Sistierung des Projekts «Bodengestützte Luft-Verteidigung (BODLUV) 2020»; Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und Ständerates vom 26. Januar 2017 Stellungnahme des Bundesrates vom 12. April 2017

Sehr geehrte Kommissionspräsidenten Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des National- und des Ständerates vom 26. Januar 20171 betreffend die «Sistierung des Projektes BODLUV 2020» nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes (ParlG; SR 171.10) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Kommissionspräsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

12. April 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 22. März 2016 sistierte der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) das Beschaffungsprojekt «Bodengestützte Luft-Verteidigung (BODLUV) 2020». Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte beschlossen am 9. Mai 2016, eine Inspektion zur Sistierung des Projektes einzuleiten und dafür eine Arbeitsgruppe einzusetzen.

Gegenstand der Inspektion waren die Grundlagen des Sistierungsentscheids und die Angemessenheit des Entscheids an sich.

Am 26. Januar 2017 stellten die Geschäftsprüfungskommissionen dem Bundesrat den Bericht mit den Ergebnissen der Inspektion zu. Es wurden Feststellungen dokumentiert und verschiedene Mängel geortet, zu deren Behebung die Geschäftsprüfungskommissionen zwei Empfehlungen formuliert haben. Der Bundesrat wurde aufgefordert, bis am 27. April 2017 eine Stellungnahme zu den Empfehlungen abzugeben.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat hat vom Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalund des Ständerates vom 26. Januar 2017 Kenntnis genommen. Konkret nimmt der Bundesrat zu den einzelnen Empfehlungen wie folgt Stellung: Empfehlung 1 Die Geschäftsprüfungskommissionen fordern den Bundesrat auf, zusammen mit dem Vorsteher des VBS dafür zu sorgen, dass die sistierte Evaluation in der Zwillingsvariante durch Thales Schweiz wieder aufgenommen und rasch abgeschlossen wird, so dass die bisherigen Auslagen noch einen Nutzen erbringen und möglichst bald fundierte Daten zu den evaluierten Systemen und insbesondere zu deren allfälligen Beschaffungskosten vorliegen.

Zudem wird der Bundesrat ersucht, in einem Bericht darzulegen, wie die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher bei Verfahrensentscheiden vorgehen sollen, um in Zukunft voreilige, kostspielige Entscheide zu vermeiden.

Der Bundesrat nimmt die Empfehlung zur Kenntnis.

Er wird bei seinen weiteren Entscheiden zur Modernisierung der Luftverteidigung die Aufforderung der Geschäftsprüfungskommissionen bedenken. Er sieht derzeit aber keine Veranlassung, das VBS mit der raschen Wiederaufnahme der sistierten Evaluation zu beauftragen.

Der Bundesrat kann sich der Auffassung nicht anschliessen, dass im vorliegenden Geschäft voreilige Entscheide getroffen wurden. Der Sistierungsentscheid von 3562

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Bundesrat Guy Parmelin als Vorsteher des VBS ist nachvollziehbar. Der Bundesrat hat keinen Anlass, die Sachlage anders zu beurteilen. Konsequenterweise kann der Bundesrat auch keinen Bedarf nach einem Bericht erkennen, wie ihn die Geschäftsprüfungskommissionen empfehlen.

Zur Beurteilung der sachlichen und politischen Angemessenheit des Vorgehens des Vorstehers des VBS erscheint es dem Bundesrat nützlich, folgende Aspekte zu beachten: ­

Gleich zu Beginn seines Amtsantrittes im Januar 2016 liess der Vorsteher des VBS sich in mehreren Sitzungen von den Verantwortlichen über das Projekt BODLUV 2020 informieren. Im Februar 2016 informierte er den Bundesrat über die geplanten Vorbereitungsarbeiten zur Evaluation eines neuen Kampfflugzeuges. Wie vom Bundesrat am 24. Februar 2016 kommuniziert, arbeitet zurzeit eine vom VBS eingesetzte interne Expertengruppe einen Grundlagenbericht zur Evaluation und Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges aus. Eine Begleitgruppe wird Empfehlungen zum gleichen Thema machen. Beide Gruppen haben den Auftrag, Kampfflugzeuge und bodengestützte Systeme zur Luftverteidigung in ihre Überlegungen einzubeziehen.

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Am 22. März 2016 entschied der Vorsteher des VBS, das Projekt BODLUV 2020 zu sistieren, weil aus seiner Sicht keine für die weiteren Arbeiten in den Projekten für ein neues Kampfflugzeug (NKF) und BODLUV genügend detaillierte Gesamtübersicht der Luftverteidigung vorlag. Zudem kursierten sehr unterschiedliche Informationen zu den voraussichtlichen Kosten des Projekts. Die Kosten konnten offensichtlich nicht vollständig und zuverlässig abgeschätzt werden. Es war der Armee und der armasuisse nicht gelungen, den Vorsteher des VBS als Verantwortlichen vom Projekt zu überzeugen. Entscheidend war vor allem die Ungewissheit bezüglich der Kosten.

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Im Masterplan 2013 waren für das Gesamtsystem, bestehend aus verschiedenen Teilsystemen mit mittlerer und kurzer Reichweite, zum Schutz von sechs Räumen und sechs Objekten insgesamt 500 Millionen Franken vorgesehen.

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Im Sommer 2015 bezifferten die Hersteller in ihren Offerten die Kosten für zwei Teilsysteme mittlerer Reichweite aufgrund von groben Kostenschätzungen auf 700 Millionen Franken. Für ein weiteres Teilsystem musste mit zusätzlichen Kosten von ungefähr 100 Millionen Franken gerechnet werden.

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Ende 2015 wurde die Evaluation der Lenkwaffen mit einem umstrittenen Typenvorentscheid abgeschlossen. Anlass zu Diskussionen gaben die Allwettertauglichkeit der deutschen Lenkwaffe IRIS-T SL und die Reichweite des britischen Produkts CAMM-ER. Beide Lenkwaffen wurden von der beauftragen Generalunternehmerin evaluiert. Gemäss deren Prüfbericht hatten beide Lenkwaffen Leistungseinschränkungen. Am 19. Januar 2016 sprachen sich die Mitglieder der Projektaufsicht für eine Zwillingsvariante, das heisst die Kombination zweier Systeme, und für folgendes Vorgehen aus: In einer ersten Phase sollte mit dem Rüstungsprogramm 2017 IRIS-T SL zur Beschaffung beantragt werden. In einer zweiten Phase sollte bei Bedarf im 3563

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Rahmen des Rüstungsprogramms 2020 das Teilkonzept BODLUV 2020 für mittlere Reichweite mit einer radargelenkten Lenkwaffe ergänzt werden; und später sollte gegebenenfalls noch das Gesamtkonzept BODLUV 2020 mit einem Teilsystem für kurze Distanz vervollständigt werden.

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Im Ausblick über anstehende Beschaffungen in der Armeebotschaft 2016 vom 24. Februar 2016 wurden die Kosten allein für BODLUV 2020 mittlere Reichweite auf 1,1 Milliarden Franken veranschlagt. Für das gesamte Projekt BODLUV 2020, einschliesslich der kurzen Reichweite, lagen keine zuverlässigen Schätzungen vor.

Eine solche Kostenentwicklung ist für das VBS angesichts der beschränkten Mittel, die der Armee zur Verfügung stehen, des absehbaren hohen Erneuerungsbedarfs bei den Grosssystemen der Armee sowie der Lage und der Perspektiven des Bundeshaushalts nicht akzeptabel. Der Abschluss einer Evaluation, die sich in diesem volatilen Finanzrahmen bewegt, hätte für das VBS und die Armee keinen Nutzen.

Die Bedenken des Vorstehers des VBS bezüglich der Art und Weise der Beschaffung mit einem Generalunternehmer wurden im Herbst 2016 in den Ergebnissen der Administrativuntersuchung durch den ehemaligen Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle bestätigt. In Anbetracht insbesondere aller finanziellen, aber auch technischen und beschaffungsmethodischen Aspekte erachtet der Bundesrat es als verständlich und nachvollziehbar, dass der Vorsteher des VBS das Projekt sistierte.

Der Bericht der Expertengruppe zur Vorbereitung der Evaluation und der Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges unter Einbezug bodengestützter Systeme zur Luftverteidigung wird, ebenso wie die Empfehlungen der Begleitgruppe zum gleichen Thema, für Mai 2017 erwartet. Der Vorsteher des VBS wird in der Folge entscheiden, in welcher Form ein Projekt BODLUV wieder aufgenommen werden soll.

Empfehlung 2 Die GPK fordern den Vorsteher des VBS auf, bei künftigen Führungsentscheiden von einer gewissen politischen Tragweite den vorgesehenen Entscheidungsprozessen Rechnung zu tragen und die ihm unterstellten verantwortlichen Personen einzubeziehen. Zugleich soll er mit geeigneten Massnahmen auch für die Schaffung einer offenen und aktiven internen sowie externen Kommunikationskultur sorgen.

Es ist Teil der vorgesehenen Entscheidungsprozesse, dass der Vorsteher des VBS als politisch Verantwortlicher in laufende Projekte eingreifen und solche auch sistieren kann. Wie jedes Mitglied des Bundesrates muss er sein Departement führen und als Regierungsmitglied Entscheide fällen. Es darf keinen technokratischen Automatismus geben, der sich der politischen Steuerung entzieht.

Der Vorsteher des VBS war und ist sich der Tragweite seiner Entscheide bewusst.

Auch in Zukunft wird er darum bemüht sein, seine Entschlüsse nach sorgfältig und umfassend durchgeführter Problemerfassung und Lagebeurteilung zu fällen. Der Vorsteher des VBS pflegt und fordert eine offene und transparente Kommunikations- und Kritikkultur.

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Die interne und die externe Kommunikation sind wichtig. Innerhalb des VBS sind aufgrund der Ergebnisse der Administrativuntersuchung durch den ehemaligen Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle Kurt Grüter Massnahmen zur Verbesserung der Kommunikation ergriffen worden. Eine zeitgerechte, transparente und proaktive interne und externe Kommunikation wird angestrebt, wie sie bei den Unglücksfällen der Luftwaffe im vergangenen Jahr oder jüngst beim Projekt Führungsinformationssystem Heer angewandt wurde. Die Publikation eines Berichtes über die wichtigsten Projekte des VBS im Frühling 2017 ist ein weiterer Schritt in dieser Richtung.

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