Evaluation der Anhörungs- und Vernehmlassungspraxis des Bundes Bericht vom 7. September 2011 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Februar 2012

Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 7. September 2011 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates betreffend Evaluation der Anhörungs- und Vernehmlassungspraxis des Bundes nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Kommissionspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. Februar 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2012-0268

2409

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte haben am 21. Januar 2010 die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Evaluation zur Vernehmlassungs- und Anhörungspraxis des Bundes beauftragt. Die zuständige Subkommission EJPD/BK der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) hat am 30. Juni 2010 entschieden, dass die PVK den Fokus der Untersuchung auf die Praxis der Bundesverwaltung bei Anhörungen legen soll.

Die PVK hat nach Durchführung dieser Evaluation die Ergebnisse in ihrem Bericht vom 9. Juni 2011 (PVK-Bericht) festgehalten. Gestützt auf den PVK-Bericht hat die GPK-N den vorliegenden Bericht an ihrer Sitzung vom 7. September 2011 verabschiedet und den Bundesrat eingeladen, dazu Stellung zu nehmen.

Die GPK-N stellt in ihrem Bericht (Ziff. 2) fest, dass die Evaluation betreffend Akzeptanz der Vernehmlassungs- und Anhörungsverfahren keine grösseren Probleme zutage gebracht hat. Die verwaltungsexternen Adressaten begrüssen es, an der Entscheidfindung des Bundes teilhaben und ihr Fachwissen in den politischen Prozess einbringen zu können. Die Evaluation der PVK zeige jedoch auf, dass die vom Gesetzgeber mit der Einführung des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20051 (VlG) im Jahr 2005 verfolgten Ziele nicht erreicht worden seien und in verschiedenen Bereichen des Vernehmlassungs- und Anhörungsverfahrens Optimierungspotential bestehe (vgl. Ziff. 3.5 PVK-Bericht). Die GPK-N ist der Auffassung, dass ­ unabhängig vom angewendeten Verfahren ­ verschiedene Bestimmungen geändert oder präzisiert werden müssten, um die Zwecke des Gesetzes (Art. 2 VlG) besser erfüllen zu können. Sie sieht die Probleme insbesondere bei der Unterscheidung von Vernehmlassungs- und Anhörungsverfahren und fordert den Bundesrat auf, zu prüfen, ob es zweckmässig ist, weiterhin an diesen zwei verschiedenen Verfahren festzuhalten.

Der Bundesrat stellt fest, dass die Vernehmlassungsvorlagen zu parlamentarischen Initiativen nicht Gegenstand der Evaluation der PVK waren. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass die gesetzlichen Vorgaben für die parlamentarischen Kommissionen ebenso gelten wie für den Bundesrat und die Departemente.

2

Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat dankt der GPK-N für den positiven Bericht über die Evaluation der Anhörungs- und Vernehmlassungspraxis des Bundes und für die darin enthaltenen Empfehlungen. Der Bericht bekräftigt die Wichtigkeit und den Nutzen dieses Instruments für die verwaltungsexternen interessierten Kreise. Zu den im Bericht vorgeschlagenen fünf Empfehlungen nimmt der Bundesrat wie folgt Stellung:

1

SR 172.061

2410

Zur Empfehlung 1 Empfehlung 1:

Rolle und Kompetenzen der Bundeskanzlei

Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass die Rolle, die Aufgaben und die Kompetenzen der Bundeskanzlei hinsichtlich der Koordination der Vernehmlassungs- und Anhörungsverfahren, auch solcher, die von anderen Gesetzen als dem VlG geregelt werden, klar definiert sind. Er erarbeitet einen Vorschlag zur Erweiterung der Kompetenzen und des Instrumentariums der Bundeskanzlei in diesem Bereich und sorgt dafür, dass dieser die zur Erfüllung ihres Auftrags notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen.

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlung 1 teilweise anzunehmen und Massnahmen zur Klärung der Verantwortlichkeiten der beteiligten Stellen zu treffen. Er lehnt aber die Erweiterung der Kompetenzen und des Instrumentariums der Bundeskanzlei ab.

Die GPK-N bemängelt aufgrund des Evaluationsberichts der PVK die schwache Stellung der Bundeskanzlei (BK) als Koordinatorin des Verfahrens und verlangt vom Bundesrat einen Vorschlag zur Erweiterung der Kompetenzen und des Instrumentariums der Bundeskanzlei (Ziff. 2.1.1).

Das Vernehmlassungsgesetz verpflichtet die BK zur Koordination aller Vernehmlassungen des Bundes (Art. 5 Abs. 3 VlG), d.h. Vernehmlassungsvorhaben des Bundesrates, der Verwaltung oder der parlamentarischen Kommissionen. Es handelt sich um eine spezialgesetzliche Verankerung der allgemeinen Koordinationsaufgaben der BK nach Artikel 32 Buchstabe a und 33 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 19972 (RVOG).

«Koordination» bedeutet in der Praxis zum Einen die formelle Kontrolle (Richtigkeit und Vollständigkeit der Unterlagen) und zum Andern die rechtliche Kontrolle (Einhaltung der Vorgaben der Vernehmlassungsgesetzgebung wie z.B. Einhaltung der Fristen) der Vernehmlassungsvorlagen. In die Koordination einzubeziehen sind auch die Anhörungen zu Vorhaben untergeordneter Tragweite, die nicht vom Bundesrat, sondern von den Departementen eröffnet werden (Art. 10 VlG). Die Koordinationsverpflichtung bedeutet eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit, was eine zeitgerechte Information der BK durch die fachlich zuständigen Verwaltungseinheiten voraussetzt. Aus der Koordinationspflicht leitet sich daher eine Verpflichtung zur Information ab (Mitwirkungspflicht der Departemente). Hingegen folgt aus der Koordinationspflicht kein Mitentscheidungsrecht der BK. Diese erstellt,
gestützt auf die Meldungen der Departemente, eine halbjährliche Planung der Vernehmlassungen und Anhörungen und veröffentlicht diese Planung sowie die Vernehmlassungsunterlagen zentral auf einer Internetseite, die über die Einstiegseite der Bundesverwaltung aufgerufen werden kann.3 Der Bundesrat stellt insbesondere fest, dass die BK vor der Eröffnung von Anhörungsverfahren oft nicht über deren Tragweite informiert wird. Im Gegensatz zu den Vernehmlassungen ist die BK bei der Eröffnung von Anhörungen somit oftmals nicht in der Lage, ihren Koordinationsauftrag zu erfüllen.

2 3

SR 172.010 www.admin.ch/ch/d/gg/pc/preview.html

2411

Im Sinne einer teilweisen Annahme der Empfehlung 1 ist es für den Bundesrat eine denkbare Massnahme, die zuständigen Verwaltungseinheiten auf Verordnungsstufe zu verpflichten, der BK die Anhörungsunterlagen vor der Eröffnung des Anhörungsverfahrens zur Konsultation vorzulegen. Zu prüfen ist auch, ob die Mitwirkungspflicht der Departemente bei der Halbjahresplanung verstärkt werden könnte.

Zudem sollen durch Informationen und Ausbildungen (Rundschreiben, Forum für Rechtsetzung, Ausbildung der Verbindungspersonen in den Departementen) die Verantwortlichkeiten in Erinnerung gerufen werden. Die Verantwortung für die Einhaltung der vernehmlassungsrechtlichen Vorgaben soll wie bis anhin in erster Linie bei den Departementen liegen.

Weitere Massnahmen zur Optimierung der Koordiantion, der Organisation und der Verfahrensabläufe bei Anhörungen sind denkbar und sollen im Rahmen der Umsetzung der Empfehlung 1 in Zusammenarbeit mit den Departementen verteift geprüft und in der Generalsekretärenkonferenz diskutiert werden. Eine Erweiterung der Kompetenzen und des Instrumentariums der BK verbunden mit einer Erhöhung der dafür erforderlichen Ressourcen dürfte allerdings kaum zu einer wesentlichen Qualitätsverbesserung beitragen. Die Anhörungsverfahren sollen möglichst durch die Departemente eröffnet werden und diese Verfahren sollen begrifflich nicht mehr als Anhörungen, sondern als durch die Departemente eröffnete Vernehmlassungen bezeichnet werden (vgl. Massnahmen zur Empfehlung 5a), was zwangsläufig zu einer grösseren Kohärenz und zu einer Qualitätsverbesserung führen dürfte.

Zur Empfehlung 2 Empfehlung 2:

Transparenz der Ergebniskommunikation

Die GPK-N empfiehlt dem Bundesrat, zu prüfen, wie die Ergebnisse von Vernehmlassungs- und Anhörungsverfahren transparenter kommuniziert werden können. Er sorgt dafür, dass die Adressaten von Anhörungen aktiv und innert angemessener Frist über die Verfahrensergebnisse informiert werden.

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlung 2 im Sinne der Aufnahme einer ausdrücklichen Pflicht zur aktiven Ergebniskommunikation auf Verordnungsstufe anzunehmen.

Die GPK-N stellt in ihrem Bericht (Ziff. 2.1.2) fest, dass das Gesetz keine Vorgaben zur Art und Weise der Berücksichtigung bzw. der Gewichtung der Stellungnahmen macht. Davon ausgenommen ist die Bestimmung, wonach die Stellungnahmen der Kantone besonders zu berücksichtigen sind, wenn es um Fragen der Umsetzung oder des Vollzugs von Bundesrecht geht (Art. 18 Abs. 1 zweiter Satz Vernehmlassungsverordnung vom 17. Aug. 20054; VlV). Die GPK-N spricht sich indessen gegen die Forderung einiger Vernehmlassungsadressaten aus, im Gesetz klarere Kriterien für die Gewichtung der Stellungnahmen festzulegen. Der Bundesrat teilt in diesem Punkt die Haltung der GPK-N. Die Analyse der eingegangenen Stellungnahmen muss die Aufgabe des Bundesrates bzw. der verfahrensleitenden Behörde bleiben.

4

SR 172.061.1

2412

Gestützt auf die von der PVK durchgeführte Evaluation stellt die GPK-N dennoch fest, dass eine grössere Transparenz bei der Ergebniskommunikation die Legitimität von Vernehmlassungen und Anhörungen stärken würde. Die befragten Vernehmlassungsadressaten haben im Rahmen der Evaluation den Wunsch geäussert, namentlich bei Anhörungen über die Verwertung der Stellungnahmen und über allfällige Änderungen der Vorlage aufgrund der Anhörungsergebnisse informiert zu werden.

Die geltenden Rechtsgrundlagen tragen dem Transparenzgedanken grundsätzlich Rechnung. Artikel 10 Absatz 2 VlG verlangt, dass das Ergebnis einer Anhörung öffentlich zugänglich zu machen ist. Der zu erstellende Bericht hat sich am Ergebnisbericht bei Vernehmlassungen zu orientieren. Die Verantwortung für die Veröffentlichung der Ergebnisse von Vernehmlassungen liegt nach geltendem Recht bei der zuständigen Verwaltungseinheit. Diese ist verpflichtet, die Teilnehmenden über die Veröffentlichung des Ergebnisberichtes unter Hinweis auf die elektronische Bezugsquelle bei der BK zu informieren (Art. 21 Abs. 3 VlV). Analoges gilt gemäss heutiger Praxis für die Anhörungen.

Der Bundesrat ist bereit, diese Praxis ausdrücklich zu verankern und eine Verpflichtung zur aktiven Ergebniskommunikation bei Anhörungen (bzw. bei den durch die Departemente eröffneten Vernehmlassungen; vgl. dazu Massnahmen zur Empfehlung 5a) analog zu den Vernehmlassungen in die VlV aufzunehmen. Auch bei Anhörungen sollen die Ergebnisberichte elektronisch veröffentlicht und die Teilnehmer über deren Publikation mit Hinweis auf die Bezugsquelle informiert werden.

Zur Empfehlung 3 Empfehlung 3:

Abschaffung des konferenziellen Verfahrens

Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, dem Parlament einen Vorschlag zur Abschaffung des konferenziellen Verfahrens für Anhörungen und Vernehmlassungen vorzulegen.

Der Bundesrat erachtet die Abschaffung des konferenziellen Verfahrens als nicht zielführend und lehnt die Empfehlung ab.

Bei Dringlichkeit können nach dem Gesetz ausnahmsweise konferenzielle Vernehmlassungsverfahren durchgeführt werden (Art. 7 Abs. 3 Bst. b VlG). Die GPK-N weist in ihrem Bericht (Ziff. 2.1.3) auf die Feststellung der PVK hin, diese Verfahrensart werde durchwegs kritisiert. Sie schliesst sich auch weiteren Feststellungen der PVK an: Konferenzielle Verfahren seien mindestens ebenso kostspielig und dabei aufwändiger als das schriftliche Verfahren (dies umso mehr, als die Adressaten in der Praxis auch eine schriftliche Stellungnahme einreichen). Die Legitimität der von vorherein beschränkten Zahl der Teilnehmenden werde in der Praxis regelmässig bestritten.

Der Bundesrat teilt diesen Standpunkt nicht. Er ist der Auffassung, dass auf das Instrument der konferenziellen Vernehmlassung nicht verzichtet werden soll. Die Vorteile des konferenziellen Verfahrens liegen in der Unmittelbarkeit der Kommunikation und dem dadurch ermöglichten direkten Austausch zwischen den Teilnehmenden und den Behörden. Die Argumente, die im Bericht der GPK-N gegen dieses Instrument ins Feld geführt werden, sind nicht neu. Bereits in der Vernehmlassung 2413

zum Vorentwurf des VlG wurde die Auffassung vertreten, konferenzielle Verfahren seien notwendigerweise selektiver und weniger transparent als schriftliche Verfahren5. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer verlangten damals einerseits, dass der Ausnahmecharakter von konferenziellen Vernehmlassungen besonders hervorzuheben sei, indem eine konferenzielle Vernehmlassung nur bei zeitlicher Dringlichkeit durchgeführt werden könne. Dies wurde im geltenden Recht berücksichtigt (Art. 7 Abs. 3 Bst. b VlG). Anderseits wurde dem Einwand gegen die Möglichkeit, den Kreis der Teilnehmenden gegenüber dem schriftlichen Verfahren einzuschränken, mit der Verankerung der Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme auch bei konferenziellen Vernehmlassungen (Art. 17 Abs. 2 VlV) Rechnung getragen. Die von der GPK-N empfohlene gänzliche Abschaffung von konferenziellen Vernehmlassungen (Empfehlung 3) würde den Spielraum des Bundesrates und der Verwaltung zu stark einengen.

Zudem soll weiterhin die Möglichkeit bestehen, ein konferenzielles Vernehmlassungsverfahren dann durchzuführen, wenn sich im Anschluss an ein ordentliches Vernehmlassungsverfahren neue Erkenntnisse oder Entwicklungen ergeben, die eine erneute Konsultation der massgebenden politischen bzw. betroffenen Kreise erfordern.

Zur Empfehlung 4 Empfehlung 4:

Begründungspflicht bei einer Fristverkürzung

Die GPK-N fordert den Bundesrat dazu auf, zuhanden des Parlaments einen Vorschlag zu erarbeiten, wonach die verfahrensführende Behörde im VlG verpflichtet wird, aus Dringlichkeitsgründen verkürzte Konsultationsfristen zu begründen.

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlung 4 im Sinne der Aufnahme einer Pflicht zur Begründung von Fristverkürzungen in den Begleitschreiben an die Adressaten anzunehmen.

Hinsichtlich von Fristverkürzungen stellt die GPK-N ausdrücklich fest (Ziff. 2.1.3), dass es in Ausnahmefällen zuweilen unumgänglich sei, von der gesetzlich vorgegebenen Frist abzuweichen. Sie hält indessen fest, dass ihrer Ansicht nach die Legitimität des Verfahrens geschwächt werde, wenn solche Fälle nicht begründet würden.

Der Bundesrat ist stets bemüht, die im Gesetz vorgesehenen Fristen einzuhalten und den Vernehmlassungsteilnehmenden genügend Zeit für ihre Stellungnahmen einzuräumen.

Eine Verbesserung der Transparenz hinsichtlich von Fristverkürzungen liesse sich erreichen, wenn die Gründe für die Fristverkürzung, die heute schon im Antrag an den Bundesrat zwingend dargelegt werden müssen (Art. 6 Bst. c VlV), auch in die Begleitschreiben an die Adressaten aufgenommen werden. Auf die von den parlamentarischen Kommissionen durchgeführten Vernehmlassungen hat der Bundesrat jedoch keinen Einfluss, auch nicht bezüglich Einhaltung der Fristen. Die Pflicht zur Angabe der Gründe für Fristverkürzungen gegenüber den Vernehmlassungsteilneh5

BBl 2004 533 540

2414

menden könnte mit einer Ergänzung der VlV umgesetzt werden. Die Aufnahme einer entsprechenden Verpflichtung im VlG ­ wie in der Empfehlung ausdrücklich verlangt ­ wäre sinnvoll. Damit würde klargestellt, dass auch parlamentarische Kommissionen an diese Vorgabe gebunden sind. Der Bundesrat ist bereit, dem Parlament eine entsprechende Gesetzesänderung vorzuschlagen.

Zur Empfehlung 5 Empfehlung 5:

Zweckmässigkeit der Unterscheidung von Vernehmlassung und Anhörung

Die GPK-N erwartet vom Bundesrat eine Prüfung der Frage, ob es zweckmässig ist, weiterhin an zwei verschiedenen Verfahren festzuhalten oder ob die Unterscheidung zwischen Vernehmlassung und Anhörung abgeschafft werden sollte.

Der Bundesrat erachtet es als nicht zweckmässig, weiterhin an zwei verschiedenen Verfahren festzuhalten. Der erforderlichen Flexibilität ist indessen Rechnung zu tragen.

Die GPK-N stellt fest (Ziff. 2.2.1), dass das Hauptziel des Gesetzgebers bei der Einführung des VlG im Jahr 2005 darin bestand, das Verfahren zu straffen und zu verwesentlichen sowie den Bundesrat zu entlasten. Durch die Unterscheidung zwischen Vernehmlassungen (die vom BR bei wichtigen Vorhaben zu eröffnen sind) und Anhörungen (die bei Vorhaben von untergeordneter Tragweite von den Departementen oder Ämtern eröffnet werden können) sollte die Qualität der Vernehmlassungen verbessert werden. Da die Unterscheidung gemäss dem Evaluationsbericht der PVK ungenügend geregelt und den Adressaten weitgehend unbekannt sei, stellt sich für die GPK-N die Frage, ob es zweckmässig ist, an zwei verschiedenen Verfahren festzuhalten. Sie fordert den Bundesrat daher auf, diese Frage zu prüfen und ­ je nach Ergebnis ­ den Empfehlungen 5a oder 5b Folge zu geben.

Zur Empfehlung 5a (Variante: Abschaffung der Unterscheidung) Empfehlung 5a:

Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Einführung einer Begründungspflicht

Beschliesst der Bundesrat, die Unterscheidung zwischen Vernehmlassung und Anhörung abschaffen zu wollen, fordert die GPK-N, dass er dem Parlament eine entsprechende Rechtsänderung vorschlägt. Dabei ist zu regeln, wer für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist. Zudem prüft der Bundesrat die Einführung einer Pflicht für die verfahrensführende Behörde, ihren Eröffnungsentscheid unter Bezugnahme auf die Verfahrenszwecke von Artikel 2 VlG zu begründen.

Der Bundesrat ist bereit, die begriffliche Unterscheidung von Vernehmlassungen und Anhörungen gemäss Empfehlung 5a abzuschaffen. Er will aber an den beiden bewährten Instrumenten festhalten und dafür das Verfahren vereinheitlichen. Zudem 2415

soll die verfahrensführende Behörde verpflichtet werden, ihren Eröffnungsentscheid unter Bezugnahme auf die Verfahrenszwecke von Artikel 2 VlG zu begründen.

Aus der Untersuchung der PVK ergab sich, dass die Unterscheidung zwischen Anhörungen und Vernehmlassungen von den Adressaten schlecht wahrgenommen werde. Weiter gelangte die PVK zum Ergebnis, das Verfahren sei heute nicht klar geregelt. Der Bundesrat ist bereit, die Variante «Abschaffung der Unterscheidung» vertieft zu prüfen. Um die Empfehlung 5a anzunehmen, will er die nachstehenden Massnahmen an die Hand nehmen: ­

Nur noch den Begriff «Vernehmlassung» beibehalten: Vernehmlassungen werden je nach Gegenstand entweder vom Bundesrat oder vom Departement eröffnet. VlG und VlV werden entsprechend anzupassen sein.

­

Verfahren vereinheitlichen: Für die beiden Verfahren sollen grundsätzlich die gleichen Regeln hinsichtlich Bekanntmachung, Frist, Öffentlichkeit und Transparenz gelten. Eine Vereinheitlichung müsste namentlich die Anhörungsfristen betreffen. Die von der PVK durchgeführten Analysen zeigen, dass seit dem Inkrafttreten des VlG die durchschnittlich gewährte Frist bei schriftlichen Anhörungen wesentlich kürzer ist als die Durchschnittsfrist bei schriftlichen Vernehmlassungen6.

Zu prüfen sein wird, ob die Zuständigkeit für die Eröffnung von «Anhörungen» (gemäss heutiger Terminologie) bei den Departementen angesiedelt werden sollte.

Die federführenden Verwaltungseinheiten (Ämter und Behördenkommissionen) wären dann weiterhin mit der Vorbereitung und Durchführung von Verfahren zu Vorhaben von untergeordneter Tragweite betraut. Der Entscheid über die Eröffnung oder Nichteröffnung einer «Anhörung» würde dann aber ausschliesslich auf departementaler Stufe erfolgen (Art. 10 VlG). Dies könnte die Koordinationsaufgabe der BK ­ und damit die Vereinheitlichung der Praxis ­ wesentlich erleichtern.

Vernehmlassungen sind ein Instrument des Bundesrates und der parlamentarischen Kommissionen (Art. 5 Abs. 1 und 2 VlG). Sie kommen für Vorhaben zur Anwendung, bei denen ein breit angelegtes Verfahren sich rechtfertigt (Art. 4 VlG). Anhörungen stellen ein Instrument auf Verwaltungsebene dar, bei denen die spezifisch betroffenen Kreise, beispielsweise Fachverbände, Berufs- und Standesorganisationen, kantonale oder kommunale Fachstellen konsultiert werden können7. Bezweckt wird in erster Linie der Einbezug von verwaltungsexternem spezifischem Fachwissen, die Information der interessierten Kreise, die Beschaffung von Grundlageninformationen und Aufschluss über die Akzeptanz des Vorhabens bei den direkt Betroffenen. Der Bundesrat erachtet dieses departementale Intrument zur Einholung von externem Sachverstand als sachdienlich und erforderlich. Damit solche departementalen Verfahren weiterhin ihren Zweck bestmöglichst erfüllen können, müssen sie adressatenbezogen ausgestaltet sein.8 Bei der Vereinheitlichung der Verfahren wird dies zu berücksichtigen sein. In sachlich begründeten Einzelfällen muss es 6

7 8

Evaluationsbericht PVK, Ziff. 3.2.2, S. 20­22. Die Analysen zeigen, dass seit dem Inkrafttreten des VlG die durchschnittlich gewährte Frist bei schriftlichen Anhörungen 57 Tage beträgt. Die Durchschnittsfrist bei schriftlichen Vernehmlassungen beträgt dagegen 101 Tage. Den Adressaten wird bei Anhörungen am häufigsten zwischen 30 und 49 Tage (25 %) und zwischen 50 und 69 Tage (23 % der Anhörungen) Zeit eingeräumt, um eine Stellungnahme zu erarbeiten und einzureichen. In etwa 18 % der Anhörungen müssen die Teilnehmer ihre Stellungnahme innert Monatsfrist (bis 29 Tage) erstellen.

BBl 2004 533 556 f.

Sägesser, Kommentar zum Vernehmlassungsgesetz, Rz. 17, 18 und 21 zu Art. 10 VlG

2416

möglich sein, den Adressatenkreis einzuschränken oder die Frist zu verkürzen. Die Wahl eines eingeschränkten Adressatenkreises und die Kürzung der Frist sind jeweils offenzulegen und konkret zu begründen.

Eine Vereinheitlichung der Verfahren kann im Rahmen einer Teilrevision der VlV vorgenommen werden.

Sodann entspricht es bereits weitgehend der heutigen Vernehmlassungspraxis, dass Vernehmlassungen nur dann durchgeführt werden, wenn die Voraussetzungen der Artikel 2 (Zweck) und 3 (Gegenstand) VlG kumulativ erfüllt sind.9 In diesem Sinne ist das Anliegen der GPK-N bereits weitgehend umgesetzt. Um aber die Transparenz und Kohärenz dieser Praxis zu stärken, soll das antragstellende Departement in der VlV dazu verpflichtet werden, die Eröffnung eines Vernehmlassungsverfahrens unter Bezugnahme auf die Verfahrenszwecke von Artikel 2 VlG zu begründen.

Zur Empfehlung 5b (Variante: Beibehaltung der beiden Verfahrensarten) Empfehlung 5b: Konkretisierung des Anhörungsverfahrens Beschliesst der Bundesrat, an der Unterscheidung zwischen Vernehmlassung und Anhörung festzuhalten, fordert die GPK-N von ihm, dass er klare Vorgaben für das Anhörungsverfahren vorsieht. Im Rahmen der Neukonzipierung der gesetzlichen Grundlagen beachtet er folgende Elemente: 5b.1 Er beantragt dem Parlament die Aufhebung des zwingenden Charakters des Kriteriums der Normstufe (Art. 3 Abs. 1 VlG) und sorgt für eine transparente Auslegung des Kriteriums der Tragweite eines Vorhabens. Er leitet die notwendigen Schritte zur Harmonisierung der Verwaltungspraxis ein.

5b.2 Er sorgt dafür, dass die zuständige Behörde ihren Entscheid, ein Vernehmlassungs- oder Anhörungsverfahren zu eröffnen, unter Bezugnahme auf die Zwecke des Gesetzes begründet.

5b.3 Er legt dem Parlament einen Entwurf zur Anpassung des VlG vor, worin die Zuständigkeit für den Entscheid über die Eröffnung eines Anhörungsverfahrens geregelt wird.

5b.4 Er leitet eine Umbenennung des Anhörungsverfahrens ein.

5b.5 Er sorgt dafür, dass den Adressaten und der Bundesverwaltung die einschlägigen Regeln und die Unterschiede zwischen den beiden Verfahrensarten bekannt sind.

5b.6 Er sorgt dafür, dass das neu bezeichnete Verfahren klarer geregelt ist.

9

Vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 7.9.2011 zu 10.440 Pa.Iv. SPK-S. Verbesserungen der Organisation und der Verfahren des Parlamentes; BBl 2011 6829, hier 6834.

2417

Der Bundesrat verzichtet auf die Beibehaltung von zwei gesonderten Verfahren.

Der Bundesrat erachtet die mit der Empfehlung 5b gemachten Vorgaben teilweise als zu detailliert. Er behält sich aber vor, einzelne Elemente dieser Empfehlung im Rahmen der Teilrevision des VlG und der VlV vertieft zu prüfen und - soweit sinnvoll - im Rahmen der Umsetzung der Empfehlung 5a zu berücksichtigen. Im Vordergrund stehen dabei die Ziffer 5b.2 und 5b.3 der Empfehlung 5b. Zu prüfen wird auch eine klarere Regelung der heutigen Praxis zur Durchführung von Vernehmlassungsverfahren im VlG sein (im Sinne eines ausdrücklichen Verzichts auf den zwingenden Charakter des Kriteriums der Normstufe). Das würde eine teilweise Berücksichtigung der Ziffer 5b.1 bedeuten.

2418