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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erneuerung des Bundesbeschlusses vom 14. Oktober 1933 über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande.

(Vom 26. November 1935.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Die ständerätliche Kommission zur Prüfung der Vorlage zu einem Bundesbeschluss über die wirtschaftlichen Notmassnahmen, die am 18. und 19. November tagte, hat beschlossen, erst dann endgültig zu dieser Vorlage Stellungzu beziehen, nachdem eine Abklärung über die vom Bundesrat in Aussicht genommenen Massnahmen zur Herstellung des Gleichgewichts im Finanzhaushalt des Bundes und der Bundesbahnen erfolgt sein wird.

Nach Art. l des genannten Beschlussentwurfes hätte die Bechtswirksamkeit folgender Bundesbeschlüsse bis zum 81. Dezember 1937 verlängert werden sollen : 1. Bundesbeschluss über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande,, vom 14. Oktober 1933; 2. Bundesbeschluss über eine weitere Fortsetzung der Bundeshilfe für die schweizerischen Milchproduzenten und für die Linderung der landwirtschaftlichen Notlage, vom 28. März 1984 (mit Ausnahme der Art. l, 2 und 9); 3. Bundesbeschluss über die Förderung des Exportes durch staatliche Bisikogarantie, vom 28. März 1934; 4. Bundesbeschluss über Massnahmen zum Schutze des Schuhmachergewerbes, vom 28. September 1934; 5. Bimdesbeschluss über Krisenhilfe für Arbeitslose, vom 13. April 1933; 6. Bundesbeschhiss über Kiisenbekämpfung und Arbeitsbeschaffung, vom 21. Dezember 1934.

909 Pie unter Ziff. 3, 4 und 6 erwähnten Bundesbeschlüsse gelten bis zum 81. Dezember 1986; der Bundesbeschluss über eine weitere Fortsetzung der Bundeshilfe für die schweizerischen Milchproduzenten und für die Linderung der landwirtschaftlichen Notlage, vom 28. März 1934, bis zum 30. April 1936.

Die Frage der Verlängerung dieser Beschlüsse kann in einem spätem Zeitpunkt behandelt -werden. Dagegen ist es unerlässlich, dass die Bundesversammlung in der Dezembersession die Gültigkeit des Bundesbeschlusses über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande, vom 14. Oktober 1933. verlängert.

Dieser Beschluss ist bis Ende 1935 befristet.

Wir möchten Ihnen die Gründe kurz auseinandersetzen, warum die Verlängerung des Bundesbeschlusses vom 14. Oktober 1933 über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande sich aufdrangt.

Als sich im Verlaufe des Jahres 1931 die Wirtschaftslage unseres Landes zusehends verschlimmerte, weil der Import gewaltige Dimensionen annahm und der Export infolge der Abwehrmassnahmen des Auslandes, der Währungsschwierigkeiten und der Verarmung vieler Völker zusammenschrumpfte, sah sich der Bundesrat genötigt, im Dezember 1931 ausserordentliche Kompetenzen zu verlangen, die ihm von der Bundesversammlung durch den Bundesbeschluss vom 23. Dezember 1931 über die Beschränkung der Einfuhr auch erteilt wurden. Dieser Bundesbeschluss wurde durch den Bundesbeschluss vom 14. Oktober 1933 über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Ausland abgelöst, der die bestehenden Kompetenzen erneuerte und ergänzte. Art. l dieses Bundesbeschlusses ermächtigt den Bundesrat, die nötigen Massnahmen zu treffen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zum Schutze der nationalen Produktion, soweit diese in ihren Lebensbedingungen bedroht ist, zur Förderung des Exports und zur Verbesserung der schweizerischen Zahlungsbilanz. Insbesondere ist er befugt, ausnahmsweise und vorübergehend die Einfuhr von Waren, die er selbst bezeichnet, zu beschränken oder von Bewilligungen abhängig zu machen (Art. 2). Er kann gegenüber Staaten mit beschränktem Zahlungsverkehr die schweizerischen Interessen durch den Abschluss kurzfristiger Abkommen wahrnehmen; wenn solche Abkommen nicht erreichbar sind, ist der Bundesrat ermächtigt, durch einseitige Massnahmen, insbesondere durch Beschränkung des Zahlungsverkehrs, die
schweizerischen Interessen zu wahren (Art. 3). Unsere Botschaften an die Bundesversammlung vom 14. Dezember 1931 über die Beschränkung der Wareneinfuhr und vom 25. Septembeï 1933 über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Ausland begründen in ausführlicher Weise die damals bei der Bundesversammlung nachgesuchten Ermächtigungen.

Über die auf Grund der beiden Bundesbeschlüsse getroffenen Massnahmen haben wir Ihnen in 11 Berichten erschöpfende Auskunft gegeben. Die vier letzten Berichte wurden von den Kommissionen beider Bäte einstimmig genehmigt. Dabei möchten wir feststellen, dass die getroffenen Schutzmassnahmen die Funktionen einer Preiskontrolle notwendig machten : das hiefür erforderliche Organ ist bereits geschaffen; durch die Annahme der jährlichen

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Voranschläge und Rechnungen des Bundes, durch Genehmigung der elf Berichte über die gemäss den Bundesbeschlüssen vom 23. Dezember 1931 und 14. Oktober 1933 erlassenen Massnahmen hat die Bundesversammlung das Bestehen und die Tätigkeit der Preiskontrolle mehrfach zur Kenntnis genommen und gutgeheissen.

Aus den 11 Berichten ergibt sich, dass die getroffenen Massnahmen sich im allgemeinen wohltätig ausgewirkt haben. Ohne sie wäre die Arbeitslosigkeit ÌQ den für das Inland produzierenden Wirtschaftszweigen bedeutend grösser.

Der Passivsaldo unserer Handelsbilanz betrug ohne Veredlungsverkehr im Jahre 1932 962 Millionen Pranken, im Jahre 1933 760 Millionen Franken und im Jahre 1934 616 Millionen Franken. Er wird sich für das Jahr 1935 voraussichtlich auf 466 Millionen Franken reduzieren. In den ersten 10 Monaten des laufenden Jahres beliei sich der Passivsaldo auf 392 Millionen Franken gegenüber 515 Millionen Franken in der gleichen Zeit des Vorjahres.

Diese Verminderung des Handelsbilanzdefizits ist die Folge eines starken "Rückgangs unserer Einfuhr bei gesunkenem, in letzter Zeit allerdings fast stabil gebliebenem Export.

Die Einfuhrbeschränkungen dienten nicht nur der Abwehr an der Grenze ; sie haben sich auch insofern ausgewirkt, als sie als Verhandlungsobjekt in den Dienst der Exportförderung gestellt wurden. Die Kompensationspolitik ist eine der letzten Möglichkeiten für die Aufrechterhaltung des schweizerischen Exports.

Diese Politik geht von der Tatsache aus, dass unser Land eine starke Kaufund Importkraft aufweist und dass wir gute Zahler sind, die ohne Devisenbeschränkung in einer begehrten Valuta zahlen. Das Wesen dieser Kompensationspolitik besteht darin, dass wir unsern Import nach Möglichkeit in den Dienst des Exports, des Fremdenverkehrs und der Bapatriierung unserer Kapitalanlagen im Ausland stellen. Die Schweiz treibt heute mit sämtlichen Ländern Kompensationsverkehr. Der Abschluss von Clearingverträgen stellt nur eine, und zwar die schärfste Form dieser Ordnung dar.

Die Kompensationspolitik ist aber auch mit Nachteilen behaftet. Der Hauptnachteil besteht darin, dass der Importeur nicht mehr frei einkaufen kann, sondern gezwungen ist, seine Einkäufe dorthin zu verlegen, wo sie sich in bezug auf die schweizerische Handels- und Zahlungsbilanz am günstigsten auswirken. Eine gewisse
Hemmung des Verkehrs und die Verteuerung der Ware sind die unvermeidlichen Folgen.

Seit einem halben Jahre hat der Bundesrat nur noch vereinzelt Einfuhrbeschränkungen erlassen und bereits erlassene auch schon wieder gelockert.

Jede Hoffnung auf eine baldige Wiederkehr einer normalen Gestaltung des internationalen Waren- und Kapitalverkehrs erscheint vorderhand unbegründet. Alle internationalen Bestrebungen auf diesem Gebiete (Weltwirtschaftskonferenz in London, Konferenzen von Ouchy und Oslo) sind gescheitert.

Wir werden deswegen unsere bilaterale Handelspolitik beibehalten müssen.

911 Die Lage des Aussenhandels bleibt nach wie vor besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass unsere Einfuhr in der Vorkriegszeit nahezu 2 Milliarden Franken betrug gegenüber nur noch 1.4 Milliarden Franken im vergangenen Jahre, während die entsprechende Zahl für die Ausfuhr von rund 1,4 Milliarden im Jahre 1918 auf zirka 750 Millionen Franken im Jahre 1934. also fast auf die Hälfte gesunken ist. Die ernste Lage der einzelnen Zweige der schweizerischen Export Wirtschaft geht aus folgenden Zahlen hervor: Die Maschinenindustrie zählt 9000 Arbeitslose: ihre Ausfuhr ist von 200 Millionen auf 100 Millionen gesunken. Der ührenexport ist wertmässig auf einen Drittel zurückgegangen, die Stickereiausfuhr sogar auf einen Siebentel.

Die Seidenindustrie stellt von dem, was sie einst war. noch einen Viertel dar; ihr Export ist von 200 Millionen auf 16.5 Millionen Franken gesunken; sogar in der Schweiz selbst wird sie von der auslandischen Seidenindustrie hart bedrängt. Milch und Schokolade sind für den Export unbedeutend geworden.

Das Geschäftsvolumen der Fremdenindustrie ist auf die Hälfte zurückgegangen, und ihre finanziellen Grundlagen sind vielerorts ins Wanken gskomnaen.

Schliesslich erwähnen wir in diesem Zusammenhange die Tatsache, dass unserem Export in letzter Zeit in noch vermehrtem Masse Schwierigkeiten bereitet worden sind durch neue Zolhnassnahmen und durch Einfuhrkontingentierungen verschiedener Staaten, aber auch durch Massnahmen auf dem Gebiete der Devisenbewirtschaftung. Besonders unangenehm ist dabei die Feststellung, dass sogar Staaten des sogenannten Goldblocks sich zu Erschwerungen auf dem Gebiete des Zahlungsverkehrs veranlasst gesehen haben.

Auf die bisherigen ausserordentlichen Massnahmen kann daher vorläufig nicht verzichtet werden. Im Gegenteil erscheint es als eine absolute Notwendigkeit, den Kompensationsverkehr noch weiter auszudehnen, damit unsere verhältnismässig grosse Kaufkraft in noch kräftigerem Masse in den Dienst unseres Exports gestellt werden kann. Anderseits ist es notwendig, bei der gegenwärtigen Gestaltung der Zahlungsbilanz die Clearing- und Kompensationsverträge neben dem Warenverkehr nach Möglichkeit auch der Eapatriierung von Forderungen der Finanz und solcher für Transitwaren (d.h.

solche nicht schweizerischer Provenienz) sowie auch den Bedürfnissen des
Eeiseverkehrs noch mehr dienstbar zu machen. Wir sehen mit grosser Sorge der zunehmenden Verknappung und Verteuerung unseres Geldmarktes entgegen. Eine vermehrte Heimschaffung von Auslandsanlagen wäre geeignet, hier entspannend zu wirken.

Der dringliche Bundesbeschluss vom 14. Oktober 1933, der nur noch bis Ende 1935 gilt, muss sowohl im Interesse der Inlandswirtschaft wie des Exports unter allen Umständen verlängert werden, und zwar bis Ende Dezember 1937.

Ohne diese Verlängerung wurden alle ausserordentlichen handelspolitischen Schutzmassnahmen dahinfallen, was heute unsere Wirtschaft einer Katastrophe entgegenführen müsste.

912 Gestützt auf die vorstehenden Darlegungen haben wir die Ehre, Ihnen den nachstehenden Entwurf eines dringlichen Bundesbeschlusses zur Annahme zu empfehlen.

Wir benützen den Anlass, Sie, hochgeachteter Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 26. November 1985.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : R. Minger.

Der Bundeskanzler: G. Bovet.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Erneuerung des Bundesbeschlusses vom 14. Oktober 1933 über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsieht einer Botschaft des Bundesrats vom 26. November 1985, beschliesst : Art. 1.

Die Wirksamkeit des Bundesbeschlusses vom 14. Oktober 1933 über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande wird bis zum 81. Dezember 1937 verlängert.

Art. 2.

Dieser Bundesbeschluss wird als dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erneuerung des Bundesbeschlusses vom 14. Oktober 1933 über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande. (Vom 26. November 1935.)

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3330

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.12.1935

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908-912

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