zu 11.449 Parlamentarische Initiative Publikation von Erwachsenenschutzmassnahmen Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 26. Februar 2016 Stellungnahme des Bundesrates vom 17. Juni 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 26. Februar 20161 betreffend die parlamentarische Initiative 11.449 «Publikation von Erwachsenenschutzmassnahmen» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. Juni 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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2016-1348

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 16. Juni 2011 reichte der damalige Nationalrat Rudolf Joder eine parlamentarische Initiative ein und verlangte damit, dass die Erwachsenenschutzbehörde verpflichtet werden soll, das Betreibungsamt am Wohnsitz der betroffenen Person über die Ergreifung oder die Aufhebung einer Massnahme des Erwachsenenschutzrechts zu informieren. Die Information über die Erwachsenenschutzmassnahme sei im Betreibungsregister einzutragen und vom Betreibungsamt Dritten bei deren Einholung eines Betreibungsregisterauszuges weiterzugeben.

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) hat am 31. August 2012 der Initiative Folge gegeben; die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) hat diesem Beschluss am 23. Oktober 2012 zugestimmt.

Die RK-N hat in der Folge einen Vorentwurf zu einer Änderung des Zivilgesetzbuches2 (ZGB) sowie des Bundesgesetzes vom 11. April 18893 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) ausgearbeitet. Dieser wurde am 25. Oktober 2013 von der RK-N verabschiedet. Zu diesem Vorentwurf wurde vom 13. Dezember 2013 bis zum 31. März 2014 eine Vernehmlassung durchgeführt. Nach Kenntnisnahme des Berichts über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens 4 beantragte die RK-N dem Rat am 14. November 2014 die Abschreibung der Initiative. Am 20. März 2015 beschloss der Nationalrat, den Vorstoss nicht abzuschreiben. Die RK-N verabschiedete am 12. November 2015 einen Erlassentwurf und am 26. Februar den erläuternden Bericht.

Mit Schreiben des Kommissionspräsidenten vom 7. März 2016 wurden Erlassentwurf und Bericht gestützt auf Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 dem Bundesrat zur Stellungnahme überwiesen.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Publikation von Erwachsenenschutzmassnahmen

2.1.1

Rechtslage vor dem 1. Januar 2013

Das bis am 31. Dezember 2012 geltende Vormundschaftsrecht sah in Artikel 375 Absatz 1 aZGB vor, dass im Falle der Bevormundung einer mündigen Person die Entmündigung, sobald sie rechtskräftig wurde, wenigstens einmal in einem amtli2 3 4

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SR 210 SR 281.1 Der Bericht vom August 2014 über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens ist abrufbar unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2013 > 11.449 Pa.Iv. Publikation von Erwachsenenschutzmassnahmen.

SR 171.10

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chen Blatt am Wohnsitz der betroffenen Person und in ihrer Heimat veröffentlicht werden musste. Das Gesetz hielt dabei ausdrücklich fest, dass die Bevormundung gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden konnte, bevor die Veröffentlichung stattgefunden hatte (Art. 375 Abs. 3 aZGB). Gemäss Artikel 375 Absatz 2 aZGB konnte auf die Veröffentlichung verzichtet werden, wenn die Handlungsunfähigkeit für Dritte offenkundig oder die betroffene Person in einer Anstalt untergebracht war. Der Veröffentlichung kam damit Publizitätswirkung zu. Sie diente vor allem dem Schutz Dritter, die als potenzielle Vertragspartner in Betracht kamen und deren guter Glaube in Bezug auf die Handlungsfähigkeit der bevormundeten Person nicht geschützt wurde. Darüber hinaus diente die Publikation auch dem Schutz der betroffenen Person selbst, da es dieser dadurch verunmöglicht wurde, für sich selbst nachteilige Rechtsgeschäfte abzuschliessen.

2.1.2

Das neue Erwachsenenschutzrecht

Am 19. Dezember 2008 haben die eidgenössischen Räte die Revision des Erwachsenenschutzrechts verabschiedet. Dabei wurde am Grundsatz festgehalten, wonach eine Massnahme des Erwachsenenschutzes Dritten entgegengehalten werden kann, auch wenn diese gutgläubig sind (Art. 452 Abs. 1 ZGB). Dagegen wurde auf die Publikation der Massnahmen verzichtet. Der Bundesrat führte damals in seiner Botschaft aus:6 «Nach dem geltenden Recht müssen Massnahmen, welche die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person einschränken oder entziehen, grundsätzlich veröffentlicht werden (Art. 375, 377 Abs. 3 und 397 Abs. 2 und 3 ZGB). Im neuen Recht soll auf diese Veröffentlichung verzichtet werden (vgl. Ziff.

1.3.7). Dafür wird für die Personen, die ein Interesse an der Kenntnis einer Massnahme haben, in Artikel 451 Absatz 2 ein Anspruch auf Auskunft vorgesehen. Die Veröffentlichung zeigt in der heutigen Gesellschaft offensichtlich keine konkrete Wirkung mehr. Dass Dritte, die mit der betroffenen Person in Rechtsbeziehung treten könnten, von der Veröffentlichung Kenntnis nehmen, ist eine Fiktion. Damit besteht ein krasses Missverhältnis zwischen dem hypothetischen Nutzen, den die Publikation für Dritte haben könnte, und einer beträchtlichen Stigmatisierung der von einer Massnahme betroffenen Person.» Als Ersatz für den Wegfall der Publikation besteht heute die Möglichkeit, direkt bei der Erwachsenenschutzbehörde Auskunft über das Vorliegen einer Massnahme des Erwachsenenschutzes zu verlangen (Art. 451 Abs. 2 ZGB); dafür ist es aber erforderlich, dass ein Interesse an der Erteilung der Auskunft glaubhaft gemacht werden kann. Die Mandatsträger und -trägerinnen orientieren zudem Dritte über die Beistandschaft, soweit dies zur gehörigen Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist (Art. 413 Abs. 3 ZGB). Schliesslich sieht Artikel 452 ZGB vor, dass den Schuldnern der betroffenen Person mitzuteilen ist, dass ihre Leistung nur befreiende Wirkung

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BBl 2006 7001, hier 7090

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hat, wenn sie diese dem Beistand oder der Beiständin erbringen, und dass vor dieser Mitteilung die Beistandschaft nicht entgegengehalten werden kann.

2.1.3

Kritik am revidierten Recht

Der Wegfall der Publikation der Erwachsenenschutzmassnahmen hat zur Folge, dass die betreffende Information nicht mehr ohne Weiteres zugänglich ist. Unter früherem Recht wurden diese Informationen dagegen (beispielsweise von Banken und von Kreditauskunfteien) teilweise systematisch erfasst und in Datenbanken abgelegt.

Auf diese Weise konnten sie interessierten Dritten zur Verfügung gestellt werden, beispielsweise im Vorfeld eines Vertragsschlusses. Dies ist heute nicht mehr möglich. Vielmehr muss im Einzelfall gestützt auf Artikel 451 Absatz 2 ZGB bei der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Auskunft über eine Massnahme eingeholt werden, was einen gewissen Zusatzaufwand mit sich bringt.

Dieser Zusatzaufwand wurde vom Gesetzgeber allerdings bewusst in Kauf genommen, weil damit die Interessen der betroffenen Person besser gewahrt werden können.

Bei rund 150 Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden in der Schweiz ist allerdings nicht zu vermeiden, dass sich die von den einzelnen Behörden aufgestellten Anforderungen an das betreffende Gesuch und deren Praxis bei der Behandlung des Gesuchs teilweise erheblich voneinander unterscheiden, so etwa beim Interessennachweis, bei den Gebühren oder der Bearbeitungsdauer. Der Arbeitsausschuss der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) hat deshalb im Mai 2012 Empfehlungen über die «Auskunft über das Vorliegen und die Wirkungen einer Massnahme des Erwachsenenschutzes (nArt. 451 Abs. 2 ZGB)» ausgearbeitet. Darin werden den KESB konkrete Empfehlungen abgegeben, wie im Fall eines Gesuches nach Artikel 451 Absatz 2 ZGB vorzugehen ist. Da diese Empfehlungen aber für die Behörden nicht verbindlich sind, wird damit nicht gewährleistet, dass damit die Praxis der Behörden schweizweit vereinheitlicht wird. Zudem ist beispielsweise die wichtige Frage der Höhe der für die Auskunftserteilung zu erhebenden Gebühr in der Empfehlung der KOKES nicht angesprochen.

2.1.4

Mögliche Lösungsansätze

Die Mehrheit der RK-N schlägt vor, in Artikel 451 Absatz 2 ZGB eine Kompetenz des Bundesrates zu schaffen, damit dieser eine Verordnung erlassen kann, in der die Vorgaben für ein einfaches, rasches und einheitliches Auskunftsverfahren festgelegt werden können. Auf diese Weise soll die Auskunft vereinfacht und vereinheitlicht werden, damit eine gesuchstellende Person nicht in jedem Einzelfall abklären muss, wie das Verfahren vor der zuständigen KESB im Einzelnen ausgestaltet ist.

Dagegen hält die Minderheit der Kommission am Vorentwurf fest. Die KESB soll den Erlass der betreffenden Massnahmen an das zuständige Betreibungsamt melden, damit dieses im Rahmen der Betreibungsauskunft nach Artikel 8a SchKG gleichzeitig über allfällige Massnahmen des Erwachsenenschutzrechts Auskunft geben kann.

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2.1.5

Position des Bundesrates

Der Bundesrat unterstützt den Vorschlag der Kommissionsmehrheit. Die vorgeschlagene Lösung entspricht dem Konzept, wie es der Gesetzgeber bei der Revision des Erwachsenenschutzrechts vor Augen hatte. Insbesondere werden die Interessen der betroffenen Personen bestmöglich gewahrt; die personenbezogenen Informationen bleiben bei der zuständigen Behörde und werden nur im Einzelfall und gegen einen konkreten Interessennachweis an Dritte weitergegeben. Anders als beim Vorschlag der Minderheit wird die betreffende Auskunft auch von derjenigen Behörde erteilt, welche die Massnahme erlassen hat und die die betroffene Person kennt. Es besteht damit die Möglichkeit, weitere Erläuterungen zu allgemeinen Fragen oder zum konkreten Fall zu geben. Dies alles ist bei einer Auskunft durch das Betreibungsamt nicht möglich. Auch entstehen bei einem Umzug der betroffenen Person und einem damit verbundenen Wechsel der Zuständigkeit der KESB oder des Betreibungsamts keine Schwierigkeiten, da erst der Wechsel der Zuständigkeit der KESB zu einem Wechsel der Zuständigkeit für die Auskunftserteilung führt. Dagegen würden sich bei einer Auskunftserteilung durch die Betreibungsämter im Fall eines Wohnsitzwechsels der betroffenen Person schwierige Zuständigkeitsfragen stellen und das Risiko falscher Auskünfte erheblich vergrössert.

Schliesslich ergibt sich auch kein zusätzlicher bürokratischer Aufwand, weder bei den KESB noch bei den Betreibungsämtern; dies vor allem auch im Hinblick auf die Aufarbeitung der Massnahmen, die seit dem 1. Januar 2013 angeordnet worden sind.

Die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Lösung entspricht im Übrigen der Position vieler Vernehmlassungsteilnehmer (insb. der Kantone), die den Handlungsbedarf teilweise verneint und auf den geltenden Artikel 451 Absatz 2 ZGB verwiesen haben.7 Trotz der teilweise geäusserten Bedenken, dass das System des neuen Rechts für die Gläubiger zu schwerwiegenden Problemen führen kann, ist aus der Praxis bislang auch kein Fall bekannt geworden, in dem der Wegfall der Publikation der Erwachsenenschutzmassnahmen tatsächlich zu Schwierigkeiten geführt hat.

Als Nachteil dieser Lösung im Vergleich zur Auskunftserteilung durch die Betreibungsämter, wie sie die Kommissionsminderheit beantragt, ist der Zusatzaufwand anzuführen, der für die an der Auskunft interessierten
Personen entsteht, weil mit der KESB eine weitere Stelle angefragt werden muss. Ausserdem wird auch eine zusätzliche Gebühr erhoben werden müssen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung überwiegen nach Ansicht des Bundesrates aber die Vorteile der Lösung der Kommissionsmehrheit und es besteht kein Anlass, auf den Grundsatzentscheid des historischen Gesetzgebers, der die Stigmatisierung der betroffenen Person vermeiden wollte, zurückzukommen.

7

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 2 f.

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2.2

Mitteilungspflichten der KESB

2.2.1

Geltendes Recht

Das geltende Recht sieht in Artikel 449c ZGB vor, dass die Erwachsenenschutzbehörde dem Zivilstandsamt Mitteilung zu machen hat, wenn sie eine Person wegen dauernder Urteilsunfähigkeit unter umfassende Beistandschaft stellt oder wenn für eine dauernd urteilsunfähige Person ein Vorsorgeauftrag wirksam wird. Nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts hat sich gezeigt, dass neben den Zivilstandsämtern verschiedene weitere Behörden Kenntnis vom Erlass einer Massnahme haben sollten. Aus diesem Grund enthielt der Vorentwurf eine umfassende Regelung der Mitteilungspflicht der KESB. In der Vernehmlassung wurde dieser Vorschlag von sämtlichen Teilnehmenden, die sich zu diesem Punkt geäussert haben, positiv aufgenommen.8

2.2.2

Position des Bundesrates

Während der Entwurf der Kommissionsmehrheit auf eine solche Ergänzung von Artikel 449c ZGB verzichtet, ist diese im Minderheitsantrag nach wie vor enthalten.

Der Bundesrat erachtet eine entsprechende Ergänzung des Zivilgesetzbuches als dringend notwendig. Er beantragt deshalb, an der Ergänzung von Artikel 449c ZGB festzuhalten. Dies dient vor allem der Rechtssicherheit und ermöglicht eine reibungslose Abwicklung der Amtsgeschäfte derjenigen Behörden, die auf die betreffenden Informationen angewiesen sind.

Bei der beantragten Umformulierung von Artikel 449c Absatz 1 Ziffer 1 Buchstabe b handelt es sich lediglich um eine technische Präzisierung, die keine inhaltliche Auswirkung hat: Die KESB trifft keine Anordnung nach Artikel 260 Absatz 2 ZGB, wie das in der Formulierung der Kommissionsminderheit nahegelegt wird, sondern ihre Anordnung macht unter Umständen eine Zustimmung gemäss dieser Bestimmung erforderlich. Der Anpassungsantrag des Bundesrates trägt diesem Umstand besser Rechnung.

An Ziffer 3 (Information der Betreibungsämter) ist trotz des Verzichts der Kommissionsmehrheit an der Auskunftserteilung durch die Betreibungsämter festzuhalten, da diese bereits unter geltendem Recht auf die entsprechenden Mitteilungen angewiesen sind (vgl. Art. 68c und 68d SchKG) und diese gegenwärtig in vielen Fällen nicht erfolgt, weil keine ausdrückliche gesetzliche Pflicht dafür besteht.

8

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, S. 4.

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3

Anträge des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Eintreten auf die Vorlage. Im Weiteren stellt er folgende Anträge: Art. 395 Abs. 4 ZGB Der Bundesrat beantragt die Zustimmung zum Antrag der Kommissionsminderheit.

Art. 449c ZGB Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich den Antrag der Kommissionsminderheit, wobei er folgende Anpassung beantragt: Mitteilungspflicht Die Erwachsenenschutzbehörde teilt unverzüglich folgenden Behörden ihre Entscheide betreffend die Anordnung, Änderung oder Aufhebung von Massnahmen mit, sobald diese vollstreckbar geworden sind: 1

1.

dem Zivilstandsamt, wenn ...

b.

sie eine Anordnung getroffen hat, welche die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters gemäss Artikel 260 Absatz 2 erforderlich macht, oder

Art. 451 Abs. 2 zweiter und dritter Satz ZGB Der Bundesrat beantragt die Zustimmung zum Antrag der Kommissionsmehrheit.

Art. 8a Abs. 3bis SchKG Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Antrags der Kommissionsminderheit.

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