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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung des neuen Artikels 8bls der Verfassung des Kantons Waadt.

(Vom 13. September 1938.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

In der Volksabstimmung vom 29./30. Januar 1938 hat die Wählerschaft des Kantons Waadt mit 34 867 gegen 12 780 Stimmen eine Volksinitiative .angenommen, welche die Einführung eines Artikels 8Ws in die waadtländische Verfassung verlangt. Dieser Artikel lautet in deutscher Übersetzung: «Vereine und Organisationen, die unmittelbar oder mittelbar der kommunistischen Internationale oder irgendeiner andern internationalen oder fremden Organisation angeschlossen sind, deren Tätigkeit der öffentlichen Ordnung zuwiderläuft, sind auf dem Gebiete des Kantons verboten.» Mit Schreiben vom 1. März 1938 hat der Staatsrat des Kantons Waadt iür diese Bestimmung die Gewährleistung des Bundes nachgesucht.

1. Voraussetzung der Erteilung der letztern ist, dass die kantonale Verfassung keine Bestimmungen aufweist, welche etwas den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten (Art. 6, lit. a BV). Diese Prüfung hat die Bundesversammlung vorzunehmen; sie hat aber nur den Zweck, ge.gebenenfalls kantonale Verfassungsbestimraungen, die offensichtlich mit der Bundesverfassung unvereinbar sind, als solche zu bezeichnen und von der Gewährleistung auszuschliessen (vgl. Burckhardt, Kommentar 3. Aufl., S. 71).

Durch die Erteilung der Gewährleistung werden kantonale Bestimmungen nicht ·ein- für allemal als mit dem Bundesrecht in Einklang stehend erklärt, sie werden bloss nicht beanstandet ; das Bundesgericht hat immer noch die Möglichkeit, im Falle eines staatsrechtlichen Eekurses gegen eine Massnahme, die gestützt auf eine kantonale Bestimmung mit eidgenössischer Gewährleistung ·erlassen worden ist, diese trotzdem als verfassungswidrig zu erklären (vgl.

Journal des tribunaux 1938, S. 162 und 181).

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Während die kantonalen Bestimmungen über den Missbrauch der Pressfreiheit der Genehmigung des Bundesrates bedürfen (Art. 55 BV), ist dies für die kantonalen Gesetze über den Missbrauch des Vereinsrechts nicht vorgesehen (Art. 56 BV). So hat der Kanton Neuenburg am 23. Februar 1937 ein Gesetz betreffend das Verbot der kommunistischen oder anderer staatsgefährlicher Organisationen erlassen können, das weder der bundesrätlichen Genehmigung noch der eidgenössischen Garantie bedurfte. Übrigens hat die zuständige Behörde nach Art. 78 ZGB das Eecht. durch Klage die Auflösung eines Vereines zu verlangen, wenn dessen Zweck widerrechtlich oder unsittlich ist. Aber die Möglichkeit richterlichen Vorgehens hindert die Kantone keineswegs, dieses Ziel auf dem Wege der Gesetzgebung zu erreichen.

Wie oben ausgeführt, ist die Gewährleistung zu erteilen, wenn die kantonale Bestimmung nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält. Die beiden andern in Art. 6, lit. b und c BV aufgestellten Voraussetzungen für die Erteilung der Gewährleistung fallen vorliegend nicht in Betracht. Die beiden einzigen Bestimmungen der Bundesverfassung, gegen die ein Verstoss des Art. 8Ws der waadtlänclischen Verfassung in Frage kommt, sind Art. 56 (Vereinsrecht) und Art. 4 (Gleichheit vor dem Gesetz).

2. Art. 56 BV gibt den Bürgern das Eecht, Vereine zu bilden, sofern solche weder in ihrem Zweck noch in den dafür bestimmten Mitteln rechtswidrig oder staatsgefährlich sind; er behält ausdrücklich der kantonalen Gesetzgebung vor, über den Missbrauch dieses Eechts die erforderlichen Bestimmungen zu erlassen. Als eine solche Vorschrift stellt sich der neue Artikel 8Ws der waadtländischen Verfassung dar. Er verbietet auf dem Gebiete des Kantona in erster Linie alle direkt oder indirekt der kommunistischen Internationale angeschlossenen Vereinigungen und Organisationen. Mit dieser Vorschrift ist der Kanton Waadt im Eahmen der ihm durch die Bundesverfassung offengehaltenen Kompetenz geblieben. Wiederholt schon hatte der Bundesrat.

Gelegenheit, auf die staatsgefährliche Tätigkeit der kommunistischen Bewegung hinzuweisen. Wir erinnern an unsere Botschaft vom 7. Dezember 1936 zum Entwurf eines Bundesbeschlusses über den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (Bundesbl. 1936, Bd. III, S. 393) und insbesondere an
diejenige vom 18. August 1937 über die Gewährleistung dreier Verfassungsgesetze des Kantons Genf (Bundesbl. 1937, Bd. II, S. 621). Unter diesen befand sich eine Bestimmung gegen die kommunistischen Organisationen, der die heute vorliegende des Kantons Waadt inhaltlich genau entspricht; die Genfer Verfassung ging sogar noch weiter, indem sie den Angehörigen verbotener Vereinigungen die politischen Bechte entzog. Durch Beschluss vom 31. März 1938 haben die eidgenössischen Eäte diesem Verfassungsgesetz des Kantons Genf die Gewährleistung erteilt (A. S. 54, 138) und damit ihre Zustimmung zu unserer Auffassung bekundet, dass jene Vorschrift mit der Bundesverfassung nicht im Widerspruch steht. Diese Stellungnahme entscheidet die Frage grundsatzlich auch für die heute vorliegende, übereinstimmende Verfassungsvorschrift des Kantons Waadt.

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Bei dieser Sachlage können wir darauf verzichten, uns heute neuerdings eingehend über den Charakter und die Tätigkeit der kommunistischen Partei auszusprechen. Wir stellen nur wiederholt die hier entscheidende Tatsache fest, dass die kommunistische Partei der Schweiz formell und ideell von einer im Schutze einer Grossmacht stehenden internationalen Zentralstelle abhängig ist, welche ihre Sektionen, die Landesparteien, verpflichtet, in allen Ländern unter Gewaltanwendung die Eevolution zur Errichtung der proletarischen Diktatur auszulösen. Zu diesem bestimmten Schluss ist auch das Bundesgericht nach einlässlicher Prüfung des schon erwähnten Neuenburger Gesetzes vom 23. Februar 1937 gelangt (Entscheid vorn 3. Dezember 1937 i. S. Barraud u.

Kons, gegen Neuenburg, BGE 63 I 281).

Wenn der Bundesrat demgernäss das Kommunistenverbot der Waadtländer Verfassung als mit der Bundesverfassung vereinbar betrachtet und seine Gewährleistung beantragt, so setzt er sich damit keineswegs in Widerspruch zu dem bekannten Bericht des Bundesrates vom. 28. Januar 1854 über die Aufhebung des Grütlivereins durch die Eegierung des Kantons Bern, der sich gegen die Zulässigkeit jenes Verbotes aussprach (Bundesbl. 1854, Bd. I, S.441 ff., 484ff., insbes. 504ff.). Die damals wohl zum erstenmal in einer Kundgebung des Bundesrates zum verfassungsmässigen Eecht der Vereinsfreiheit niedergelegten Grundsätze, dass die blosse Tatsache feindseliger Einstellung eines Vereines gegen die bestehende Staatsordnung zu seiner Unterdrückung nicht genügen könne, treffen heute so gut wie vor 80 Jahren zu. Allein die tatsächlichen Voraussetzungen sind im heutigen Falle von den damaligen durchaus verschieden, da die kommunistischen Organisationen es gegebenenfalls bei blosser oppositioneller Haltung nicht bewenden lassen. Daher verletzt auch ein Kanton, der diese Organisationen auf seinem Gebiet untersagt, damit den Art. 56 BV nicht.

3. Art. 8Ms der waadtländischen Verfassung verstösst auch nicht gegen den Grundsatz der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz (Art. 4 BV). Wenn er die direkt oder indirekt der kommunistischen Internationale angeschlossenen Vereinigungen und Organisationen ausdrücklich bezeichnet, so geschah es, weil das waadtländische Volk es -- befugtermassen -- als festgestellt erachtet hat, dass deren Tätigkeit gegen die
öffentliche Ordnung gerichtet ist.

Die Kommunisten fallen also vorweg unter das Verbot. Allein dieses hat eine allgemeine Tragweite und wendet sich gegen jede Vereinigung, die in ähnlicher Weise einer internationalen oder fremden, die öffentliche Ordnung bedrohenden Organisation angeschlossen ist. Es genügt zur Wahrung des Grundsatzes der Eechtsgleichheit, dass eine Vorschrift in allen Fällen, in denen die Umstände die gleiche Behandlung rechtfertigen, zur Anwendung gelangt (vgl. BGE 63 I S. 291). Das in bezug auf das Verbot anderer Vereine und Organisationen mit umstürzlerischem Charakter einzuschlagende Verfahren ist allerdings noch nicht festgelegt; aber das braucht in einer Verfassungsbestimmung auch nicht zu geschehen. Wie der Berichterstatter der Kommissionsmehrheit im waadtländischen Grossen Eat erklärt hat, wird gestützt

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auf den neuen Art. 8Ws ein Anwendungs- und Ausführungsgesetz erlassen werden müssen, das insbesondere die Voraussetzungen, das Verfahren der Auflösung und die Massnahmen zu bestimmen hat, die zur Unterdrückung der Tätigkeit nicht erlaubter Organisationen Platz greifen sollen.

4. Ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass der Kanton Waadt, wie zuvor schon Neuenburg und Genf, mit dem Kommunistenverbot im Eahmen des Bundesrechts geblieben ist, so glauben wir andererseits doch darauf hinweisen zu sollen, dass für das Gebiet der Eidgenossenschaft in seiner Gesamtheit die Sorge für die äussere und innere Sicherheit, die Handhabung von Buhe und Ordnung dem Bund obliegt (Art. 85, Z. 6 und 7, Art. 102, Z. 8--10 B V). Je mehr Verbote wie das vorliegende sich über die Kantone ausbreiten, desto mehr drängt sich die Frage auf, ob es sich nicht um eine das ganze Land angehende Angelegenheit handle. Jedenfalls müssen die Bundesbehörden sich vorbehalten, selbst über die zu treffenden Massnahmen zu entscheiden, falls die Entwicklung zu einer ernsten und dringenden Gefahr für das ganze Land führen sollte.

Aus diesen Erwägungen beantragen wir Ihnen, dem Art. 8bls der Verfassung des Kantons Waadt durch Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfes die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 13. September 1938.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident :

Banmann.

Der Bundeskanzler:

G. Boret.

435 (Entwurf.)

Bimdesbeschluss über

die Gewährleistung des neuen Art. 8"is der Verfassung des Kantons Waadt.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 13. September 1938, in Erwägung, dass die neue Verfassungsbestimmung nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, beschliesst :

Art. 1.

Dem in der Volksabstimmung vom 29./30. Januar 1938 angenommenen Art..8Ws der Verfassung des Kantons Waadt wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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14.09.1938

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