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Schweizerisches Bundesblatt.

32. Jahrgang. IV.

Nr. 53.

11. Dezember 1880.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrükungsgebühr per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden Druk nnd Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesez über die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb.

(Vom

26. November 1880.)

Tit.

Der Artikel 5 des Bundesgesezes vom 23. März 1877, betreffend die Arbeit in den Fabriken, bestimmt : ,,Ueber die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb wird ein Bundesgesez das Erforderliche verfügen.

,,In der Zwischenzeit gelten immerhin für den urtheilenden Richter nachfolgende Grundsäze : ,,a. Der Fabrikant haftet für den entstandenen Schaden, wenn ein Mandatar, Repräsentant, Leiter oder Aufseher der Fabrik durch ein Verschulden in Ausübung der Dienstverrichtung Verlezung oder Tod eines Angestellten oder Arbeiters herbeiführt.

,,b. Der Fabrikant haftet gleichfalls, wenn, auch ohne ein solches spezielles Verschulden, durch den Betrieb der Fabrik Körperverlezung oder Tod eines Arbeiters oder Angestellten herbeigeführt wird, sofern er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder eigenes Verschulden des Verlezten oder Getödteten erfolgt ist. Fällt dem Verlezten oder Getödteten eine Mitschuld zur Last, so wird dadurch die Ersazpflicht des Fabrikanten angemessen reduzirt.

Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. IV.

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,,c. Obige Ersazansprüche verjähren in zwei Jahren von dem Tage an, an welchem die Verlezung oder Tödtung stattgefunden hat.

,,d. Der Bundesrath wird überdies diejenigen Industrien bezeichnen,, die erwiesenermaßen und ausschließlich bestimmte gefährliche Krankheiten erzeugen, auf welche die Haftpflicht auszudehnen ist.

Im Uebrigen urtheilt, bis nach Erlaß des eingangs erwähnten Gesezes, der kompetente Richter über die Schadenersazfrage, unter Würdigung aller Verhältnisse, nach freiem Ermessen."

Diese allgemeinen Grundsäze sind von den Gerichten verschiedentlich aufgefaßt und angewendet worden. Während einige Richter bei der Festsezung des Schadenersazes sich zurükhaltend gezeigt haben, haben andere von dem Spielraum, den ihnen das Gesez einräumt, einen weitgehenden Gebrauch gemacht. Es folgte daraus eine große Ungleichheit in der Behandlung und eine sowohl für den Arbeiter als den Fabrikanten bemühende Unsicherheit. Zu einer einheitlichen, diese bedeutenden Uebelstände beseitigenden Praxis zu gelangen, ist in jedem Lande eine langsame und schwierige Arbeit, namentlich aber in der Schweiz, wo die Rechtsregeln und das Prozeßverfahren je nach den Kantonen verschieden sind. Deßhalb wird auch die Ausführung des ersten Alinea des oben zitirten Artikels 5, d. h. der möglichst baldige Erlaß eines Gesezes dringlichst verlangt, das dem Richter genauere Direktionen geben und so eine größere Gleichheit in der Behandlung der Materie erzielen soll.

e> Im Allgemeinen ist der Grundsaz der Haftpflicht der Fabrikanten bei Unfällen, die durch den industriellen Betrieb verursacht worden sind, als dem Begriffe der Gerechtigkeit und einem Gefühle der Humanität entsprechend anerkannt. Dieser Grundsaz ist in die Geseze und in die Rechtspraxis mehrerer Staaten übergegangen, und man kann diese Thatsache als einen der glüklichsten Fortschritte der Jurisprudenz in der neueren Zeit betrachten.

Diese Anschauung hat namentlich in den lezten Jahren an Verbreitung gewonnen, und das englische Parlament hat ihr vor kurzer Zeit die Sanktion ertheilt, indem es im August dieses Jahres die Bill über die ,,employers liabilitya erließ, welche an die Stelle des veralteten Prinzips des ^common employment", d. h. der Nichtverantwortlichkeit des Arbeitgebers gegenüber seinen Angestellten trat.

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Die schweizerischen Industriellen sind weit davon entfernt, den Grundsaz der Haftpflicht nicht anzuerkennen, verlangen jedoch, daß dieselbe genau bestimmt und inner gewisser Grenzen gehalten werde. Diejenigen unter ihnen, die nicht über bedeutende Geldmittel verfügen -- und dies sind ohne Zweifel die meisten -- können nicht ohne eine gewisse Aengstlichkeit an die fatalen Folgen denken, die gewisse Unfälle von etwelcher Bedeutung für ihre finanzielle Situation hätten, wenn der Richter bei der Festsezung des Schadenersazes zu weit gehen würde. Es ist allerdings selten, daß eine Geldsumme dem Beschädigten das zugestoßene Uebel je völlig kompensirt, und ein Gefühl des Mitleids kann gar leicht den Richter dahin führen, viel zuzusprechen. Wenn aber der Grundsaz des Schadenersazes an und für sich auch gerecht ist, so darf derselbe doch nicht zu den äußersten Konsequenzen getrieben werden.

Man darf eben nicht vergessen, daß das, was man die Fatalität nennt, bei den Unfällen immer eine wichtige Rolle spielt. Der Mensch hat ebensowenig die Macht, alle Uebel vorauszusehen, als diejenige, sie alle zu heilen, und das dem Arbeiter zugestoßene Unglük soll, nachdem der Fabrikant alle passenden Vorsichtsmaßnahmen, um demselben vorzubeugen, getroffen hat, billigerweise die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers nur in beschränkter Weise engagiren.

Andernfalls käme man raschen Wegs zur Unbilligkeit und ad absurdum.

Der Fabrikant, in dessen Etablissement ein bedeutender Unfall stattgefunden und der mehrere Betroffene zu entschädigen hätte, könnte leicht in Konkurs gerathen, was für die Beschädigten und die übrigen Arbeiter nicht weniger nachtheilig sein würde als für ihn.

Da das Unglük des Einen in der Regel auch das Unglük des Anderen ist, so würde eben die Folge der bis zum äußersten getriebenen Haftpflicht das Unglük Beider sein. Ein solches Resultat aber ist unzuläßig.

Zwar hat man bezüglich des Betriebs von Eisenbahnen in der Schweiz und in Deutschland der Haftpflicht der Gesellschaften in Bezug auf die zu entrichtenden Entschädigungen keine Grenzen gesezt. Da aber die Verhältnisse einer Eisenbahngesellschaft in so vielen Beziehungen von denjenigen eines Fabrikanten verschieden sind, so rechtfertigt es sich, leztere in Bezug auf die Haftpflicht auch anders zu behandeln. Insbesondere ist daran zu erinnern,
daß die Fortschritte der technischen Wissenschaften es ermöglichen, die großen Unfälle beim Eisenbahnbetriebe viel leichter zu vermeiden als die in den Fabriken, wo so viele gefährliche Werkzeuge, explosible, entzündbare oder giftige Stoffe verwendet werden und wo der Arbeiter im Allgemeinen an den Verrichtungen einen größeren und direkteren persönlichen Antheil nimmt.

544 Diese Erwägungen haben den deutschen Reichstag bestimmt, in seinem Geseze vom 7. Juni 1871 einen grundsäzlichen Unterschied zwischen den beiden Unternehmungsarteu zu machen und für die Fabriken, Bergwerke und Steinbrüche nur eine auf diejenigen Fälle beschränkte Haftpflicht aufzustellen, in denen ein Verschulden des Vertreters oder Mandatars des Fabrikanten vorliegt (Art. 2), während für die Eisenbahn die Haftpflicht, ausgenommen einzig die Fälle von höherer Gewalt oder des Verschuldens des Verlezten (Art. 1), eine unbedingte ist. Das neuere englische Gesez stellt diesen Unterschied nicht auf, aber es zieht dafür andere sehr enge Grenzen für die Haftpflicht (Art. l und 2) und gestattet nicht, daß in irgend einem Falle die Entschädigung den dreifachen Jahresverdienst des Verunglükten übersteige (Art. 3).

Der Art. 5 des Bundesgesezes betreffend die Arbeit in den Fabriken geht also viel weiter als die beiden vorerwähnten Geseze, indem er die Haftpflicht des Fabrikanten nur im Falle des Vorhandenseins höherer Gewalt oder Verschuldens des Verlezten oder Getödteten ausschließt und indem er für den Schadenersaz kein Maximum aufstellt. Man begreift, daß eine so ausgedehnte Haftpflicht unsere Fabrikanten in Schreken versezt und daß sie, um die Milderung derselben zu verlangen, auf das Beispiel Deutschlands und Englands verweisen. Dieses Beispiel an und für sich darf uns indessen nicht veranlaßen, die Verantwortlichkeit der Fabrikanten einzuschränken.

Bekanntlich lassen sich in den Kämpfen um partikulare Interessen die Parlamente bisweilen von zu egoistischen Einflüssen leiten; jedes Land hat übrigens seine besonderen Verhältnisse, denen sich die Gesezgebung mehr oder weniger anbequemen muß, und deßhalb dürfen wir die in ausländischen Gesezen angenommenen Grundsäze erst dann selbst annehmen, nachdem wir sie des genauesten in Bezug auf ihre Vernünftigkeit und das natürliche Recht untersucht und geprüft haben.

Was man jedoch von vornherein festhalten muß, ist, daß in den beiden Ländern, von denen wir gesprochen haben, die Geseze über die Haftpflicht, welche nach oft sehr leibhaften Diskussionen angenommen worden sind, seitens der Regierungen wenigstens das Ergebniß des Bestrebens sind, die berechtigten Interessen der Fabrikanten, die an dem alten Prinzip festhielten, mit denen der Arbeiter, deren
Ansprüche oft sehr weit gingen, in Einklang zu bringen. Die Bestimmungen des deutschen Gesezes, die Haftpflicht betreffend, sind gewissermaßen versuchsweise eingeführt worden, da die Anhaltspunkte fehlten, um die Tragweite derselben zu bemessen, während in Bezug auf den Eisenbahnbetrieb man die in mehreren deutschen Staaten und besonders in Preußen gemachte Erfahrung hinter sich hatte, in welch1 lezterem Staate

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seit 1838 die Grundsäze einer sehr ausgedehnten Haftpflicht angewendet wurden. Das englische, für die Eisenbahnen weniger strenge, aber für die Fabriken strengere Gesez als das deutsche hat sich in dieser lezteren Beziehung auf einen Boden gestellt, der die Mitte hält zwischen dem Art. 2 des deutschen Gesezes und der französischen Praxis in ihren strengsten Urtheilen. In der That ist zu bemerken, daß Frankreich kein spezielles Gesez über die Haftpflicht besizt, sondern daß daselbst die Bestimmungen des gemeinen Rechts Anwendung finden. Der Code civil enthält in den Art. 1382, 1383 und 1384 folgende Vorschriften: ,,Art 1382. Jede Handlung irgend welcher Art eines Menschen, durch die einem anderen ein Schaden zugefügt wird, verpflichtet denjenigen, durch dessen Verschulden der Schaden entstanden ist, diesen zu ersezen.

,,Art. 1383. Jedermann ist für den Schaden verantwortlich, den er durch sein Thun, oder auch nur durch seine Fahrläßigkeit oder seine Unvorsichtigkeit verursacht hat.

,,Art. 1384. Man ist nicht nur für den Schaden verantwortlich, den man durch seine eigene Handlung verursacht, sondern auch für denjenigen, der durch die Handlung von Personen entsteht, für die man einzustehen, odej durch Sachen, die man unter seiner Obhut hat, etc.* Während langer Zeit haben die französischen Gerichte diese Rechtssäze im Sinne des ,,common employaient" angewendet; aber schon vor etwa vierzig Jahren hat der Kassationshof den Saz aufgestellt, daß der Arbeitgeber nicht nur Dritten, sondern auch seinen Angestellten gegenüber für die Unfälle verantwortlich sei, die bei der Ausführung einer von ihm angeordneten Handlung sich ereignen.

Der schweizerische Gesezgeber hat sonach den Vortheil, die in diesen drei großen industriellen Staaten gemachten Erfahrungen zu Rathe ziehen zu können, seine Aufgabe bleibt jedoch nichtsdestoweniger eine schwierige.

In erster Linie hat man sich zu fragen, ob es nicht genüge, in der Schweiz, wie es in Frankreich geschieht, das gemeine Recht auf die Unfälle in den Fabriken anzuwenden, oder ob nicht wenigstens das Inkrafttreten des Obligationenrechts abzuwarten sei, ehe man diejenigen Punkte genauer bestimme, in Betreff welcher ein Spezialgesez von den allgemeinen Regeln desselben abzuweichen habe.

Diese beiden Fragen müssen wir aus folgenden Gründen verneinend beantworten.

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Das gemeine Recht, selbst wenn es für die ganze Schweiz einheitlich gemacht würde, kann nicht vollständig ein Spezialgesez ersezen. Sobald man geglaubt hat, die Arbeit in den Fabriken einem besonderen Regime unterwerfen zu sollen, mußten auch Verpflichtungen eigener Art entstehen. Es sind Handlungen einer bestimmten Gattung in Erwägung zu ziehen und gesezliche Präsumptionen sui generis aufzustellen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Spezialgesezes, welche schon anläßlich der Diskussion über das Gesez betreifend die Arbeit in den Fabriken anerkannt worden ist.

Es wäre allerdings wünschenswerther, bevor auf die Materie eingetreten würde, ein einheitliches Recht zu besizen, und besonders ein Recht, über das schon Erfahrungen vorliegen. Man hätte dadurch den großen Vortheil, dieselben Begriffe mit denselben Worten ausdrüken zu können, oder da, wo es nöthig erscheint, verschiedene Ausdrüke zu gebrauchen, genau diese Verschiedenheit motiviren zu können. Aber dieser Vortheil tritt in den Hintergrund gegenüber den Rüksichten der Dringlichkeit. Das Gesez über die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb wird inständigst verlangt und das Bedürfniß eines solchen wird lebhaft anerkannt. Andererseits kann der Zeitpunkt, in welchem das Obligationenrecht in Kraft treten wird, in diesem Augenblik nicht mit voller Sicherheit bestimmt werden. Unterdessen könnte es sehr verhängnißvoll werden, unsere Fabrikindustrie in der gegenwärtigen Situation zu belassen. Uebrigens ist es leicht, den Text des Spezialgesezes mit demjenigen des Entwurfes zum Obligationenreeht, wie solcher von einem der Räthe und der Kommission des anderen Rathes schon festgestellt worden, in Einklang zu bringen, so daß keine anderen wesentlichen Verschiedenheiten darin sich finden würden, als diejenigen, welche man absichtlich gewollt hat.

Eine weitere Frage, die aufgeworfen werden muß und bereits von mehreren Seiten, unter andern auch von den Regierungen der Kantone Bern und Basellandschaft, aufgeworfen worden ist (siehe deren Schreiben vom 25. August, resp. 22. September, betreffend die Revision des Fabrikgesezes), ist die, ob ein zu erlassendes Haftpflichtgesez nicht die verschiedenen gefährlichen und gesundheitsschädlichen Industrien oder sogar sämmtliche Gewerbe überhaupt umfassen sollte. Die Kompetenz des Bundes wäre nicht zu bestreiten,
sie ist in Art. 64 der Bundesverfassung, wo von dem Obligationenrecht die Rede ist, enthalten. Ohne Zweifel würde eine solche Ausdehnung viele Vortheile haben; sie würde dem Vorwurf der Inkonsequenz und der Ungerechtigkeit, den man einem Ausnahmsgeseze, wie das Fabrikgesez, immer machen wird, die Spize abbrechen. Man muß zugeben , daß der natürliche juristische Sinn

547 ·sich an der Thatsache stößt, daß Arbeiter, welche sehr großen Gefahren ausgesezt sind, wie z. B. die im Bauhandwerk und in der Ausbeutung von Bergwerken und Steinbrüchen beschäftigten, nicht unter den speziellen Schuz des Gesezes gestellt werden, während andere zu weniger gefährlichen Verrichtungen verwendete Arbeiter einen solchen Schuz geniessen, weil ihre Beschäftigung zufällig in einer Fabrik stattfindet.

* Nichtsdestoweniger ist, f ü r den A u g è n b l i k wenigstens, nicht daran zu denken, ein Haftpflichtgesez zu erlassen , das auf alle Gewerbe anwendbar wäre. Die Untersuchung der Verhältnisse der Fabrikindustrie ist, obwohl man sich seit Jahren damit befaßt, kaum ausreichend, um die spezielle Haftpflicht zu bestimmen; die Verhältnisse der übrigen Industrien sind noch gar nicht untersucht worden, da sich die Gelegenheit dazu nicht geboten hat. Für jede dieser leztern den Umfang der Haftpflicht zu bestimmen, wäre in kurzer Zeit nicht möglich. Einige allgemeine, auf alle Verhältnisse anzuwendende Formeln würden weder die Interessen der Fabrikanten noch die der Fabrikarbeiter befriedigen ; es bleibt somit keine weitere Alternative, wenn man auf eine sichere und rasche Weise vorgehen will, als die, die Haftpflicht für die Fabrikindustrie, weil am besten bekannt, zu regeln, unter dem Vorbehalt, ein Gleiches für die übrigen Industrien zu thun, sobald die Bedürfnisse und die Verhältnisse derselben zur Genüge untersucht worden sind.

Von diesen allgemeinen Erwägungen ausgehend hat unser Handels- und Landwirthschaftsdepartemeut die Ausarbeitung eines ersten Entwurfes zu einem Geseze über die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb an die Hand genommen. Dieser erste Entwurf ist sodann von den Fabrikinspektoren und in zweiter Linie von einer vorberathenden, aus den Herren Bundesrichter Roguin in Lausanne, Nationalrath Künzli in Ryken, Nationalrath Moser-Näf in Niederuzwyl, Nationalrath Dr. Sulzer in Winterthur, Ständerath Rieter in Winterthur, Dr. Guillaume in Neuenburg und Fabrikinspektor Klein in Basel bestehenden Kommission in drei Sizungen geprüft worden.

Das Resultat dieser sorgfältigen Prüfung haben wir unter Anbringung einer Anzahl Abänderungen, welche in diesem Berichte angegeben sind, als Gesezentwui-f angenommen.

A. Die erste Frage, die das Gesez zu beantworten hat, ist die: auf wem l a s t e
t die H a f t p f l i c h t ? Das Gesez vom 23. März 1877 gebraucht im deutschen Text das Wort ,,Fabrikbesizer"1, das im Französischen bald mit ,,propriétaire de fabrique^ (Art. 3, 4 und 5}, bald mit ^fabricant"1 (Art. 6 u. ff.) übersezt worden ist. Dieser zwiefache Ausdruk ist fatal, denn er gibt der Vermuthung Raum, inan habe verschiedene Personen im Auge gehabt, was nicht der Fall ist. Der deutsche Ausdruk ,,Fabrikbesizer11 ist von den Re-

548 daktoren des Gesezes als gleichbedeutend mit den Worten ,,wer eine Fabrik betreibt" (,,celui qui exploite une fabrique"), möge der eine Fabrik betreibende nun Besizer derselben sein oder nicht, betrachtet worden. Der Begriff ,,Besiz," (,,possession") ist in der That verschieden von dem Begriff ,,Eigenthum a (,,propriété"), aber die französische Uebersezung trägt dieser Verschiedenheit in den Artikeln 3 bis 6 keine Rechnung, während sie in den folgenden O7 O Artikeln das Wort ,,fabricant" gebraucht, das dem deutschen Ausdruk besser entspricht. Der Richter kann durch diese verschiedenen oder der wünschbaren Genauigkeit entbehrenden Ausdrüke kaum in Irrthum gerathen, denn der einfache Menschenverstand wird ihm sagen, daß das Gesez Denjenigen meint, dessen Beruf es ist, eineFabrik zu betreiben, Denjenigen, auf dessen Rechnung und Gefahr der Betrieb stattfindet, und nicht Denjenigen, der etwa nur Besizer der Fabrik ist, ohne in Wirklichkeit und auf seine. Rechnung dieselbe zu betreiben. Da jedoch ein Gesez so viel als möglich Zweideutigkeit in den Ausdrüken vermeiden soll, glauben wir, daß es angezeigt sei, den Art. l folgenderweise zu fassen: ,,Wer eine Fabrik betreibt, haftet etc."

Es mag überflüssig erscheinen, zu bemerken, daß unter diesen Ausdrüken nicht nur die physischen, sondern auch die juristischen Personen begriffen sind.

Dagegen muß hervorgehoben werden, daß das Gesez nicht nur auf die in die amtliche Liste eingetragenen Fabrikanten, sonderò auch auf Diejenigen Anwendung findet, welche in derselben flguriren sollten. Die Aufsicht der Behörde kann nicht so strenge und umfassend sein, daß bei der Aufstellung der Fabriklisten keine Auslassung vorkommen kann. Vielmehr ist anzunehmen, daß, sei es in Ermanglung von Mittheilungen, sei es dadurch, daß die Behörde von Seiten einiger Fabrikanten selbst nur unrichtige Mittheilungen erhält, leztere immer nur mehr oder weniger unvollkommene Listen besizt. Es kann aus dem Umstände, daß ein Etablissement aus Irrthum oder Unkenntniß der wirklichen Verhältnisse nicht in die Listen eingetragen worden ist, für den betreffenden Fabrikanten nicht die Befreiung von der Haftpflicht abgeleitet werden. Es findet hier vielmehr das zweite Alinea des ersten Artikels des Bundesgesezes vom 23. März 1877 Anwendung. Dieses Alinea lautet folgendermaßen: ,,Wenn Zweifel
waltet, ob eine industrielle Anstalt als Fabrik zu betrachten sei, so steht darüber, nach Einholung eines Berichtes der Kantonsregierung, der endgültige Entscheid dem Bundesrathe zu."

Der Art. 13 vorliegenden Gesezes hat den Zwek, keine Unbestimmtheit in dieser Hinsicht aufkommen zu lassen.

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B. Wer hat das Recht, d i e W o h l t h a t d e s G e s e z e s f ü r s i c h i n A n s p r u c h z u n e h m e n ? Offenbar diejenigen Personen, die der Art. 34, Alinea l, der Bundesverfassung und das in Gemäßheit desselben erlassene Gesez vom 23. März 1877 hat beschüzen wollen : die F a b r i k a r b e i t e r . Dieser allgemeine Ausdruk aber läßt verschiedene Auffassungen, die einen im erweiternden, die andern im beschränkenden Sinne, zu. Wir wollen dieselben näher untersuchen.

Man hat sich gefragt, ob nicht jeder Schwierigkeit in der Interpretation am einfachsten dadurch vorgebeugt werden könnte, daß man im Gesez bestimme, als Fabrikarbeiter sollen diejenigen Personen betrachtet werden, die in dem in Art. 6 des Gesezes über die Arbeit in den Fabriken vorgeschriebenen Nominativetat figuriren oder figuriren sollten. So einfach diese Lösung scheint, ist sie dennoch nicht praktisch. Sie geht einer Schwierigkeit aus dem Wege, um auf eine andere zu stoßen. Allerdings haben nach dem erwähnten Ait. 6 die Fabrikbesizer ,,über die in ihren Anstalten beschäftigten Arbeiter ein Verzeichniß nach einem vom; Buudesrath aufzustellenden Formular zu führen", aber bis heute besteht dieses Formular in einem allgemeinen Schema ohne Vorschriften bezüglich der Kategorien von Personen, die auf der Liste zu figuriren haben. Der Umstand, daß ein Fabrikant seine Liste nicht auf dem Laufenden hält oder nur in unvollständiger Weise führt, kann gegenwärtig die Rechte des Arbeiters, der auf derselben, figuriren sollte, nicht abschwächen. Wenn dagegen der Bundesrath Vorschriften darüber erließe, welches die Personen sind, welche eingeschrieben werden müssen, und diese Einschreibung erforderlich wäre, damit der Arbeiter die Wohlthat des Haftpflichtgesezes für sich in Anspruch nehmen kann, so wäre es bei der Mannigfaltigkeit unserer Industrien leicht möglich, daß in der Aufzählung des Fabrikarbeiterpersonals Luken gemacht werden, und es müßten hieraus Ungerechtigkeiten entstehen. Das Beste ist also, hierüber nichts Bestimmtes festzusezen, sondern es dem Richter zu überlassen, in zweifelhaften Fällen die Verhältnisse, in denen sich die Person in Bezug; auf die Fabrikarbeit befindet, zu würdigen.

Indessen mag es von Nuzen sein, hier im Allgemeinen die Bedeutung anzugeben, die wir mit dem Ausdruke ,,Fabrikarbeiter"" verbinden. Nach
unserm Dafürhalten findet dieser Ausdruk auf alle Diejenigen Anwendung, welche in der Fabrik, d. h. bei dem industriellen Betriebe, dafür da sind, die Befehle des Fabrikanten selbst oder des Fabrikdirektors, eines Ingenieurs oder Chemikers u. s. w,, entgegenzunehmen oder auszuführen; auf die Stellung, den Titel oder den Lohn kommt es dabei nicht an. Wir verstehen also darunter,.

550 außer den eigentlichen Fabrikarbeitern, auch die Aufseher, die ContreMaîtres sowohl als die Mechaniker, Heizer etc., und wir sind der Ansicht, daß dies ohne Zweifel die Kategorien von Personen sind, welche das Gesez vom 23. März 1877 im Auge gehabt hat da, wo es die Worte ,,Angestellten oder Arbeiters" gebraucht (Art. 5, litt, a und b).

Das deutsche Gesez vom Jahr 1871 geht weiter als das unsere, denn nach Art. 2 desselben ist der Fabrikant nicht nur gegenüber den Angestellten und Arbeitern, sondern in allen Fällen haftbar, wo der Betrieb den Tod oder die Körperverlezung eines M e n s c h e n überhaupt herbeigeführt hat. Da der Art. 34 der Bundesverfassung, auf den unser Gesez basirt ist, nur von dem Schuze der Fabrikarbeiter spricht, so haben wir uns auch einzig mit diesen zu befassen. Die Verantwortlichkeit des Fabrikanten gegenüber dritten Personen muß nach dem gemeinen Recht behandelt werden.

In einer Fabrik gibt es aber außer dem mit den Handarbeiten, mit der Ueberwachung der Maschinen etc. beschäftigten Personal noch Angestellte und Arbeiter anderer Art, in Betreff welcher die Frage aufgeworfen werden kann, ob sie ebenfalls an der Wohlthat des Gesezes Autheil haben. Soll ein Fabrikdirektor, ein Ingenieur oder ein Chemiker, der im Solde des Fabrikanten steht, durch das Spezialgesez oder nur durch das gemeine Recht geschüzt werden?

Es läßt sich hierüber streiten; man kann geltend machen, daß diese Personen Befehle zu geben, nicht aber auszuführen haben, und daß die Besoldung, die sie beziehen, hoch genug sei, um es ihnen zu ermöglichen , sich gegen die Unfälle zu versichern. Wir sprechen uns indessen für die erstere Alternative aus und zwar deßhalb , weil 1) es sich um Angestellte handelt, dio durch ihre Verrichtungen oft denselben und bisweilen noch größern Gefahren ausgesezt sind, als die Arbeiter, 2) es schwierig wäre, in der Rangordnung des Personals einer Fabrik die Grenze festzusezen, jenseits welcher die spezielle Haftbarkeit des Fabrikanten aufhören soll Es kommt häufig vor, daß sich im Fabrikgebäude die Bureaux für das Geschäfts- und Rechnungswesen befinden. Findet nun das Gesez auch auf die Angestellten dieser Bureaux Anwendung? Diese Frage ist zu bejahen in allen Fällen, wo der Unfall die unvermeidliche Folge der speziellen Gefahren des Betriebs ist, so in dem Fall, wo einer
jener Angestellten in Ausführung seiner Obliegenheiten in die Nähe einer gefährlichen Maschine kommen muß; ferner, wenn er in seinem Bureau oder an einem andern Orte, wo er etwas zu thun hatte, z. B. von der Explosion eines Dampfkessels betroffen würde.

551 Es sind auch noch andere Kategorien von Arbeitern zu erwähnen, und zwar solche, denen Verrichtungen gemischter Natur, d. h. in der Fabrik und außerhalb derselben, obliegen. Wenn der Unfall die unmittelbare Folge des Betriebs ist, so müssen sie wie ,,Arbeiter" behandelt werden.

Wir könnten noch mehr Beispiele anführen, glauben jedoch, genugsam die Bedeutung auseinandergesezt zu haben, die wir den Worten ,,Angestellte oder Arbeiter00 geben.

C. Wir gehen über zur Untersuchung der V e r h ä l t n i s s e des O r t e s und der C a u s a li t a t , welche vorliegen müssen, wenn die Haftpflicht des Fabrikanten engagirt sein soll.

1) D e r U n f a l l m u ß i n der F a b r i k s t a t t g e f u n d e n haben.

Der Art. \ des Gesezes vom 23. März 1877 bezeichnet als Fabrik ,,jede industrielle Anstalt, in welcher gleichzeitig und regel,,mäßig eine Mehrzahl von Arbeitern außerhalb ihrer Wohnungen ,,in geschlossenen Räumen beschäftigt wird." Diese Definition schließt gewisse Arbeiten aus, die, obwohl in direktem Zusammenhange mit dem Fabrikbetrieb stehend , doch nicht in der Anstalt selbst verrichtet werden ; so die Aufrichtungsarbeiten (Montirung) im Freien. Es könnte dies inkonsequent erscheinen, da viele dieser Arbeiten gefährlicher sind, als die in der Fabrik verrichteten ; z. B. sezt die Aufrichtung einer Eisenbrüke die Arbeiter größerer Gefahr aus, als die Fabrikation der Brüke selbst. Aber die Größe der Gefahr ist nicht das bei der Haftpflicht Anwendung findende Kriterium, denn sonst müßte die Wohlthat des Gesezes auf alle diejenigen Arbeiter ausgedehnt werden , die sich in denselben Verhältnissen wie die bei Aufrichtungsarbeiten beschäftigten Fabrikarbeiter befinden. Ist die Fondirung der Pfeiler einer eisernen Brüke oder der Widerlager nicht ebenso gefährlich als die Legung der Brüke?

Warum sollen bei einer Arbeit, die ein Ganzes bildet, die Mauerarbeiter von der Wohlthat des Schadenersazes ausgeschlossen werden, während die Arbeiter in den Werkstätten diese Wohlthat genießen ?

Wir wollen nicht bestreiten, daß ein allgemeines Gesez über die Haftpflicht der Arbeitgeber, ähnlich der ,,employers liability billa, von Gutem wäre. Aber ein solches Gesez haben wir Ihnen nicht vorzulegen. Die Bundesverfassung hat einen speziellen Schuz den Fabrikarbeitern angedeihen lassen; der Sinn des Wortes ,,Fabrik" ist im Geseze vom 23. März 1877 definirt und an diese Définition hat sich das Haftpflichtgesez zu halten.

552 «

Was den im Geseze vom 23. März 1877 gebrauchten Ausdruk ,,geschlossene Räume" anbetrifft, so darf derselbe nicht in einem zu engen Sinne aufgefaßt werden ; man muß vielmehr zugeben , daß dieser Ausdruk das ganze industrielle Etablissement, Häuser, Höfe und Nebengebäulichkeiten, kurz alle Räumlichkeiten umfaßt, in denen der Betrieb der Fabrik stattfindet.

2) Der U n f a l l muß die Folge des B e t r i e b s der F a b r i k sein.

Dieses Wort ,,Betrieb"1 läßt eine ausgedehnte und eine mehr einschränkende Interpretation zu.

Im ersteren Falle umfaßt der Betrieb der Fabrik sämmtliche Arbeiten irgend welcher Art, die industriellen, geschäftlichen und mit der Hand verrichteten, die haupt- und nebensächlichen Arbeiten, die in den Gebäulichkeiten der Fabrik und deren Dependenzen ausgeführt werden und zusammen, wenn auch einzeln in einer mehr oder weniger direkten Weise, das Fabrikationsunternehmen ausmachen.

Im andern Falle umfaßt der Betrieb der Fabrik nur diejenigen speziellen gewerblichen Arbeiten, die in den Räumlichkeiten der Fabrik von den Angestellten und Arbeitern ausgeführt werden und die nach Art. l des Gesezes vom 23. März 1877 einzig eine den Bestimmungen dieses Gesezes unterworfene gewerbliche Anstalt ausmachen.

Die voraufgegangenen Erwägungen zeigen zur Genüge, daß wir nur die leztere Interpretation des Wortes ,,Betrieb" als zuläßig erachten. Es mag indessen gut sein, die Gründe hiefür noch weiter zu entwikeln, so daß kein Zweifel über die Absicht des Gesezes [ratio legisj entstehen kann.

Eine Materie, welche die größte Aehnlichkeit mit der uns vorliegenden h a t , ist die Haftpflicht aus Eisenbahnbetrieb. Deutschland und England haben die Haftpflicht der Eisenbahnen und die der Fabrikanten in einem Geseze vereinigt. Wir in der Schweiz haben seit dem 1. Juli 1875 ein Gesez über die Haftpflicht der Eisenbahnen, dessen wesentliche Bestimmungen dem deutschen Geseze vom Jahr 1871 entnommen sind und das in seinem Art. 2, wie das deutsche Gesez, die Worte ,, b e i m B e t r i e b e " gebraucht. Hiebei ist die Untersuchung der Frage, wie in der Praxis dieser Ausdruk in Bezug auf die Haftpflicht der Eisenbahnen interpretirt worden ist, von Wichtigkeit.

In dieser Beziehung mag es interessant sein, in den Spezialwerken der juristischen Literatur und in den Zusammenstellungen

553 der Entscheidungen der deutschen Gerichte nachzulesen, zu welchen Kontroversen und Interpretationsschwierigkeiten in der Praxis die Bestimmung der Grenzen jenes Betriebs und der Fälle Veranlaßung gegeben hat, in denen das Spezialgesez, das so tiefgehende Abweichungen vom gemeinen Rechte enthält, zu Gunsten von Getödteten, Verwundeten und deren Rechtsnachfolgern anwendbar ist.

Das deutsche Gesez vom Jahr 1871 folgte selbst, wie wir bereits erwähnt haben, einem preußischen Geseze vom Jahre 1838, das die Worte ,,bei dem Betriebe" nicht gebraucht, sondern (Art. 25) ,,bei der Beförderung auf der Bahn", und anläßlich der Diskussion im Reichstag versuchten die Vertreter der Regierung und hervorragende Abgeordnete, die Bedeutung der Worte ,, b e i dem B e t r i e b e " ..zu präzisiren ; aber man kann nicht behaupten, daß ihre Bemühungen von etwelchem Erfolge begleitet gewesen wären.

Die Rechtsprechung hat sonach die Aufgabe erhalten, den Umfang jenes Ausdruks in seiner Anwendung auf die Eisenbahnen zu bestimmen; sie hat es gethan in casu und unter den verschiedenen und mannigfaltigen Umständen , die ihr unterbreitet worden sind, und ihre Urtheile haben folgenden, vom Reichsgericht zu Leipzig anerkannten und seit mehreren Jahren unverändert gebliebenen Saz aufgestellt : Die Worte ,,bei dem Betrieb" umfassen nicht nur die Beförderung der Reisenden und Güter und den Fahrdienst, jene Hauptoperationen , welche die vorbereitende, durchführende und ab.schließende Ausführung des Eisenbahngewerbes als Vermittler des Verkehrs auf Schienen ausmachen, sondern auch alle Handlungen, welche in unmittelbarem Zusammenhange mit den gefährlichen, dieser Industrie eigenthümlichen Aktionsmitteln stehen. Es fallen .somit unter die Herrschaft der Ausnahmsbestimmungen des Gesezes zu Gunsten der Getödteten und Verlezten nur die Unfälle, welche in einem direkten Causalzusammenhang mit den speziellen Verrichtungen und den ausnahmsweisen Gefahren stehen, die aus der Beförderung auf einem Schienenwege mittelst der Lokomotive erfolgen.

Die Rechtsprechung hat demgemäß erkannt, die Wohlthat des Ausnahmegesexes sei * auf folgende Fälle nicht anzuwenden, dieselben seien somit unter der Herrschaft der allgemeinen Rechts.regeln zu belassen : a. Die Körperbeschädigungen, welche bei der Be- oder Entladung eines am Ziel angekommenen und auf einem Aufstehgeleise oder bei einer Güterrampe stationirenden Waggons erfolgt sind.

554 b. die Körperverlezungen, die auf einem Perron, in einem Wartesaal oder selbst in einem Waggon durch das Herabfallen eines Ziegels, einer Zinkplatte, das Umfallen eines Laternenpfahls, eines Gepäkstükes, die gewaltsame Handlung eines anderen Reisenden oder Angestellten erfolgt sind ; die Körperverlezungen, die in Folge eines Krahnbruches, durch Herausfallen eines Steines aus einem Viadukt, bei der Wiedererhebung eines entgleisten Waggons auf die Schienen, in Folge Herabfallens von der Treppe eines stillstehenden Wagens u. s. w.

u. s. w. entstanden sind; c. die Körperverlezungen, die bei der Unterhaltung der Bahn, bei der Legung und Erneuerung der Schienen und Schwellen und anderen Materials, bei der Legung und Leitung der Eisenbahntelegraphen, bei der Expedition und Entgegennahme der Güter und der Abgabe von Billeten entstanden sind; die Körperverlezungen, die bei einem Uebergang auf gleicher Höhe durch schlechte Stellung der Fangschienen, beim Umfallen eines Wagens oder sonstwie erfolgt sind, wenn der Unfall nicht durch das Vorbeifahren eines Zuges, einer Lokomotive oder durch eine andere Betriebshandlung verursacht ist: d. die Körperverlezungen, die bei den Konstruktions- und Reparaltionsarbeiten, in den Werkstätten, die Nebengebäude der Eisenbahn bilden, bei den Arbeiten zur Reparation einer Wasserstation für Lokomotiven etc. entstanden sind.

Zur Motivirung dieser Entscheidungen führen die Urtheile an, daß die Unfälle während der Konstruktion und in den Réparations- und Maschinenwerkstätten unter die in Art. 2 des Gesezes (Haftpflicht des Eigenthümers in Fällen des Verschuldens seiner Angestellten und Arbeiter) vorgesehene Kategorie gehören, da die ausnahmsweise Haftpflicht von Art. l nur dann Anwendung finde, wo s p e z i e l l e , d e r Natur des Eisenbahnbetriebs i n n e w o h n e n d e Gef a h r e n v o r h a n d e n sind.

Das Bundesgesez vom 1. Juli 1875 hat sich auf denselben Standpunkt gestellt, wie der deutsche Gesezgeber; es geht dies am deutlichsten hervor aus dem Bericht der nationalräthlichen Kommission (Bundesbl. 1874, III, 277). Die Tendenz dieser Kommission wird klar ersichtlich bei Art. l, wo sie ihre Ansicht dahin ausspricht, daß bei m Bau die konzossionirte Gesellschaft für jede r g end w e l c h e V e r s c h u l d u n g h a f t b a r ist und daß sie eine solche Verschuldung durch ihre Repräsentanten, Angestellten, Arbeits-

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Unternehmer, sogar durch die Arbeiter selbst gegenüber anderen Arbeitern begehen kann, denen sie eine Entschädigung zu bezahlen haben wird, w e n n d a s V e r s c h u l d e n v o m R i c h t e r a l s b e w i e s e n a n e r k a n n t w o r d e n ist.

In Betreff des b e i m B e t r i e b e verursachten Schadens hat jenes Gesez einfach den Text des deutschen Gesezes beibehalten (einige unbedeutende Modifikationen ausgenommen), und der Bericht der Kommission sagt (Seite 280): ,,Das Motiv liegt in der eigentümlichen Natur dieses Eisenbahn- und Dampfschiffbetriebs. In der Dampfkraft ist von den Unternehmungen dieser Art ein Arbeiter eingestellt worden, der einer ganz ausnahmsweisen Behandlung bedarf. Der Passagier, der sich einer solchen Transportanstalt übergibt, wird sozusagen willen- und machtlos, weiter für sich selbst zu sorgen. Er wird im geschlossenen Wagen mit einer ganz außerordentlichen Kraft vorwärts geschleudert etc.'1 In der That hat denn auch das Bundesgericht denselben Unterschied gemacht wie die deutschen Gerichte zwischen dem Betriebe im engeren Sinne, der einzig die Anwendung des Art. 2 des Bundesgesezes und der in diesem Artikel vorgeseheneu Präsumption der Haftbarkeit zuläßt, und den übrigen Diensthandlungen des Unternehmens, d i e u n t e r d e n B e g r i f f ,, B e t r i e b " i m a l l g e m e i n e n S i n n e f a l l e n , aber mit Rüksicht darauf, daß sie allen HandelsGewerben- und Unternehmungen gemeinsam sind, in Bezug auf die Haftpflicht dem gemeinen Recht unterworfen sind.

Wir besizen noch nicht sehr viele bundesgerichtliche Urtheile über diese Materie, aber eines derselben ist bezeichnend, nämlich das vom 27. April 1878 in Sachen Chaubert contra S. 0. Es geht daraus hervor, daß eine Verlezung, welche den Verlust eines Auges im Gefolge hatte und sich durch Zufall während einer Arbeit zur Unterhaltung oder Reparation des Geleises außerhalb des eigentlichen Betriebes ereignete, der Haftpflicht im Art. 2 des Bundesgesezes nicht unterworfen ist und daß, wenn die Gesellschaft haftbar sein soll, der B e w e i s eines V e r s c h u l d e n s seitens derer vorliegen muß, für die sie zu haften hat (Art. 3) ; (siehe auch Urtheile vom 23. November 1878).

Art. 2 des deutschen Gesezes, das sich auf Bergwerke, Steinbrüche und Fabriken bezieht, sagt: ,,Wer eine Fabrik b e t r e i
b t . " Die Bedeutung dieses Wortes ,,betreibt"1 scheint nicht zu denselben Schwierigkeiten der Interpretation Veranlaßung gegeben zu haben, wie der auf die Eisenbahnen angewendete Ausdruk ,,bei dem Betriebet(t, wenigstens erwähnt der von Dr. Eger herausgegebene und

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die deutsche Rechtsprechung enthaltende Kommentar (Breslau 1876) kein Urtheil, das auf die Interpretation dieses Wortes Bezug hätte.

Dafür faßt er (auf Seite 176 und 177) die allgemein geltende Auf'fassung in folgenden Säzen zusammen : Unter ,,Betrieb" sind nur diejenigen Funktionen des Fabrikbetriebes zu verstehen, welche demselben die ihm eigenthümliche Gefährlichkeit verleihen ; unter ,,Verlezungen, beziehungsweise Dienstverrichtungen" nur solche, welche mit derartigen Funktionen in causalem Zusammenhang stehen.

Es folgt daraus: I. ,,Verlezungen bei solchen Funktionen, welche auch alle anderen gewerblichen Anlagen bei ihrem Betriebe in gleicher Weise und mit demselben Grade von Gefährlichkeit erfordern oder ermöglichen, fallen nicht unter § 2 des Reichs.gesezes.

II. ,,Nur Verlezungen bei solchen Funktionen des Betriebes, welche demselben im Vergleich mit dem Betriebe aller anderen gewerblichen Anstalten die ihm eigentümliche Gefährlichkeit verleihen und somit bei lezteren nicht in gleicher Weise vorkommen können, fallen unter § 2 des Reichsgesezes.

III. ,,Verlezungen bei solchen Betriebsarten, welche für die eigentliche Aufgabe des Fabrikbetriebes nicht unbedingt nothwendig und daher nicht wesentlich sind (z. B. der Transport des Rohmaterials), sondern nur als Nebengewerbe, wenn auch regelmäßig, aus Zwekmäßigkeitsgründen dem Gewerbe hinzutreten, fallen nicht unter § 2 des Reichsgesezes.a Obwohl der Inhalt dieser Säze in mancher Beziehung zu ·wünschen übrig läßt, so zeigen sie doch die Tendenz des Art. 2 des deutschen Gesezes. Aber man darf nicht aus dem Auge verlieren, daß dieses Gesez nicht so einschränkend ist als das schweizerische Gesez vom 23. März 1877, soweit es sich um die Person des von einem Unfall Betroffenen handelt. Dieses leztere Gesez beschränkt nämlich in Art. 5 die Haftpflicht auf die Person des Angestellten oder Arbeiters, während das deutsche Gesez von e i n e m M e n s c h e n im Allgemeinen spricht.

Unser Gesez macht es dadurch leichter, die Worte ,,bei dem Betriebe" zu erklären, daß man sie mit der Person des Verlezten oder Getödteten, die ein Angestellter oder Arbeiter sein muß, in Beziehung bringt. Es muß ferner der Unfall in e i n e r F a b r i k vorgekommen sein, was das deutsche Gesez nicht vorschreibt. Mit Hülfe dieser verschiedenen Merkmale wird der Richter ohne Schwierigkeit die zweifelhaften Fälle erledigen können.

557 Einige Beispiele mögen hier wohl am Plaze sein. Eine Fabrik hat eine Anzahl Lastträger, die ausschließlich damit beschäftigt sind, vom Bahnhofe die Rohstoffe wegzuführen, sie in der Fabrik abzuladen, die fabrizirten Produkte aufzuladen, nach der Bahn zu bringen und in die Waggons zu schaffen.

Wenn bei diesen Beschäftigungen sich ein Unfall ereignet, so muß die Haftbarkeit des Fabrikanten nach dem allgemeinen Recht geregelt werden und nicht nach dem Spezialrecht, selbst wenn der Unfall in der Fabrik stattgefunden hat, da diese Lastträger nicht zu den eigentlichen Fabrikarbeitern gehören, sondern Dienste verrichten, die sie auch bei einem von einer Fabrik unabhängigen Speditionsgeschäfte verrichten müßten. Wenn jedoch die Thätigkeit des Auf- und Abiadens in der Fabrik sie einer der Natur des Betriebes innewohnenden Gefahr aussezt, so sind sie als Fabrikarbeiter zu betrachten und demgemäß in den Fällen, wo ein Unfall aus dieser besondern Gefahr entstanden ist, zu behandeln. Das Haftpflichtgesez findet dagegen keine Anwendung, wenn einer der Arbeiter z. B. von einem Pferde getroffen wird im Innern einer Fabrik oder außerhalb derselben, denn in diesem Falle ist es nicht der industrielle Betrieb, der den Unfall verursacht hat. Zu Gunsten von gewöhnlichen, der Fabrik nicht beigegebenen Camionnageangestellten könnte das Spezialgesez niemals angerufen werden, sondern nur das allgemeine Recht.

Ueberhaupt halten wir dafür, daß Personen, welche im Lohne eines Fabrikanten solche Dienste verrichten, die sie mit dem Fabrikbetriebe in, wenn auch nur vorübergehende, Berührung bringen, wenn ihnen ein Unfall in der Fabrik oder in Folge des Fabrikbetriebes zustößt, Anspruch darauf haben, in Bezug auf die Entschädigung den Fabrikarbeitern gleichgehalten zu werden.

Ein weiteres Beispiel. Eine Fracht Eisenstangen wird in eine Fabrik gebracht und die gewöhnlichen Fabrikarbeiter sollen das Abladen bewerkstelligen. Es entstellt ein Unfall. Wir glauben, daß das Gesez über die Haftpflicht auch in einem solchen Falle Anwendung finde, weil man in endlose Subtilitäten hineinkäme, wenn man zu viel Unterscheidungen in Bezug auf die eigentlichen Arbeiter aufstellen würde.

Viele Unfälle können sich in einer Fabrik zutragen (z. B. Sturz, Brandwunden), ohne daß sie nothwendig die Folge des industriellen Betriebes sind, da sie
ia jedem anderen Etablissement ebenfalls vorkommen können. Der Richter wird allerdings bisweilen in Verlegenheit kommen, wenn er entscheiden soll, ob das Spezialgesez seine Anwendung finde oder nicht. Darin liegt eben das den Ausnahmegesezen Eigentümliche, daß ihre Interpretation und Vollziehung Schwierigkeiten verursacht. Aber eine vernünftige Würdigung der ursächlichen Umstände und das genaue Verständniß der ratio Bundesblatt. 32. Jahrg. Bd. IV.

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legis werden dem Richter mehr helfen als noch so viele Beispiele, "Wir wollen daher diese Kasuistik nicht fortsezen, das Vorausgegangene mag genügen zum Verständniß des leitenden Gedankens.

Art.,5, lit. d, des Gesezes vom 23. März 1877 sagt: ,,Der Bundesrath wird überdies diejenigen Industrien bezeichnen, die erwiesenermaßen und ausschließlich bestimmte gefährliche Krankheiten erzeugen, auf welche die Haftpflicht auszudehnen ist."

Bis anbin hat diese Bestimmung keine Vollziehung gefunden, da die nöthige Enquête noch nicht abgeschlossen ist. Wenn der Bundesrath diese Industrien bezeichnet hat, so wird die Frage, ob die Krankheit, für welche eine Entschädigung verlangt wird, wirklieh in dem industriellen Betriebe ihre Haupt- und einzige Ursache hat, Gegenstand einer gerichtlich-medizinischen Untersuchung sein.

Der Richter wird in dieser Beziehung auf weniger Schwierigkeiten stoßen, als dies bei anderen Arten von Unfällen vorkommen wird.

3. Der U n f a l l muß d u r c h das V e r s c h u l d e n d e & F a b r i k a n t e n oder eines s e i n e r R e p r ä s e n t a n t e n i n d e r A u s ü b u n g seine r D i e n s t v e r r i c h t u n g e n oder a u c h d u r c h Z u f a l l e r f o l g t sein.

Das deutsche Gesez macht einen wesentlichen Unterschied zwischen der Haftbarkeit der Eisenbahnunternehmungen, welche als eine obligatio ex lege behandelt wird, und der Haftbarkeit des Fabrikanten, welche nur eine obligatio quasi ex delicto ist. Die Eisenbahnen sind danach in der That für jeden Unfall haftbar, sofern sie nicht beweisen, daß derselbe durch höhere Gewalt oder durch eigenes Verschulden des Betroffenen verursacht ist ; die Fabrikunternehmer dagegen sind nur dann haftbar, wenn der Unfall durch das Verschulden eines Mandatars sich ereignet hat, und der Beweis hiefür muß vom Kläger erbracht werden.

Das englische Gesez macht aus der Haftbarkeit der ,,employers" ebenfalls eine obligatio quasi ex delicto, unterscheidet sich jedoch von dem deutschen Geseze dadurch, daß es die Haftbarkeit ausdrüklich ebensowohl aus der mangelhaften Beschaffenheit der Einrichtungen (Art. l, Ziff. 1) und der Handlung eines Arbeitsgenossen (ibid. Ziff. 3), als aus dein Verschulden eines mit der Ertheilung von Befehlen oder mit der Ueberwachung der Ausführung von solchen beauftragten Mandatars entstehen läßt (ibid. Ziff. 2
und 4).

Was den Zufall anbetrifft, so ist derselbe durch Art. 2, Ziff. l und 2, ausgeschlossen und die Erbringung des Beweises hat nach den allgemeinen Rechtsregeln zu erfolgen.

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Art. 5 des Bundesgesezes vom 23. März 1877 ist viel strenger als die beiden vorerwähnten Geseze und behandelt die Haftpflicht des Fabrikanten als eine obliffatio ex lege. Die Kommission des Ständerathes hat jene Gesezesbestimmung folgendermaßen motivili (Bundesblatt 1876, IV, 212) : ,,Als zweiten Hauptsaz (Art. 5Z>) nehmen wir in Uebereinstimmung mit dem Nationalrath die ökonomische Verantwortlichkeit des Unternehmers einer Fabrik gegenüber den Arbeitern auf, für jede Körperverlezung der leztern, die d u r c h den Betrieb der Fabrik entstanden ist, und schüzen den Arbeiter durch eine in der Sachlage begründete Beweis-Präsumtion, welche selbstverständlich durch Gegenbeweis zerstört werden kann. Dies ist ein Rechtssaz, der im Geseze über Haftpflicht der Eisenbahnen noch strenger im Detail durchgeführt ist. Gegen denselben seheinen einige Industrielle Bedenken zu haben. Wir glauben mit Unrecht. Es ist in der That nicht ein Ausnahmsgesez, das wir der Industrie aufzulegen gedenken ; auch nicht ein Privilegium, durch das wir den Arbeiterstand ausnahmsweise begünstigen wollen. Nach unserer Ueberzeugung ist es die aus dem Sachverhältniß, aus dem innersten Wesen der hier bestehenden thatsächlichen Verhältnisse geschöpfte Rechtsdoktrin. Wenn innerhalb der durch die Unternehmung gegebenen lokalen Verhältnisse und aller ebenfalls gegebenen Beziehungen zu Maschinen u. s. w., überhaupt zu dem durch den Betrieb geschaffenen thatsächlichen Zustande, wie ja der Artikel besagt, ,,durch den Betrieb der Fabrik11 die Körperverlezungen von Arbeitern entstehen, so wäre es unbillig, den Beweis, daß diese Verhältnisse schuld seien, daß er, der Verlezte, also n i c h t s c h u l d i g sei, dem verlezten Arbeiter zu überbinden.

Als Regel ist doch da billigerweise zu präsumiren, daß die Art und Natur des Fabrikbetriebes die Verlezung gebracht hat. Der Fabrikant mit allem Hilfspersonal in seiner Fabrik wird in der That eher im Stande sein, dem Richter nachzuweisen, ob im Spezialfall etwas Ungebührliches, Außergewöhnliches begegnet ist, das ganz oder theilweise dem Verlebten selbst oder einem Dritten, für den der Unternehmer gar nicht verantwortlich ist, die Schuld der Verlezung aufbürdet und ihn selbst ganz oder theilweise der Haftpflicht entlastet. -- Dieser Grundsaz, wenn er aufgenommen wird, ist denn auch keineswegs etwa
ein singuläres Recht der S c h w e i z ; vielmehr hat er sich längst auch anderwärts gültige Bedeutung erworben. Daß wir uns mit dieser Rechtsnorm auch, nach der Auffassung einsichtiger Industrieller selbst, auf dem Boden des Rechts befinden, dafür mag- der Umstand zeugen, daß sogar in den Abänderungsvorschlägen des Schweiz. Handels- und Industrievereins zu dem Entwurfe der

560 Expertenkommission der von uns adoptirte Saz und die aufgestellte Beweisdoktrin wörtlich aufgenommen ist. (Vide die zitirte, mit Begleitschreiben vom 27. Juli 1875 dem Eisenbahnund Handelsdepartement zugestellte Drukschrift. Abänderungsvorschlag zu § 4, Seite 4.) Gegen die Folgen solcher Haftpflicht können sich die Industriellen ja auch in der Hauptsache mittelst Verträgen mit Unfallversicherungsgesellschaften durch relativ nicht sehr ins Gewicht fallende Prämien deken."

Eine große Anzahl Industrieller hat sich mit der bezüglichen Gesezesbestimmung nicht befreunden können. Sie würde es lieber sehen, wenn man sich an das im deutschen Geseze aufgestellte Prinzip hielte oder doch sich auf den Standpunkt des englischen Gesezgebers stellen würde.

Wir können uns grundsäzlich dieser Anschauungsweise nicht anschließen. Was in erster Linie das deutsche Gesez anbetrifft, das den Fabrikanten nur in Fällen des Verschuldens Seitens eines mit der Ertheilung von Befehlen und mit der Ueberwachung der Ausführung derselben beauftragten Mandatars haftbar erklärt, so ist dasselbe auf halbem Wege in der Anwendung eines Grundsazes stehen geblieben, der, wenn er als gerecht anerkannt ist, weiter geführt werden kann und muß. ohne daß von einer Uebertreibung die Rede sein kann. Recht und billig ist, daß, da der Arbeiter in den Händen seines Vorgesezten ein gefügiges Werkzeug ist, wenn ihm ein Unglük in der Ausführung der erhaltenen Weisungen zustößt, der Fabrikant dafür hafte. Aber, kann des Fernern gefragt werden, warum soll der Arbeiter bloß gegen das Verschulden seines Vorgesezten und nicht auch gegen den von seinen Genossen in der gemeinschaftlichen Ausführung der erhaltenen Befehle begangenen Fehler geschüzt werden? Der Arbeiter ist ebensowenig frei in der Wahl der einen wie der anderen. Die Fabrikarbeit erfordert eine gewisse Disciplin nicht nur gegen die Vorgesezten, sondern auch unter den Kameraden ; der Arbeiter ist nur der Theil eines Ganzen, der zur. Erstellung eines bestimmten Objektes mitzuwirken hat.

Wenn sich bei der Bethätigung dieses Ganzen ein Unfall ereignet, so ist nach unserm Dafürhalten die Haftpflicht des Fabrikanten engagirt, welches auch immer die Rangordnung Desjenigen sein mag, durch den der Unfall verursacht ist.

Gegen diese Schlußfolgerung kann man den Einwand erheben, daß die Arbeiter
sich gegenseitig zu überwachen haben , und daß, wenn man den Fabrikanten haftbar erkläre , wo ein Verschulden des Arbeiters vorliege , ein "Nachlassen im Eifer der gegenseitigen Ueberwachung eintreten werde. Wohl liegt etwas Wahres hierin; da aber diese gegenseitige Ueberwachung weder immer möglich ist,

561 noch immer wirksam sein kann, so ist es nicht billig, auf dem Arbeiter die Folgen von Unfällen lasten zu lassen, die zu vermeiden nicht in seiner individuellen Gewalt liegt.

Mehrere Staaten (z. B. Preußen in Art. 73 seines Gesezes über den Betrieb von Bergwerken) haben als Grundsaz aufgestellt, daß der Fabrikant nur dann haftbar sei, wenn ihm ein Verschulden in der Auswahl seiner Leute fculpa in eligendo/ oder in der Ueberwachung des Betriebs [culpa in inspiciendo/ beigemessen werden kann. Der Beweis für dieses Verschulden ist aber offenbar sehr schwer zu leisten, und in den meisten Fällen hat diese Schwierigkeit die Negation der Haftpflicht zur Folge.

Das im englischen Geseze befolgte System nähert sich unserer Auffassungsweise mehr, aber es ist wieder wesentlich darin von lezterer verschieden, daß es den Zufall ausschließt. Nun kommt es aber bei einem industriellen Betriebe häufig vor, daß, ohne daß einem Menschen ein besonderes Verschulden zur Last gelegt werden kann und ohne daß ein Fall höherer Gewalt vorliegt, Unfälle sieh ereignen eben durch die gefährliche Beschaffenheit des Betriebs.

In diesen Fällen hat die Haftbarkeit des Fabrikanten grundsäzlich ebenso wohl einzutreten, als man dies für den Betrieb der Eisenbahnen anerkannt hat (siehe übrigens den im Artikel 5 des nachfolgenden Gesezentwurfes gemachten Vorbehalt).

Wir halten somit den Standpunkt der einstimmigen Kommission des Ständerathes in dieser Hinsicht aufrecht. Verhält sich dies nun ebenso hinsichtlich der Beweislast ?

Wenn, wie im deutschen oder englischen Geseze, die Haftpflicht als eine obligatio quasi ex delicto aufgefaßt wäre, so würde es der Natur der Sache entsprechen , wenn · der Kläger den Beweis der unerlaubten Handlung, unter Vorbehalt des Gegenbeweises, zu erbringen hätte. Indessen ist zu bemerken , daß der Entwurf zum schweizerischen Obligationenrecht die Erbringung des Beweises in allen Fällen zu Lasten der haftbaren Person legt.

Art. 69. ,,Ein Geschäftsherr haftet für den Schaden, welchen seine Arbeiter oder Angestellten in Ausübung ihrer geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, w e n n er n i c h t n a c h w e i s t , daß er alle erforderliche Sorgfalt angewendet habe, um eine solche Schädigung zu verhüten.

,,Diese Verantwortlichkeit trifft auch juristische Personen, wenn sie ein Gewerbe betreiben." (Siehe auch die Art. 68 und 72.)

Um so mehr muß da, wo die Haftpflicht als obligatio ex lege behandelt wird und die Zufälle, ausgenommen die Fälle höherer

562 Gewalt, umfaßt, die Last der Beweisführung dem auferlegt werden, der sich von der Haftpflicht befreien will ; also kann man auch in dieser Beziehung nur der Kommission des Ständerathes beistimmen.

D. Von den E i n r e d e n , die der F a b r i k a n t g e l t e n d machen kann.

1) Die höhere Gewalt. Es ist bekannt, daß sich eine abstrakte und genaue Definition dieses Begriffes nicht geben läßt, sondern daß die jeweiligen Umstände zeigen müssen, ob ein Fall von höherer Gewalt vorliege. Die englischen Juristen haben den Begriff präzisireu wollen, indem sie sagten : Die höhere Gewalt erfolgt allein aus einer Handlung Gottes [act of God, vis divina/ oder aus der Einwirkung der Feinde des Königs. Aber diese Definition umfaßt den ganzen Inhalt des Begriffs nicht, und es gibt Fälle, die als höhere Gewalt aufgefaßt werden können, aber sich weder in die eine noch in die andere Kategorie einreihen lassen. Im Allgemeinen läßt sich sagen, daß ein Fall von höherer Gewalt vorliegt, wenn der Fabrikant, um den Unfall abzuwenden, alle diejenigen Vorsichtsmaßregeln ergriffen hat, die nach dem Stande der Technik als geeignet gehalten werden und die man vernünftigerweise von ihm erwarten konnte, und wenn, nachdem das Ereigniß nichtsdestoweniger eingetreten ist, es nicht in der menschlichen Gewalt lag, dessen Einwirkungen Widerstand zu leisten oder dessen Folgen zu verhindern /casus, cui infirmitas Inumana resistere non potestj.

In den Berathungen, Diskussionen und Kommentaren, zu denen in Deutschland die Annahme des Gesezes vom Jahr 1871 über die Haftpflicht der Eisenbahnen Veranlassung gegeben hat, wurde der Begriff der höhern Gewalt sehr einläßlich erörtert; aber, wie dies natürlich war, man suchte die Beispiele und Belegstellen in den von der Wissenschaft anerkaanten Grundsäzen für die Haftpflicht der Transportanstalten (Beförderung von Menschen und F r a c h t g ü t e r n ) ; so diskutirto man die juristischen Regeln vom receptutn nautarum im römischen Rechte. Nach vielen Schwankungen gelangte man zu der Erklärung, daß die in Art. l des genannten Gesezes erwähnte h ö h e r e G e w a l t nicht nur die vis divina, à. h. ein Ereigniß, dem der Mensch nicht zu entgehen vermag (Bliz, Erdbeben, Ueberschwemmung), sein solle, sondern daß sie auch die Handlung eines Menschen sein könne, insofern das Ereigniß der Art ist, daß ihm nach menschlicher Voraussicht nicht ausgewichen und nicht entgegengetreten werden konnte.

563 Ferner hat man die höhere Gewalt definirt als eine äußere Macht oder als ein unvermeidliches Naturereigniß oder als ein aus ·einer menschlichen Handlung hervorgegangener Zufall, dein die menschlichen Kräfte nicht Widerstand zu leisten vermögen, der nicht vorhergesehen werden kann und dessen Folgen durch irgend mögliche Vorsichtsmaßnahmen nicht vermieden werden können.

Es ist sonach der Saz aufgestellt worden, daß der Transportunternehmer (Récipient) u n b e d i n g t hafte für den Unterhalt und die Funktionen seiner Betriebsmittel und für die Handlungen seiner Angestellten und blos t h e i l w e i s e für die Handlungen dritter Personen, .so daß er für diese Handlungen nur dann einzutreten hat, wenn bewiesen ist, daß er durch Umsicht, Sorgfalt, durch vernünftigerweise denkbare Vorsichtsmaßnahmen den verursachten Schaden hätte ab·wenden können.

So wurde der Fall angenommen, der Bliz tödte den Lokomotivführer und es erfolge darauf eine Entgleisung. Ein solches Ereigniß kann nicht als höhere Gewalt angesehen werden , denn es mußte ·ein Heizer zugegen sein, der die Noth- und Haltsignale zu geben hatte. Die Gesellschaft ist somit verantwortlich für die Fahrläßigkeit oder Unfähigkeit dieses Angestellten. Wenn aber Beide, der Lokomotivführer und der Heizer, vom Blize erschlagen werden, ·dann liegt ein Fall von höherer Gewalt vor.

So nehmen die deutschen Autoren ferner als h ö h e r e G e w a l t an : einen durch den Krieg verursachten Unfall, den Einsturz eines Tunnels, die Handlung eines Wahnsinnigen , der sich im Augenblike , wo der Zug herannaht, auf das Geleise stürzt. Die Haftpflicht tritt in diesen Fällen nicht ein , wenn die Eisenbahnunternehmung alle Sorgfalt darauf verwendet und alle reglementarisch vorgeschriebenen und möglichen Vorsichtsmaßnahmen, den Unfall abzuwenden, ergriffen hat, oder durch eine genügende und umsichtige Ueberwachung demselben vorzubeugen suchte.

Der Ausdruk ,,höhere Gewalt", der in unserm Entwurf ebenfalls gebraucht ist, wird auch bei uns zu Diskussionen und Kontroversen ähnlicher Art Veranlaßung geben. Es ist dies unvermeidlich und man muß sich deßhalb von vorneherein darauf gefaßt machen.

Diese Diskussionen werden indessen durch die Präzision beschränkt werden, mit welcher das Gesez den Umfang der Haftpflicht aus Fabrikbetrieb bestimmen wird.

2) Ein V e r b r
e c h e n o d e r V e r g e h e n , dessen sich ein a n d e r e r A r b e i t e r oder e i n e d r i t t e Person s c h u l d i g g e m a c h t hat.

Es gibt Vergehen, die unbestrittenermaßen die Haftpflicht des Fabrikanten nicht zur Folge haben können, z. B. wenn ein Ange-

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stellter oder Arbeiter einen andern Angestellten oder Arbeiter erdolcht, wenn eine dritte Person von außen her einen Stein in da& Fabrikgebäude wirft, durch den ein Angestellter oder Arbeiter verwundet wird. Mögen sich auch solche Vorkommnisse in der Fabrik zutragen, mit dem Betriebe selbst stehen sie in keinem Zusammenhange.

Die Frage wird streitig, wenn die verbrecherische Handlung: mit dem Betriebe in etwelcher Beziehung steht, derart, daß der daraus erfolgte Tod oder die erfolgte Körperverlezung nur wegen der gefährlichen Natur des Betriebes hat eintreten können. Das deutsche Gesez sieht zwar die Einrede für solche beim Eisenbahnbetriebe sich ereignende Fälle nicht ausdrüklich vor, aber die deutschen Autoren anerkennen, daß die Haftpflicht immer begründet ist, wenn die Handlungen von Eisenbahnangestellten und auch von dritten Personen herrühren, wofern die Gesellschaft nicht beweisen kann, daß in lezterrn Falle höhere Gewalt vorliegt. (Eger, S. 116, 117 und 118.)

Das Bundesgesez vom 1. Juli 1875, betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschifffahrtsunternehmungeu bei Tödtungen und Verlezungen, enthält in Bezug auf die Angestellten denselben Grundsaz (Art. 3), weicht aber von dem deutschen Geseze wieder darin ab , daß es in Bezug auf die Handlungen dritter Personen den Beweis zuläßt, daß der Unfall ,,durch Versehen und Vergehender Reisenden oder dritter bei der Transportanstalt nicht angestellter Personen, ohne, eigenes Mitverschulden der Anstalt, verursacht worden ist." (Art. 2.)

Die Kommission des Ständerathes hat sich in ihrem bereits erwähnten Berichte über das Gesez betreffend die Arbeit in den Fabriken mit dieser Frage befaßt. Der Nationalrath hatte in Art. 5 folgenden Saz aufgenommen : ,,Wenn der Unfall durch Verschulden eines Dritten verursacht worden ist, so steht dem Fabrikbesizer Regreß auf denselben zu." Die ständeräthliche Kommission hat diese Bestimmung mit Motiven angegriffen , die wir hier anführen zu sollen glauben.

,,Dieser Zwischensaz sezt somit nach seinem Wortlaute voraus, daß der Fabrikant für jede Handlung D r i t t e r in einer Fabrik dem Verlezten iu erster Linie hafte. Der selbstverständliche Rükgriff, der ihm auf den wirklich Schuldigen gegeben wird , ist unter Umständen ein leerer Trost. Vielleicht ist die Verantwortlichkeit, welche wir sub a dem Fabrikanten für alle seine Repräsentanten und Angestellten überbinden, der Hauptinhalt dessen, was dieser Zwischensaz in der nationalräthlichen

565 Schlußnahme sagen will? Soll er mehr besagen, nämlich, daß.

Alles, was da in einer Fabrik von D r i t t e n Strafbares geschehen, kann, stetsfort der Fabrikant ökonomisch zu verantworten habe,, so wäre damit, wie uns scheint, doch eine höchst ausnahmsweise,, wirklich abschrekende Verantwortlichkeitslast auf jeden Gewerbsunternehtner gelegt -- eine Verantwortlichkeit, die wir nicht im.

Recht begründet finden können. Sezen wir, es sei dieser Drittenicht ein eingedrungener Fremder (denn da wäre die Verantwortlichkeit doch zu gesucht), sondern ein M i t a r b e i t e r , der z. B. aus persönlichem Haß absichtlich die Gelegenheit erlauert,, seinen Feind z. B. in ein Rad zu stoßen oder zu werfen , und es sei dies e r s t e l l t , so können wir für den Fabrikanten dieerste und nächste Verantwortlichkeit nicht rechtlich herausfinden.

Die Kommission glaubte sich deßhalb in Rüksicht auf Verantwortlichkeit für D r i t t e in diesem Interimsgesez auf das sub lit. a Gesagte beschränken zu müssen."

Diese Motive sind nicht ganz klar und die Tendenz selbst ist nicht genügend angedeutet. Art. 5 des Gesezes vom 23. März 1877 spricht in erster Linie von dem Verschulden eines Mandatars, Repräsentanten, Leiters oder Aufsehers der Fabrik (lit. a), in zweiter Linie von jedem beliebigen Unfall, der durch den Betrieb der Fabrik verursacht worden ist (lit. b). Die verbrecherische Handlung eines Arbeiters oder einer dritten, mit der Fabrik in keiner Beziehung stehenden Person ist nirgends als Einredegrund aufgeführt^ und aus diesem Stillschweigen kann man schließen, daß, insofern der Unfall eine Folge des B e t r i e b e s ist, der Fabrikant immer haftet, wobei ihm der auf dem gemeinen Rechte begründete Regreß auf den Urheber des Verschuldens oder der verbrecherischen Handlung vorbehalten bleibt. Die ständeräthliche Kommission scheint dieSache nicht so aufgefaßt zu haben, aber die Beispiele, die sie anführt, haben keine Beweiskraft. Denn, wenn z. B. eine dritte Person sich heimlich in die Fabrik einschleicht und daselbst eine verbrecherische Handlung begeht, aus der ein Unfall entsteht, so soll dem Fabrikanten die Einrede der höhern Gewalt zur Seite stehen, wenn es in Wirklichkeit unmöglich gewesen ist, die verbrecherische Handlung zu verhindern oder deren Folgen abzuwenden. Wenn ein Arbeiter boshafter Weise seinen
Kameraden zwischen die Räder der Maschinen wirft, so liegt ein Verbrechen vor, das unter die Bestimmungen des allgemeinen Strafrechtes fällt. Die Kommission des Stäuderathes hätte die Frage enger fassen und untersuchen sollen, ob in Gemäßheit von Art. 5, lit. b des Gesezes, mit dessen Prüfung sie betraut war, in den Fällen, wo die höhere Gewalt nicht bewiesen werden kann, der Fabrikant nicht haftbar werde für die Folgen des Verbrechens eines Dritten, wenn die gefährliche Natur

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des Betriebs Unfälle verursacht hat, und für die schlimmen Folgen, welche das Verbrechen eines Arbeiters gegen seinen Feind für andere Arbeitsgenossen nach Maßgabe der gefährlichen Natur des Betriebs gehabt hat.

Nach unsertn Dafürhalten muß diese Frage auf eine Art und "Weise erledigt werden, die allen spätem Streitigkeiten vorbeugt.

Wir theilen die Ansicht der ständeräthlichen Kommission, daß man in der Ausdehnung der Haftpflicht nicht zu weit gehen dürfe. Wir -wollen deßhalb in das Gesez die Bestimmung aufnehmen, daß der Fabrikant sich durch die Einrede, daß der Unfall durch das Verbrechen irgend einer Person, ausgenommen indessen seiner Mandatare, Repräsentanten, Leiter oder Fabrikaufseher, verursacht worden sei, v'on der Hafpflicht befreien kann. Diese Leztern haben von dem Fabrikanten einen Vertrauensposten erhalten, die Arbeiter stehen zu ihnen in einem untergeordneten Verhältniß und können sie weder kontroliren noch strafen. Wenn eine verbrecherische oder wahnsinnige Handlung von den Vorgesezten begangen wird, so hat der Fabrikant die Folgen zu tragen ; es bleibt ihm jedoch das Regreßrecht ausdrüklich vorbehalten.

Die verbrecherische (oder wahnsinnige) Handlung eines Arbeiters, durch die nach Maßgabe der gefährlichen Natur des Betriebs ein Unfall verursacht wird , könnte mit einigem Recht der verbrecherischen Handlung eines Mandatars des Fabrikanten gleichgestellt werden. Wenn wir es nicht thun, so geschieht es, 1) um die Last der Haftpflicht zu verringern, 2) weil überhaupt die Arbeiter nicht unbekümmert um das sein sollen , was um sie her vorgeht, und 3) weil das Gefühl der Rache bei den Arbeitern nicht durch die Aussicht erwekt und bestärkt werden soll, daß der Fabrikant zu zahlen hat, wenn ein bedeutender Unfall sich ereignet.

Auch die verbrecherische Handlung einer mit dem Fabrikbetriebe nicht in Beziehung stehenden Person soll von der Haftpflicht entbinden, ohne daß erst der Beweis der höhern Gewalt erbracht werden muß ; höchstens könnte man, wie in Art. 2 des Bundesgesezes vom \. Juli 1875, noch sagen, sofern der Unfall ,,ohne eigenes Mitverschulden der Anstalt14 verursacht worden ist.

3) Das e i g e n e V e r s c h u l d e n des G e t ö d t e t e n oder Verlezten.

Diese Einrede muß näher untersucht werden, als es von vornherein nöthig scheinen mag. Derselbe Ausdruk findet sich im Art. l des deutschen Gesezes, wo von der Haftpflicht der Eisenbahnunternehmer die Rede, ist aber nicht enthalten im zweiten

567 Artikel, der sich auf die Fabriken bezieht, und nach dem die Haftpflicht prinzipiell nur da als begründet erklärt wird , wo der Unfall durch ein Verschulden eines Vorgesezten der Fabrik verursacht worden ist. Auch das englische Gesez kennt diese Einrede nicht, indem es alle Fälle, in denen die Haftpflicht einzutreten hat, genau bestimmt. Dagegen finden wir sie im Bundesgesez vom 1. Juli 1875 (Art. 2) und in demjenigen vom 23. März 1877 (Art. 5, lit. b).

Die Einrede von dem eigenen Verschulden des Verlezten ist unbestritten eine gerechterweise zuläßige; um aber den Schwierigkeiten zu begegnen , mit denen der Gebrauch dieser Einrede verbunden ist, muß erstens angegeben werden, von welchem Umfange sie ist, und zweitens zwischen den Fällen unterschieden werden, wo der Unfall e i n z i g und a l l e i n durch das Verschulden des Betroffenen herbeigeführt ist, und denjenigen, wo Verschulden des Verlezten und einer dritten Person gleichzeitig Ursache des Unfalls sind (konkurrirendes Verschulden).

Das Wort ,,Verschulden" umfaßt alle Grade der culpa und macht keinen Unterschied zwischen Verschulden mit Absicht, aus bloßer Fahrläßigkeit oder Unvorsichtigkeit {culpa lata, culpa levis/.

Der Fabrikant hat einzig zu beweisen , daß der Unfall aus dem Verschulden entstanden ist, d. h. daß die kulpose Handlung die Ursache des Unfalles ist; den Beweis, daß das Verschulden ein vorbedachtes, ein doloses etc. war, braucht der Fabrikant nicht auch zu leisten. Das Verschulden ist somit ganz allgemein aufzufassen, und die Frage, ob eine Handlung als Verschulden aufgefaßt werden soll, muß nach dem Grade von natürlicher Sorgfalt beurtheilt werden, den man von jedem vernünftigen Menschen erwarten kann. Auf die individuelle und subjektive Beurtheilung (diligentia quam quis in suis rebus adhibere solet/ wird keine Rüksicht genommen, sondern es muß für die Beurtheilung, ob ein Verschulden vorliegt, der Grad von Vernünftigkeit, Intelligenz , Erfahrung und ' Aufmerksamkeit maßgebend sein, den man bei Jedermann bei Vornahme seiner Handlungen voraussezen muß (diligens paterfamiliasj.

Bei der Arbeit in den Fabriken gibt es jedoch Gefahren, die mit dem bloßen gesunden Verstande nicht vorausgesehen werden und selbst sehr einsichtsvollen und gebildeten Menschen unbekannt sein können, wofern dieselben nicht speziell darauf
aufmerksam gemacht worden sind. Die Arbeiter müssen deßhalb von diesen Gefahren unterrichtet worden sein, wenn der Fabrikant sich durch die Einrede von dem eigenen Verschulden des Verlezten von der Haftpflicht befreien will. Für diesen Zwek sollten die erforderlichen Vorschriften in der Regel entweder im Fabrikreglement oder in speziellen Verordnungen enthalten sein, die soweit

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als möglich an den Stellen anzuschlagen wären, in deren Nähe die Gefahr existirt. Jedenfalls kann überall da ohne Schwierigkeit ein V e r s c h u l d e n des Arbeiters angenommen werden, wo Verbote oder bestimmte Weisungen schriftlich oder mündlich gegeben worden sind.

Die vorberathende Kommission hatte uns eine genaue Definition des Begriffes ,,eigenes Verschulden des Verlezten oder Getödteten"in folgender Fassung vorgeschlagen: ,,Daß ein Unfall (oder eine Krankheit im Sinne von Art. 3) durch eigenes Verschulden erfolgt sei, wird dann angenommen, wenn derselbe lediglich durch die Fahrläßigkeit des Geschädigten oder aus Nichtbeachtung von Vorschriften oder Verboten von seiner Seite erfolgt ist.u Diese Definition ist aber nach unserem Dafürhalten zu eng gefaßt, um alle Fälle in sich zu begreifen ; sie liegt ferner weder im Interesse des Betriebsunternehmers noch in dem des Arbeiters. Fahrläßigkeit und Nichtbeobachtung von Vorschriften oder Verboten sind so augenscheinlich Merkmale des Verschuldens, daß es nicht nöthig erscheint, es noch ausdrüklich zu sagen. Die Entscheidung, was als eigenes Verschulden betracht werden muß, ist somit dem Ermessen des Richters anheimzustellen. Wir haben daher die vorgeschlagene Definition nicht angenommen.

Außer diesen Fällen, in denen die Uebertretung der aufgestellten Vorschriften leicht zu konstatiren ist, gibt es noch andere, in denen das Verschulden des Arbeiters nicht in einer bewußten und wirklich beabsichtigten Handlung oder in einer tadelnswerthen Nachläßigkeit, sondern in einer vorübergehenden Unachtsamkeit oder einer unerwarteten Ungeschiktheit besteht, die bei der Unvollkommenheit des menschlichen Organismi^ nur zu wohl sich erklären lassen. Das Verschulden ist dabei ein so geringes, daß es gewissermaßen mit dem Zufall verwechselt werden kann. In solchen Fällen kann der Richter die Einrede des Fabrikanten nicht zuläßig erklären, ebenso wenig, wie wenn sie von einer Unfallversicherungsgesellschaft erhoben wird. Eine Minute Unachtsamkeit oder Zerstreuung soll den Arbeiter nicht der Wohlthat des Gesezes verlustig machen. Wenn er hundert-, fünfhundert-, tausendmal vielleicht während des Tages dieselbe Bewegung zu machen, seine Hand in die Nähe derselben gefährlichen Maschine zu bringen , oder wenn er häufig mit entzündbaren oder explosibeln Stoffen zu
verkehren hat, so darf ihm gewiß ein unerwartet eingetretener Unfall nicht als Verschulden angerechnet werden, es sei denn, daß er sich einer fortgesezten Nachläßigkeit oder Unvorsichtigkeit schuldig gemacht hat. Nur in diesem Sinne fassen wir die Bestimmung des Gesezentwurfes auf; jede andere Interpretation wäre gehässig und der ratio legis entgegen.

569 Das Verschulden, dem eine Absicht oder eine Fahrläßigkeit oder fortgesezte Unvorsichtigkeit zu Grunde liegt, kann gehörig konstatirt sein, und es kann gleichzeitig bewiesen sein, daß dasselbe allein, ohne daß ein Verschulden dritter Personen mitgewirkt hat, den Unfall nicht oder nicht in demselben Umfange hätte herbeiführen können. Für diesen Fall stellt das gemeine deutsche Recht den Grundsaz auf: Die Verbindlichkeit zur Entschädigung fällt, wenn die Schuld des Beschädigten konkurrirt.

Jedoch hat die deutsche Gesezgebung diesen Grundsaz in Bezug auf die Haftpflicht der Eisenbahnen nicht unbedingt anerkannt.

(Eger, 134 u. ff.) Das schweizerische Gesez vom 1. Juli 1875 spricht nicht ausdrüklich von diesem konkurrirenden Verschulden, scheint aber in Art. 4 in fine anzudeuten, daß wenn ein solches Konkurriren stattfindet, die Eisenbahnunternehmung von der Haftpflicht nur durch den Beweis befreit wird, daß der Getödtete oder Verlezte eine verbrecherische oder unredliche Handlung begangen oder wissentlich polizeiliche Vorschriften übertreten hat. Das Bundesgesez vom 23. März 1877 dagegen erklärt ausdrüklich, daß konkurrirendes Verschulden die Haftpflicht des Fabrikanten verringere.

-,,Fällt"1, heißt es in Art. 5, lit. b, ,,dem Verlezten oder Getödteten eine Mitschuld zur Last, so wird dadurch die Ersazpflicht des Fabrikanten angemessen reduzirt."

Es scheint uns dies ein der Billigkeit entsprechender Grundsaz zu sein , und wir haben ihn deßhalb auch in den vorliegenden Entwurf aufgenommen (Art. 5, lit. b).

Das englische Gesez (Art. 2, Ziff. 3) macht den Arbeiter verantwortlich ,,in allen Fällen, wo die Uuvollkommenheit oder die Fahrläßigkeit, durch welche die Verlezuug verursacht worden ist, ihm bekannt war und wo er in angemessener Frist es versäumt hat, «dem Fabrikanten oder seinem Vorgesezten davon Mittheilung zu macheu, es sei denn, daß er gewußt habe, daß dem Fabrikanten oder einem seiner Vorgesezten jene Unvollkommenheit oder Fahrläßigkeit bereits bekannt war." Diese Bestimmung hat den Zwek, die Arbeiter zur Aufmerksamkeit anzuspornen, und zur Folge, dem Fabrikanten eine ihn von der Haftpflicht entbindende Einrede zu verschaffen. Wir halten dafür, es sei eine derartige Bestimmung nur bei den Unfällen in Anwendung zu bringen, wo ein konkurrirendes Verschulden vorliegt. Der Betriebsunternehmer
und die von demselben eingesezteu Leiter der Fabrik haben in erster Linie die Pflicht, die sämmtlicheu Fabrikeinrichtungen zu überwachen.

Dem Arbeiter kann nicht immer die nöthige Fähigkeit zugetraut werden, den Grad der Gefährlichkeit einer von ihm bemerkten Mangelhaftigkeit zu ermessen. Wenn er es unterlassen, derartige

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Vorkommnisse zur Anzeige zu bringen, so kann man ihm nur einen Theil der Haftbarkeit aufbürden. Es handelt sich um einen jener Fälle, in denen dem Betriebsunternehmer die Einrede vom theilweisen Verschulden des Beschädigten zur Seite steht (Art. 5, lit. b).

Wenn das e i g e n e Verschulden des Verlezten oder Getödteten den Unfall allein verursacht hat, so ist es auch, wie in dem Fall, wo der Unfall durch ein k o n k u r r i r e n d e s V e r s c h u l d e n entstanden ist, der Verlezte oder Getödtete a l l e i n , der den Anspruch auf Entschädigung verliert und zwar gänzlich im ersten Falle und theilweise im zweiten. Dritten Personen aber, und den übrigen verlezten Arbeitern bleiben ihre Rechte gegenüber dem Fabrikanten, der nur dem oder den Urhebern des Unfalls gegenüber ganz oder theilweise von der Haftpflicht befreit wird, gewahrt.

E. Das R e c h t des R ü k g r i f f s des Fabrikanten auf die schuldigen Personen, seien es seine Angestellten oder dritte Personen, bleibt nach Maßgabe des deutschen Gesezes in der Kompetenz der Gesezgebung der einzelnen Staaten. Es ist jedoch einleuchtend, daß der Unternehmer den Beschädigten nicht auf die Verantwortlichkeit des Urhebers des Unfalls verweisen kann, sondern daß er p r i m ä r oder p r i n c i p a l i t e r haftet und dem Richter zu antworten hat, und daß sein Rükgriffsrecht nur subsidiär und eventuell ist.

In demselben Sinne gibt auch unser'Entwurf dem Fabrikanten das Recht, auf seinen Mandatar, Stellvertreter, Leiter, Aufseher oder auf dritte Personen (die Arbeiter nicht ausgeschlossen) zurükzugreifen.

F. Von der Art und der H ö h e des S c h a d e n e r s a z e s .

Wir sind bei einem der wichtigsten Punkte des Gesezes angelangt , in Betreff dessen wir geglaubt haben, den allgemeinen Reklamationen der Fabrikanten billige Rechnung tragen zu sollen.

Bekanntlich verfügen Leztere nicht über so bedeutende Hülfsmittel, wie die Eisenbahnunternehmungen. Für diese repräsentiren die finanziellen Folgen eines selbst großem Unfalls nur einen unbedeutenden Theil der zu ihrem Betriebe nöthigen Summen. Einem kleinen Fabrikanten aber, dessen Kapitalumsaz nur einige zehntausend Franken beträgt und der aus seinem Unternehmen höchstens die zu seinem und seiner Familie Lebensunterhalt nöthigen Mittel zieht, können ein oder zwei Unglüksfälle den ganzen Verdienst
seiner Arbeit entziehen und sogar den Konkurs zur Folge haben. Es ist deßhalb Döthig, hier Rüksichten walten zu lassen.

Man kann hiegegen einwenden, daß der Fabrikant sich gegen sein Risiko durch eine Unfallversicherung, deren Prämien ziemlich

57t mäßig sind, deken kann. Das ist allerdings theilweise richtig, und es kann jedem Fabrikanten nicht genug empfohlen werden, diesen Weg einzuschlagen, denn'nur Wenige mögen ein Interesse daran haben, selber an die Stelle des Versicherers zu treten. Aber nicht» desto weniger werden auch die zu bezahlenden Prämien den Zins eines Kapitals repräsentiren , das um so größer ist, als die Haftpflicht in ihren finanziellen Folgen unbeschränkt ist. Es bleibt dem Fabrikanten kein anderes Mittel, sich aus der Nothlage zu ziehen, wenn das Risiko zu groß wird, als die Preise seiner Produkte zu erhöhen, was oft wegen der Konkurrenz nicht möglich ist, oder die Arbeitslöhne entsprechend zu reduziren, was von nachtheiligen, Folgen ist.

Nach den Berechnungen, die wir auf unser Ansuchen von mehreren Fabrikanten erhalten haben, variiren die von ihnen für ihre Arbeiter bezahlten Versicherungsprämien zwischen 2 bis 30 pro Mille der versicherten Summe. Bei den Unternehmungen, in denen der Fabrikationsgewinn äußerst gering ist, kann somit die zur Dekung der Haftpflicht nöthige Summe doch verhältnißmäßig sehr hoch sein. Man begreift es daher, daß viele Fabrikanten es vorziehen, ihre eigenen Versicherer zu sein.

Man kann ferner einwenden, daß für den Verlezten oder Getödteten das Unglük nicht weniger groß sei, ob der Unfall in einer Fabrik oder beim Betriebe einer Eisenbahn stattgefunden hat. Auch dies ist richtig, sowie das, daß das Geld fast niemals den Verlust eines Gliedes für ein Individuum oder den Verlust einer Stüze für eine Familie aufwiegen kann. Auf diesem Gebiete , das, weil es sich um eine Frage der Humanität handelt, so delikat ist, darf man sich indessen nicht allein von seinem Herzen, sondern muß sich auch von dem nüchternen Verstande leiten lassen.

Nun haben in dieser Beziehung auch die andern Staaten dem Fabrikanten nicht eine unbegrenzte Haftpflicht auferlegen zu sollen geglaubt. Wie wir gesehen haben, ist im deutschen Geseze eine Schadenersazleistung nur im Fall eines Verschuldens des Mandatars des Fabrikanten vorgeschrieben und wie im englischen Geseze, ^die Haftpflicht bei Zufällen ausgeschlossen, und fixirt dieses leztere, unter andern Beschränkungen, die wir nicht angenommen haben, das Maximum der Entschädigung auf den dreifachen Betrag des Jahreslohns des Verlezten oder Getödteten.

In allen
diesen Richtungen ist unser Gesezentwurf viel liberaler für den Arbeiter. Wir stellen die Haftpflicht nicht nur für diejenigen Fälle a u f , wo ein Verschulden des Fabrikanten oder seines Mandatars vorliegt, sondern auch für diejenigen, wo ein Verschulden des Arbeiters vorliegt, und insbesondere für den Zufall.

.572 Zwar kann in diesen verschiedenen Fällen die Haftbarkeit nicht als in gleichem Grade vorhanden betrachtet werden. Sie ist es g ä n z l i c h , wenn der Unfall durch ein Verschulden des Fabrikanten oder seines Mandatars verursacht ist, weil dies Personen sind, die Befehle zu ertheilen und deren Vollziehung zu Überwachen gaben. Wenn aber der Unfall durch ein Verschulden eines Arbeitsgenossen des Beschädigton erfolgt ist, und in keiner Weise gleichzeitig die Folge von ungenügenden Weisungen oder von mangelhafter Ueberwachung sein kann, so darf die Haftpflicht billigerweise nicht als in gleichem Grade engagirt angesehen werden. Ebenso verhalt es sich mit den Zufällen, die weder dem Fabrikanten noch dem Verlegten zur Last gelegt werden können, sondern das Resultat fataler, .nicht vorherzusehender Umstände sind (abgesehen von den, gewissen Beschäftigungen eigenthümlichen Krankheiten, welche die Folge des Fabrik betriebes sind). Wir haben bereits in Betreff des konkurrirenden Verschuldens unsere Ansicht dahin ausgesprochen, daß demselben eine Verminderung der Haftpflicht entsprechen solle.

Hat der Verlezte oder Getödtete schon früher eine Verlezung erlitten , die den durch die jüngste körperliche Beschädigung herbeigeführten Zustand verschlimmert, derart, daß ohne jene Verlezung entweder der zweite Unfall sich nicht ereignet hätte, oder nicht von so schlimmen Folgen gewesen wäre, so ist es nur billig, daß der Fabrikant nicht im gleichen Maße hafte, wie wenn der Arbeiter zum ersten Male betroffen worden wäre. Der Arbeiter kann ja seit der ersten Verlezung die Fabrik gewechselt haben.

Wenn der neue Prinzipal vollständig haftbar erklärt würde, während der Arbeiter schon früher theilweise verlezt worden ist, so würde ersterer ihn sicherlich nicht anstellen. Es liegt also Art. 5, lit. c, wie wir ihn vorschlagen, im wohlverstandenen Interesse der beiden Parteien. (Vergl, den von der kaufmännischen Gesellschaft des .Kantons Zürich in ihrem Berichte vom Monat September über die Revision des Fabrikgesezes zitirten Fall.)

In Berüksichtigung dieser Grundsäze der Billigkeit haben wir einen Artikel 5 angenommen, der theilweise von den Anträgen der vorberathenden Kommission abweicht. In dem Ihnen vorgelegten Entwurfe haben wir folgende Stufen der Haftpflicht angenommen : V o l l s t ä n d i g e H a f t b a r
k e i t bei Verschulden, inbegriffen Verbrechen oder Vergehen, des Fabrikanten oder seines Mandatars.

Je nach den Umständen v e r r i n g e r t e H a f t p f l i c h t bei Verschulden auf beiden Seiten, bei Zufall und in Fällen wo schon früher Verlezung oder Erschütterung der Gesundheit stattgefunden hat.

573 B e f r e i u n g v o n d e r H a f t p f l i c h t b e i Fällen höherer Crewalt, Verbrechen oder Vergehen einer dritten Person, ausschließJichem Verschulden des Beschädigten.

Für die Begrenzung der Haftpflicht in Bezug auf den Schaden«rsaz schlagen wir vor, das englische Gesez zur Grundlage zu ·nehmen, das uns gerecht scheint, aber darin weiter zu gehen als dasselbe, daß wir das Maximum der Entschädigung auf den sechsfachen Betrag des Jahreslohns des Verlezten oder Getödteten fest·sezen, jedoch so, daß dieses Maximum die Summe von Fr. 8000 .nicht überschreiten darf. (Dagegen sollen in diesem Maximum die Kosten der Verpflegung und Heilung, sowie diejenigen für die Bestattung, nicht Inbegriffen sein.)

Diese Berechnung ist derjenigen ähnlich, die bei Verträgen .zwischen Industriellen und Versicherungsgesellschaften gebräuchlich ist; in der Regel aber wird die Versicherungssumme nicht höher' angesezt, als der zwei- oder dreifache Jahreslohn beträgt (die Fälle ausgenommen, wo der Fabrikant sich auch gegen alle Folgen der Haftpflicht versichert). Das Maximum von Fr. 8000 repräsentirt einen Jahreslohn von nahezu Fr. 1500 oder einen täglichen Lohn von Fr. 5, was ungefähr dem Gehalte eines Contre-maître entspricht. Den Leitern, Ingenieuren, Chemikern etc., die eine höhere Besoldung beziehen, gestattet es diese, sich für die Differenz zwischen dem gesezlichen Maximum und der Summe, die sie sich oder ihren Rechtsnachfolgern ausbezahlt wissen wollen, zu versichern.

Art. 6 hat die Absicht, dem Richter zu zeigen, 'wie er die verschiedenen Höhen der Entschädigung je nach der Größe des Unfalls, bei Todesfall, bei bleibend-vollständiger oder bloß-theilweiser Arbeitsunfähigkeit, bei der Unfähigkeit, weiter auf dem Berufe zu arbeiten, oder bei zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit, festzusezen hat. Die Tarife der Versicherungsgesellschaften stellen die Entschädigungen je nach dem einen oder andern Fall mit großer Sorgfalt fest; der Richter hat ein Gleiches zu thun, wenn er nach beiden Seiten hin gleich gerecht sein will.

Das deutsche Gesez (Art. 5, leztes Alinea) überläßt es der richterlichen Kompetenz, zu ermessen, ob der Schadensersaz in einer Rente .oder in einem Kapital zuzusprechen ist. Das englische Gesez enthält in dieser ^Beziehung keine Vorschrift. Die französischen Gerichte sprechen sich eher für die
Rente aus, welche indessen in den meisten Fällen kapitalisirt werden kann. Das Bundesgesez vom 1. Juli 1875 hat die Bestimmung des deutschen Gesezes angenommen. Art. 5 des Bundesgesezes vom 23. März 1877 enthält keine Bestimmung über diesen Punkt.

Bnndesblatt. 32. Jahrg. Bd. IV.

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Unser Entwurf schreibt vor, daß die Entschädigung als Kapital geleistet werden muß und nur, wenn beide Parteien einig sind, in Form einer Rente. Dieses System ist für den Arbeiter sowohl als für den Fabrikanten viel vortheilhafter. Die Rente sezt den Arbeiter viel eher der Gefahr aus, in Schaden zu kommen, als das Kapital. Die Verhältnisse des Fabrikanten können zerrüttet werden, die Gesellschaft der Unternehmer kann sich auflösen oder der Tod des Berechtigten der Familie die Subsistenzmittel entziehen etc.

Der wohlberathene Arbeiter kann aus einem Kapital weit eher Nuzen ziehen, als aus einer Rente. Aber auch die Fabrikanten und Versicherungsgesellschaften werden dieses System vorziehen, da es die ganze Angelegenheit mit einem Male erledigt.

Außer der Hauptentschädigung hat der Richter auch in Betreff der Bezahlung der durch die Krankheit verursachten Kosten und im Todesfalle über die Entrichtung der Bestattungskosten zu statuiren. Wenn aber die Krankheit langwierig und eine wenigstens relative Heilung im Moment der Urtheilssprechung noch nicht eingetreten ist, so muß ausdrüklich bestimmt werden, daß die Hauptentschädigung die fernem Kosten, die durch die Krankheit verursacht werden, in sich begreife. Dieser Fall ist im Art. 6 vorgesehen.

Art. 6 des Bundesgesezes vom 1. Juli 1875 enthält in dieser Beziehung folgende Bestimmung: ,,Wenn im Momente der Urtheilsfällung die Folgen einer Körperverlezung noch nicht genügend klar vorliegen, so kann der Richter ausnahmsweise für den Fall des nachfolgenden Todes oder einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Verlezten eine spätere Rektifizirung des Urtheils vorbehaltend Wir sind der Ansicht, daß derselbe Vorbehalt in das Gesez betreffend die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb aufzunehmen sei, aber mit der entsprechenden Ergänzung, daß, wenn die Präsumptionen, auf denen das provisorische Urtheil basirte, sich nicht verwirklichen, sondern eine merkliche Besserung in dem Zustande des Kranken eintritt, auch der Fabrikant oder die an Stelle des Fabrikanten getretene Versicherungsgesellschaft die Revision des Urtheils im Sinne einer Milderung desselben verlangen kann (Art. 7).

6. Die im Folgenden zu behandelnde Frage ist schwierig und sehr kontrovers: sie betrifft die g e m e i n s c h a f t l i c h e V e r sicherung seitens des Arbeitgebers und Arbeitnehmers.

In vielen industriellen Etablissementen gibt es Versicherungskassen (Krankenkassen etc.), welche zum Theil von den Beiträgen

575 der Arbeiter, zum Theil von Zuschüssen der Unternehmer geäuffnet werden. Diese Kassen zahlen den Versicherungsgesellschaften die Prämien der Arbeiter und empfangen die Entschädigungen, auf welche Leztere bei Unfällen Anspruch haben. Diese Kassen bieten sehr werthvolle Vortheile, indem sie 1) eine Solidarität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herstellen; 2) den Arbeitern nahe bei der Hand sind und Bedürfnissen entsprechen, die weder durch die schüzenden Bestimmungen des Gesezes, noch auch durch die Versicherungsgesellschaften befriedigt werden können.

Man darf in der That nicht vergessen , daß das Gesez von dem Arbeiter erst in Fällen von etwelcher Bedeutung angerufen werden kann. Bei allen geringern Unfällen aber, die weit öfter vorkommen und eine Arbeitsunfähigkeit von drei, acht, zehn, vierzehn Tagen im Gefolge haben, denkt der Arbeiter nicht daran, dem Fabrikanten den Prozeß zu machen, wenn derselbe nicht auf gütlichem Wege die Sache abmachen will. Die Versicherungs- und Hülfskassen haben den Vortheil, daß sie dem Arbeiter Entschädigungen gewähren, zu deren Bezug er berechtigt ist, und daß sie allen Streitigkeiten mit dem Fabrikanten vorbeugen. Sie treffen mit den Versicherungsgesellschaften das Abkommen, zufolge welchem leztere den Arbeiter jedesmal zu entschädigen haben, wenn die Arbeitsunfähigkeit beispielsweise länger als drei Tage dauert, während bei Arbeitsunfähigkeit von geringerer Dauer die Entschädigung von den Versicherungskassen geleistet wird.

Wie man hieraus ersieht, sind leztere für den Arbeiter und wohl auch für den Fabrikanten von großem Nuzen. Dem Gesezgeber kann es nur recht und lieb sein, wenn diese Institutionen, die die Vollziehung des Gesezes erleichtern, immer allgemeiner werden. Er kann natürlich nicht die Verpflichtung aufstellen, solche Kassen zu errichten, sondern nur dazu ermuthigen.

In dieser Absicht hat das deutsche Gesez vom Jahr 1871, sowohl zu Gunsten der Fabrikanten als der Eisenbahngesellschaften, die Bestimmung aufgenommen, daß, wenn der Betriebsunternehmer wenigstens einen Drittel der jährlichen Beiträge zu leisten übernommen hat, die Summe, welche der Arbeiter von der Versicherungsgesellschaft oder Hülfskasse erhält, von der Entschädigung, welche der Fabrikant infolge der gesezliehen Haftpflicht zu leisten hat, in Abzug zu bringen ist. Diese zu
Gunsten der Fabrikanten lautende Vorschrift ist vom Reichstag erst nach langwierigen Debatten und einer eingehenden, in jeder Hinsicht interessanten Diskussion und mit der Absicht angenommen worden , die Fabrikanten zu veranlassen, Versicherungen zu Gunsten ihrer Arbeiter und gemeinschaftlich mit denselben abzuschließen und so sämmt-

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liehe kooperative Institutionen, wie Hülfskassen u. s. w., die iu sozialer und ökonomischer Hinsicht von so großem Nuzen sind, zu fördern.

Die meisten deutschen Kommentatoren und die Rechtsprechung selbst sind noch weitei' gegangen; sie haben den Saz aufgestellt, daß der Betrag der gesezlichen Entschädigung verhältnißrnäßig reduzirt werden solle, wenn der Arbeiter irgendwo her (von einer dritten Person, als Geschenk u. s. w.), und ohne durch Beiträge darauf Anspruch erlangt zu haben, die Summe, welche als hinreichend geschäzt wird, den aus dem Unfall ihm erwachsenen Schaden zu deken, ganz oder theilweise erhält.

Die Gründe, welche für diese Anschauung vorgebracht werden, scheinen uns nicht besonders stichhaltig zu sein.

Von sämmtlichen Vortheilen, die dem Beschädigten durch eine dritte Person zufließen, soll dem Fabrikanten nichts zu Gute kommen , da er dazu nichts beigetragen hat ; der Richter einzig kann je nach den Umständen und der gewonnenen Ueberzeugung die sämmtlichen thatsächlichen Verhältnisse des Arbeiters nach dem Unfall in Berüksichtigung ziehen und darauf gestüzt die Höhe der vom Fabrikanten zu leistenden Entschädigung bestimmen.

Ueber diesen Punkt gehen die Ansichten in Deutschland noch weit aus einander. Was die mit öffentlichen Aemtern verbundenen Pensionen anbetrifft, so werden dieselben nicht in Abzug gebracht, da sie einen Bestandtheil der Besoldung des Beamten ausmachen und der Anspruch auf den Genuß derselben daher gewissermaßen durch dessen Beiträge erworben worden ist. Indessen haben die deutschen Gerichte sehr widersprechende Urtheile in dieser Frage gefallt.

In seinem Gesezentwurfe vom 26. Mai 1874 über die Haftpflicht der Eisenbahnen hatte der Bundesrath die Bestimmung des deutschen Gesezes mit einer -unbedeutenden Modifikation aufgenommen. Aber es ergab sich zwischen dem Ständerath und dem Nationalrath in Betreff dieser Bestimmung eine Differenz, und da eine Einigung nicht erzielt werden konnte, wurde die Bestimmung fallen gelassen. Der Bericht des Hrn. Dubs im Nationalrath (Bundesblatt 1874, III, 277) gibt über diesen Zwischenfall folgenden Aufschluß : ,,Die Kommission beantragt Ihnen, in Art. 4 auf den vom Bundesrathe gemachten Antrag zurükzugehen und diesen im Gegensaz zum ständeräthlichen Antrag unverändert anzunehmen.

Es handelt sich um die Frage, wie sich die Entschädigungspflicht einer Assekuranzanstalt und die Entschädigungspflicht der Transportanstalt zu einander verhalten sollen. Der Bundesrath schlug

577 nun im Einklang mit dem deutschen Reichsgeseze vor, es sei für den Fall, als die Mitleistung der Transportanstalt nicht unter einem Drittel der Gesammtleistung an die Versicherungsanstalt betragen habe, Alles, was der Entschädigungsberechtigte von einer solchen Versicherungsanstalt beziehe, auf die Entschädigung der Transportanstalt einzurechnen. Der Ständerath will dagegen auf die Entschädigung der Transportanstalt nur eine mit ihrem Beitrag im Verhältniß stehende Quote einrechnen lassen. Man ist im ersten Augenblik geneigt, diesen leztern Beschluß als der strengen Gerechtigkeit entsprechend zu betrachten; allein bei näherer Betrachtung hält diese Ansicht nicht Stand. Nach Art. 3 steht im Grundsaze fest, daß ein Verlezter nur im Verhältniß seines erlittenen Schadens entschädigt werden soll. Wer diese Entschädigung leisten solle, das kann im Grunde dem Staate, sowie dem Verlezten, völlig gleichgültig sein, und es wäre aus diesem Gesichtspunkte am natürlichsten , über diese Frage gar nichts im Geseze zu sagen. Da nicht anzunehmen ist, daß man dem Verlezten mehr als den Schadenersaz gewähren wolle, so könnte die Schlüßnahme des Ständerathes nur die Wirkung haben, die Assekuranzanstalt auf Kosten der Transportanstalt zu entlasten, was kaum beabsichtigt wird.

,,Dagegen hat die Bestimmung des deutschen Gesezes, resp.

der Antrag des Bundesrathes eine andere Tendenz. Man will damit die Transportanstalten ermuntern, an der Versicherung ihres Personals zu partieipiren, und zwar mit mindestens einem Drittel der Versicherungsprämie.

Diese Tendenz ist nur zu billigen, obgleich solches bisher auch ohne Gesez schon geschehen ist. Damit wird dann auch indirekt der Zwek erreicht, den der Ständerath mit dem von uns bekämpften zweiten Saze des Art. 2 angestrebt hat, und zwar in durchaus gerechtfertigter Weise : Die Transportanstalten partieipiren damit im Wege der Freiwilligkeit an Unglüksfällen, die durch höhere Gewalt entstanden sind. Unter diesem Gesichtspunkte kann auch die Kommission einem solchen, allerdings nicht absolut nothwendigen, auch im ursprünglichen deutsehen Entwurfe fehlenden Artikel beipflichten.14 Die Streichung dieser Bestimmung aus dem Gesezentwurf betreffend die Haftpflicht der Eisenbahnen konnte vielleicht ohne bedeutende Inkonvenienzen erfolgen; aber es ist wahrscheinlich, daß bei der
Haftpflicht aus Fabrikbetrieb die Weglassung einer solchen Bestimmung nicht ohne üble Folgen wäre. Fabrikanten, Arbeiter und Richter haben ein Interesse daran, genau zu wissen, in welcher Beziehung die Versicherungen bei Unfällen zu den in Gemäßheit des Gesezes zu leistenden Entschädigungen stehen, ob sie von leztern ab-

578 gezogen werden dürfen und, bejahenden Falls, unter welchen Bedingungen und in welchem Verhältuiß. Nach unserm Dafürhalten wird eine solche Frage nicht durch Stillschweigen gelöst, sondern muß durch einen genauen und klaren Gesezestext die Antwort erhalten.

Die Divergenz, welche zwischen der Ansicht des Nationalrathes und derjenigen des Ständerathes in dieser Beziehung im Jahr 1875 waltete, scheint die Folge einer unrichtigen oder mindestens unvollständigen Auffassung der Frage gewesen zu sein. Der Ständerath scheint insofern Recht gehabt zu haben, als er behauptete, daß von der zu bezahlenden Entschädigung nur der Theil der Versicherungssumme abzuziehen sei, der den von der Eisenbahnunternehmung eingezahlten Beiträgen entspreche. Dagegen ließ er außer Acht, daß die Unternehmer nicht für alle Arten von Unfällen haftbar sind, während die Versicherungsgesellschaften eine viel ausgedehntere Haftbarkeit übernehmen; die Beiträge der Unternehmer brauchen daher nicht die Gesammtheit der Versicherungsprämien auszumachen , sondern nur den Theil der Haftbarkeit zu repräsentiren, der auf den Unternehmern lastet. Was das Verhältniß anbetrifft, in welchem diese Beiträge die Berechtigung des Abzugs der ganzen versicherten Summe gewähren, so handelt es sich um eine Frage, die je nach der Verschiedenheit der Sachlage verschieden gelöst werden kann. Das deutsche Gesez hat diesen Theil der Beiträge auf den einheitlichen Saz von einem Drittel fixirt und damit ohne Zweifel die richtige Mitte einhalten wollen zwischen den Eisenbahngesellschaften , die in einem bedeutendem Umfang haftbar sind (Art. l dieses Gesezes), und den Fabrikanten, deren Haftpflicht viel weniger ausgedehnt ist (Art. 23. Dieses Verhältniß hätte auch auf andere Weise gerecht festgestellt werden können.

Zieht man in Berüksichtigung, daß unser Gesez über die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb darin weiter geht als das deutsche, daß es auch beim Verschulden des Arbeiters und bei Zufallen die Haftbarkeit des Fabrikanten aufetellt, so kann man gar wohl den Theil der Beiträge, den der Fabrikant geleistet haben muß, um den Abzug der ganzen versicherten Summe verlangen zu können, auf die Hälfte ansezen. Die andere Hälfte, welche zu Lasten des Arbeiters verbleibt, repräsentirt für diesen die Versicherung gegen alle die Fälle, in denen er nicht vor den Richter
gelangen mag (kleinere Unfälle) und in denen die Versicherungsgesellschaft sich verpflichtet, zu bezahlen, wenn das Gesez den Fabrikanten entbindet (in gewissen Fällen höherer Gewalt, beim Verschulden des Verlezten oder Getödteten). Der Arbeiter findet in der Versicherung namentlich den großen Vortheil, keinen Prozeß führen zu müssen, weil

579 «die Versicherungsgesellschaften im Interesse ihres Rufes gewöhnlich ·Streitigkeiten zu vermeiden suchen. Ferner haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer den unschäzbaren moralischen Vortheil, sich beim Erwerb des Anspruchs auf Schadensersazleistung als gemeinschaftlich betheiligt zu empfinden, was beide Theile anspornt, ihr Möglichstes zur Verhütung des Schadens zu thun (Art. 8, Alinea 1).

Es kann vorkommen, daß der Fabrikant es vorzieht, an den Beiträgen nicht, wie es im Geseze vorgesehen ist, die Hälfte zu bezahlen. Für diesen Fall und um die gemeinschaftliche Ver.sicherung zu fördern, haben wir die Bestimmung aufgestellt, daß die Beiträge des Fabrikanten in dem Verhältniß in Betracht gezogen werden sollen, in welchem sie immer geleistet worden sind. Ohne diese Bestimmung hätte kein Fabrikant mehr ein Interesse daran, an die Versicherungskassen Beiträge zu leisten, die geringer sind ·als die Hälfte der Prämien (Art. 8, Alinea 2).

Wenn der Arbeiter die Versicherungsprämien a l l e i n bezahlt hat, so kann gerechterweise die von der Versicherung auszubezahlende Summe von der gesezmäßigen Entschädigung nicht abgezogen werden. Gegen diesen Grundsaz läßt sich zwar das einwenden, daß auf diese Weise der erlittene Schaden doppelt ersezt zu werden scheint, einmal durch die Versicherung und einmal durch den Fabrikanten ; eine solche Bereicherung könnte als ungerecht bezeichnet werden. Aber es kann doch anderseits dem Arbeiter nicht die Freiheit bestritten werden, sich wie jeder beliebige Andere zu versichern, und wenn er dies aus seinen eigenen Mitteln thut, um seine oder der Seinigen Zukunft auf noch bessere Weise sicherzustellen, warum soll ihm das nicht einen größern Vortheil verschaffen dürfen , als wenn er dem Beispiel derjenigen unter seinen Genossen gefolgt wäre, die sich einzig auf die gesezliche Haftpflicht ihres Prinzipals verlassen. Wir glauben vielmehr, der Arbeiter müsse ermuntert werden , Vorsorge zu treffen , selbst auf die Gefahr hin , daß dieselbe in Bereicherung ausarte. Uebrigens hat j a , nach unserm Entwurfe , der Fabrikant es in seiner Gewalt, diesem Uebelstand in den meisten Fällen zu begegnen ; er braucht nur an die vom Arbeiter zu bezahlenden Versicherungsprämien die Hälfte beizutragen.

Wir legen einen großen Werth darauf, daß der Art. 8 so) wie wir ihn vorgeschlagen haben,
angenommen werde. Es enthält derselbe gleichzeitig ein Korrektiv und eine Ergänzung. Ein Korrektiv und zwar einerseits für den Fabrikanten, indem es ihn veranlaßt . sich in guten Zeiten gegen eine allzu drükende Mitnahme durch die Folgen der Haftpflicht zu schüzen ; andererseits für den Arbeiter , indem es ihm gestattet, die Kosten der Versicherung in

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Voraussicht der zahlreichen Fälle, in denen das Gesez ihm keine große Hülfe zu gewähren vermag, leichter zu tragen. Eine Ergänzung, indem es sich über einen Punkt, der zu wichtigen juristischen Kontroversen Veranlassung geben könnte, bestimmt ausspricht , über die Frage nämlich, ob bei der Festsezung der Entschädigung die von der Versicherung bezahlte Summe, sowie die vom Fabrikanten geleisteten Versicherungsbeiträge in Betracht zu kommen haben.

H. Art. 9 enthält eine allgemeine Bestimmung, die zur Erreichung des Zwekes, der mit dem Geseze verfolgt wird, nothwendig ist. Wir finden eine ähnliche Vorschrift im deutschen Geseze. Es ist nach den allgemeinen Rechtsregeln unstatthaft, in einem Vertrage zn stipuliren, daß der eine oder andere Theil oder alle beide' sich im Falle von dolus oder bei Verschulden des Kontrahenten, selbst durch die Bestimmungen des Gesezes nicht gebunden erachten.

Das Gesez muß vielmehr einen absoluten Charakter haben, und zwar nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch bei den Zufällen, die sonst nach dem gemeinen Recht den Kontrahenten von der Pflicht entbinden können.

Wir glauben uns hier auf die Ausführungen beziehen zu können, die wir zur Begründung der Haftpflicht bei Zufällen angeführt haben (vergi, auch Art. 12 des Bundesgesezes vom 1. Juli 1875).

Indessen wird eine Ausnahme von der allgemeinen Regel verlangt; sie bezieht sich auf die Reverse, welche zu diesem Zweke ermächtigte Gemeindebehörden dem Fabrikanten ausstellen können, um ihn gegen die Folgen seiner Haftpflicht gegenüber ihren Ortsangehörigen sicherzustellen. Dieses Verlangen hat seinen Grund in der Thatsache, daß viele Gemeinden es als eine ihnen erwiesene große Wohlthat betrachten, daß die Fabriken Personen beschäftigen, die wegen körperlicher oder geistiger Schwächen (oder Lasier, wie Trägheit, Trunksucht u. a.) nicht anderswo angestellt werden können. In den Fabriken werden solchen Leuten Arbeiten zugewiesen, die ihren geistigen und physischen Kräften angemessen sind; es ereignen sich aber durch deren Anstellung viel eher Unfälle als durch die Beschäftigung von an Körper und Geist gesunden Arbeitern. Seitdem die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb in einem solchen Umfange durch das Gesez vom 23. März 1877 aufgestellt worden ist, haben viele Fabrikanten keine Gebrechlichen mehr ohne einen von der Heimatgemeinde
derselben auszustellenden Revers beschäftigen wollen. Der Bundesrath aber war der Ansicht, daß dieseArt und Weise, sich der Haftpflicht zu enüedigen, dem Zweke des Gesezes nicht entspreche, indem der Fabrikant in jenem Falle kein

581 Interesse mehr daran habe, Maßnahmen zürn Schuze seiner Arbeiter zu treffen (Beschluß vom 18. April 1879). Seither haben sich viele Gemeinden hierüber beschwert. Wir haben nicht geglaubt, auf diesen Beschluß zurükkommen zu sollen und sind der Ansicht, daß solche Abkommnisse auch fürderhin ungiltig zu betrachten sind.

J. Die Redaktion von Art. 11 des Bundesgesezes vom 1. Juli 1875, welcher das V e r f a h r e n bei Streitigkeiten vor Gericht beschlägt, scheint uns nicht sehr glüklich zu sein. In diesem Artikel heißt es nämlich: ,,Bei Streitigkeiten über die aus diesem Geseze entspringenden Schadenersazansprüche hat das Gericht über die Höhe des Schadenersazes und die Wahrheit der thatsächlichen Behauptungen nach freier Würdigung des gesammten Inhaltes der Verhandlungen zu entscheiden , ohne an die Beweisgrundsäze der einschlagenden Prozeßgeseze gebunden zu sein.

Es könnte scheinen, als ob man mit dieser Bestimmung hätte sagen wollen, daß die Richter nicht an die von den Prozeßgesezen über die Beweise aufgestellten Grundsäze gebunden seien, z. B.

daß etwas als wahr angesehen werden könne, wenn auch die Parteien eingestehen, daß es falsch sei, auch wenn ein Eid auferlegt worden ist, u. s. w.

Gesagt wollte mit Art. 11 vielmehr werden, daß die Gerichte und insbesondere das Bundesgericht die Streitsache nach dem gesammten Inhalt der Verhandlungen würdigen und über die Wahrheit der thatsäehlichen Behauptungen nach ihrem freien Ermessen entscheiden sollen.

Wir schlagen eine neue Redaktion vor, welche besser als Art. 11 des Gesezes vom 1. Juli 1875 dem entspricht, was man wirklich beabsichtigt hat. (Art. 10.)

K. Das Bundesgesez vom 1. Juli 1875, sowie dasjenige vom 23. März 1877, sezen die V e r j ä h r u n g s f r i s t auf z w e i J a h r e fest. Gleicherweise ist dies auch im Entwurfe zum Obligationenrecht für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen geschehen (Art. 771. Diese Frist ist viel länger als die in den fremden Gesetzgebungen aufgestellte. Das deutsche Gesez sieht ein J a h r vor, das französische Civilgesezbuch ebenfalls ein J a h r . Das englische Gesez bestimmt noch kürzere Fristen (6 W o c h e n für die Anzeige des Unfalls und 6 M o n a t e für die Anbringung der Entschädigungsklage, Art. 4).

Sollen wir aus sachlichen Gründen eine so lange Frist beibehalten?

Wir glauben diese Frage
mit Nein beantworten zu sollen. Es ist eine bewiesene Thatsache, daß gewisse Kläger mit der Anbringung der Klage so lange als möglich zuwarten, um die Mittel zur Be-

582 weisführung, die dem Beklagten alsbald nach dem Unfall viel leichter zu Gebote stehen, zu benehmen oder wenigstens abzuschwächen. Dieser Uebelstand ist anläßlich der Berathung über das Gesez vom l Juli 1875 angeführt worden, und die Mißbräuche, welche man damals voraussah (s. Bundesbl. 1874, III, 277--285), haben sich in der That eingestellt. Es kann sich noch fragen, ob wir im vorliegenden Geseze die Verjährungsfrist von zwei Jahren der Gleichmäßigkeit unserer Gesözgebung halber aufrecht erhalten sollen. Auch diesen Grund halten wir nicht für stichhaltig, und wir schlagen vielmehr vor, jene Frist, wie in Deutschland und Frankreich, auf ein Jahr anzusezen. Ferner glauben wir, daß eine Bestimmung in das Gesez aufzunehmen sei, der zufolge allen Parteien das Recht zustehen soll, die thatsächlichen Umstände, unter welchen der Unfall erfolgt ist, vor der Anbringung der Entschädigungsklage gerichtlich feststellen zu lassen. Eine solche Bestimmung wird es. möglich machen, die Beweismittel festzuhalten, die sonst der Gefahr ausgesezt wären, verloren zu gehen (Art. 11).

L. Im Schöße der vorberathenden Kommission war eine Bestimmung vorgeschlagen worden betreffend die Festsezung der Fristen, innerhalb welcher die erheblichen Unfälle zur Anzeige gebracht worden sein müssen (vergi, das englische Gesez). Der Wortlaut dieser Bestimmung war folgender : ,,Als erhebliche Körperverlezungen, von welchen nach Art. 4 des Fabrikgesezes Anzeige zu machen ist, gelten diejenigen, von welchen entweder der Arzt erklärt, daß sie einen bleibenden Nachtheil bringen werden, oder welche eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 14 Tagen zur Folge haben."· Nach Prüfung und Diskussion wurde diese Bestimmung wieder fallen gelassen, weil man dafür hielt, daß sie mit dem Haftpflichtgeseze nicht in engem Zusammenhange stehe, und weil der Bundesrath die Kompetenz hat, eine solche Vorschrift in Vollziehung des Bundesgesezes betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877 aufzustellen.

M. Die Regierung des Kantons Glarus hatte folgenden Wunsch ausgesprochen : Bei der Anlage eines Gesezes über die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb sollten die Strafbestimmungen in Art. 19 des Gesezes vom 23. März 1877 in der Weise gemildert werden, daß der Fabrikant nicht in allen Fällen, wo persönliche Nachläßigkeit oder absichtliche Umgehung des
Gesezes durch seine Untergebenen vorliegt, verantwortlich gemacht werde, namentlich nicht bei größern Vergehen seiner Untergebenen, wo Gefängnißstrafe einzutreten habe.

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Da das vorliegende Gesez nur die c i v i l r e c h t l i c h e H a f t pflicht zu regeln bestimmt ist, so glaubten wir nicht, daß es thunlich sei, in dasselbe eine Milderung der Strafbestimmungen des Fabrikgesezes einzuführen..

Diese eingehende Darlegung der Motive mag von der Sorgfalt Zeugniß ablegen, mit welcher die Frage nach allen Richtungen hin geprüft worden ist, sowie von dem ernsten Bestreben, ein Gesez ins Leben zu rufen, das von den Uebertreibungen auf der einen und Auf der andern Seite gleich weit entfernt ist und dazu beitragen soll, die Interessen unserer Industrien mit dem berechtigten Schuze, den wir dem Fabrikarbeiter angedeihen zu lassen haben, in Einklang zu bringen.

Schließlich empfehlen wir Ihnen den nachfolgenden Gesezentwurf zur Genehmigung und ergreifen auch diesen Anlaß, um Sie, Tit., unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 26. November 1880.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß.

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(Entwurf)

Bundesgesez betreffend

die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der s c h w e i z e r i s c h e n Eidgenoßenschaft, mit Hinsicht auf Art. 34 der Bundesverfaßung und in Ausführung von Art. 5 des Bundesgesezes über die Arbeit in den Fabriken, vom 23. März 1877; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 26. Wintermonat 1880, beschließt: Art. 1. Wer eine Fabrik betreibt, haftet, wenn in den Räumlichkeiten seiner Fabrik und durch den Betrieb derselben ein Angestellter oder ein Arbeiter getödtet oder körperlich verlezt wird, innerhalb den Bestimmungen dieses Gesezes für den entstandenen Schaden, sofern er selbst oder ein Mandatar, Repräsentant, Leiter oder Aufseher der Fabrik durch ein Verschulden in Ausübung der Dienstverrichtungen die Verlezung oder den Tod herbeigeführt hat.

Art. 2. Der Betriebsunternehmer haftet gleichfalls, wenn auch ohne ein solches Verschulden in den Räumlichkeiten seiner Fabrik und durch den Betrieb derselben eine Körperverlezung oder der Tod eines Angestellten oder eines Arbeiters herbeigeführt wird, insofern er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch Verbrechen oder

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Vergehen dritter Personen, welche nicht in Art. l aufgezählt sind, oder durch eigenes Verschulden des Verlezten oder Getödteten erfolgt ist.

Art. 3. In denjenigen Industrien, welche der Bundesrath in Ausführung von Art. 5 d des Fabrikgesezes als solche bezeichnet, die gefährliche Krankheiten erzeugen, haftet der Betriebsunternehmer auch für den durch Krankheit eines Angestellten oder eines Arbeiters entstandenen Schaden, wenn die Erkrankung erwiesenermaßen und ausschließlich durch den Betrieb der Fabrik erfolgt ist.

Art. 4. Der Betriebsunternehmer hat das Rükgriffsrecht auf diejenigen Personen, für deren Verschulden er haftbar ist.

Art. 5. Die Ersazpflicht des Betriebsunternehmers wird in billiger Weise reduzirt : a. wenn die Tödtung oder die Verlezung (die in Art. 3 erwähnten Fälle nicht inbegriffen) aus Zufall eingetreten ist; b. wenn dem Geschädigten ein Theil der Schuld an dem Unfall (oder an der Krankheit im Sinne von Art. 3) zufällt, insbesonders wenn der Geschädigte als Angestellter oder Arbeiter einen Mangel an den Einrichtungen, durch welchen der Unfall (oder die Krankheit) herbei geführt worden ist, entdekt hat, ohne davon einem seiner Vorgesezten oder dem Betriebsunternehmer selbst Kenntniß gegeben zu haben; c. wenn des Geschädigten früher erlittene Verlezungen auf die lezte und deren Folgen Einfluß haben oder wenn die Gesundheit des Erkrankten durch seine · frühere Gewerbsausübung bereits geschwächt war.

Art. 6. Der zu leistende Schadenersaz umfaßt: a. Im Todesfalle: die Kosten einer versuchten Heilung ; den Schaden, welchen der Getödtete oder Verstorbene während der Krankheit durch gänzliche oder theilweise Erwerbsunfähigkeit erlitten hat; die Beerdigungskosten; den

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Schaden, welchen die Hinterlassenen eines Getödteten oder Verstorbenen erleiden, wenn derselbe durch Gesez zu ihrem Unterhalt verpflichtet war.

b. Im Falle von Verlezung oder Erkrankung : alle Heilungs- und Verpflegungskosten, sowie den Schaden, welchen der Verlezte oder Erkrankte infolge gänzlicher oder theilweiser, dauernder oder vorübergehender Erwerbsunfähigkeit erlitten hat.

Der Richter wird mit Berüksichtigung aller Umstände eine Entschädigungssumme festsezen, welche jedoch in den schwersten Fällen (Art. \ und 3) weder den sechsfachen Jahresverdienst des Betreffenden, noch die Summe von Fr. 8000 übersteigen soll.

Immerhin sind die Kosten für Heilung und Beerdigung in diesem Maximum nicht inbegriffen.

Mit Zustimmung aller Betheiligten kann der Richter auch an die Stelle einer Aversalsumme eine Rente von entsprechender Höhe treten lassen.

Mit dem Tage, an welchem ein Urtheilsspruch in Kraft tritt, erlöscht für den Betriebsunternehmer jede Verpflichtung für die Zahlung allfälliger weiterer Heilungskosten.

Art. 7. Wenn bei der Urtheilsfällung die Folgen einer Körperverlezung oder Erkrankung noch nicht genügend klar vorliegen, so kann der Richter ausnahmsweise für den Fall des erfolgenden Todes oder einer wesentlichen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Verlezten oder Erkrankten die Festsezung einer größern Entschädigung vorbehalten.

Immerhin darf die Gesammtsumme der zuerkannten Entschädigungen die in Art. 5 und 6 festgesezten Grenzen nicht überschreiten.

In diesem Falle hat, bis das definitive Urtheil ausgefällt ist, auch der verpflichtete Betriebsunternehmer das Recht, Ermäßigung der als Schadenersaz zuerkannten Summe zu verlangen, wenn diejenigen Verhältnisse, welche die Zuerkennung oder die Höhe der Summe bedingt hatten, inzwischen wesentlich verändert sind.

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Art. 8. Wenn der Getödtete, Verlezte oder Erkrankte bei einer Unfallversicherung, Unterstüzungskasse, Krankenkasse oder einer ähnlichen Anstalt versichert war, und wenn der Betriebsunternehmer durch Prämien oder andere Beiträge bei dieser Versicherung mitgewirkt hat, so sind die von jenen Anstalten dem Verlezten, Erkrankten oder den Rechtsnachfolgern des Getödteten bezahlten Beträge von der Entschädigung ganz in Abzug zu bringen, sofern der Betriebsunternehmer nicht weniger als die Hälfte an die bezahlten Prämien und andere Beiträge geleistet hat.

Beträgt die Mitleistung des Betriebsunternehmers dagegen weniger als die Hälfte, so wird von der Entschädigung nur jene Summe abgezogen, welche im Verhältniß zu den von ihm geleisteten Beiträgen steht.

Art. 9. Die Betriebsunternehmer sind nicht befugt, die in diesem Geseze enthaltenen Bestimmungen über die Haftpflicht mittelst Reglementen, Publikationen oder durch besondere Uebereinkunft mit ihren Angestellten, Arbeitern oder mit Dritten (ausgenommen der in Art. 8 vorgesehene Fall) im Voraus zu beschränken oder auszuschließen. Vertragsbestimmungen, welche dieser Vorschrift entgegen stehen, haben keine rechtliche Wirkung.

Art. 10. Bei Streitigkeiten über die aus diesem Gesez.

entspringenden Schadenersazansprüche entscheiden die kantonalen Gerichte und in lezter Linie das Bundesgericht über die Zuerkennung einer Entschädigungssumme, die Höhe derselben, die Art und Weise ihrer Bezahlung und im Falle eine jährliche Rente festgesezt wird, die für die Bezahlung derselben zu leistende Sicherheit, nach freier Würdigung aller Thatsachen und der gesammten Verhandlungen; dabei ist das höhere Gericht an die Entscheidungen der unteren Gerichte über streitige Thatsachen nicht gebunden.

Art. 11. Die in diesem Geseze gewährten Schadenersazansprüche verjähren nach einem Jahre von dem Tage an, an welchem die Tödtung oder Verlezung erfolgt ist?

588 oder an welchem die Krankheit als eine spezifische Berufskrankheit erkannt worden ist. Immerhin steht den Betheiligten das Recht zu, bei einem Unfälle oder einer Erkrankung, auch bevor eine Schadenersazklage anhängig gemacht wird, die auf den Unfall oder Krankheit bezüglichen thatsächlichen Verhältnisse gerichtlich konstatiren zu lassen.

Art. 12. Die Verjährungsfrist von einem Jahre findet auch auf die in Art. 7 vorgesehenen Klagen Anwendung; sie läuft von dem Tage an, an dem das Urtheil, in welchem die Festsezung einer höhern Entschädigung vorbehalten ist, ausgefällt wird.

Art. 13. Wenn Zweifel waltet, ob eine industrielle Anstalt, die nicht auf dem Fabriken verzeichnisse sich befindet, in dasselbe hätte eingetragen werden sollen und ob somit auf einen in derselben vorgekommenen Unfall oder Krankheit das gegenwärtige Gesez Anwendung finde, so wird nach Vorschrift des Art. l, Absaz 2 des erwähnten Bundesgesezes vom 23. März 1877 verfahren.

Art. 14. Artikel 5 des Bundesgesezes betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877, mit Ausnahme der Litt, d desselben, ist aufgehoben und ebenso alle Bestimmungen kantonaler Geseze und Verordnungen, welche dem gegenwärtigen Geseze widersprechen.

Art. 15. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 17. Brachmonat 1874 (A. S. n. F. 1,116), betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Veröffentlichung dieses Gesezes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusezen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesez über die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb. (Vom 26. November 1880.)

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