Bericht des Bundesrates über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik 2015 vom 3. Juni 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen den Bericht über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik 2015 und bitten Sie, davon Kenntnis zu nehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

3. Juni 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Bericht 1

Einleitung

Verschiedene Ereignisse, die das internationale Geschehen im Jahr 2015 prägten, haben sich auf die schweizerische Migrationsaussenpolitik ausgewirkt. Die Intensivierung des Konflikts in Syrien und im Irak und die fehlenden Perspektiven für die Flüchtlinge in den Nachbarländern haben massgeblich zum Anstieg der Asylgesuche in Europa beigetragen. Diese Entwicklung hat auch die Schweiz geprägt, weshalb der Bericht 2015 über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik sich auf die Migration im Mittelmeerraum konzentriert.

Die Schweiz hat sich intensiv an den Bemühungen zur Bewältigung dieser Krise beteiligt. Sie kombiniert dabei ein breites Spektrum von aussen- und migrationsaussenpolitischen Massnahmen. Die Schweiz leistet humanitäre Hilfe, um vor Ort und in Transitstaaten Not zu lindern. Sie setzt sich für den Schutz von Migrantinnen und Migranten in Erstaufnahmeländern ein und unterstützt gleichzeitig die betroffenen Staaten und die Bevölkerung darin, die enormen Herausforderungen zu bewältigen. Die Schweiz trägt auch dazu bei, dass Flüchtlinge in den Herkunftsregionen eine nicht von Nothilfe abhängige Existenz aufbauen können (Schulen, Bildung, Arbeit). Mit ihrem Engagement bearbeitet die Schweiz strukturelle, d. h. sozioökonomische und politische Fluchtursachen und trägt zu nachhaltiger Entwicklung und besseren Perspektiven bei. Mit dem Instrumentarium der Friedens- und Menschenrechtspolitik wiederum engagiert sie sich in der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung und setzt sich für eine politische Lösung der Syrienkrise und anderer Konflikte ein. Schliesslich engagiert sich die Schweiz im europäischen Rahmen, in verschiedenen regionalen Dialogen und auf globaler Ebene für kooperative Ansätze in Migrationsfragen.

Auch in anderen Regionen der Welt sind bedeutende Herausforderungen zu erwähnen: So haben zahlreiche Migrantinnen und Migranten in der Bucht von Bengalen und im Andamanischen Meer in Südostasien ihr Leben verloren, und Zehntausende von Kindern sind, oftmals unbegleitet, über verschiedene Länder Mittelamerikas gereist, um in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Auf globaler Ebene zeigt sich, dass im Berichtsjahr, wie übrigens auch in den vergangenen Jahren, die grosse Mehrheit der Flüchtlinge in Entwicklungsländern leben. Auf dem afrikanischen Kontinent hat beispielsweise
Äthiopien über 821 000 Flüchtlinge aus dem Südsudan, aus Eritrea und aus Somalia aufgenommen.

Über dieses starke Engagement zur Prävention der Zwangsmigration hinaus hat die Schweiz auch 2015 eine kohärente Migrationsaussenpolitik sichergestellt. Dies erfolgte über einen Gesamtregierungsansatz, der die Interessen der Migrationsinnenpolitik wahrt und konstruktive Lösungen insbesondere im Rückkehrbereich ermöglicht. Mit der Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit 2017­2020 sollen die Kohärenz, Effizienz und Wirksamkeit des Schweizer Engagements weiter verstärkt werden, indem die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe und der Förderung von Frieden und menschlicher Sicherheit erstmals in einem gemeinsamen strategischen Rahmen zur Anwendung kommen.

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Auf multilateraler Ebene war die Annahme der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ein wichtiger Meilenstein im Berichtsjahr. Die Agenda 2030 weist zahlreiche Bezüge zur Migration auf und kodifiziert den Paradigmenwechsel der letzten Jahre: Die Migration wird nicht mehr als Zeichen des Scheiterns der Entwicklungszusammenarbeit, sondern als wichtiger Faktor für eine globale nachhaltige Entwicklung betrachtet.

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Akteure, Instrumente und prioritäre Aktionslinien im Jahr 2015

2.1

Akteure und Instrumente

Um eine kohärente Umsetzung des Schweizer Engagements in der Migrationsaussenpolitik sicherzustellen, werden die Aktivitäten, basierend auf dem Bericht des Bundesrats vom 11. Februar 20111 über die internationale Migrationszusammenarbeit, im Rahmen von elf geografischen und thematischen Arbeitsgruppen (AG) der interdepartementalen Struktur für die internationale Migrationszusammenarbeit (IMZ) koordiniert. Die Aktivitäten der verschiedenen AG, die einen Bezug zur Migration im Mittelmeerraum aufweisen, wie auch die relevanten Informationen zur Zusammenarbeit mit der Europäischen Union (EU) werden im Rahmen der Strategischen Arbeitsgruppe Mittelmeer (SAM) zusammengeführt. An der Umsetzung der Migrationsaussenpolitik beteiligt sind das Staatssekretariat für Migration (SEM), die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA) sowie die Abteilung Menschliche Sicherheit (AMS) und die geografischen Abteilungen der Politischen Direktion des EDA, das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), das Bundesamt für Polizei (fedpol), das Grenzwachtkorps (GWK) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG).

Abhängig vom Mandat der jeweiligen Bundesstelle und den migrationspolitischen Herausforderungen werden in der schweizerischen Migrationsaussenpolitik verschiedene bilaterale und multilaterale Instrumente angewandt. Auf multilateraler Ebene trägt insbesondere der internationale Migrationsdialog massgeblich dazu bei, dass ein gemeinsames Verständnis für Migration als Chance und Herausforderung entwickelt und gefördert wird. Der internationale Migrationsdialog ermöglicht zudem, politische Veränderungen auf nationaler Ebene in die Wege zu leiten und die nötige Vernetzung zu schaffen, um konkrete Projekte zwischen staatlichen Akteuren, internationalen Organisationen oder Vetreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft zu entwickeln. Auf bilateraler Ebene reichen die Instrumente der Migrationsaussenpolitik vom Migrationsdialog über bilaterale Abkommen im Migrationsbereich, namentlich Visumbefreiungs-, Rückübernahme- oder auch Stagiairesabkommen, bis zum umfassenden Instrument der Migrationspartnerschaft.

Der Ausschuss für internationale Migrationszusammenarbeit (IMZ-Ausschuss) legt die jährlichen Prioritäten der Migrationsaussenpolitik in Form von Jahreszielen fest.

Im Berichtsjahr orientierten sich die Jahresziele massgeblich an den Aktualitäten im 1

Bericht des Bundesrats über die internationale Migrationszusammenarbeit, Februar 2011 (www.eda.admin.ch)

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Migrationsbereich und an den Aktivitäten entlang der Hauptmigrationsrouten. So wurden 2015 insbesondere zu folgenden Schwerpunktthemen Ziele formuliert: Fortführung der bilateralen Zusammenarbeit im Rahmen der bestehenden fünf Migrationspartnerschaften; Umsetzung der «Protection in the Region»-Programme und der Projekte in Syrien und den Nachbarländern sowie am Horn von Afrika; Migration und Schutz in Nordafrika; Zusammenarbeit mit der EU und Unterstützung der Mitgliedstaaten an den Schengen-Aussengrenzen, sowie zum Engagement im Rahmen des internationalen Migrationsdialogs. Nachfolgend sind die Meilensteine der Zielerreichung der interdepartementalen Migrationszusammenarbeit auf multilateraler und bilateraler Ebene des Jahres 2015 zusammengefasst.

2.2

Prioritäre Aktionslinien auf multilateraler und bilateraler Ebene im Jahr 2015

Auf multilateraler Ebene war im Berichtsjahr die Annahme der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch die Mitgliedstaaten der UNO ein wichtiger Meilenstein. Die Schweiz hat den Vorbereitungsprozess, die zwischenstaatlichen Verhandlungen sowie das Abschlussdokument aktiv und substanziell mitgeprägt ­ so auch im Bereich Migration. Die Agenda 2030 kodifiziert gewissermassen den Paradigmenwechsel der letzten Jahre. Die Migration wird nicht mehr als Zeichen des Scheiterns der Entwicklungszusammenarbeit, sondern als integraler Faktor für globale nachhaltige Entwicklung betrachtet. Das Abschlussdokument anerkennt zudem die Vulnerabilität der Migrantinnen und Migranten und setzt klare Ziele, um ihre Menschen- und Arbeitsrechte zu schützen. Gleichzeitig wird der Beitrag von Migrantinnen und Migranten am sozialverträglichen Wirtschaftswachstum hervorgehoben.

Um dies weiter zu festigen, sollen u. a. Massnahmen zur besseren finanziellen Eingliederung, zur Stärkung der Kompetenzen von Migrantinnen und Migranten, zur Reduktion der Kosten von Geldrücküberweisungen sowie zur einfacheren Anerkennung von Diplomen und Fähigkeitszeugnissen umgesetzt werden. Die Agenda 2030 setzt sich zudem das Ziel, den Menschenhandel zu beenden. Generell bietet die Agenda 2030 eine langfristige Perspektive, die dazu beitragen soll, Zwangsumsiedlungen und menschliche Tragödien, wie sie sich 2015 im Mittelmeer ereigneten, zu verhindern: Es sollen die strukturellen Bedingungen geschaffen werden, dass Migration in einem sicheren und regulären Umfeld erfolgt; die Menschenrechte aller Migrantinnen und Migranten sollen geachtet werden, und es gilt, dafür zu sorgen, dass diese Rechte respektiert werden; es sollen aber auch friedliche und offene Gesellschaften gefördert werden. Mittelfristig gilt es für die Schweiz, die globalen Vorgaben in den nationalen Kontext zu übersetzen und in ihre sektoriellen Strategien zu integrieren.

Auch das Global Forum on Migration and Development (GFMD), das im Berichtsjahr unter dem Vorsitz der Türkei stand, wurde weiterhin aktiv von der Schweiz unterstützt. Anlässlich des Gipfeltreffens in Istanbul bot sich der Schweiz die Gelegenheit, ihre positiven nationalen Erfahrungen hinsichtlich der Berücksichtigung der Migration in sektoriellen Politiken einem breiten internationalen Publikum zu präsentieren. Als konkretes Beispiel wurde dabei das Nationale Programm Migration und Gesundheit durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vorgestellt. Ein seitens 4848

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der Schweiz vorgeschlagener Mechanismus für einen stärkeren Einbezug des Privatsektors in die globale Migrationsgouvernanz stiess zudem auf grosse Zustimmung bei den anwesenden Delegationen und konnte erfolgreich verabschiedet werden.

Überdies wurden am GFMD erstmals das Phänomen der erzwungenen Migration sowie die Herausforderungen, die sich im Bereich des Schutzes dieser Menschen stellend, aus einer breiteren Perspektive thematisiert. Die Schutzagenda der NansenInitiative, die wenige Tage zuvor von 109 Staaten in Genf gutgeheissen und verabschiedet wurde, konnte dabei seitens der Schweiz als innovativer Ansatz eingebracht werden. Hervorzuheben ist dabei insbesondere der inklusive Charakter des dreijährigen Konsultationsprozesses, in dessen Rahmen Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen und der Zivilgesellschaft aus über hundert Staaten sowie Fachleute aus den relevanten Themenbereichen konsultiert wurden. Aus diesen Konsultationen kristallisierten sich einerseits die bedeutenden regionalen Unterschiede in Bezug auf das Phänomen, dass es aufgrund von Naturkatastrophen zu Vertreibung kommt; es zeigte sich aber auch bedeutende Unterschiede bei den bestehenden Massnahmen im Umgang mit diesem Phänomen, was die Notwendigkeit von regionalen Lösungsansätzen unterstreicht. Andererseits zeigte die Vielfalt dieser effektiven Praktiken auch das Handlungspotenzial auf, insbesondere im Bereich von präventiven Massnahmen in den Herkunftsländern der Vertriebenen, beispielsweise zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Betroffenen.

Im Bereich der bilateralen Instrumente war der Abschluss einer externen Evaluation der Migrationspartnerschaften2 in Erfüllung des Postulats Amarelle (12.3858; Migrationspartnerschaften. Kontrolle und Evaluationen) durch die Maastricht Graduate School of Governance ein Schwerpunkt der interdepartementalen Zusammenarbeit in der Migrationsaussenpolitik im Jahr 2015. Die Bilanz der externen Evaluation zur Wirkung und zum Mehrwert der Migrationspartnerschaften fiel insgesamt positiv aus. Die Ergebnisse der externen Evaluation bestätigen, dass die Migrationspartnerschaft das geeignete Instrument ist, um die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern durch eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten zu intensivieren. Der Bericht kommt zum Schluss, dass
den Migrationspartnerschaften ein relativ ausgeglichenes Kräfteverhältnis zwischen der Schweiz und den Partnerstaaten zugrunde liegt. Als eine der wichtigsten Errungenschaften werten die Evaluatoren zudem die verbesserte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bundesstellen und die damit erreichte Politikkohärenz im Migrationsbereich. Die externe Evaluation hat zudem gezeigt, dass eine Migrationspartnerschaft einen adäquaten Rahmen bietet, um die Interessen der Schweiz im Migrationsbereich effizient umzusetzen. Vor diesem Hintergrund beabsichtigt die Schweiz, die bestehenden Migrationspartnerschaften weiterzuführen und den bilateralen Expertentreffen in diesem Rahmen weiterhin viel Gewicht einzuräumen.

Darüber hinaus gilt es, regelmässig die Möglichkeit und Opportunität zum Abschluss weiterer Migrationspartnerschaften zu prüfen. Bei der Auswahl möglicher Partnerstaaten werden die aktuellen Chancen und Herausforderungen im Migrationsbereich eine wichtige Rolle spielen.

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Migrationspartnerschaften. Kontrolle und Evaluationen. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 12.3858, Juni 2015 (www.eda.admin.ch).

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Generell wurde die IMZ-Struktur 2011 eingeführt, um eine kohärente Migrationsaussenpolitik sicherzustellen, das heisst eine Politik, die verschiedene Aspekte wie Schutz, Rückkehr, Entwicklungsbeitrag der Migrantinnen und Migranten, Migrationsgouvernanz oder Bekämpfung der irregulären Migration berücksichtigt. So versucht die Schweiz, soweit dies sinnvoll und möglich ist, ihr Engagement im Bereich der internationalen Zusammenarbeit mit den Interessen der Migrationsinnenpolitik (Rückkehr, Prävention der irregulären Migration) zu verknüpfen.

Dieser Ansatz, der im Instrument der Migrationspartnerschaften am besten zum Ausdruck kommt, trägt bereits Früchte. Im Jahr 2015 hat die Schweiz ihr starkes Engagement für die erfolgreiche Umsetzung der fünf bestehenden Migrationspartnerschaften (Tunesien, Nigeria, Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo) fortgeführt. Am Beispiel Tunesien hat sich gezeigt, dass eine Reihe von Projekten, die den Prioritäten der tunesischen Regierung entsprechen (z. B. Berufsbildungsprojekt der DEZA, das zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen soll), eine stärkere Zusammenarbeit in den Bereichen Rückkehr und Rückübernahme ermöglichen.

Dieser kohärente Ansatz wird im Rahmen der Botschaft über die internationale Zusammenarbeit der Schweiz 2017­2020, welche die Instrumente der Entwicklungshilfe, der humanitären Hilfe und der Förderung des Friedens und der menschlichen Sicherheit miteinander verbindet, weitergeführt und verstärkt.

Zudem hat der Bundesrat 2012 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beauftragt, eine Liste der prioritären Länder im Rückkehrbereich zu erstellen, mit denen die Zusammenarbeit blockiert ist. Dieser Idee liegt die Idee zugrunde ist, dass Möglichkeiten geprüft werden, zusätzlich zum migrationsaussenpolitischen Engagement der Schweiz weitere Bereiche der bilateralen Zusammenarbeit (insbesondere aussen- und aussenwirtschaftspolitische Dossiers) an Fortschritte im Rückkehrbereich zu knüpfen. Diese Prüfung findet im Rahmen der interdepartementalen IMZStruktur statt. 2015 befinden sich Algerien, Äthiopien, Iran, Marokko und die Mongolei auf dieser Länderliste, wobei insbesondere mit der Mongolei und Algerien in den vergangenen Jahren Fortschritte in der Rückkehrzusammenarbeit erzielt werden konnten. Demgegenüber sind die Möglichkeiten zur
zwangsweisen Rückführung in den Iran und nach Äthiopien weiterhin blockiert. Im Fall von Marokko konnten Einzelfälle gelöst werden, die Zusammenarbeit bleibt aber schwierig und sehr zeitintensiv. Der Stand der Umsetzung dieses Bundesratsbeschlusses wird aktuell im Rahmen der IMZ-Struktur einer vertieften Überprüfung unterzogen. Die Ergebnisse in diesem Bereich werden im Tätigkeitsbericht 2016 zur schweizerischen Migrationsaussenpolitik ausführlich erläutert.

Neben den oben genannten Instrumenten verfügt die schweizerische Migrationsaussenpolitik über ein breites Instrumentarium an Programmen und Projekten in den folgenden Bereichen: Schutz vulnerabler Migrantinnen und Migranten sowie der Förderung ihrer Menschenrechte; Synergien zwischen Migration und Entwicklung; Rückkehr-, Reintegrations- und Strukturhilfe; Prävention irregulärer Migration sowie Massnahmen zur Stärkung der Kapazitäten nationaler Behörden oder zivilgesellschaftlicher Akteure. Diese Aktivitäten werden von den betroffenen Bundesstellen gemäss ihrem Auftrag und den verfügbaren Ressourcen finanziert.

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2.3

Finanzierung

Verschiedene Kredite des EDA tragen zur Finanzierung der schweizerischen Migrationsaussenpolitik bei: humanitäre Hilfe, globale Kooperation, regionale Kooperation, Kooperation mit Osteuropa, Förderung des Friedens und der menschlichen Sicherheit. So hat beispielsweise die DEZA im Berichtsjahr rund 85 Millionen Franken für Projekte im Migrationsbereich ausgegeben. Hinzu kommen Beiträge an internationale Organisationen wie das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), die Internationale Organisation für Migration (IOM) oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die sich für Flüchtlinge, vulnerable Migrantinnen und Migranten oder intern Vertriebene einsetzen. Dieses Engagement wird in der Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2017­2020 bekräftigt und gar verstärkt.

Ein anderer Teil der Tätigkeiten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik wird durch den vom SEM verwalteten Verpflichtungskredit für die internationale Migrationszusammenarbeit von insgesamt 110 Millionen Franken für die Dauer von 2012 bis 2018 abgedeckt. Für das Jahr 2015 standen insgesamt 20 Millionen Franken zur Verfügung, wovon die Mehrheit in Projekte und Programme in Zusammenhang mit der Migration im Mittelmeerraum floss. Schwerpunkte bildeten die beiden Programme der Schweiz zur Stärkung des Schutzes von Flüchtlingen und Migranten in ihren Herkunftsregionen («Protection in the Region») in Syrien und den Nachbarländern und am Horn von Afrika, Aktivitäten im Rahmen der Migrationspartnerschaften mit den Ländern des Westbalkans, Nigeria und Tunesien sowie allgemein das migrationsaussenpolitische Engagement in Nordafrika.

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Migrationsaussenpolitischer Fokus 2015: Migration im Mittelmeerraum

3.1

Herausforderungen entlang der Migrationsrouten

Die Flüchtlings- und Migrationssituation im Mittelmeerraum stand angesichts anhaltender bewaffneter Konflikte, politischer Verfolgung, schwerer Menschenrechtsverletzungen, Perspektivenlosigkeit und der sich verschlechternden humanitären Bedingungen im Nahen und Mittleren Osten, am Horn von Afrika sowie in Nord- und Subsahara-Afrika im Brennpunkt der internationalen Migrationsdebatten. Obwohl im globalen Vergleich nach wie vor nur ein geringer Anteil der inzwischen weltweit über 60 Millionen vertriebenen Menschen den Weg nach Europa einschlägt, konzentrierten sich die Aufmerksamkeit und Erwartungen der internationalen Gemeinschaft verstärkt auf den europäischen Kontinent. Die Ankunft einer sehr hohen Anzahl von Migrantinnen und Migranten und der dadurch zunehmende politische Druck auf Herkunfts-, Transit- und Zielstaaten hatten zur Folge, dass auf europäischer Ebene weitgreifende Massnahmen gefordert und ausgearbeitet wurden hinsichtlich der Förderung der Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten, der Verstärkung der Präsenz auf hoher See, der Bekämpfung von Schleppernetzwerken, der Verringerung irregulärer Migrationsbewegungen sowie der Stärkung der innereuropäischen und globalen Solidarität. Vor diesem Hintergrund hat die EU4851

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Kommission am 13. Mai 2015 die «European Agenda on Migration» als neues Grundlagendokument veröffentlicht.

Während im Jahr 2014 die zentrale Mittelmeerroute von Nordafrika ­ vorwiegend aus Libyen ­ nach Italien die Hauptroute Richtung Europa darstellte, haben sich die Migrationsbewegungen im Jahr 2015 zunehmend auf die östliche Route (TürkeiGriechenland-Balkanstaaten) verlagert. Bis Ende Jahr haben über eine Million Menschen in Europa Schutz gesucht, wobei Deutschland und Schweden mit Abstand die wichtigsten Zielländer blieben. Eine grundlegende Änderung der Situation ist angesichts fehlender politischer Lösungen für bewaffnete Konflikte und Krisensituationen, die schwerwiegende Konsequenzen für die betroffene Zivilbevölkerung haben, auch im Jahr 2016 nicht zu erwarten. Die hohe Anzahl schutzsuchender Personen stellt die betroffenen Transit- und Aufnahmestaaten kurz- bis mittelfristig vor humanitäre, logistische und gesellschaftspolitische Herausforderungen. Ganz unmittelbar sind die Staaten gefordert, den Schutz und die humanitäre Unterstützung betroffener Personen sicherzustellen, zusätzliche adäquate Unterbringungsstrukturen zu schaffen, die internationalen Verpflichtungen des Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte konsequent einzuhalten sowie effiziente und faire Asylverfahren durchzuführen. Mittelfristig müssen der Förderung der Toleranz, des sozialen Friedens in den Aufnahmeländern und der längerfristigen sozialen Integration sowie der arbeitsmarktlichen Eingliederung anerkannter Flüchtlinge besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die effektive Rückführung abgewiesener Asylsuchender, denen kein internationaler Schutz gemäss dem Abkommen vom 28. Juli 19513 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge zusteht, ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil einer kohärenten Migrationspolitik.

Die Einsicht darüber, dass die Bewältigung der Herausforderungen der globalen Migration nur mit einem koordinierten und gesamtheitlichen Ansatz angegangen werden kann, ist zunehmend gewachsen. Dennoch sind im Berichtsjahr die Diskussionen hinsichtlich der Verpflichtung einzelner Staaten zu konkreten Unterstützungsleistungen und mehr Solidarität nur zögerlich verlaufen. Die Komplexität der innen- und aussenpolitischen Aufgaben hat die europäische Zusammenarbeit im Rahmen des Dublin-Systems auf die Probe gestellt
und den Ruf nach Reformen der Mechanismen lauter werden lassen. Grundsätzliche Fragen wurden bezüglich der Verteilungsgerechtigkeit und der globalen Verantwortung aufgeworfen. Zu den konkreten Massnahmen auf EU-Ebene im Jahr 2015 zählten der Vorschlag zur Umverteilung von Asylsuchenden innerhalb der EU (Relocation-Programm) sowie der Vorschlag, ein freiwilliges Neuansiedlungsprogramms (Resettlement) durchzuführen. Auf Grundlage dieser Vorschläge verabschiedeten die EU-Mitgliedstaaten Beschlüsse hinsichtlich des Resettlements von 32 256 Personen sowie für die Relocation von 160 000 besonders vulnerablen Personen. Durch die Schengen-/DublinAssoziierung war die Schweiz eng in die auf europäischer Ebene laufenden Diskussionen zum Umgang mit der Migrationssituation einbezogen; die Schweiz hat sich im Grundsatz für eine freiwillige Beteiligung an diesen Programmen ausgesprochen.

Weiter wurde die Einrichtung gemeinsamer Empfangsstellen (sog. «Hotspots») in den am stärksten betroffenen Staaten (v. a. Griechenland, Italien) an den EUAussengrenzen beschlossen. Darüber hinaus hat die EU die Operation «Sophia» zur 3

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Bekämpfung der Schleppernetzwerke im Mittelmeer auf der Grundlage eines Mandats des UNO-Sicherheitsrats ausgeweitet, an deren Umsetzung die Schweiz sich allerdings nicht beteiligte. Schliesslich hat die Europäische Kommission eine Reform der Europäischen Grenzschutzagentur (Frontex) und ihren Ausbau zu einer Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenschutz vorgeschlagen.

Die signifikante Zunahme an schutzsuchenden Personen und der damit verbundene Anstieg der Asylgesuchszahlen in Europa hatten verhältnismässig geringe Auswirkungen auf die Schweiz, auf welche mit 39 523 Gesuchen im Jahr 2015 lediglich 3 Prozent aller europaweit gestellten Anträge entfielen (Schweiz: +66 % im Vergleich zu 2014; Europa: +81 %). Wichtigste Herkunftsländer waren Eritrea, Afghanistan, Syrien, Irak und Sri Lanka.

3.2

Engagement der Schweiz mit Bezug zur Migrationssituation im Mittelmeerraum

Zur Etablierung mittel- und langfristiger Lösungen für die globale Migration ist ein überregionaler und multithematischer Ansatz notwendig, der am Anfang der Migrationskette ansetzt und auf die Förderung von Frieden und Menschenrechten, auf den Respekt demokratischer Grundsätze und gute Regierungsführung, die Minderung politischer und gesellschaftlicher Spannungen sowie auf eine nachhaltige und inklusive wirtschaftliche, soziale und umweltverträgliche Entwicklung in den Herkunftsländern baut. Damit einhergehend müssen die Anerkennung des Potenzials von Migrantinnen und Migrantinnen und Migranten und ihr Beitrag zur Entwicklung der Herkunfts- und Zielländer weiter gefördert werden. Das aussenpolitische Engagement der Schweiz beinhaltet unter anderem die Unterstützung und den verbesserten Schutz von Vertriebenen und Migranten in den Herkunftsregionen sowie die Einhaltung ihrer Menschenrechte, die Vorbeugung und friedliche Beilegung von Konflikten, die Katastrophenvorsorge und -bewältigung, eine längerfristige Verbesserung der Lebensbedingungen sowie Beiträge zu nachhaltigen nationalen Migrationspolitiken. Die Umsetzung konkreter Aktivitäten erfolgt basierend auf humanitären, entwicklungs-, menschenrechts- und friedenspolitischen Ansätzen sowie mittels der im Kapitel 2 beschriebenen migrationsaussenpolitischen Instrumente.

Neben dem Beitrag zur Suche nach politischen Lösungen und der Förderung des humanitären Völkerrechts ist das unmittelbare Anliegen des Schweizer Engagements in der von den Konflikten in Syrien und Irak betroffenen Region der effektive Schutz und die humanitäre Unterstützung der Zivilbevölkerung, insbesondere intern Vertriebener, Flüchtlinge und schutzbedürftiger Migrantinnen und Migranten. Die Aufnahmekapazitäten der Anrainerstaaten stossen allerdings seit längerem an Grenzen und beanspruchen die teilweise bereits schlecht funktionierenden Grundversorgungssysteme (u. a. Wasser, Gesundheitsversorgung, Schulen). Das von zusätzlichen Spannungen geprägte Verhältnis zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der Region birgt weiteres Konfliktpotenzial.

Ausserdem finden sich auch in Ländern wie dem Libanon oder Jordanien zahlreiche Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die teilweise aus Südasien und Afrika stammen und oft unter prekären Bedingungen arbeiten. Die Unterstützung der Schweiz 4853

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trägt auch dieser Tatsache Rechnung; sie unterstützt den politischen Dialog, um diese Bedingungen zu verbessern, und trägt dazu bei, die Kapazitäten der Zivilbevölkerung zu stärken. Als Antwort auf die enormen Herausforderungen, die sich hier stellen, hat die Schweiz im Berichtszeitraum eine Strategie der Zusammenarbeit entwickelt, die in dieser Region erstmals einem Gesamtregierungsansatz folgt (whole-of-government approach). Diese Strategie bestimmt das Engagement der Schweiz im Irak, in Jordanien, im Libanon, in Syrien und in einem etwas geringeren Umfang in der Türkei. Sie ist auf drei Bereiche ausgerichtet: Grundbedürfnisse und -versorgung, Schutz sowie Wasser. Die vier Stossrichtungen der Schweiz sind: finanzielle Beiträge an humanitäre Organisationen (UNO, IKRK, internationale und nationale NGO), welche die Zivilbevölkerung in Syrien und in den Nachbarländern unterstützen; Umsetzung eigener Projekte; Entsendung von Fachleute des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) an Agenturen der UNO; humanitäre Dialoge, die den Zugang der humanitären Akteure in Syrien sowie die Koordination der humanitären Hilfe auf internationaler Ebene verbessern sollen. Seit 2011 wurden 203 Millionen Franken zur Linderung der humanitären Folgen der Konflikte in Syrien und seit 2014 25 Millionen Franken für den Irak gesprochen. Im Verlauf des Jahres 2015 wurde die Hilfe vor Ort im Nahen Osten und am Horn von Afrika vom Bundesrat um 70 Millionen Franken aufgestockt. Davon wurden bis Ende 2015 30 Millionen Franken für die Betroffenen in Syrien und im Irak und 19 Franken Millionen für das Horn von Afrika verpflichtet.

Auf der Suche nach einer längerfristigen Lebensperspektive sehen sich viele Schutzsuchende gezwungen, auch eine gefährliche Weiterwanderung in Kauf zu nehmen.

Angesichts des seit fünf Jahren andauernden bewaffneten Konflikts in Syrien gewinnen Massnahmen, die über die humanitäre Aktion hinausgehen, deshalb zunehmend an Bedeutung. Die Schweiz setzt sich mittels der finanziellen und personellen Unterstützung der vom UNO-Sondergesandten für Syrien geleiteten Verhandlungen verstärkt für eine politische Lösung ein und treibt die Umsetzung entwicklungsrelevanter und friedenspolitischer Ansätze voran. Die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene dürfte ebenfalls dazu
beitragen.

Das Horn von Afrika ist eine jener Weltregionen, die seit Jahrzehnten von Migration geprägt ist. Es handelt sich dabei um gemischte Migrationsbewegungen, welche irreguläre Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende, Menschenhandelsopfer, unbegleitete Kinder und andere vulnerable Personengruppen umfassen, die sich oft aus einer Kombination von Gründen auf den Weg gemacht haben und grosse Risiken auf sich nehmen. Oft bewegen sie sich auf denselben Routen und nehmen die Dienste derselben Schlepper in Anspruch, haben jedoch aufgrund der unterschiedlichen und kombinierten Migrationsgründe auch unterschiedliche Vulnerabilitäten und Schutzbedürfnisse. Sowohl bei der internen Vertreibung als auch bei der Vertreibung über Grenzen hinweg handelt es sich oft um Langzeitphänomene, bei denen über Jahre respektive Jahrzehnte hinweg eine Rückkehr für viele Betroffene keine adäquate Option ist. Die Schweiz unterstützt verschiedene Aktivitäten, welche die Bekämpfung des Menschenhandels und Menschenschmuggels am und aus dem Horn von Afrika nach Europa beabsichtigen sowie die Erhöhung des Schutzes für Vertriebene und vulnerable Migrantinnen und Migranten, die Förderung ihrer Menschenrechte sowie einen verstärkten Dialog zwischen Herkunfts-, Transit- und Zielländern.

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In der Schweiz erhalten seit mehreren Jahren insbesondere Menschen aus Eritrea Schutz vor Verfolgung. Die eritreische Regierung ­ im Bewusstsein, dass die jungen Arbeitskräfte in Scharen das Land verlassen und dass sie das Land nicht weiterzuentwickeln vermag ­ scheint ein gewisses Interesse gegenüber der internationalen Gemeinschaft zu zeigen, bei der sie finanzielle und politische Unterstützung sucht.

Allerdings geht dieses Interesse bisher nicht mit Fortschritten im Bereich der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit oder wirtschaftlicher Reformen in diesem autokratischen Land einher. Eritrea verweigert der UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte nach wie vor die Einreise und verwehrt dem IKRK den Zugang zu den Gefängnissen. In Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern wird die Schweiz die Modalitäten eines politischen Dialogs mit der eritreischen Regierung prüfen. Die Schweiz finanziert seit Ende 2015 ein Ausbildungsprojekt für Jugendliche in Eritrea. Darüber hinaus engagiert sie sich auf multilateraler Ebene weiterhin für die Verbesserung der Menschenrechtslage in Eritrea.

Jemen war als Herkunfts-, Ziel- und Transitland während der letzten Jahrzehnte stets mit den Migrationsrouten am Horn von Afrika verbunden. Der Ausbruch des bewaffneten Konflikts seit Anfang 2015 hat entgegen den Erwartungen bisher nicht zu grösseren Migrationsbewegungen geführt, und diejenigen Personen, die migrieren, bleiben vorerst in der näheren Region. Die Schweiz hat im Berichtsjahr ihr Engagement in Jemen angepasst und vermehrt auf die Deckung der humanitären Grundbedürfnisse ausgerichtet.

Die Zusammenarbeit mit den Staaten in Nordafrika hat seit 2011 eine neue Wendung genommen und konnte beispielsweise mit Tunesien auf der Basis des Schweizer Nordafrikaprogramms sowie dank der Migrationspartnerschaft intensiviert werden. Im Berichtszeitraum zielte das Engagement der Schweiz insbesondere darauf ab, die Migrationsgouvernanz der tunesischen Behörden vor Ort zu verbessern und den Schutz für vulnerable Migrantinnen und Migranten zu erhöhen. Beispielsweise konnte im Rahmen eines Projekts, das die Einbindung der Migration in die Entwicklungsplanung anstrebt, ein interministerieller Koordinationsausschuss für Migration ­ vergleichbar mit der schweizerischen IMZ-Struktur ­ eingesetzt werden. Die Schweizer
Unterstützung verbindet im Schweizer Nordafrikaprogramm (Ägypten, Tunesien, Marokko, Libyen) die drei Schwerpunkte demokratische Transition, Wirtschaftsförderung sowie Migration zu einem breit abgestützten Massnahmenpaket als Antwort auf die politischen Umwälzungen in der Region. So trug die Schweiz beispielsweise zur Verbesserung des Schutzes von vulnerablen Personen und zur Stärkung ihrer Menschenrechte bei, unterstützte mit konkreten Hilfeleistungen Flüchtlinge, Asylsuchende, Migrantinnen und Migranten in prekären Situationen und engagierte sich über den politischen Dialog zur Verbesserung institutioneller Rahmenbedingungen. Darüber hinaus unterstützte sie das Engagement der Diaspora im Heimatland und die Ausarbeitung nachhaltiger staatlicher Migrationspolitiken.

Politische und gesellschaftliche Spannungen bleiben in der Region bestehen, allen Ländern voran in Libyen. Trotz intensiver Bemühungen hinsichtlich des politischen Dialogs zwischen den verschiedenen libyschen Akteuren zur Einsetzung einer Einheitsregierung wird die Schaffung funktionierender politischer Strukturen auf absehbare Zeit kaum erfolgen. Die instabile Sicherheitslage ohne staatliches Ge4855

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waltmonopol hat in den vergangenen Monaten das Geschäft der Schleppernetzwerke weiter begünstigt. Migrantinnen und Migranten, die Libyen entweder als Transitland für die Überfahrt nach Europa benutzen oder auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten waren, sind der organisierten Kriminalität oft schutzlos ausgeliefert. Das reduzierte Engagement in Libyen fokussiert weitgehend auf zuverlässige, internationale Organisationen oder multilaterale Partner. Beispielsweise unterstützt die Schweiz die IOM darin, besonders vulnerablen Migrantinnen und Migranten, die in Libyen gestrandet sind und in ihr Heimatland zurückkehren möchten, die Heimreise zu ermöglichen. Nicht nur auf bilateraler Ebene, sondern auch im Verbund mit anderen Staaten auch im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit im UNO-Rahmen, prüft die Schweiz laufend mögliche Unterstützungen.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Migrationsroute über die Türkei, Griechenland und die Staaten des Westbalkans hat die Schweiz ihr migrationsaussenpolitisches Engagement in dieser Region im Berichtsjahr weiter intensiviert.

Ebenfalls in diese Zeitperiode fiel die Ausarbeitung der neuen Strategie «Migrationspartnerschaften Westbalkan 2016­2019». Auf der Grundlage der privilegierten Beziehungen zu Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo im Rahmen der Migrationspartnerschaften konnte die Schweiz die betroffenen Staaten schnell und effizient bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen unterstützen. Konkret erfolgte dies beispielsweise durch die Aufbereitung von Unterbringungsstrukturen in Serbien sowie durch die Schaffung eines Netzwerks für den Informationsaustausch entlang der Migrationsroute von Griechenland bis nach Ungarn und Kroatien. Seit September 2015 unterstützt zudem ein Schweizer Experte das UNHCR und die lokalen Behörden auf den wichtigsten griechischen Anlandungsinseln bei der Verbesserung der Situation im Trinkwasser- und Sanitärbereich. Auf Ersuchen der Regierungen Sloweniens und Kroatiens konnten Schweizer Fachleute zusammen mit den jeweiligen Behörden im November die Situation an den Grenzübergängen nach Österreich respektive von Serbien analysieren und Hilfsmassnahmen in ausgewählten Transitzentren umsetzen.

Die Türkei hat im Jahr 2013 im Hinblick auf die Beitrittsverhandlungen mit der EU ihr erstes umfassendes
Ausländer- und Asylgesetz verabschiedet, welches unter anderem die Schaffung einer Migrationsbehörde vorsieht. Die neue Behörde, das «Directorate General of Migration Management», nahm im April 2014 ihren Betrieb auf. Seither begleitet die Schweiz die Türkei beim Aufbau dieser Behörde sowie bei der Ausarbeitung einer entwicklungsfördernden und kohärenten türkischen Migrationspolitik. Darüber hinaus zielt das Engagement der Schweiz auch darauf ab, die türkischen Behörden bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen in Zusammenhang mit der Syrienkrise mittels verschiedener Projekte zu unterstützen, namentlich im Bereich des Schutzes und der Integration der zahlreichen syrischen Flüchtlinge, die ausserhalb der Flüchtlingslager leben.

Schliesslich hat im Berichtsjahr die Zusammenarbeit mit der EU und ihren Mitgliedstaaten stark an Bedeutung gewonnen. So hat die Schweiz eine freiwillige Beteiligung am ersten Programm der EU zur Relocation von 40 000 schutzbedürftigen Personen, die in Italien und Griechenland bereits registriert wurden, beschlossen; im Rahmen dieser Beteiligung hat die Schweiz beschlossen, bis zu 1500 Personen aufzunehmen. Eine Beteiligung der Schweiz am zweiten Relocation-Programm für 4856

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120 000 schutzbedürftige Personen wurde im Grundsatz ebenfalls beschlossen.

Gleichzeitig hat die Schweiz auch eine Beteiligung am Resettlement-Programm der EU mit einer Aufnahme von mindestens 519 Personen angekündigt. Die Beteiligung am Resettlement und dem ersten EU-Relocation-Programm erfolgt im Rahmen des Bundesratsbeschlusses vom 6. März 2015, im Grundsatz 3000 schutzbedürftige Opfer des Syrienkonfliktes in der Schweiz aufzunehmen. Darüber hinaus hat die Schweiz 2015 auch die Staaten an den EU-Aussengrenzen, namentlich Italien und Griechenland, im Bereich der Erstaufnahme von Migrantinnen und Migranten unterstützt und ­ vorerst noch informell ­ an den Aktivitäten des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) zur Unterstützung jener EUMitgliedstaaten teilgenommen, die besonders unter Migrationsdruck stehen.

Die Migration im Mittelmeerraum war auch zentrales Diskussionsthema zahlreicher regionaler Prozesse, an denen sich die Schweiz als Mitglied- oder Beobachterstaat beteiligt. Der 2014 neu ins Leben gerufene Khartum-Prozess fördert beispielsweise den Dialog zwischen Herkunftsstaaten am Horn von Afrika sowie den Transit- und Zielstaaten in den Bereichen Schutz von Migrantinnen und Migranten, Bekämpfung von Menschenhandel und Menschenschmuggel sowie Entwicklungszusammenarbeit. Der Prozess setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: dem politischen Dialog und der Projektumsetzung. Die Schweiz hat im politischen Dialog einen Beobachterstatus inne und beteiligt sich aktiv mit ihrer Expertise auf der Projektebene. Das europäische Regional Development and Protection Programm (RDPP) für das Horn von Afrika wurde im Juni 2015 offiziell lanciert. Das vorerst dreijährige Programm will durch Projekte den Schutz für Migrantinnen und Migranten erhöhen, deren Lebensbedingungen und diejenigen der Gastgemeinden verbessern und lokale sowie zentrale Behörden stärken. Des Weiteren beteiligt sich die Schweiz am im Jahr 2006 lancierten Rabat-Prozess. Dieser regionale Prozess vereinigt die Regierungen von 55 europäischen, nord-, west- und zentralafrikanischen Staaten sowie die Europäische Kommission und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und beschäftigt sich mit den Themen reguläre Migration, irreguläre Migration, Migration und Entwicklung sowie internationaler Schutz im Zusammenhang
mit den Migrationsbeziehungen zwischen Afrika und Europa. Schliesslich unterstützt die Schweiz seit mehreren Jahren den von der ECOWAS geleiteten MIDWA (Migration Dialogue for West Africa). Als Beobachterstaat in diesem Dialog war sie massgeblich daran beteiligt, dass sich der MIDWA zu einem kontinuierlichen Prozess entwickelt hat, der zu konkreten Massnahmen im Migrationsbereich in dieser Region beiträgt. Die Ministerkonferenz vom Oktober 2015 zur irregulären Migration hat beispielsweise der ECOWAS und den westafrikanischen Staaten sowie Mauretanien ermöglicht, am Gipfel von Valletta einen gemeinsamen Standpunkt zu vertreten.

Im November 2015 lud die Europäische Kommission die Mitglied- und die Beobachterstaaten des Khartum- und des Rabat-Prozesses sowie die Mitglieder der Afrikanischen Union zu einem Gipfeltreffen in Valletta mit dem Ziel, einen gemeinsamen Ansatz zur Verbesserung der Migrationssituation im Mittelmeerraum zu finden. Beschlossen wurde unter anderem die Einrichtung eines Fonds zur Bewältigung der Ursachen von Migration in der Region des Sahels und des Tschad-Sees, am Horn von Afrika und in Nordafrika mittels konkreter Massnahmen und Projekte.

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Die Schweiz hat sich aktiv in die Vorbereitungen des Gipfeltreffens eingebracht und eine Teilnahme am Fonds in Höhe von 5 Millionen Franken in Aussicht gestellt.

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Erkenntnisse und Perspektiven 2016

Mit ihren migrationsaussenpolitischen Aktivitäten setzt die Schweiz Schwerpunkte in der Unterstützung der Herkunfts- und Transitstaaten sowie zum Schutz verletzlicher Migrantinnen und Migranten, und sie trägt zu einem konstruktiven Umgang mit den Herausforderungen der Migration bei. Die strukturellen Ursachen für Flucht und Migration hingegen können nur langfristig und mittels eines kombinierten Ansatzes, der entwicklungs-, friedens- und wirtschaftspolitischen Engagements verbindet, erreicht werden. Dank der institutionalisierten Zusammenarbeit der verschiedenen Departemente im Bereich der Migrationsaussenpolitik besitzt die Schweiz die nötigen Rahmenbedingungen, um den aktuellen Herausforderungen im Migrationsbereich konstruktiv zu begegnen. Im Berichtsjahr konnten auf diese Weise wichtige Massnahmen beispielsweise zur Unterstützung der Erstaufnahme- und Transitländer, die sich immer wieder ändernde Begebenheiten und Migrationsrouten gegenüber sehen, effizient und kohärent umgesetzt werden. Dennoch wird es auch im kommenden Jahr eine enorme Herausforderung bleiben, wie den betroffenen Personen adäquater Schutz und Sicherheit gewährt, der Kooperationswille in Europa und in den Erstaufnahme- und Transitstaaten aufrechterhalten und gestärkt sowie ein nachhaltiger Umgang mit der gestiegenen Migration gefunden werden kann. Wichtige Grundbedingungen für eine Entspannung der aktuellen Flüchtlings- und Migrationssituation werden die Suche nach politischen Lösungen für die Konflikte u. a. in Syrien und Libyen sowie die Schaffung von menschenwürdigen Lebensperspektiven in den Herkunftsregionen darstellen.

Für das Jahr 2016 hat der IMZ-Ausschuss wiederum Themen und Ziele definiert, die im Rahmen der Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik prioritär behandelt werden sollen. Ein zentraler Schwerpunkt wird weiterhin die Unterstützung der Erstaufnahme- und Transitstaaten am Horn von Afrika und im Nahen Osten sowie der Aufbau der Migrationsgouvernanz in Nord- und Westafrika sein.

Mit der Ausarbeitung einer zweiten Phase des Schweizer Nordafrikaprogramms kann zudem auf das bestehende Engagement in einer für die Schweiz nach wie vor prioritären Weltregion aufgebaut werden. Angesichts der anhaltend prekären Situation in Syrien und den Nachbarländern sowie am Horn von Afrika ist die Weiterführung
der «Protection in the Region»-Programme der Schweiz von zentraler Bedeutung. Namentlich die migrationsaussenpolitischen Aktivitäten in der Türkei werden 2016 noch weiter an Bedeutung gewinnen. Im europäischen Kontext wird die Schweiz ferner die Staaten an den Schengen-Aussengrenzen und die Staaten Südeuropas unterstützen. Ausserdem wird sie einen Beitrag hinsichtlich eines koordinierten europäischen Ansatzes leisten und sich dabei weiterhin für eine solidarische Verteilung von schutzbedürftigen Personen innerhalb Europas einsetzen. Auf multilateraler Ebene bleiben die Verbesserung der Schutzbedingungen bezüglich der grenzüberschreitenden Vertreibungen infolge von Naturkatastrophen (Weiterführung der Nansen-Initiative) und die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung im Bereich der Migration prioritär. Darüber hinaus wird die Schweiz eine 4858

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vom UNO-Generalsekretär im vergangenen November angekündigte Roadmap proaktiv unterstützen. Diese Roadmap umfasst sich gegenseitig ergänzenden Initiativen und Veranstaltungen, die im Rahmen der UNO zu den Themen Migration und Vertreibung organisiert werden. Die Schweiz unterstützt auch die Aktivitäten der WHO Europa im Bereich der Gesundheit der Migrantinnen und Migranten und dabei insbesondere die Entwicklung einer Strategie ­ basierend auf dem anlässlich der hochrangigen Tagung über die Gesundheit von Flüchtlingen und Migranten von Rom im November 2015 vereinbarten gemeinsamen Rahmen ­, welche im September 2016 verabschiedet wird und die Gesundheitssysteme unter Einbezug der Gesundheit der Migrantinnen und Migranten verstärken soll. Ein weiterer Schwerpunkt wird 2016 die Umsetzung der Empfehlungen der Evaluation der Migrationspartnerschaften sein. In diesem Zusammenhang ist namentlich vorgesehen, die Möglichkeit, neue Migrationspartnerschaften abzuschliessen, zu prüfen. Parallel dazu bleiben die Migrationspartnerschaften mit den Ländern des Westbalkans angesichts der zunehmenden Bedeutung der östlichen Mittelmeerroute von grosser Wichtigkeit für die schweizerische Migrationsaussenpolitik. Schliesslich wird auch die Verknüpfung der Migrationsaussenpolitik mit weiteren aussenpolitischen Dossiers im Sinne einer Verbesserung der Zusammenarbeit im Rückkehrbereich weiterhin eine Priorität der interdepartementalen Zusammenarbeit im Migrationsbereich bleiben.

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