17.067 Bericht zur Abschreibung der Motion Barthassat 11.3909 «Artikel 404 OR. Anpassung an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts» vom 25. Oktober 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2012

M 11.3909

Artikel 404 OR. Anpassung an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts (N 23.12.2011, Barthassat; S 27.09.2012)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

25. Oktober 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Bericht 1

Ausgangslage

Die am 29. September 2011 eingereichte und vom Parlament am 23. Dezember 2011 (Nationalrat) bzw. am 27. September 2012 (Ständerat) angenommene Motion 11.3909 «Artikel 404 OR. Anpassung an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts» verlangt vom Bundesrat, «dem Parlament eine Änderung von Artikel 404 des Obligationenrechts (OR) zu unterbreiten, damit dieser wieder den wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten unserer Zeit entspricht. Diese Änderung soll es den Parteien ermöglichen, ein wahrhaft dauerhaftes Auftragsverhältnis einzugehen.» Das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf über die Anpassung von Artikel 404 OR1 wurde vom Bundesrat am 16. September 2016 eröffnet und dauerte bis zum 31. Dezember 2016.2 Dabei wurde vorgeschlagen, Artikel 404 OR in der bestehenden Fassung beizubehalten, im Gesetz jedoch ausdrücklich festzuhalten, dass eine Wegbedingung oder Einschränkung des Widerrufs- oder Kündigungsrechts zulässig sein soll (Art. 404a Abs. 1 VE-OR), wobei die betreffende Abrede nicht in allgemeinen Geschäftsbedingungen hätte enthalten sein dürfen (Art. 404a Abs. 2 VE-OR).

Die Reaktionen auf den Vorentwurf in der Vernehmlassung fielen sehr unterschiedlich aus: So haben zwar 22 Kantone und drei Parteien, aber nur vier Organisationen den vom Bundesrat unterbreiteten Vorentwurf umfassend oder jedenfalls in den Grundzügen unterstützt.3 Dagegen haben 13 Organisationen, zwei Kantone und eine Partei sowohl den generellen Handlungsbedarf als auch die konkrete Ausgestaltung des Vorentwurfs abgelehnt.4 Schliesslich haben ein Kanton, eine Partei und zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen den Handlungsbedarf zwar grundsätzlich bejaht, in der Folge aber die konkrete Ausgestaltung des Vorentwurfs kritisiert. 5

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Politische Würdigung

Eine Durchsicht der Stellungnahmen macht deutlich, dass die Notwendigkeit einer Revision von Artikel 404 OR von verschiedener Seite und in ganz grundsätzlicher Art und Weise in Frage gestellt wird.

So ist augenfällig, dass verschiedene gewichtige und von der Vorlage unmittelbar betroffene Wirtschaftsverbände den Handlungsbedarf als solchen generell verneinen (bauenschweiz, GastroSuisse, Hauseigentümerverband Schweiz, Schweizerischer Verband der Immobilienwirtschaft SVIT, Swissmem; der Schweizerische Gewerbeverband SGV hat sich in seiner Stellungnahme weder für noch gegen die Vorlage 1 2 3 4 5

SR 220 Die Unterlagen sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2016.

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, Ziff. 4.1.

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, Ziff. 4.2.

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, Ziff. 4.3.

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ausgesprochen): Der Vorentwurf trage zur Schwächung von in der Wirtschaft funktionierenden Vertragsverhältnissen bei, und es bestehe kein Bedarf, das bis heute bewährte geltende Recht zu ändern. Aus den eingegangenen Stellungnahmen wird zudem deutlich, dass das geltende Recht der Wirtschaft keine nennenswerten Probleme bereitet. Die Möglichkeit, ein Auftragsverhältnis jederzeit einseitig aufzulösen, hat sich in der Praxis vielmehr etabliert und entspricht offenbar dem Bedürfnis weiter Kreise. Das Recht, jederzeit von einem Auftrag Abstand nehmen zu können, wird als wichtiger Bestandteil der geltenden Rechtsordnung angesehen, an dem auch in Zukunft festgehalten werden soll. Die in der Rechtslehre verbreitete Kritik an der Rechtsprechung des Bundesgerichts6 findet damit keine Unterstützung.

Auch seitens der Gewerkschaften (Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB, Travail.Suisse) und der Konsumentenschutzorganisationen (Fédération romande des consommateurs FRC, Schweizerische Stiftung für Konsumentenschutz SKS) wurde dezidierte Kritik am Vorentwurf und dabei insbesondere an der Aufhebung der zwingenden Natur der Bestimmung geäussert: Das Auflösungsrecht führe häufig zu einer Stärkung der Position der schwächeren Partei, indem es dieser ermögliche, sich relativ einfach aus unerwünschten langfristigen Vertragsbeziehungen zu lösen.

Gemäss der Stellungnahme der Gewerkschaften würde es der Vorschlag des Bundesrates ermöglichen, arbeitsähnliche Dauerrechtsverhältnisse zu schaffen, die nicht den arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften unterstellt seien und die nicht mehr ohne Weiteres beendet werden könnten. Die Vorlage sei deshalb abzulehnen.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist ausserdem dem Umstand Beachtung zu schenken, dass nicht nur in Bezug auf den generellen Handlungsbedarf, sondern auch hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer künftigen Regelung erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen: Während verschiedene Teilnehmer einen generellen Ausschluss der Verträge mit Konsumentinnen und Konsumenten vom Anwendungsbereich der neuen Regelung verlangt haben (Schuldenberatung Schweiz, Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen), forderten andere den Verzicht auf die in Artikel 404a Absatz 2 VE-OR vorgeschlagene Beschränkung auf Abreden ausserhalb von allgemeinen Geschäftsbedingungen
(economiesuisse). Diese Positionen sind unvereinbar. Auch dies zeigt auf, dass es sehr schwierig wäre, eine mehrheitsfähige Lösung zu finden.

Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der geltende Gesetzestext keinerlei Hinweise enthält, die es nahelegen würden, die Bestimmung als zwingend zu qualifizieren. Die geltende Rechtslage beruht vielmehr auf einer langjährigen Rechtsprechung des Bundesgerichts. Es steht dem Bundesgericht daher frei und soll ihm auch in Zukunft überlassen bleiben, zu gegebener Zeit allenfalls notwendige Differenzierungen vorzunehmen.

Unter diesen Umständen erscheint der Handlungsbedarf für eine Neuregelung von Artikel 404 OR durch den Gesetzgeber nicht ausgewiesen. Auch wenn sich verschiedene Teilnehmer positiv zur Revision geäussert haben, erscheint es äusserst schwierig, eine mehrheitsfähige Lösung zu präsentieren, zumal in vielen Stel6

Vgl. dazu den Erläuternden Bericht zum Vorentwurf vom September 2016, Ziff. 1.5.1, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2016.

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lungnahmen der Handlungsbedarf an sich verneint wird. Im Sinne der Montesquieu'schen Maxime «quand il n'est pas nécessaire de faire une loi, il est nécessaire de ne pas en faire» ist deshalb auf eine Neuregelung von Artikel 404 OR durch den Gesetzgeber zu verzichten. Nachdem der geltende Gesetzestext keinerlei Hinweise auf eine zwingende Natur von Artikel 404 OR enthält, soll es vielmehr der Rechtsprechung des Bundesgerichts überlassen bleiben, in Zukunft einmal die allenfalls notwendige Differenzierung vorzunehmen und in einem Fall, in dem die zwingende Natur von Artikel 404 OR als unangemessen erscheint, eine Anpassung der Rechtsprechung vorzunehmen.

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Antrag

Der Bundesrat beantragt aus den genannten Gründen, die Motion 11.3909 abzuschreiben.

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