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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Beteiligung der Schweiz an der europäischen kernphysikalischen Forschung (Vom 4. April 1952)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Die Generalkonferenz der Organisation der Vereinigten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur beschloss an ihrer im Mai/Juni 1950 in Florenz abgehaltenen fünften Session, die Errichtung und Ausgestaltung von Laboratorien und regionalen Forschungszentren zu erleichtern und zu fördern. Dadurch sollte eine engere und fruchtbarere Zusammenarbeit unter den Wissenschaftern der verschiedenen Länder angestrebt werden mit dem Ziele, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in jenen Gebieten zu fördern, in denen die isolierte Forschung eines einzelnen Landes ohne Erfolg bleiben müsste. Mit dem Grundsatz einer solchen Zusammenarbeit hat sich die schweizerische Delegation an der Konferenz von Florenz einverstanden erklärt.

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Die Notwendigkeit einer europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der kernphysikalischen Forschung Der in Florenz gefasste Beschluss ermöglichte es dem Sekretariat der Unesco, einer Empfehlung der Europäischen Kulturkonferenz, die im Dezember 1949 in Lausanne tagte, Folge zu geben. In dieser Empfehlung wurde die Errichtung eines Laboratoriums für Kernphysik in Europa vorgeschlagen. Die vom Sekretariat der Unesco in ; den wissenschaftlichen Kreisen unseres Kontinents veranstaltete Umfrage ergab dann, dass sowohl für die wissenschaftliche Forschung als solche als auch für die Ausbildung von Forschem ein europäisches Laboratorium für Kernphysik von grossem Vorteil wäre. Dieses sollte mit einem oder mehreren genügend grossen Apparaten ausgestattet sein, um die Materieteilchen so weit zu beschleunigen, dass ihre Energie mit der von der kosmischen Strahlung entwickelten Energie verglichen werden kann, d. h.

Apparate, die mehrere Milliarden Elektronenvolt zu erzeugen vermögen.

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Der Bau solcher Apparate erfordert indessen einen finanziellen Aufwand, der die Mittel, die von wissenschaftlichen Institutionen in Europa zurzeit aufgebracht werden können, übersteigt. Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass die zur Erstellung des Laboratoriums notwendigen Vorstudien eine vortreffliche Gelegenheit zur Zusammenarbeit zwischen den Physikern und Ingenieuren der verschiedenen Länder bieten. Dadurch könnten die Erfahrungen für dauernd zusammengelegt und beim Studium, und beim Bau der Apparate die Arbeiten unter die interessierten Länder, je nach dem Grad ihrer technischen Spezialisierung aufgeteilt werden.

Die europäische Physikwissenschaft wird ein derartiges Programm nur durch gemeinsame, von den Eegierungen unterstützte Anstrengungen verwirklichen können. Aus diesem Grunde lud die Unesco ihre europäischen Mitgliedstaaten im Dezember 1951 zu einer Konferenz nach Paris ein, die die Schaffung eines Laboratoriums für kernphysikalische Forschung in Europa studieren sollte. Die folgenden Staaten waren vertreten : Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Jugoslawien, die Niederlande, Norwegen, Schweden und die Schweiz.

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Regionale Konferenz zur Organisation der Stadien für die Schaffung eines europäischen Forschungslaboratoriums für Kernphysik 1. Pariser Konferenz (17.-20. Dezember 1951).

Die Frage, ob sich die Schweiz an dieser Konferenz der Unesco beteiligen solle, ist von den beteiligten Bundesbehörden geprüft und der nationalen schweizerischen Unesco-Kommission, der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft (vertreten durch die Schweizerische Physikalische Gesellschaft und das Nationale schweizerische Komitee für Physik) sowie der Schweizerischen Kommission für Atomenergie unterbreitet worden. Die stark befürwortenden Berichte dieser Organisationen haben uns davon überzeugt, dass die Teilnahme der Eidgenossenschaft nicht nur an den Arbeiten der erwähnten Konferenz, sondern auch, im Eahmen unserer allgemeinen Politik, an der zu schaffenden Institution angezeigt ist.

Unser Land hat ein offensichtliches Interesse, sich an Forschungen zu beteiligen, die es den Gelehrten Europas ermöglichen werden, einen nützlichen Beitrag auf einem Gebiet zu leisten, dessen Bedeutung im Laufe der Zeit nur zunehmen kann. Fehlen geeignete Apparate, so ist zu befürchten, dass die Eolle Europas in der wissenschaftlichen Forschung der Gegenwart auf eine zweitrangige Stufe herabsinkt und nicht nur die Gelehrten, sondern auch die Studenten sich in immer grösserer Zahl den Vereinigten Staaten von Amerika zuwenden. Einige Landsleute sind übrigens bereits nach diesem Lande abgewandert, das ihnen Möglichkeiten bietet, die bei uns fehlen. So geht die Schweiz der Früchte ihrer Forschungsarbeit verlustig.

685 Unsere Delegation an der Pariser Konferenz war ermächtigt, die Teilnahme der Schweiz unter der Bedingung in Aussicht zu stellen, dass die zu errichtende Institution für kernphysikalische Forschung allen Ländern Buropas zugänglich sei, ihre Arbeiten in keiner Weise geheimen Charakter haben und ausschliesslich wissenschaftlichen und zivilen Zwecken dienen. Ausserdem wurde unsere Delegation ermächtigt, sich mit dem unserem Lande, auferlegten Kostenanteil in der Höhe von 100 000 Franken für die vorbereitenden theoretischen und technischen Arbeiten einverstanden zu erklären, unter Vorbehalt der Genehmigung durch die eidgenössischen Eäte. Ferner richteten wir im Einvernehmen mit den genferischen Behörden ein Schreiben an den Generaldirektor der Unesco, in dem Genf als Sitz des Laboratoriums vorgeschlagen wurde. Es konnte dabei auf die zentrale Lage dieser Stadt und die Hilfsquellen, die sie einer Forschungsstätte dieser Art zu bieten vermag, hingewiesen werden.

Es würde unserem Lande zur Ehre gereichen, wenn es eine Institution beherbergen dürfte, ,die im allgemeinen Interesse Europas und aussehliesslich für friedliche Zwecke tätig ist.

Die Arbeiten der Pariser Konferenz führten zu positiven, mit unsern Auffassungen im Einklang stehenden Beschlüssen. Das zu errichtende Laboratorium wird eine Institution sein, die weitgehend zugänglich ist und keineswegs geheime Forschungen militärischen Charakters betreibt. Solche können naturgemäss nicht in einem Laboratorium von der Art des geplanten betrieben werden.

Die Konferenz wurde vertagt, damit eine Kommission unterdessen die Grundsätze zu einem Entwurf für eine Vereinbarung zur Einsetzung eines Eates von Abgeordneten der an! der Errichtung eines europäischen Zentrums für kernphysikalische Forschung interessierten Staaten ausarbeiten könne.

Sie beschloss, die Arbeiten nach einigen Wochen in Genf wieder aufzunehmen.

2. Genfer Konferenz (12.-15. Februar 1952).

Die vom Leiter der schweizerischen Delegation, Herrn Professor Paul Scherrer, präsidierte Genfer Konferenz stimmte den Vorschlägen der in Paris eingesetzten Kommission für eine Vereinbarung zu. Als Sitz des Eates der Abgeordneten wurde Genf bestimmt. Seine Aufgabe wird es sein, die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiete der kernphysikalischen Forschung zu organisieren. Er wird sich mit den
theoretischen und technischen Problemen sowie dem Studium der finanziellen, administrativen und rechtlichen Fragen, die sich aus der Errichtung des Laboratoriums ergeben, befassen ; er wird ferner alle geeigneten Massnahmen treffen, um die ihm von den Signatarstaaten zur Verfügung gestellten wissenschaftlichen Einrichtungen und Hilfsmittel nutzbringend verwenden zu können; er· wird die zu diesem Zweck erforderlichen Studiengruppen ins Leben rufen. Deren Mitglieder werden aus Kandidaten ausgewählt, die ein Mitgliedstaat aus den Eeihen seiner Staatsangehörigen selbst vorschlagen oder deren Kandidatur er gutheissen kann.

Der Eat wird sich aus den Abgeordneten der Länder zusammensetzen, die an der regionalen Konferenz zur Organisation der Studien über die Schaffung

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eines europäischen Forschungslaboratoriums für Kernphysik teilgenommen und die Vereinbarung ratifiziert haben. Jedes an der Konferenz nicht vertretene europäische Land kann Mitglied des Eates werden, 'wenn es sich verpflichtet, an dòn Arbeiten der Institution auf der Grundlage des freien Austausches von Personen sowie der wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse mitzuwirken und ihr einen angemessenen finanziellen oder sachlichen Beitrag zu leisten.

Wir haben die schweizerischen Delegierten ermächtigt, die «Vereinbarung über die Einsetzung eines Eates von Abgeordneten der europäischen Staaten zum Studium der Pläne für ein internationales Laboratorium und zur Organisation der weiteren Zusammenarbeit auf dem Gebiete der kernphysikalischen Forschung» unter Vorbehalt der Genehmigung durch die eidgenössischen Eäte zu unterzeichnen. Der Wortlaut des Abkommens findet sich in der Beilage.

Die schweizerische Delegation ist ebenfalls ermächtigt worden, einen Beitrag in der Höhe von total 100000 Franken in Aussicht zu stellen und die Zusicherung abzugeben, dass dieser nach der Eatifizierung des Abkommens und Gutheissung durch die Bundesversammlung überwiesen werde. Da die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft sich anerboten hat, davon 30 000 Franken zu übernehmen, wird sich der Beitrag der Eidgenossenschaft auf 70000 Franken belaufen.

Das Abkommen betreffend die Einsetzung eines Eates der Abgeordneten ist am 15. Februar 1952 bereits von acht Ländern (Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Niederlande und Schweiz) in Genf unterzeichnet worden; zweifellos werden ihm andere Länder noch beitreten. Es .befriedigt die daran interessierten wissenschaftlichen Kreise in der Schweiz vollauf. Die von den schweizerischen Delegierten an den Konferenzen in Paris und Genf auf unseren Wunsch vertretenen Auffassungen sind darin berücksichtigt. Im Hinblick darauf, dass unser Land ausersehen ist, den Sitz des Eates der Abgeordneten zu beherbergen, sollte die Eatifikation innert kurzer Zeit vollzogen werden. Dadurch wird es möglich, das geplante Laboratorium allenfalls in der Schweiz errichten zu können.

Gestützt auf diese Ausführungen zögern wir nicht, der Bundesversammlung zu empfehlen, den Beitritt der Schweiz zur Vereinbarung gutzuheissen und den Entwurf zum
beiliegenden Bundesbeschluss zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 4. April 1952.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Kobelt Der Bundeskanzler: Ch. Oser

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Beteiligung der Schweiz an der europäischen kernphysikalischen Forschung (Vom 4. April 1952)

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