zu 14.417 Parlamentarische Initiative Nachbesserung der Pflegefinanzierung Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 21. März 2016 Stellungnahme des Bundesrates vom 3. Juni 2016

Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 21. März 20161 betreffend die parlamentarische Initiative «Nachbesserung der Pflegefinanzierung» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

3. Juni 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Ausgangslage

Am 13. Juni 20082 hat das Parlament das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung verabschiedet. Die Finanzierung der Pflegeleistungen wurde im Bundesgesetz vom 18. März 19943 über die Krankenversicherung (KVG) so geregelt, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) abhängig vom Pflegebedarf einen Beitrag in Franken ausrichtet. Die nicht von den Sozialversicherungen gedeckten Pflegekosten werden von den Versicherten bis zu einem Betrag von höchstens 20 Prozent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Pflegebeitrags finanziert, und die Kantone regeln die Restfinanzierung.

Am 21. März 2014 reichte Ständerätin Christine Egerszegi-Obrist (FDP, AG) die parlamentarische Initiative 14.417 «Nachbesserung der Pflegefinanzierung» ein. Die ungeregelte Zuständigkeit für die Restfinanzierung der Pflegekosten wird darin von der Initiantin als grösster Mangel bei der Neuordnung der Pflegefinanzierung bezeichnet.

Im Rahmen der Restfinanzierung führen die unterschiedlichen kantonalen Regelungen vor allem für Patientinnen und Patienten, die ausserkantonal erbrachte Pflegeleistungen in Anspruch nehmen, zu Finanzierungs- und Zuständigkeitsdiskussionen.

Im Fall eines ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalts oder einer ausserkantonal ambulant erbrachten Krankenpflege stellt sich insbesondere die Frage, welcher Kanton für die Festsetzung der Höhe des Beitrags der versicherten Person an die Pflegekosten sowie für die Restfinanzierung zuständig ist.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) gab der Initiative am 4. Juli 2014 einstimmig Folge. Am 15. Oktober 2014 stimmte die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) diesem Beschluss ohne Gegenstimme zu. Am 17. November 2014 beantragte die SGK-S dem Büro des Ständerates die Einsetzung einer Subkommission. In der Folge diskutierte die Subkommission über die neu zu regelnden Aspekte der Pflegefinanzierung und schlug eine Änderung von Artikel 25a Absatz 5 KVG vor. Die SGK-S hiess den entsprechenden Vorentwurf und erläuternden Bericht am 1. September 2015 einstimmig gut und beschloss, eine Vernehmlassung durchzuführen.4 Am 21. März 2016 nahm sie die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Kenntnis und stimmte dem Bericht- und Erlassentwurf mit 10 zu 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu.

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BBl 2008 5247 SR 832.10 Die Vernehmlassungsunterlagen und die Ergebnisse der Vernehmlassung sind zu finden unter www.bundesrecht.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2015 > PK

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat hat bereits in seinem Bericht vom 21. Oktober 2015 über die Zuständigkeit für die Restfinanzierung im Rahmen der Pflegefinanzierung in Erfüllung der Postulate 12.4051 und 12.40995 ausgeführt, dass er die Restfinanzierung bei ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten als ein vordringliches Problem der Umsetzung der Neuordnung der Pflegefinanzierung betrachtet. Entsprechend steht der Bundesrat dem Anliegen der parlamentarischen Initiative 14.417 und dem von der SGK-S vorgelegten Entwurf positiv gegenüber.

Die SGK-S schlägt eine Gesetzesänderung vor, die sicherstellen soll, dass in jedem Fall klar ist, welcher Kanton für die Restfinanzierung von Pflegeleistungen zuständig ist, die ambulant oder in einem Pflegeheim erbracht werden. Artikel 25a Absatz 5 KVG soll deshalb wie folgt ergänzt werden: «Für die Festsetzung und Auszahlung der Restfinanzierung zuständig ist der Kanton, in dem die versicherte Person ihren Wohnsitz hat. Der Aufenthalt in einem Pflegeheim begründet keine neue Zuständigkeit.» Die Neuregelung soll nicht nur im Falle eines ausserkantonalen Pflegeheimaufenthaltes, sondern auch im Falle von ausserkantonal ambulant erbrachter Krankenpflege gelten. Bei Kurzaufenthalten (z. B. Aufenthalte bei eigenen Kindern zu Hause) in anderen Kantonen, während derer ambulant erbrachte Krankenpflege (z. B. Spitexleistungen) in Anspruch genommen wird, wird dadurch kein neuer Wohnsitz begründet, sodass der Wohnsitzkanton für die Restfinanzierung der Pflegeleistungen zuständig bleibt.

Diese Regelung orientiert sich an Artikel 21 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 20066 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG). Die Erfahrungen mit dieser seit 1. Januar 2012 geltenden ELG-Bestimmung haben gezeigt, dass die Zuständigkeitsstreitigkeiten beim Bezug von Ergänzungsleistungen stark zurückgegangen sind. Dies trägt zur Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bei.7 Bei dieser Regelung ist keine Einflussnahme von Kantonen (oder auch Gemeinden) auf den Wohnsitzwechsel einer Person zu erwarten, da der Heimeintritt an der Zuständigkeit nichts ändert. Zudem ist der Herkunftskanton in Bezug auf die Pflegefinanzierung, die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen zuständig, was zu einer Kohärenz mit dem ELG führt. Übernimmt der Herkunftskanton die Restfinanzierung 5 6 7

Zu finden unter www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Suche Curia Vista > (VorstossNummer eingeben) SR 831.30 Im Rahmen der in Vorbereitung befindlichen EL-Reform wird eine Änderung von Art. 21 Abs. 1 ELG vorgeschlagen (vgl. Erläuternder Bericht vom 25. Nov. 2015 zur Teilrevision des Bundesgesetzes vom 6. Okt. 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; zu finden unter www.bundesrecht.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2015 > EDI). Es handelt sich um eine Präzisierung der geltenden Regelung, wonach Art. 21 Abs. 1 ELG unabhängig davon gilt, ob eine Person vor dem Eintritt ins Heim bereits EL bezogen hat oder nicht. Der Bundesrat wird die Botschaft zur EL-Reform voraussichtlich vor Ende 2016 verabschieden. Da der Kanton jedoch unabhängig von einem allfälligen EL-Bezug zur Restfinanzierung der Pflegekosten verpflichtet ist, hat diese vorgeschlagene Präzisierung keine materiellen Auswirkungen auf die hier vorgeschlagene Änderung des KVG.

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der Pflegeleistungen auch bei einem ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalt, so kann vermieden werden, dass Kantone finanziell benachteiligt werden, in denen mehr Pflegeheimplätze zur Verfügung stehen, als für die eigene Bevölkerung benötigt werden. Dies begünstigt eine kantonsübergreifende Pflegeheimplanung.

Allerdings fallen mit dieser Lösung die kantonale Zuständigkeit für die Restfinanzierung der Pflegeleistungen und diejenige für die Spitalfinanzierung (Wohnkanton nach Art. 49a KVG) auseinander, wenn mit Heimeintritt ein Wohnsitzwechsel erfolgt. Nachteilig ist ausserdem, dass die Leistungserbringer mit mehreren Kantonen abrechnen müssen und die Bewohner des gleichen Pflegeheims unter Umständen unterschiedlich behandelt werden.

Wie der Bundesrat bereits in seinem Bericht vom 21. Oktober 2015 betont hat, lässt sich eine perfekte Lösung im Rahmen der Restfinanzierung bei ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten nicht finden. Es wird in jedem Fall eine interkantonale Koordination notwendig sein. Die mit der vorgeschlagenen Änderung des KVG in einigen Fällen allenfalls entstehende Inkongruenz mit der kantonalen Mitfinanzierung der stationären KVG-Leistungen und weitere Nachteile sind nach Ansicht des Bundesrates im Vergleich zu den oben ausgeführten Vorteilen dieser Lösung von geringerer Bedeutung.

Da bei der Neuregelung der Herkunftskanton für die Festsetzung der Restfinanzierung zuständig ist, ist nicht auszuschliessen, dass die von ihm festgesetzten Maximalbeiträge für die Pflegeleistungen abweichen von den Beiträgen, die in einem anderen Kanton zur Deckung der Restkosten der Pflege nötig wären. Es ist daher davon auszugehen, dass allfällig verbleibende Restkosten der Pflege durch die versicherte Person zu tragen sein werden.

Die Problematik der Restfinanzierung bei zwischen den Kantonen abweichenden Beiträgen betrifft jedoch nicht nur die vorgeschlagene Lösung mit einer Zuteilung der Verantwortlichkeit analog zum ELG, sondern bestünde auch bei einer Lösung mit Verantwortlichkeiten analog zur Finanzierung des restlichen KVG-Bereichs, wenn bei einem Heimeintritt ausserhalb des früheren Wohnkantons von den Versicherten kein neuer Wohnsitz im Standortkanton des Heims begründet wird. Insofern besteht das Problem unterschiedlicher kantonaler Beiträge zur Deckung der Restkosten unabhängig von der
nun vorgeschlagenen Ergänzung des KVG und kann auch unabhängig davon gelöst werden. Der Bundesrat würde eine Klärung in diesem Bereich begrüssen; zuständig dafür sind seiner Ansicht nach die Kantone.

Auch andere Aspekte der Pflegefinanzierung wurden in der parlamentarischen Initiative und weiteren parlamentarischen Vorstössen sowie von den Akteuren in die Diskussion eingebracht. Der Bundesrat teilt die Auffassung der SGK-S, die in ihrem Bericht feststellt, dass zurzeit einzig bezogen auf die Restfinanzierung gesetzgeberischer Handlungsbedarf auf Bundesebene bestehe, und die Einschätzung vertritt, dass für weitere Punkte wie die Beiträge der OKP, die Unterscheidung zwischen Kosten der Pflege und der Betreuung oder die Definition der Akut- und Übergangspflege derzeit keine Notwendigkeit bestehe, auf Bundesebene gesetzgeberisch tätig zu werden.

Die Beiträge der OKP für die einzelnen Pflegebedarfsstufen werden bereits durch den Bund im Rahmen der Prüfung der Kostenneutralität der Einführung der Neuord4566

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nung der Pflegefinanzierung überprüft (vgl. dazu die Übergangsbestimmung zur Änderung vom 13. Juni 2008 des KVG [Pflegefinanzierung]). Bezüglich der Harmonisierung der Pflegebedarfsinstrumente wird das BAG, wie der Bundesrat in seiner Antwort vom 4. März 2016 auf die Interpellation 15.4224 angekündigt hat, prüfen, wie die Definition von Mindestanforderungen an die Systeme auf Verordnungsebene beschrieben werden kann.

Entscheidend für die korrekte Abgrenzung der Pflege- von den Betreuungskosten ist die Umsetzung der vorhandenen gesetzlichen Grundlagen auf Ebene der Kantone.

Die Neuordnung der Pflegefinanzierung sieht einen Beitrag der OKP, eine beschränkte Beteiligung der Versicherten und die Regelung der Restfinanzierung durch die Kantone vor. Wie der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme vom 13. März 2014 zur Interpellation 14.4191 ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber von den Kantonen verlangt, dass sie das neue Finanzierungssystem so umsetzen, dass sie die von der OKP nicht gedeckten Kosten übernehmen. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass das Risiko einer Abwälzung der Pflegekosten auf die Versicherten besteht. Insbesondere die Rechnungslegung ist in der Verordnung vom 3. Juli 2002 8 über die Kostenermittlung und die Leistungserfassung durch Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime in der Krankenversicherung (VKL) geregelt. Die entsprechenden Bestimmungen legen die Voraussetzungen für Transparenz aufgrund einer einheitlichen Methode fest. Dazu gehört namentlich, dass die Kosten der einzelnen Leistungsbereiche durch geeignete Instrumente (wie z. B. eine heimspezifische Arbeitszeitanalyse) bestimmt und transparent zuzuordnen sind. Wie der Bundesrat in der erwähnten Stellungnahme zur Interpellation 14.4191 ausgeführt hat, ist er bereit, diese Fragen mit den Kantonen und den Verbänden der Leistungserbringer und der Versicherer aufzunehmen.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Zustimmung zum Entwurf der SGK-S.

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SR 832.104

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