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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind Dienstag den 13. November 1906, nachmittags 41/2 Uhr, zu einer ausserordentlichen Session zusammengetreten behufs Behandlung der mit Frankreich und Spanien abgeschlossenen Handelsverträge und einiger anderer Geschäfte.

Als neue Mitglieder sind erschienen: im Nationalrat: Herr ,, ,, ,,

B u g n o n, Eugen, Landwirt, von und in St. Prex*); E m e r y , Alexander, Hotelier, von Etagniere, in Montreux; R i t z c h e l , Marc, Eugen, Advokat, von und in Genf; T u r r e t t i n i , Théodore, Ingenieur, von und in Genf*); *) In der Junisession beeidigt.

im Ständerat: Herr B o l l i , Heinrich, Advokat, von Beringen, in Schaff hausen ; ,, R o t e n , Heinrich, Gerichtspräsident, von und in Raron.

Im N a t i o n a l r a t eröffnete Herr Präsident Hirter Sitzung und Session mit folgender Ansprache : Hochgeehrte Herren Kollegen !

Reiche Ernte hat der Tod seit unserer letzten Tagung gehalten. -- Der Nationalrat beklagt den Hinscheid zweier Mitglieder, und auch das Bundesgericht hat schweren Verlust erlitten.

Kaum einen Monat nach den Tagen der Simplonfeier versammelten sieh Volk und Behörden des Kautons G e n f mit der Abordnung der eidgenössischen Räte und den Vertretern der übrigen eidgenössischen Stände an der offenen Gruft unseres Mitgliedes Herrn Dr. Alfred V i n c e n t , Staatsrates des Kantons Genf,

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und legten Zeugnis ab von der Sympathie, die sie für den Dahingegangenen empfanden und von seiner Bedeutung für seine engere und weitere Heimat. Der Hingang eines Mannes, der so lange seine grosse Kraft in den Dienst des öffentlichen Lebens gestellt hatte, musste ja in den weitesten Kreisen schmerzlich empfunden werden.

Dr. Vincent wurde, nachdem er kaum zwei Jahre als Arzt seine Praxis ausgeübt hatte, bereits im Jahre 1880 in den Grossen Rat des Kantons G e n f berufen, den er fünf Male präsidierte und dem er bis 1897, seinem Eintritt in den Staatsrat, angehörte.

Seit dem Jahre 1896 entsandte ihn Genf in den Nationalrat. Wo ihm ein Amt durch das allgemeine Vertrauen übertragen wurde, hat er dasselbe in reichem Masse gerechtfertigt. Zuverlässigkeit in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten, rückhaltlose Hingabe an die einmal übernommene Aufgabe, loyales Wesen gegenüber dem politischen Freunde und Gegner erwarben ihm die Sympathien vieler. Seinem Eintreten für eine Sache musste nachhaltige Wirkung verschaffen die Begeisterung, mit der er seine aus gründlicher Verarbeitung hervorgegangene Überzeugung vertrat. So sehr Herr Vincent es verstand, jeweilen die besondern Verhältnisse seines Heimatkantons und seiner Vaterstadt hier zur Geltung zu bringen, so sicher konnte man darauf rechnen, dass er doch in der Hauptsache das Wohl des gesamten Vaterlandes über alles stelle. An der Behandlung aller wichtigen Fragen nahm er lebhaften Anteil. Aus seinem ärztlichen Berufe ist ihm in seine Tätigkeit als Staatsmann ein Zug nachgegangen, der Eifer, mit dem er sich der durch Unfall und Krankheit Heimgesuchten annahm. Neben seinem Departement als Staatsrat liess er es sich nicht nehmen, noch seine besondere Fürsorge den Spitälern Genfs zuzuwenden. In unserer letzten Tagung noch ist er mit Wärme für den Abschluss der Gesetzgebung betr. Militärversicherung eingetreten. Mitten in der Arbeit der Konferenz für die Revision der Genfer Konvention, der er als Abgeordneter des Bundesrates beiwohnte, hat ihn der Tod abgerufen. Die Teilnehmer an derselben werden der so sympathischen Erscheinung des Vizepräsidenten ein freundliches Andenken bewahren. Uns allen wird ein Moment unvergesslich sein, es ist derjenige, wo beim Empfang der Festgäste der Simplonfeier Herr Vincent an die Männer erinnerte, die in harter Arbeit
einen grossen Teil des Werkes vollbracht hatten, als er den Arbeitern am Sirnplon besondere Ehrung erwies. In diesem Zuge erkennen wir wieder den Charakter des für die Arbeit begeisterten, überzeugungstreuen, allezeit menschenfreundlichen Kollegen.

618 Am 27. Juli gab eine grosse Trauergemeinde das letzte Geleite einem der jüngsten unserer Mitglieder, Herrn Nationalrat Emile V u i c h o u d . Sie gab der allgemeinen Trauer Ausdruck über den grossen Verlust, den Gemeinde, Kanton und Bund durch den Hinscheid dieses Mannes erlitten. Gehörte ja doch die Tätigkeit und das Leben des Dahingegangenen vor allem dem Wohle der engern und weitern Heimat und namentlich auch der Fürsorge für die Hülfsbedürftigen. Herr Vuichoud ist im besten Mannesalter vom Tode dahin gerafft worden. Geboren im Jahre 1856 wurde er bereits im Jahre 1884, nachdem er drei Jahre vorher als Anwalt sein Patent erworben, in den Verfassungsrat seines Heimatkantons berufen. Im folgenden Jahre entsandte ihn der Wahlkreis von Montreux in den Grossen Rat und 1887 übertrug ihm die Gemeinde Châtelard die Führung ihrer Verwaltung als Gemeindepräsident. Im Jahre 1901 wurde er als Mitglied des Nationalrates gewählt. Wenn auch Herr Vuichoud in der verhältnismässig kurzen Zeit, während der er unserer Behörde angehörte, nicht besonders hervorgetreten ist, so haben wir doch alle den so freundlichen Kollegen, der es mit seiner Pflicht so ernst nahm, lieb gewonnen, und wir beklagen alle seinen zu frühen Hinscheid, schien er ja berufen, der Öffentlichkeit noch grosse Dienste zu leisten. Seine Tätigkeit als Gemeindepräsident, seine Mitarbeit an der Verwaltung der Bank von Montreux, namentlich seine Verdienste um das Zustandekommen der Montreux-Oberland-Bahn sichern ihm auf alle Zeit die Dankbarkeit und die Anerkennung derer, die ihn an der Arbeit gesehen, vor allem aber der Bevölkerung der Gegend, der die Erstellung der kühn angelegten Bahnverbindung zwischen den schönen Geländen der Waadt mit den Gestaden des Thunersees ihre Früchte brachte. Die Bedeutung des so musterhaft durchgeführten Unternehmens, das neuerdings den Beweis für die Zweckmässigkeit des elektrischen Betriebes erbrachte, reicht weit über das eigentliche Gebiet der zunächst interessierten Gegend hinaus, und es wird der Name des umsichtigen, hingebenden Präsidenten auf immer mit der Entstehungsgeschichte der Montreux-Oberland-Bahn verknüpft sein und damit auch mit der Entwicklung des schweizerischen Eisenbahnwesens.

Am 10. Oktober dieses Jahres verschied Herr Dr. Karl A t t e n h o f e r , Mitglied des schweizerischen Bundesgerichtes. Ein
langes Leben, dessen charakteristisches Merkmal vor allem treue Pflichterfüllung war, hat seinen Abschluss gefunden. Geboren im Jahre 1836 in Sursee widmete sich der Verstorbene der juristi-

619 sehen Laufbahn, auf der ihm schon die Prüfung als Anwalt hohe Auszeichnung brachte. Neben dem Anwaltsberufe widmete Herr Attenhofer seine freie Zeit schriftstellerischer Tätigkeit auf juristischem Gebiete, die bald die Aufmerksamkeit der Staatsbehörden des Kantons Luzern auf ihn lenken musste. Im Jahre 1871 wählte ihn der Grosse Rat in das luzernische Obergericht, das er von 1883 hinweg präsidierte. Das ihm entgegengebrachte Vertrauen rechtfertigte er in hohem Masse, und im Jahre 1893 berief ihn die Bundesversammlung in das Bundesgericht, wo er der zivilrechtlichen Abteilung angehörte. Was ihn als Oberrichter des Kantons Luzern auszeichnete, das erwarb ihm auch im Kollegium des obersten Gerichtshofes bald eine hervorragende Stellung, erbrachte er doch in beiden Stellungen den Beweis, dass er für das Richteramt hervorragende Eigenschaften besass. Peinliche Gewissenhaftigkeit bei der Bearbeitung der einzelnen Fälle und immerwährendes Weiterstudium auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft sind ihm auch als Bundesrichter zu eigen geblieben.

Bis kurze Zeit vor seinem Hinscheide hat er seinem Amte vorgestanden. Pflichttreue und umfassendes Wissen, die Eigenschaften, die den Richter zieren, waren ihm in hohem Masse zu eigen, wie auch sein Charakter volle Gewähr für die unparteiliche Ausübung seines Amtes bot.

Hochgeehrte Herren, ich ersuche Sie, sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Sitzen zu erheben.

Im S t ä n d e r a t gedachte Herr Präsident Dr. Ammann ebenfalls der verstorbenen Nationalräte Vincent und Vuichoud und Bundesrichter Attenhofer.

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