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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Amnestiegesuche zugunsten der Teilnehmer am spanischen Bürgerkrieg.

(Vom 20. Januar 1989.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen über die Amnestiegesuche zugunsten der Teilnehmer am spanischen Bürgerkrieg wie folgt zu berichten: I.

1. Am 14. August 1986, wenige Wochen nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Spanien, erliessen wir, gestützt auf Art. 102, Ziff. 8 und 9, der Bundesverfassung, ein Verbot der Ausreise aus der Schweiz zur Teilnahme an diesen Feindseligkeiten sowie der Unterstützung oder Begünstigung dieses Krieges von der Schweiz aus. Mit Beschluss vom 25. August 1986 stellten wir die Widerhandlungen gegen diese Verbote und .das Auffordern oder Anreizen" zu derartigen Widerhandlungen unter Strafe; die Strafdrohungen lauten auf Gefängnis bis zu 6 Monaten oder Busse bis zu Fr. 10 000 (A. S. 52, 689, 645). Ausdrücklich vorbehalten ist in diesen Beschlüssen Art. 94 des Militärstrafgesetzes, der den Eintritt eines Schweizers in fremden Militärdienst, sofern keine Erlaubnis des Bundesrates vorliegt, mit Gefängnis und das Anwerben für fremden Militärdienst sowie das Begünstigen solcher Anwerbung mit Gefängnis nicht unter einem Monat und mit Busse bestraft.

2. Diese Vorschriften sind von zahlreichen Schweizerbürgern übertreten worden, die sich nach Spanien begaben, sich dort auf der einen oder andern Seite in dia kämpfenden Armeen einreihen Hessen und an den Feindseligkeiten teilnahmen. Genaue Angaben über die Zahl dieser sogenannten Spanienfahrer, die einzeln oder in kleinen Gruppen und zu verschiedenen Zeiten dorthin reisten, liegen nicht vor; als niedrigste Schätzung ist die Zahl von 400 genannt worden. Die Kriegführenden haben über ihre fremden Hilfskräfte, wenigstens insoweit es sich um kleinere Kontingente handelt, keine nähern Mitteilungen gemacht.

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Inzwischen sind nun aber viele dieser Kämpfer wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt. Wie die Ausreise aus der Schweiz zur Teilnahme an den Feindseligkeiten schon in den ersten Monaten des Krieges begann und sich über die folgenden beiden Jahre erstreckte, so erfolgte auch die Eückkehr stufenweise bereits seit 1936. Gegen die Bückkehrenden, zum Teil aber auch gegen Abwesende, wurde wegen Übertretung der beiden Bundesratsbeschlüsse vom August 1986 und des Art. 94 MStG durch das eidgenössische Militärdepartement gemäss Art. 110, Ziff. 4 MStGO die Strafuntersuchung eingeleitet. Über die Ergebnisse dieser Untersuchungen liegt abschliessend auf den 10. Januar 1939 eine Übersicht vor, aus der folgendes hervorgeht: 1937

1938

Zusammen

Verurteilungen 4 Freisprüche ·. -- Keine weitere Folge (Einstellung). . . . . . --· Verfahren sistiert gemäss Art. 166 MStGO . --

1936

146 6 13 14

89 13 25 5

239 19 38 19

4

179

132

315

Unter diesen Verurteilungen von 4 146 89 239 finden sich Kontumazialurteile gemäss Art. 166 2 90 33 125 In 28 Wiederaufnahmeverfahren sind aufgehoben worden 25 Urteile, so dass zurzeit noch Kontumazialurteile gegen 100 Angeschuldigte bestehen.

Art. 166 MStGO regelt das Verfahren gegen Abwesende. Er gestattet die Beurteilung von Angeschuldigten auöh dann, wenn sie nicht vor Gericht gestellt werden können, sofern ein genügender Schuldbeweis vorliegt. Ist dies aber nicht der Fall, so muss das Verfahren eingestellt werden.

Die vorstehende Übersicht ergibt, dass sich die Militärgerichte bisher mit insgesamt 315 Fällen befasst haben und in 239 Fällen zur Verurteilung gelangten.

Davon sind mehr als die Hälfte, nämlich 125 Urteile, im Kontumazialverfahren ergangen; 25 derselben wurden freilich im Wiederaufnahmeverfahren nachträglich aufgehoben. Die Zahl der zu Eecht bestehenden Verurteilungen reduziert sich damit auf 214. Als verbüsst sind bis zum 10. Januar 1939 57 Urteile gemeldet. Es bleiben zu verbüssen 157 Fälle, nach Abzug der 100 nicht aufgehobenen Kontumazialurteile bloss 57 Èalle. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Vollzugsmeldungen der zuständigen Behörden vielfach erst geraume Zeit nach Verbüssung der Strafen eintreffen; man ist daher zur Annahme berechtigt,-dass tatsächlich zurzeit erheblich mehr Urteilei bereits vollzogen sind oder sich im Vollzug befinden.

Wieweit die noch bestehenden Kontumazialurteile überhaupt vollstreckt werden können, lässt sich nicht voraussehen. Dies hängt davon ab, wieweit die Verurteilten zurückkehren und wieweit alsdann eine Wiederaufnahme des

118 Verfahrens verlangt und das Urteil bestätigt wird. Ungewiss wie die Zahl derjenigen, die im spanischen Bürgerkrieg kämpften, ist es auch, wieviele von ihnen dort gefallen sind, wieviele nach der Schweiz zurückkehren werden und wieviele endgültig oder bis zum Ablauf der Straf verjährung im Ausland verbleiben.

Sozusagen allen Urteilen liegt eine Verletzung von Art. 94 MStG zugrunde.

Nur in zwei Fällen stützte sich das Gericht allein auf die Bundesratsbeschlüsse vom August 1936. Bei den übrigen Urteilen wird man nicht fehlgehen mit der Annahme, dass auch da, wo die Verurteilung noch auf Grund anderer Bestimmungen ausgesprochen wurde, das Schwergewicht doch auf dem Art. 94 MStG lag. So erklärt es sich auch, dass die Mehrzahl der Fälle, in denen Straftaten gegen das Miltärstrafgesetz und andere Vorschriften zugleich zu beurteilen waren, gemäss Art. 221 MStG den militärischen Gerichten übertragen worden ist.

Bei Verurteilung der Angeschuldigten ist als Hauptstrafe fast ausnahmslos, in 238 Fällen, Gefängnis ausgesprochen worden, vereinzelt unter Zubilligung des militärischen Vollzuges (7 Fälle) ; in 13 Fällen wurden die Gefängnisstrafen bedingt erlassen. Auf Einstellung im Aktivbürgerrecht als Nebenstrafe wurde in 200 Fällen erkannt.

Zur Zahl der im Jahre 1938 erledigten Verfahren ist zu beachten, dass darin die Urteile der Militärgerichte aus den Monaten November und Dezember nicht inbegriffen sind, da die Meldungen darüber noch fehlen. Es ist demnach vorauszusehen, dass sich die Zahl für 1938 noch erhöhen wird.

Hängig sind zurzeit bei den Militärgerichten 51 Strafverfahren. Darin sind allerdings viele gemäss Art. 167 MStGO inbegriffen, die die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Begehren eines in Abwesenheit Verurteilten bezwecken. Viele von diesen Verurteilten stellen sich nachträglich freiwillig den Gerichten, und ebenso mehren sich die Fälle, in denen die aus Spanien Zurückgekehrten, ohne dass bisher gegen sie ein militärgerichtliches Verfahren eröffnet worden wäre, sich aus eigenem Entschluss den Gerichten melden.

Neben der grossen Zahl von militärgerichtlich entschiedenen Fällen sind die den bürgerlichen Gerichten zur Beurteilung überwiesenen Angeschuldigten sehr wenig zahlreich. Insgesamt sind uns für die Jahre 1937 und 1938 nur 7 derartige Überweisungen gemeldet worden. Diese Fälle scheinen
erledigt zu sein; ungewiss ist immerhin, ob ihnen noch weitere folgen werden.

3. Gegen Ende des Jahres 1938 sind nun vielfach Stimmen laut geworden, die eine Amnestie für alle Teilnehmer am spanischen Bürgerkrieg verlangen.

In Volksversammlungen wurden Beschlüsse gefasst, die dieses Begehren unterstützten, und im gleichen Sinne sind Private und Vereinigungen mit Eingaben an uns gelangt.

Am 13. Dezember 1938 hat Herr Nationalrat Huber (St. Gallen) mit einem Postulat den Bundesrat eingeladen, «den eidgenössischen Eäten Bericht und Antrag darüber vorzulegen, ob nicht den Schweizerbürgern, die als Freiwillige am1 spanischen Bürgerkrieg teilgenommen haben, Amnestie zu gewähren sei».

119 Dieses von 69 Mitunterzeichneten unterstützte Postulat wurde am 21. Dezember im Eate begründet und von uns ohne Präjudiz zur Prüfung entgegengenommen. Nationalrat Huber wies in der Begründung des Postulates auch darauf hin, dass sich Unterschriftenlisten für eine gleichlautende Petition im Umlauf befinden, die bereits im Dezember von über 40 000 Schweizerbürgern unterzeichnet worden seien. Den Bundesbehörden ist diese Petition noch nicht eingereicht worden.

Die Bundesversammlung sieht sich damit vor die Frage gestellt, ob diesen Amnestiebegehren entsprochen werden soll.

II.

Die Bedeutung der Amnestie und die Möglichkeit ihrer Anwendung nach schweizerischem Staatsrecht ist durch die Bundesversammlung schon wiederholt geprüft und abgeklärt worden. Es ist deshalb nicht notwendig, uns hier einlässlich mit ihrem Wesen zu befassen, sondern es kann an die bisherige Praxis erinnert werden.

Wie die Begnadigung, so ist auch die Amnestie ein Akt der Staatshoheit, mit dem in den ordentlichen Gang der Rechtspflege eingegriffen wird. Im Gegensätze zur Begnadigung erstreckt sie sich aber nicht bloss auf die Strafvollstreckung, also auf den gänzlichen oder teilweisen Erlass oder die Milderung einer durch rechtskräftiges Urteil verhängten Strafe, sondern sie kann auch die Einstellung der Strafverfolgung (Niederschlagung, Abolition) umfassen.

Überdies unterscheidet sie sich von der Begnadigung dadurch, dass sie sich nicht auf einen Einzelfall beschränkt, sie kommt vielmehr insgesamt zur Anwendung zugunsten einer grösseren Zahl von Personen, die alle dasselbe bestimmte oder mehrere solche Vergehen zu verantworten oder sich alle an einer bestimmten strafbaren Handlung beteiligt haben.

In gewissen frühern Fällen war nicht abgeklärt, ob die Amnestie nur die Niederschlagung von noch nicht durch Urteil erledigten Prozessen umfasse, also nur zu bewirken vermöge, dass eine Untersuchung nicht angehoben oder fortgesetzt oder ein Urteil nicht ausgesprochen werde (Blumer-Morel, Handbuch des Bundesstaatsrechts, Bd. III, S. 79; Bundesbl. 1902, Bd. V, S. 867 ff.).

Im Jahre 1902 hat aber die Bundesversammlung festgestellt, dass die Amnestie auch die Befugnis zur Aufhebung rechtskräftig erkannter Strafen in sich schliesse (Sten. Bull. 1902, S. 739 ff.). Seitdem gilt es im schweizerischen Staatsrecht als entschieden,
dass die Amnestie sowohl die Anhebung und die Fortsetzung des Strafverfahrens wie auch den Vollzug von. ausgesprochenen und rechtskräftigen Urteilen zu verhindern vermag. In unserm Bericht an die Bundesversammlung über die Amnestiegesuche zugunsten der Teilnehmer am Generalstreik vom November 1918 haben wir den Begriff folgendermassen umschrieben: «Wir verstehen demnach unter Amnestie einen Akt der Gnade, der sich auf eine Mehrzahl von Delikten erstreckt, seien diese bereits beurteilt oder nicht. Die Amnestie kann also zugunsten von Verurteilten und von

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Nichtverurteilten ausgesprochen werden. Mit ihrer Gewährung erlischt sowohl das Verfolgungsrecht wie das Vollstreckungsrecht» (Bun'desbl. 1919, Bd. III, S. 731 ; vgl. ferner die dort zitierte Literatur und übereinstimmend Burckhardt, Kommentar, III. Auflage, S. 680; Hafter in Pestschrift für E. Zürcher 1920, S. 80).

Als abgeklärt kann heute auch gelten, dass die Bundesversammlung nicht nur in bürgerlichen, sondern ebenso in Militärstrafsachen das Eecht zur Amnestierung besitzt. Wir hatten dies zwar in unserem Bericht vom 15. Dezember 1902 über das Amnestiegesuch zugunsten der nach dem Generalstreikin Genf wegen Ausreissens Verurteilten (Bundesbl. 1902, Bd. V, S. 867/870) noch verneint, die Bundesversammlung bejahte jedoch ihre Zuständigkeit auch für diese Fälle. Bloss daraus, dass die Militärstrafgerichtsordnung in Art. 214 den Bundesrat, und im Falle des aktiven Dienstes den Höchstkommandierenden, nur für die Begnadigung als zuständig erklärt, darf nicht geschlossen werden, dass damit die Amnestie in Militärstrafsachen überhaupt nicht möglich sei. Für alle Fälle, in denen ein Delikt dem eidgenössischen Becht untersteht, gilt vielmehr, in Ermangelung einer einschränkenden Bestimmung, die Kegel von Art. 85, Ziff. 7 BV, also auch in Militärstrafsachen (Sten. Bull.

1902, 747; Burckhardt, Komm. 682, 681 i. f., Bundesrecht Nr. 2100, 2101 Z. I, 2102 Z. II S. 625, 2104 Z. II; Bundesbl. 1919, Bd. III, S. 782; Fleiner, BStE, S. 440 und 441, Anm. 88).

Die Gewährung der Amnestie steht den eidgenössischen Bäten zu, die darüber, im Gegensatz zur Ausübung der Begnadigung, nicht in der vereinigten Bundesversammlung, sondern getrennt zu beschliessen haben. Die Bundesversammlung hat, angesichts des verschiedenen Wortlauts der Art. 85, Ziff. 7, und Art. 92 BV, die Fälle der Amnestie stets in getrennter Beratung der Kammern behandelt. In unserem Bericht über die Amnestiegesuche zugunsten der Teilnehmer am Generalstreik vom November 1918 setzten wir die rechtlichen Gründe, die für diese Regelung sprachen, eingehend auseinander, und die eidgenössischen Bäte stimmten zu. Das nämliche war der Fall bei der Behandlung der Postulate Eymann und Willemin (Burckhardt, Komm. S. 718 und Anm. 8; Bundesrecht, Nr. 2102, Ziff. II, S. 626 und dort zitierte Literatur und Ziff. III, Nr. 2104; Fleiner, BStB, S.'441).

III.

- Nach Bekanntwerden der Amnestiebegehren wurde uns von kantonalen Vollzugsbehörden die Frage vorgelegt, ob nicht bis zum Entscheid der Bundesversammlung die Einleitung von Straf Untersuchungen, die gerichtliche Beurteilung und der Vollzug von Urteilen gegenüber Spanienfahrern einzustellen seien. Wir hielten dafür, dass, wenn überhaupt in den Gang der Strafverfolgung eingegriffen werden solle, wir uns jedenfalls auf diejenigen vorsorglichen Vorkehren beschränken mussten, die erforderlich sind, um heute schon die Zweckerfüllung einer in einem spätem Zeitpunkt möglicherweise ausgesprochenen

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Amnestie soweit als tunlich sicherzustellen. Dafür genügt es, den Vollzug ausgesprochener Strafen, soweit er nicht bereits begonnen hat, zu sistieren.

Würde man alle Strafen, die noch nicht angetreten sind oder die bis zum Amnestieentscheid noch ausgesprochen werden, vollstrecken lassen, so würden von letzterem, falls er positiv ausfällt, desto mehr Delinquenten ausgeschlossen, je länger er auf sich warten lässt. Damit würden gerade diejenigen benachteiligt, die früher heimkehren, gegenüber denjenigen, die das Gesetz am ausdauerndsten übertreten. Aus diesen Erwägungen erachteten wir es als begründet, das Nötige anzuordnen, damit bis zum Entscheid über die Amnestie der Antritt von Strafen unterbleibe. Dagegen erschien es uns als zu weitgehend, auch die Anhebung von Untersuchungen hinauszuschieben oder den Gang des Verfahrens und die Urteilsfällung zu hemmen. In diesem Sinne haben wir am 17. Januar 1939 folgende Verfügung getroffen: «1. Mit Eücksicht auf die gestellten Amnestiebegehren ordnet der Bundesrat im Eahmen seiner Zuständigkeit an, dass der Vollzug von Strafen, die wegen unmittelbarer Teilnahme am Bürgerkrieg in Spanien auf der einen oder andern Seite der Kämpfenden (BEB vom 14. und 25. August 1986; Art. 94 MStG) ausgesprochen worden sind oder noch ausgesprochen werden, bis zum Entscheid der Bundesversammlung über die Amnestiebegehren zu sistieren ist.

2. Demgemäss wird das eidgenössische Militärdepartement angewiesen, die Mitteilung von Urteilen der Militärgerichte über solche Vergehen an den Vollziehungskanton (Art. 207 MStGO) aufzuschieben. Soweit diese Mitteilung bereits stattgefunden hat, ist die zuständige kantonale Behörde einzuladen, im gleichen Sinne den Strafvollzug einstweilen aufzuschieben.

Das nämliche ist für den Fall des militärischen Strafvollzuges anzuordnen (Art. 80 MStG, VO vom 29. November 1927 und 29. April 1988).

8. Ebenso wird die Sistierung des Strafvollzuges bei Verurteilung wegen der genannten Vergehen durch bürgerliche Gerichte angeordnet (Art. 240, 247, 256 BStrP).

4. Unberührt von dieser Verfügung bleibt der Vollzug von Strafen, die zurzeit bereits angetreten sind, ferner von Strafen wegen Vergehen, die nicht Übertretungen des Verbotes einer unmittelbaren Beteiligung an Feindseligkeiten in Spanien darstellen (wie Waffenlieferungen, Anwerbung u. dgl.).» Es
bedarf keiner Erörterung, dass mit dieser Anordnung der Entscheid der Bundesversammlung in keiner Weise präjudiziert werden wollte. Es handelte sich lediglich darum, die Ungleichheiten zu vermindern, die sich bei der Amnestierung einer grossen Zahl von Angeschuldigten, die zu verschiedenen Zeiten von der Strafverfolgung erfässt werden, notwendig ergeben, für den Fall, dass die Bundesversammlung den gestellten Begehren entspricht.

Wird die Amnestie abgelehnt, so sind die Strafen zu vollstrecken, ohne dass von der vorübergehenden Sistierung ein Nachteil für die Eechtsverfolgung zu gewärtigen ist.

122 IV.

Handelt es sich nun darum, zur Frage der Gewährung oder Ablehnung der Amnestie Stellung zu nehmen, so muss man sich vor allem das Wesen und den Zweck derselben, insbesondere in ihrem Gegensatz zur Begnadigung, vor Augen halten. Noch mehr als die letztere stellt die Amnestie eine ganz aussergewöhnliche Massnahme dar, eine Durchkreuzung des staatlichen Strafanspruches, die um so gewichtiger erscheint, als sie durch einen einzigen Beschluss eine grosse Zahl von Personen umfasst. Sie kann deshalb auch nur durch ausserordentliche Gründe gerechtfertigt werden. Diese Grunde sind nicht rechtlicher, vielmehr politischer Art. Die Amnestie wird im Interesse des Staates gewährt, nicht oder jedenfalls nicht vorwiegend aus Eücksicht auf die betroffenen Personen. Die Schuld des einzelnen und seine Würdigkeit, dem Eichter oder den Vollstreckungsorganen entzogen zu werden, wird nicht untersucht; die Berücksichtigung solcher Momente könnte bei der grossen Zahl der Fälle ja wohl niemals zu einem einheitlichen Schluss führen. Die ,,Umstände der einzelnen Tat, die Person des Delinquenten, die Härte, mit welcher die Strafe ihn trifft, alle diese für die Frage einer Begnadigung ausschlaggebenden Faktoren treten bei der Amnestie in den Hintergrund und werden verdrängt durch allgemeine staatspolitische Erwägungen. Nicht darnach ist hier zu fragen, ob die Verfolgten und Verurteilten besondere Milde verdienen, ob ihr Tun trotz des Verstosses gegen das Strafgesetz begreiflich und in gewissem Sinne entschuldbar erscheint. Zu einer Amnestie wird sich die Behörde nur dann entschliessen, wenn sie der Überzeugung ist, dass die Strafvollstreckung an den durch politische Ereignisse in Massen zur Straftat Hingerissenen von der öffentlichen Meinung als unerträglich empfunden würde und demnach nicht wie eine gerechte und notwendige Sühne beruhigend wirken, vielmehr umgekehrt Erbitterung erzeugen und neue politische Leidenschaften aufwühlen müsste.

Forscht man nun nach den Umständen, die eine Amnestie rechtfertigen könnten, so möchten wir von vornherein gewisse öffentliche Kundgebungen ausscheiden, die zum Empfang und zur Verherrlichung heimkehrender Spanienkämpfer da und dort veranstaltet worden sind, aus bewusst einseitiger politischer Einstellung und zum Zwecke der Stimmungsmache; derartige allzu durchsichtige Veranstaltungen
sind nicht geeignet, einem Staatsakt von der Tragweite einer Amnestie den Weg zu bereiten. Ernsthafter sind jene Argumente, die auf die Beweggründe hinweisen, welche die meisten Spanienfahrer zur Tat veranlasst haben und mit denen die strenge Bestrafung nach ihrer Bückkehr in die Heimat nicht in Einklang stehe. In der Eegel seien diese Leute, so sagt man, nach Spanien gezogen, um daselbst für eine ihrer Überzeugung nach gute Sache einzustehen. Die schlechtesten Elemente seien es nicht, die solchermassen für eine Idee sogar ihr Lebeu, einzusetzen bereit gewesen seien. Keinesfalls könne ihnen ehrlose Gesinnung vorgeworfen werden.

Es entspreche der Auffassung unseres Volkes überhaupt nicht, wenn der frei-

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willige Eintritt in fremde Heere und die Teilnahme an Kampfhandlungen, wie sie noch im Weltkrieg massenhaft vorgekommen seien, unter Strafe gestellt werde. Art. 94 MStG, der übrigens, soweit er nicht nur die Anwerbung für fremden Militärdienst betrifft,. erst im Laufe der Beratung und gegen den anfänglichen Widerstand des Nationalrates ins Gesetz aufgenommen worden sei, bezwecke im Grunde nur, dass das Verkaufen von Schweizern in fremde Dienste, der Handel mit Schweizerblut aufhöre. Jedenfalls habe den Schweizern, die sich in Spanien anwerben Hessen, das Bewusstsein gefehlt, sich dadurch strafbar zu machen. Vollends verstosse die Strenge, mit welcher Art. 94 von den Militärgerichten angewendet worden sei, gegen die allgemeine Auffassung; unter diesem Eindruck haben die Gerichte selbst schon eine mildere Praxis eingeschlagen. Schliesslich wird, in ähnlichen Gedankengängen, auf die historische Eeisläuferei hingewiesen, in der sich die Eidgenossen früherer Jahrhunderte geradezu rühmlich hervorgetan und durch ihre Waffentaten den Eespekt der damals Mächtigen errungen haben ; wenn heute noch manchem Schweizer etwas davon im Blute stecke, so verdiene er deswegen in seiner Heimat nicht als Verbrecher behandelt zu werden.

Würdigt man diese Argumente unter dem Gesichtspunkt der für eine Amnestie im allgemeinen erforderten Voraussetzungen, so wird man zugeben müssen, dass es schwierig wäre, sie als hiefür geeignet und genügend gelten zu lassen. Vorweg ist der Kritik an Art. 94 MStG entgegenzutreten, der hier praktisch die Hauptrolle spielt. Mit gutem Grund ist diese Bestimmung gegen die Schwächung unserer Wehrkraft ins Gesetz aufgenommen worden; denn unser Land erträgt es heute weniger als je, dass seine Söhne, die es vielleicht bitter nötig braucht, sich ohne Zustimmung der Behörde in fremden Militärdienst begeben. Dass der Artikel erst im Laufe der parlamentarischen Beratung ins Gesetz eingefügt wurde, spricht keineswegs gegen seine Notwendigkeit, eher im Gegenteil, und es geht nicht an, ihn nach kaum zehnjähriger Geltung gleichsam als unanwendbar zur Seite schieben zu wollen. Dagegen hilft auch die Berufung auf das alte Eeisläufertum nicht, das als historische Erscheinung seine Bedeutung und sein Interesse behält, heute jedoch überlebt ist und nicht mehr in unsere Zeit passt.

Dazu kommt der Erlass
unserer Beschlüsse vom 14. und 25. August 1986, durch welche wir die Teilnahme an den Feindseligkeiten in Spanien und schon die Ausreise aus der Schweiz zu diesem Zwecke ausdrücklich verboten und unter Strafe stellten. Dies geschah aus Besorgnis um die strikte Wahrung unserer Neutralität und zur Vermeidung internationaler Konflikte. Wenn es auch richtig ist, dass der einzelne Schweizerbürger durch freiwilligen Eintritt in. ein fremdes kriegführendes Heer die Neutralität als staatliche Maxime nicht verletzt, weil er als Privatmann handelt, so konnte doch die massenhafte Beteiligung von Schweizern am Bürgerkrieg in Spanien zum mindesten beim ausländischen Betrachter im Hinblick auf die schweizerische Neutralität Befremden erwecken und sich leicht in gefährlicher Weise auswirken. Über Art. 94 MStG hinaus wurde hier mit voller Absicht eine weitere Schranke

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gezogen; diejenigen, welche sie trotzdem durchbrachen, können sich nicht heute auf fehlendes Bewusstsein einer rechtswidrigen Handlung berufen.

Ein Nachteil der Amnestie würde in der starken Ungleichheit liegen, die sie in der Behandlung der Spanienfahrer mit sich brächte, indem viele von ihnen ihre Freiheitsstrafe, die in der ersten Zeit wohl regelmässig noch strenger ausfiel als später, schon verbüsst haben. Als entscheidend würden wir allerdings diesen Übelstand, der sich bei einer Amnestie meist einstellen wird, nicht betrachten. Wesentlicher ist dagegen der Umstand, dass der Bürgerkrieg in Spanien nicht beendet ist und wir nicht wissen, wie viele Schweizer tatsächlich daselbst noch kämpfen. Es würde jedenfalls nicht angehen, eine Amnestie mit unbeschränkter Wirkung für die Zukunft auszusprechen; vielmehr müsste durch eine zeitliche Befristung oder in ähnlicher Weise die Massnahme auf diejenigen Kämpfer beschränkt werden, die rechtzeitig zurückkehren oder das Mögliche für ihre Eückkehr getan haben.

Eine weitere Ungleichheit würde mit der Amnestie geschaffen gegenüber den Schweizern, die in die französische Fremdenlegion eintreten und hiefür auf Grund von Art. 94 M St G bestraft werden, obschon ihr Vergehen weniger schwer wiegt als das der Spanienfahrer, die sich neben der Verletzung des Militärstrafrechts noch eines weitern Vergehens schuldig gemacht haben.

Entscheidend für die Stellungnahme wird sein, - ob man die Argumente zugunsten der Spanienfahrer schliesslich als tauglich erachtet, eine Amnestie überhaupt zu rechtfertigen. Dabei gehen wir wohl nicht fehl in der Annahme, dass die Bundesversammlung, wie schon in ihrer bisherigen Praxis, sich in dem Sinne zurückhaltend zeigen wird, dass sie die Amnestie nur bewilligt, wenn sie sie als wirkliche politische Notwendigkeit einschätzt. Denn man darf sich nicht verhehlen, dass diese so einschneidende und ausserordeniliche Massnahme der Eechtssicherheit und der Autorität des Staates abträglich werden kann, wenn sie nicht mit der gebotenen Zurückhaltung gehandhabt wird. Vornehmlich geeignet für eine Amnestie sind nun vor allem innere Unruhen, nach deren Beilegung die öffentliche Meinung im Interesse des Friedens und der Versöhnung der Parteien den Verzicht auf die Ahndung der begangenen strafbaren Handlungen begrüsst und wünscht. Eine Gefährdung
staatlicher Interessen nach aussen, wie sie von Seite der Spanienfahrer vorliegt, erweckt in dieser Hinsicht weit mehr Bedenken. In der Tat können wir von dem einzig massgebenden politischen Gesichtspunkte hier die Voraussetzungen für eine Amnestie nicht als erfüllt betrachten. Was zu ihren Gunsten vorgebracht wird, berührt weit mehr die persönlichen Verhältnisse, insbesondere die Beweggründe des einzelnen zur Tat, während die Eücksichten auf das eigene Heimatland in unverantwortlicher Weise missachtet und dieses Land der Gefahr von Verwicklungen ausgesetzt wurde.

Wenn wir aus diesen Erwägungen dazu gelangen, Ihnen die Ablehnung der Amnestiegesuche zu beantragen, so möchten wir doch nicht unterlassen, auf die Möglichkeit der Begnadigung verurteilter Spanienfahrer hinzuweisen,

125 die in den militärgerichtlich beurteilten Fällen in der Kompetenz des Bundesrates liegt. Dieser Weg wird uns eine Milderung des Urteils gestatten, wo die Umstände sie nahelegen. Freilich könnte eine Begnadigung nicht auf Gesuch des Verurteilten hin ohne weiteres gewährt werden. Vielmehr wird im Einzelfall geprüft werden müssen, ob zureichende Gründe vorliegen, die vom Gerichte ausgefällte Strafe ganz oder teilweise, bedingt oder unbedingt zu erlassen, wie ja auch die vorwiegend persönliche Bedeutung der zugunsten der Spanienfahrer geltend gemachten Gründe eher die Begnadigung im Einzelfall als eine allgemeine Amnestie rechtfertigen. Die letztere kann und soll also nicht, falls sie abgelehnt wird, einfach durch die Begnadigung ersetzt werden. Wo aber der Vollzug der Strafe für den Verurteilten oder seine nächsten Angehörigen eine besondere Härte bedeutet und die gesamten Umstände zugunsten des Verurteilten sprechen, sind wir bereit, auf Gesuch hin von unserer Kompetenz zur Begnadigung in dem durch die Umstände gebotenen Umfang Gebrauch zu machen.

Gestützt auf diese Erwägungen beantragen wir Ihnen, die Amnestiebegehren abzulehnen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 20. Januar 1939.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Etter.

nés

Bundesblatt. 91. Jahrg. Bd. I.

Der Bundeskanzler: G- Bovet.

11

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