielte Indiskretionen, sondern um Kontaktpflege handelte (vgl.

Kap. 3.2.1). Der ehemalige Kommunikationschef argumentierte in ähnlicher Weise.

Die Frage, ob der ehemalige Kommunikationschef auch über seinen privaten Mailaccount Informationen mit Medienschaffenden teilte, kann nicht beantwortet werden.

Die Auswertung der beruflichen Mails zeigt, dass er wiederholt E-Mails von seinem beruflichen Konto an seine private Mailadresse richtete. Aufgrund der laufenden Strafuntersuchung wollte er sich nicht zu diesen Mails äussern. Diese Mails standen der Arbeitsgruppe nicht zur Verfügung
(vgl. Kap. 3.2.1). Eine Weiterleitung von internen oder vertraulichen Informationen an die private Mail-Adresse ist gemäss der Informationsschutzverordnung aber grundsätzlich nicht zulässig.

Bemerkenswert ist aus Sicht der GPK auch, dass sich der frühere Kommunikationschef des EDI gemäss einer Mail auch bereit erklärte, in einem Hintergrundgespräch Auskünfte zu einem anderen Mitglied des Bundesrates zu erteilen (soweit ersichtlich, handelte es sich dabei allerdings nicht um eine Anfrage im Zusammenhang mit einem Covid-19-Geschäft des Bundesrates, das Beispiel illustriert aber die Problematik der Hintergrundgespräche, vgl. dazu Kap. 3.2.1 und 3.4). Im Rahmen ihrer Untersuchung stiess die Arbeitsgruppe zudem auf ein Mail eines Mitarbeitenden im GS an den ehemaligen Kommunikationschef, in dem dieser auf einen anstehenden Entscheid hingewiesen wird, welcher von öffentlichem Interesse sei und daher «geleakt» werden sollte.196 In den erhaltenen Mails findet sich keine schriftliche Reaktion des ehemali196

Der genaue Wortlaut im Mail ist «Wir sollten das leaken».

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gen Kommunikationschefs. In der Folge erschien zwar ein Zeitungsartikel mit der fraglichen Information. Die Untersuchung ergab aber keinen Hinweis darauf, dass diese tatsächlich vom betreffenden Mitarbeitenden oder dem ehemaligen Kommunikationschef weitergegeben wurde.197 Die betroffene Person wurde von der Arbeitsgruppe angehört. Den GPK ist es an dieser Stelle erneut wichtig zu betonen, dass für die betroffenen Personen die Unschuldsvermutung gilt.

Beendigung Arbeitsverhältnis Der Vorsteher des EDI erfuhr am 17. Mai 2022 von der Verhaftung seines ehemaligen Kommunikationschefs. Er habe sich dem a.o. Staatsanwalt daraufhin sofort für eine Anhörung zur Verfügung gestellt, welche dieser allerdings erst einige Tage später führen wollte. Bis zu dieser Anhörung am 22. Mai 2022 sei er davon ausgegangen, dass die Verhaftung im Zusammenhang mit der Untersuchung zum Crypto-Bericht stünden. Von den Vorwürfen betreffend den Covid-19-Indiskretionen habe er erst an der Anhörung vor Ort erfahren. Direkt nachher habe er den ehemaligen Kommunikationschef getroffen und ihn zu den Kontakten zu Ringier befragt. Er habe keine wirkliche Antwort erhalten, aber den Eindruck gewonnen, dass es vielleicht ein zu grosses Vertrauen gegeben habe, aber keine Absicht. In diesem Gespräch habe ihm der Kommunikationschef auch mündlich seine Kündigung mitgeteilt. In der Folge habe er als Vorsichtsmassnahme angeordnet, dass der ehemalige bzw. damals noch aktuelle Kommunikationschef keinen Zugang mehr zu seinen Mails und den Systemen der Verwaltung hatte.

Am Tag danach, d.h. am 23. Mai 2022, forderte der Vorsteher des EDI seinen Generalsekretär per Mail auf, die Einleitung einer Administrativ- oder Disziplinaruntersuchung zu prüfen. Der Generalsekretär riet dem Vorsteher darauf zu verzichten, da das laufende Strafverfahren sowieso Vorrang habe und der Kommunikationschef ja bereits seine Kündigung angekündigt hatte.198

5.1.3

Zusammenfassung und Bewertung

Den GPK ist es ein Anliegen, an dieser Stelle die ausserordentliche Belastungssituation im EDI während der Pandemie zu würdigen. Für sie ist klar, dass die Arbeitslast und der Druck extreme Ausmasse annahmen. Sie bedauern auch, dass der Vorsteher des EDI und seine Familie ernst zu nehmenden Drohungen ausgesetzt waren.

Dies anerkennend, ist für die GPK nicht klar, inwiefern eine direkte Kausalität zwischen den Indiskretionen und den Drohungen gegen den Vorsteher des EDI und dessen Familie bestanden haben soll. Aus Sicht der Kommissionen stand der Vorsteher des EDI als Chef jenes Departements, welches wesentliche Massnahmen vorschlagen 197

Die veröffentlichte Information betraf den Anhang einer Bundesratsverordnung, wobei die Nachführung der betreffenden Information in der Kompetenz des EDI lag (nach Absprache mit dem EJPD, dem EFD und dem EDA).

198 Unter Verweis auf die mündliche Mitteilung vom 22. Mai 2022 reichte der ehemalige Kommunikationschef am 30. Mai 2022 seine schriftliche Kündigung per 31. August 2022 ein. Diese wurde ihm am 29. Juni 2023 bestätigt, die Austritterklärung datiert vom 26. August 2022.

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musste, grundsätzlich im Fokus von Medien und Öffentlichkeit. Es ist wohl nicht auszuschliessen, dass die Indiskretionen die Personalisierung verstärkt haben. Für die Kommissionen kann daraus jedoch nicht geschlossen werden, dass die Indiskretionen nicht auch aus dem EDI stammen könnten, bzw. dass diese aus anderen Departementen stammen müssen, wie dies die angehörten Vertreter des EDI teilweise geltend gemacht haben.

Die Untersuchung der Kommissionen zeigt auch auf, dass der ehemalige Kommunikationschef des EDI in gewissen Fällen vertrauliche Informationen mit dem CEO der Ringier AG teilte ­ auch wenn keine Nachweise vorliegen, dass diese in der Folge veröffentlicht wurden. Die engen Kontakte bzw. der regelmässige Austausch des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI mit dem CEO der Ringier AG wurde zudem von verschiedenen Befragten, auch aus dem EDI, als unüblich bzw. ­ vor dem Hintergrund der Gleichbehandlung aller Medien ­ als problematisch eingestuft. Die GPK teilen diese Ansicht, da es keine nachvollziehbaren Gründe gibt, weshalb der CEO der Ringier AG oder andere Personen ausserhalb der Bundesverwaltung über anstehende Entscheide des Bundesrates informiert oder sogar mit Entwürfen von Medienmitteilungen bedient wurden, bevor der Bundesrat einen Entscheid gefällt hat.

Die GPK halten auch fest, dass einige Mitglieder des Bundesrates zu Protokoll gaben, dass sie die Quelle der Indiskretionen (in vielen Fällen) im EDI vermuteten. Trotz der oben erwähnten engen Kontakte199 können die Kommissionen nicht feststellen, ob diese Vermutung zutrifft. Aufgrund der lückenhaften Quellenlage können die GPK nicht nachweisen, dass die vom ehemaligen Kommunikationschef des EDI an den CEO der Ringier AG weitergegebenen Informationen in der Berichterstattung verwendet wurden.

Festzuhalten ist auch, dass die GPK keine Hinweise darauf gefunden hat, dass der Vorsteher des EDI von allfälligen Indiskretionen sowie von der Weitergabe vertraulicher Informationen durch seinen ehemaligen Kommunikationschef wusste. Er führte an der Anhörung aus, dass er grundsätzlich über die Kontakte seines Kommunikationschefs informiert war, aber nicht über den detaillierten Inhalt. Die GPK können diesen Aspekt aus nachstehenden Gründen nicht abschliessend beurteilen. Dies liegt einerseits daran, dass der (tägliche) Austausch zwischen
dem Vorsteher des EDI und seinem ehemaligen Kommunikationschef vor allem mündlich stattfand und daher nicht rekonstruierbar ist. Andererseits standen für die Untersuchung nur lediglich die E-Mails vom beruflichen Account des ehemaligen Kommunikationschefs aus dem Zeitraum von Februar 2020 bis September 2021 zur Verfügung. Die beruflichen E-Mails ausserhalb dieses Zeitraums200 und die E-Mails von der privaten Mailbox standen hingegen nicht zur Verfügung. Der ehemalige Kommunikationschef des EDI kündigte den Vertrag mit der Swisscom sieben Wochen nach seiner Anhörung durch die Arbeitsgruppe, woraufhin die Swisscom vertragsgemäss die E-Mails gelöscht hat.

Diese sind nach wie vor gesiegelt und er wollte sie der Arbeitsgruppe mit Verweis auf das laufende Strafverfahren nicht zur Verfügung stellen. Die Kommissionen bedauern, dass keine umfassende Mailanalyse möglich war und gewisse Fragen nicht geklärt werden konnten. Insbesondere wäre aus einer umfassenden Analyse allenfalls 199 200

Vgl. hierzu Kap. 3.2.1 und 5.1.2.

Vgl. hierzu Kap. 3.2.

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ersichtlich gewesen, ob die an seinen privaten Mailaccount verschickten E-Mails weiterverarbeitet bzw. weitergeleitet wurden.

Für die Kommissionen stellte sich auch die Frage, ob der Vorsteher des EDI aufgrund der zahlreichen Indiskretionen angemessene Vorkehrungen getroffen hat. Diesbezüglich ergibt sich aus Sicht der GPK kein eindeutiges Bild: Die Untersuchungen der GPK haben gezeigt, dass das EDI mittels diverser Massnahmen versucht hat, Indiskretionen zu verhindern. Auf Initiative des EDI und der Bundeskanzlei eine Zeitlang ein Sonderverfahren angewendet, das den Zweck hatte, die Vertraulichkeit des Mitberichtsverfahrens besser zu schützen (vgl. Kap. 4.1.2). Zudem wurden die Konsultationen der Kantone auf Initiative des EDI und der Bundeskanzlei hin zuerst dem Bundesrat vorgelegt und danach veröffentlicht. Umgekehrt ergriff er im eigenen Departement keine Massnahmen und hinterfragte gemäss den der Kommissionen vorliegenden Informationen die engen Kontakte seines ehemaligen Kommunikationschefs zu gewissen Medien nicht. Der Vorsteher des EDI begründete dies damit, dass er sich absolut sicher gewesen sei, dass die Indiskretionen nicht aus seinem Departement kamen. Die Argumentation, wonach der EDI-Vorsteher auf spezifische Massnahmen verzichtet hatte, weil er davon ausgegangen war, dass die Leaks nicht aus dem EDI stammen, ist aus Sicht der GPK nur beschränkt nachvollziehbar. Ihrer Ansicht nach hätte der Vorsteher des EDI aufgrund der ständigen Diskussionen und seinem Wissen um die Kontakte seines ehemaligen Kommunikationschefs auch im eigenen Departement Massnahmen ergreifen oder zumindest in Betracht ziehen müssen. Immerhin hat der Vorsteher des EDI gemäss seinen Informationen mit seinem Briefing-Team die Problematik der Indiskretionen regelmässig thematisiert. Weiter gilt es vorliegend zu erwähnen, dass das EDI ­ im Gegensatz zu allen anderen Departementen und der Bundeskanzlei ­ im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates in zwei Fällen eine Strafanzeige wegen mutmasslichen Amtsgeheimnisverletzungen eingereicht hat (vgl. hierzu auch Kap. 5.3).

Die GPK können somit letztlich lediglich feststellen, dass der Vorsteher des EDI trotz der zahlreichen Indiskretionen weder zu klären versuchte, ob diese aus seinem Departement bzw. Umfeld stammen, noch departementsinterne Massnahmen
ergriff. Klar festzuhalten ist aber auch, dass die Untersuchung keine Belege fand, dass die Quelle der Indiskretionen im EDI war und dass der Vorsteher des EDI von allfälligen Leaks wusste oder diese toleriert hätte. Die GPK weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass sowohl der Vorsteher des EDI wie auch der ehemalige und der aktuelle Generalsekretär des EDI in Bezug auf Indiskretionen auf die klaren rechtlichen Grundlagen verwiesen. Die Kommissionen fanden aber Anzeichen dafür, dass dies im Generalsekretariat des EDI nicht für alle Mitarbeitenden so klar war.

Aus Sicht des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI war das Teilen von klassifizierten Informationen mit Medien oder Dritten im Rahmen von Hintergrundinformationen unter gewissen Voraussetzungen nicht nur möglich, sondern sogar notwendig. Damit sollte die Akzeptanz für die Entscheide des Bundesrates erhöht werden, um die Krise möglichst gut zu meistern. Wie bereits erwähnt, vermag diese Haltung aus Sicht der GPK aber nicht zu erklären, weshalb der CEO der Ringier AG, der gemäss den Aussagen des Kommunikationschefs nicht journalistisch tätig war, entsprechende Informationen erhielt, und ebenso wenig, weshalb der ehemalige Kommunikationschef des EDI sich bereit erklärte, in einem Hintergrundgespräch Auskunft über 65 / 88

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den Vorsteher eines anderen Departements zu geben. Die GPK sind der Ansicht, dass ein solches Gespräch nicht mit den Vorgaben bzw. den Zielen eines Hintergrundgesprächs zu vereinbaren ist.

Ein weiterer Mitarbeiter im Generalsekretariat wies auf einen «Graubereich» bei der Weitergabe vertraulicher Informationen im Kontakt mit Stakeholdern hin. Diesbezüglich sehen die Kommissionen tatsächlich ein Spannungsfeld, stellen aber auch fest, dass die rechtlichen Grundlagen diesbezüglich klar sind und keinen Spielraum für die Weitergabe vertraulicher Informationen vorsehen. Aus Sicht der Kommissionen ist denkbar, dass die erwähnten Auffassungen des ehemaligen Kommunikationschefs und des Mitarbeiters im GS dazu geführt haben könnten, dass tatsächlich ein Graubereich als gegeben angesehen wurde und gewisse Indiskretionen als opportun ­ auch vor dem Hintergrund, dass während dieser Phase keine ordentlichen Vernehmlassungen durchgeführt werden konnten ­ betrachtet wurden.

5.2

Die weiteren Departemente und die Bundeskanzlei

5.2.1

Bundeskanzlei

Einleitend ist festzuhalten, dass der Bundeskanzlei aufgrund ihrer Funktion als Stabstelle des Bundesrates vorliegend eine Schlüsselfunktion zukommt. Im vorliegenden Kapitel stehen diejenigen Massnahmen im Zentrum, welche innerhalb der Bundeskanzlei getroffen wurden, um Indiskretionen zu verhindern. Hingegen werden jene Massnahmen, die von der BK ergriffen oder im Auftrag des Bundesrates umgesetzt worden sind, in Kapitel 4 dargestellt.

Generelle Massnahmen innerhalb der Bundeskanzlei zur Vermeidung von Indiskretionen In Bezug auf Bundesratsgeschäfte sind in der Bundeskanzlei ca. 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in irgendeiner Form involviert. Eine Indiskretion könnte somit theoretisch auch aus dem Kreis der Bundeskanzlei stammen. Die angehörten Personen aus der BK verurteilten die Indiskretionen zu Bundesratssitzungen. Sie betonten, dass diese Praxis innerhalb der BK bekämpft werde und sie davon ausgehen, dass die Indiskretionen zu Bundesratssitzungen nicht aus der BK stammen.

Die BK war in erster Linie von jenen Massnahmen betroffen, welche der Bundesrat für die Behandlung von Bundesratsgeschäften beschlossen hatte. Hierbei ist in erster Linie an das Sonderverfahren für sensible Geschäfte aus dem EDI zu denken. Anderweitige Massnahmen wurden innerhalb der BK nicht beschlossen. Allerdings seien Indiskretionen in allen Gremien, in denen die BK mitwirkt, thematisiert worden (siehe hierzu Kap. 4.1.2).

Betroffenheit von Indiskretionen während des Untersuchungszeitraums und eingereichte Strafanzeigen Wie weiter oben beschrieben wurde, reicht die Bundeskanzlei in zwei Arten von Fällen eine Strafanzeige ein: Einerseits im Auftrag des Bundesrates und andererseits,

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wenn ein von ihr eingebrachtes Geschäft betroffen war/ist. Beides war während des Untersuchungszeitraums nicht der Fall.

Anpassungen in der Geschäftsführung als Folge der gehäuften Indiskretionen mit Fokus auf Debriefings und Mitberichte In der BK haben drei Personen Zugriff auf geheim klassifizierte Geschäfte des Bundesrates: der Bundeskanzler und die beiden Vizekanzler. Hierzu fänden in der Regel weder Briefings noch Debriefings statt. Bei nicht geheim klassifizierten Geschäften beschränke sich das Debriefing auf einen Verweis auf den Antrag bzw. die entsprechende Stellungnahme («gemäss Antrag», «gemäss Stellungnahme»). Bei Folgeaufträgen, welche für die BK relevant sind, würde ausführlicher dargelegt, was der Bundesrat beschlossen hat. Da es während der Covid-19-Pandemie zusätzliche geheime oder vertrauliche Bundesratsgeschäfte gegeben habe, sei der Teilnehmerkreis an Debriefings kleiner als gewöhnlich und bei der Informationsübermittlung sei man noch restriktiver gewesen.

5.2.2

Eidgenössisches Finanzdepartement

Generelle Massnahmen innerhalb des Departements zur Vermeidung von Indiskretionen Der ehemalige Departementsvorsteher des EFD betonte anlässlich seiner Anhörung, dass er im Unterschied zu den anderen Departementsvorstehenden keinen eigenen Referentenstab hatte und vor allem mit seinen Amtsdirektoren kommunizierte. Auf departementsspezifische schriftliche Anweisungen zum Umgang mit klassifizierten Informationen habe er verzichtet. Hingegen habe er seine Mitarbeitenden regelmässig darauf hingewiesen, dass eine Amtsgeheimnisverletzung eine fristlose Kündigung zur Folge hätte. Des Weiteren habe er eine restriktive Informationspolitik innerhalb seines Departements verfolgt. Die Amtsdirektorinnen und -direktoren seien bei Medienanfragen konsequent an den Kommunikationschef des Departements gelangt, bevor sie Auskunft erteilten. Der Kommunikationschef selber habe seinerseits bei heiklen Fragen jeweils Rücksprache mit dem Departementsvorsteher genommen und nur «courant-normal-Anfragen» selber beantwortet. Zudem habe er als Departementsvorsteher darauf geachtet, den Kreis der Informierten möglichst klein zu halten, um das Risiko von unbeabsichtigten Informationen der Öffentlichkeit zu verringern.

Betroffenheit von Indiskretionen während des Untersuchungszeitraums und eingereichte Strafanzeigen Gemäss den Ausführungen des ehemaligen EFD-Departementsvorstehers waren die EFD-Mitberichte überdurchschnittlich von Indiskretionen betroffen: diese seien fast systematisch geleakt worden. Auffällig sei gewesen, dass bereits kurz nach Einreichung der Mitberichte erste Medienanfragen eingetroffen seien. In einem Fall publizierte das EFD eine Medienmitteilung, um einen im Tages-Anzeiger fehlerhaft dar-

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gestelltes Aussprachepapier des Vorstehers EFD zu «korrigieren»201. Das GS EFD sah in diesem und in allen weiteren Fällen von der Einreichung von Strafanzeigen aufgrund der geringen Erfolgsaussichten ab.

Anpassungen in der Geschäftsführung als Folge der gehäuften Indiskretionen mit Fokus auf Debriefings und Mitberichte Da insbesondere während der Pandemie Mitberichte und Inhalte der Bundesratssitzungen verschiedentlich in der Presse publiziert wurden, stellte sich für das EFD wie auch für alle anderen Departemente (sh. unten) die Frage nach der Einreichung von Mitberichten sowie zur Art und Weise der Durchführung von Briefings/Debriefings zu den Sitzungen des Bundesrates. Der ehemalige Departementsvorsteher ging während der Pandemie gemäss seinen Aussagen teilweise dazu über, die Mitberichte selber zu schreiben, damit niemand anderes im Departement davon Bescheid wusste und das Risiko von Leaks ausgeschlossen werden konnte. Auch reichte er die Mitberichte regelmässig zu einem möglichst späten Zeitpunkt ein. Zudem verzichtete der ehemalige Departementsvorsteher teilweise auf einen schriftlichen Mitbericht und brachte sich mündlich ein.

Der Kreis der Debriefings war generell auf die Amtsdirektoren, den Generalsekretär und den stv. Generalsekretär beschränkt, was auch während der Pandemie beibehalten worden sei. Informiert wurde zu Beschlüssen des Bundesrates, die im EFD zu Folgeaufträgen führten. Hingegen war die Diskussion im BR gemäss dem ehemaligen Departementsvorsteher des EFD nie Thema.

5.2.3

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

Generelle Massnahmen innerhalb des Departements zur Vermeidung von Indiskretionen Anlässlich seiner Anhörung gab der Departementsvorsteher des EDA zu Protokoll, dass er seit seinem Amtsantritt eine Nulltoleranz in seinem Departement vertritt und die Mitarbeitenden wissen, dass im Falle einer Indiskretion zumindest eine Disziplinaruntersuchung durchgeführt würde. Zudem hat er seit seinem Amtsantritt den Zugang zu gewissen Informationen departementsintern eingeschränkt, beispielsweise zu Informationsnotizen zu Handen des Bundesrates zu diplomatischen Besuchen. Was die Kommunikationsarbeit anbelangt, so besteht im EDA ein «top-down»-Ansatz und es gilt der Grundsatz, dass der Mediendienst keine Geschäfte kommentiert, die noch nicht im Bundesrat traktandiert waren. Darüber hinaus gilt im EDA betr. vertraulich klassifizierten Geschäften die Regel sieben plus zwei. Wenn ein Mitarbeitender neu Zugang zu solchen Geschäften erhält, wird das Zugriffsrecht einer anderen Person gestrichen.

Die vom GS EDA ergänzend erhaltenen Unterlagen zeigen weiter, dass der aktuelle Departementsvorsteher das Thema der Indiskretionen ab 2018 aktiv angegangen ist.

201

Medienmitteilung des EFD vom 3.3.2021: Klarstellung zum «Öffnungsplan» von Bundesrat Ueli Maurer.

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Aufgrund verschiedener Indiskretionen hat er 2018 im Sicherheitsausschuss (SiA), in welchem neben dem EDA die Departementsvorstehenden des VBS und des EJPD Einsitz haben, die Thematik eingebracht, worauf das VBS eine umfangreiche Auslegeordnung erstellt hat. Des Weiteren verabschiedeten im März 2021 die Direktoren der verschiedenen Bereiche des EDA einen Aktionsplan zur Sensibilisierung des eigenen Personals hinsichtlich Informationssicherheit. Dieser zielt primär darauf ab, das Risiko von Spionage, Informationslecks und Informationsdiebstahl im EDA zu verringern und spricht auch die Indiskretionsthematik an.

Das EDA verfügt zudem über ein Compliance Office, das beim GS angegliedert ist und sich mit Unregelmässigkeiten im EDA befasst, u.a. gehören auch die Verletzung des Amtsgeheimnisses zu den meldepflichtigen Unregelmässigkeiten. Zur Stärkung des Meldesystems wurde im November 2021 eine EDA-interne Whistle-blowingPlattform eingeführt, über welche u.a. auch Verletzungen des Amtsgeheimnisses gemeldet werden können202.

Darüber hinaus reichte das EDA wiederholt Strafanzeigen bei Verdacht auf Amtsgeheimnisverletzung ein (6 Strafanzeigen im Zeitraum von 2018 bis 2022, wovon eine in den Untersuchungszeitraum fällt). Zudem wandte sich der Departementsvorsteher Ende Oktober 2022 an die Mitarbeitenden des EDA, nachdem seine Ukraine-Reise, die er am 20. Oktober angetreten hatte, bereits am 19. Oktober einem Journalisten des Blick im Detail bekannt war. Dieser Mailaufruf innerhalb des Departements blieb ohne Resonanz.

Anpassungen in der Geschäftsführung als Folge der gehäuften Indiskretionen mit Fokus auf Debriefings und Mitberichte Die Debriefings im EDA fanden ­ wie auch in anderen Departementen ­ in unterschiedlichen Konstellationen statt, je nach Art und Anzahl der Geschäfte, Vertraulichkeit und Folgearbeiten. Zu geheim klassifizierten BR-Geschäften wurden weder Briefings noch Debriefings durchgeführt. Während der Pandemie wurde die gemäss Rückmeldung des EDA ohnehin bereits restriktive Praxis der Debriefings nicht weiter eingeschränkt resp. es wurde keine Anpassung vorgenommen.

Während der Pandemie hat aufgrund der gehäuften Indiskretionen auch der Vorsteher des EDA teilweise auf die Einreichung von Mitberichten verzichtet.

Massnahmen gegen Indiskretionen als Bundespräsident An seiner Anhörung
informierte der Departementsvorsteher des EDA aus, dass er während seiner Präsidentschaft zu Beginn der Sitzungen regelmässig auf die Indiskretionsthematik verwiesen hat. Inhalt seiner Ausführungen war insbesondere die Aufforderung ans Gremium, Mitarbeitende zu sensibilisieren, da es inakzeptabel sei, dass der Bundesrat keine Diskussionen führen kann, ohne von den Medien beeinflusst zu werden.

202

Zum Zeitpunkt der Berichterstellung war nicht bekannt, inwiefern diese Plattform genutzt wurde, um Indiskretionen zu melden.

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5.2.4

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung

Generelle Massnahmen innerhalb des Departements zur Vermeidung von Indiskretionen Im Rahmen der Anhörung führte der Departementsvorsteher des WBF aus, dass die Mitarbeitenden des GS WBF in regelmässigen Abständen an die rechtlichen Verpflichtungen erinnert würden und wüssten, dass im WBF Indiskretionen nicht toleriert seien. Der Departementsvorsteher orientiert neu eintretende Kadermitarbeitende des GS über die geltenden Regeln und wiederholt diese regelmässig, auch im Rahmen von Amtsdirektorensitzungen. Was die Medienarbeit anbelangt, so hatte der Departementsvorsteher seinen Kommunikationsdienst angewiesen, Anfragen zur Beratung im Bundesrat nicht zu beantworten. Zudem setzt er gemäss seinen Ausführungen anlässlich der Anhörung auf eine zurückhaltende Informationspolitik innerhalb des GS WBF: Generell informiere er erst nach Abschluss eines Geschäftes, so könne er sicher sein, dass allfällige Informationen, die in der Presse im Vorfeld zu Bundesratssitzungen zirkulieren, nicht aus seinem Departement stammen. Im Rahmen der Debriefings werde nur über den Entscheid, nicht aber über die konkrete Beratung informiert. Auch stimme das GS WBF sich betreffend Medienarbeit eng mit den Ämtern ab, um zu verhindern, dass von dort vertrauliche Informationen versehentlich an die Öffentlichkeit gelangen.

Betroffenheit von Indiskretionen während des Untersuchungszeitraums und eingereichte Strafanzeigen Während des Untersuchungszeitraums versuchte das WBF gemeinsam mit dem EDA den Urheber einer Indiskretion zu ermitteln, die im Juni 2020 mutmasslich die Grundlage eines in der NZZ erschienenen Medienartikels war.203 Der Departementsvorsteher des WBF beauftragte in der Folge seinen stv. Generalsekretär, die Streuung des E-Mails, das mutmasslich an die NZZ weitergeleitet wurde, abzuklären. Das Mail war ursprünglich an zehn Personen gerichtet gewesen und wurde schliesslich an insgesamt 32 Personen weitergeleitet. Nach diesen Abklärungen verzichteten die beiden Departemente auf die Einreichung einer Strafanzeige gegen Unbekannt.

Gemäss seiner Auflistung war das WBF während der Pandemie mit knapp 20 Indiskretionen zu Covid-19-Geschäften betroffen. Das GS WBF verzichtete auch in diesen Fällen auf die Einreichung von Strafanzeigen aufgrund der geringen Erfolgsaussichten.

Anpassungen in der Geschäftsführung als Folge
der gehäuften Indiskretionen mit Fokus auf Debriefings und Mitberichte Im Rahmen der Anhörung führte der Departementsvorsteher des WBF aus, dass er nur selten auf die Einreichung von Mitberichten verzichtete und in der Regel weiterhin die von ihm als notwendig erachteten Mitberichte einreichte, weil er dies der Qualität der Behandlung einzelner Geschäfte an der Sitzung als zuträglich einschätzte.

Bezüglich Debriefings sei er schon immer sehr zurückhaltend gewesen und habe dif203

Indiskretionen WBF/EDA, Vorfall vom Juni 2020 (VERTRAULICH, nicht öffentlich).

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ferenzierte Debriefings durchgeführt: Vertrauliche Geschäfte habe er generell nur einem kleinen Kreis vermittelt und auf Informationen zum Inhalt der Beratung im Bundesrat verzichtet. Im Rahmen der Pandemie wurde der Kreis der am Debriefing teilnehmenden Personen weiter eingeschränkt.

Massnahmen gegen Indiskretionen als Bundespräsident Als Bundespräsident des Jahres 2021 sensibilisierte er das Gremium zu Beginn seiner Präsidentschaft anlässlich der Sitzung vom 20. Januar 2021. Vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Indiskretionen, die kurz zuvor aufgetreten waren, traktandierte der Bundespräsident die Problematik der Indiskretionen als eigenständiges Traktandum und forderte die Departementsvorstehenden auf, in ihren Departementen die Regeln bzgl. Amtsgeheimnis in Erinnerung zu rufen. An der genannten Sitzung beauftragte der Bundesrat die Bundeskanzlei, gewisse vertrauliche Geschäfte zu Covid-19 auf Papier einzig den Teilnehmenden der Bundesratssitzung zu verteilen (sh. dazu Kapitel 4.1.2).

Als der neue Bundesanwalt Stefan Blättler im Herbst 2021 sein Amt antrat, schrieb der Bundespräsident diesem zusammen mit dem Bundeskanzler einen Brief, um gemeinsam die Problematik der Indiskretionen zu erörtern. In der Folge fand am 24. November 2021 eine Aussprache zur Frage statt, wie Amtsgeheimnisverletzungen effektiver bekämpft werden könnten. Nachfolgend erarbeitete eine Arbeitsgruppe der Bundeskanzlei und der Bundesanwaltschaft Massnahmenvorschläge zur griffigeren Bekämpfung von Amtsgeheimnisverletzungen (sh. dazu Kapitel 4.1.3).

5.2.5

Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport

Generelle Massnahmen innerhalb des Departements zur Vermeidung von Indiskretionen Die Departementsvorsteherin des VBS betonte anlässlich ihrer Anhörung, dass bezüglich Indiskretionen im VBS eine Nulltoleranz gilt. Gemäss ihren Aussagen erhalten alle Mitarbeitenden des GS anlässlich ihres Stellenantritts standardmässig die geltenden gesetzlichen Grundlagen sowie Flyer und Broschüren mit den relevanten Informationen. Zudem würden jährlich obligatorische Schulungen zum Thema Informationsschutz durchgeführt. Eine weitere Massnahme seien regelmässige Bürokontrollen. Dabei werde überprüft, ob klassifizierte Informationen richtig abgesichert seien. Auch weise der Generalsekretär das Kader regelmässig darauf hin, dass die Weitergabe von klassifizierten Informationen einen Kündigungsgrund darstelle. Während dem Untersuchungszeitraum ist aktenkundig, dass der Generalsekretär in der Geschäftsleitungssitzung des VBS zweimal dazu aufrief, die Vertraulichkeit zu wahren, und darauf hinwies, dass das Leaken von Informationen ein Kündigungsgrund sei.204 Zudem verwies die Departementsvorsteherin anlässlich der Anhörung auf den 204

Mail GS VBS an Arbeitsgruppe GPK vom 16.3.2023, Beilage 2, Übersicht über Übersicht über die Aussagen des GS VBS zu Indiskretionen und Amtsgeheimnisverletzungen an Sitzungen der Geschäftsleitung GS-VBS.

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Fall eines Mitarbeiters, der im Zug am Telefon interne Informationen weitergegeben hatte und dessen Laptop-Bildschirm für einen anderen Zugpassagier einsehbar gewesen war. Der genannte Mitarbeiter wurde entlassen.

Im Interesse des Informationsschutzes werde zudem der Kreis der Teilnehmenden an den Briefings so klein wie möglich gehalten ­ von geheim klassifizierten Geschäften erhielten in der Regel nur drei Personen (die Departementsvorsteherin, der Generalsekretär und der bzw. die zuständige/r Referent/in) Kenntnis. Zudem würden diese nur auf Stand-alone-PCs bearbeitet und auf Druckern ohne WLAN-Zugriff gedruckt.

Anlässlich der Debriefings zu Bundesratssitzungen werde zudem exklusiv über diejenigen Entscheide informiert, die für die Weiterverarbeitung der Geschäfte relevant seien ­ zudem sei der Kreis sehr klein (Departementsvorsteherin, Generalsekretär und zuständige/r Fachreferent/in) und die Information erfolge mündlich.

Betroffenheit von Indiskretionen während des Untersuchungszeitraums und eingereichte Strafanzeigen Gemäss der Liste zu den mutmasslichen Indiskretionen, die während dem Untersuchungszeitraum zu Corona-Geschäften aufgetreten sind, und den Informationen, die die GPK-Arbeitsgruppe direkt vom Generalsekretariat des VBS erhalten hat, sind keine Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des VBS bekannt.

Dies ist insofern erwähnenswert, als dass auch das VBS dem Bundesrat regelmässig Vorlagen zur Bekämpfung der Pandemie vorlegte.

Anpassungen in der Geschäftsführung als Folge der gehäuften Indiskretionen mit Fokus auf Debriefings und Mitberichte Als Reaktion auf die gehäuften Indiskretionen während dem Untersuchungszeitraum verzichtete die Departementsvorsteherin des VBS teilweise auf schriftliche Mitberichte. Sie bedauerte dies, denn sie erachtet das Mitberichtsverfahren als sehr wichtig für die Diskussionen im Bundesrat.

Die Debriefings wurden während der Pandemie in der Regel im Rahmen einer Telefonkonferenz abgehalten; der ohnehin eingeschränkte Kreis bei den Debriefings wurde auch während der Pandemie beibehalten. Zu vertraulich oder geheim klassifizierten Geschäften erfolgte weiterhin ein persönliches Feedback.

5.2.6

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

Generelle Massnahmen innerhalb des Departements zur Vermeidung von Indiskretionen Anlässlich ihrer Anhörung informierte die ehemalige Vorsteherin des EJPD, dass die Mitarbeitenden regelmässig daran erinnert wurden, dass Amtsgeheimnisverletzungen strafbar seien und von der Departementsleitung nicht toleriert würden. Die ehemalige Generalsekretärin habe die Mitarbeitenden auch mehrmals darüber informiert, dass sie deren Namen der Bundesanwaltschaft nennen müsste, wenn diese zu Strafanzeigen wegen Amtsgeheimnisverletzungen ermitteln müsste. Der Erlass von departementsspezifischen Weisungen zum Informationsschutz wurde vor dem genannten Hintergrund als nicht angezeigt erachtet.

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An den Debriefings im EJPD nahmen standardmässig die Direktorinnen und Direktoren der Ämter bzw. des Staatssekretariates sowie die Generalsekretärin, die stv. Generalsekretärin, der Kommunikationschef, die Referentinnen und Referenten und die persönlichen Mitarbeitenden teil. Die Vertraulichkeit sei gewährleistet worden, indem keine vertraulichen Informationen, insbesondere zum Verlauf der Diskussionen im Bundesrat vermittelt wurden.

Betroffenheit von Indiskretionen während des Untersuchungszeitraums und eingereichte Strafanzeigen Im Rahmen der Untersuchung der Arbeitsgruppe der GPK ergab sich kein eindeutiges Bild zur Frage, inwiefern Bundesratsgeschäfte resp. Mitberichte des EJPD während des Untersuchungszeitraums von Indiskretionen betroffen waren. Die Liste des Bundesrates, die auf der Grundlage der Rückmeldungen der einzelnen Departemente erstellt worden war, enthielt keine Geschäfte des EJPD. Im Rahmen einer Rückfrage der Arbeitsgruppe der GPK bestätigte die Bundeskanzlei nach Rücksprache mit dem Generalsekretär des EJPD Ende März, dass keine materiellen Leaks zu Geschäften des EJPD aktenkundig seien. Anlässlich ihrer Anhörung, die ein paar Wochen später stattfand, berichtete die ehemalige EJPD-Vorsteherin von mehreren Indiskretionen, die Mitberichte des EJPD betroffen hatten. Auf die Nachfrage der Arbeitsgruppe im Nachgang zur Anhörung führte die Departementsvorsteherin aus, dass es sich bei den erwähnten Beispielen von Leaks aus Dokumenten des EJPD nicht um eine abschliessende Aufzählung gehandelt hatte und sie nicht über eine entsprechende Übersicht verfüge.

Anpassungen in der Geschäftsführung als Folge der gehäuften Indiskretionen mit Fokus auf Debriefings und Mitberichte Zu Beginn der Covid-19-Pandemie fanden im EJPD nur noch vereinzelt Debriefings statt. In der Regel informierte die damalige Vorsteherin gemäss eigenen Angaben nur die ehemalige Generalsekretärin über die gefällten Beschlüsse sowie über allfälligen Handlungsbedarf, der sich aus den Sitzungen für das EJPD ergab. Auch wurde in dieser Zeit im EJPD die Anzahl Zugriffe von Personen reduziert, die mittels elektronischer Geschäftsverwaltung GEVER auf die Bundesratsgeschäfte zugreifen konnten.

An ihrer Anhörung führte die ehemalige EJPD-Vorsteherin aus, dass sie als Folge davon selber mehr Zeit in die Vorbereitung der Sitzungen
investieren musste.

Ebenfalls hielt sich die ehemalige Departementsvorsteherin des EJPD während dem Untersuchungszeitraum teilweise mit Mitberichten zurück. Sie betonte an ihrer Anhörung jedoch, dass sie bei allfälligen juristischen Einwänden, die sie als Justizministerin schriftlich hätte bekanntmachen müssen, nicht auf einen Mitbericht verzichtet hätte.

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5.2.7

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation

Generelle Massnahmen innerhalb des Departements zur Vermeidung von Indiskretionen Im UVEK bestanden zusätzlich zu den generell geltenden Regeln keine spezifischen Weisungen. Die ehemalige Departementsvorsteherin betonte, dass die Frage der Indiskretionen in erster Linie die Frage der Führung und der Kultur sei. Sie erachtete deshalb wiederholte mündliche Sensibilisierungen als wirkungsvoller als eine schriftliche Weisung, die unter Umständen schnell in Vergessenheit gerate. Für sie war es zentral, innerhalb des Departements regelmässig zu vermitteln, dass die Departements-Ziele auch ohne Indiskretionen zu erreichen seien. Dies sei insbesondere auch dann wichtig gewesen, wenn es zu einer Indiskretion gekommen sei, die dem eigenen Departement geschadet hatte.

An den Briefings/Debriefings nahm generell ein eingeschränkter Kreis teil, konkret der Generalsekretär, der stv. Generalsekretär und die Referentinnen und Referenten, welche die BR-Geschäfte vorbereitet haben. Je nach Vertraulichkeit der Geschäfte fand die Besprechung mit einem reduzierten Teilnehmerkreis statt; teilweise ausschliesslich mit dem Generalsekretär. Anlässlich der Debriefings seien weder Details noch Namen aus der Bundesratsdiskussion erwähnt worden und es wurde regelmässig auf die Vertraulichkeit hingewiesen.

Betroffenheit von Indiskretionen während des Untersuchungszeitraums und eingereichte Strafanzeigen Gemäss der Liste zu materiellen Indiskretionen waren zu Covid-19-Geschäften des UVEK keine Indiskretionen aktenkundig. Dass UVEK-Geschäfte mutmasslich weniger von Leaks betroffen waren als andere Geschäfte führte die ehemalige Departementsvorsteherin auch auf den Umstand zurück, dass der Kreis der zu UVEKCovid-19-Geschäften konsultierten Personen im Vergleich zu anderen Massnahmen kleiner war und die Entscheide, beispielsweise die finanzielle Unterstützung der ÖVBranche, weniger umstritten gewesen seien als andere Massnahmen wie beispielsweise die Maskenpflicht.

Anpassungen in der Geschäftsführung als Folge der gehäuften Indiskretionen mit Fokus auf Debriefings und Mitberichte Die Debriefings erfolgten während der Pandemie mehrheitlich (in gewissen Phasen ausschliesslich) online. Bei Skype-Debriefings wurde der Teilnehmerkreis jeweils eingeschränkt.

Auf Mitberichte hat die ehemalige Vorsteherin des UVEK nicht verzichtet. Sie
erachtet das Mitberichtsverfahren als zentral, da es dem Bundesrat erlaubt, vorgängig Fragen zu stellen und sich mit einer Fachfrage auseinanderzusetzen.

Massnahmen gegen Indiskretionen als Bundespräsidentin Als Bundespräsidentin im ersten Jahr der Pandemie war es für sie wichtig, auch dem Gesamtgremium regelmässig zu vermitteln, dass Indiskretionen nicht im Gesamtinteresse der Schweiz sind. Aus ihrer Sicht war es zentral, eine Stimmung zu schaffen, 74 / 88

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dass es im Interesse des Landes ist, die Vertraulichkeit zu wahren. Dies sei im Präsidialjahr in mehreren wichtigen Dossiers gelungen, beispielsweise zu EuropaKlausuren.

5.3

Zusammenfassung und Bewertung der Massnahmen

Im vorliegenden Kapitel wird eine Bewertung der Massnahmen der Departemente aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht vorgenommen. Die Bewertung zum EDI findet sich in Kapitel 5.1.3 und wird an dieser Stelle nur falls notwendig erneut beigezogen.

Die Ausführungen im Kapitel 5.2 zeigen, dass in den verschiedenen Departementen und in der Bundeskanzlei eine sehr heterogene Praxis bestand, was die Massnahmen zur Verhinderung von Indiskretionen betrifft.

Generelle Massnahmen Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle angehörten Departementsvorsteherinnen und -vorsteher sowie der Bundeskanzler ihren restriktiven Umgang mit klassifizierten Informationen betont haben. In den meisten Departementen herrscht gemäss den angehörten Personen eine «Nulltoleranz-Haltung», was Indiskretionen angeht. In einzelnen Fällen hätten Indiskretionen auch zu Kündigungen ­ allerdings nicht im Zusammenhang mit Indiskretionen zu Covid-19-Geschäften des Bundesrates ­ geführt. Zudem setzt die Mehrheit der Vorsteherinnen und Vorsteher auf eine mündliche Sensibilisierung, sowohl bei der Einführung neuer Mitarbeitender als auch zu einem späteren Zeitpunkt je nach Bedarf sowie im Rahmen von Schulungen.

Strafanzeigen Ausser dem EDI hat im Untersuchungszeitraum weder ein Department noch die Bundeskanzlei eine Strafanzeige wegen einer Amtsgeheimnisverletzung eingereicht, die einen Bezug zu einem Covid-19-Geschäft des Bundesrates hatte. Begründet wurde das Nicht-Einreichen einer Strafanzeige mit den geringen Erfolgsaussichten, weshalb sich der Aufwand zur Einreichung einer Strafanzeige nicht lohne (siehe hierzu auch Kap. 4.1.1, 4.1.2 und 4.1.4). Da es sich hierbei um eine Thematik handelt, die nicht bloss die Covid-19-Geschäfte des Bundesrates betreffen, sondern generell die Verfolgung von Verletzungen des Amtsgeheimnisses, werden die entsprechenden, laufenden Arbeiten von den Subkommissionen Gerichte/BA der GPK fortgeführt. Dabei werden auch die Erkenntnisse aus vorliegender Untersuchung zu integrieren sein.

Als Reaktion auf die wenig erfolgsversprechende Einreichung einer Strafanzeige hat der Bundeskanzler im Jahr 2021 in Zusammenarbeit mit der BA und dem BJ die Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen (AG IR) ins Leben gerufen. Diese hatte die Aufgabe, Optionen zu erarbeiten, die eine effizientere Strafverfolgung von Amtsgeheimnisverletzungen durch die BA ermöglichen sollte. Die Subkommissionen Gerichte/BA werden sich auch mit dem follow-up dieser Arbeiten befassen.

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Debriefings Da verschiedene Indiskretionen den Inhalt der Diskussion im Bundesrat betrafen, erkundigte sich die Arbeitsgruppe insbesondere auch bei den Departementsvorsteherinnen und -vorstehern bezüglich Debriefings im Nachgang zu einer Bundesratssitzung.

An diesen informieren die an der Bundesratssitzung teilnehmenden Personen ihr engstes Team bzw. die zuständigen Mitarbeitenden über die Entscheide des Bundesrates.

Die genannten Indiskretionen müssen, falls sie nicht direkt von einer an der Sitzung teilnehmenden Person ­ d.h. konkret von einer Departementsvorsteherin, einem Departementsvorsteher, dem Bundeskanzler oder den beiden Vizekanzlern ­ stammen, von einer Person ausgehen, die im Rahmen des Debriefings Kenntnis der Diskussion im Bundesrat erhält. Die angehörten Vorsteherinnen und Vorsteher sowie der Bundeskanzler betonten allerdings, dass sie an Debriefings keine konkreten Angaben über die Diskussion oder die Positionierung einzelner Mitglieder im Bundesrat machen würden. Mehrere Vorsteherinnen und Vorsteher gaben an, den Teilnehmerkreis an den Debriefings während der Covid-19-Pandmie weiter eingeschränkt zu haben. Teilweise habe sich dies bereits aufgrund der Klassifizierung ergeben, da bei der Pandemiebewältigung viel öfter Geschäfte als vertraulich oder geheim klassifiziert wurden (siehe betreffend Debriefings auch Kap. 4.4 und die entsprechende Empfehlung).

Mitberichte Wie ebenfalls bereits dargelegt wurde, haben die meisten Departementsvorsteherinnen und -vorsteher während der Pandemie zumindest teilweise auf die Einreichung von schriftlichen Mitberichten verzichtet, reichten diese zu einem möglichst späten Zeitpunkt ein oder nahmen erst im Rahmen der Sitzung mündlich Stellung (siehe hierzu auch Kap. 4.4 und die entsprechende Empfehlung).

Bewertung Insgesamt ging aus den Anhörungen hervor, dass die Vorsteherinnen und Vorsteher sowie der Bundeskanzler während der Covid-19-Pandemie nur sehr punktuell Massnahmen zur Verhinderung von Indiskretionen getroffen haben (restriktiver Umgang mit klassifizierten Unterlagen, Einschränkung des Teilnehmerkreises an Debriefings, teilweiser Verzicht auf schriftliche Mitberichte, etc.). Aufgrund der weiterhin auftretenden Indiskretionen kann an dieser Stelle festgestellt werden, dass die ergriffenen Massnahmen die gewünschte Wirkung nicht bzw. nur
in geringem Umfang entfaltet haben. Aus Sicht der GPK ist bemerkenswert, dass alle Departementsvorsteherinnen und -vorsteher sowie der Bundeskanzler und die beiden Vizekanzler versicherten, sie würden beim Debriefing nicht auf die Inhalte der Diskussion im Bundesrat eingehen, es aber trotzdem regelmässig zu entsprechenden Indiskretionen kam.

Die GPK begrüssen, dass der Bundesrat den Handlungsbedarf erkannt hat, sich der Tragweite der Problematik bewusst ist und sich auf Antrag der BK mit den Erkenntnissen der AG IR auseinandergesetzt hat. Die präventive, abschreckende Wirkung der Strafandrohung bei einer Amtsgeheimnisverletzung ist derzeit auch aus Sicht der GPK nicht gegeben. Die Frage, ob die richtigen Schlüsse gezogen und die angezeigten Massnahmen seitens Bundesrat ergriffen wurden, wird im Rahmen der laufenden Untersuchung durch die Subkommissionen Gerichte/BA zu bewerten sein, da sie den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengt.

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Weiter sind die GPK der Ansicht, dass die Massnahmen und insbesondere die Sensibilisierung für das Thema der Amtsgeheimnisverletzungen in der Bundesverwaltung derzeit ungenügend sind. Es reicht nicht aus, dass neue Mitarbeitende in den Generalsekretariaten zu Beginn ihrer Tätigkeit auf die rechtlichen Grundlagen und daher auch implizit auf die Strafbarkeit einer Indiskretion hingewiesen werden. Die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher sind in ihrer Führungsfunktion einerseits dafür verantwortlich, dass innerhalb des jeweiligen Generalsekretariates die Definition und die Tragweite einer Amtsgeheimnisverletzung allen Mitarbeitenden bekannt sind. Andererseits müssen sie auch dafür sorgen, dass eine intensive Sensibilisierung auf allen Stufen und Ämtern eines Departementes konsequent und flächendeckend umgesetzt wird. Nach Ansicht der Kommissionen handelt es sich hierbei um eine zentrale Führungsaufgabe. Die GPK begrüssen daher die Bestrebungen des Bundesrates, insbesondere den Auftrag an die BK zur Erarbeitung eines Merkblattes zur Sensibilisierung und fordern diesen auf, dabei folgender Empfehlung Rechnung zu tragen.

Empfehlung 9 Die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher stellen sicher, dass sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb des Departementes (inklusive Bundesämter, Staatssekretariate, etc.) und der Bundeskanzlei breit und in periodischen Abständen wiederkehrend für das Thema der Indiskretionen sensibilisiert werden.

Die Vorsteherinnen und Vorsteher sowie der Bundeskanzler erstatten zu den konkret ergriffenen oder geplanten Massnahmen Bericht an die Bundeskanzlei.

Abschliessend soll an dieser Stelle noch folgende Überlegung erwähnt werden. Wenn ­ wie dies bei den meisten Departementsvorsteherinnen und -vorsteher der Fall ist ­ die Überzeugung vorherrscht, dass eine Indiskretion nicht aus dem eigenen Departement stammen kann, werden auch keine konkreten Massnahmen ergriffen. Die GPK können grundsätzlich nachvollziehen, dass die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher keine Massnahmen ergreifen, wenn sie überzeugt sind, dass die Indiskretionen nicht aus dem eigenen Departement stammen können. Gleichzeitig kritisieren die GPK diese Haltung, da sie letztlich dazu führt, dass keine (weitergehenden) Massnahmen ergriffen werden und die Vorsteherinnen und -vorsteher dem Thema letztlich zu wenig Bedeutung beimessen und ihr Umfeld zu wenig dafür sensibilisieren respektive die Nulltoleranz im eigenen Team effektiv durchsetzen.

6

Zusammenfassende Bewertung und Auflistung der Empfehlungen

Dieses Kapitel soll die Hauptfragen der Untersuchung aufgreifen und die zentralen Ergebnisse abbilden. Einleitend halten die GPK fest, dass es aufgrund der teilweise sehr lückenhaften Dokumentationslage nicht möglich war, die Untersuchungsfragen abschliessend zu beantworten. Einerseits standen den GPK nicht alle möglichen Quellen zur Verfügung (Siegelung der Akten, gelöschte Mailbox, nicht protokollierte oder dokumentierte Gespräche, etc.), andererseits ist davon auszugehen, dass viele Indiskretionen über Kanäle liefen, die heute nicht mehr nachvollziehbar sind.

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1. Die Arbeitsgruppe soll untersuchen, zu welchen Indiskretionen es im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates gekommen ist, wer diese ausgelöst bzw. unterstützt hat, sowie wer Empfänger der Indiskretionen war.

Die Medienberichterstattung über eine scheinbar grosse Zahl an Indiskretionen und eine allfällige Systematik waren der Auslöser für die Einleitung einer Untersuchung durch die GPK. Die Untersuchung hat bestätigt, dass es tatsächlich zu vielen Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften des Bundesrates gekommen ist. Die Anhörungen, die Medienanalyse und die Analyse verschiedener Dokumente lassen in Bezug auf den Urheber und allfällige Mitwisser der Indiskretionen keinen klaren Schluss zu. Die Analyse der E-Mails des ehemaligen Kommunikationschefs des EDI hat zwar aufgezeigt, dass dieser vertrauliche Informationen an nichtberechtigte Personen weitergegeben hat. Die Medienanalyse hat zudem bestätigt, dass gewisse Medien, darunter auch der Blick, häufig über vertrauliche Informationen verfügt hatten. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass auf der Grundlage der der GPK zur Verfügung stehenden Unterlagen keine direkte Kausalität zwischen der Weitergabe der E-Mails durch den ehemaligen Kommunikationschef des EDI insbesondere an den CEO der Ringier AG und der Berichterstattung in den Medien festgestellt werden konnte. Der Vorsteher des EDI hatte seinerseits Kenntnisse von den teils engen Kontakten seines Kommunikationschefs mit dem CEO der Ringier AG. Der Arbeitsgruppe liegen keine Nachweise vor, welche darauf schliessen lassen, dass der Vorsteher des EDI über die Indiskretionen aus seinem Departement informiert gewesen war oder dass er diese gar in Auftrag gegeben hätte. Letztlich ist der Sachverhalt für die Arbeitsgruppe nicht abschliessend beurteilbar.

Die Untersuchung erlaubte auch nicht, festzustellen ob und inwiefern vertraulich klassifizierte Informationen aus den jeweiligen anderen Departementen mit Medienschaffenden geteilt wurden.

Die Medienanalyse zeigte indessen, dass der Tages-Anzeiger und der Blick besonders gut informiert waren und häufig als erste Medien über Covid-19-Geschäfte des Bundesrates, die zu jenem Zeitpunkt noch vertraulich klassifiziert waren, berichteten.

2. Die Arbeitsgruppe soll untersuchen, welche Massnahmen der Bundesrat als Gremium für
die fragliche Periode getroffen hatte, um Indiskretionen aus den Departementen generell zu verhindern bzw. um solche angesichts der wiederkehrenden Medienberichterstattung im Vorfeld von Bundesratssitzungen zu unterbinden.

Die Arbeitsgruppe hat einerseits untersucht, welche Massnahmen auf Stufe Bundesrat und andererseits, welche Massnahmen in den einzelnen Departementen getroffen wurden, bzw. welche Verfahren zur Anwendung gelangt sind.

Die Untersuchung hat ergeben, dass der Bundesrat ­ mit einigen wenigen Ausnahmen ­ in den Regelstrukturen und gemäss den ordentlichen Prozessen weitergearbeitet hat.

Während der Pandemie fanden aber grundsätzlich zwei Bundesratssitzungen pro Woche statt ­ statt wie üblich bloss einer Sitzung. Die GSK beschloss zudem, die Anzahl Zugriffsberechtigungen auf vertrauliche Bundesratsgeschäfte pro Departement um drei Berechtigungen auf deren zehn zu erhöhen. Nach den ersten Indiskretionen entschied der Bundesrates im Januar 2021 auf Antrag des EDI, für besonders sensible Covid-19-Geschäfte ein Verfahren auf Papier vorzusehen, um Indiskretionen möglichst zu vermeiden. Dieses Verfahren wurde kurz nach dessen Einführung wieder 78 / 88

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eingestellt, weil es sein Ziel ­ weniger Indiskretionen ­ nicht erreichte und andere Nachteile aufwies.

Der Bundesrat und die Bundeskanzlei haben das Thema der Indiskretionen teilweise thematisiert, einerseits im Bundesrat und andererseits in den von der BK geleiteten Gremien (KID und GSK). Am 25. Januar 2023, nach Bekanntwerden der mutmasslichen Indiskretionen aus dem EDI in der Sonntagspresse, führte der Bundesrat eine Aussprache zum Thema der Indiskretionen durch.

Insgesamt kommen die GPK zum Schluss, dass es nur selten zu einer Thematisierung der Indiskretionen kam ­ sei es im Bundesrat oder in anderen Gremien. Die Kommissionen führen dies auf eine gewisse Resignation zurück. Die Aussprache im Bundesrat war aus Sicht der GPK wichtig, hat die Untersuchung doch gezeigt, dass die vielen Indiskretionen das Vertrauensverhältnis im Bundesrat nachhaltig gestört haben.

Die meisten Departementsvorsteherinnen und -vorsteher haben berichtet, dass sie bei Covid-19-Geschäften mindestens teilweise auf schriftliche Mitberichte verzichtet hatten. Die GPK sind der Ansicht, dass dieses Vorgehen der Qualität der Beschlussfassung und einer effizienten Sitzungsführung nicht zuträglich ist. Das Mitberichtsverfahren stellt ein zentrales demokratisches Instrument dar, auf welches aus Sicht der GPK auch während einer Krise nicht zu verzichten ist. Beim Verzicht auf die Einreichung eines Mitberichts wird einerseits wohl auch auf den Einbezug der departementsinternen Expertise verzichtet. Andererseits führt es auch dazu, dass sich die anderen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher auf mündlich an der Sitzung eingebrachte Anträge oder Fragen nicht vorbereiten können.

In den verschiedenen Departementen ist der Umgang mit Indiskretionen sehr unterschiedlich und sämtliche Departementsvorsteherinnen und -vorsteher sind der Ansicht, die Indiskretionen stammten nicht aus dem eigenen Departement. Dieser Umstand hat nach Ansicht der GPK zur Folge, dass die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher nicht bereit sind bzw. es als nicht notwendig erachten, griffigere Massnahmen zu treffen oder in ihrem eigenen Einflussbereich zu wenig aktiv sind. Der Ansicht, wonach Indiskretionen durch eine starke Führung mindestens teilweise unterbunden werden können, können sich die GPK zumindest partiell anschliessen. Es dürfte insbesondere
dort zutreffend sein, wo sich die Führung bis in die untersten Ebenen eines Departementes bemerkbar macht, was Bundesämter und weitere Verwaltungseinheiten miteinschliesst.

Als problematisch erachten die Kommissionen die Tatsache, dass es selbst zur Diskussion und der Positionierung einzelner Mitglieder an der Bundesratssitzung regelmässig zu Indiskretionen kam und immer noch kommt. Falls diese Indiskretionen nicht von einer teilnehmenden Person an der Sitzung selber ausgehen, müssen diese ihren Ursprung wohl in den nach der Sitzung stattfindenden, departementalen Debriefings haben. Die GPK nehmen erstaunt zur Kenntnis, dass es keine für alle Departemente verbindlichen Weisungen oder Richtlinien betreffend der Debriefings gibt und erachten u.a. die Einführung neu eintretender Mitglieder des Bundesrates diesbezüglich als ungenügend. Die GPK erwarten, dass diesem Umstand in Zukunft besser Rechnung getragen wird.

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Die Kommissionen halten fest, dass die vielen Indiskretionen ­ gerade auch während der Pandemie ­ inakzeptabel sind und kritisieren, dass hiergegen nur punktuell Massnahmen ergriffen wurden.

3. Die Arbeitsgruppe soll untersuchen, welche Massnahmen Bundespräsident Alain Berset für die fragliche Periode getroffen hatte, um Indiskretionen aus dem EDI generell zu verhindern bzw. um solche angesichts der wiederkehrenden Medienberichterstattung im Vorfeld von Bundesratssitzungen zu unterbinden.

Inwiefern der Departementsvorsteher des EDI von den Indiskretionen seines damaligen Kommunikationschefs Kenntnis hatte, bleibt gestützt auf die Datenlage offen. Die Aussagen anlässlich der Anhörungen gingen in sehr unterschiedliche Richtungen. Die GPK zeigen sich generell erstaunt darüber, dass der Departementsvorsteher des EDI im Wissen um die engen Kontakte zwischen seinem ehemaligen Kommunikationschef und dem CEO der Ringier AG einerseits und den ständig auftretenden Indiskretionen ­ gerade auch zu Geschäften des EDI ­ andererseits keine spezifischen Massnahmen getroffen hat, um Indiskretionen einzudämmen. Auf Antrag des EDI wurde zwar vorübergehend ein spezielles Verfahren zur Verteilung der Unterlagen zu speziell sensiblen Covid-19-Geschäften eingeführt, im Departement selber wurden aber keine Massnahmen ergriffen. Auch ist es für die GPK nicht nachvollziehbar, dass der ehemalige Kommunikationschef des EDI eine «Indiskretion» in einer Art definierte, die nicht in Einklang mit den Bestimmungen der Informationsschutzverordnung und dem Leitbild der KID stand. Aus Sicht der GPK stellt sich die Frage, weshalb der Departementsvorsteher des EDI diesbezüglich keinen Einfluss hatte.

Die GPK können das Narrativ verschiedener angehörter Personen aus dem EDI, wonach Indiskretionen nicht aus dem EDI stammen könnten, da man sich einem riesigen Druck (inkl. Drohungen) ausgesetzt sah und dieser durch Indiskretionen jeweils noch erhöht wurde, nicht nachvollziehen. Die Kommissionen bedauern die persönlichen Drohungen, die sich in erster Linie gegen den Departementsvorsteher des EDI und seine Familie richteten, zutiefst und anerkennen die schwierige Situation, in der sich die politische Führung der Eidgenossenschaft während der Covid-19-Pandemie befand. Allerdings können die GPK keine Kausalität zwischen den Indiskretionen
und dem öffentlichen Druck ausmachen, zumal der Departementsvorsteher des EDI ohnehin im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stand ­ ob mit oder ohne Indiskretionen.

Die GPK haben aufgrund der vorstehenden Ausführungen insgesamt neun Empfehlungen an den Bundesrat beschlossen. Diese sollen nachfolgend im Sinne einer Übersicht wiedergegeben werden: Empfehlung 1 Der Bundesrat sorgt in Zusammenarbeit mit der BK dafür, die Kriterien zur Durchführung eines Hintergrundgesprächs einerseits generell und andererseits im Krisenfall klar festzuhalten, rechtlich verbindlich zu regeln und den Kommissionen anzugeben, in welchem Produkt diese Empfehlung umgesetzt wird.

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Empfehlung 2 Der Bundesrat sorgt dafür, dass eine konkrete gesetzliche Grundlage zur Löschung der E-Mails von austretenden Personen aus der Bundesverwaltung geschaffen wird. Hierbei soll er einen differenzierten Ansatz verfolgen, in dem die Löschfrist für Departementsvorsteherinnen und -vorsteher und weiterer Personen in Kaderfunktionen im Vergleich zu den heute geltenden 135 Tagen deutlich verlängert wird. Der Bundesrat soll dabei auch bestimmen, welche Personen als Kader im Sinne dieser Bestimmung gelten.

Empfehlung 3 Der Bundesrat wird aufgefordert zu prüfen, wie die Thematik der Indiskretionen häufiger aufgenommen und die laufenden Arbeiten der Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen genutzt werden könnten, um mit griffigeren Massnahmen tatsächlich eine Änderung herbeizuführen. Unter anderem ist dabei sicherzustellen, dass im Sinne einer Definition des Begriffes einer Indiskretion festgehalten wird, welche Informationen nicht mit Unberechtigten geteilt werden dürfen.

Empfehlung 4 Der Bundesrat und insbesondere die Bundeskanzlei sorgen dafür, dass die Bundesratsprotokolle in einer Art und Weise abgefasst sind, dass sie die Diskussion und die Beschlussfassung im Bundesrat in nachvollziehbarer Art und Weise wiedergeben.

Empfehlung 5 Der Bundesrat stellt sicher, dass neue Mitglieder des Bundesrates, neue Kommunikationsverantwortliche in den Departementen und neue Generalsekretärinnen und Generalsekretäre in genügendem Masse auf die Problematik der Indiskretionen sensibilisiert und geschult werden. Der Bundesrat wird aufgefordert, hierzu ein Konzept zu erarbeiten. Dieses soll auch das Thema der Briefings und Debriefings von Bundesratssitzungen, sowie des Informationsflusses zur eigenen Partei enthalten und ist den Kommissionen vorzulegen. Falls ein solches Konzept bereits besteht, bitten die Kommissionen um dessen Zustellung.

Empfehlung 6 Der Bundesrat und die Bundeskanzlei werden aufgefordert, die Regelungen im Zusammenhang mit dem Mitberichtsverfahren zu konkretisieren und darauf hinzuweisen, dass nur aus sehr wichtigen Gründen auf schriftliche Mitberichte verzichtet werden sollte.

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Empfehlung 7 Der Bundesrat und die Bundeskanzlei werden aufgefordert, Leitlinien für die Durchführung von Debriefings zu den Sitzungen des Bundesrates in den Departementen und in der Bundeskanzlei zu erarbeiten und diese umzusetzen. Ziel hierbei ist es, dass diese Debriefings möglichst homogen stattfinden. Die Einarbeitung eines neuen Mitglieds des Bundesrates soll künftig auf der Basis dieser Leitlinien erfolgen.

Empfehlung 8 Der Bundesrat wird aufgefordert, Indiskretionen in regelmässigen Abständen sowie beim Anschein eines groben Vertrauensverlustes innerhalb des Bundesrates, im Rahmen einer allgemeinen Aussprache zu thematisieren. Dabei soll insbesondere Empfehlung 4 Rechnung getragen und ein ausführliches Protokoll im Sinne von Artikel 13 Absatz 3 RVOG erstellt werden, das auch über den Beschluss bzgl. allfälliger Massnahmen und des weiteren Vorgehens Rechenschaft ablegt.

Die Bundeskanzlei wird gebeten, aufzuzeigen, welche Rolle ihr betreffend die Beobachtung und Beratung des Bundesrates zukommen könnte.

Empfehlung 9 Die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher stellen sicher, dass sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb des Departementes (inklusive Bundesämter, Staatssekretariate, etc.) und der Bundeskanzlei breit und in periodischen Abständen wiederkehrend für das Thema der Indiskretionen sensibilisiert werden.

Die Vorsteherinnen und Vorsteher sowie der Bundeskanzler erstatten zu den konkret ergriffenen oder geplanten Massnahmen Bericht an die Bundeskanzlei.

Letztlich bleibt auch nach der Untersuchung der GPK offen, weshalb es gerade zu den Covid-19-Geschäften des Bundesrates zu derart vielen Indiskretionen gekommen ist, während dies bei anderen Geschäften nicht der Fall (gewesen) ist. Die Untersuchung hat aufgezeigt, dass hierfür eine Vielzahl an Motiven in Frage kommt.

Die Subkommissionen Gerichte/BA werden die Nachfolgearbeiten dieses Berichts, die Umsetzung der Empfehlungen und die Notwendigkeit an griffigeren Massnahmen zur Verfolgung von Amtsgeheimnisverletzungen an die Hand nehmen, sowie zu gegebener Zeit analysieren, ob weitere Empfehlungen nötig sind.

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Weiteres Vorgehen

Die GPK ersuchen den Bundesrat, bis spätestens am 2. Februar 2024 zu den obigen Ausführungen und Empfehlungen Stellung zu nehmen.

17. November 2023

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidg. Räte Der Präsident der GPK-S: Ständerat Matthias Michel Die Präsidentin der GPK-N: Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo Die Sekretärin der GPK: Ursina Jud Huwiler Der Präsident der Arbeitsgruppe «Indiskretionen Covid-19» der GPK: Ständerat Philippe Bauer Der Sekretär der Arbeitsgruppe «Indiskretionen Covid-19» der GPK: Stefan Diezig Für das Sekretariat der Arbeitsgruppe «Indiskretionen Covid-19» der GPK: Céline Andereggen

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Abkürzungsverzeichnis AB-BA

Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft

Abs.

Absatz

AG

Aktiengesellschaft

AG IR

Arbeitsgruppe Indiskretionen/Rechtsgrundlagen der Bundesverwaltung

a.o. Staatsanwalt Ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes des Bundes AS

Amtliche Sammlung des Bundesrechts

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AZ

Aargauer Zeitung

BA

Bundesanwaltschaft

BAG

Bundesamt für Gesundheit

BIT

Bundesamt für Informatik und Telekommunikation

BJ

Bundesamt für Justiz

BK

Bundeskanzlei

BRS

Sitzung(en) des Bundesrates

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April.1999 (BV; SR 101)

bzw.

beziehungsweise

CEO

Chief Executive Officer

Dr.

Doktor

EDA

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

EDI

Eidgenössisches Departement des Innern

EFD

Eidgenössisches Finanzdepartement

EFK

Eidgenössische Finanzkontrolle

EFV

Eidgenössische Finanzverwaltung

eidg.

eidgenössische

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

EPA

Eidgenössisches Personalamt

EPG

Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EPG; SR 818.101)

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EXEBRC

Geschäftsdatenbank für Bundesratsgeschäfte

f./ff.

folgende / fortfolgende

FinDel

Delegation der Finanzkommissionen der eidg. Räte

GEVER

Elektronische Geschäftsverwaltung in der Bundesverwaltung

GEVER ÜDP

GEVER-System für die Abwicklung überdepartementaler Prozesse

GPDel

Delegation der Geschäftsprüfungskommissionen

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen der eidg. Räte

GPK-N

Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

GS

Generalsekretariat / Generalsekretärin / Generalsekretär

GSK

Generalsekretärenkonferenz

Hrsg.

Herausgeber

IKT

Informations- und Kommunikationstechnologie

ISchV

Verordnung vom 4. Juli 2007 über den Schutz von Informationen des Bundes (Informationsschutzverordnung, ISchV; SR 510.411)

i.V.m.

in Verbindung mit

Kap.

Kapitel

KID

Konferenz der Informationsdienste

lit.

litera

NZZ

Neue Zürcher Zeitung

ParlG

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10)

Prof.

Professor

Rn.

Randnummer

RVOG

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März.1997 (RVOG; SR 172.010)

RVOV

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 (RVOV; SR 172.010.1)

S.

Seite

SiA

Sicherheitsausschuss des Bundesrates

SR

Systematische Rechtssammlung des Bundes

StGB

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 12. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0)

u.a.

unter anderem

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UVEK

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation

VBS

Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport

vgl.

vergleiche

VIRK

Verwaltungsinterne Redaktionskommission

WBF

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung

W-GSK

Wochen-Generalsekretärenkonferenz

WLAN

Wireless Local Area Network

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Anhang 1

Liste der angehörten Personen Amherd, Viola

Vorsteherin des VBS

Berset, Alain

Vorsteher des EDI

Biaggini, Giovanni

Professor Dr. iur., Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungsund Europarecht, Universität Zürich

Bruhin, Lukas

früherer Generalsekretär des EDI (bis 31.3.2020)

Cassis, Ignazio

Vorsteher des EDA

Gresch-Brunner, Lukas Generalsekretär des EDI (seit 1.4.2020) Keller-Sutter, Karin

Vorsteherin des EFD (seit 1.1.2023) / Vorsteherin des EJPD (bis 31.12.2022)

Lauener, Peter

Ehemaliger Kommunikationschef des EDI (bis 31.8.2022)

Marti, Peter

a.o. Staatsanwalt

Maurer, Ueli

alt Bundesrat, Vorsteher des EFD (bis 31.12.2022)

Parmelin, Guy

Vorsteher des WBF

Rossi, Viktor

Vizekanzler, BK

Simonazzi, André

Vizekanzler und Bundesratssprecher, BK

Sommaruga, Simonetta alt Bundesrätin, Vorsteherin des UVEK (bis 31.12.2022) Thurnherr, Walter

Bundeskanzler, BK

(anonym)

Mitarbeiter GS-EDI

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Anhang 2

Medienanalyse: Sitzungen des Bunderates, bei denen es sicher oder sehr wahrscheinlich zu Indiskretionen kam

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