241 # S T #

z u

1244

Bericht des

Bundesrates au die Bundesversammlung über das Volksbegehren für die In validitä ts-, Alters- und HinterlassenenVersicherung (Initiative Rothenberger).

(Vom 18. Mai 1920.)

Mit Bericht vom 26. März 1920 haben wir Ihnen über den Eingang eines Volksbegehrens für die Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung (Initiative Rothenberger) Bericht erstattet.

Danach war das Volksbegehren von 79,596 Unterschriften von Schweizerbürgern begleitet; hiervon sind 78,990 als gültig anerkannt worden. Das Volksbegehren war somit als zustandegekommen zu betrachten.

Mit Schlussnahme vom 29./30. April 1920 haben Sie von unserm Bericht am Protokoll Vormerk genommen und den Bundesrat eingeladen, über das Volksbegehren materiell Bericht zu erstatten.

Das Initiativbegehren hat folgenden Wortlaut: ,,In die Bundesverfassung ist folgender Artikel 34quater aufzunehmen : Der Bund wird auf dem Wege der Gesetzgebung die Invaliditäts-, die Altera- und Hinterbliebenenversicherung einführen.

Er kann sie allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen ·obligatorisch erklären.

Die Durchführung erfolgt unter Mitwirkung der Kantone oder .auch von öffentlichen und privaten Versicherungskassen.

Zur Erleichterung der Durchführung dieser Aufgabe errichtet der Bund einen Fonds. Diesem Fonds sind als erste Einlage 250 Millionen Franken zuzuführen, welche dem Erträgnis der Kriegsgewinnsteuern sofort nach Annahme des gegenwärtigen Verfassungsartikels entnommen werden. Lit. A, Ziffer 2 des Bundesbeschlusses vom 14. Februar 1919 wird in diesem Sinne abgeändert."

Wir beehren uns, dem uns erteilten Auftrage mit nachstehenden Ausführungen Folge zu geben.

I. Unterm 21. Juni 1919 unterbreiteten wir Ihnen eine einlässliche Botschaft betreffend die Einführung des Gesetzgebungsrechtes über die Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung und betreffend die Beschaffung der für die Sozialversicherung erforderBundesblatt. 72. Jahrg. Bd. III.

16

242

liehen Bundesmittel. Der Bundesrat gab darin seinem entschiedenen Willen Ausdruck, das Werk der Sozialversicherung und die Beschaffung des hierfür erforderlichen Finanzbedarfs mit allen Mitteln zu fördern. Er steht nicht an, auch bei der .heutigen Gelegenheit zu erklären, dass er die Errichtung dieses Versicherungswerkes als die vornehmste und dringendste Aufgabe für den weitem Ausbau unsere» Staatswesens zum Sozialstaat auffasst und gewillt ist, sie möglichst rasch der Verwirklichung entgegenzuführen.

Absatz l bis 4 der Initiative stimmen mit dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Zusatz zu Art. 84 der Bundesverfassung wörtlich überein: Es wird in diesen Bestimmungen dem Bunde allgemein das Becht eingeräumt, auf dem Wege der Gesetzgebung die Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung einzuführen. Es unterliegt keinem - Zweifel, dass das vorliegende Volksbegehren als ein entschlossenes Bekenntnis weiter Volkskreise zum Gedanken der Sozialversicherung zu betrachten und zu bewerten ist.

In Absatz 5 sodann ist als einziges Mittel zur Finanzierung der Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung die Bildung eines Fonds durch Entnahme von zweihundertfünfzig Millionen.

Franken aus dem Ertrag der Kriegsgewinnsteuer vorgesehen.

So wie das Initiativbegehren lautet, ist es bestimmt, den vom Bundesrat beantragten Verfassungsartikel betreffend die Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung durch den von den Initianten vorgeschlagenen zu ersetzen.

II. In seiner Botschaft vom 21. Juni 1919 begründete der Bundesrat in aller Ausführlichkeit, dass und weshalb die Einführungder Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung nur erfolgen kann, wenn gleichzeitig, d. h. in der gleichen Verfassungsvorlage,, in der dem Bund das Eecht zu dieser Einführung verliehen wird, ihm auch die nötigen Einnahmequellen für die von ihm aufzubringenden Mittel zur Finanzierung dieser Versicherung eröffnet werden..

Der Entwurf des Bundesrates sah als Mittel für diese Finanzierung die Besteuerung des Tabaks, der Tabakfabrikate sowie des Bierea und die Erhebung von Nachlass-, Erbschafts- und Schenkungssteuern vor. Sodann sollten auch die Einnahmen des Bundes aus der fiskalischen Belastung anderer Genussmittel, mit Ausnahme der Grenzzölle, zur Deckung der dem Bunde zufallenden Kosten der Sozialversicherung
zugewendet werden. Insbesondere wurde bereits vorgesehen, dass der Anteil des Bundes am Alkoholmonopol nach dessen Ausdehnung auf die Obstbranntweine der Sozialversicherung zukommen soll. Seither hat der Bundesrat das damals aufgestellte Finanzierungsprogramm einer Revision unterzogen, und er wird vor--

243

aussichtlich zu einer teilweisen Abänderung desselben gelangen.

Allein darin wird sein revidierter Vorschlag vom frühern nicht abweichen, dass er dem Werke der Sozialversicherung die erforderlichen und ausreichenden Mittel für alle Zeiten zu sichern bestrebt sein wird; er wird deshalb auch unbedingt an der sogenannten Verkuppelung der Deckungsfrage mit der Versicherungsgründung festhalten.

Dass die Frage der Finanzierung gleichzeitig mit der Errichtung der Versicherang gelöst werden muss, ist nicht- nur eine unabweisbare Folge der gegenwärtigen Finanzlage des Bundes, sondern auch eine nicht zu umgehende Voraussetzung für eine zweckmässige und grosszügige Lösung der Versicherungsfrage. Die Botschaft vom 21. Juni 1919 versuchte die damalige Finanzlage des Bundes zu skizzieren. Es ergab sich, dass für die nächsten Jahre mit einem mutmasslichen Fehlbetrag von Fr. 110 Millionen im Budget des Bundes gerechnet werden müsse. Aber auch dieses düstere Bild hat sich in der Zwischenzeit als zu optimistisch erwiesen. Nach den Feststellungen, die das Finanzdepartement in letzter Zeit vorgenommen hat, beläuft sich der Betrag, der zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Budget der Eidgenossenschaft notwendig und der als chronisches Defizit zu bezeichnen ist, auf 150 Millionen Franken.

Rechnet man dazu die Summe, welche der Bund für die Sozialversicherung aufzubringen haben wird und die in der Botschaft vom 21. Juni 1919 auf 40 Millionen veranschlagt wurde, so ergibt sich ein jährlicher Mehrbedarf von 190 Millionen Franken. Es müsste unter diesen Umständen geradezu als leichtfertiges Finanzgebaren bezeichnet werden, wenn man dem Bunde diese neue gewaltige Aufgabe der Volksversicherung übertrüge, ohne dass ihm gleichzeitig die erforderlichen Finanzquellen erschlossen würden. Wir fügen hier bei, dass auch die nationalrätliche Kommission bei der Beratung der Versicherungsvorlage sich in ihrer grossen Mehrheit unserer Auffassung angeschlossen und in wiederholten Abstimmungen an der Verkuppelung festgehalten hat.

Die gleichzeitige Lösung der Finanzierungsfrage mit der Errichtung der Versicherung ist aber auch ein Erfordernis einer grosszügigen und weitsichtigen Ausgestaltung der Versicherung selbst.

Dieses grosse Werk muss für alle Zukunft vor der Gefahr gesichert werden, einst infolge ungenügender finanzieller
Mittel in der Erfüllung seiner Aufgaben gehemmt zu sein, und das Volk, zu dessen Wohl die Versicherung errichtet werden soll, darf sich niemals infolge des finanziellen Unvermögens dieses Werkes in seinen Hoffnungen getäuscht sehen.

244

Aus diesen Erwägungen heraus rnuss der Bundesrat jedes Projekt der Sozialversicherung, das nicht ein vollständiges und ausreichendes ·Finanzierungsprogramm in sich schliesst, mit aller Entschiedenheit ablehnen.

III. Die Initiative Rothenberger verzichtet darauf, ein vollständiges Finanzierungsprogramm für die Versicherung aufzustellen.

Sie stellt sich damit in diametralen Gegensatz zu dem soeben dargelegten Standpunkt des Bundesrates. Sie kümmert sich nicht um die eigentliche Finanzierung, sie will bloss, wie sie sich ausdrückt, die Durchführung der Aufgabe dadurch erleichtern, dass sie den Bund mit der Errichtung eines Fonds beauftragt, welchem als erste Einlage 250 Millionen Franken, die sofort nach Annahme der Verfassungsänderung dem Erträgnis der Kriegsgewinnsteuern zu entnehmen sind, zugeführt werden sollen. Das Begehren bedingt eine teilweise Abänderung des im Verfassungsartikel über die neue ausserordentliche Kriegssteuer vom 14. Februar 1919 beschlossenen Modus der Deckung der Kapitalausgaben für das Truppenaufgebot. Die in Frage kommenden Bestimmungen dieses Verfassungsartikels lauten : ,,Der Bund erhebt eine ausserordentliche Steuer zum Zwecke . der Deckung der Kapitalausgaben, die für das Truppenaufgebot während des Weltkrieges bis Ende 1918 aufgewendet worden sind.

Die Steuer wird in vierjährigen Perioden so oft erhoben, bis der dem Bunde zukommende Ertrag zusammen mit den Ergebnissen der ersten Kriegssteuer und der Kriegsgewinnsteuern die Kapitalausgaben für das Truppenaufgebot deckt."

Bei der Beratung der neuen ausserordentlichen Kriegssteuer rechnete man damit, dass die Steuer bei vollständiger Verwendung der Kriegsgewinnsteuern viermal, d. h. bei einem erstmaligen Bezüge im Jahre 1921, bis zum Jahre 1987, erhoben werden müsse. Die Annahme der Initiative Eothenberger, in Verbindung mit dem durch sie abgeänderten Verfassungsartikel über die Kriegssteuer, würde bewirken, dass von den bereits bezogenen und rechnerisch für die Deckung der Mobilisationskosten verwendeten Kriegsgewinnsteuern ein Betrag von 250 Millionen Franken dem ursprünglichen Zwecke entfremdet und dem Versicherungswerke zugeführt würde, so dass sich der durch die Kriegssteuer zu deckende Betrag um diese Summe erhöhen und die Bezugsdauer der Kriegssteuer um eine weitere Steuerperiode, d. h. vermutlich bis 1941,
verlängern würde.

Bei der Prüfung dieses Vorschlages ist vor allem zu untersuchen, welche Bedeutung dem vorgeschlagenen Fonds von 250 Millionen Franken für die Durchführung der Versicherung zukommt. Dabei ist

245 festzustellen, dass für die Finanzierung derselben die Schaffung eines Fonds nicht unbedingt erforderlich ist, wobei wir nicht bestreiten wollen, dass ein solcher gute Dienste zu leisten imstande und sein Vorhandensein deshalb immerhin -wünschbar wäre. Die Ausscheidung eines Fonds ist nicht erforderlich, weil das Eintrittsdefizit nicht gedeckt zu werden braucht, sondern weil seine Verzinsung aus den allgemeinen oder aus den besondern periodischen Einnahmen des Bundes genügt.

Soll ein Fonds geschaffen werden, so ist der Betrag von 250 Millionen Franken für sich allein zur Durchführung der Versicherung nicht ausreichend. In dem der Botschaft vom 21. Juni 1919 beigedruckten Beispiel ist eine jährliche Belastung von Bund und Kantonen in Aussicht genommen, an der man den Bund mit 40 Millionen Franken zu beteiligen vorsah. Diese Summe ist natürlich keine endgültige.

Je nach dem Ausbau, den die Versicherung im Ausführungsgesetz erhalten wird und je nach der Verteilung der Lasten auf Bund und Kantone kann sie höher oder niedriger ausfallen. Aber auch angenommen, es werde durch eine Beschneidung des Programmes eine Ersparnis gegenüber dem in der Botschaft berechneten Beispiel erzielt werden können, so dürften die vom Bünde zu leistenden Beiträge jährlich doch nicht weniger als 80 Millionen Franken betragen.

Wollte nun der Fonds als unantastbares Kapital fest angelegt werden, so würde sein Zinserträgnis für die Aufbringung der Bundesbeiträge nicht ausreichen. Wird er aber angegriffen, ohne bald wieder geäuffnet zu werden, so ist er in ungefähr 10 Jahren erschöpft. Es wäre nun aber äusserst bedenklich, die Finanzierung eines auf die Dauer berechneten Werkes in einer Weise vorzunehmen, die nur auf eine beschränkte Zahl von Jahren berechne!; ist und in kurzer Zeit den Bund wieder vor die Deckungsfrage stellt, die dann, wenn das Werk nicht aufgegeben werden soll, unmittelbar vor der Erschöpfung der ungenügenden Mittel gelöst werden muss.

Die Errichtung des Fonds von 250 Millionen bedeutet also für sich allein nicht die Finanzierung der neuen Versicherung; sie kommt als Deckung'nur in Betracht, wenn und soweit daneben noch andere genügende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Dies ist übrigens auch die Auffassung der Initianten selbst. So erklärte Herr Nationalrat Eothenberger in der nationalrätlichen
Kommission für die Alters- und Invalidenversicherung, dass man nie daran dachte, mit der Errichtung des Fonds die Finanzierung der Versicherung herbeiführen zu können. Der Fonds solle aber als Grundstock sowie zur Beschleunigung und Erleichterung des Versicherungswerkes dienen.

Werden also für dieses anderweitig genügende Mittel aufgebracht, so ist der Fonds überhaupt entbehrlich.

246

Die Annahme der Initiative Eothenberger würde daher, wenn das Werk der Sozialversicherung nicht schon in den ersten Jahren nach seiner Entstehung vor finanziellen Sorgen stehen soll, die Beschaffung dauernder und regelmässig fliessender Finanzquellen gleichwohl notwendig machen. Die Finanzierungsaktion würde durch die Annahme des Initiativvorschlages ohne irgendwelchen stichhaltigen Grund in zwei Teile zerrissen, ein Vorgehen, das dem Versicherungszwecke auch aus gesetzgebungspolitischen Gründen nur schaden könnte. Der Umstand, dass ein, wenn auch bei weitem unzureichender Fonds vorhanden wäre, könnte von den Gegnern der übrigen erforderlichen Finanzierungsmassnahmen nur all zu leicht als Vorwand gegen die Durchführung weiterer Finanzier ungsprojekte missbraucht werden. Diese halbe Massnahme der Errichtung eines Fonds könnte leicht die Durchführung einer vollständigen und ausreichenden Finanzierung gefährden, zum Nachteile und Schaden des Versicherungswerkes selbst und jener Volkskreise, denen die Einrichtung zugute kommen soll.

IV. Bei der Prüfung des Vorschlages ist im weitern zu beachten, dass die beantragte Errichtung eines Fonds dem Bunde keineswegs die f l ü s s i g e n ' M i t t e l beschafft, die er für die Ausgestaltung der Versicherung und deren Betrieb von Anfang an zweifellos bedarf.

Schon bei der Besprechung des Antrages Eothenberger anlässlich der Beratung des Verfassungsartikels über die neue Kriegssteuer wurde von Befürwortern der Initiative darauf aufmerksam gemacht, dass die Annahme des Vorschlages weiter nichts als eine Bilanzoperation bedeutet. 250 Millionen Franken, die bereits für andere Zwecke verwendet worden sind, werden dem Fonds für die Sozialversicherung gutgeschrieben. Sollen nun aber aus diesem Betrag die ersten Kosten für die Errichtung und den Betrieb der Versicherung flüssig gemacht werden, so besteht keine andere Möglichkeit als die Aufnahme von Anleihen. Bei den heutigen Verhältnissen auf dem Geldmarkte sollte dieser Weg vermieden werden. Es ist bekannt, dass die Versuche, in Amerika Anleihen aufzunehmen, fehlgeschlagen haben, und bei der gegenwärtigen Spannung, sich auf dem schweizerischen Geldmarkte die erforderlichen flüssigen Mittel zu beschaffen, dürfte nicht leicht sein. Aber auch abgesehen hiervon, sollte es unser Bestreben sein, den Anleihensmarkt sowenig
als möglich in Anspruch zu nehmen, und den Finanzbedarf des Staates für neue Aufgaben durch Schaffung neuer Einnahmequellen zu decken.

Der Vorschlag Eothenberger würde dem Bunde aber vorerst überhaupt keine neuen Mittel zuwenden. Der Wortlaut der Initiative könnte in der Bevölkerung den Eindruck erwecken, als ob die zurückzustellenden 250 Millionen durch die Besteuerung der Kriegsgewinne

247

eingebracht werden sollten. Die Befürworter des Vorschlages haben zu seiner Empfehlung auf die Zusammenhänge hingewiesen, die zwischen den durch den Krieg ermöglichten ausserordentlichen Konjunkturgewinnen einerseits und der wirtschaftlichen Schwächung weiter Volkskreise infolge des Krieges anderseits bestehen. Sie haben es als einen gerechten Ausgleich dargestellt, dass von den Kriegsgewinnen ein Betrag für die Sozialversicherung zurückgestellt werde.

Der richtige Schluss aus diesen Erwägungen wäre der Vorschlag gewesen, zu den bereits bestehenden Kriegsgewinnsteuern einen Zuschlag zu beziehen, deren Sätze zu erhöhen, oder ihre Geltungsdauer ' zu verlängern und den Ertrag der vorgeschlagenen Änderungen dem Versicherungswerke zuzuführen. Durch den vorliegenden Vorschlag jedoch werden die Kriegsgewinne nicht mehr belastet, als sie es nach der bestehenden Steuergesetzgebung bereits sind, und die Nennung der Kriegsgewinnsteuern im Wortlaut des Vorschlages kann bloss den Sinn eines Werbemittels für die Initiative haben, dem jede praktische Bedeutung fehlt.

Die Initiative verschafft dem Bunde aber auch auf keinem andern Wege sofortige neue Mittel. Wenn sie angenommen würde, müssten vorerst weder mehr Kriegssteuern noch irgendwelche andere Abgaben entrichtet werden, als dies nach den bestehenden Bestimmungen der Fall sein wird. Die 250 Millionen, mit denen die Versicherung ausgestattet werden soll, müssten in Wirklichkeit erst in den Jahren 1937--1941 in der Form der Kriegssteuer bezahlt werden.

Die Befürworter der Initiative pflegen von einer ,,sozialen Tat", von Handlungen, die endlich an die Stelle von Worten treten sollten, zu reden. Die ,,soziale Tat" besteht nach ihrem Vorschlag in Wirklichkeit in einem Wechsel, der erst in 16 Jahren eingelöst werden soll. Die Initiative will Steuerleistungen diskontieren, die erst nach 16--20 Jahren fällig werden.

Das grosse Werk der Sozialversicherung wird nicht ohne grosse finanzielle Opfer aller jener Bevölkerungsschichten ausgeführt werden können, deren Verhältnisse und deren Leistungsfähigkeit eine Beitragspflicht rechtfertigt. Das Finanzprogramm des Bundesrates wird Vorschläge enthalten, die starke Ansprüche an die Opferbereitschaft des Schweizervolkes machen, aber nicht, wie es die Initiative Rothenberger will, erst an die nächste Generation, sondern
an die heutige.

V. In politischer Hinsicht ist folgendes nicht ausser acht zu lassen: Die oben angeführte Bestimmung des Verfassungsartikels über die neue Kriegssteuer ist das Ergebnis eines Kompromisses.

Von föderalistischer Seite wurden starke Bedenken erhoben gegen eine mehrmalige Wiederholung der Kriegssteuer, und nur die bestimmte Zusicherung, dass die Kriegssteuer bloss bis zur Deckung

248 des' im Verfassungsartikel umschriebenen Betrages der Kapitalausgaben für das Truppenaufgebot bezogen -werde, konnte verhindern, dass ihr eine Gegnerschaft entstand, die der Vorlage in der Volksabstimmung hätte gefährlich werden können. Weite Kreise würden es heute als Wortbruch auffassen, wenn durch die Annahme des Initiativvorschlages die Bezugsdauer für die Kriegssteuer verlängert und damit die Grundlage des vom Volke und von den Ständen angenommenen Verfassungsartikels betreffend die neue Kriegssteuer"-5 verändert würde. Es wäre aber aus politischen Gründen höchst unklug, die Durchführung der Sozialversicherung mit einer Massnahme einzuleiten, die von grossen Teilen der Bevölkerung nicht ohne Grund als Wortbruch aufgefasst werden könnte!

VI. In Zusammenfassung des Gesagten und in der Überzeugung, dass das vorliegende Initiativbegehren die Einführung der Invalidi-, täts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung eher hintanhalten würde, statt sie zu fördern, und dass der Sache dieser Versicherung nur mit einer Lösung, wie sie der Bundesrat mit seiner Botschaft vom 21. Juni 1919 vorgeschlagen hat, wirklich gedient werden kann, gelangen wir dazu, das Begehren mit Entschiedenheit als unannehmbar abzulehnen.

Die Erörterung der Frage, ob zu dem Initiativbegehren ein Gegenvorschlag zu machen sei, erübrigt sich, indem der Gegenvorschlag in dem vom Bundesrat mit der mehrerwähnten Botschaft vom 21. Juni 1919 vorgeschlagenen Verfassungsartikel bereits enthalten ist.

Wir stellen daher den Antrag: Sie wollen in Anwendung von Art. 8 ff. des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung beschliessen, das Volksbegehren um Abänderung von Art. 34iaaler sei abzulehnen und der Abstimmung des Volkes und der Stände ohne einen Gegenentwurf der Bundesversammlung und mit dem Antrag auf Verwerfung zu unterbreiten.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 18. Mai 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,, Der Bundespräsident: Motta.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger.

-^B-O-ZT .

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates au die Bundesversammlung über das Volksbegehren für die Invaliditäts-, Alters- und Hinterlassenenversicherung (Initiative Rothenberger). (Vom 18.

Mai 1920.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1920

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

22

Cahier Numero Geschäftsnummer

1244

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.05.1920

Date Data Seite

241-248

Page Pagina Ref. No

10 027 548

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.