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Bundesblatt 108. Jahrgang

Bern, den 7. Juni 1956

Band I

Erscheint wöchentlich. Preis 3O Franken im Jahr, 16 Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr: 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stämpfli & Cie. in Bern

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Errichtung neuer diplomatischer Vertretungen (Vom 1. Juni 1956) Herr Präsident, Hochgeehrte Herren!

Die Zahl der unabhängigen Staaten hat sich um zwei Länder, Marokko und Tunesien, vermehrt. Die zwischen ihnen und Frankreich, beziehungsweise für Marokko mit Frankreich und Spanien geschlossenen Abkommen haben die bisherigen Protektoratsverträge aufgehoben und beiden Staaten die Unabhängigkeit und Souveränität gebracht. Am 18.Mai 1956 hat der Bundesrat ihre Unabhängigkeit und Souveränität anerkannt und die Absicht ausgesprochen, mit ihnen diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

Die politische Bedeutung Marokkos und Tunesiens, die ständig wachsende Entwicklung der zwischen der Schweiz und ihnen seit langen Jahren bestehenden Beziehungen und schliesslich der Umstand, dass unter den heutigen veränderten Verhältnissen die Wahrung der schweizerischen Interessen durch die bisherigen konsularischen Vertretungen nicht mehr hinreichend möglich ist, lassen die Errichtung schweizerischer diplomatischer Missionen in Eabat und Tunis, den Hauptstädten dieser beiden neuen Länder, als wünschbar und notwendig erscheinen. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um die Errichtung neuer, sondern um die Umwandlung bereits bestehender Posten. In beiden erwähnten Städten unterhält die Schweiz ein Konsulat unter der Leitung von Berufsbeamten; dem einen steht ein Generalkonsul, dem andern ein Konsul vor.

Zu Ihrer eingehenderen Information geben wir Ihnen nachstend einige Angaben geographischer, historischer, politischer und wirtschaftlicher Natur hinsichtlich der beiden in Frage stehenden Länder.

Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. I.

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1138 Marokko Von allen nordafrikanischen Ländern ist Marokko, dessen Oberfläche von rund 500 000 km2 beinahe diejenige von Frankreich erreicht, das von der Natur am stärksten begünstigte. Es erstreckt sich auf ein Gebiet zwischen der Sahara, dem Atlantischen Ozean, dem Mittelmeer und den Hochplateaux; durch seine physische Struktur mutet es europäisch, durch sein mediterranes, den Einflüssen der Sahara unterliegendes Klima dagegen afrikanisch an.

Die Bevölkerung zählt ungefähr 10 Millionen Köpfe, davon 93 Prozent Muselmanen. Unter diesen stellen die Berber das älteste und gleichzeitig auch das zahlreichste Element dar. Der dritte Teil der Einwohner spricht auch heute noch ihre Sprache. Die Araber sind in erster Linie in den Städten und den Ebenen niedergelassen. Sie haben sich stark mit den Berbern vermischt, doch überwiegt sprachlich das Arabische deutlich und drängt die Sprache der Berber mehr und mehr zurück; im Jahre 1947 sprachen 64 Prozent der, Einwohner Marokkos arabisch. Die Europäer stellen nur eine kleine Minderheit von 4 bis 5 Prozent dar ;: sie sind hauptsächlich französischen Ursprungs.

In historischer Hinsicht weist Marokko keine kontinuierliche Entwicklung; auf. Diese trägt im Gegenteil alle Merkmale einer Folge von verschiedenen geschichtlichen Ereignissen. Die Geschichte Marokkos geht bis auf die Zeit der Phönizier zurück. Nach dem Sturz Karthagos wurde es unter der Bezeichnung Provinz Mauretanien von Köm annektiert, dessen Einfluss den Untergang seines Weltreiches überdauerte. Das unter der römischen Herrschaft völlig christianisierte Land fiel im frühen Mittelalter gänzlich unter die Macht der Mauren.

Seit jenem Zeitpunkt, ungefähr um die Mitte des VIII. Jahrhunderts, ist Marokko arabisches Territorium geblieben. Das Christentum verschwand und ist seither nur noch die Eeligion einer verschwindenden Minderheit. Wenn Marokko trotzdem dem europäischen Einfluss nicht entzogen blieb, so ist dies auf seine enge Verbindung während Jahrhunderten mit der maurischen Herrschaft über Südeuropa, vornehmlich über Spanien, zurückzuführen. Diese europäische Beeinflussung hörte auch durch den Sturz des Kalifates von Granada nicht auf.

In der neueren europäischen Geschichte tritt Marokko erst im XIX. Jahrhundert wieder deutlicher in Erscheinung, im besonderen seit der Besetzungdes ihm benachbarten
Algeriens durch Frankreich. Der nie unterbrochene europäische Einfluss beginnt sich von 1830 an neuerdings zu verstärken, wobei diesmal Frankreich an die früher von Spanien innegehabte Stelle tritt.

Nach kriegerischen Verwicklungen mit diesen beiden Staaten, wobei der spanisch-marokkanische Krieg im Frieden von Tetuan vom 26. April 1860 zur Abtretung des nördlichen Küstenstreifens an Spanien führte, kam es an der Konferenz von Madrid vom S.Juli 1880 zu einer internationalen Konvention, die unter anderem die Eechte der Ausländer in Marokko regelte, im übrigen aber die Unabhängigkeit des Sultans und den Besitzstand seines Keiches gewährleistete. Durch die «Entente cordiale» von 1904 verständigten sich Grossbritannien und Frankreich über die französische Vormachtstellung in Marokko..

1139 Die durch das Eingreifen des wilhelminischen Deutschland hervorgerufene erste Marokkokrise wurde an der Konferenz von Algeciras geregelt. Die Algecirasakte vom 7.April 1906 bestätigte zwar die Politik der «offenen Ture» ih Marokko erneut, gewährleistete aber Frankreich faktisch doch seine Vormachtstellung. Spätere Unruhen veranlassten diesen Staat indessen schon 1907, und wiederum 1911, zu bewaffneten Interventionen. Erneute Zwischenfälle führten zur zweiten Marokkokrise. Ihre Beilegung erfolgte durch eine deutsch-französische Verständigung vom 4. November 1911, wobei sich Deutschland an Marokko desinteressierte, das heisst Frankreich dort freie Hand gab. Im Vertrag von Fez vom 30. März 1912 wurde durch den Sultan von Marokko das französische Protektorat über sein Land anerkannt. Die nördliche spanische Zone erhielt durch den französisch-spanischen Vertrag vom' 27. November gleichen Jahres ihre Abgrenzung.

Eine besondere Stellung nimmt das Gebiet um die Hafenstadt Tanger ein.

Ein britisch-französisch-spanischer Vertrag vom 27.November 1912 brachte als Lösung des Tangerproblems die Schaffung der internationalen Zone. Die gleichen Mächte schufen nachher im Vertrag vom 18. Dezember 1923 das Statut von Tanger, das fünf Jahre später durch den Beitritt von Italien erweitert wurde.

Durch ein Protokoll der internationalen Kontrollkommission, in der heute Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, die Niederlande, Belgien, Grossbritannien und die Vereinigten Staaten von Nordamerika vertreten sind, vom l O.November 1952, erfuhr das Statut nochmals eine Änderung.

Das französische Protektorat über Marokko dauerte bis zum 2. März 1956, an welchem Tage durch das französisch-marokkanische Abkommen die Unabhängigkeit Marokkos, soweit der Protektoratsvertrag von Fez dieses berührt, erklärt wurde. Am 7.April erfolgte eine analoge Eegelung zwischen Spanien und Marokko, wodurch dieses auch gegenüber Spanien die Unabhängigkeit erlangte. Ungelöst ist einstweilen noch das Problem von Tanger. Inwieweit die internationale Zone bestehen bleibt und wie gegebenenfalls die Befugnisse der Kontrollkommission gegenüber der neuen marokkanischen Regierung abgegrenzt werden, steht zur Zeit noch nicht fest.

Durch die Unabhängigkeit erhält Marokko neben allen anderen Attributen eines souveränen Staates insbesondere grundsätzlich
auch das Becht zur selbständigen und alleinigen Wahrung der aussenpolitischen Belange. Es wird daher befugt sein, diplomatische Missionen auf seinem Gebiet zu empfangen und solche im Ausland zu errichten, sobald die Modalitäten darüber zwischen Frankreich und Marokko vertraglich festgelegt sein werden.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist Marokko als ausgesprochenes Agrarland vor allem als ein Getreide produzierendes Land zu bezeichnen. 92 bis 93 Prozent der produktiven Fläche werden mit Getreide bepflanzt. Die durchschnittliche Erzeugung in den Jahren 1936 bis 1946 betrug 23 Millionen Doppelzentner.

Den breitesten Baum nimmt die Produktion von Gerste ein; sie ist grösser als diejenige aller übrigen Getreidesorten, deren Erzeugung an zweiter Stelle vor

1140 derjenigen des Maises steht. Beachtlich ist ferner die Kultur von Hülsenfrüchten wie Linsen, Bohnen und Erbsen. Die Wasservorkommen und das Klima begünstigen weiter speziell die Gemüse- und Obstkulturen und erlauben die Reife der Früchte früher als beispielsweise in Algerien. Die schon von den Phöniziern eingeführte Eebe gedeiht unter den natürlichen Voraussetzungen vorzüglich, ebenso auch der Olivenbaum. Die wieder aufgeforsteten Wälder liefern gesuchte Säfte und Essenzen; in der atlantischen Zone wird ferner Kork gewonnen.

Eine wichtige Eolle in der marokkanischen Volkswirtschaft spielt auch die Viehzucht. In einigen klimatisch weniger begünstigten Regionen stellen sich allerdings in bezug auf die Fütterung der Viehbestände oft sehr schwierige Probleme.

Die mineralischen Vorkommen wurden erst in der jüngsten Zeit richtig ausgebeutet. Die auch schon als «Gabe der Vorsehung» bezeichneten Phosphate sind von unschätzbarem Wert für das Land. 1989 machten beispielsweise die Phosphatexporte 80 Prozent der Totalausfuhr aus. Die Schürfung der Bodenschätze ist noch nicht beendigt. Diese bestehen in grossen Eisen- und anderen metallischen Vorkommen. Die bisher festgestellten Ölquellen dagegen sind nicht von wesentlicher Bedeutung.

Die industrielle Produktion war bis zum zweiten Weltkrieg bescheiden, doch hat sie sich seither beträchtlich entwickelt. Die ersten modernen Fabriken in Marokko dienten der Erzeugung von Nahrungsmitteln ; später wurden solche der Ausrüstungsindustrie errichtet. Nach Kriegsende strömte ausländisches Kapital in das Land, was die Modernisierung der Anlagen und eine Steigerung der Produktion sowie die Erstellung neuer Fabriken zur Folge hatte. Marokko besitzt heute eine blühende Industrie, die aber den Bedürfnissen des Landes noch nicht genügt.

Die Bedingungen des Aussenhandels von Marokko wurden in der Algecirasakte festgelegt. Diese sieht vor, dass alle dort eingeführten Waren, gleichgültig aus welchem Lande sie stammen, mit einem Wertzoll von 12,5 Prozent belegt werden; für einzelne Artikel wurde dieser auf 7,5 Prozent reduziert. Da Marokko aber nicht die Möglichkeit besass, Schutzzollbestimmungen zu erlassen, sah Frankreich bestimmte Kontingente für die zollfreie Einfuhr vor. Dagegen wurden die französischen Einfuhrrestriktionen allgemein auf Marokko ausgedehnt, das nicht
in den Genuss der Liberalisierungsmassnahmen auf dem Gebiete des Warenaustausches gelangt ist. Seit 1949 wurden, was den Handel der Schweiz mit Marokko anbelangt, in den schweizerisch-französischen Verhandlungen jeweils spezielle Kontingente bezüglich Marokko festgesetzt, und zwar für die Gesamtausfuhr nach diesem Lande. Diese Kontingente wurden in progressiver Weise erhöht. Unser Handel wickelt sich zum grössten Teil über Casablanca ab (80-90% der Importe und 70-80% der Exporte). Er wird charakterisiert durch eine starke Einfuhr von Fertigfabrikaten und Nahrungsmitteln einerseits und eine 'dominierende marokkanische Ausfuhr von Eohmaterialien und landwirtschaftlichen Erzeugnissen anderseits.

1141 Der schweizerisch-marokkanische Handel wird durch die nachstehenden, Ziffern (je in Fr. 1000) illustriert: 1947

Einfuhr . .

Ausfuhr. .

1948

1949

1950

1951

1952

1953

1954

1955

5 252 3 780 9 573 7165 9.993 4 534 6 422 4 648 5 205 5 299 7 377 8 549 7 140 10 332 14 850 17 119 15 878 15 018

Die schweizerischen Importe aus Marokko, die zeitweise ziemlich bedeutend waren, bestehen hauptsächlich, in der Beihenfolge ihres Wertes aufgezählt, aus Phosphaten, Gemüsen, Kork, Pflanzenfasern, Bohbaumwolle, Blasen und Därmen, Saffian, Fischkonserven, Erbsen usw. sowie je nach den Umständen auch aus Getreide (Gerste, Hafer usw.). Die Schweiz ihrerseits führt, ebenfalls wertmassig aufgezählt, in der Hauptsache Maschinen, Stickereien, Instrumente und Apparate, Uhren, Kondensmilch, Beifen und Schläuche, Kunstseidengarne, Schuhe, Farben, Schreibmaschinen, Baumwollgewebe, Käse usw. aus.

Unter den verschiedenen europäischen Kolonien in Marokko zählt die schweizerische mit ungefähr 2 600 Seelen zu den wichtigsten.

Die Schweiz ist in Marokko durch ein Konsulat und eine Konsularkanzlei in Casablanca vertreten, die beide unter der Leitung eines Beruf s-Generalkonsuls stehen. In Tanger werden die schweizerischen Interessen durch einen Beruf s-Vizekonsul gewahrt.

Tunesien Die Oberfläche von Tunesien mit rund 115 000 km2 beträgt ungefähr ein Viertel derjenigen von Marokko. Das Land erstreckt sich über den östlichen Atlas, der dort teilweise von tiefen Tälern durchzogen wird, und senkt sich langsam gegen die Küste ab. Es hat die Gestalt eines Vorgebirges im Zentrum der Mittelmeerregion, das sich zugleich gegen die Strasse von Sizilien und gegen das levantinische Mittelmeer ausdehnt. Das ganze Land ist gegen das Meer orientiert.

Dessen Einfluss ist charakteristisch für Tunesien : seine Hauptstadt, die wichtigsten Städte, die meisten Dörfer sogar, sind Häfen. Ihrer Beziehungen zum Ausland und zu den Fremden wegen strahlt von den reichen Städten eine intensive und entscheidende Wirkung auf das arme und relativ dünn besiedelte Hinterland aus.

Die Bevölkerung wird auf ungefähr 3 600 000 Einwohner geschätzt, hauptsächlich berberischen Ursprungs. Die Landessprache aber ist das Arabische; nur zwei Prozent der Einwohner sprechen berberisch, im Gegensatz zu andern nordafrikanischen Gebieten. Diese Entwicklung von Tunesien ist auf die zahlreichen arabischen Einfalle und auf den Einfluss der Städte, in denen sich der Islam mit seiner arabischen Sprache festsetzte, zurückzuführen. Die europäische Bevölkerung, die sich vorwiegend aus Franzosen und Italienern zusammensetzt, beträgt rund 250 000 Personen.

.Tunesien tritt
mit der Gründung von Karthago in die Weltgeschichte ein.

Der phönizische Einfluss überdauerte dessen Fall während Jahrhunderten.

Noch ausgeprägter war derjenige Borns und insbesondere auch des Christen-

1142 tums: er hielt an unter Besetzung des Landes durch die Vandalen und durch Byzanz. Erst zu Beginn des VIII. Jahrhunderts trat der Islam endgültig an die Stelle des Christentums. Während des Mittelalters und der früheren Neuzeit musste Tunesien Invasionen und vorübergehende Besetzungen seitens der Normannen, der Marokkaner und der Spanier über sich ergehen lassen. Die Folgen davon waren der Zerfall der früheren Kultur und eine Verarmung des Landes.

Seit 1575 stand Tunesien, von Beis regiert, unter der Oberhoheit der Pforte.

Erhöhte Bedeutung für Europa erhielt es nach 1830, das heisst nach der Besetzung Algeriens durch die Franzosen. Am 12.Mai 1881 schloss der Bei mit Frankreich den Vertrag von Bardo, der sein Land unter das Protektorat von Frankreich stellte, das mehr als 70 Jahre Bestand haben sollte. Am 20.März 1956 erfolgte. die Unabhängigkeitserklärung Tunesiens durch die Unterzeichnung eines Protokolls durch den französischen Aussenminister und den Präsidenten der tunesischen Regierung.

Wie Marokko, erhält auch Tunesien damit als souveräner Staat grundsätzlich das Eecht, diplomatische Vertreter ins Ausland zu entsenden und solche auf seinem eigenen Territorium zu empfangen. Über die Modalitäten stehen noch Verhandlungen bevor.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist Tunesien ein Land, das weder der Fruchtbarkeit noch anderer natürlicher Mittel entbehrt. Eine Quelle des Eeichtums liegt in seinen Blei-, Zink- und Eisengruben. Die Lager sind zahlreich, wenn auch zerstreut; dies führt zu einer oft schwierigen und kostspieligen Ausbeutung.

Dagegen bilden die ausserordentlich reichhaltigen Phosphatvorkommen' mit ihrer produktiven Schürfung unbegrenzte Eeserven.

Im Gegensatz zu Marokko bietet der Boden der Landwirtschaft weniger Möglichkeiten. Die unbebaubare Fläche Tunesiens wird im allgemeinen auf 60 Prozent geschätzt. Infolge der nur unregelmässig fallenden Regenmengen und der Schwierigkeiten hinsichtlich der Bewässerung ist lediglich die Hälfte des produktiven Landes nutzbar, das heisst etwas mehr als eine Million Hektaren. In der Hauptsache wird Getreide produziert sowie in einigen klimatisch günstigeren Gegenden auch Obst und Gemüse.

Wie in Marokko, hängt die Viehzucht von den klimatischen Verhältnissen ab. Die Viehbestände sind oft der Trockenheit ausgeliefert. Immerhin nehmen sie unter
dem Einfluss moderner Konzeptionen regelmässig zu.

Die Industrie hat, obwohl sie heute noch in einer Anfangsperiode sich befindet, einen bemerkenswerten Aufschwung genommen, dies in einem Land, das zu Anfang dieses Jahrhunderts erst das Handwerk kannte. So wurden unter anderem Bleigiessereien und eine Zementfabrik errichtet. In den Vororten der Hauptstadt Tunis erzeugen chemische Fabriken Superphosphate und Hyperphosphate. Hier befinden sich auch Brauereien, Müllereien,. Fischkonservenfabriken, ölereien usw. Zwei grosse Stauwerke wurden in Angriff genommen, um die Erzeugung elektrischer Energie zu erhöhen.

Der Aussenhandel ist mit demjenigen zu Beginn der Protektoratsperiode nicht zu vergleichen. Allein Tunesien litt erheblich unter den militärischen Ope-

1143 rationen des letzten Weltkrieges, denen nachher die inneren Wirren folgten.

Im Jahre 1939 führte das Land hauptsächlich Olivenöl, Getreide, Weine, Phosphate, Eisen und Blei aus. Heute sind die Phosphate der bedeutendste Exportartikel.

.

.

Bis zur Bildung der französich-tunesischen Zollunion war die gesamte Einfuhr in Tunesien kontingentiert. Wie in bezug auf Marokko erreichte, die Schweiz in ihren Verhandlungen mit Prankreich seit 1949 die Einräumung von Kontinr genten für ihren Export nach Tunesien, Kontingente, welche seither sukzessive erhöht wurden. Das französisch-tunesische Wirtschafts- und Finanzabkommen vom 3. Juni 1955 schuf mit Wirkung ab 1. Januar 1956 eine Zollunion zwischen diesen beiden Ländern. Es wurde ein gemeinsamer Zolltarif für alle ausländischen Produkte aufgestellt. Gleichzeitig wurde die französische Importregelung mit ihren Liberalisierungsmassnahmen auf Tunesien erstreckt, sowie ein neues Fis?

kalregime (mit Produktions- und Verbrauchssteuern), ähnlich demjenigen Frankreichs eingeführt.

Die Zahlen (in 1000 Fr.) über den .schweizerischen Handelsverkehr mit Tunesien lauten wie folgt: 1947

1948

1949

' 1950

1951

1952

1953

1954

1955'

Einfuhr. .

674 754 980 5582 3186 3560 3391 681 791 Ausfuhr. . 2708 3606 2232 1730 2715 2888 3495 3784 3437 In der Reihenfolge ihres Wertes aufgezählt führt die Schweiz aus Tunesien Schwämme, Phosphate, Datteln, Rohwolle, Olivenöl usw. ein. Zeitweise wurden beachtliche Mengen Blei.importiert, so 1950 für 1,1, 1952 für 2,8 und 1953 für 2,7 Millionen Franken.

Die schweizerischen Exporte zeigen ein regelmässigeres Bild. Sie betreffen Maschinen, Uhren, Instrumente und Apparate, Kondensmilch, Baumwollgewebe, Schreibmaschinen, Schuhe, Reifen und Schläuche usw.

Die Schweizerkolonie in Tunesien zählte Ende 1955 rund 570 Personen.

Die Schweiz unterhält in Tunis ein Konsulat, das unter der Leitung eines Berufskonsuls steht.

Libyen Wir benützen im übrigen den Anlass der Errichtung einer Gesandtschaft in Tunesien, um Ihnen gleichzeitig vorzuschlagen, eine solche auch in seinem Nachbarstaate Libyen zu eröffnen. Dabei beabsichtigen wir, im gegebenen Zeitpunkt den Leiter einer unserer Posten in Nordafrika auch in Tripoli zu akkreditieren.

Weder die Handelsbeziehungen noch die Interessen der Schweizerkolonie die Zahl der in Libyen niedergelassenen Landsleute ist gering - würden die Errichtung einer. Gesandtschaft, rechtfertigen. Wenn wir uns trotzdem zu einem solchen Schritte entschliessen, so sind vorwiegend politische Überlegungen massgebend. Seitens der libyschen Regierung.ist uns zu verstehen gegeben wor·den,, .dass-sie grossen Wert..auf die Anknüpfung diplomatischer Beziehungen

1144 legen würde. Ein Eingehen auf diesen Wunsch entspricht den Kegeln der internationalen Courtoisie.

Libyen, das eine Grosse von l 759 000 km2 aufweist, liegt zwischen Tunesien und Ägypten. Es gliedert sich in die'Küstenebene (Dschefera), die 500 bis 1000 m hohe Landstufe des tripolitanischen Dschebel, die Felswüste Hammadae-Homra mit dem Becken des Fessan, die -Hochfläche von Barka mit der Marmarika und dem Anteil an der Libyschen Wüste. Es besitzt in der Küstenzone mediterranes, im Inneren Wüstenklina. Mit Ausnahme der Oasen ist Libyen nur durch künstliche Bewässerung kultivierbar. Seine Bevölkerung, in der überwiegenden Mehrheit Muselmanen, wird auf l 200 000 Köpfe geschätzt, davon weniger als 50 000 Europäer. Von den Einwohnern leben ungefähr 200 000 in Städten; die sesshafte Landbevölkerung umfasst ca. 500 000 Seelen. Die Zahl der Halbnomaden beträgt, wie die der echten Nomaden, rund 200 000 Köpfe.

In die Geschichte trat Libyen nach dem Fall Karthagos als römische Provinz ein. Im VII. Jahrhundert durch die Araber unterworfen, kam es im XVI.

unter die Herrschaft der Türken. Im Anschluss an den italienisch-türkischen Krieg wurde es im Lausanner Vertrag vom 18.Oktober 1912 an Italien abgetreten und blieb bis 1948 eine italienische Kolonie unter der Bezeichnung Tripolitanien. Einige Jähre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, am 24. Dezember 1951, wurde es zu einem unabhängigen Königreich proklamiert. Als solches ist es unter anderem auch von der Schweiz anerkannt worden.

In wirtschaftlicher Hinsicht kann Libyen als Agrarland bezeichnet werden in dem Sinne, dass eine Industrie fehlt und die einzigen Produkte des Landes landwirtschaftlicher Art sind. In den Küstendistrikten gedeihen Datteln, Oliven, Orangen und andere Früchte. Die Küste liefert ferner Salze und vor allem Schwämme. Das anschliessende Steppengebiet produziert Getreide, wird im übrigen aber vorwiegend als Weideland benützt.

Der Handelsverkehr zwischen der Schweiz und Libyen hält sich in Anbetracht der verhältnismässig geringen Liefer- und Aufnahmefähigkeit des Landes in bescheidenen Grenzen. Immerhin ist in beiden Eichtungen eine fast stete Zunahme des Warenaustausches festzustellen. Wenn die schweizerischen Exporte vom vergangenen Jahr gegenüber 1954 um eine Million Franken zurückgingen, so dürfte dies nicht auf eine
allgemeine rückläufige Bewegung zurückzuführen sein, sondern eher darauf, dass im Jahre 1954 eine ungewöhnliche Zunahme der schweizerischen Ausfuhr, bedingt durch besonders grosse Maschinenlieferungen, zu verzeichnen war.

Die Ziffern unseres Warenaustausches mit Libyen zeigen (in 1000 Fr.)

folgendes Bild: Einfuhr Ausfuhr

1949

1950

1951

1952

1953

1954

26 201

42 168

159 288

118 297

97 730

510 2 600

1055

656 l 600

Libyen exportierte in der Hauptsache Schwämme, ölhaltige Früchte und Körner sowie Olivenöl. Das Hauptkontingent unserer Ausfuhr sind Uhren; die

1145 übrigen Exporte betreffen, in mehr oder weniger grösseren Abstufungen, pharmazeutische Produkte, Maschinen, Baumwollgewebe, Käse und Konserven.

In der Handhabung ihrer Importpolitik sind die Behörden Libyens autonom.

Dabei werden ihre die Einfuhr betreffenden Vorschriften gegenüber Drittstaaten in gleicher Weise angewendet.

Was die Art unserer Vertretung in Libyen anbetrifft, so beabsichtigen wir in Tripoli keineswegs die Schaffung eines selbständigen Postens mit einer dauernden Besetzung.

Zusammenfassend bemerken wir, dass die Errichtung von Gesandtschaften in Eabat, Tunis und Tripoli die Beziehungen zwischen der Schweiz und den 'drei in Rede stehenden arabischen Staaten festigen und der Wahrung der dortigen schweizerischen Interessen förderlich sein wird. Gleichzeitig tragen wir damit einem Wunsche der marokkanischen, tunesischen und libyschen Begierung Eechnung.

Den Zeitpunkt der Eröffnung dieser Posten, nach Ablauf der Eeferendumsfrist, wird der Bundesrat bestimmen.

Wir sind überzeugt davon, dass unser Land aus den vorgesehenen neuen Beziehungen Nutzen wird ziehen können. In dieser Überzeugung beantragen wir Ihnen, den dieser Botschaft beigeschlossenen Bundesbeschluss zu genehmigen und benützen die Gelegenheit, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den I.Juni 1956.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Feldmann Der Bundeskanzler : Ch. Oser

1146 (Entwurf)

Bundesbeschluss »

über

die Errichtung von diplomatischen Vertretungen

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 1. Juni 1956, beschliesst :

Art. l Der Bundesrat wird ermächtigt, in Marokko, Tunesien und Libyen diplomatische Vertretungen zu errichten.

Art. 2 Der Bundesrat wird beauftragt, diesen Bundesbeschluss gemäss dem Bundesgesetz vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen und den Zeitpunkt seines Inkrafttretens festzusetzen.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Errichtung neuer diplomatischer Vertretungen (Vom 1. Juni 1956)

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