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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der abgeänderten §§ 27, 95 und 96 der Staatsverfassung des Kantons Luzern.

(Vom 22. März 1935.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

In der Abstimmung vom 15. Juli 1934 hat das Volk des Kantons Luzern zwei vom Grossen Bat erlassene Gesetze betreffend Abänderung der Staatsverfassung angenommen, nämlich das Verfassungsgesetz vom 15. Mai 1934 betreffend Abänderung des § 27 der Staatsverfassung (Stimmfähigkeitsverlust) und das Verfassungsgesetz vom 15. Mai 1934 betreffend Abänderung und Ergänzung der §§95 und 96 der Staatsverfassung (Volkswahl und Minderheitsvertretung) .

Mit Schreiben vom 29. November 1934 sucht der Eegierungsrat des Kantons Luzern die eidgenössische Gewährleistung für die beiden Gesetze nach.

I.

§ 27 der Staatsverfassung des Kantons Luzern zerfällt in zwei Abschnitte.

Der erste Abschnitt (Abs. l--5) regelt das Stimmrechtsdomizil für kantonale Wahlen und Abstimmungen und die Voraussetzungen für den Besitz des politischen Stimmrechts ; er wird von der vorliegenden Verfassungsänderung nicht berührt.

Der zweite Abschnitt des § 27 der Staatsverfassung enthält die Vorschriften über den Ausschluss von der Stimmfähigkeit. Durch das Verfassungsgesetz vom 15. Mai 1934 wird er nun aufgehoben und durch eine neue Bestimmung ersetzt. In seiner bisherigen und in der neuen Fassung lautet er wie folgt: Alter Text: «Von der Stimmfähigkeit sind ausgeschlossen: a. die zu einer Kriminalstrafe Verurteilten bis zu ihrer Réhabilitation;

Neuer Text: «Die Fälle des Ausschlusses von der Stirnmfähigkeit werden durch die Gesetzgebung geregelt.»

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b. die im Aktivbürgerrecht Eingestellten ; c. die Bevogteten und anerkannt Blödsinnigen ; d. diejenigen, "welche nach dem zwanzigsten Altersjahr für sich unmittelbar oder mittelbar iür Frau und Kinder von den Armenamtern Unterstützungen genossen und solche nicht restituiert haben.

Der Gesetzgebung bleibt überlassen, die Bedingungen der Wiedereinsetzung ins Stimmrecht zu erleichtern.

Vorbehalten bleiben allfällige Abänderungen, welche die Bundesgesetzgebung bezüglich des Stimmrechts treffen wird.» Das Verfassungsgesetz enthält ferner in § 2 eine Übergangsbestimmung folgenden Wortlauts: «Bis zum Erlasä der in § l vorgesehenen gesetzlichen Bestimmungen bleiben von der Stimmfähigkeit ausgeschlossen: 1. die ohne Zubilligung des bedingten Straferlasses zu einer Kriminalstrafe Verurteilten bis zu ihrer Rehabilitation; 2. die strafgerichtlich im Aktivbürgerrecht Eingestellten; 8. die rechtskräftig Bevormundeten oder amtsarztlich als urteilsunfähig Erklärten, deren Bevormundung noch nicht rechtskräftig ausgesprochen ist; 4. diejenigen, die nach dem zwanzigsten Altersjahr unmittelbar für sich oder mittelbar für die Ehefrau und die minderjährigen Kinder von den Gemeinden oder vom Staate Armenunterstutzung bezogen und sie selbst verschuldet haben.

Der Verlust der Stimmfähigkeit dauert nach Aufhören der Unterstützung fünf Jahre.

Wer vor Ablauf dieser Frist mindestens die Hälfte der in den letzten fünf Jahren erhaltenen Unterstützungen zurückerstattet, erlangt die Stimmfähigkeit wieder.

Unterstützte, die ohne eigenes Verschulden unterstützungsbedürftig geworden sind, bleiben stimmfähig.

Das Nähere regelt eine Verordnung des Eegierungsrates. Die Verordnung soll auch bestimmen, welche Arten von Armenunterstützungen den Verlust der Stimmfähigkeit nicht nach sich ziehen.»

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Bin Vergleich der bisherigen mit den neuen Bestimmungen über den Ausschluss von der Stimmberechtigung ergibt, dass bis jetzt die Fälle des Stimmfähigkeitsverlustes in der Verfassung abschliessend aufgezählt waren, während es gemäss dem neuen Verfassungsgesetz inskünftig der Gesetzgebung überlassen sein wird, die Voraussetzungen zu umschreiben, die den Verlust der Stimmfähigkeit herbeiführen. Aus der Verfassung allein wird somit nicht mehr ersichtlich sein, wann einem Bürger die Ausübung des Stimmrechts entzogen ist. Man könnte sich fragen, ob dies zulässig sei, ob nicht notwendigerweise in jeder Kantonsverfassung die Voraussetzungen zur Ausübung und zum Verlust des Stimmrechts aufgezählt sein müssen, da Art. 6, lit. b, der Bundesverfassung voraussetzt, dass die kantonalen Verfassungen «die Ausübung der politischen Eechte nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen sichern».

Tatsächlich sind nun allerdings in den meisten Kantonen die Fälle des Stimmrechtsverlustes durch kantonale Verfassungsbestimmungen geordnet.

Notwendig ist dies aber gleichwohl nicht ; denn die Bundesverfassung verlangt nicht, dass jedem Bürger die Ausübung der politischen Bechte gesichert sein müsse, noch stellt sie bestimmte eidgenössische Voraussetzungen für den Ausschluss von der Stimmfähigkeit auf, deren Innehaltung bei der Gewährleistung der Kantonsverfassungen durch den Bund geprüft werden müsste.

Sie setzt bloss die republikanische Staatsform voraus, die allerdings auf dem Grundgedanken der Gleichheit der Bürger beruht, aber den Entzug des aktiven Bürgerrechts in bestimmten Ausnahmefällen nicht ausschliesst (vgl. Burckhardt Kommentar, III. A., S. 66). Grundsätzlich erteilt denn auch die Verfassung des Kantons Luzern das politische Stimmrecht allen Kantonsbürgern tind im Kanton niedergelassenen Schweizerbürgern in gleicher Weise (§ 27, I. Abschnitt), während das neue Verfassungsgesetz zum Ausdruck bringt, dass es sich beim Ausschluss von der Stimmfähigkeit um Ausnahmen handelt. Die neue Ordnung stimmt in dieser Hinsicht mit derjenigen der Kantone BaselStadt und Wallis überein. Vom Standpunkt des eidgenössischen Verfassungs rechts ist sie nicht zu beanstanden. Allfälligen Bedenken gegenüber kann noch auf den Art. 43 der Bundesverfassung verwiesen werden, der vorsehreibt, dass kantonale Gesetze über
das Stimmrecht der Niedergelassenen in den Gemeinden der Genehmigung des Bundesrates unterliegen.

Die in § 2 des Verfassungsgesetzes aufgestellten Übergangsbestimmungen ordnen der Ausschluss von der Stimmfähigkeit bis zum Erlass des vorgesehenen Gesetzes, werden also in jenem Zeitpunkt wieder ausser Kraft treten. Sie sind Gesetzesrecht und bedürfen deshalb der Gewährleistung des Bundes nicht (s. die analogen Fälle in Burckhardt, Kommentar III. A., S. 64). Aber es ist klar, dass sie ihnen inhaltlich ohne weiteres erteilt werden könnte, da sie Grundsätze enthalten, die mit den in der bisherigen Verfassungsbestimmung und zum Teil auch in Bundesgesetzen enthaltenen Vorschriften übereinstimmen und in ähnlicher Weise in vielen andern Kantonsverfassungen enthalten sind.

587 II.

Die §§95 und 96 der Luzerner KantonSA^erfassung regeln die Wahlart und das Wahlverfahren bei der Bestellung vollziehender oder richterlicher Behörden des Kantons. Die durch das vorliegende Verfassungsgesetz abgeänderten bisherigen, sowie die neuen Bestimmungen dieser beiden Paragraphen haben folgenden Wortlaut:

Alter Text: § 95. «Die Wahl der Mitglieder des Begierungsrates, der Ständeräte, some der Mitglieder der Amtsgerichte hat durch geheimes absolutes Stimmenmehr zu erfolgen. Bei den übrigen durch die Verfassung vorgeschriebenen Volkswahlen kann die Versammlung durch zwei Drittel der Anwesenden das offene Mehr beschliessen.

Die Abstimmung erfolgt entweder in versammelter Gemeinde oder nach dem Urnensystem.

Die Bureaux werden bei allen Wahlen und Abstimmungen, welche nicht mittels der Urne erfolgen, wie folgt bestellt : a. Der Gemeindepräsident des Versammlungsortes ist von Amts wegen Wahlpräsident.

i>. Er beruft sofort beim Beginn des Wahlaktes zwei provisorische Stimmenzähler und Sekretäre, wobei er allfällig einander gegenüberstehende Parteien zu berücksichtigen verpflichtet ist.

c. Nach Bestellung des provisorischen Bureaus hat der Wahlpräsident die Versammlung anzufragen, ob sie mit diesen Vorschlägen einverstanden sei oder nicht. Wenn wenigstens ein Drittel der Versammlung sich nicht einverstanden erklärt, so wählt die Versammlung in geheimer Abstimmung zwei definitive Stimmenzähler und Sekretäre in der Weise, dass für

Neuer Test: § 95. «Die der Volkswahl unterstellten Vollziehungsbehörden und die Ständeräte werden nach dem. absoluten Stimmenmehr gewählt. Die Stimmabgabe ist geheim. Jedoch kann bei der Wahl der Vollziehungsbehörden der Gemeinden die Versammlung mit zwei Dritteln der Anwesenden das offene Mehr beschliessen. Die Einwohner- und Ortsbürgergemeinden sind überdies befugt, in Abweichung von dieser Vorschrift durch geheime Abstimmung, bei der das absolute Mehr der gültig Stimmenden maßgebend ist, das Verhältniswahlverfahren für die Wahl der Gemeinderäte und der Gemeindeausschüsse (Eechnungskommissionen, in der Stadt Luzern Grosser Stadtrat und Grösserer Ortsbürgerrat) einzuführen. In gleicher Weise können sie einen solchen Einführungsbeschluss vor Beginn einer nachfolgenden Amtsperiode wieder aufheben.

Den in § 94, Absatz 2, der Staatsverfassung genannten Gemeindensteht es frei, das Verhältniswahlverfahren durch ihre Organisationen einzuführen.

Das Nähere regelt das Gesetz.»

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je zwei zu wählende Stimmenzähler und Sekretäre jeder Wähler nur einen Namen auf den Stimmzettel schreiben kann, wobei dann je diejenigen zwei gewählt sind, welche die relativ meisten Stimmen auf sich vereinigt haben.

d. In der Stadtgemeinde Luzern treten bei Grossrats- und Verfassungsratswahlen die stimmfähigen Bürger eines Wahlkreises zu einer besondern Versammlung zusammen. Die Versammlung eines jeden Wahlkreises wird von einem Mitgliede des Stadtrates präsidiert. Andere Wahlen und Abstimmungen können in einer einzigen oder auch in zwei getrennten Versammlungen (der Gross-und Kleinstadt) mit besondern Bureaux stattfinden. Die Bestellung der Bureaux jeder Versammlung erfolgt nach obigen Bestimmungen.

e. Den Kreisen, welche nur aus einer Gemeinde bestehen, steht es frei, zu beschliessen, dass das so gewählte Bureau für alle Wahlen und Abstimmungen des gleichen Wahlkörpers während der vierjährigen Amtsperiode gelten solle.

Das Verfahren bei der Umenabstinimung wird durch das Gesetz geregelt.» § 96, Abs. 1: «Bei Bestellung des Begierungsrates, des Obergerichts, des Kriminalgerichts, des Erziehungsrates und der Grossratskommissionen ist im allgemeinen auf Vertretung der Minderheit billige Eücksicht zu nehmen.»

§ 96. Abs. 1: «Bei der Bestellung des Begierungsrates, des Erziehungsrates, des Obergerichts, des Kriminalgerichts, der Amtsgerichte und der Kommissionen des Grossen Bates ist auf die Vertretung der politischen Parteien billige Bücksicht zu nehmen, ebenso bei der Bestellung der Gemeinderäte und der Gemeindeausschüsse der Einwohner- und Ortsbürgergemeinden, in denen diese Behörden nicht nach dem Verhältniswahlverfahren gewählt werden.»

589 Durch ein kantonales Gesetz betreffend die Wahl der Gemeinderäte und der Ortsbürgerräte vom 9. September 1930 war im Kanton Luzern den Einwohner- und Ortsbürgergemeinden die Befugnis eingeräumt worden, mittels Abstimmung für die Wahl der Mitglieder des Gemeinderates und des Ortsbürgerrates das Verhältniswahlverfahren einzuführen; die Anwendung des Gemeindeproporzes war also fakultativ jeder Gemeinde selbst überlassen. Der Grosse Eat ging bei Erlass dieses Gesetzes von der Auffassung aus, dass der Wortlaut des bisherigen § 95, Abs. l, der Staatsverfassung die Einräumung dieser Befugnis an die Gemeinden gestatte. Dabei erleichtert das Gesetz vom 9. September 1930 die Einführung des Proporzes insoweit, als es dieses Wahlverfahren schon dann als angenommen bezeichnet, wenn wenigstens zwei Fünftel der gültig stimmenden Bürger in einer Gemeindeabstimmung sich dafür ausgesprochen haben, Zweck des vorliegenden Verfassungsgesetzes ist es nun in erster Linie, die Einführung des Verhältniswahlverfahrens für die Wahl der Gemeinderäte und der Gemeindeausschüsse (Eechnungskommissionen ; in der Stadt Luzern Grosser Stadtrat und Grösserer Ortsbürgerrat) in dem Sinne zu erschweren, dass die Einwohner- und Ortsbürgergemeinden diesen Beschluss nur noch in geheimer Abstimmung und nur durch das absolute Mehr der gültig Stimmenden fassen können. Auch die Aufhebung eines solchen Beschlusses hat in gleicher Weise zu erfolgen.

§ 95 enthält ferner in seinem alten Wortlaut eine Eeihe von Vorschriften über die Bestellung der Wahlbureaux; in der neuen Verfassungsbestimmung wird diese Eegelung einem Gesetz überlassen, so dass jetzt alle jene Bestimmungen, die sich damit befassten, in Wegfall kommen.

Abgeändert wird ferner der Abs. l von § 96 der Staatsverfassung. Bereits in ihrem bisherigen Wortlaut stellte diese Bestimmung die Forderung auf, dass bei Bestellung des Eegierungsrates, des Obergerichts, des Kriminalgerichts, des Erziehungsrates und der Grossratskommissionen im allgemeinen auf Vertretung der Minderheit billige Eücksicht zu nehmen ist. Diese Vorschrift wird im neuen Wortlaut noch erweitert, indem sie nun auch auf die Bestellung der Amtsgerichte, Gemeinderäte und Gemeindeausschüsse der Einwohnerund Ortsbürgergemeinden ausgedehnt wird. Zudem erhält sie durch die Weglassung der Worte «im allgemeinen» eine bestimmte
Formulierung.

Diese neuen Bestimmungen fallen in das Gebiet der kantonalen Zuständigkeit und berühren das Bundesrecht nicht. Insbesondere ist es Sache der Kantone, darüber zu entscheiden, ob und wieweit sie in kantonalen Angelegenheiten das Verhältniswahl verfahren einführen wollen.

Die beiden neuen Verfassungsgesetze des Kantons Luzern enthalten nichts, was dem Bundesrecht zuwiderlaufen würde. Wir beantragen Ihnen deshalb, ihnen durch Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfes die Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

Bundesblatt. 87. Jahrg. Bd. I.

42

590 Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 22. März 1935.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: K. Minger.

Der Bundeskanzler: G. Bovet.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Gewährleistung der abgeänderten §§ 27, 95 und 96 der Verfassung des Kantons Luzern.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 22. März 1935, in Erwägung, dass die zwei in der Volksabstimmung vom 15. Juli 1934 angenommenen Verfassungsgesetze des Kantons Luzern nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, beschliesst :

Art. 1.

Den in der Volksabstimmung vom 15. Juli 1934 angenommenen Verfassungsgesetzen des Kantons Luzern vom 15. Mai 1934 betreffend Stimmfähigkeitsverlust und betreffend Volkswahlen und Minderheitsvertretung wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2.

Der Bundegrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der abgeänderten §§ 27, 95 und 96 der Staatsverfassung des Kantons Luzern. (Vom 22. März 1935.)

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1935

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3221

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27.03.1935

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