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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Bundes ratsbeschluss vom 20. September 1920 betreffend Abänderung der Verordnung vom 20. Februar 1918 über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen.

(Vom 20. September 1920.} Es ist uns in jüngster Zeit aus Interessentenkreisen ein Antrag auf Abänderung von Art. 16, Ziffer 6, der Verordnung vom 20. Februar 1918 über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen gestellt worden, dessen Begründetheit sowohl als dessen Dringlichkeit wir uns nicht verschliessen konnten, weshalb wir uns veranlasst sahen, Art. 16, Ziffer 6, der erwähnten Verordnung im .Sinne des beiliegenden Bundesratsbeschlusses zu revidieren. Zur Begründung gestatten wir uns folgende Bemerkungen : Nach Art. 16, Ziffer 6, der Verordnung in ihrer gegenwärtigen Fassung kann die Gläubigergemeinschaft mit Dreiviertelsmehrheit die Hinausschiebung der Rückzahlungstermine für ein bereits fälliges oder b i n n e n J a h r e s f r i s t , f ä l l i g w e r d e n d e s Anleihen oder für Teilbeträge eines .solchen auf höchstens f ü n f J a h r e beschliessen. Damit werden freilich über Art. 16, Ziffer 6, hinausgehende, sogenannte ,,weitergehende" Eingriffe, beispielsweise die Hinausschiebung des Rückzahlungstermins eines erst in zwei Jahren fällig werdenden Anleihens um acht Jahre, nicht unmöglich gemacht, doch ist in diesem Falle das Verfahren den in Art. 17 genannten erschwerten Bedingungen für das Zu· Standekommen eines Beschlusses -- Einstimmigkeit aller an der Versammlung anwesenden Gläubiger, an der zudem mindestens 8 /4 des im Umlauf befindlichen Kapitals vertreten sein.müssen -- unterworfen. Dadurch werden aber über Art. 16 hinausgehende Beschlüsse praktisch in hohem Masse erschwert; denn einzelne opponierende Gläubiger sind stets vorhanden ; alsdann genügt es aber, dass einer von ihnen an der Versammlung erscheint und die Zustimmung verweigert, um das ganze Sanierungsprojekt zum

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Scheitern zu bringen. Aus diesem Grunde hat das Bundesgericht erklärt, dass es die Einberufung der Gläubiger-Versammlung einer Eisenbahnanleihe gestutzt auf den Bundesratsbeschluss vom 25. April 1919 nur dann bewilligen könne, wenn mit den in Art. 16 umschriebenen Massnahmen eine dauerhafte Sanierung sich herbeiführen lasse, weil es im Interesse aller Beteiligten liege, dass das nur geringe Aussicht auf Erfolg bietende Verfahren nach Art. 17 gar nicht versucht, sondern in solchen Fällen von vornherein das Nachlassverfahren nach dem Bundesgesetz vom 25. September 1917 eingeleitet werde (vgl. BGE 46 111 Nr. 7).

Die in Art. 16, Ziffer 6, der Gläubigergemeinschaftsverordnung enthaltene Beschränkung auf bereits fällige bzw. binnen 'Jahresfrist fällig werdende Anleihen oder Teilbeträge von solchen ·sowohl, als die Limitierung.der höchst zulässigen Stundungsdauer auf fünf Jahre wird nun in der Tat den Bedürfnissen der Praxis, die vor allem auf die Massnah me von Art. 16, Ziffer 6, angewiesen ist, nicht gerecht, indem dadurch häufig die Sanierung nach Massgabe der GGV überhaupt (vgl. BGE 46 III Nr. 7) oder doch wenigstens eine durchgreifende Sanierung verhindert wird (vgl. BGE 46 III Nr. 9). Werden von einem Anleihen jedes Jahr Beträge zur Rückzahlung fällig -- was sehr häufig zutrifft -- so ist der Schuldner nach der heutigen Fassung von Art. 16, Ziffer 6, gezwungen, alljährlich einen Gläubigerbeschluss über die Hinausschiebung der Rückzahlungsquoten zu provozieren, auch wenn von vornherein feststeht, dass er in den nächsten Jahren die Amortisationsbeträge noch nicht wird aufbringen können.

Durch diese alljährlich notwendig werdende Einberufung der Gläubiger Versammlung werden aber nicht nur die Gläubiger fortwährend belastigt und beunruhigt, sondern es entstehen für den Schuldner auch unverhältnismässige Kosten, indem die Einberufung der Versammlung dreimal und der °gefasste Beschluss einmal publiziert werden müssen, abgesehen von allen übrigen Unkosten, die die Herbeiführung eines Gläubigerbeschlusses verursacht.

Auch wird durch diesen Zwang, alljährlich mit den Gläubigern unterhandeln zu müssen, die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Schuldners zum Schaden aller Beteiligten unnötigerweise eingeengt. Die Beschränkung der Stundungsdauer auf fünf Jahre anderseits vermag heute den in erster Linie
auf die Rechtswohltat der Gläubigergemeinschaftsverordnung angewiesenen Hotel- und Bahnunternehmungen keine ausreichende Erleichterung zu gewähren; denn nach dem jetzigen System der VO werden bei jährlichen Auslosungen nach Ablauf von fünf Jahren doppelte Amortisationsquoten fällig, nämlich die erste hinausgeschobene Bundesblatt. 72. Jahrg. Bd. IV.

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und die ordentliche. Selbst wenn mit einer äusserst günstigen Entwicklung der Verhältnisse in den nächsten Jahren gerechnet wird, so bedeutet die Verpflichtung zur Bezahlung doppelter Quoten in den Jahren 1925--1930 eine Belastung, welche die in ihrer ökonomischen Tragfähigkeit noch auf Jahre hinaus geschwächten Unternehmungen schlechterdings nicht auszuhalten vermögen. Die Folge davon ist dann lediglich die, dass im Jahre 1925 ein neues Sanierungsverfahren wird eingeleitet werden müssen.

Diese Erwägungen haben uns veranlasse, Art. 16, Ziffer 6, der Verordnung dahin abzuändern, dass die Gläubigergemeinschaft mit Dreiviertelsmehrheit die Stundung des bereits fälligen oder binnen f ü n f J a h r e n f ä l l i g w e r d e n d e n Gesamtbetragesoder binnen gleicher Frist fällig werdender Teilbeträge eines Anleihens auf höchstens z e h n J ä h r e vom Tage des Beschlusses hinweg besehliessen kann. Diese Ausdehnung von Art. 16, Ziffer 6, bewegt sich noch durchaus im Rahmen der übrigen in Art. 16 vorgesehenen Massnahmen. Denn wenn nach Art. 16, Ziffer 10, die Gemeinschaft berechtigt ist, mit Dreiviertelmehrheit die Umwandlung von Obligationen in Vorzugsaktien, also die Umwandlung eines Forderungsrechtes in ein blosses Mitgliedschaftsrecht zu besehliessen, so steht der viel weniger weitgehenden Hinausschiebung des Rückzahlungstermines von innert fünf Jahren fällig ·werdenden Beträgen auf die Dauer von 10 Jahren vom Beschlüsse an gerechnet offenbar kein Bedenken entgegen ; denn diese Massnahme berührt lediglich die Exequierbarkeit des Anspruches, lässt aber das Forderungsrecht als solches intakt. Die in dem Beschlüsse enthaltene weitere Abänderung von Art. 16, Ziffer 6,, ist lediglich redaktioneller Natur.

Wir ersuchen Sie in Anwendung von Ziffer I des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates zum beiliegenden Bundesratsbeschluss betreffend die Abänderung der Verordnung; über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligatione Ihr Einverständnis zu erklären.

B e r n , den 20. September 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler: Steiger.

367 Beilage.

Bundesratsbeschluss betreffend

Abänderung der Verordnung vom 20. Februar 1918 Über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen (Vom 20. September 1920.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t , gestutzt auf den zweiten Absatz von Ziffer I des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates beschliesst: 1. Die Ziffer 6 von Art. 16 der Verordnung vom 20. Februar 1918 über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen**) erhält folgende Fassung: ,,6. Stundung des bereits fälligen oder binnen fünf Jahren fällig werdenden Gesamtbetrages oder binnen gleicher Frist fällig werdender Teilbeträge eines Anleihens auf höchstens zehn Jahre vom Tage des Beschlusses der Gläubigergemeinschaft hinweg."

2. Dieser Bundesratsbeschluss tritt am 1. November 1920 in Kraft.

B e r n , den 20. September 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler: Steiger.

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 255.

**) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXIV, S. 231 S.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Bundesratsbeschluss vom 20. September 1920 betreffend Abänderung der Verordnung vom 20. Februar 1918 über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen. (Vom 20. September 1920.)

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