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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Vereins ,,Alkoholfreie Wirtschaft in Küsnacht" gegen die Verfügung der Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich vom 6. April 1906, betreffend Eintragung ins Handelsregister.

(Vom 3. Juli 1906.)

Der schweizerische Bundes rat hat über den Rekurs des Vereins ,, A l k o h o l f r e i e W i r t s c h a f t in Küsnacht" gegen die Verfügung der Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich vom 6. April 1906, betreffend Eintragung ins Handelsregister ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Mit Verfügung vom 15. März 1906 weigerte sich der Handelsregisterführer des Kantons Zürich, den Verband ,,Alkoholfreie Wirtschaft in Küsnacht" als Verein ins Handelsregister einzutragen.

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Der Verband gelangte hierauf an die kantonale Aufsichtsbehörde über das Handelsregister; diese bestätigte jedoch am 6. April 1906 die angefochtene Verfügung mit der Begründung : Zweck des Verbandes sei der Betrieb einer alkoholfreien Wirtschaft; dieser erfolge allerdings nach § l der Statuten grundsätzlich ohne Gewinnbeteiligung der Mitglieder; dagegen gehe aus § 4 der Statuten, der zu § l in etwelchem Widerspruch stehe, hervor, dass der Verband doch auf Geschäftsgewinn rechne und unter Umständen die Ausrichtung von Dividenden und die Rückzahlung eines allfälligen Liquidationsbetreffnisses in Aussicht nehme. Der Verband sei demnach nicht ein Verein, der lediglich ideale Zwecke verfolge, sondern eine Genossenschaft, gleich wie etwa der als Genossenschaft eingetragene Frauenverein für Massigkeit und Volkswohl in Zürich.

II.

Gegen diese Entscheidung der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich beschwert sich der Verband ,,Alkoholfreie Wirtschaft in Küsnachttt rechtzeitig beim Bundesrate, und stellt den Antrag, der Handelsregisterführer für den Kanton Zürich sei anzuweisen, den Verband als Verein nach Art. 716 ff. des Obligationenrechtes ins Handelsregister einzutragen, und zwar aus folgenden Gründen: Der Verband ,,Alkoholfreie Wirtschaft in Küsnacht11 besitze den Charakter einer Genossenschaft nicht, da er nicht gemeinsame Zwecke des wirtschaftlichen Verkehrs verfolge; sein Zweck sei vielmehr, die Enthaltsamkeit von Alkohol zu fördern. Seine Mitglieder verfolgen, im Gegensatz zu denjenigen der Vereinigung der zürcherischen Kontrollbuchinhaber, keinerlei materielle Interessen.

Die Statuten unterscheiden allerdings zwei Arten von Mitgliedern, solche, die für den Vereinszweck Beiträge bedingungslos schenken, und solche, die für denselben Beiträge zum Zinsfuss von höchstens 4 °/o leisten (§§ 26--28 der Statuten), weiter aber nicht am Gewinn beteiligt sind. Nach der Darlegung von Siegmund (Handbuch S. 366) seien für die Frage, ob im einzelnen Fall ein Verband eine Genossenschaft oder ein Verein sei, nicht die Hülfsmittel, deren er zur Verwirklichung seines Zweckes bedürfe, sondern der erstrebte Endzweck massgebend. Entscheidend sei, ob derselbe in erster Linie seinen Mitgliedern einen persönlichen Gewinn verschaffen solle oder nicht.

Dass nun die Mitglieder der ,,Alkoholfreien Wirtschaft in Küsnacht" keinen persönlichen Gewinn zu machen suchen, gehe aus den Statuten hervor, insbesondere aus § l, der einen Gewinn-

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Durch alle diese Bestimmungen stehe der Verband ,,Alkoholfreie Wirtschaft in KUsnacht" in einem deutlichen Gegensatz zu der Sparkassagesellschaft in Arth, die eine ausgesprochene Erwerbsgesellschaft gewesen sei, und der Société d'assurance mutuelle in Freiburg, die wenigstens für die Erben der Mitglieder finanzielle Vorteile erreichen wollte.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Zu entscheiden ist im vorliegenden Fall einzig die Frage, ob sich die Rekurrenten nach dem schweizerischen Obligationenrecht als Verein ins Handelsregister können eintragen lassen, oder ob sie ale Genossenschaft einzutragen sind.

Art. 678 des Obligationenrechts bezeichnet die Genossenschaften als ,,Personenverbände welche, ohne zu den in den Titeln XXIV bis XXVI normierten Gesellschaften zu gehören, gemeinsame Zwecke des wirtschaftlichen Verkehrs verfolgen1*.

Art. 716 des Obligationenrechts spricht von den Vereinen alvon Verbänden ,,welche wohltätige, gesellige, religiöse, wissenschaftliche, künstlerische oder andere ideale Zwecke verfolgen".

Stellt man diese zwei Bestimmungen einander gegenüber, so unterscheidet sich der Verein von der Genossenschaft positiv das durch, dass er einen wohltätigen oder ändern idealen Zweck (im franz. Text ,,but scientifique . . . . ou tout autre but intellectuel ou moral") verfolgt, negativ dadurch, dass er keinen gemeinsamen Zweck des wirtschaftlichen Verkehrs (im französischen und italienischen Text: ,,but économique ou financier commun", ,,scopo economico commune) verfolgt.

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Der Ausdruck ,,gemeinsamer Zweck des wirtschaftlichen Verkehrs11 kann nach dem französischen und italienischen Wortlaut und nach der Entstehungsgeschichte der Bestimmung nichts anderes bedeuten als gemeinsamer wirtschaftlicher Zweck. Einen gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Zweck verfolgen diejenigen Genossenschaften, welche für ihre Mitglieder irgendwelchen materiellen Vorteil, irgendwelche wirtschaftliche Besserstellung aus ihrer Beteiligung an der Genossenschaft beabsichtigen, wie Wohnungsvereine, Sparvereine, Konsumvereine, Krankenkassen.

Anderseits ist es klar, und wird von Theorie und Rechtsprechung nicht in Zweifel gezogen, dass ein idealer Verein nicht ohne weiteres dadurch zu einem wirtschaftlichen Verband wird, dass er eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet. Ein Verein kann zur Erreichung seines idealen Zwecks sich des Mittels eines wirtschaftlichen Betriebs bedienen, ohne den Charakter eines Vereins zu. verlieren. Massgebend ist einzig der erstrebte ideale Zweck (vgl. den Entscheid des Bundesrats vom 2. Oktober 1896 i. S. Dr.

Eugster, Bundesbl. 1896, IV, 83, Blattner, die Rechtsverhältnisse der Mitglieder in der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft 26--28, Kirchhofer, Beiträge zum schweizerischen Genossenschaftsrecht 20--21). Ob ein solcher wirklich verfolgt wird, oder ob ein wirtschaftlicher Zweck, d. h. nach den vorstehenden Erwägungen eine wirtschaftliche Förderung der Mitglieder des Verbandes, erstrebt wird, muss bei jedem einzelnen Falle in Würdigung aller Umstände entschieden werden.

Im vorliegenden Fall nun erstreben die Rekurrenten, wie aus ihren Statuten hervorgeht, lediglich die Bekämpfung des Alkoholismus, nicht etwa die billigere Beschaffung alkoholfreier Getränke fü r die Mitglieder oder die Erzielung eines Geschäftsgewinnes.

Allerdings verzichten nicht alle Mitglieder auf Dividenden; die Dividende, auf die sie Anspruch haben, darf aber 4 °/o des Einlagekapitals, d. h. den landesüblichen Zinsfuss, nicht übersteigen (§ 26), das gesamte übrige Erträgnis, der eigentliche Geschäftsgewinn, kommt ihnen nicht zu, sondern wird nach § 27 zur Verbesserung des Betriebs, zur Speisung von Reserven, zur Verbilligung der Verkaufspreise und zu ändern, den Vereinszwecken dienlichen Anordnungen verwendet. Es kann daher auch bei den Mitgliedern, welche Dividenden beanspruchen, nicht
von einer Gewinnsabsicht gesprochen werden. Mit dieser Zweckbestimmung des Verbandes steht im Einklang, dass ein allfälliger Liquidationsüberschuss einem ähnlichen Zwecke dienenden gemeinnützigen Institute überwiesen werden soll (§ 29). Der Verein ,,Alkoholfreie Wirtschaft in Küsnacht" verfolgt daher in der Tat einen idealen Zweck im Sinne

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des Art. 716 des Obligationenrechts und ist als Verein ins Handelsregister einzutragen.

Demnach wird erkannt: Der Rekurs wird als begründet erklärt, und es wird den Rekurrenten daher gestattet, sich als ,,Verein" ins Handelsregister einzutragen.

B e r n , den 3.Juli 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Vereins ,,Alkoholfreie Wirtschaft in Küsnacht" gegen die Verfügung der Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich vom 6. April 1906, betreffend Eintragung ins Handelsregister. (Vom 3. Juli 1906.)

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04.07.1906

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