zu 10.407 und 13.477 Parlamentarische Initiativen Prämienbefreiung für Kinder / KVG Änderung der Prämienkategorien für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 7. Juli 2016 Stellungnahme des Bundesrates vom 12. Oktober 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 7. Juli 20161 betreffend die parlamentarischen Initiativen 10.407 «Prämienbefreiung für Kinder» und 13.477 «KVG. Änderung der Prämienkategorien für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

12. Oktober 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Dem Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) liegen zwei parlamentarische Initiativen zugrunde: Die am 8. März 2010 von Nationalrätin Ruth Humbel (CVP, AG) eingereichte parlamentarische Initiative «Mit einer Änderung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) sind Kinder von den Krankenkassenprämien zu befreien» (10.407) und die am 12. Dezember 2013 von Nationalrat Stéphane Rossini (SP, VS) eingereichte Initiative «KVG.

Änderung der Prämienkategorien für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene» (13.477). Erstere wurde am 18. Februar 2011 von der SGK-NR angenommen, die SGK-SR folgte ihr am 6. September 2011. Letztere wurde am 15. Oktober 2014 von der SGK-NR angenommen, die SGK-SR folgte ihr am 17. November.

Da beide parlamentarischen Initiativen eine finanzielle Entlastung der Familien zum Ziel haben, beauftragte die SGK-NR ihre Subkommission «KVG», die beiden Initiativen gemeinsam zu beraten. Diese erarbeitete einen Vorentwurf, der von der SGK-NR am 23. Oktober 2015 mit Minderheitsanträgen angenommen wurde. Vom 23. November 2015 bis am 15. März 2016 unterbreitete die SGK-NR den Vorentwurf den Kantonen und anderen Organisationen zur Vernehmlassung2. Gestützt auf das Ergebnis dieser Vernehmlassung änderte sie am 7. Juli 2016 die Vorlage und verabschiedete schliesslich einen Erlassentwurf mit Minderheitsanträgen.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Erlassentwurf umfasst die Änderung von vier Artikeln. Der Bundesrat nimmt dazu wie folgt Stellung.

2.1

Risikoausgleich unter den Kindern (Art. 16 Abs. 5 KVG)

Heute regelt das KVG nicht, ob die Kinder im Risikoausgleich zu berücksichtigen sind oder nicht. Der Bundesrat konnte deshalb in der Verordnung vom 12. April 19953 über den Risikoausgleich in der Krankenversicherung (VORA) festlegen, dass die Kinder im Risikoausgleich nicht berücksichtigt werden. Als Kinder gelten dabei Versicherte bis zum vollendeten 18. Lebensjahr (Art. 61 Abs. 3 KVG).

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Der Vernehmlassungsentwurf kann unter folgender Adresse eingesehen werden: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > PK SR 832.112.1

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Der Vorentwurf sah die Einführung eines Risikoausgleichs unter Kindern vor. Eine Minderheit wollte die Kinder vom Risikoausgleich ausnehmen, das heisst, die aufgrund der VORA geltende Regelung im Gesetz verankern.

In der Vernehmlassung haben neun Kantone, die Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), der Versichererverband Curafutura, mehrere Konsumentenverbände und andere Organisationen die Einführung eines Risikoausgleichs unter Kindern befürwortet. Abgelehnt haben dies sechs Kantone, die Versichererverbände Santésuisse und RVK (der Verband der kleinen und mittleren Versicherer) sowie andere Organisationen. Santésuisse machte dabei geltend, für Kinder werde faktisch eine risikogerechte Prämie erhoben, während der RVK angab, Kinder bildeten eine homogene Risikogruppe. Zudem wurde vorgebracht, dass die Einführung eines Risikoausgleichs unter Kindern mehr Aufwand als Nutzen bringe.

Gestützt auf das Vernehmlassungsergebnis hat die SGK-NR beschlossen, die Kinder ausdrücklich vom für den Risikoausgleich massgebenden Versichertenbestand auszunehmen. Eine Minderheit beantragt jedoch, einen Risikoausgleich unter Kindern einzuführen. Unbestritten ist, dass ein Risikoausgleich unter Kindern getrennt von demjenigen unter den Erwachsenen berechnet werden soll.

Die SGK-NR führt in Ziffer 2.3 ihres Berichts aus, dass die Kosten der Nettoleistungen auch bei den Kindern je nach Risikogruppe (Alter, Geschlecht, Spitalaufenthalt im Vorjahr) unterschiedlich verteilt sind. Sie hält fest, dass die relative Variabilität der Nettoleistungen innerhalb der Risikoklassen, die sich durch Alter oder Geschlecht ergeben, bei Kindern nicht geringer ist als bei Erwachsenen. Auch der Versichererverband Curafutura hält in seiner Stellungnahme fest, dass bei den Kindern ebenfalls unterschiedliche Risikostrukturen bestehen. Er hält es deshalb für richtig, auch unter Kindern einen Risikoausgleich einzuführen. Dies gelte umso mehr, als im Risikoausgleich zukünftig weitere Unterschiede in der Risikostruktur der Krankenversicherer abgebildet werden sollen. Zudem wurde der Risikoausgleich bei den Erwachsenen in den letzten Jahren verfeinert. Deshalb ist zu befürchten, dass die Versicherer zunehmend versuchen werden, bei den Kindern nur gute Risiken zu versichern. Aus diesen Gründen erachtet
der Bundesrat die Einführung eines Risikoausgleichs unter Kindern, der getrennt von demjenigen unter Erwachsenen durchgeführt wird, für eine denkbare Option.

Da der Risikoausgleich unter den Erwachsenen zurzeit verfeinert wird, sieht es der Bundesrat jedoch als sinnvoll an, zuerst Erfahrungen mit dieser Verfeinerung zu sammeln. Deshalb verzichtet er darauf, in dieser Sache einen Antrag zu stellen.

2.2

Entlastung der jungen Erwachsenen und der 26- bis 35-jährigen Versicherten beim Risikoausgleich (Art. 16a KVG)

Heute wird unter allen erwachsenen Versicherten ein Risikoausgleich durchgeführt.

Als Erwachsene gelten dabei Versicherte, die das 18. Altersjahr vollendet haben (Art. 61 Abs. 3 KVG).

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Der Vorentwurf sah eine Entlastung der 19- bis 35-Jährigen beim Risikoausgleich vor. Eine Minderheit beantragte, die Entlastung auf die jungen Erwachsenen zu beschränken. Als junge Erwachsene gelten Versicherte, die das 18. Altersjahr, aber noch nicht das 25. Altersjahr vollendet haben (Art. 61 Abs. 3 KVG). Die Mehrheit der Kantone, die Versichererverbände Curafutura und RVK, die Mehrheit von Santésuisse, mehrere Verbände von Konsumenten und von Leistungserbringern sowie andere Vernehmlassungsteilnehmende befürworteten diesen Minderheitsantrag.

Die SGK-NR hat beschlossen, an ihrem Vorentwurf festzuhalten. Ebenso wurde einer der Minderheitsanträge unverändert nochmals eingereicht.

Der Bundesrat begrüsst die Entlastung der jungen Erwachsenen. Versicherte in diesem Alter sind häufig noch in Ausbildung, verfügen dadurch nur über bescheidene finanzielle Mittel und sind finanziell von ihren Eltern abhängig. Um sie und ihre Eltern zu entlasten, sollen sie deshalb nur noch beschränkt am Risikoausgleich beteiligt werden. Diese Entlastung soll einen Anreiz für die Versicherer darstellen, den jungen Erwachsenen tiefere Prämien anzubieten. Dadurch sollen die Prämien beim Wechsel aus der Alterskategorie der Kinder in diejenige der jungen Erwachsenen weniger stark steigen als heute.

Der Bundesrat lehnt den Erlassentwurf jedoch ab, soweit auch die 26- bis 35-Jährigen entlastet werden sollen. Das KVG sieht für die Erwachsenen ab 26 Jahren altersunabhängige Prämien vor. Damit leisten die jüngeren Versicherten einen Solidaritätsbeitrag an die Kosten der älteren Versicherten, die durchschnittlich mehr Kosten verursachen als die jüngeren Versicherten. Wird diese neue Alterskategorie geschaffen, so wird der Grundsatz der altersunabhängigen Prämie für Erwachsene ab 26 Jahren in Frage gestellt. Damit wird ein Präzedenzfall für die Einführung weiterer Alterskategorien und für ein risikobezogenes System geschaffen. Die Versicherten in dieser Altersgruppe haben ihre Ausbildung in der Regel abgeschlossen, so dass sie in der Lage sind, ein Einkommen zu erwirtschaften, mit dem sie ihre Prämien bezahlen können. Die Altersgruppe der 26- bis 35-Jährigen umfasst auch Versicherte, die gut verdienen und keine Kinder haben. Diese Versicherten würden ohne Bedarf entlastet. Weiter würde die Prämie der über 35-jährigen Versicherten
durch die Entlastung der jüngeren Versicherten zusätzlich erhöht. Diese Versicherten sind aber häufig Eltern, die eine finanzielle Mehrbelastung nur schwer verkraften könnten. Der Bundesrat ist der Meinung, dass der sozialpolitische Ausgleich weiterhin durch das System der Prämienverbilligung erfolgen soll. Mit diesem können die Haushalte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen gezielt entlastet werden.

Aus diesen Gründen unterstützt der Bundesrat den Minderheitsantrag II, der eine Entlastung nur für die 19- bis 25-jährigen Versicherten vorsieht.

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2.3

Festsetzung tieferer Prämien (Art. 61 Abs. 3 KVG)

Heute hat der Versicherer für Kinder tiefere Prämien festzulegen als für Erwachsene. Er ist berechtigt, dies auch für junge Erwachsene zu tun.

Der Vorentwurf und der Erlassentwurf wollen den Versicherer verpflichten, auch für die jungen Erwachsenen und die 26- bis 35-jährigen Versicherten nach Altersgruppe abgestuft tiefere Prämien festzulegen. In der Vernehmlassung hat ein Teil der Mitglieder von Santésuisse beantragt, auf eine Verpflichtung zu verzichten, um ihnen ihre unternehmerische Freiheit zu belassen.

Aus den in Ziffer 2.2 dargelegten Gründen begrüsst der Bundesrat die Verpflichtung der Versicherer, für junge Erwachsene tiefere Prämien als für die übrigen Erwachsenen festzulegen. Da er die Schaffung einer neuen Altersgruppe der 26- bis 35-Jährigen ablehnt, lehnt er auch die damit verbundene Verpflichtung, für diese Versicherten tiefere Prämien festzulegen, ab.

Somit unterstützt der Bundesrat auch hier den Minderheitsantrag II, der die Versicherer verpflichtet, für die 19- bis 25-jährigen Versicherten tiefere Prämien festzulegen, und keine neue Alterskategorie schafft.

2.4

Erhöhung der Prämienverbilligung (Art. 65 Abs. 1 bis)

Heute sind die Kantone verpflichtet, für untere und mittlere Einkommen die Prämien von Kindern und jungen Erwachsenen in Ausbildung um mindestens 50 Prozent zu verbilligen.

Der Vorentwurf sah vor, diese Verpflichtung auf 80 Prozent zu erhöhen. In der Vernehmlassung haben fast alle Kantone und mehrere Organisationen diese Erhöhung abgelehnt.

Gestützt auf dieses Vernehmlassungsergebnis hat die SGK-NR beschlossen, im Erlassentwurf eine solche Erhöhung nur für Kinder vorzusehen. Bezüglich der jungen Erwachsenen in Ausbildung sollen den Kantonen keine Verpflichtungen mehr auferlegt werden.

Die SGK-NR legt in ihrem Bericht die finanzielle Belastung der Familien durch die Prämien der obligatorischen Krankenpflegeversicherung dar (Ziff. 2.1). Weil diese Belastung hoch ist und in den letzten Jahren zugenommen hat, will die SGK-NR die Familien entlasten, wofür sie verschiedene Lösungen geprüft hat (Ziff. 3).

Auch der Bundesrat begrüsst, dass die Kantone verpflichtet werden sollen, die Prämien der Kinder für untere und mittlere Einkommen um mindestens 80 Prozent zu verbilligen. Damit wird dem Anliegen der parlamentarischen Initiative 10.407, die Kinder von den Prämien zu befreien, entgegengekommen. Die SGK-NR geht in ihrem Bericht in den Erläuterungen zu Artikel 65 Absatz 1bis davon aus, dass die Kantone durch die vorgesehene Entlastung der jungen Erwachsenen im Risikoausgleich rund 65­70 Millionen Franken sparen können. Zugleich schätzt sie die Mehrkosten, die den Kantonen durch die Erhöhung auf 80 Prozent der Prämienverbilligung von Kindern für untere und mittlere Einkommen entstehen, auf rund 80 Millionen. Die geschätzten Mehrkosten sind somit zwar etwas höher als die 7947

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geschätzten Einsparungen. Da die Kantone relativ viel Spielraum in der konkreten Ausgestaltung der Prämienverbilligung haben und beispielsweise selber bestimmen können, welche Einkommen sie als mittlere Einkommen bezeichnen, hält der Bundesrat die von der SGK-NR vorgeschlagene Erhöhung für vertretbar. Damit können Familien mit unteren und mittleren Einkommen weiter entlastet werden.

Die Minderheit III beantragt, die Kantone zu verpflichten, auch die Prämien der jungen Erwachsenen in Ausbildung um mindestens 80 Prozent zu verbilligen. Der Bundesrat lehnt diese zusätzliche Verpflichtung der Kantone ab, da sie diese zusätzlich belasten würde.

Die Minderheit IV beantragt, die Kantone gemäss geltendem Recht nur zu verpflichten, die Prämien der Kinder und jungen Erwachsenen um 50 Prozent zu verbilligen.

Da die Kantone durch die vorgesehene Entlastung der jungen Erwachsenen im Risikoausgleich Prämienverbilligungen sparen können, ist der Bundesrat der Auffassung, dass sie diese Mittel zugunsten der Kinder einsetzen sollen.

Der Bundesrat lehnt es zudem ab, die Verpflichtung der Kantone, die Prämien der jungen Erwachsenen in Ausbildung für untere und mittlere Einkommen um mindestens 50 Prozent zu verbilligen, aufzuheben. Die SGK-NR nimmt in ihrem Bericht in den Erläuterungen zu Artikel 65 Absatz 1bis an, dass die Prämienverbilligungen für junge Erwachsene, die nicht in Ausbildung sind, durch die vorgesehene Entlastung beim Risikoausgleich im Verhältnis zur Durchschnittsprämie um 20­25 Prozent sinken. Damit können die Kantone Einsparungen erzielen. Da das geltende Recht beibehalten wird, entsteht den Kantonen auch kein Mehraufwand. Bei den unteren und mittleren Einkommen soll der Wechsel von der Alterskategorie der Kinder in diejenige der Erwachsenen für Versicherte, die sich noch in Ausbildung befinden, nur mit einer beschränkten Prämienerhöhung verbunden sein. Deshalb beantragt der Bundesrat, die im geltenden Recht vorgesehene Verpflichtung der Kantone, die Prämien der jungen Erwachsenen in Ausbildung für untere und mittlere Einkommen um mindestens 50 Prozent zu verbilligen, beizubehalten.

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Anträge des Bundesrates

Art. 16a und Art. 61 Abs. 3 Der Bundesrat unterstützt die Minderheit II.

Art. 65 Abs. 1bis Für untere und mittlere Einkommen verbilligen die Kantone die Prämien der Kinder um mindestens 80 Prozent und die Prämien der jungen Erwachsenen in Ausbildung um mindestens 50 Prozent.

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