15.410 Parlamentarische Initiative Mehrwertsteuer. Dauerhafte Verankerung des Sondersatzes für Beherbergungsleistungen Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 14. März 2017

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die Mehrwertsteuer. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

14. März 2017

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Susanne Leutenegger Oberholzer

2017-0747

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Übersicht Der Entwurf der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats sieht vor, den befristeten Mehrwertsteuer-Sondersatz für Beherbergungsleistungen gemäss Artikel 25 Absatz 4 des Mehrwertsteuergesetzes bis Ende des Jahres 2027 zu verlängern.

Die Kommissionsmehrheit erkennt die Schwierigkeiten der Beherbergungsbranche, welche durch den schnellen Strukturwandel und Wechselkursschwankungen entstanden sind. Sie beantragt, den Sondersatz nochmals befristet bis Ende 2027 zu verlängern. Sie möchte der Beherbergungsbranche die Sicherheit geben, dass in dieser schwierigen Situation der Sondersatz nicht abgeschafft wird. Eine Minderheit beantragt die unbefristete Verankerung des Sondersatzes im Mehrwertsteuergesetz.

Der befristete Sondersatz für Beherbergungsleistungen wurde 1996 aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage der Tourismusbranche eingeführt und seither insgesamt fünfmal verlängert. Die aktuelle Frist läuft Ende 2017 aus.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Gemäss Artikel 25 Absatz 4 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG; SR 641.20) gilt der Sondersatz von 3,8 Prozent für Beherbergungsleistungen bis zum 31. Dezember 2017.

Nationalrat Dominique de Buman hat am 11. März 2015 die parlamentarische Initiative 15.410 «Mehrwertsteuer. Dauerhafte Verankerung des Sondersatzes für Beherbergungsleistungen» eingereicht, um den Sondersatz nach fünf befristeten Verlängerungen nun definitiv im Gesetz zu verankern. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) gab an ihrer Sitzung vom 18. Januar 2016 mit 14 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung der Initiative Folge. Die Schwesterkommission des Ständerats (WAK-S) stimmte am 18. August 2016 mit 9 zu 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen dem Folgegeben zu, wobei sie dies mehrheitlich unter dem Vorbehalt tat, nur einer Verlängerung und keiner dauerhaften Verankerung des Sondersatzes zuzustimmen. Daraufhin wurde das Kommissionssekretariat zusammen mit der Verwaltung beauftragt, einen Erlassentwurf für die WAK-N auszuarbeiten. Am 25. Oktober 2016 verabschiedete die WAK-N mit 16 zu 0 Stimmen bei 8 Enthaltungen einen Vorentwurf und eröffnete daraufhin die Vernehmlassung.

Die WAK-N hat am 14. März 2017 den Ergebnisbericht der Vernehmlassung, die vom 7. November 2016 bis zum 20. Februar 2017 lief, zur Kenntnis genommen.

Daraufhin hat sie den definitiven Entwurf mit 23 zu 1 Stimmen in der Gesamtabstimmung angenommen.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage

2.1.1

Geltendes Recht

Am 1. Januar 1995 trat die Verordnung über die Mehrwertsteuer in Kraft. Auf Grund einer Übergangsbestimmung (Art. 8ter) in der alten Bundesverfassung bestand die Möglichkeit, dass der Bund auf dem Weg der Gesetzgebung für bestimmte im Inland erbrachte Tourismusleistungen einen tieferen Satz in der Umsatzsteuer festlegen konnte.1 Dies war unter zwei Bedingungen möglich. Einerseits musste die Dienstleistung in erheblichem Ausmass durch Ausländer und Ausländerinnen konsumiert werden, was in der Hotellerie der Fall ist, und zweitens musste die Wettbewerbsfähigkeit der Branche einen tieferen Satz erfordern. Die schwierige Lage des einheimischen Tourismusgewerbes Mitte der Neunzigerjahre veranlasste den Bundesrat, als vorübergehende Massnahme einen Sondersatz bis längstens Ende 1

Mit der neuen Finanzordnung wurde im November 2004 in der Bundesverfassung verankert, dass das MWSTG einen Sondersatz für Beherbergungsleistungen vorsehen kann (Art. 130 Abs. 2 BV).

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Dezember 2001 vorzuschlagen. Die Räte stimmten einem entsprechenden Erlass in der Frühlingssession 1996 zu.

Seither hat die Bundesversammlung den Sondersatz für Beherbergungsleistungen insgesamt fünfmal verlängert: 1)

Einführung des Sondersatzes im Mehrwertsteuergesetz (MWSTG) am 1. Januar 2001: bis 31. Dezember 2003

2)

Änderung vom 20. Juni 2003: bis 31. Dezember 2006

3)

Änderung vom 16. Dezember 2005: bis 31. Dezember 2010

4)

Änderung vom 12. Juni 2009: bis 31. Dezember 2013

5)

Änderung vom 21. Juni 2013: bis 31. Dezember 2017

Bei der letzten Verlängerung des Sondersatzes diskutierte das Parlament eine neue Botschaft des Bundesrats (08.053 Zusatzbotschaft), welche nur noch zwei MWSTSätze vorsah, wobei Beherbergungsleistungen dem reduzierten Satz unterstellt werden sollten. Die Verlängerung des Sondersatzes sollte als Überbrückung dienen.

Letztlich scheiterte aber das sogenannte Zwei-Satz-Modell in beiden Räten. Aktuell beträgt der Sondersatz für Beherbergungsleistungen 3,8 % (der Normalsatz beträgt 8 % und der reduzierte Satz 2,5 %). Sollte der Sondersatz nach dem 31. Dezember 2017 weitergeführt werden, ist es wahrscheinlich, dass der Satz in naher Zukunft gleich bleibt, da einerseits das Volk bei der FABI-Vorlage im Februar 2014 einer Steuersatzerhöhung von 0,1 Prozentpunkten zugestimmt hat und andererseits 0,2 Prozentpunkte für die auslaufende Zusatzfinanzierung der Invalidenversicherung (IV) per 31. Dezember 2017 wegfallen. Und schliesslich, im Rahmen der Altersvorsorge 2020 (14.088), würde eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuersätze erfolgen.2 Was den Sondersatz betrifft, würde er ab 1. Januar 2018 um 0,1 Prozentpunkte angehoben. Sollte die Altersvorsorge 2020 in der Volksabstimmung abgelehnt werden, würde ab 1. Januar 2018 ein Sondersatz von 3,7 % gelten.

Ausserdem sieht die Altersvorsorge 2020 vor, dass der Bundesrat ab dem 1. Januar 2021 den Normalsatz um 0,3 Prozentpunkte anhebt und die anderen Sätze proportional dazu anpasst.

2.1.2

Die aktuelle Lage des Beherbergungssektors

Gemäss Zahlen des Satellitenkontos Tourismus des Bundesamts für Statistik (BFS) 3 entfielen in der Schweiz im Jahr 2014 rund 2,8 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung auf die Tourismusbranche und 4,3 Prozent aller Schweizer Arbeitskräfte waren in diesem Sektor beschäftigt. Dabei macht die erwähnte Statistik ebenfalls deutlich, dass die Hotellerie innerhalb des Tourismussektors einen wichtigen Stellenwert hat. So entfielen im Jahr 2014 23 Prozent der Bruttowertschöpfung und 20 Prozent der Beschäftigten des Tourismussektors auf die Hotelle2 3

Schlussabstimmungstext Frühlingssession 2017: www.parlament.ch/centers/eparl/ curia/2014/20140088/Schlussabstimmungstext%202%20NS%20D.pdf www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/10/02/blank/key/01.html

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rie. In absoluten Zahlen ausgedrückt entsprach dies einer Wertschöpfung von 4,1 Milliarden Franken und 34 900 Beschäftigten.

Die Zahl der Beschäftigten in der Beherbergungsbranche, welche nebst der Hotellerie auch die Parahotellerie umfasst, ist seit Jahren rückläufig. Im Jahr 2015 lag sie, umgerechnet in Vollzeitäquivalente, um rund 11 Prozent unter dem Stand von 2008.

Ebenfalls um 11 Prozent zurückgegangen sind in diesem Zeitraum die Logiernächte ausländischer Gäste in der Hotellerie. Ein anderes Bild zeigt sich jedoch bei den inländischen Gästen der Hotellerie, deren Logiernächte von 2008­2015 um rund 1,5 Prozent gestiegen sind. Per Saldo ergab sich ein Rückgang der Logiernächte um knapp 6 Prozent. Besonders negativ entwickelt haben sich die Hotel-Logiernächte in Graubünden (­24,4 %), im Wallis (­18,6 %) und im Tessin (­18,3 %). Die grossen Städte hingegen konnten Zunahmen verzeichnen.

Diese Entwicklung zeigt, dass die Beherbergungswirtschaft stark gefordert ist.

Besonders betroffen sind die Betriebe in den traditionellen Tourismusregionen in den Alpen. Zu den grössten Herausforderungen zählen insbesondere strukturelle Defizite, die globale Finanzkrise verbunden mit einer schleppenden konjunkturellen Entwicklung in wichtigen Herkunftsländern und die starke Aufwertung des Schweizer Frankens. In Bezug auf Letzteres zeigt eine Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF), dass der Schweizer Tourismus im Allgemeinen und die Hotellerie im Besonderen eine hohe Wechselkursanfälligkeit aufweisen. 4 BAKBASEL hält in der Untersuchung zur Performance des Tourismusstandorts Schweiz in den Jahren 2000­2015 fest, dass diese unterdurchschnittlich ausgefallen ist. So konnte die Tourismusnachfrage nicht mit der Entwicklung in den umliegenden Ländern mithalten. Auch bezüglich der Auslastungszahlen und der Erwerbstätigenzahlen sei die Schweiz weniger erfolgreich gewesen. Die Studie ortet ein wesentliches Problem der Schweizer Tourismuswirtschaft in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Diese Preisdifferenzen seien vor allem auf die höheren Vorleistungs- und Arbeitskosten zurückzuführen. Eine weitere Schwäche liege in der Kleinstrukturierung der Beherbergungsbetriebe und der Tatsache, dass mehr als jedes zweite Hotel nicht klassiert sei. Sehr gut aufgestellt sei die Schweizer Tourismuswirtschaft
hingegen beispielsweise bei den Arbeitskräften. Diese seien im internationalen Vergleich sehr gut ausgebildet und der Arbeitsmarkt sei sehr flexibel.5 Im «Travel & Tourism Competitiveness Index» des Weltwirtschaftsforums (WEF) 6 erreicht die Schweiz zudem regelmässig vorderste Plätze, so im Jahr 2013 den ersten und im Jahr 2015 den sechsten Platz. Festzuhalten ist dabei allerdings, dass sich der Index aus einer grossen Anzahl Indikatoren zusammensetzt, welche nur zu einem kleinen Teil den Beherbergungssektor betreffen.

4 5

6

Abrahamsen, Yngve und Simmons-Süer, Banu (2011): «Die Wechselkursabhängigkeit der Schweizer Wirtschaft», KOF Studien Nr. 24.

BAKBASEL (2016), Tourismus Benchmarking ­ die Schweizer Tourismuswirtschaft im internationalen Vergleich, Schlussbericht zum «Internationalen Benchmarking Programm für den Schweizer Tourismus: Projektphase 2014­2015».

http://reports.weforum.org/travel-and-tourism-competitiveness-report-2015/

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2.1.3

Die Mehrwertsteuer im europäischen Vergleich

Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, MwStSystRL) schreibt in Titel VIII den Mitgliedstaaten einen Normalsatz von mindestens 15 Prozent vor (Art. 97 Abs. 1 MwStSystRL). Diese Vorschrift wurde am 25. Mai 2016 vom Rat der Europäischen Union bis Ende 2017 verlängert.7 Die Anwendung von maximal zwei ermässigten Steuersätzen ist zulässig, aber nicht zwingend (Art. 98 MwStSystRL).

Diese dürfen nicht weniger als 5 Prozent betragen, wobei jedoch zahlreiche befristete Übergangsbestimmungen einzelnen Mitgliedstaaten auch die Anwendung niedrigerer Sätze erlauben. Die ermässigten Steuersätze sind grundsätzlich nur auf die im Anhang III der MwStSystRL explizit genannten Leistungen anwendbar, so auch auf «Beherbergungsleistungen in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschliesslich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen der Wohnwagen» (Ziff. 12 von Anhang III).

Wie die Tabelle im Anhang zeigt, unterliegen Beherbergungsleistungen in den meisten europäischen Ländern einem reduzierten Steuersatz. Nur in Dänemark, Grossbritannien und der Slowakischen Republik ist dies nicht der Fall. Mit Ausnahme von Luxemburg liegt der reduzierte Satz für die Beherbergung allerdings überall deutlich höher als jener von derzeit 3,8 Prozent in der Schweiz. Was die direkten Nachbarländer betrifft, so werden Hotelübernachtungen in Deutschland und Frankreich mit 7 Prozent, in Italien und Österreich sogar mit 10 Prozent besteuert.

2.2

Beratungen der Kommission

Die WAK-N beantragt, auf den Entwurf zur Verlängerung des Sondersatzes einzutreten, da sie dem Auslaufen des Sondersatzes für Beherbergungsleistungen nicht tatenlos zuschauen will, während sich die Tourismusbranche in einer kritischen Phase befindet. Nachdem sowohl die vom Bundesrat vorgeschlagene EinheitssatzVorlage als auch das Zweisatz-Modell im Parlament gescheitert sind, stellte sich nun die Frage, wie mit dem dritten Mehrwertsteuersatz umgegangen werden soll.

2.2.1

Antrag der Mehrheit

Die Kommission beantragt mit 13 zu 12 Stimmen, den Sondersatz der Mehrwertsteuer befristet bis Ende 2027 weiterzuführen. Die Mehrheit sieht darin eine Chance für die Beherbergungsbranche der Krise mit strukturellen Massnahmen zu begegnen.

Ihr ist bewusst, dass die Branche mitten in einem Strukturwandel steckt und sich innovativ zeigen muss. Dafür soll sie genügend Zeit haben und nicht durch eine Steuererhöhung von 200 Millionen von einem Jahr auf das andere zusätzlich unter Druck gesetzt werden.

7

Richtlinie (EU) 2016/856 des Rates vom 25. Mai 2016 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Hinblick auf die Dauer der Verpflichtung, einen Mindestnormalsatz einzuhalten, ABl. L 142 vom 31.5.2010, S. 12.

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Die Unterstützung des Beherbergungssektors hat durch dessen Abhängigkeit von ausländischen Kundinnen und Kunden den Charakter einer Exportförderung.8 Die starke Abwertung des Euro gegenüber dem Franken, die ihren Anfang im Jahr 2009 nahm und im Januar 2015 in der Aufhebung des Euro-Franken-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank gipfelte, hatte einen Einbruch der Nachfrage nach Beherbergungsleistungen aus den Euroländern zur Folge. Seit dem Ja der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen des Vereinigten Königreichs zum Austritt aus der EU (Brexit) ist auch noch das britische Pfund spürbar abgewertet worden. (vgl. Ziff.

2.1.2). Die Mehrheit möchte der Branche in dieser schwierigen Situation keine Steuererhöhung zumuten.

Eine unbefristete Verankerung kommt für die Mehrheit aber nicht in Frage, weil sie die heutige Bevorzugung einer einzelnen Branche grundsätzlich als unfair erachtet.

Es handelt sich um Strukturpolitik ohne Rücksicht auf andere Branchen, die ebenfalls unter den schwachen Währungen Euro und Pfund leiden. Deshalb soll der Sondersatz als strukturpolitisches Mittel regelmässig überprüft und unter politischer Beobachtung bleiben. Dies insbesondere auch deshalb, weil der Sondersatz der Beherbergungsbranche nicht geholfen hat, ihre Probleme nachhaltig zu lösen, auch nach 20 Jahren nicht. Längerfristig müsse eine andere Lösung gefunden werden.

Die Mehrheit ist der Meinung, dass man sich innerhalb der nächsten Frist überlegen muss, ob man noch immer auf die 200 Millionen Franken Steuereinnahmen verzichten möchte, die dem Bund durch den Sondersatz entgehen. Sie erinnert gleichzeitig an den Finanzplan 2018­2020 des Bundesrates, der mit jährlich 200 Millionen Franken Mehreinnahmen durch die Aufhebung des Sondersatzes rechnet. Die Weiterführung des Sondersatzes geht somit bis ins Jahr 2027 auf Kosten von anderen staatlichen Aufgaben (siehe Ziff. 4.1).

2.2.2

Antrag der Minderheit

Die Minderheit (de Buman, Aeschi Thomas, Amaudruz, Barazzone, Feller, Landolt, Martullo, Müller Leo, Rime, Ritter, Tuena, Walter) der WAK-N beantragt, den Sondersatz im Mehrwertsteuergesetz unbefristet zu verankern. Sie findet, dass nach fünf Verlängerungen die Zeit gekommen ist, um der Branche mehr Planungssicherheit zu geben. Die Verfassung (Art. 130 Abs. 2) erlaubt, dass das Gesetz für Beherbergungsleistungen einen Sondersatz vorsieht, egal ob befristet oder dauerhaft. Nach 20 Jahren mit einem provisorischen Sondersatz könnte dieser ebenso gut auch unbefristet im Gesetz verankert werden.

Die Kommissionsminderheit sieht den Sondersatz als Unterstützung für einen Sektor, der in rapidem Strukturwandel steckt und dauerhaft unter starker internationaler Konkurrenz leidet. Die starken Wechselkursschwankungen erschweren die Situation zusätzlich. Die Verankerung des Sondersatzes gibt der Branche die Sicherheit, sich nicht auch noch auf eine Mehrwertsteuererhöhung einstellen zu müssen. Die Min8

Ausländische Kundinnen und Kunden machten in der Schweizerischen Hotellerie im Jahr 2015 ca. 54 % aller Logiernächte aus.

www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/tourismus/beherbergung.html.

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derheit befürchtet ansonsten einen noch massiveren Einbruch in der schweizerischen Hotellerie, noch grössere Verluste von Arbeitsplätzen und schliesslich sinkende Steuerreinnahmen. Bereits seit 2005 nimmt die Anzahl Beherbergungsbetriebe stetig ab. Gleiches gilt für die Arbeitsplätze, die sich allerdings bereits seit den 1990erJahren verringern.

2.3

Vernehmlassungsverfahren

Der Vorentwurf der Kommission bildete vom 7. November 2017 bis 20. Februar 2017 Gegenstand des Vernehmlassungsverfahrens. Der Vorentwurf sah in der Version der Kommissionsmehrheit die unbefristete Verankerung des Sondersatzes vor, in der Version der Minderheit eine befristete Verlängerung bis Ende des Jahres 2020.

An der Vernehmlassung haben alle 26 Kantone, 6 Parteien (BDP, CVP, FDP, glp, SPS und SVP), 13 eingeladene Verbände und Organisationen sowie 44 weitere Verbände, Organisationen und Unternehmen, praktisch ausschliesslich aus der Tourismusbranche stammend, teilgenommen.

Die Verlängerung des Sondersatzes über den 31. Dezember 2017 hinaus findet fast ungeteilte Zustimmung. Begründet wird dies insbesondere mit den aktuellen Schwierigkeiten der Tourismusbranche infolge des schnellen Strukturwandels, des starken Frankens und des hohen inländischen Kostenniveaus. Ins Feld geführt wird auch, dass die Beherbergungsbranche durch die hohe Zahl ausländischer Gäste «Exportcharakter» habe, dass die meisten EU-Länder ebenfalls einen Sondersatz für Beherbergungsleistungen kennen und dass die Weiterführung des Sondersatzes keine Steuermindereinnahmen für den Bund zur Folge habe. Einzig die FDP und die glp sowie Suissetec sprechen sich dafür aus, die Beherbergungsleistungen ab dem 1. Januar 2018 dem Normalsatz zu unterstellen, denn der Sondersatz sei eine strukturpolitische Massnahme, die die Probleme der Beherbergungsbranche nicht nachhaltig zu lösen vermöge.

15 Kantone, 3 Parteien, 8 zur Vernehmlassung eingeladene Dachverbände und sonstige Verbände und Organisationen sowie die weiteren eingegangenen Stellungnahmen aus der Tourismusbranche sprechen sich für eine dauerhafte Verankerung des Sondersatzes aus. Nach 20 Jahren mit insgesamt 5 Verlängerungen sei es an der Zeit, eine definitive gesetzliche Grundlage zu schaffen. Die Tourismusbranche sei dringend auf Planungssicherheit angewiesen. Aufgrund der hohen Preiselastizität der Nachfrage wäre es für die Unternehmen nicht möglich, die Steuersatzerhöhung auf die Gäste zu überwälzen. Da bereits heute viele Unternehmen Verluste erleiden, sei die Mehrbelastung von 200 Mio. Franken für die Branche nicht tragbar.

11 Kantone, 3 Parteien 4 zur Vernehmlassung eingeladene Dachverbände und sonstige Verbänden und Organisationen sowie 2 weitere Organisationen wollen
den Sondersatz nur befristet bis Ende 2020 verlängern. Der Sondersatz stelle eine Privilegierung dar und solle als strukturpolitisches Instrument regelmässig überprüft werden und unter politischer Beobachtung bleiben.

Der sgv, das Centre Patronal und die Chambre vaudoise des arts et métiers sprechen sich wegen der Planungssicherheit für eine 10-jährige Verlängerung des Sondersatzes aus.

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FDP, glp, BDP, die Kantone NW, TG, ZH sowie der sgv und TREUHANDSUISSE würden ein Einheitssatzmodell vorziehen, um den administrativen Aufwand der Unternehmen deutlich zu senken.

2.4

Änderungen gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf

Die Kommission hat nach der Vernehmlassung zur Kenntnis genommen, dass die ESTV beim Bundesamt für Justiz (BJ) auf Grund der Vernehmlassungsantworten des sgv, des Centre Patronal und der Chambre vaudoise des arts et métiers nochmals abklären liess, ob eine befristete Verlängerung über das Jahr 2020 hinaus möglich ist. Diese Frage stellt sich auf Grund der Tatsache, dass aktuell der Bund gemäss Bundesverfassung die Kompetenz zur Erhebung der Mehrwertsteuer nur bis Ende 2020 hat (Art. 196 Ziff. 14 Abs. 1 BV). Die Kommission ging bei der Verabschiedung des Vorentwurfs davon aus, dass der Sondersatz maximal bis Ende 2020 verlängert werden kann. Das BJ kam zum Schluss, dass eine Verlängerung länger als bis Ende 2020 jedoch möglich ist. Es begründet dies mit dem Mehrwertsteuergesetz, das per se unbefristet gilt, selbst wenn die entsprechende Verfassungsgrundlage wegfallen würde. Man hätte dann eine prekäre Rechtslage, die man auf die eine oder andere Weise lösen müsste. Das Gesetz aber würde nicht automatisch per 31. Dezember 2020 wegfallen. Beim Bundesbeschluss über die Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur (FABI) wurde in einer ähnlichen Situation die befristete Erhöhung der Mehrwertsteuer mit der Bedingung verknüpft, dass die Befugnis zur Erhebung der Mehrwertsteuer verlängert wird (Art. 196 Ziff. 14 Abs. 4 BV).9 Auf Grund dieser Abklärung hat sich die Kommission entschlossen, eine Verlängerung des Sondersatzes für 10 Jahre zu beantragen, mit der Bedingung, dass die Befugnis zur Erhebung der Mehrwertsteuer mindestens bis zum 31. Dezember 2027 verlängert wird.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Antrag der Mehrheit

Art. 25

Steuersätze

Absatz 4: Der Sondersatz für Beherbergungsleistungen von aktuell 3,8 Prozent ist bis zum 31. Dezember 2017 befristet. Diese Befristung wird nun um weitere 10 Jahre auf den 31. Dezember 2027 verlängert. Ansonsten erfolgt keine Änderung des Gesetzestextes. Sollte allerdings die im Rahmen der Reform der Altersvorsorge 9

Art. 196 Ziff. 14 Abs. 4 BV: 4 Zur Sicherung der Finanzierung der Eisenbahninfrastruktur hebt der Bundesrat die Steuersätze nach Artikel 25 des Mehrwertsteuergesetzes vom 12. Juni 20093 ab 1. Januar 2018 um 0,1 Prozentpunkt an, im Fall einer Verlängerung der Frist gemäss Absatz 1 bis längstens 31. Dezember 2030.

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2020 (14.088) geplante Steuersatzerhöhung per 1. Januar 2018 zugunsten der AHV nicht umgesetzt werden können, würde der Sondersatz per 1. Januar 2018 auf 3,7 Prozent sinken.

3.2 Art. 25

Antrag der Minderheit Steuersätze

Absatz 4: Der Sondersatz für Beherbergungsleistungen von aktuell 3,8 Prozent ist bis zum 31. Dezember 2017 befristet. Abgesehen von der Aufhebung der Befristung erfolgt keine Änderung des Gesetzestextes. Sollte allerdings die im Rahmen der Reform der Altersvorsorge 2020 (14.088) geplante Steuersatzerhöhung per 1. Januar 2018 zugunsten der AHV nicht umgesetzt werden können, würde der Sondersatz per 1. Januar 2018 auf 3,7 Prozent sinken.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Eine Aufhebung des Sondersatzes und eine Besteuerung der Beherbergungsleistungen zum Normalsatz von 8 Prozent hätte jährliche Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer von rund 200 Millionen Franken zur Folge. Insbesondere wegen der viertel- und halbjährlichen Abrechnungsperioden würde sich die Aufhebung des Sondersatzes verzögert auswirken. So würden im Jahr 2018 nur rund 73 Prozent der Mehreinnahmen eines ganzen Jahres erzielt und erst ab dem Jahr 2019 würde der volle Mehrertrag erreicht.

Im Finanzplan 2018­2020 sind die Mehreinnahmen aus der Aufhebung des Sondersatzes für Beherbergungsleistungen eingestellt. Eine Verankerung oder befristete Verlängerung des Sondersatzes hätte somit eine entsprechende Verschlechterung der finanziellen Lage der Bundesfinanzen zur Folge, die wegen der Schuldenbremse durch Ausgabenkürzungen zu kompensieren wären.

Die Umsetzung der Parlamentarischen Initiative hätte keine personellen Auswirkungen, da ja lediglich der Status quo verankert oder verlängert würde.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Sowohl eine definitive Verankerung als auch eine Verlängerung des Sondersatzes stellen keine neuen Probleme beim Vollzug dar.

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5

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Da die Schweiz nicht Mitglied der EU ist und die in der EU anwendbare Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie10 nicht übernommen hat, hat diese Richtlinie in der Schweiz keine Gültigkeit. Die Schweiz kann ihr Mehrwertsteuerrecht weiterhin autonom gestalten. Die Bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU berühren die Mehrwertsteuer nur im Rahmen der Amts- und Rechtshilfe. Diese Bestimmungen sind durch diese Vorlage nicht betroffen.

Zu erwähnen ist weiter der am 28. Oktober 199411 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein abgeschlossene Staatsvertrag betreffend die MWST im Fürstentum Liechtenstein. Mit diesem Vertrag übernimmt das Fürstentum Liechtenstein, das im Übrigen mit der Schweiz ein einziges Zollgebiet bildet, das in der Schweiz geltende Mehrwertsteuerrecht für sein Staatsgebiet.

Ziel des Vertrags ist es, eine einheitliche Regelung, Auslegung und Durchsetzung der MWST in beiden Ländern zu gewährleisten. Dieser Vertrag behält seine Gültigkeit, sofern er nicht von einer der beiden Vertragsparteien aufgekündigt wird. Entsprechend dem Vertrag wird das Fürstentum Liechtenstein sein Mehrwertsteuerrecht dem revidierten schweizerischen Mehrwertsteuergesetz anpassen müssen.

Ausserdem besteht ein am 23. November 196412 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossener Vertrag über die Einbeziehung der Gemeinde Büsingen am Hochrhein in das schweizerische Zollgebiet. Nach diesem Staatsvertrag findet in der deutschen Gemeinde Büsingen das schweizerische Mehrwertsteuerrecht Anwendung. Dies bedeutet, dass die Schweiz auch auf dem Gebiet der Gemeinde Büsingen die MWST auf der Einfuhr und den dort erbrachten Leistungen erhebt. Im Gegenzug beteiligt sich die Schweiz mit einem Anteil aus dem Mehrwertsteuerertrag an den Sonderlasten der Gemeinde Büsingen und ihrer Bevölkerung. Der Staatsvertrag behält seine Gültigkeit, sofern er nicht von einer der Vertragsparteien aufgekündigt wird.

6

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die verfassungsmässige Grundlage für den Sondersatz bildet Artikel 130 BV gemäss dem Bundesbeschluss vom 19. März 2004 über eine neue Finanzordnung, wonach das Gesetz für die Besteuerung der Beherbergungsleistungen einen Satz zwischen dem reduzierten und dem Normalsatz festlegen kann (Art. 130 Abs. 2 BV).

10 11 12

ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1.

SR 0.641.295.142 SR 0.631.112.136

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Anhang

Besteuerung der Beherbergungsleistungen in der EU Mitgliedstaat

Normalsatz

Beherbergungsleistungen

Belgien Bulgarien Tschechische Republik

21 20 21

6 9 15

Dänemark

25

25

Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich Polen Portugal Rumänien Slowenien

19 20 23 23 21 20 25 22 19 21 21 17 27 18 21 20 23 23 20 22

7 9 9 13 10 10 13 10 9 12 9 3 18 7 6 13a 8 6 9 9,5

Slowakei

20

20

Finnland Schweden

24 25

10 12

Vereinigtes Königreich

20

20

a

Seit dem 1. Mai 2016 Quelle: Europäische Kommission, Steuern und Zollunion, 1. Januar 2016, Die Mehrwertsteuersätze in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/docs/body/vat_rates_de.pdf)

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