zu 16.414 Parlamentarische Initiative Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 14. Februar 2019 Stellungnahme des Bundesrates vom 17. April 2019

Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 14. Februar 2019 betreffend die parlamentarische Initiative «Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. April 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Ausgangslage

Am 17. März 2016 reichte Ständerat Konrad Graber die parlamentarische Initiative 16.414 «Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle» ein. Die Initiative fordert die Einführung eines Jahresarbeitszeitmodells auf Gesetzesstufe und die Flexibilisierung der Bestimmungen zur Arbeits- und Ruhezeit im Arbeitsgesetz.

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) hat in ihrer Sitzung vom 18. August 2016 mit 10 zu 3 Stimmen beschlossen, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Die Schwesterkommission des Nationalrates stimmte diesem Beschluss am 20. Februar 2017 mit 18 zu 6 Stimmen zu.

Am 18. Juni 2018 stimmte die WAK-S dem Vorentwurf für die Gesetzesrevision zu und beschloss die Eröffnung einer Vernehmlassung. Am 14. Februar 2019 hat die WAK-S den Ergebnisbericht der Vernehmlassung zur Kenntnis genommen, dem Entwurf ohne Änderungen mit 10 zu 3 Stimmen zugestimmt und den Bundesrat aufgefordert, seine Stellungnahme zum vorgeschlagenen Gesetzesentwurf abzugeben, welcher in der Sommersession 2019 im Ständerat behandelt werden soll.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass aufgrund der Entwicklung des Arbeitsmarktes das mit der Initiative verfolgte Ziel der Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes vom 13. März 19641 (ArG) zweckmässig ist, um dem von vielen Unternehmen geltend gemachten Bedürfnis nach mehr Flexibilität zu entsprechen. Denn die Globalisierung der Märkte und die Digitalisierung der Wirtschaft haben die Rahmenbedingungen, mit denen die schweizerischen Unternehmen konfrontiert sind, grundlegend verändert. Der Bundesrat kann nachvollziehen, dass das ArG den gegenwärtigen Erwartungen in gewissen Teilen nicht mehr vollständig entspricht. Denn obwohl das Gesetz theoretisch eine grosse Flexibilität bietet und beispielsweise zulässt, dass die Höchstgrenze der Arbeitszeit vorübergehend angehoben wird, um erheblichen Schwankungen des Geschäftsaufkommens Rechnung zu tragen, so schränkt die Komplexität des Systems den tatsächlichen Handlungsspielraum der Unternehmen oftmals ein.

Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass das ArG ein Instrument des öffentlichen Rechts ist, welches zuallererst die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen soll. Es wäre also falsch davon auszugehen, dass das Gesetz jede Relevanz verloren hat, einzig und allein deswegen, weil es vor über einem halben Jahrhundert in Kraft getreten ist. Der Zusammenhang zwischen exzessiven Arbeitszeiten und dem Auftreten bestimmter Erkrankungen ist wissenschaftlich belegt und immer noch gültig. Daher ist eine Regelung der Arbeits- und Ruhezeit durch die 1

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öffentliche Hand auch heute noch gerechtfertigt. An dieser Stelle sei auf die wachsende Bedeutung psychosozialer Risiken für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz hingewiesen. Diese wurde durch zahlreiche, in den vergangenen Jahren veröffentlichte Studien belegt. Da es sich um eine wichtige Frage der öffentlichen Gesundheit handelt, ist es überdies notwendig, dass die kantonalen Arbeitsinspektorate als Vollzugsbehörden in der Lage sind, die ordnungsgemässe Anwendung der festgelegten Regeln zu überwachen. Der im Gesetz verankerte Gesundheitsschutz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhöht die Attraktivität der Arbeitsplätze in der Schweiz, was wiederum positive Auswirkungen auf die Wirtschaft zeitigt.

Dass Arbeits- und Ruhezeiten einen Einfluss auf die Gesundheit haben, bedeutet nicht, dass die gesetzlichen Bestimmungen unumstösslich sind. Bei einer Anpassung von Bestimmungen an aktuelle Gegebenheiten muss das Ziel einer Revision aber immer sein, das Schutzniveau für die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erhalten und ein Gleichgewicht zwischen dem zu gewährleisten, was man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugesteht und dem, was man ihnen abverlangt. Hierbei handelt es sich um eine komplexe Aufgabenstellung, bei der der Gesetzgeber umsichtig vorgehen muss.

Die Ergebnisse der Vernehmlassung zu diesem Revisionsentwurf haben bestätigt: Wir sehen uns einerseits mit berechtigten Erwartungen der Wirtschaft, andererseits mit nachvollziehbaren Ängsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihre Gesundheit konfrontiert. Darüber hinaus ist die Vollzugstauglichkeit entscheidend, wenn man das Hauptziel der Arbeitsgesetzgebung betrachtet. Die Arbeitnehmerorganisationen wehren sich vehement gegen die Revision und verweisen auf gesundheitliche Risiken, und die meisten Kantone sind dagegen oder äussern deutliche Vorbehalte, weil sie aufgrund der Ungenauigkeit der verwendeten Definitionen grosse Vollzugsprobleme befürchten. Dabei handelt es sich um zwei Gruppen, die für die erfolgreiche Umsetzung einer Revision dieser Grössenordnung von entscheidender Bedeutung sind. Wenn bereits in diesem Stadium einerseits von Teilen der Sozialpartner und andererseits von den Kantonen solch deutliche Vorbehalte geäussert werden, sind die Erfolgschancen für eine Revision als sehr gering
einzuschätzen.

Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass das von der WAK-S eröffnete Vernehmlassungsverfahren nicht nur die vorliegende Revision, sondern auch einen damit verbundenen Gesetzesentwurf betraf, welcher auf der parlamentarischen Initiative Keller-Sutter (16.423) mit dem Titel «Ausnahme von der Arbeitszeiterfassung für leitende Angestellte und Fachspezialisten» beruht. Die Kommission hat aber entschieden, die Behandlung dieses Geschäfts zu aufzuschieben, um die Resultate einer vom SECO in Auftrag gegebenen Studie abzuwarten. Letztere untersucht die Umsetzung der mit der Revision vom 4. November 20152 eingeführten neuen Bestimmungen zur Arbeitszeiterfassung (Art. 73a und 73b) der Verordnung 1 vom 10. Mai 20003 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1). Obwohl diese beiden Entwürfe nicht das Gleiche zum Gegenstand haben, ist der Bundesrat der Meinung, dass es besser wäre, sich unter Berücksichtigung der Ergebnisse der obengenannten Studie gleich2 3

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zeitig zu beiden Geschäften äussern zu können. Aus diesem Grund empfiehlt er dem Parlament, die Behandlung dieser Revision aufzuschieben, bis die WAK-S sich zu dem damit in Zusammenhang stehenden Entwurf (16.423) äussern konnte und zu gegebenem Zeitpunkt die Meinung der Sozialpartner einzuholen.

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Antrag des Bundesrates

Angesichts der kontroversen Resultate des Vernehmlassungsverfahrens, insbesondere auf Stufe der Sozialpartner, empfiehlt der Bundesrat dem Parlament sich gleichzeitig zu beiden Geschäften äussern zu können. Aus dem gleichen Grund empfiehlt er dem Parlament, die Behandlung dieser Revision aufzuschieben, bis die WAK-S sich zu dem damit in Zusammenhang stehenden Entwurf (16.423) äussern konnte und zu gegebenem Zeitpunkt die Meinung der Sozialpartner einzuholen. Aus diesem Grund verzichtet der Bundesrat zum heutigen Zeitpunkt darauf, sich inhaltlich zu äussern.

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