12.413 Parlamentarische Initiative Keine Ernennung als Beistand oder Beiständin wider Willen!

Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 2. Februar 2017

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Zivilgesetzbuches. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

2. Februar 2017

Im Namen der Kommission Der Präsident: Jean Christophe Schwaab

2017-0395

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Übersicht Die Erwachsenenschutzbehörde hat die Eignung von Personen zu prüfen, die eine Beistandschaft übernehmen. Dabei muss insbesondere gewährleistet sein, dass eine Person sowohl in persönlicher als auch in fachlicher Hinsicht als Beiständin oder als Beistand geeignet ist. Daher soll eine Person nicht mehr gegen ihren Willen zur Übernahme einer Beistandschaft verpflichtet werden können. Vielmehr wird neu ihr Einverständnis vorausgesetzt.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Parlamentarische Initiative

Am 14. März 2012 reichte Nationalrat Jean Christophe Schwaab eine parlamentarische Initiative ein, mit der er verlangt, dass niemand gegen seinen oder ihren Willen zum Beistand oder zur Beiständin ernannt wird.1 Am 1. November 2012 prüfte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (die Kommission) die Initiative und beschloss mit 12 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung, ihr Folge zu geben (Art. 109 Abs. 2 ParlG2). Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates stimmte diesem Beschluss am 21. Januar 2013 mit 7 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung zu (Art. 109 Abs. 3 ParlG).

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission befasste sich am 20. Februar 2014 mit der Umsetzung der parlamentarischen Initiative. Sie hat mit 15 zu 8 Stimmen einen Vorentwurf angenommen und entschieden, diesen den Kantonen zur Stellungnahme zu unterbreiten. Vor dem Hintergrund der eingegangenen Stellungnahmen hat die Kommission an ihrer Sitzung vom 16. Oktober 2014 einstimmig entschieden, die Arbeiten vorerst auszusetzen. Der Nationalrat hat am 20. März 2015 einer Fristverlängerung um zwei Jahre zugestimmt. Die Kommission nahm ihre Arbeiten anlässlich ihrer Sitzung vom 2. Februar 2017 wieder auf. Den beiliegenden Entwurf hat sie mit 14 zu 0 Stimmen bei 8 Enthaltungen angenommen.

Die Kommission wurde bei ihrer Arbeit gemäss Artikel 112 Absatz 1 ParlG vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

2

Allgemeine Erwägungen

2.1

Ausgangslage

Damit eine Beistandschaft ihren Zweck erreicht, ist es entscheidend, dass die Behörde die passende Massnahme anordnet. Von zentraler Bedeutung ist dabei in vielen Fällen die Ernennung einer geeigneten Person als Beiständin oder als Beistand3.

Diese Person muss für die Übernahme der Aufgaben in persönlicher und fachlicher

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Pa.Iv.12.413. «Keine Ernennung als Beistand oder Beiständin wider Willen!».

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (ParlG); SR 171.10.

Ruth E. Reusser, in: Honsell/Vogt/Geiser (Hrsg.), Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I, 5. Aufl., Basel 2014 (nachfolgend: BSK-Reusser), Art. 400 N 10 f.

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Hinsicht geeignet sein. Im Übrigen muss sie zeitlich disponibel sein und das Mandat persönlich ausführen (Art. 400 Abs. 1 ZGB4).

Das Gesetz umschreibt nicht im Einzelnen, was unter «geeignet» zu verstehen ist.

Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) hat deshalb bei der Konkretisierung dieses Begriffs ein grosses Ermessen. Sie hat sich daran zu orientieren, was im Einzelfall den Interessen und dem Wohl der betroffenen Person dient. Als geeignete Personen kommen sowohl Privatbeistände als auch Berufsbeistände in Frage.

Beim Amt des Beistandes handelt es sich um eine Bürgerpflicht5, die in einem gewissen Rahmen entschädigt wird (Art. 404 ZGB). Hat die KESB eine Person als Beistand ernannt, ist diese verpflichtet, das Amt anzunehmen, wenn nicht wichtige Gründe dagegen sprechen (Art. 400 Abs. 2 ZGB). Die geltende Übernahmepflicht will zum Ausdruck bringen, dass im Bereich des Erwachsenenschutzes Werte wie Solidarität und Mitmenschlichkeit gelten sollen. Es ist im Ermessen der rechtsanwendenden Behörden festzulegen, was unter «wichtigen Gründen» zu verstehen ist.

Die Übernahmepflicht findet auf Personen Anwendung, die in der Schweiz Wohnsitz haben, und zwar unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit. Diese Pflicht kann auch auf Personen Anwendung finden, die nicht im Zuständigkeitsbereich der KESB Wohnsitz haben. Die Beistandschaft ist persönlich auszuführen und kann nicht durch die Leistung einer Ersatzabgabe abgegolten werden6.

2.2

Problematik des geltenden Rechts

Eine Person, die als Beiständin oder als Beistand ernannt werden soll, ist zu diesem Amt geeignet, wenn sie die nötigen Sozial-, Selbst- und Fachkompetenzen besitzt7.

Es kann allerdings kaum im Interesse einer hilfsbedürftigen Person sein, wenn für sie eine Beiständin oder einen Beistand ernannt wird, die oder der das Amt widerwillig und unter Zwang übernimmt. Eine solche Person wird auch nicht in der Lage sein, eine Vertrauensbeziehung zur verbeiständeten Person und ihren Angehörigen aufzubauen (Art. 406 ZGB). Wer nicht motiviert ist, wird mutmasslich nicht die Arbeit leisten und das Engagement haben, die für eine erfolgreiche Beistandschaft erforderlich sind. Dieses Argument gewinnt an Bedeutung, wenn man bedenkt, dass hilfsbedürftige Personen häufig in schwierigen Situationen leben: Sie haben Suchtprobleme, finanzielle Schwierigkeiten, leiden unter chronischen Krankheiten oder sind einsam. In der Lehre wird zudem die Meinung vertreten, dass die geltende

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Zivilgesetzbuch (ZGB); SR 210.

AB 2007 S 835 BSK-Reusser, Art. 400 N 39.

Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht), BBl 2006 7049.

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Übernahmepflicht gegen das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit verstosse und überholt sei8.

Die Kommission hat im Rahmen der bei den Kantonen durchgeführten Konsultation festgestellt, dass die geltende Übernahmepflicht in allen Kantonen heute keine praktische Bedeutung mehr hat. Bei Einreichung der parlamentarischen Initiative im Jahr 2012 wurde sie einzig noch im Kanton Waadt umgesetzt, indem dort die ernannten Personen auch gegen ihren ausdrücklichen Willen zur Amtsübernahme verpflichtet worden waren9. Vor dem Hintergrund der Arbeiten der nationalrätlichen Rechtskommission erfolgte schliesslich auch im Kanton Waadt eine Praxisänderung, indem der Kanton im Juli 2014 ankündigte, zukünftig keine weiteren Personen mehr gegen ihren Willen zur Übernahme eines Mandats als Beiständin oder Beistand zu verpflichten. Somit kommt Artikel 400 Absatz 2 ZGB in seiner heutigen Form keine praktische Bedeutung mehr zu.

2.3

Grundzüge der Vorlage

Die Kommission ist der Ansicht, dass die Übernahme einer Beistandschaft neu von Bundesrechts wegen und damit schweizweit in sämtlichen Kantonen auf freiwilliger Basis erfolgen soll. Sie ist dabei den Überlegungen gefolgt, dass für eine gute Erfüllung der besonderen Aufgaben, die eine Beistandschaft mit sich bringt, nebst Kompetenzen und zeitlicher Verfügbarkeit auch die Motivation des künftigen Beistandes massgebend sein soll. Die Zustimmung der ernannten Person soll deshalb Voraussetzung für die Eignung als Beiständin oder als Beistand sein.

Dieser Vorschlag der Kommission schliesst jedoch nicht aus, dass insbesondere Angehörige oder andere nahestehende Personen als Privatbeiständinnen und -beistände bezeichnet werden können, dies umso weniger, als sie sich zur Ausübung dieses Amtes einverstanden erklären. Auch hindert er die Erwachsenenschutzbehörde nicht daran, die Wünsche der bevormundeten Person oder ihrer Angehörigen zu berücksichtigen (Art. 401 ZGB).

8

9

Alexandre Flückiger, L'obligation d'être tuteur: un principe de subsidiarité à l'épreuve de l'article 4 CEDH, ZKE 4/2011, S. 263 ff. Vgl. auch die « Demande directe » von 2014 an die Schweiz zum Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen (CEACR) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), online abrufbar unter: http://www.ilo.org/dyn/normlex/fr/f?p=NORMLEXPUB:13100:0::NO::P13100_ COMMENT_ID:3175569.

Alexandre Flückiger, a.a.O., S. 277 f.

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2.4

Ausländische Regelungen10

Italien sieht eine Amtspflicht für die Vormundschaft über Unmündige vor (Art. 346 CC it.). Das Vormundschaftsgericht kann gemäss Artikel 383 CC it. den Vormund eines Unmündigen vom Mandat entbinden, wenn dieses eine aussergewöhnlich schwere Last bedeutet und eine andere Person bereit ist, das Amt zu übernehmen. In Deutschland ist die zwangsweise Durchsetzung der Amtspflicht auf die Vormundschaft für Unmündige beschränkt und gilt für jeden Deutschen (§ 1785 i.V.m.

§§ 1780­1784 BGB). Das Vormundschaftsgericht kann den Ausgewählten durch Festsetzung von Zwangsgeld zur Übernahme der Vormundschaft anhalten (§ 1788 BGB). Frankreich beschränkt sich darauf festzulegen, dass die Vormundschaft für Unmündige bzw. der Schutz für die Person und das Vermögen eines Erwachsenen «est un devoir des familles et de la collectivité publique». In Österreich kann ein Rechtsanwalt oder ein Notar die Übernahme einer Sachwalterschaft für einen Erwachsenen nur ablehnen, wenn ihm diese unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann (§ 274 Abs. 2 ABGB).

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 400 Abs. 2 Die KESB sollen neu keinen Beistand gegen seinen Willen ernennen dürfen. Die neue Regelung entspricht bereits der Praxis, wie sie heute in sämtlichen Kantonen gelebt wird. Unbestritten ist, dass private Beistandschaften nach wie vor möglich sein sollen. Die KESB bestimmen im konkreten Fall, welche Personen zur Übernahme einer Beistandschaft geeignet sind. Diese Personen müssen für die vorgesehenen Aufgaben persönlich und fachlich geeignet sein, die dafür erforderliche Zeit einsetzen können und die Aufgaben selber wahrnehmen (Art. 400 Abs. 1 ZGB).

Ziff. II Abs. 2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten. Ab dem Datum der Inkraftsetzung dürfen keine neuen Beistände mehr gegen ihren Willen eingesetzt werden. Für die bestehenden Beistandschaften gilt dagegen Artikel 422 ZGB, wonach der Beistand frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung aus dem Amt hat.

Beistände, die gestützt auf Artikel 400 Absatz 2 des geltenden Zivilgesetzbuches gegen ihren Willen ernannt worden sind, sind somit auch nach dem Inkrafttreten der Revision noch für eine befristete Zeit verpflichtet, ihr Amt weiterzuführen.

10

Die Rechtsvergleichung stützt sich auf BSK-Reusser, Art. 400 N 45.

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Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund

Die vorgeschlagene Neuregelung hat keine Auswirkungen auf den Bund.

4.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die geltende gesetzliche Pflicht, eine Beistandschaft zu übernehmen, wird heute bei der Einsetzung von neuen Beistandschaften in keinem Kanton mehr umgesetzt. Im Kanton Waadt sind allerdings noch zahlreiche Personen als Beistände und Beiständinnen eingesetzt, die das Mandat ursprünglich gegen ihren Willen übernehmen mussten. Die Gesetzesänderung wird deshalb nur in diesem Kanton finanzielle Auswirkungen haben, denn sie bedingt eine Neuverteilung der Mandate und die Schaffung einer neuen Rekrutierungsform im Kanton Waadt. Für die anderen Kantone wird die neue Regelung zu keinen nennenswerten Änderungen führen.

4.3

Vollzugstauglichkeit

Die vorgeschlagene neue Regelung stellt inzwischen bereits nach dem geltenden Recht in allen Kantonen geltende Praxis dar.

5

Verfassungsmässigkeit

Die neue Regelung betreffend die Freiwilligkeit der Annahme einer Beistandschaft stützt sich auf die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Zivilrechts (Art. 122 Abs. 1 BV).

5.1

Erlassform

Die neue Regelung wird auf Gesetzesstufe geregelt.

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