Sistierung des Projekts «Bodengestützte Luft-Verteidigung (BODLUV) 2020» Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte vom 26. Januar 2017

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Das Wichtigste in Kürze Im Rahmen ihrer Inspektion zur Sistierung des Projekts Bodluv durch den Vorsteher des VBS haben die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) die Grundlagen des Sistierungsentscheids und die Angemessenheit des Entscheids an sich geprüft. Sie kommen dabei zum Schluss, dass der Sistierungsentscheid aufgrund der Faktenlage nicht zweckmässig war: Das Projekt war zu diesem Zeitpunkt auf Kurs und die Evaluation möglicher Systeme zur bodengestützten Luftabwehr stand kurz vor dem Abschluss. Von Anfang an war vorgesehen, dass der Vorsteher des VBS danach auf der Basis der Resultate der Evaluation über die Weiterführung des Projekts oder dessen Abbruch entscheiden muss. Gegenüber der GPK begründete der Vorsteher des VBS seinen Entscheid damit, dass er sich nicht angemessen über das Projekt informiert fühlte. Dies vermag den Entscheid aus Sicht der GPK aber nicht zu rechtfertigen, denn seinem Informationsbedürfnis hätte er mit anderen Massnahmen entsprechen können. Vor diesem Hintergrund beurteilen die GPK den Sistierungsentscheid als weder sachlich noch politisch nachvollziehbar.

Der Entscheid des Vorstehers des VBS vom 22. März 2016, das Projekt «Bodengestützte Luft-Verteidigung 2020, mittlere Reichweite (BODLUV 2020 MR)» ­ im Folgenden kurz Projekt Bodluv genannt ­ in der Evaluationsphase zu sistieren, warf in der Öffentlichkeit, in Fachkreisen und in den GPK der eidgenössischen Räte Fragen auf. Die GPK beauftragten daher eine Arbeitsgruppe aus ihrer Mitte, die Grundlagen des Sistierungsentscheids, die damit verbundenen Entscheidungsprozesse auf Stufe Departement und die Angemessenheit des Entscheids an sich zu prüfen. Damit grenzt sich die Untersuchung der GPK klar von der Administrativuntersuchung ab, welche der Vorsteher des VBS angeordnet hatte. Diese sollte klären, ob es im Projekt selber Defizite in den Strukturen, Abläufen und Kontrollen gegeben hatte; die Prüfung der Angemessenheit des Sistierungsentscheides an sich war hingegen nicht Bestandteil des Auftrages.

Im Rahmen ihrer Abklärungen hörte die Arbeitsgruppe Bodluv der GPK die verantwortlichen Personen an, insbesondere den Vorsteher des VBS, seine mit dem Projekt befassten Mitarbeitenden im Generalsekretariat VBS, den Chef der Armee, den Rüstungschef, die für das Projekt zuständigen Personen von Armee und armasuisse sowie
einen externen Berater des VBS. Daneben analysierte sie auch die relevanten Dokumente zum Projekt und ­ soweit nötig ­ zum Ablauf bei Rüstungsbeschaffungen.

Sachverhalt Beim Projekt Bodluv handelt es sich um ein Beschaffungsprojekt zur Erneuerung wichtiger Fliegerabwehr-Systeme der Schweizer Armee. Dieses befand sich zum Zeitpunkt der Sistierung in der Evaluationsphase, d.h. es wurden verschiedene mögliche Systeme getestet. Der Vorsteher des VBS hätte dann spätestens im September 2016 auf der Basis der dann vorliegenden Ergebnisse der Evaluation über die Weiterführung oder den Abbruch des Projekts entscheiden müssen. Die Abklärungen

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der Arbeitsgruppe zeigten, dass das Projekt Bodluv schon kurz nach Amtsantritt im Fokus des Vorstehers des VBS war. Dessen offene Fragen bzw. dessen Zweifel am Projekt wurden später durch einzelne kritische Medienberichte noch verstärkt, worauf er ohne Rücksprache mit den für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im Generalsekretariat und der Generalsekretärin und auch ohne Rücksprache mit den Projektverantwortlichen von Seiten Armee und armasuisse entschied, das Projekt zu sistieren. Die Abklärungen ergaben auch, dass das Projekt gemäss den geltenden Vorgaben geführt wurde und dass die Projektverantwortlichen des Generalsekretariats VBS laufend über den Projektfortschritt informiert waren.

Nicht nachvollziehbarer Sistierungsentscheid Der Vorsteher des VBS begründete den Sistierungsentscheid gegenüber den GPK vorwiegend damit, dass er sich von den Projektverantwortlichen nicht angemessen informiert fühlte und Bedenken in Bezug auf das Projekt hatte. Aus Sicht der GPK waren der Vorsteher des VBS und seine für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im Generalsekretariat zwar angemessen informiert. Die GPK stellten aber auch fest, dass der Vorsteher den erhaltenen Informationen nicht vollständig vertraute und diese als ungenügend erachtete. Diese Wahrnehmung lässt sich teilweise mit den konkreten Umständen erklären. Dazu gehören die Indiskretionen und die Tatsache, dass der Departementsvorsteher und wichtige Mitarbeitende ihre neuen Funktionen erst kurz davor angetreten hatten. Aus Sicht der GPK lässt sich rückblickend aber auch sagen, dass die Projektverantwortlichen den Departementsvorsteher zu wenig aktiv auf (potentielle) Probleme und Risiken hingewiesen haben.

Trotzdem ist für die GPK letztlich weder sachlich noch politisch nachvollziehbar, dass der Vorsteher des VBS aufgrund seiner Bedenken das Projekt in der Evaluationsphase sistierte, statt seine offenen Fragen klären zu lassen bzw. mit den Projektverantwortlichen Rücksprache zu halten.

Zeitpunkt und Konsequenzen der Sistierung Aus Sicht der GPK muss auch der Zeitpunkt des Entscheids als problematisch eingestuft werden. Es gab keine Fakten, keine wesentlichen Probleme im Projekt und insbesondere keine unkontrollierte Kostenentwicklung, welche einen sofortigen Entscheid erforderten. Denn das Projekt befand sich zum Zeitpunkt der Sistierung
in der Evaluationsphase und nicht in der Phase der Beschaffung, somit fielen auch noch keine Beschaffungskosten an.

Gesicherte Angaben zu den Kosten der evaluierten Systeme und deren Fähigkeiten bzw. Einschränkungen wären erst am Ende der Evaluationsphase vorgelegen. Auf dieser Basis hätte der Vorsteher des VBS spätestens im September 2016 über den Abbruch oder die Weiterführung des Projekts bzw. über eine allfällige Beschaffung entscheiden müssen ­ dies war ihm gemäss eigenen Angaben bewusst.

Letztlich führte die Sistierung des Projekts in der Evaluationsphase dazu, dass rund 20 Mio. Franken für die Beschaffungsvorbereitung ausgegeben wurden, ohne dass dafür nun definitive und vollständige Daten zu den getesteten Systemen vorliegen und dass weiterhin keine Transparenz bezüglich deren Kosten besteht.

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Schlussfolgerungen und Empfehlungen Aufgrund der erwähnten Befunde fordern die GPK den Bundesrat daher auf, dafür zu sorgen, dass die abgebrochene Evaluation rasch wieder aufgenommen und abgeschlossen wird, so dass die bisherigen Auslagen noch einen Nutzen bringen und möglichst bald fundierte Daten zu den evaluierten Systemen und allfälligen Beschaffungskosten vorliegen. Zudem wird der Bundesrat ersucht, in einem Bericht darzulegen, wie die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher bei Verfahrensentscheiden vorgehen sollen, um in Zukunft voreilige, kostspielige Entscheide zu vermeiden.

Den Vorsteher des VBS fordern die GPK auf, bei künftigen Führungsentscheiden die ihm unterstellten verantwortlichen Personen einzubeziehen und für eine sachliche Abstützung der Entscheide zu sorgen. Zugleich soll er mit geeigneten Massnahmen auch für die Schaffung einer offenen und aktiven internen sowie externen Kommunikationskultur sorgen.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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Einleitung

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Sachverhalt 2.1 Erläuterungen zum Projekt Bodluv und zum Ablauf bei Rüstungsbeschaffungen generell 2.1.1 Das Projekt Bodluv 2.1.2 Zusammenarbeit armasuisse ­ Thales Schweiz AG 2.1.3 Rüstungsablauf und Stand des Projekts Bodluv 2.2 Chronologie von Januar 2016 bis zur Projektsistierung und Vertragsauflösung 2.2.1 Amtsantritt bis Sistierungsentscheid 2.2.2 Sistierungsentscheid 2.2.3 Nach dem Sistierungsentscheid

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Bewertung 3.1 Angemessenheit der Informationsgrundlagen und Informationsflüsse 3.1.1 Untersuchungsfragen 3.1.2 Relevanter Sachverhalt 3.1.3 Bewertung 3.1.4 Fazit 3.2 Angemessenheit des Entscheids 3.2.1 Untersuchungsfragen 3.2.2 Relevanter Sachverhalt 3.2.3 Bewertung 3.2.4 Fazit

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Schlussfolgerungen und Empfehlungen 4.1 Wiederaufnahme der Evaluation im Projekt Bodluv 4.2 Einbezug der zuständigen Personen und Schaffung einer offenen internen Kommunikationskultur

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Weiteres Vorgehen

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Abkürzungsverzeichnis

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Verzeichnis der angehörten Personen

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Anhang: Tabelle zur Chronologie

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4

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Bericht 1

Einleitung

Am 22. März 2016 gab das VBS in einer Medienmitteilung bekannt, das Projekt «Bodengestützte Luft-Verteidigung 2020, mittlere Reichweite (BODLUV 2020 MR)» ­ im folgenden Projekt Bodluv genannt­ werde vorläufig sistiert. Beim sistierten Projekt handelt es sich um ein Beschaffungsprojekt zur Erneuerung zentraler Systeme der bisherigen Fliegerabwehrsysteme der Schweizer Armee. Die Erneuerung soll gemäss einem Bericht des Bundesrates vom 27. August 2014 eine bereits heute bestehende Sicherheits- bzw. Fähigkeitslücke schliessen. Demnach haben die bestehenden Systeme, die überdies alle bald ihr Nutzungsende erreichen, nur sehr kurze Reichweiten und können daher Ziele nur bis in eine Höhe von 3000 m über Grund bekämpfen ­ moderne Kampfflugzeuge setzen ihre Waffen aber aus grösseren Höhen und Distanzen ein.1 Das Projekt Bodluv bzw. der Beschaffungsprozess wurde nach verschiedenen Vorarbeiten im Jahr 2013 mit dem Ziel gestartet, die zu beschaffenden Systeme ins Rüstungsprogramm 2020 aufzunehmen (Projektauftrag an armasuisse). Nach der Ablehnung der Beschaffung eines neuen Kampfjets in der Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 beschloss der damalige Vorsteher des VBS, Bundesrat Ueli Maurer, das Projekt Bodluv zu beschleunigen und die Beschaffung für das Rüstungsprogramm 2017 vorzusehen.

Das Projekt Bodluv wurde gemäss den Vorgaben von «TUNE14» geführt, einer Rahmenvereinbarung zwischen der Armee und armasuisse, welche den Ablauf bei Rüstungsbeschaffungen definiert. Zum Zeitpunkt der Sistierung befand sich das Projekt in der Evaluationsphase; d.h. es wurden verschiedene mögliche Systemkomponenten ­ Lenkwaffen, Radar und Führungssysteme ­ getestet und beurteilt. Auf der Basis dieser Beurteilung hätte gemäss Projektplanung im Herbst 2016 ein System ausgewählt (Typenwahl und Beschaffungsreife) und mit dem Rüstungsprogramm 2017 zur Beschaffung vorgeschlagen werden sollen.

Der Vorsteher des VBS begründete den Sistierungsentscheid vom 22. März 2016 gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit insbesondere damit, dass zuerst eine vollständige Übersicht über die gesamte Luftverteidigung ­ also inklusive der Frage bezüglich der Evaluation und Beschaffung eines neuen Kampfflugzeugs ­ erarbeitet werden solle.2 Kurz vor dem Sistierungsentscheid und zum Zeitpunkt des Sistierungsentscheids wurde in einzelnen Medien aber auch kritisch über das Projekt berichtet und dabei teilweise aus vertraulichen Dokumenten des VBS zitiert.3

1 2 3

Konzept zur langfristigen Sicherung des Luftraums, Bericht des Bundesrates vom 27.8.2014 (S. 19).

Medienmitteilung des VBS vom 22.3.2016.

Vgl. insbesondere die Berichterstattung in der Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens vom 23.3.2016.

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Der Sistierungsentscheid wurde in der Öffentlichkeit und in Fachkreisen kontrovers diskutiert und warf auch in den Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) der eidgenössischen Räte Fragen auf. Diese beschlossen daher an ihrer gemeinsamen Sitzung vom 9. Mai 2016, eine Inspektion zur Sistierung des Projekts Bodluv einzuleiten und dafür eine Arbeitsgruppe einzusetzen.4 Am 19. Mai 2016 legten die GPK einstimmig das Mandat der Arbeitsgruppe fest und beauftragten diese, die Grundlagen des Sistierungsentscheids zu analysieren und zu prüfen, ob der damit verbundene Entscheidungsprozess auf Stufe Departement und der Entscheid an sich angemessen waren. Die Arbeitsgruppe hat sich nur insofern mit Fragen zum Projekt an sich bzw.

mit technischen Fragen und solchen zur Vorgeschichte des Projekts auseinandergesetzt, als diese vom Vorsteher des VBS im Zusammenhang mit seiner Begründung der Sistierung gegenüber der Arbeitsgruppe angeführt wurden. Auch das Projektmanagement wurde deshalb nur bezüglich der Informationsflüsse vom und an den Vorsteher des VBS näher analysiert. Die Untersuchung der GPK beschränkt sich daher auf die Zeitperiode zwischen dem Amtsantritt des neuen Departementsvorstehers Guy Parmelin am 1. Januar 2016 und dem Sistierungsentscheid vom 22. März 2016.

Aufgrund dieses Untersuchungszeitraums und aufgrund der Untersuchungsfragen grenzt sich die Untersuchung der GPK klar ab von der Administrativuntersuchung, welche vom Vorsteher des VBS nach der Sistierung angeordnet wurde.5 Der mit der Untersuchung beauftragte ehemalige Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle sollte klären, ob es im Projekt Bodluv Defizite in den Strukturen, Abläufen und Kontrollen gegeben hatte. Er beleuchtete dazu die Vorgeschichte des Projekts und beurteilte dessen Initialisierung, Organisation und Ablauf. Er befasste sich aber nur am Rand mit den Entscheidungsprozessen auf Stufe Departementsleitung, da es nicht seine Aufgabe war, die Grundlagen sowie die Begründung des Sistierungsentscheids zu prüfen.6 Neben der Untersuchung der GPK und der Administrativuntersuchung nahm die Militärjustiz im Frühling 2016 Ermittlungen bezüglich der Indiskretionen bzw.

Weitergabe vertraulicher Informationen zum Projekt Bodluv an die Medien auf.

Diese blieben allerdings ohne Ergebnis; das Verfahren wurde im November 2016 eingestellt.7

4

5 6 7

Diese setzt sich zusammen aus den Ständeräten Claude Janiak (Präsident), Alex Kuprecht und Damian Müller, den Nationalrätinnen Ida Glanzmann und Doris Fiala sowie Nationalrat Thomas de Courten. Die Arbeitsgruppe wurde aus Mitgliedern der beiden Subkommissionen EDA/VBS der GPK, welche für die Oberaufsicht über das VBS zuständig sind, besetzt. Gemäss den Weisungen der GPK über Massnahmen zum Geheimnisschutz vom 27.1.2012 können die GPK bei heiklen Inspektionen ein kleines Untersuchungsgremium einsetzen (5­7 Mitglieder bei möglichst angemessener Vertretung der Fraktionen).

Medienmitteilung des VBS vom 18.4.2016.

Bericht des Untersuchungsbeauftragten zuhanden des Vorstehers des VBS vom 21.9.2016, S. 5 und 9.

Medienmitteilung des VBS vom 11.11.2016.

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Die Arbeitsgruppe Bodluv der GPK traf sich zu acht Sitzungen. Dabei hörte sie diejenigen Personen an, welche Auskunft zu den Entscheidungsgrundlagen und -prozessen auf Stufe Departement geben konnten.8 Konkret waren dies der Vorsteher des VBS, seine mit dem Projekt befassten Mitarbeitenden im Generalsekretariat VBS (GS VBS)9, der Chef der Armee, der Rüstungschef, die für das Projekt zuständigen Personen von Armee und armasuisse sowie ein externer Berater des VBS, welcher das Projekt Bodluv für den früheren Vorsteher des VBS begleitet hatte und der zu Beginn der Amtszeit auch noch dem neuen Departementsvorsteher zur Verfügung stand.10 Zudem verlangte die Arbeitsgruppe auch eine schriftliche Auskunft vom früheren Vorsteher des VBS zur Übergabe der Departementsleitung an den jetzigen Vorsteher und allfällige Kontakte mit diesem nach der Übergabe. Daneben analysierte die Arbeitsgruppe die relevanten Dokumente zum Projekt11 und ­ soweit nötig ­ auch zu Rüstungsbeschaffungen im Allgemeinen. Auf der Basis dieser Informationen konnte sich die Arbeitsgruppe ein vollständiges Bild machen, aus weiteren Unterlagen und Anhörungen hätten sich keine neuen, relevanten Informationen ergeben.

Die Arbeitsgruppe liess sich ausserdem vom Beauftragten des VBS für die Administrativuntersuchung zu Bodluv dessen Erkenntnisse und Empfehlungen vorstellen.

Dabei wurde deutlich, dass sich die Darstellung des Sachverhalts im Bericht des Beauftragten in den wesentlichen Punkten mit der Darstellung in diesem Bericht (siehe Kap. 2.2) deckt, dies wurde auch durch die Rückmeldung des Beauftragten im Rahmen der Verwaltungskonsultation bestätigt. Der Bericht zur Administrativuntersuchung hielt zusammenfassend fest, dass die Initialisierung des Projekts, die Projektorganisation und der Projektablauf den Weisungen und Reglementen entsprach und dass auch ein angemessenes und wirksames Risikomanagement bestand.12 Der Beauftragte teilt zudem weitere wichtige Erkenntnisse des hier vorliegenden Berichts, insbesondere hinsichtlich des Informationsflusses von den Projektverantwort8

9

10

11 12

Aufgrund ihres Untersuchungsauftrags und aufgrund der Begründung der Sistierung durch den Vorsteher des VBS gegenüber der Arbeitsgruppe verzichtete diese bewusst darauf, auch Personen anzuhören, welche vertieft Auskunft zum Projekt an sich bzw. zu technischen Fragen geben konnten (wie z.B. Vertreter der Generalunternehmerin).

Die Arbeitsgruppe verzichtete darauf, den Mitarbeitenden anzuhören, der sich in einer internen Notiz an den Chef Projekte und Führungsunterstützung kritisch zum Projekt geäussert hatte (siehe Kap. 2.2.1), da letzterer der Arbeitsgruppe umfassend Auskunft geben konnte. Der Mitarbeitende wurde in gewissen Medien fälschlicherweise als Whistleblower bezeichnet, obwohl dieser die Notiz im Rahmen seiner regulären Tätigkeit und im üblichen Verfahren an den Chef Projekte und Führungsunterstützung, die Generalsekretärin und den Chef Kommunikation VBS gerichtet hatte. Ebenfalls nicht angehört wurde der neue militärische Berater des Vorstehers des VBS, Korpskommandant Dominique Andrey, da dieser seine Funktion erst am 1.4.2016 antrat und bis zum Sistierungsentscheid nicht involviert war.

Vgl. Verzeichnis der angehörten Personen im Anhang. Der Bericht des Untersuchungsbeauftragten des VBS zeigt, dass dieser im Rahmen seiner Untersuchung auf Stufe Generalsekretariat dieselben Personen anhörte. Zusätzlich befragte er noch die frühere Generalsekretärin des VBS sowie Personen, welche das Projekt Bodluv (Projektmanagement, technische Fragen u.a.) besser kannten ­ diese spielten für die Fragestellung der GPK aber keine Rolle.

U.a. Projektauftrag, Protokolle der Sitzungen der Projektaufsicht, interne E-Mails und Protokolle der sicherheitspolitischen Kommissionen.

Bericht des Untersuchungsbeauftragten zuhanden des Vorstehers des VBS vom 21.9.2016, S. 5­6.

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lichen zum Generalsekretariat VBS (siehe Kap. 3.1)13, der Bedeutung des Entscheids der Projektaufsicht vom 19. Januar 2016 (siehe Kap. 3.1)14 und der sachlichen Nachvollziehbarkeit des Sistierungsentscheids (siehe Kap. 3.2)15.

Die angehörten Personen erhielten nach der Anhörung jeweils die sie betreffenden Protokollauszüge zur Überprüfung zugestellt. Im Rahmen der Verwaltungskonsultation wurde ihnen zudem der Berichtsentwurf der Arbeitsgruppe bzw. die Kapitel zum Sachverhalt zur Stellungnahme zugestellt (Korrektur von formellen und materiellen Fehlern). Im Rahmen der Behandlung der Antworten der Verwaltungskonsultation am 28. November 2016 wurde der Vorsteher des VBS ein zweites Mal von der Arbeitsgruppe angehört. Damit sollte ihm die Möglichkeit geboten werden, seine schriftliche Konsultationsantwort gegenüber der Arbeitsgruppe persönlich zu erläutern bzw. zu begründen und die Arbeitsgruppe zugleich auch über die Massnahmen zu informieren, welche er aufgrund der Ergebnisse und Empfehlungen der Administrativuntersuchung eingeleitet hatte. Die Rückmeldungen aus der Verwaltungskonsultation und der Anhörung wurden anschliessend von der Arbeitsgruppe behandelt und der Bericht wo nötig angepasst.16 Basierend auf den Abklärungen der Arbeitsgruppe haben die GPK an ihrer Sitzung vom 26. Januar 2017 den Inspektionsbericht zur Sistierung des Projekts Bodluv zuhanden des Bundesrates verabschiedet und entschieden, diesen zu veröffentlichen.

Zum folgenden Bericht bzw. zu den darin enthaltenen Bewertungen und Schlussfolgerungen ist festzuhalten, dass sich diese ­ gemäss dem oben geschilderten Auftrag ­ ausschliesslich auf den Entscheid des Vorstehers des VBS beziehen, das Projekt Bodluv während der Evaluationsphase (siehe dazu auch Kap. 2.1.3) zu sistieren.

Dies bedeutet umgekehrt, dass sich die GPK weder zum Projekt Bodluv an sich noch zur Frage der konkreten Beschaffung von Systemen zur Bodenluftabwehr äussern.

Der Bericht ist wie folgt aufgebaut: Das Kapitel 2 zum Sachverhalt schildert die wesentlichen Fakten zum Projekt Bodluv (Kapitel 2.1) und die Chronologie vom Zeitpunkt des Amtsantritts des neuen Departementsvorstehers am 1. Januar 2016 bis zum Sistierungsentscheid am 22. März 2016 und den damit verbundenen Folgeentscheidungen (Kap. 2.2)17. Das Kapitel 3 widmet sich der Bewertung und der Beantwortung
der Hauptfragen der Inspektion (Bewertung der Informationsgrundlagen und Entscheidungsprozesse, Bewertung der Angemessenheit des Sistierungsentscheids an sich). Das abschliessende Kapitel 4 enthält die wesentlichen Folgerungen.

13 14 15 16

17

Bericht des Untersuchungsbeauftragten zuhanden des Vorstehers des VBS vom 21.9.2016, S. 7, 68­70.

Bericht des Untersuchungsbeauftragten zuhanden des Vorstehers des VBS vom 21.9.2016, S. 6 und S. 59.

Protokoll der Anhörung des Untersuchungsbeauftragten vom 26.9.2016, S. 8­10, Schreiben des Untersuchungsbeauftragten an die Arbeitsgruppe vom 10.10.2016.

Im Rahmen der Konsultation haben alle zehn angehörten Personen Stellung genommen.

Die Rückmeldungen wurden berücksichtigt, sofern sie für den Sachverhalt relevant waren.

Vgl. auch die Übersichtstabelle im Anhang.

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2

Sachverhalt

2.1

Erläuterungen zum Projekt Bodluv und zum Ablauf bei Rüstungsbeschaffungen generell

2.1.1

Das Projekt Bodluv

Beim Projekt «Bodengestützte Luft-Verteidigung 2020» handelt es sich um einen Beschaffungsprozess zur Erneuerung der bisherigen Fliegerabwehrsysteme der Schweizer Armee. Diese Systeme sollen wichtige Objekte und Infrastrukturen sowie Bevölkerung und Armee vor Angriffen aus der Luft schützen. Das Projekt Bodluv umfasst grundsätzlich drei Teilprojekte.18 Der Sistierungsentscheid betraf das «Teilprojekt Bodluv 2020 ­ mittlere Reichweite», welches im folgenden Bericht der Einfachheit halber nur noch als Projekt Bodluv bezeichnet wird.

Das Projekt umfasste selber wiederum drei Teilkomponenten: 1) Den sogenannten «Effektor», d.h. den Flugkörper bzw. die eigentliche Lenkwaffe, 2) den Radar bzw.

die Sensoren sowie 3) das Führungssystem, welches benötigt wird, um Waffe, Radar und die Einsatzzentrale der Luftwaffe miteinander zu verbinden. Es war vorgesehen, die Komponenten nacheinander bzw. schrittweise zu evaluieren. Zum Zeitpunkt der Sistierung des Projekts Bodluv war die Evaluation der Effektoren abgeschlossen und es liefen die Sensor-Tests.19 Die Erneuerung der bisherigen Fliegerabwehrsysteme war ursprünglich für das Rüstungsprogramm 2020 vorgesehen. Erste Vorabklärungen fanden bereits in den Jahren 2007, 2010 sowie 2011 statt; im Jahr 2013 wurde dann der definitive Projektauftrag formuliert. Nach der Ablehnung der Beschaffung eines neuen Kampfjets in der Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 beauftragte der damalige Vorsteher des VBS, Bundesrat Ueli Maurer, die armasuisse am 18. August 2014, das Projekt um zwei Jahre vorzuziehen. Um diese Beschleunigung trotz der beschränkten Ressourcen von armasuisse zu ermöglichen, sollte diese eine Schweizer Firma als Generalunternehmerin beiziehen.

18

19

1) Mit dem Teilprojekt «Mittelkaliber Fliegerabwehrsystem ­ Nutzungsverlängerung» sollte die Nutzungsdauer des bisherigen Fliegerabwehrsystems für den Objektschutz (kurze Distanz) um zehn Jahre verlängert werden. Diese war unbestritten und die dafür notwendigen Mittel im Umfang von 100 Mio. Franken wurden bereits mit dem Zusatzrüstungsprogramm 2015 genehmigt. 2) Das Teilprojekt «Bodluv 2020 ­ mittlere Reichweite», das von Bundesrat Parmelin sistiert wurde, sollte eine vom Bundesrat identifizierte Fähigkeitslücke im Raumschutz schliessen und es möglich machen, anfliegende Ziele auf eine Distanz von bis zu 40 km vom Boden aus zu bekämpfen. Dafür waren in der Rüstungsplanung 700 Mio. Franken eingestellt. 3) Das Teilprojekt «Bodluv 2020 ­ kurze Reichweite» diente wie das erste Teilprojekt dem Objektschutz, d.h. dem Schutz strategisch wichtiger Elemente ziviler und militärischer Art. Dieses Teilprojekt wurde noch gar nicht begonnen, da es zeitlich zurückgestellt worden war. Um trotz dieser Zurückstellung ein System für den Objektschutz zu haben, wurde die unter Teilprojekt 1 genannte Nutzungsverlängerung des heutigen Systems nötig.

Protokoll (unveröffentlicht) der Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom 19.1.2016.

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2.1.2

Zusammenarbeit armasuisse ­ Thales Schweiz AG

Nach einem Einladungsverfahren wurde die Firma Thales Schweiz AG (im Folgenden Thales genannt) am 25. August 2015 als Generalunternehmerin gewählt und mit der Beschaffungsvorbereitung beauftragt ­ d.h. Thales sollte zusammen mit armasuisse die verschiedenen Systeme evaluieren und prüfen. Der entsprechende Vertrag zwischen der armasuisse und Thales wurde am 3. September 2015 unterzeichnet. Er definiert den Auftrag von Thales und legt die Entschädigung fest (Entschädigung für die Beschaffungsvorbereitung bzw. die vereinbarten Leistungen, ohne Entschädigung für allfällige Zusatzoptionen).

Das Mandat von Thales ­ und somit auch das Vertragsverhältnis ­ wären mit einem Vorschlag für die Typenwahl im Juni 2016 sowie der Einreichung eines Optionsvertrags für die eigentliche Beschaffung im September 2016 beendet gewesen. Die Einlösung dieser Option ­ d.h. der Abschluss eines Vertrags für die eigentliche Beschaffung ­ wäre dann abhängig gewesen vom Beschluss des Vorstehers des VBS, die Beschaffung ins Rüstungsprogramm 2017 aufzunehmen, und danach von der Bewilligung des Rüstungsprogramms durch das Parlament.

Einige Wochen nach dem Sistierungsentscheid, am 29. April 2016, kündigte das VBS den Vertrag mit der Firma Thales. Dieser Schritt wurde nötig, weil im Vertrag eine Sistierung (im Sinne einer Unterbrechung) nicht vorgesehen war und für unkontrollierbare Folgekosten hätte sorgen können (u.a. Personalkosten der Generalunternehmerin, welche für das Projekt mehrere Dutzend Personen angestellt hatte). Der Abbruch des Projekts war dagegen im Vertrag geregelt und dessen Konsequenzen waren klar. Der Vertrag hielt nämlich fest, dass Thales bei einem Rücktritt vom Vertrag durch die Auftraggeberin nach dem 31. Dezember 2015 Anspruch auf eine Entschädigung für durchgeführte Leistungen sowie eine angemessene Gewinnmarge hat20, somit konnte die Firma die erbrachten Leistungen (Entschädigung für die Beschaffungsvorbereitung sowie später vereinbarte, kleinere Zusatzaufträge) inkl.

Gewinnmarge in Rechnung stellen.

Die an Thales überwiesene Summe entspricht dabei letztlich in etwa der im ursprünglichen Vertrag vereinbarten Entschädigung ­ ohne dass dafür aber alle vertraglich vereinbarten Leistungen erbracht wurden und die Evaluation abgeschlossen wurde. Gemäss Auskunft des VBS verursachte die Sistierung des Projektes insgesamt Kosten im Rahmen von 20 Millionen Franken (Entschädigung Thales und interne Aufwände, u.a. Lohnkosten).21 20

21

Das Rücktrittsrecht der Auftraggeberin war im Artikel 21 des Vertrags geregelt. Dort war festgehalten, dass diese bis Ende 2015 vom Beschaffungsvorbereitungsvertrag zurücktreten kann und der Auftragnehmerin in diesem Fall im Maximum etwas mehr als die Hälfte der vertraglich vereinbarten Entschädigung schulden würde. Bei einem späteren Rücktritt hatte die Auftragnehmerin Anspruch auf eine Entschädigung für durchgeführte Leistungen sowie eine angemessene Gewinnmarge.

Diese Zahl hat das VBS auf seiner Internetseite publiziert (VBS > Aktuell > Fragen sowie Richtig- und Klarstellungen, Stand am 22.11.2016). Gegen Ende der Inspektion hat das VBS auf seiner Internetseite weitere bzw. neue Informationen zum Projekt Bodluv aufgeschaltet. Der vorliegende Bericht konzentriert sich aber auf die im Rahmen der Anhörungen und Abklärungen durch die Arbeitsgruppe erhaltenen Informationen und stützt sich nicht auf Informationen, die nachträglich zu den Anhörungen auf der Internetseite des VBS publiziert wurden.

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Zusammenfassend lässt sich daher sagen: Der Vertrag mit Thales für die Beschaffungsvorbereitung bzw. Evaluation wäre im September 2016 ohne Konsequenzen und weitere Kostenfolgen ausgelaufen. Für eine allfällige Beschaffung hätte bei Bedarf ein Folgevertrag abgeschlossen werden müssen. Der Sistierungsentscheid führte dazu, dass der Vertrag gekündigt und die laufende Evaluation abgebrochen werden musste. Damit wird das Gesamtprojekt bzw. die Erreichung der übergeordneten Zielsetzung ­ d.h. des Aufbaus einer modernen bodengestützten Luftabwehr mittlerer Reichweite ­ verzögert bzw. vorläufig ausgesetzt.

2.1.3

Rüstungsablauf und Stand des Projekts Bodluv

Die wesentlichen rechtlichen Grundlagen für die Beschaffung von Armeematerial finden sich in den Artikeln 6­11 der Armeematerialverordnung.22 Das konkrete Vorgehen bei einer Rüstungsbeschaffung ist in «TUNE14» geregelt. TUNE14 ist eine Rahmenvereinbarung, welche die Zusammenarbeit zwischen der Armee und armasuisse bei Beschaffungsvorhaben regelt und sich dabei u.a. an die Projektmanagement-Methodik HERMES anlehnt. In TUNE14 werden die einzelnen Prozessschritte und Meilensteine genau definiert und beschrieben, sowohl bezüglich den Verantwortlichkeiten als auch bezüglich der zu erbringenden Leistungen. Auftraggeber für die Beschaffung von konkreten Rüstungsgütern ist jeweils der Bereich Verteidigung des VBS. Armasuisse ist als Bundesamt für Rüstung die Beschaffungsbehörde und damit Auftragnehmerin und Bindeglied zur Industrie.

Das Projekt Bodluv wurde gemäss TUNE14 abgewickelt und entsprechend den Vorgaben durch eine Projektaufsicht unter dem Vorsitz von Korpskommandant Aldo C. Schellenberg, dem Kommandanten der Luftwaffe, geführt. In der Projektaufsicht nahmen ausserdem vier Vertreter der Luftwaffe, drei Vertreter der Armeeplanung, drei Vertreter von armasuisse (darunter der Projektleiter Bodluv), sowie je ein Vertreter des Führungsstabs der Armee, des Heeres, der Führungsunterstützungsbasis sowie der Logistikbasis Einsitz (15 Personen). Die Projektaufsicht ist gemäss TUNE14 zuständig für die Steuerung des Projekts und die Projektkoordination auf Gesamtleitungsstufe der vertretenen Organisationen und trägt auch die Ergebnisverantwortung.

In TUNE14 sind auch die verschiedenen Phasen und Meilensteine einer Rüstungsbeschaffung (Rüstungsablauf, RABL) definiert. Da es sich beim Projekt Bodluv um ein komplexes Projekt handelte, gab es eine Vorevaluation. Diese dient der Erarbeitung von Lösungsvarianten und der Abklärung der Machbarkeit. Die Phase der Vorevaluation wird mit dem Meilenstein 25 abgeschlossen. Dessen Erreichung bedeutet, dass die Anforderungen an das zu beschaffende System nun hinreichend klar sind, um die eigentliche Evaluation und allenfalls danach die Ausschreibung der Beschaffung durchführen zu können. Das Projekt Bodluv hatte den Meilenstein 25 am 5. Dezember 2014 erreicht.

22

Verordnung des VBS über das Armeematerial (VAMAT) vom 6.12.2007, SR 514.20.

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Abbildung 1 Phasengliederung und Meilensteine bei Rüstungsbeschaffungen

Quelle: TUNE14 vom 1.12.2013, eigene Darstellung Erläuterungen: MS = Meilenstein / MS10: Projektinitialisierung freigegeben; MS20: Projektauftrag erteilt; MS25: Variantenbewertung und -reduktion; MS30: Konzeption erstellt und Freigabe für Realisierung erteilt; MS40: Realisierung abgeschlossen und Freigabe für die Einführung erteilt; MS50: Projekt abgeschlossen; MS60: Lebensweg-Ende erreicht.

Zum Zeitpunkt der Sistierung befand sich das Projekt demnach in der Evaluationsphase. Gemäss TUNE14 erfolgt in dieser Phase die technische, logistische und kommerzielle Beurteilung der Systeme. Diese bildet dann in Kombination mit der Truppentauglichkeit die Grundlage für die Typenwahl und führt damit zur Beschaffungsreife. Die Verantwortlichkeit während dieser Phase liegt bei der armasuisse (Projektleiter und Rüstungschef). Am Ende der Evaluationsphase werden der Chef der Armee und der Vorsteher des VBS involviert: Nach Abschluss der Evaluationsphase trifft der Rüstungschef in Absprache mit dem Chef der Armee die Typenwahl und erklärt die Beschaffungsreife. Abschliessend entscheidet der Departementsvorsteher, ob das beantragte System beschafft und dazu ins Rüstungsprogramm aufgenommen werden soll.

Die Evaluationsphase im Projekt Bodluv wäre gemäss der zum Zeitpunkt der Sistierung geltenden Planung im September 2016 abgeschlossen gewesen (Erreichung von Meilenstein 30). Zu diesem Zeitpunkt hätte die Projektaufsicht dem Rüstungschef den Beschaffungsantrag (Typenwahl und Kosten) gestellt und im weiteren Verfahren hätte dann der Vorsteher des VBS entschieden, ob er diesen gutheissen und die Beschaffung ins Rüstungsprogramm 2017 aufnehmen will.

Die genauen Kosten für die Beschaffung hätten erst am Ende der Evaluationsphase bzw. im Beschaffungsantrag beziffert werden können, da man erst in dieser Phase verbindliche Offerten der Hersteller einholen kann. Da die Evaluationsphase beim Projekt Bodluv nicht abgeschlossen wurde, liegen heute keine definitiven Zahlen vor. Die Projektverantwortlichen bzw. das VBS rechnete zuletzt mit ca. 700 Mio. bis

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1.1 Mia. Franken, abhängig von der Anzahl der zu beschaffenden Systeme bzw. der Anzahl der Räume, die geschützt werden sollen.23

2.2

Chronologie von Januar 2016 bis zur Projektsistierung und Vertragsauflösung

Die folgende Chronologie der Ereignisse basiert auf den ausgewerteten Unterlagen und den Aussagen der durch die Arbeitsgruppe Bodluv angehörten Personen, insbesondere auf der Schilderung des Vorstehers des VBS und der für ihn wesentlichen Ereignisse. Eine zusammenfassende Übersicht der Chronologie in Tabellenform findet sich im Anhang.

2.2.1

Amtsantritt bis Sistierungsentscheid

Gemäss eigenen Aussagen fordert der Vorsteher des VBS direkt nach seinem Amtsantritt im Januar 2016 eine Übersicht über die 31 «Top-Projekte» des VBS. Er beschliesst, sich einige Projekte vertiefter vorstellen zu lassen (siehe unten, 19.1.2016).

Schon kurz nach seinem Amtsantritt ist der neue Departementsvorsteher auch mit starker Kritik am Rüstungsprogramm 2015+ und konkret am Projekt «Werterhaltung Duro» konfrontiert. Diese Problematik hat den Vorsteher des VBS in den folgenden Wochen und insbesondere während der Frühlingssession vom 29. Februar bis zum 18. März 2016 gemäss eigenen Aussagen stark absorbiert. In Zusammenhang mit diesen Geschäften kontaktierte der neue Departementsvorsteher des VBS auch seinen Vorgänger, um von diesem Auskünfte zu erhalten. Bezüglich des Projekts Bodluv gab es hingegen zu keiner Zeit eine Kontaktaufnahme. 24

23

24

Im Projektauftrag vom 12.12.2014 (Meilenstein 20) wird mit rund 700 Mio. Franken gerechnet. In einem Factsheet zum Projekt vom 21.1.2016 zuhanden des Vorstehers des VBS ist von 820 Mio. Franken die Rede. In der Armeebotschaft 2016 vom 24.2.2016 sind die Kosten für die Erneuerung der Boden-Luft-Verteidigung mittlerer Reichweite mit 700 Mio. Franken (für einen ersten Schritt) bis 1.1. Mia. Franken (Gesamtbeschaffung) beziffert. Der Untersuchungsbeauftragte des VBS hat im Rahmen seiner Administrativuntersuchung keine Anhaltspunkte für die in den Medien erwähnten Zahlen in der Grössenordnung von 2.5­3.0 Mia. Franken gefunden. Der Vorsteher des VBS verweist in seiner Stellungnahme vom 14.11.2016 im Rahmen der Verwaltungskonsultation auf den Bericht der Administrativ-untersuchung, in dem von Kostenschätzungen zwischen 500 Mio. und 1.7 Mia. verwiesen werde. In diesem Bericht ist aber auch übersichtlich und detailliert dargelegt, dass es sich dabei um ältere Zahlen aus den Jahren 2013 und 2014 handelt, die im Projektverlauf angepasst wurden (siehe S. 60­63 des Berichts der Administrativuntersuchung).

Schreiben des Vorstehers des EFD an die Arbeitsgruppe vom 23.12.2016; Schreiben des Vorstehers des VBS an die Arbeitsgruppe vom 12.1.2017. Der Vorsteher des VBS gab an, dass er von seinem Vorgänger im Rahmen der Übergabe der Departementsleitung eine A4-Seite mit einer Liste der grossen aktuellen Geschäfte erhalten habe und dass Bodluv nicht auf dieser Liste figuriert habe.

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Am 18. Januar 2016 teilt der Vorsteher des VBS dem Chef der Armee und den Amtsdirektoren im VBS um 21.17 Uhr per E-Mail mit, dass ohne Absprache mit ihm keine neuen Projekte gestartet und in laufenden Projekten keine grundsätzlichen Entscheide getroffen werden dürfen. Die Anhörungen der Arbeitsgruppe Bodluv haben gezeigt, dass der Vorsteher des VBS schon beim Erlass dieser Weisung insbesondere auf das Projekt Bodluv zielte, da er erfahren hatte, dass in diesem Projekt kurz darauf wichtige Entscheide anstehen sollten. Die Arbeitsgruppe konnte nicht abschliessend klären, wie bzw. von wem der Vorsteher des VBS diesen Hinweis erhalten hatte. Dieser gab gegenüber der Arbeitsgruppe an, der Chef Kommunikation VBS habe am 18. Januar 2016 erfahren, dass im Projekt Bodluv am Folgetag ein wichtiger Entscheid fallen solle.25 Der Chef Kommunikation VBS wiederum teilte der Arbeitsgruppe mit, dass er durch einen Beitrag auf der Website der Gruppe Giardino26 auf den anstehenden Entscheid aufmerksam wurde.27 Der externe Berater des VBS führte vor der Arbeitsgruppe aus, dass der Vorsteher des VBS Hinweise auf einen anstehenden Entscheid im Projekt Bodluv hatte, deren Informationsquelle ihm gegenüber aber nicht offenlegte.28 Der Vorsteher des VBS formuliert die Weisung zusammen mit dem Chef Kommunikation VBS, und einem externen Berater, der unter dem früheren VBS-Vorsteher für die Begleitung der Top-Projekte im VBS zuständig war und dem neuen Vorsteher des VBS noch bis im März 2016 zur Verfügung stand.29 Auf Anweisung des Departementsvorstehers informiert der externe Berater den Vorsitzenden der Projektaufsicht Bodluv und Kommandanten der Luftwaffe anschliessend und noch vor der Sitzung der Projektaufsicht vom Nachmittag des 19. Januar 2016 telefonisch über diese Weisung.30 Im Telefongespräch wird erörtert, welche Konsequenzen die Weisung für das Projekt Bodluv hat. Der Vorsitzende der Projektaufsicht weist darauf hin, dass an der Sitzung der Projektaufsicht vom Nachmittag des 19. Januar 2016 die Resultate der Evaluation der Effektoren (Lenkwaffen) präsentiert werden und die Projektaufsicht danach wahrscheinlich entscheide, die beiden getesteten Lenkwaffen weiterhin «im Rennen zu belassen», d.h. keinen der beiden Anbieter 25 26

27

28 29 30

Schreiben des Vorstehers des VBS an die Arbeitsgruppe vom 20.9.2016.

Die Gruppe Giardino ist Verein, der sich gemäss Statuten u.a. dem Zweck verschrieben hat, die Zerstörung der Milizarmee zu verhindern, die Glaubwürdigkeit der Landesverteidigung wieder herzustellen und die Konzeption der bewaffneten Neutralität um- und durchzusetzen.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 4, 16). Eine aktuelle Recherche auf dieser Website führte zu keinem vom 18.1.2016 datierten Beitrag; der Entscheid ist aber in einem Beitrag vom 19.1.2016 erwähnt (http://gruppe-giardino.ch/?p=10209). Der Chef Kommunikation VBS bestätigte in seiner Rückmeldung im Rahmen der Verwaltungskonsultation, dass er den Beitrag am 18.1.2016 gesehen habe, und vermutet, dieser sei anschliessend gelöscht bzw. aktualisiert worden, um von der frühzeitigen Indiskretion abzulenken.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 (S. 9).

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 (S. 4­5) sowie der Generalsekretärin VBS vom 25.8.2016 (S. 4­5).

Der Vorsitzende der Projektaufsicht hat gegenüber der Arbeitsgruppe angegeben, dass das Telefongespräch am 18.1.2016 geführt wurde (unveröffentlichtes Protokoll der Anhörung des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016, S. 6), der externe Experte war dagegen der Meinung, es habe am Vormittag des 19.1.2016 stattgefunden (Rückmeldung des externen Experten vom 26.10.2016 im Rahmen der Verwaltungskonsultation).

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auszuschliessen (Variante «Zwilling»). Gemeinsam kommen sie zur Einschätzung, dass mit der Wahl dieser Variante ­ d.h. keinen Anbieter auszuschliessen und beide Systeme weiter zu prüfen ­ kein grundsätzlicher Entscheid im Sinne der Weisung des Vorstehers des VBS gefällt werde; diese Meinung vertreten sie auch noch heute.31 Der externe Berater informiert zusätzlich auch den Rüstungschef sowie den an der Sitzung der Projektaufsicht teilnehmenden Vertreter des GS VBS über die Weisung und erläutert, dass im Projekt Bodluv keine Grundsatzentscheide getroffen werden dürfen. Nach diesen Telefonaten meldet er dem Vorsteher des VBS, dass er mit dem Rüstungschef und dem Vorsitzenden der Projektaufsicht gesprochen und die nötigen Vorkehrungen getroffen habe, damit keine grundsätzlichen Entscheide getroffen würden.32 An der Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom Nachmittag des 19. Januar 201633 präsentiert das Projektteam die Ergebnisse der Evaluation der Effektoren und beantragt, die zwei Lenkwaffensysteme (IRIS-T SL und CAMM-ER) im Hinblick auf eine gestaffelte Beschaffung weiter zu verfolgen (Variante «Zwilling»). Die Präsentation des Projektteams und die Diskussion in der Projektaufsicht zeigen, dass die beiden evaluierten Systeme die Anforderungen einzeln nicht vollständig zu erfüllen vermögen, insbesondere die Anforderungen bezüglich Allwettertauglichkeit bei der IRIS-T SL und bezüglich Reichweite bei der CAMM-ER. Das Projektteam hält letztlich aber fest, dass die Anforderungen mit einer Kombination der beiden Lenkwaffensysteme genügend erfüllt sind. Die Projektaufsicht heisst nach einer kritischen Diskussion bzw. trotz einzelnen kritischen Stimmen den Antrag des Projektteams gut. Der Vorsitzende der Projektaufsicht verweist in diesem Zusammenhang auf die Weisung des Vorstehers des VBS und hält fest, dass der Entscheid die bevorzugte Variante aufzeigt, «wie sie der Kommandant Luftwaffe mit dem Chef VBS besprechen wird».34 An der Sitzung der Projektaufsicht nimmt auch ein Vertreter der Einheit Projekte und Führungsunterstützung des GS VBS teil. Dieser informiert seinen Vorgesetzten sowie den externen Experten per E-Mail über die Sitzung und hält dabei fest: «Der 31 32

33

34

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 6­7) und des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 (S. 5, 9).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 (S. 5); Rückmeldung des externen Beraters vom 26.10.2016 im Rahmen der Verwaltungskonsultation.

Die Sitzung der Projektaufsicht vom 19.1.2016 wurde vom Vorsitzenden der Projektaufsicht ausserordentlich einberufen, nachdem er vom Projektleiter erfahren hatte, dass sich das Projektteam an diesem Tag mit der Empfehlung für die Effektorenauswahl befassen würde und sich dabei nicht für ein Einzelsystem aussprechen könne. Da dem Vorsitzenden der Projektaufsicht gemäss eigenen Angaben bewusst war, dass dies in der Projektaufsicht für kontroverse Diskussionen sorgen würde, lud er zur Sitzung der Projektaufsicht auch die Mitglieder der Projektteams als Beobachter ein, damit diese bei bestimmten Fragestellungen als Experten zur Verfügung stehen und zugleich auch die Diskussion in der Projektaufsicht verfolgen konnten. Vor der Sitzung der Projektaufsicht informierte der Vorsitzende der Projektaufsicht den Projektleiter und den Kompetenzbereichsleiter über die Weisung des Vorstehers des VBS vom 18.1.2017, was dazu führte, dass die Sitzung der Projektaufsicht mit etwas Verspätung begann (Protokoll (unveröffentlicht) der Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom 19.1.2016 (S. 2); Protokoll unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 5, 9).

Protokoll (unveröffentlicht) der Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom 19.1.2016 (S. 6).

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Auflage des C VBS (Chef bzw. Vorsteher des VBS), keine präjudizierende Grundsatzentscheide zu treffen, wurde Rechnung getragen». 35 Diese Einschätzung wird auch von den anderen angehörten Personen, die mit dem Projekt vertraut waren, geteilt (Vorsitzender der Projektaufsicht, Chef der Armee, Rüstungschef, Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS, externer Berater VBS).36 Der Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS 37 sowie sein Mitarbeitender erhalten später auch das schriftliche Protokoll der Sitzung. Weder sie noch der externe Berater erkennen aufgrund der Information über die Sitzung Handlungsbedarf, zumal zu diesem Zeitpunkt bereits klar ist, dass das Projekt Bodluv dem Departementsvorsteher am 2. Februar 2016 vom Vorsitzenden der Projektaufsicht und dem Projektleiter vorgestellt wird.

An einer Besprechung vom 19. Januar 2016 informiert der Chef Projekte und Führungsunterstützung den Vorsteher des VBS auf der Basis einer schon vorgängig eingereichten Liste über die wichtigsten Projekte im VBS und schlägt ihm vor, sich elf dieser 31 «Top-Projekte» ­ darunter auch das Projekt Bodluv ­ durch den Projektausschuss und die jeweiligen Projektleiter persönlich vorstellen zu lassen. Der Vorsteher des VBS ist damit einverstanden.

Am 2. Februar 2016 präsentieren der Vorsitzende der Projektaufsicht und der Projektleiter dem Departementsvorsteher während ca. 90 Minuten das Projekt Bodluv.

An der Präsentation sind neben den erwähnten drei Personen auch der Rüstungschef, der Chef Kommunikation VBS und der Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS anwesend. Im Rahmen der Präsentation informieren der Vorsitzende der Projektaufsicht und der Projektleiter grundsätzlich über die bodengestützte Luftverteidigung und deren Entwicklung, über das Anforderungsprofil des neuen Systems und über den Stand des Projekts sowie den weiteren Ablauf, d.h. über die kommenden Meilensteine und die Staffelung der Beschaffung (Rüstungsprogramme 2017 und 2020).

In Bezug auf die Information zum Entscheid vom 19. Januar 2016, die Variante «Zwilling» weiterzuverfolgen, gehen die Aussagen gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv auseinander: Die Projektverantwortlichen, der Rüstungschef sowie der Chef Projekte und Führungsunterstützung geben an, dass an der Präsentation über den

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E-Mail vom 20.1.2016 des Mitarbeitenden der Einheit Projekte und Führungsunterstützung GS VBS an den Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS, den Chef Planung und Controlling GS VBS, mit Kopie an den externen Berater VBS.

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 6­7), des Chefs der Armee vom 6.7.2016 (S. 6), des Rüstungschefs vom 25.8.2016 (S. 5), des Chefs Projekte und Führungsunterstützung GS VBS vom 31.8.2016 (S. 8) und des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 (S. 5).

Der Chef Projekte und Führungsunterstützung soll dem Vorsteher des VBS helfen, sich besser über den Zustand der einzelnen Projekte informieren zu können, indem er diese für das Generalsekretariat begleitet. Die Entscheide im Projekt werden von der jeweiligen Projektaufsicht getroffen, der Chef Projekte und Führungsunterstützung bzw. seine Mitarbeitenden nehmen aber an den Sitzungen der Projektaufsicht teil und erhalten auch die entsprechenden Protokolle. Die Stelle wurde im Januar 2016 neu geschaffen (Protokoll [unveröffentlicht] der Anhörung des Chefs Projekte und Führungsunterstützung GS VBS vom 31.8.2016 [S. 3­4]).

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Entscheid der Projektaufsicht vom 19. Januar 2016 informiert wurde. 38 Der Vorsteher des VBS ist hingegen der Meinung, dass er im Rahmen der Präsentation nicht über diesen Entscheid informiert wurde.39 Der Chef Kommunikation gibt an, dass die Verantwortlichen zwar informiert hätten, dass die Variante «Zwilling» weiterverfolgt werde, dass sie aber nicht erwähnt hätten, dass dieser Entscheid am 19. Januar 2016 gefallen sei.40 Auf einem Plakat41, welches die Projektverantwortlichen gemäss ihren Angaben im Rahmen ihrer Präsentation verwendeten, ist der Entscheid aber mit Datum vermerkt, wenn auch nicht prominent hervorgehoben. 42 Inwiefern im Rahmen der Vorstellung auch über Probleme und Risiken sowie über die Leistungseinschränkungen der beiden Systeme (Allwettertauglichkeit und Reichweite) diskutiert wurde, ist nicht klar. Der Vorsitzende der Projektaufsicht hat gegenüber der Arbeitsgruppe angegeben, er habe im Rahmen der Präsentation die beiden Systeme und deren Eigenschaften vorgestellt; der Chef Kommunikation VBS hielt in seiner Anhörung aber fest, dass zumindest die Allwettertauglichkeit kein Thema gewesen sei.43 Der Vorsteher des VBS hat gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv dargelegt, dass er im Rahmen der Präsentation seine Bedenken und Zweifel zum Ausdruck gebracht und sich erkundigt habe, bis wann das Projekt noch gestoppt werden könne.

Die Projektverantwortlichen gaben gegenüber der Arbeitsgruppe an, dass sie nach der Präsentation keine Hinweise darauf hatten, dass der Vorsteher des VBS mit der Information bzw. den Antworten auf seine im Rahmen der Präsentation geäusserten Fragen und Bedenken letztlich nicht zufrieden war. Auch der Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS bezeichnete die Präsentation in einer E-Mail an die Projektverantwortlichen als «gelungen». 44 Am 14. Februar 2016 erscheint in der Zeitung «Zentralschweiz am Sonntag» ein kritischer Artikel zum Projekt Bodluv. In diesem steht, dass die zuständigen Stellen «in diesen Tagen» entscheiden würden, welche Lenkwaffe beschafft werden soll und dass die beiden Waffen, die noch im Rennen seien, die ursprünglich definierten Anforderungen, u.a. in Bezug auf die Allwettertauglichkeit, nicht erfüllen würden.

Gemäss den Aussagen des Departementsvorstehers und des Chefs Kommunikation VBS waren ihnen diese Probleme bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt.45 Der Chef Kommunikation nimmt deswegen am darauffolgenden Tag mit dem Rüstungschef 38

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Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 4), des Projektleiters Bodluv vom 31.8.2016 (S. 5), des Rüstungschefs vom 25.8.2016 (S. 7) und des Chefs Projekte und Führungsunterstützung GS VBS vom 31.8.2016 (S. 8).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 5).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 8).

Quadratplakat zu BODLUV 2020 von armasuisse (Stand vom 25.1.2016, französisch).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Projektleiters Bodluv vom 31.8.2016 (S. 4); Mail des Vorsitzenden der Projektaufsicht an die Arbeitsgruppe vom 17.8.2016.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 4) und des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 5).

E-Mail vom 2.2.2016 des Chefs Projekte und Führungsunterstützung GS VBS an den Vorsitzenden der Projektaufsicht und den Projektleiter, mit Kopie an den Rüstungschef.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 5­6) und des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 5).

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und dem Vorsitzenden der Projektaufsicht Kontakt auf. Der Rüstungschef habe ihm erklärt, dass solche Medienberichte dazu gehörten und an den Vorwürfen nichts dran sei, das Projekt sei auf gutem Weg. Diese Auskunft gab der Chef Kommunikation auch an den Departementsvorsteher weiter. Der Vorsitzende der Projektaufsicht kündigt dem Chef Kommunikation eine Analyse mit einer detaillierten Stellungnahme zu den Vorwürfen aus dem Bericht der «Zentralschweiz am Sonntag» an, die er im Auftrag des Chefs der Armee zu erstellen hatte.46 Diese Notiz stellt er am 29. Februar 2016 dem Chef der Armee, dem Rüstungschef und weiteren Projektverantwortlichen von Seiten Armee und armasuisse sowie dem Chef Kommunikation VBS zu.47 Dieser gab an, er habe darüber auch den Vorsteher des VBS informiert, ansonsten aber keine weiteren Schritte eingeleitet. Der Vorsteher des VBS erhielt die Aktennotiz zu den Vorwürfen im Rahmen seines wöchentlichen bilateralen Gesprächs mit dem Chef der Armee am 7. März 2016 auch noch direkt von diesem.48 Der Vorsitzende der Projektaufsicht nimmt vom kritischen Bericht in der «Zentralschweiz am Sonntag» vom 14. Februar 2016 an der Singapore AirShow Kenntnis und konfrontiert die dort anwesenden Vertreter der Herstellerfirma damit. Diese erläutern, weshalb das System allwettertauglich ist und bestätigen dies auch schriftlich. Um die Problematik weiter zu entschärfen, beruft der Vorsitzende der Projektaufsicht am 22. Februar 2016 eine Sitzung mit den Fachleuten der Herstellerfirma in Bern ein. An dieser nehmen neben ihm auch der Rüstungschef, der Chef des Armeestabs (zugleich Kampfpilot), der Projektleiter sowie jene Leute aus dem Projektteam teil, welche Einwände gegen das System geäussert hatten und dessen Allwettertauglichkeit anzweifelten. An der Sitzung werden die militärischen Anforderungen an das System und dessen Performance im Detail besprochen. Dabei zeigt sich, dass die Herstellerfirma für ihre Waffe unter allen Wetterbedingungen eine Trefferwahrscheinlichkeit garantiert, die über der im militärischen Pflichtenheft geforderten 75 % liegt.49 Als Fazit der Sitzung wird festgehalten: «In Live Firings wurde aufgezeigt, dass die gemäss militärischem Pflichtenheft geforderte Trefferwahrscheinlichkeit mit IRIS-T SL (dabei handelt es sich um die kritisierte Lenkwaffe) übertroffen wird. Die
Lenkwaffe sollte in Kombination mit einem modernen Bodensensor (Radar) keine einsatzrelevanten Einschränkungen durch Wetterphänomene haben. [...] Mit dem Effektor wurde in der Evaluation des Systems der erste Schritt gemacht. Erst wenn alle Evaluationsschritte durchgeführt wurden, können wir eine abschliessende Wertung vornehmen». 50 46 47 48 49

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Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 4, 12).

Mail des Vorsitzenden der Projektaufsicht an den Chef Kommunikation VBS vom 29.2.2016.

Brief des Chefs der Armee an die Arbeitsgruppe vom 20.7.2016.

Der Vorsitzende der Projektaufsicht erläuterte an der Anhörung durch die Arbeitsgruppe Bodluv, dass es selbstverständlich meteorologische Situationen geben könne, in denen die Waffe nicht treffe ­ solche Situationen gebe es aber für jedes Waffensystem: Das Sturmgewehr treffe in der Dunkelheit nicht mehr, der Kampfpanzer Leopard rutsche aus, wenn es eisig sei, und die Kampfjets können bei Nebel weder starten noch überall landen. Eine Allwettertauglichkeit von 100 % sei eine Fantasie, deshalb wurde bei den Anforderungen eine Tefferwahrscheinlichkeit von 75 % festgelegt.

Protokoll (unveröffentlicht) der internen Nachbesprechung der Sitzung mit der Herstellerfirma Diehl vom 22.2.2016.

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Am 24. Februar 2016 gibt das VBS den Start der Vorbereitungsarbeiten zur Evaluation eines neuen Kampfflugzeuges bekannt. Die Mitteilung hält fest, dass eine interne Expertengruppe mit Vertretern der relevanten Fachbereiche von Armee, armasuisse und dem Generalsekretariat VBS bis im Frühling 2017 einen Grundlagenbericht erarbeiten werde. Die Arbeiten der Expertengruppe werden von einer externen Gruppe, in der u.a. Vertreter der Bundesratsparteien sowie der Industrie Einsitz nehmen, begleitet. Das Projekt Bodluv bzw. die Bodenluftabwehr wird in der Medienmitteilung nicht erwähnt.51 Am 26. Februar 2016 diskutiert der Vorsteher des VBS auf der Fahrt zu einem Termin seine Zweifel in Bezug auf das Projekt Bodluv mit dem Chef Kommunikation VBS. Der Vorsteher des VBS verweist dabei gemäss eigenen Angaben auf seine Bedenken bezüglich den vorgeschlagenen Systemen und dem vorgesehenen Beschaffungsprozess. Er gibt an, dass er in Betracht ziehe, das Projekt zu sistieren, das Projekt genauer zu analysieren und es auch im Kontext der Beschaffung eines neuen Kampfflugzeugs zu prüfen. Gemäss dem Chef Kommunikation erwähnt der Departementsvorsteher überdies auch seine Unsicherheit bezüglich den Kosten, da er von ganz verschiedenen Kostenschätzungen gehört habe. Der Chef Kommunikation nimmt die Überlegungen des Vorstehers des VBS zur Kenntnis, weist aber darauf hin, dass in Bezug auf das Projekt Bodluv keine Dringlichkeit bestehe. Der Vorsteher des VBS entscheidet letztlich, vorläufig von einer Sistierung abzusehen und sich während der anstehenden Session vom 29. Februar 2016 bis am 18. März 2016 auf die Behandlung der Werterhaltung Duro und der Weiterentwicklung der Armee in den beiden Räten zu konzentrieren.52 An der Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom 1. März 2016 informiert der Vorsitzende der Projektaufsicht über den Stand des Projekts. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Kritik der Medien bzw. der Frage nach der Allwettertauglichkeit der evaluierten Lenkwaffen. Der Vorsitzende informiert über die Sitzung mit dem Hersteller der kritisierten Waffe vom 22. Februar 2016 und hält fest, dass dieser die Allwettertauglichkeit bzw. die geforderte Trefferwahrscheinlichkeit garantiere, dass aber noch gewisse Fragen offen seien. Um diese zu klären, ordnet die Projektaufsicht weitere Abklärungen an, ebenso wird festgehalten,
dass eine abschliessende Bewertung der Systeme erst nach Abschluss aller Tests möglich sei.53 Wie schon an der Sitzung der Projektaufsicht vom 19. Januar 2016 nimmt auch an der Sitzung vom 1. März ein Mitarbeitender der Einheit Projekte und Führungsunterstützung des GS VBS teil. Dieser verfasst am 2. März 2016 eine kurze Informationsnotiz zur Sitzung zuhanden seines Vorgesetzten und stellt diese in Kopie auch der Generalsekretärin VBS und dem Chef Kommunikation VBS zu. Die Notiz hält u.a. fest, dass die beiden Lenkwaffen das Anforderungsprofil nicht vollständig erfüllen würden und die Allwettertauglichkeit von einer dieser Waffen noch nicht

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Medienmitteilung des VBS vom 24.2.2016.

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des Departementsvorstehers vom 23.6.2016 (S. 6) und des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 5).

Protokoll (unveröffentlicht) der Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom 1.3.2016.

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bestätigt sei.54 Gegenüber der Arbeitsgruppe gab der Vorsitzende der Projektaufsicht Bodluv zu Protokoll, dass die Informationsnotiz die Diskussion der Projektaufsicht nicht korrekt zusammenfasst.55 Er habe von dieser erst im Rahmen der Vorbereitung auf die Anhörung der Arbeitsgruppe Kenntnis erhalten.56 Diese Notiz gelangt schliesslich zum Departementsvorsteher, der damit gemäss eigenen Aussagen zum ersten Mal auf internem Weg von Problemen im Projekt Bodluv erfährt.57 Am 4. März 2016 stellen der stellvertretende Vorsitzende der Projektaufsicht und der Projektleiter der neuen Generalsekretärin des VBS das Projekt Bodluv vor, da diese an der Präsentation vom 2. Februar 2016 nicht hatte teilnehmen können. Von Seiten Generalsekretariat nehmen neben der Generalsekretärin auch der Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS sowie dessen Mitarbeiter teil, welcher auch an der Sitzung der Projektaufsicht vom 1. März 2016 dabei war und die oben erwähnte Informationsnotiz vom 2. März 2016 verfasst hatte. Inhaltlich ist die Präsentation dieselbe wie beim Departementsvorsteher, es werden auch dieselben Unterlagen verwendet. Die Projektverantwortlichen und der Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS gaben gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv an, dass bei der Präsentation auch über den Entscheid vom 19. Januar 2016 informiert wurde.58 Die Generalsekretärin VBS hat dagegen angegeben, dass sie nicht über den Entscheid informiert wurde.59 An der Sitzung werden auch die kritische Berichterstattung der Medien und die damit verbundene Frage der Allwettertauglichkeit diskutiert. Die Projektverantwortlichen bitten daher darum, anstelle der bisher gewünschten, passiven Kommunikation zum Projekt nun aktiver zu kommunizieren.

Der Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS verfasst nach der Präsentation vom 4. März 2016 wie schon nach der Präsentation vom 2. Februar 2016 eine kurze E-Mail an die Projektverantwortlichen, in dem die Präsentation als gelungen

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Die Arbeitsgruppe hörte den Chef Projekte und Führungsunterstützung des GS VBS an.

Sie verzichtete deshalb darauf, auch die ihm unterstellten Personen, darunter der hier erwähnte Mitarbeitende, der damals erst seit kurzem in dieser Funktion war und von gewissen Medien fälschlicherweise als Whistleblower dargestellt wird (vgl. Fussnote 9), und seinen Vorgänger anzuhören.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 11); siehe auch Protokoll (unveröffentlicht) der Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom 1.3.2016.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 11) Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Departementsvorstehers vom 23.6.2016 (S. 6).

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 4), des Projektleiters Bodluv vom 31.8.2016 (S. 5) und des Chefs Projekte und Führungsunterstützung GS VBS vom 31.8.2016 (S. 8).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Generalsekretärin VBS vom 25.8.2016 (S. 7). In ihrer Rückmeldung im Rahmen der Verwaltungskonsultation (undatiert) präzisiert die Generalsekretärin ihre Aussage hierzu wie folgt: «Malgré mon expérience des projets informatiques, il ne m'était pas possible de poser à ce moment-là toutes les questions pertinentes sur un tel projet et surtout de prendre conscience de la portée des décisions prises par la surveillance du projet, notamment durant la séance du 19 janvier 2016».

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bezeichnet wird, und welche die aus seiner Sicht wichtigsten Schlussfolgerungen der Sitzung festhält, u.a. der Wunsch nach einer aktiveren Kommunikation.60 Am 6. März 2016 erhält der Vorsteher des VBS ein externes Rechtsgutachten zur Zusammenarbeit bzw. zum Vertrag der armasuisse mit der Generalunternehmerin Thales zur Beschaffungsvorbereitung im Projekt Bodluv, welches sein Vorgänger im Dezember 2015 in Auftrag gegeben hatte. Das Gutachten sollte klären, «ob das Projekt lege artis durchgeführt wird» und «ob durch die Verträge die Interessen des Auftraggebers Bund innerhalb seines Spielraums maximal sichergestellt» werden.

Der Schlussbericht der Gutachter hält fest, dass der Vertrag keine Klauseln enthält, welche die Interessen des Bundes schädigen. Es habe sich aber auch gezeigt, dass sich das Problem einer Interessenskollision bei Thales Schweiz, welche im Auftrag der armasuisse die Beschaffungsvorbereitung durchführt, deren Muttergesellschaft gleichzeitig aber auch selber Teile der zu beschaffenden Systeme produziert, letztlich nicht gänzlich eliminieren lasse. Angesichts der getroffenen Massnahmen zur Vermeidung von Interessenkollisionen und im Hinblick auf den Projektfortschritt empfehlen die Gutachter jedoch, «dieses Projekt in jedem Fall weiterzuführen». 61 Der Vorsteher des VBS gab gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv an, das Gutachten hätte seine Zweifel in Bezug auf die Führung des Projekts noch verstärkt.62 Vom 7. bis zum 18. März 2016 wird im Parlament das Rüstungsprogramm 2015+ mit der umstrittenen Werterhaltung des Duro behandelt, der Vorsteher des VBS ist in dieser Zeit gemäss eigenen Aussagen voll mit dieser Thematik beschäftigt. Gemäss dem Chef Kommunikation ist in dieser Zeit auch der Entscheid zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Chef der Armee gefallen und er bereitet daher die entsprechende Medienkonferenz vor; zudem sei für den 22. März 2016 eine weitere Sitzung zum Projekt Bodluv anberaumt worden.63 Am 21. März 2016 gelangt die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens ans VBS und verlangt schriftlich Auskunft auf eine Reihe von Fragen zum Projekt Bodluv. Der Vorsteher des VBS kommt aufgrund der Fragen zum Schluss, dass die Medien über Informationen zum Projekt verfügen, die ihm selbst nicht bekannt sind.

Er zieht darauf erneut in Betracht, das Projekt zu sistieren,
beschliesst aber, «noch eine Nacht darüber zu schlafen».64 Zugleich leitet der Chef Kommunikation VBS die Fragen der Rundschau zur Beantwortung an armasuisse weiter und erhält am nächsten Morgen um 9.00 Uhr die Antworten.65 Der Vorsteher des VBS nimmt am

60

61 62 63

64 65

E-Mail vom 4.3.2016 des Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS an den stv.

Vorsitzenden der Projektaufsicht Bodluv und den Projektleiter Bodluv, mit Kopie an den Chef der Armee, den Rüstungschef, den Kommunikationschef VBS und einen Mitarbeitenden der Einheit Projekte und Führungsunterstützung GS VBS.

Rechtsgutachten vom 15. März 2016 von Prof. Dr. iur. I. Häner und Dr. iur. R. Arpagaus, vgl. insbesondere die Randziffern 5, 6, 8, 14 und 25.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 6).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 6); Rückmeldung vom 5.11.2016 des Chefs Kommunikation im Rahmen der Verwaltungskonsultation.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 7).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 13).

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23. März 2016 ­ d.h. nach dem Sistierungsentscheid ­ dann an der «Rundschau» teil und wird dort u.a. mit vertraulichen Dokumenten des VBS konfrontiert.

2.2.2

Sistierungsentscheid

Der Vorsteher des VBS entscheidet am 22. März 2016, das Projekt Bodluv zu sistieren. Er informiert am frühen Morgen die Generalsekretärin und den Chef Kommunikation VBS über seinen Entscheid und bestellt dann auch den externen Berater ins Generalsekretariat VBS. Weitere Personen, insbesondere den Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS, informiert er zu diesem Zeitpunkt nicht. Nach einer kurzen Diskussion des Departementsvorstehers mit der Generalsekretärin, dem Chef Kommunikation und dem externen Berater informiert der Vorsteher des VBS die Projektverantwortlichen ­ den Rüstungschef, den Vorsitzenden der Projektaufsicht und den Chef der Armee ­ in Anwesenheit der soeben genannten Personen in Einzelgesprächen über seinen Entscheid. Die Projektverantwortlichen geben an, dass sie vom Entscheid überrascht waren und dass sie vor dem Sistierungsentscheid weder vom Vorsteher des VBS noch von Mitarbeitenden des GS kontaktiert worden waren, um offene Fragen oder die Konsequenzen einer Sistierung zu klären. Der Sistierungsentscheid wird gegen Abend öffentlich bekannt gemacht.

In der Medienmitteilung des VBS zum Entscheid wird mitgeteilt, das Projekt BODLUV werde sistiert, bis eine vollständige Übersicht der gesamten Luftverteidigung (Bodluv und Kampfflugzeuge) vorliege. In diesem Zusammenhang wird auf die Expertengruppe verwiesen, welche einen Grundlagenbericht zur Evaluation und Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges erstelle (siehe oben, 24. Februar 2016).66 Im Rahmen seiner Anhörung durch die Arbeitsgruppe Bodluv hat der Vorsteher des VBS den Entscheid als «politischen Führungsentscheid» bezeichnet («une décision de conduite politique») und betont, dass sich der Entscheid nicht auf technische Elemente abgestützt habe. Er gab an, dass er schon früh Zweifel am Projekt hatte, welche sich u.a. aufgrund von kritischen Medienberichten noch verstärkt hätten, und dass er sich von den Projektverantwortlichen nicht transparent informiert fühlte. Er sei in dieser Zeit aufgrund der Diskussionen um die Werterhaltung des Duro auch stark unter Druck gestanden und habe mit dem Entscheid nicht zuletzt auch einen zweiten Fall Duro oder ein erneutes «Gripen-Debakel» verhindern wollen. In späteren Medienberichten rechtfertigt er den Entscheid schliesslich auch mit finanziellen Bedenken.67 Zum Zeitpunkt des Entscheids wurden die Kosten für die Beschaffung

66 67

Medienmitteilung des VBS vom 22.3.2016.

Vgl. z.B. das Interview des Vorstehers des VBS in der Aargauer Zeitung vom 29.8.2016.

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auf rund 700 Mio. bis 1.1 Mia. Franken geschätzt (gegenüber 700 Mio. im Projektauftrag vom 12. Dezember 2014).68 Gegenüber der Arbeitsgruppe wies er auch darauf hin, dass er in den Tagen des Entscheids ­ am 22. März 2016 fanden die Anschläge in Brüssel statt und es gab bereits Gerüchte bezüglich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Chef der Armee, welche am 23. März 2016 offiziell kommuniziert wurde ­ stark unter Druck gestanden habe.69 Der Vorsteher des VBS betonte gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv mehrmals, dass er den Entscheid alleine getroffen habe und auch alleine die Verantwortung dafür trage. Vor dem Entscheid habe er deshalb auch keine Rücksprache mit den für das Projekt zuständigen Personen im GS, den Projektverantwortlichen von Seiten Armee und armasuisse oder dem Chef der Armee und dem Rüstungschef genommen.70 Ungeachtet dessen war dem Vorsteher des VBS gemäss eigenen Angaben bewusst, wo das Projekt Bodluv stand bzw. wie es im Rüstungsablauf weiter gegangen wäre.

D.h. ihm war konkret bekannt, dass er nach Abschluss aller Tests und Evaluationen spätestens im September erneut informiert worden wäre und dann immer noch die Möglichkeit gehabt hätte, das Projekt Bodluv ohne weitere Kostenfolgen zu stoppen.

2.2.3

Nach dem Sistierungsentscheid

Im Verlauf des 22. März 2016 sowie am darauf folgenden Tag wenden sich der Rüstungschef und der Chef der Armee nochmals an den Vorsteher des VBS, um diesen über die Konsequenzen der Sistierung zu informieren. Sie erläutern die zu dem Zeitpunkt noch laufenden und kurz vor Abschluss stehenden Tests, welche wichtige Erkenntnisse für die abschliessende Bewertung der Systeme bringen sollten, und bitten darum, diese noch abschliessen zu können. Ganz konkret waren am 23. März 2016 Radarversuche geplant, d.h. die Radarsysteme waren physisch vorhanden und in Betrieb und die Flugzeuge der Luftwaffe waren startbereit, um

68

69

70

In einem Factsheet zum Projekt vom 21.1.2016 zuhanden des Vorstehers des VBS wird mit 820 Mio. Franken gerechnet und in der Armeebotschaft 2016 vom 24.2.2016 werden die Kosten mit 700 Mio. Franken (für einen ersten Schritt) bis 1.1. Mia. Franken (Gesamtbeschaffung) beziffert. Der Untersuchungsbeauftragte des VBS hat im Rahmen seiner Administrativuntersuchung keine Hinweise für die in den Medien erwähnten Zahlen in der Grössenordnung von 2.5 bis 3 Mia. Franken gefunden (vgl. Bericht des Untersuchungsbeauftragten vom 21.9.2016, S. 78). Der Vorsteher des VBS gab im Rahmen der Verwaltungskonsultation an, dass im Bericht der Administrativuntersuchung auch von Kostenschätzungen zwischen 500 Mio. und 1.7 Mia. verwiesen werde. In diesem Bericht ist aber auch übersichtlich und detailliert dargelegt, dass es sich dabei um ältere Zahlen aus den Jahren 2013 und 2014 handelt, die im Projektverlauf angepasst wurden (siehe S. 60­63 des Berichts der Administrativuntersuchung).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 13). Der Chef der Armee hielt im Rahmen der Konsultation vom vorliegenden Bericht fest, dass der Termin für die Ankündigung der Auflösung vom Vorsteher des VBS selbst gewählt und nicht dringend gewesen sei.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 8).

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Angriffe zu simulieren und so die Performance der Radare zu messen. 71 Der Vorsteher des VBS lehnt die Bitte des Chefs der Armee und des Rüstungschefs aber ab und fordert den sofortigen Stopp der Tests. Der Vorsitzende der Projektaufsicht informiert die Test-Crew. Diese habe völlig fassungslos auf diese Anordnung reagiert und eine Bestätigung dieser Nachricht durch den Rüstungschef gefordert und dann auch erhalten.72 Die Tests werden daraufhin unmittelbar abgebrochen.

Am 23. März 2016 nimmt der Vorsteher des VBS an der Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens teil. Gemäss seinen Aussagen sieht er dabei erstmals das Protokoll zur Sitzung der Projektaufsicht vom 19. Januar 2016 sowie eine dem Protokoll zugrunde liegende Präsentation des Projektteams, in dem die Stärken und Schwächen der beiden Systeme dargestellt sind.73 Am 24. März 2016 findet eine Debriefing-Sitzung zum Projekt Bodluv statt. An dieser nehmen der Vorsteher des VBS, die Generalsekretärin VBS, der Chef Kommunikation und der Chef Projekte und Führungsunterstützung VBS sowie der Chef der Armee, der Rüstungschef, der Kommandant Heer, der Vorsitzende der Projektaufsicht und der Projektleiter Bodluv teil. Der Vorsteher des VBS sieht an dieser Sitzung gemäss eigenen Angaben erstmals das Protokoll der Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom 19. Januar 2016.74 Am 29. April 2016 teilt das VBS mit, dass der Vertrag mit der Schweizer Generalunternehmung Thales Schweiz AG per 29. April 2016 gekündigt wird. Aufgrund des Entscheids vom 22. März 2016, das Projekt Bodluv zu sistieren, bis eine adäquate Gesamtübersicht der Luftverteidigung vorliegt und offene Fragen geklärt sind, werde das Projekt erst mittel- bis langfristig wieder aufgenommen, daher werde auf eine Weiterführung des Generalunternehmervertrages für die Beschaffungsvorbereitung mit Thales verzichtet und der Vertrag gekündigt. In der Mitteilung wird Thales Schweiz eine gute Leistung attestiert und explizit festgehalten, dass die Kündigung nicht aufgrund mangelhafter oder ungenügender Leistung erfolge. 75

3

Bewertung

In diesem Kapitel werden die von den GPK formulierten Untersuchungsfragen beantwortet. Kapitel 3.1 beantwortet die Frage, ob der Vorsteher des VBS aus Sicht der GPK über eine angemessene Informationsgrundlage zum Projekt verfügte und ob die Informations- und Entscheidungsprozesse auf Stufe Departement zweckmässig waren, und im Kapitel 3.2 wird die Angemessenheit des Entscheids an sich durch die GPK bewertet.

71 72 73 74 75

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorsitzenden der Projektaufsicht durch die Arbeitsgruppe Bodluv vom 6.7.2016 (S. 8).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 8).

Folienpräsentation (unveröffentlicht) des integrierten Projektteams Bodluv für die Sitzung der Projektaufsicht Bodluv vom 19.1.2016.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 8).

Medienmitteilung des VBS vom 29.4.2016.

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3.1

Angemessenheit der Informationsgrundlagen und Informationsflüsse

3.1.1

Untersuchungsfragen

Die GPK haben ihre Arbeitsgruppe beauftragt, neben der Bewertung des Entscheids an sich (siehe Kap. 3.2.) vor allem auch die Grundlagen des Sistierungsentscheids und die Entscheidungsprozesse auf Stufe Departement zu überprüfen.

Die Arbeitsgruppe formulierte gemäss diesem Auftrag die folgende Hauptfrage und drei dazugehörige Unterfragen: Hatte der Departementsvorsteher bei seinem Entscheid die relevanten Informationen zum Projekt und zu den Konsequenzen einer Sistierung?

­

Waren die Kontakte und Informationsflüsse zwischen dem Generalsekretariat und den Projektverantwortlichen klar und angemessen geregelt?

­

Wurde der Departementsvorsteher durch die ihm unterstellten Personen angemessen und zeitgerecht über das Projekt Bodluv informiert?

­

Hat er zweckmässige Massnahmen getroffen, um zu den relevanten Informationen zu kommen?

3.1.2

Relevanter Sachverhalt

Information zum Projekt Die Anhörungen der Arbeitsgruppe Bodluv haben gezeigt, dass die für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden des Generalsekretariats VBS und weitgehend auch der externe Berater des VBS im Zeitraum von Januar bis März 2016 zeitgerecht und detailliert über das Projekt Bodluv informiert waren.76 Der externe Berater wies den Vorsteher des VBS mehrmals darauf hin, dass es beim Projekt Bodluv Probleme geben könnte, und riet ihm, sich darüber beim Chef der Armee, dem Rüstungschef und dem Vorsitzenden der Projektaufsicht zu erkundigen.77 Die zuständigen Mitarbeitenden im GS sahen keine Notwendigkeit, den Vorsteher spezifisch und unmittelbar über das Projekt oder bestimmte Aspekte davon zu informieren, da sie das Projekt auf gutem Weg sahen, zumal auch die Projektpräsentation vom 2. Februar 2016 bereits feststand. Bei dieser wurde der Departementsvorsteher vom Vorsitzenden der Projektaufsicht und dem Projektleiter persönlich über das Projekt informiert.

In Bezug auf die Frage, ob die Projektverantwortlichen den Departementsvorsteher im Rahmen der Präsentation auch über den Entscheid der Projektaufsicht vom 19. Januar 2016 und über kritische Aspekte im Projekt ­ u.a. über die Leistungseinschränkungen der Systeme und die noch offenen Fragen zur Allwettertauglichkeit ­ informiert haben, bestehen unterschiedliche Ansichten. Der Departementsvorsteher 76 77

Zu diesem Schluss kam auch der Untersuchungsbeauftragte des VBS (Bericht des Untersuchungsbeauftragten zuhanden des Vorstehers des VBS vom 21.9.2016, S. 7).

Präzisierung des externen Experten vom 26.10.2016 im Rahmen der Verwaltungskonsultation (Protokoll [unveröffentlicht] der Anhörung Anhörung des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 [S. 8]).

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ist der Meinung, er sei darüber nicht informiert worden und er stuft den Entscheid vom 19. Januar 2016 als unvereinbar mit seiner Weisung vom 18. Januar 2016 ein.

Der Chef Kommunikation hielt gegenüber der Arbeitsgruppe fest, im Rahmen der Präsentation zwar der Entscheid für die Variante «Zwilling» erwähnt worden, es sei aber nicht gesagt worden, dass dieser am 19. Januar 2016 getroffen wurde. 78 Die Projektverantwortlichen geben dagegen an, dass sie im Rahmen der Präsentation auch auf den Entscheid vom 19. Januar 2016 hingewiesen haben. Abgesehen davon stufen sie den Entscheid nicht als grundsätzlichen Richtungsentscheid ein, sondern als normalen, projektinternen Zwischenentscheid, der notwendig war, um die Evaluation weiterführen zu können. Dieser Meinung sind auch der Chef der Armee, der Rüstungschef, die für das Projekt verantwortlichen Mitarbeitenden im Generalsekretariat VBS sowie der externe Berater des VBS.79 Der wesentliche Entscheid ­ d.h.

eine abschliessende Bewertung der Systeme, die Typenwahl und darauf basierend allenfalls ein Beschaffungsantrag ­ wäre erst nach Abschluss der Evaluation fällig gewesen. Und basierend auf diesem Antrag hätte dann spätestens im September 2016 letztlich der Departementsvorsteher entscheiden müssen, ob er den Antrag und damit die Beschaffung gutheissen oder das Projekt abbrechen will.

Die GPK gehen davon aus, dass im Rahmen der Präsentation ein Plakat erläutert wurde, auf dem neben anderen Informationen zu Projekt auch der Entscheid vom 19. Januar 2016 aufgeführt ist.80 Fakt ist zudem, dass der Entscheid auch den für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im Generalsekretariat VBS bekannt war, da diese an der besagten Sitzung anwesend waren und das Protokoll dazu erhalten haben. Dieser Umstand ­ d.h. die Anwesenheit und der Erhalt der Protokolle ­ diente gemäss dem Vorsitzenden der Projektaufsicht und dem externen Berater VBS explizit dem Zweck, dass der Vorsteher des VBS über seine engen Mitarbeitenden unmittelbar über das Projekt informiert werden kann («kurzer Dienstweg»). 81 Die betreffenden Mitarbeitenden haben aber keine Notwendigkeit erkannt, den Vorsteher des VBS darüber zu informieren, und hielten in einer internen E-Mail nach der Sitzung vom 19. Januar 2016 explizit fest: «Der Auflage des C VBS (Chef bzw.

78 79

80

81

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 8).

Auch der Beauftragte des VBS für die Administrativuntersuchung stuft den Entscheid bloss als Vorgehensentscheid ein (Bericht des Untersuchungsbeauftragten zuhanden des Vorstehers des VBS vom 21.9.2016, S. 6 und S. 59).

Der Vorsitzende der Projektaufsicht, der Projektleiter Bodluv sowie der Chef Projekte und Führungsunterstützung gaben gegenüber der Arbeitsgruppe an, dass das Plakat im Rahmen der Präsentation erläutert wurde (Mail des Vorsitzenden der Projektaufsicht an die Arbeitsgruppe vom 17.8.2016, Protokolle [unveröffentlicht] der Anhörungen des Projektleiters Bodluv vom 31.8.2016 [S. 4] und des Chefs Projekte und Führungsunterstützung vom 25.8.2016 [S. 8]). Der Vorsteher des VBS gab gegenüber der Arbeitsgruppe an, dass er das Plakat nicht erhalten bzw. in seinen Unterlagen zum Projekt hat. Er konnte jedoch nicht ausschliessen, dass es ihm im Rahmen der Präsentation vom 2.2.2016 gezeigt wurde (E-Mail des Vorstehers des VBS an die Arbeitsgruppe vom 28.11.2016). Der Chef Kommunikation VBS gab im Rahmen seiner Anhörung durch die Arbeitsgruppe an, dass er nicht mit Sicherheit sagen könne, ob das Plakat erläutert worden sei; später sagte er aber auch, dass er das Plakat in dieser Form nie gesehen hatte (Protokoll [unveröffentlicht] der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 [S. 7], Rückmeldung des Chefs Kommunikation vom 5.11.2016 im Rahmen der Verwaltungskonsultation).

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 5) und des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 (S. 4).

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Vorsteher des VBS), keine präjudizierenden Grundsatzentscheid zu treffen, wurde Rechnung getragen».82 In Zusammenhang mit der Information zum Projekt ist aus Sicht der Arbeitsgruppe noch ein weiterer Fakt relevant: Obwohl der Vorsteher des VBS offenbar schon früh Bedenken bezüglich des Projekts Bodluv hatte und sich nicht genügend informiert fühlte, hat er abgesehen von der Diskussion im Rahmen der Projektpräsentation vom 2. Februar 2016 keine Schritte unternommen bzw. angeordnet, um von den ihm unterstellten Personen aus dem GS, der Armee und armasuisse oder auch von seinem Vorgänger mehr Informationen zu erhalten. Der Vorsteher des VBS betonte in den Anhörungen, er habe schon früh am Projekt gezweifelt und seine Bedenken seien dann aufgrund von Medienberichten und auch vor dem Hintergrund der Diskussionen über die Duro-Werterhaltung noch gewachsen. Er habe zwei Mal mit dem Chef Kommunikation VBS über seine Bedenken gesprochen, abgesehen davon habe er sich aber mit niemandem über das Projekt Bodluv ausgetauscht bzw. er habe sich von niemanden beraten lassen. Und letztlich habe er auch den Sistierungsentscheid alleine und unabhängig getroffen.83 Diese Aussagen wurden vom Chef der Armee bestätigt, welcher gegenüber der Arbeitsgruppe angab, der Vorsteher des VBS habe ihm gegenüber nie Zweifel am Projekt Bodluv geäussert und ihn vor der Sistierung nicht konsultiert.84 Der Vorsteher des VBS verzichtete auch darauf, in Zusammenhang mit seinen Bedenken und Fragen zum Projekt Bodluv seinen Vorgängen, den jetzigen Vorsteher des EFD, zu kontaktieren, während er dies bei Fragen zu anderen Projekten durchaus getan hat.85 Der Chef Kommunikation VBS und der externe Berater des VBS, welche den Vorsteher des VBS bei der Formulierung seiner Weisung vom 18. Januar 2016 berieten, haben gegenüber der Arbeitsgruppe ausgeführt, dass der Vorsteher des VBS damit klar auf das Projekt Bodluv zielte, da er erfahren habe, dass im Projekt Entscheide anstünden.86 Aus diesem Grund habe der Departementsvorsteher auch veranlasst, dass der externe Berater des VBS den Vorsitzenden der Projektaufsicht direkt über die Weisung informieren soll und sich danach vom externen Berater versichern lassen, dass der Weisung Rechnung getragen werde. 87 82

83 84

85 86

87

E-Mail vom 20.1.2016 des Mitarbeitenden der Einheit Projekte und Führungsunterstützung GS VBS an den Chef Projekte und Führungsunterstützung GS VBS und den externen Berater VBS.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 8).

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs der Armee vom 6.7.2016 (S. 5, 6); Rückmeldung des Chefs der Armee vom 30.10.2016 im Rahmen der Verwaltungskonsultation.

Schreiben des Vorstehers des EFD an die Arbeitsgruppe vom 23.12.2016; Schreiben des Vorstehers des VBS an die Arbeitsgruppe vom 12.1.2017.

Die Arbeitsgruppe konnte nicht die Herkunft dieser Information nicht abschliessend klären. Der Departementsvorsteher verweist auf den Chef Kommunikation VBS und dieser wiederum auf einen Artikel vom 18.1.2016 auf der Website der Gruppe Giardino.

Eine aktuelle Recherche auf dieser Website führt zwar lediglich zu einem Artikel vom 19.1.2016 (http://gruppe-giardino.ch/?p=10209). Der Chef Kommunikation VBS vermutet dazu, dass der Beitrag, den er am 18.1.2016 gesehen habe, anschliessend gelöscht bzw.

aktualisiert wurde, um von der frühzeitigen Indiskretion abzulenken (vgl. dazu auch Kap. 2.2.1, Fussnote 27).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 (S. 5).

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Diese Schilderung macht deutlich, dass das Projekt Bodluv schon kurz nach Amtsantritt des neuen Departementsvorstehers in dessen Fokus war. Trotzdem ergriff er keine besonderen Massnahmen bzw. verlangte er von seinen für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im Generalsekretariat oder von den für das Projekt zuständigen Personen von Seiten der Armee und armasuisse keine genaueren Informationen zum Projekt. Der Vorsteher des VBS hatte seine Bedenken und Zweifel zwar im Rahmen der Präsentation des Projekts vom 2. Februar 2016 geäussert und Fragen gestellt. Die Projektverantwortlichen und die für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im GS hatten aber keine Hinweise darauf bzw. waren sich nicht bewusst, dass er mit den Antworten darauf nicht zufrieden war und nach wie vor Bedenken hatte. Die einzige Person, welcher der Departementsvorsteher von seinen nach wie vor bestehenden Zweifeln am Projekt Bodluv berichtete, war der Chef Kommunikation VBS. Dieser wandte sich nach dem kritischen Bericht in der «Zentralschweiz am Sonntag» vom 14. Februar zwar an den Rüstungschef und den Vorsitzenden der Projektaufsicht und erhielt von diesen die Information, dass die Vorwürfe unbegründet seien. Er leitete diese Auskunft auch den Vorsteher des VBS weiter, abgesehen davon erkannte er gemäss eigenen Angaben aber keinen weiteren Handlungsbedarf bzw. riet diesem nicht zu weiteren Abklärungen (vgl. auch nächster Abschnitt).88 Mangelndes Vertrauensverhältnis Dass der Vorsteher des VBS die für das Projekt zuständigen Personen nicht mit seinen Bedenken und Fragen konfrontierte, wurde in den Anhörungen der Arbeitsgruppe von mehreren Befragten damit erklärt, dass er sich von diesen nicht genügend informiert fühlte und diesen nicht vollständig vertraute. Gemäss diesen Befragten basierte diese Einschätzung des Vorstehers des VBS wohl nicht zuletzt auch darauf, dass die Projektverantwortlichen das Projekt zwar gut führten und die Abläufe einhielten, dass sie die Probleme und Risiken gegenüber dem Departementsvorsteher aber zu wenig klar benannten.89 Dies liege wiederum daran, dass sich die Verwaltung oft zu wenig bewusst sei, dass auch technische Fragen ­ im konkreten Fall die Leistungseinschränkungen ­ politisch bedeutsam und damit relevant für den Departementsvorsteher sein können. Hinzu komme, dass es im VBS bzw. in der
Armee oft Gruppen mit divergierenden Interessen gebe und dass diese Situation Indiskretionen begünstige, was sich sowohl im Rahmen der Gripen-Beschaffung als auch beim Projekt Bodluv gezeigt habe. Im konkreten Fall seien sich die Projektverantwortlichen nicht genügend bewusst gewesen, dass es in der Luftwaffe ein Lager gebe, welches die Erneuerung der bodengestützten Luftabwehr zugunsten der Beschaffung von neuen Kampfjets zurückstellen wollte, und dass dieses versuchen könnte, das Projekt Bodluv mit gezielten Indiskretionen zu hintertreiben.90

88 89

90

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 4, 12).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des externen Experten VBS vom 31.8.2016 (S. 7, 8, 12), Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Projekte und Führungsunterstützung vom 25.8.2016 (S. 13), Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 17).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des externen Experten VBS vom 31.8.2016 (S. 13), Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Untersuchungsbeauftragten für die Administrativuntersuchung vom 26.9.2016 (S. 14).

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Der Vorsteher des VBS selber begründete die Sistierung sowohl gegenüber den Projektverantwortlichen als auch gegenüber der Arbeitsgruppe damit, dass er sich nicht vollständig und transparent informiert gefühlt habe. Gegenüber der Arbeitsgruppe und Medien gab der Vorsteher des VBS aber auch an, er habe Vertrauen in den Vorsitzenden der Projektaufsicht und den Rüstungschef.91 Diese stellten dem Departementsvorsteher gemäss Angaben des Kommunikationschefs VBS auch selber die Vertrauensfrage und erhielten darauf eine positive Antwort.92 In diesem Zusammenhang ist auch die spezielle Rolle des Chefs Kommunikation VBS zu erwähnen. Dieser ­ er wurde vom Vorsteher des VBS selber ins Generalsekretariat geholt ­ gab in seiner Anhörung gegenüber der Arbeitsgruppe an, dass er in der ersten Zeit nach dem Amtsantritt «quasi der einzige persönliche Mitarbeiter» des Vorstehers des VBS war und «auch der einzige, der sich mit ihm innerhalb des Departements in einem vertrauensvollen Ton austauschen konnte». 93 Der Vorsteher des VBS veranlasste, dass der Chef Kommunikation VBS bei allen wichtigen Sitzungen und insbesondere auch bei den Präsentationen der ausgewählten TopProjekte dabei war und erwähnte diesem gegenüber auch schon früh seine Bedenken zu Bodluv. Obwohl der Chef Kommunikation sich seiner besonderen Rolle bzw.

seiner «Zwitterfunktion» als Kommunikationschef und als «quasi persönlicher Mitarbeiter» des Vorstehers des VBS bewusst war und von diesem zweimal (am 26. Februar und am 22. März 2016) auf dessen Bedenken hinsichtlich des Projekts Bodluv hingewiesen wurde, sah er ­ abgesehen von seinen bereits erwähnten Abklärungen nach dem Erscheinen des kritischen Berichts in der «Zentralschweiz am Sonntag» vom 14. Februar 201694 ­ keinen weiteren Handlungsbedarf. Er betonte gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv, er habe den Vorsteher des VBS ausschliesslich in Bezug auf die Kommunikation zum Projekt Bodluv beraten, und gab an, dass er vom Sistierungsentscheid ebenfalls überrascht war, da er den Eindruck hatte, das Projekt laufe gut.95 Die Anhörungen der Arbeitsgruppe Bodluv haben auch gezeigt, dass die Generalsekretärin des VBS, welche ihr Amt am 1. Februar 2016 angetreten hatte, im Rahmen des Sistierungsentscheids keine wesentliche Rolle spielte. Dabei gehört die Beratung des Departementsvorstehers zu den wichtigsten
Aufgaben einer Generalsekretärin.96 Zudem wurde die Generalsekretärin, welche die Bundesverwaltung aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeiten bestens kannte, vom neuen Departementsvor91 92 93

94 95 96

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 12), Interview des Vorstehers des VBS im Tages-Anzeiger vom 9.4.2016.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 31.8.2016 (S. 13).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 31.8.2016 (S. 3­4). Im Rahmen der Verwaltungskonsultation präzisierte der Chef Kommunikation VBS diese Aussage und hielt fest, diese hätte sich nur auf die persönlichen Mitarbeiter bezogen, da die anderen persönlichen Mitarbeitenden erst später gekommen seien. Der Vorsteher des VBS habe sich aber auch mit anderen Personen vertrauensvoll austauschen können, etwa mit dem Chef der Armee, dem Rüstungschef und dem externen Berater VBS. Die Anhörungen der Arbeitsgruppe haben allerdings gezeigt, dass er sich mit diesen zumindest zum Projekt Bodluv nicht ausgetauscht hatte.

Vgl. Kap. 2.2.1.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 3­4, 6, 15).

Vgl. Art. 41 Abs. 1 RVOG, SR 172.010, und Art. 5 OV-VBS, SR 172.214.1.

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steher selber in diese Funktion geholt und muss daher ebenfalls als Vertrauensperson gelten. Trotzdem tauschte sich der Vorsteher des VBS kaum mit ihr über das Projekt Bodluv aus, insbesondere konsultierte er sie auch vor dem Sistierungsentscheid nicht.97 Die Generalsekretärin selber gab gegenüber der GPK an, sie habe selber auch gewisse Zweifel am Projekt gehabt, zumal nach der Präsentation vom 4. März 2016 aus ihrer Sicht Fragen offen geblieben waren. Im Wissen darum, dass das Projekt spätestens im September immer noch hätte gestoppt werden können, habe sie aber keinen Handlungsbedarf erkannt.98

3.1.3

Bewertung

Die Informationen, welche die Arbeitsgruppe aus den Anhörungen und den Dokumenten zum Projekt gewonnen hat, zeigen aus Sicht der GPK, dass die Projektverantwortlichen das Departement zwar angemessen über das Projekt informiert haben, dass relevante Informationen aber offenbar teilweise nicht zum Departementsvorsteher gelangten. Die GPK haben im Nachhinein festgestellt, dass das Vertrauen des Vorstehers des VBS gegenüber den Projektverantwortlichen nicht ausreichend war.

Information zum Projekt Die Informationsflüsse zwischen den Projektverantwortlichen von Seiten Armee und armasuisse und dem GS VBS waren klar geregelt. Die für das Projekt verantwortlichen Mitarbeitenden im GS VBS waren aus Sicht der GPK über die wesentlichen Schritte im Projekt zeitgerecht und im Detail informiert. Der Departementsvorsteher selber wurde von der Projektverantwortlichen zwar nicht im selben Ausmass informiert, was grundsätzlich stufengerecht ist. Klar wurde aber auch, dass sich der Vorsteher des VBS nicht genügend informiert fühlte und er gleichzeitig nicht ausreichend Vertrauen in die erhaltenen Informationen hatte (vgl. dazu die weiter unten folgenden Ausführungen zur Vertrauensproblematik). Aus Sicht der GPK lässt sich auch darüber diskutieren, ob der Informationsfluss insgesamt und innerhalb des GS zweckmässig geregelt war. Zugleich muss aber darauf hingewiesen werden, dass weder die Projektverantwortlichen von Seiten Armee und armasuisse noch die für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im GS wussten, dass der Vorsteher des VBS mit den erhaltenen Informationen nicht zufrieden war. Denn dieser hatte zwar im Rahmen der Projektpräsentation vom 2. Februar 2016 Zweifel geäussert und Fragen zum Projekt gestellt. Darüber hinaus hatte er aber keine weiteren Informationen verlangt, weder von den Projektverantwortlichen noch vom Chef der Armee und dem Rüstungschef, die eigentlich von Amtes wegen primär für die Beratung des Vorstehers des VBS zuständig gewesen wären. Rückblickend ist klar, dass der Vorsteher des VBS am Ende der Präsentation gemäss eigenen Aussagen mit der erhaltenen Information noch nicht zufrieden war, während die weiteren Sitzungsteilnehmer von einer vollständigen und genügenden Information ausgingen und diese 97 98

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des Vorstehers des VBS vom 6.7.2016 (S. 7) und der Generalsekretärin VBS vom 25.8.2016 (S. 9).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung der Generalsekretärin VBS vom 25.8.2016 (S. 6, 8).

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gemäss ihren Angaben keine Hinweise auf die nach wie vor bestehenden Zweifel des Vorstehers des VBS hatten.

Insgesamt sind die GPK daher der Ansicht, dass die Projektverantwortlichen ihrer Informationspflicht ­ bzw. ihrer Bringschuld ­ grundsätzlich nachgekommen sind, indem sie die zuständigen Mitarbeitenden im GS laufend ausführlich informierten und dem Vorsteher des VBS das Projekt am 2. Februar 2016 vorstellten. Wenn der Vorsteher des VBS diese Informationen als nicht genügend erachtete, ist es aber auch an ihm, dies klar zu kommunizieren und weitere Auskünfte einzufordern (Holschuld).

In diesem Zusammenhang ist aus Sicht der GPK auch hervorzuheben, dass der Vorsteher des VBS erst beim Debriefing vom 23. März 2016 vom Entscheid der Projektaufsicht vom 19. Januar 2016 erfahren haben will, der seiner Ansicht nach im Widerspruch zu seiner Weisung vom 18. Januar 2016 stand. Gemäss verschiedenen Befragten zielte er mit seiner Weisung explizit auf das Projekt Bodluv, da er von einem anstehenden Entscheid im Projekt gehört hatte. Vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten gewesen, dass er die Einhaltung seiner Weisung im Projekt Bodluv überprüfen und entsprechende Nachfragen stellen würde (z.B. im Rahmen der Projekt-Präsentation vom 2. Februar 2016). Aus Sicht der GPK ist auch nicht nachvollziehbar, dass die Weisung bzw. deren Umsetzung im Projekt Bodluv offenbar auch nie Thema war an einem der regelmässigen Gespräche (Rapporte) des Departementsvorstehers mit dem Chef der Armee oder dem Rüstungschef.

Entscheidend für die GPK ist letztlich aber, dass der Vorsteher des VBS, der sich von den Projektverantwortlichen nicht angemessen informiert fühlte, verschiedene alternative Massnahmen hätte treffen können bzw. müssen, um seine Fragen zum Projekt zu klären und zu den für ihn relevanten Informationen zu kommen. Insbesondere hätte er seine für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im GS oder die Projektverantwortlichen inkl. den Chef der Armee sowie den Rüstungschef, zu deren inhärenten Aufgaben die Beratung des Departementsvorstehers gehört, mit seinen Zweifeln und den Vorwürfen der Medien konfrontieren und vor allem klärende Auskünfte dazu verlangen müssen. Zusätzlich hätte er auch seinen Vorgänger, der das Projekt aufgegleist und lange begleitet hatte, kontaktieren können, wie er dies in Zusammenhang
mit anderen Geschäften auch getan hatte ­ nicht aber im Fall von Bodluv. Dass er dies zu keinem Zeitpunkt getan hat und das Projekt stattdessen ohne vorgängige Rücksprache mit den verantwortlichen Personen im Departement sistiert hat, ist aus Sicht der GPK nicht sachgerecht. Auch wenn ein Departementsvorsteher letztlich die oberste Führungsverantwortung im Departement trägt und grundsätzlich frei in seinen Entscheidungen ist, entbindet ihn dies nach Ansicht der GPK nicht von der Verantwortung bzw. (Sorgfalts-)Pflicht, vor einer derart weitreichenden Entscheidung Rücksprache mit den ihm unterstellten zuständigen Personen und Fachexperten zu nehmen, im konkreten Fall mit seinen für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im GS bzw. den Verantwortlichen von Armee und armasuisse. Da der Vorsteher des VBS dies nicht getan hat, ist aus Sicht der GPK unklar, ob er sich bei seinem Entscheid aller Konsequenzen ­ wie beispielsweise der finanziellen und rechtlichen Folgen oder allfälligen Folgen für die Luftraumsicherheit ­ umfassend bewusst war bzw. diesen angemessen Rechnung getragen hat.

3544

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Mangelndes Vertrauensverhältnis Der Departementsvorsteher des VBS hat seinen Sistierungsentscheid gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv (vor allem) damit gerechtfertigt, dass er von den Projektverantwortlichen ungenügend informiert worden sei. Verschiedene Befragte haben in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass der Vorsteher des VBS den Projektverantwortlichen nicht vertraut habe. Diese Problematik liegt ­ wie von mehreren angehörten Personen auf nachvollziehbare Art beschrieben ­ auch darin begründet, dass die Projektverantwortlichen die Probleme und Risiken des Projekts gegenüber dem Vorsteher des VBS womöglich zu wenig klar benannten, da sie diese als rein technisch einstuften und sich nicht bewusst waren, dass diese auch politisch bedeutsam sein könnten. Hinzu kommt, auch das haben die Anhörungen der Arbeitsgruppe deutlich gemacht, dass das Projekt Bodluv auch innerhalb der Luftwaffe umstritten war bzw. dass es in der Luftwaffe ein Lager gab, welches die Erneuerung der bodengestützten Luftabwehr hintertreiben bzw. zugunsten der Beschaffung von neuen Kampfjets zurückstellen wollte, allenfalls auch mit Hilfe von Indiskretionen.

Die GPK verurteilen die Indiskretionen und bedauern, dass die diesbezüglichen Untersuchungen der Militärjustiz zu keinem Ergebnis führten. Im Weiteren sind sie rückblickend der Ansicht, dass die Projektverantwortlichen den Vorsteher des VBS aktiver über (potentielle) Probleme und Risiken hätten informieren müssen. Diese Umstände trugen im vorliegenden Fall sicher auch zur Vertrauensproblematik des Vorstehers des VBS bei. Im Weiteren stellen sich die GPK die Frage, warum die Projektverantwortlichen angesichts der verschiedenen Lager innerhalb der Luftwaffe ­ solche gab es auch schon beim Projekt Gripen ­ nicht von der Haltung der Gegner Kenntnis nahmen und deren Bedenken nicht berücksichtigten.

All dies ist aus Sicht der GPK aber keine nachvollziehbare und angemessene Rechtfertigung für die Sistierung des Projekts. Dass der Vorsteher des VBS verschiedene alternative Massnahmen hätte treffen können, um das seiner Ansicht nach bestehende Problem der ungenügenden Information zu lösen, wurde oben bereits ausgeführt.

Ebenso hätte es auch verschiedene zweckmässige Massnahmen gegeben, um das Vertrauensproblem zu lösen ­ eine Sistierung des Projekts gehört aber nicht dazu.
Trotz der genannten Erklärungsansätze war es für die GPK letztlich nicht möglich, klar zu ermitteln, worauf das fehlende Vertrauen des Departementsvorstehers gegenüber den Projektverantwortlichen gründete. Denn die Anhörungen der Arbeitsgruppe haben gezeigt, dass das Problem des mangelnden Vertrauens offenbar bereits sehr früh bestand ­ d.h. schon bei der Bekanntgabe der Weisung vom 18. Januar 2016 und damit nur rund zwei Wochen nach Amtsantritt, jedenfalls vor dem ersten Kontakt mit den Projektverantwortlichen. Rückblickend lässt sich auch sagen, dass das Misstrauen des Vorstehers des VBS gemessen am Sachverhalt nicht begründet war. Denn die Projektverantwortlichen unterschlugen keine Informationen und informierten das Generalsekretariat bzw. enge Mitarbeitende des Vorstehers des VBS zeitgerecht und vollständig über das Projekt Bodluv. Dennoch gelangten relevante Informationen offenbar teilweise nicht zum Departementsvorsteher.

In Zusammenhang mit der Problematik des fehlenden Vertrauens des Departementsvorstehers steht auch die aus Sicht der GPK problematische Rolle bzw. die «Zwitterfunktion» des Kommunikationschefs VBS als Vertrauensperson des Departements3545

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vorstehers. Indem der Vorsteher des VBS mit seinem Kommunikationschef VBS über Themen und Probleme sprach, die nicht unmittelbar in den Bereich der Kommunikation fallen, konkret über seine Bedenken zum Projekt Bodluv, befand sich dieser gewissermassen in einer über Kommunikationsfragen hinausgehenden Beraterrolle und schien sich dessen auch bewusst. Der Chef Kommunikation VBS hat gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv zwar betont, er habe seine Rolle immer nur aus der Sicht der Kommunikation wahrgenommen und nur im Bereich der Kommunikation beraten. Dennoch ist für die GPK nicht nachvollziehbar, dass er seinem Vorgesetzten nicht riet, das Gespräch mit dem Chef der Armee und dem Rüstungschef sowie allenfalls auch direkt mit den Projektverantwortlichen zu suchen, um seine Bedenken und offenen Fragen zu diskutieren. Für die GPK wäre dieser Ratschlag spätestens nach den kritischen Medienberichten zwar auch aus Sicht der Kommunikation durchaus angebracht gewesen, sie sind sich aber auch bewusst, dass der Chef Kommunikation damals erst seit kurzem in dieser Funktion tätig und auch der Vorsteher des VBS neu im Amt war.

Eine Frage ergibt sich aus Sicht der GPK auch in Bezug auf die Rolle der Generalsekretärin VBS. Die Anhörungen der Arbeitsgruppe Bodluv haben gezeigt, dass der Vorsteher des VBS mit der Generalsekretärin kaum über seine Zweifel am Projekt sprach und sie vor der Sistierung nicht konsultierte. Umgekehrt wurde die Generalsekretärin, die nach eigenen Angaben ebenfalls auf kritische Aspekte im Projekt aufmerksam wurde, auch nicht selber aktiv. Sie begründete dies damit, dass ihr bekannt war, dass das Projekt spätestens im September noch hätte gestoppt werden können. Die GPK konnten nicht abschliessend klären, ob die Generalsekretärin, die ihre Funktion ja erst am 1. Februar 2016 angetreten hatte, ihrerseits hätte Handlungsbedarf erkennen müssen oder ob sie darauf vertrauen durfte, dass sie der Vorsteher über seine Problemwahrnehmung informiert und bei wichtigen Fragen einbezieht. Fakt ist aber, dass die Generalsekretärin aufgrund ihrer Funktion vom Vorsteher des VBS bei einem derart weitreichenden Entscheid wie im Fall Bodluv unbedingt hätte einbezogen werden müssen.

3.1.4

Fazit

Die Untersuchung der GPK hat gezeigt, dass der Departementsvorsteher bzw. seine für das Projekt zuständigen Mitarbeitenden im Generalsekretariat VBS grundsätzlich angemessen und zeitgerecht über das Projekt Bodluv informiert wurden. Aus Sicht der GPK ist aufgrund des Projektstands ­ der Departementsvorsteher hätte erst nach Abschluss der Evaluation spätestens im September 2016 über die Weiterführung des Projekts bzw. über die Bodluv-Beschaffung entscheiden müssen ­ auch nachvollziehbar und stufengerecht, dass die zuständigen Mitarbeitenden im Generalsekretariat oder die Projektverantwortlichen den Departementsvorsteher nicht im selben Detaillierungsgrad informierten.

Der Departementsvorsteher begründete seinen Sistierungsentscheid gegenüber der Arbeitsgruppe Bodluv aber dennoch damit, dass er sich nicht genügend informiert fühlte und Zweifel sowie Fragen in Bezug auf das Projekt hatte. Dass er aufgrund dieser Bedenken das Projekt sistierte, statt sich mit seinen Bedenken und Zweifeln 3546

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an die Projektverantwortlichen oder seine für das Projekt verantwortlichen Mitarbeitenden im GS zu wenden, um von diesen eine Klärung zu fordern, ist für die GPK nicht nachvollziehbar und auch nicht sach- und zeitgerecht.

Aus Sicht der GPK ist unbestritten, dass der Departementsvorsteher im Rahmen seiner Führungsverantwortung unter gewissen Voraussetzungen entscheiden kann, ein Projekt wie Bodluv zu sistieren. Sie anerkennen auch, dass die konkreten Umstände zu berücksichtigen sind. Dazu gehören die Indiskretionen und auch die Tatsache, dass der Departementsvorsteher und wichtige Mitarbeitende erst seit kurzem in ihren neuen Funktionen waren. Auch zeigten gewisse Aussagen im Rahmen der Anhörungen, dass die Projektverantwortlichen potentielle Problempunkte gegenüber dem Departementsvorsteher zu wenig proaktiv thematisierten.

Diese Umstände entbinden den Vorsteher aber nicht von der Pflicht, sich vor dem Entscheid umfassend über die möglichen Konsequenzen des Entscheids zu informieren und dafür zu sorgen, dass der Entscheid zu einem gewissen Grad auch sachlich begründet ist. Ebenso wenig können die Umstände rechtfertigen, dass der Departementsvorsteher mit seinem Entscheid im März ohne Not vorgriff, da er spätestens im September auf der Basis der abschliessenden Ergebnisse der Evaluation der Systeme sowieso über die Projektweiterführung hätte entscheiden können (siehe Kap. 3.2.2 und 3.2.3). Auch hätte er alternative Massnahmen ergreifen können.

3.2

Angemessenheit des Entscheids

3.2.1

Untersuchungsfragen

Die Arbeitsgruppe sollte im Auftrag der GPK den Sistierungsentscheid an sich prüfen und bewerten. Die Arbeitsgruppe hat daraus die folgende Hauptfrage formuliert und drei damit verbundene Teilfragen identifiziert: Ist der Sistierungsentscheid nachvollziehbar und zweckmässig?

­

Wie ist der Zeitpunkt des Entscheids zu beurteilen?

­

Wie ist die offizielle Begründung des Entscheids ­ Erarbeitung einer Gesamtschau zur Luftabwehr und bessere Koordination Bodluv und Beschaffung neuer Kampfflugzeuge ­ zu beurteilen?

­

Wie sind die Konsequenzen des Entscheids zu beurteilen?

3.2.2

Relevanter Sachverhalt

Zeitpunkt Die Arbeiten der Arbeitsgruppe haben gezeigt, dass der Vorsteher des VBS das Projekt Bodluv zu einem Zeitpunkt sistiert hat, an dem die Evaluation der Systeme noch in Gang war und noch keine abschliessenden Resultate der getesteten Systeme vorlagen. Dieser Umstand war auch dem Departementsvorsteher bekannt. Denn nach der internen Bekanntgabe des Sistierungsentscheids haben ihn sowohl der Chef der Armee als auch der Rüstungschef, die vom Entscheid nach eigenen Angaben 3547

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komplett überrascht waren, auf die noch laufenden Tests und deren Bedeutung für die Evaluation hingewiesen. Dabei haben sie gemäss ihren eigenen Angaben und den Angaben des Departementsvorstehers deutlich gemacht, dass ein Abbruch dazu führt, dass die Evaluation nicht abgeschlossen werden kann und damit auch keine abschliessende Bewertung der Systeme und deren Kosten möglich ist.

Dem Vorsteher des VBS war ebenso bekannt, dass er die Möglichkeit hatte, das Projekt Bodluv nach Abschluss der Evaluation und ohne weitere Kostenfolgen spätestens im September 2016 zu stoppen. Zu diesem Zeitpunkt hätte er nämlich den Antrag der Projektverantwortlichen bzw. des Rüstungschef erhalten und entscheiden können, die vorgeschlagenen Systeme ins Rüstungsprogramm 2017 aufzunehmen oder nicht.99 Die Erhebungen der Arbeitsgruppe deuten zudem darauf hin, dass der Sistierungsentscheid bzw. ­zeitpunkt auch durch die Indiskretionen und einzelne kritische Medienberichte beeinflusst war. Sie zeigten, dass der Vorsteher des VBS nach dem kritischen Bericht in der Zentralschweiz am Sonntag vom 14. Februar 2016 erstmals über eine Sistierung nachdachte und den definitiven Entscheid dann am Tag nach einer Anfrage mit kritischen Fragen der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens vom 21. März 2016 fällte. Diese beiden Berichte wie auch die Meldung der Gruppe Giardino vom 18. bzw. 19. Januar 2016 beruhten dabei jeweils auf Indiskretionen.100 Begründung Wie bereits in der Chronologie erwähnt, wurde der Sistierungsentscheid in der entsprechenden Medienmitteilung damit begründet, dass zuerst eine Gesamtschau zur Luftverteidigung (Bodluv und Kampfflugzeuge) erarbeitet werden solle.101 In der Anhörung durch die Arbeitsgruppe hat der Vorsteher des VBS dagegen betont, sein Entscheid sei ein «politischer Führungsentscheid» («une décision de conduite politique») und stütze sich nicht auf technische Aspekte. Er erwähnte auch mehrmals, dass er mit dem Entscheid nicht zuletzt auch einen zweiten Fall Duro habe verhindern wollen. Der Chef Kommunikation gab an, der Vorsteher des VBS habe ihm gegenüber auch finanzielle Bedenken geäussert, da er in Bezug auf das Projekt verschiedene Kostenschätzungen gehört habe.102 Im Rahmen der Anhörung durch die Arbeitsgruppe Bodluv argumentierte der Vorsteher des VBS aber nicht mit konkreten finanziellen Bedenken
oder mit der Vorgeschichte des Projekts. 103 Auch das Rechtsgutachten zur Zusammenarbeit mit Thales (vgl. Kap. 2.2.1) führte er nur am Rand zur Begründung an.104 99 100 101 102 103

104

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 (S. 11, 22).

Siehe dazu Kapitel 2.2.1, insbesondere Fussnote 27.

Medienmitteilung des VBS vom 22.3.2016.

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS durch die Arbeitsgruppe Bodluv vom 25.8.2016 (S. 5).

Allerdings argumentiert der Vorsteher des VBS in einem Interview einige Monate nach der Sistierung ebenfalls mit finanziellen Bedenken (vgl. Aargauer Zeitung vom 29.8.2016).

Der Vorsteher des VBS gab in der Anhörung an, das Gutachten habe seine Zweifel in Bezug auf das Projekt bestärkt, es sei für den Entscheid aber nicht entscheidend gewesen (Protokoll [unveröffentlicht] der Anhörung des Vorstehers des VBS vom 23.6.2016 [S. 6, 20]).

3548

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In den Anhörungen der Arbeitsgruppe schilderten die Projektverantwortlichen von Armee und armasuisse übereinstimmend, dass der Departementsvorsteher seinen Entscheid ihnen gegenüber nicht klar bzw. nicht mit der Gesamtschau begründet hatte.105 Dazu passt auch die Aussage des externen Experten des VBS, welcher in der Anhörung durch die Arbeitsgruppe erwähnte, dass er in Bezug auf die Kommunikation des Entscheids den Vorschlag machte, zukunftsgerichtet und mit der Gesamtschau zu argumentieren, statt die Probleme in den Mittelpunkt zu stellen. 106 Der Chef Kommunikation wies allerdings darauf hin, dass der Vorsteher des VBS ihm gegenüber die Gesamtschau bzw. die Verknüpfung von Bodluv mit der Beschaffung des neuen Kampfflugzeugs bereits im Rahmen ihres Gesprächs vom 26. Februar 2016 erwähnte.107 In Bezug auf die Frage der Notwendigkeit einer neuen Gesamtschau bestehen unterschiedliche Ansichten. Der Gesamtbundesrat hat die bereits bestehende Gesamtschau zur Luftverteidigung ­ d.h. das Konzept zur langfristigen Sicherung des Luftraums, welches er am 27. August 2014 verabschiedet hat ­ noch im August 2015 als nach wie vor aktuell und ausreichend eingestuft. 108 Auch der Chef der Armee und der Kommandant der Luftwaffe beurteilten gegenüber der Arbeitsgruppe die bestehende Gesamtschau als angemessen und aktuell. Eine bessere Verknüpfung der beiden Beschaffungen erachten sie aus technischer Sicht nicht als notwendig oder zweckmässig, auch wenn sie gegenüber der Arbeitsgruppe betonten, dass es beide Systeme brauche bzw. dass die Sicherheit nur mit einer Kombination aus einem System zur Bodenluftabwehr und Kampfjets gewährleistet werden könne.109 In ähnlicher Weise äusserte sich auch der Departementsvorsteher des VBS in den Medien.110 Konsequenzen Als unmittelbare Konsequenz des Sistierungsentscheids ergab sich der Umstand, dass die noch laufenden Tests ­ auf ausdrückliche Anordnung des Departementsvorstehers hin ­ abgebrochen werden mussten. Damit fehlen die Daten, um eine vollständige Bewertung der allenfalls zu beschaffenden Systeme (inkl. Bewertung von deren Fähigkeiten und Einschränkungen sowie genaue Angaben zu den Beschaffungskosten) vornehmen zu können. Weil die Evaluation aber zum Zeitpunkt des Sistierungsentscheids bereits weit fortgeschritten war, konnte die Generalunternehmerin für ihre bereits getätigten Aufwände eine Summe in Rechnung stellen, die in etwa der ursprünglich ausgehandelten Entschädigung entspricht. Konkret bedeutet 105

106 107 108 109

110

Protokolle (unveröffentlicht) der Anhörungen des Chefs der Armee vom 6.7.2016 (S. 11), des Rüstungschefs vom 6.7.2016 (S. 6) und des Vorsitzenden der Projektaufsicht vom 6.7.2016 (S. 7).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des externen Beraters VBS vom 31.8.2016 (S. 14).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs Kommunikation VBS vom 25.8.2016 (S. 5).

Stellungnahme des Bundesrates vom 19.8.2015 zur Motion 15.3709 (Neue Strategie für die Luftwaffe).

Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs der Armee vom 6.7.2016 (S. 10); schriftliche Stellungnahme des Chefs der Luftwaffe zuhanden der Arbeitsgruppe Bodluv vom 15.7.2016.

Vgl. Interview des Vorstehers des VBS im Tages-Anzeiger vom 9.4.2016.

3549

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dies, dass die budgetierten Gelder ausgegeben wurden, ohne dass dafür die vereinbarte Leistung bzw. die definitiven und vollständigen Resultate der Evaluation inkl.

fundierten Angaben zu den definitiven Beschaffungskosten vorliegen.

Als weitere Konsequenz des Entscheids resultiert auch eine Verzögerung bei der Beschaffung von neuen Systemen zur Bodenluftabwehr. Die gemäss Bundesrat bereits heute vorliegende Sicherheitslücke in der Luftverteidigung ­ die Abwehr von Zielen in mittlerer Reichweite ­ bleibt daher noch länger bestehen.111 Weil keine abschliessenden Evaluationsresultate vorliegen, können die evaluierten Systeme auch nicht in der neuen Gesamtschau gewürdigt werden.

3.2.3

Bewertung

Zeitpunkt Die GPK erachten den Zeitpunkt der Sistierung als nicht nachvollziehbar und falsch.

Denn einerseits war dem Departementsvorsteher bewusst ­ er wurde vom Chef der Armee und vom Rüstungschef explizit darauf hingewiesen ­ dass die Sistierung dazu führen würde, dass die Evaluation nicht zu Ende geführt werden kann und damit auch keine abschliessende Bewertung der Systeme möglich ist. Und andererseits, dies gab er selber an, war ihm auch bekannt, dass er bis im September 2016 die Möglichkeit gehabt hätte, das Projekt abzubrechen.

Der Vorsteher des VBS betonte in den Anhörungen der Arbeitsgruppe mehrmals den grossen Druck, den er aufgrund der Diskussionen und Kritik bezüglich der Werterhaltung des Duro spürte, und hielt fest, dass er einen zweiten Fall Duro unbedingt vermeiden wollte. Aufgrund dieses Wunsches und der Tatsache, dass der Vorsteher des VBS den Entscheid am Tag nach einer kritischen Anfrage der Rundschau zum Projekt Bodluv traf, kann die GPK nicht ausschliessen, dass der Entscheid und insbesondere der Entscheidzeitpunkt auch durch den medialen Druck beeinflusst waren und der Vorsteher des VBS mit seinem Entscheid weitere kritische Medienberichte und Indiskretionen zum Projekt Bodluv vermeiden wollte. Die GPK sind zwar durchaus der Ansicht, dass die Berichterstattung der Medien bei Führungsentscheiden einzubeziehen ist. Bevor sich der Departementsvorsteher aber auf Medienberichte stützt, muss er klären, ob die darin enthaltenen Kritikpunkte berechtigt sind.

Falls nicht bzw. falls die Berichte wie im Fall Bodluv ein Projekt betreffen, welches erwiesenermassen auf Kurs ist, liegt es am Departementsvorsteher bzw. am betroffenen Departement, mit einer angemessenen Öffentlichkeitsarbeit auf die Berichterstattungen zu reagieren und auf die kritischen Fragen zu antworten.

Begründung Der Vorsteher des VBS hat die Sistierung gegenüber der Öffentlichkeit damit begründet, dass zuerst eine Gesamtschau zur Luftabwehr erstellt werden soll. Gegenüber der Arbeitsgruppe begründete er den Sistierungsentscheid aber im Wesent111

Konzept zur langfristigen Sicherung des Luftraums, Bericht des Bundesrates vom 27.8.2014 (S. 19); Protokoll (unveröffentlicht) der Anhörung des Chefs der Armee vom 6.7.2016 (S. 10).

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lichen damit, dass er den Eindruck hatte, er sei von den Projektverantwortlichen nicht angemessen über das Projekt informiert worden; dieselbe Begründung gab er auch den Projektverantwortlichen. Dieser Fakt und die Aussage des externen Experten, dass die Begründung des Entscheids mit der Notwendigkeit einer Gesamtschau erst bei der Diskussion über die öffentliche Kommunikation des Entscheids «konstruiert» bzw. beschlossen worden sei, zeigen aus Sicht der GPK, dass die Begründung gegenüber der Öffentlichkeit nicht vollumfänglich den Tatsachen entspricht.

Wie oben ausgeführt, bestehen zur Frage, ob die Erarbeitung einer neuen Gesamtschau notwendig ist, unterschiedliche Ansichten. Die Frage ist aber nicht zuletzt auch eine politische Frage. Die GPK sind daher der Ansicht, dass der Vorsteher des VBS grundsätzlich das Recht hat, eine neue Gesamtschau erarbeiten zu lassen. Sie ist aber auch klar der Ansicht, dass die Erarbeitung einer neuen Gesamtschau den Entscheid, das Projekt Bodluv kurz vor Ende der Evaluationsphase abzubrechen, nicht rechtfertigt. Der Vorsteher des VBS hätte die Gesamtschau ohne weiteres in Auftrag geben können, ohne die Evaluation abzubrechen, und die Ergebnisse der Evaluation sogar in das neue Grundlagenpapier einfliessen lassen können. Denn wie bereits mehrfach ausgeführt, wäre die Evaluation spätestens im September 2016 abgeschlossen gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hätten fundierte Daten zu möglichen Systemen der Bodenluftabwehr und deren Beschaffungskosten vorgelegen, welche für eine Gesamtschau (auch hinsichtlich der Finanzierung der Systeme) nützlich gewesen wären.

Dass der Vorsteher des VBS den Entscheid als «politischen Führungsentscheid», der sich nicht auf technische Elemente gestützt hat, verstanden haben will, ist aus Sicht der GPK ebenfalls keine hinreichende Rechtfertigung dafür, dass er den Sistierungsentscheid am 22. März 2016 im Alleingang und ohne Rücksprache mit den für das Projekt zuständigen Personen gefällt hat. Es ist zwar Recht und Pflicht eines Departementsvorstehers, politische Bewertungen vorzunehmen und dementsprechende Führungsentscheide zu fällen. Wie bereits weiter oben ausgeführt (siehe Kap. 3.1.3), müssen aber auch solche Führungsentscheide bis zu einem gewissen Grad sachlich begründet sein. Dies ist im konkreten Fall Bodluv aus Sicht der GPK aber
nicht der Fall. Erschwerend kommt hinzu, dass ein solcher Führungsentscheid im Beschaffungsprozess des VBS vorgesehen ist und spätestens im September 2016 angestanden wäre. Zu diesem Zeitpunkt und auf der Basis der Resultate der Evaluation sowie in Kenntnis genauer Angaben zu den Beschaffungskosten hätte der Vorsteher des VBS den «politischen Führungsentscheid» treffen müssen (vgl. dazu auch den folgenden Absatz).

Konsequenzen Die Sistierung des Projekts in der Evaluationsphase hat zur Folge, dass heute trotz Aufwendungen von rund 20 Mio. Franken keine vollständige Bewertung der evaluierten Systeme zur bodengestützten Luftabwehr vorhanden ist. Konkret bedeutet dies, dass nicht abschliessend geklärt werden konnte, welche Systeme für eine

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Beschaffung in Frage kämen, ob und wie diese die militärischen Anforderungen 112 erfüllen bzw. mit welchen Einschränkungen und wieviel diese tatsächlich kosten würden. Diese Informationen wären aber fundamental gewesen, um die allfällige Beschaffung politisch beurteilen zu können, gerade vor dem Hintergrund der bisher ungenauen und sich in den letzten Jahren entwickelnden Kostenschätzungen.

Aus Sicht der GPK ist daher auch nicht nachvollziehbar, dass der Vorsteher des VBS gegenüber seinem Chef Kommunikation und teilweise bzw. neuerdings auch gegenüber der Öffentlichkeit Kostenbedenken für den Sistierungsentscheid anführt.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Angaben zu den voraussichtlichen Kosten der Systeme im Laufe des Projekts wesentlich änderten, auch wenn gewisse Zahlen, die in den Medien kolportiert wurden, nachweislich veraltet oder schlicht falsch waren. Tatsache ist aber auch, dass der Vorsteher des VBS mit der Sistierung nicht dafür gesorgt hat, einer unkontrollierten Kostenentwicklung Einhalt zu gebieten, da sich das Projekt noch nicht in der Phase der Beschaffung befand und somit auch noch keine Beschaffungskosten anfielen. Vielmehr hat er mit seinem Entscheid verhindert, dass noch im Jahre 2016 Kostentransparenz hergestellt werden konnte, da aufgrund des Abbruchs der Evaluation keine verlässlichen Angaben zu den Kosten einer möglichen zukünftigen Beschaffung dieser Systeme vorliegen. Festzuhalten ist auch, dass die bisher getätigten Ausgaben in etwa den geplanten Gesamtkosten der Evaluation entsprechen ­ d.h. ein Abschluss der Evaluation hätte nicht zu Mehrkosten geführt.

Der Entscheid führte zusammenfassend also dazu, dass trotz Aufwendungen von rund 20 Mio. Franken (Entschädigung der externen Generalunternehmerin und interne Aufwände) keine vollständige Bewertung der evaluierten Systeme vorliegt und nach wie vor keine Transparenz bezüglich der Fähigkeiten der Systeme und deren Beschaffungskosten besteht. Erschwerend kommt dazu, dass bisher noch unklar ist, inwiefern die bis zum Abbruch der Evaluation erarbeiteten Daten bei einer allfälligen Wiederaufnahme der Evaluation noch gültig sind und weiter verwendet werden könnten. Falls dies nicht der Fall sein sollte ­ und diese Möglichkeit steigt mit zunehmender Dauer der Sistierung an ­ müssten die Evaluation und Tests der Systeme wieder von vorne beginnen und hätten entsprechende Kostenfolgen.

112

Da der Vorsteher des VBS die Sistierung gegenüber der Arbeitsgruppe nicht mit technischen Gründen bzw. mit Fragen bezüglich der militärischen Anforderungen rechtfertigte, hat sich die GPK nicht näher damit auseinandergesetzt. Die Definition der militärischen Anforderungen im Projekt Bodluv wurde aber vom Beauftragten des VBS für die Administrativuntersuchung geprüft. Dieser kam dabei zum Schluss, dass die 2010 definierten Anforderungen während dem Projektverlauf im Grundsatz nicht verändert, jedoch aufgrund der Testergebnisse verfeinert wurden. Er hielt auch fest, dass die Anforderungen zu Beginn jeweils fähigkeitsbasiert formuliert und später dann systembasiert beurteilt werden. In der Evaluationsphase, in der sich das Projekt Bodluv befand, werden die vorhandenen Systeme mit den Anforderungen verglichen und diesbezüglich beurteilt. Je nach Beurteilung ist es auch möglich, dass die militärischen Anforderungen angepasst werden müssen. Der Beauftragte empfiehlt zwar, zu prüfen, ob diese Anforderungen künftig enger definiert werden könnten. Gleichzeitig hält er aber auch fest, dass sich die militärischen Anforderungen im Lauf der Evaluationsphase ändern können und müssen. (Bericht des Untersuchungsbeauftragten zuhanden des Vorstehers des VBS vom 21.9.2016, S. 6, 75­76, 85­86).

3552

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3.2.4

Fazit

Aus Sicht der GPK sind weder der Zeitpunkt des Entscheids noch dessen Begründung nachvollziehbar. Der Departementsvorsteher des VBS traf den Sistierungsentscheid im Wissen darum, dass noch wichtige Tests liefen und dass erst mit den Daten aus diesen Tests eine vollständige Bewertung der potentiell zu beschaffenden Systeme inkl. Informationen zu deren Beschaffungskosten möglich gewesen wäre.

Ihm war zudem bewusst, dass er das Projekt im September 2016 ­ im Rahmen seines Entscheids zum Rüstungsprogramm 2017 ­ hätte abbrechen können. Die Weiterführung bzw. der Abschluss der Evaluation hätte dabei nicht mehr gekostet als der Abbruch, denn die mit der Generalunternehmerin ursprünglich ausgehandelte Entschädigung entspricht etwa der Entschädigung, die das Unternehmen nun für seine bis zum Zeitpunkt der Sistierung getätigten Aufwände in Rechnung stellen konnte.

Die Sistierung führte damit letztlich dazu, dass rund 20 Mio. für die Beschaffungsvorbereitung ausgegeben wurden, ohne dass dafür nun definitive und vollständige Daten zu den getesteten Systemen, deren Fähigkeiten und Einschränkungen und zu deren Beschaffungskosten vorliegen. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass sich die Angaben zu den voraussichtlichen Kosten der Systeme im Laufe des Projekts wesentlich änderten und aufgrund der Sistierung auch weiterhin keine Kostentransparenz besteht. Der Vorsteher des VBS hat mit der Sistierung nicht dafür gesorgt, eine unkontrollierbare Kostenentwicklung zu stoppen. Vielmehr hat er mit seinem Entscheid die Schaffung von Kostentransparenz verhindert.

Auch die öffentlich kommunizierte Begründung des Entscheids ­ die Erarbeitung einer Gesamtschau zur Luftabwehr und die bessere Koordination der Beschaffung von Systemen zur Bodenluft-Abwehr mit der Beschaffung neuer Kampfflugzeuge ­ vermag aus Sicht der GPK nicht zu überzeugen. Denn entsprechende Arbeiten hätten auch gestartet werden können, während die Evaluationsphase im Projekt Bodluv abgeschlossen wird. Nach Abschluss der Evaluation im Herbst hätten die Ergebnisse in die Gesamtschau einfliessen und der Vorsteher des VBS hätte das Projekt dann ­ wie bereits mehrfach ausgeführt ­ immer noch noch stoppen können.

Abgesehen davon finden es die GPK bedauernswert, dass die Rechtfertigung der Sistierung gegenüber der Öffentlichkeit nicht vollständig mit der
Rechtfertigung des Vorstehers des VBS gegenüber der GPK übereinstimmt, da dieser gegenüber der Arbeitsgruppe seine subjektiven Bedenken und die seiner Meinung nach mangelnde Information über das Projekt als wesentliche Gründe für die Sistierung angeführt hatte.

4

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Die GPK haben ihre Arbeitsgruppe beauftragt, den Sistierungsentscheid des Vorstehers des VBS vom 22. März 2016, dessen Entscheidungsgrundlagen sowie die ihr gegenüber erläuterte Begründung des Entscheids (welche nicht vollständig mit der Begründung der Sistierung gegenüber Medien und Öffentlichkeit übereinstimmt) zu bewerten. Basierend auf den Abklärungen ihrer Arbeitsgruppe äussern sich die GPK daher im Folgenden ausschliesslich zum Entscheid des Vorstehers des VBS, das 3553

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Projekt Bodluv in der Evaluationsphase zu sistieren, nicht aber zum Projekt Bodluv an sich bzw. zur Frage der konkreten Beschaffung von Systemen zur bodengestützten Luftabwehr.

Aus Sicht der GPK ergeben sich aus den Ausführungen im vorherigen Kapitel zwei zentrale Feststellungen und Empfehlungen.

4.1

Wiederaufnahme der Evaluation im Projekt Bodluv

Die erste Feststellung betrifft den Sistierungsentscheid an sich. Die GPK sind der Überzeugung, dass dieser nicht aufgrund von sachlichen Gründen und zum falschen Zeitpunkt getroffen wurde. Aufgrund des Entscheids musste die laufende Evaluation abgebrochen werden, die noch längstens bis zum September 2016 gedauert hätte.

Erst zu diesem Zeitpunkt wäre eine abschliessende Beurteilung der Systeme und auch der Kosten vorgelegen. Auf dieser Basis hätte der Departementsvorsteher dann entscheiden müssen, ob die Beschaffung in das Rüstungsprogramm aufgenommen wird oder abgebrochen bzw. zurückgestellt werden soll. Aufgrund des Sistierungsentscheids liegen heute aber nur Teilresultate vor. Dies obwohl die bisher getätigten Ausgaben in etwa den geplanten Gesamtkosten der Evaluation entsprechen.

Die GPK sind der Ansicht, dass nur mit einer raschen Wiederaufnahme der Evaluation gewährleistet werden kann, dass die vor der Sistierung bereits erhobenen Daten weiter verwendet werden können und die Evaluationsphase zeitnah abgeschlossen werden kann, so dass die bisherigen Auslagen noch einen Nutzen bringen und möglichst bald eine fundierte Bewertung der evaluierten Systeme, deren Fähigkeiten und Einschränkungen und deren Beschaffungskosten vorliegt. Auf dieser Basis wäre es dann zuerst am Vorsteher des VBS und danach am Parlament, über die allfällige Beschaffung neuer Systeme zur bodengestützten Luftabwehr mittlerer Reichweite zu entscheiden.

Empfehlung 1 Die GPK fordern den Bundesrat auf, zusammen mit dem Vorsteher des VBS dafür zu sorgen, dass die sistierte Evaluation in der Zwillingsvariante durch Thales Schweiz wieder aufgenommen und rasch abgeschlossen wird, so dass die bisherigen Auslagen noch einen Nutzen erbringen und möglichst bald fundierte Daten zu den evaluierten Systemen und insbesondere zu deren allfälligen Beschaffungskosten vorliegen.

Zudem wird der Bundesrat ersucht, in einem Bericht darzulegen, wie die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher bei Verfahrensentscheiden vorgehen sollen, um in Zukunft voreilige, kostspielige Entscheide zu vermeiden.

Sie gelangen zudem mit einem Schreiben an die sicherheitspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte und bitten diese darum, im Rahmen ihrer Tätigkeit zur raschen Wiederaufnahme und zum Abschluss der Evaluation im Projekt Bodluv beizutragen.

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4.2

Einbezug der zuständigen Personen und Schaffung einer offenen internen Kommunikationskultur

Die GPK bemängeln auch, dass der Departementsvorsteher seinen Entscheid, das Projekt Bodluv zu sistieren, ohne Rücksprache mit den ihm unterstellten zuständigen Personen und Fachexperten getroffen hat, und dabei auch ohne nachvollziehbaren Grund von den vorgesehenen Entscheidungsprozessen abgewichen ist.

Die GPK anerkennen selbstverständlich das Recht eines Departementsvorstehers, politische Bewertungen vorzunehmen und auch Führungsentscheide zu fällen. Dies bedeutet aus Sicht der GPK aber nicht, dass solche Entscheide weder sachlich noch politisch nachvollziehbar sein dürfen, sondern sie bedürfen in jedem Fall auch einer sachlichen Begründung und einer sorgfältigen Abwägung der Konsequenzen. Um dies zu gewährleisten, sind wichtige Entscheidungsprozesse ­ wie der Rüstungsablauf ­ und die Verantwortlichkeiten im Departement klar geregelt. Diese Regelungen sorgen für die nötigen «checks and balances» und sollen so sicherstellen, dass bei wichtigen Entscheiden die zuständigen Verantwortlichen und Fachexperten einbezogen sind und die Entscheide letztlich auf einer fundierten Grundlage beruhen.

Aus Sicht der GPK bestand im Fall Bodluv kein Grund vom vorgesehenen Entscheidungsprozess abzuweichen, noch dazu ohne Konsultation der zuständigen Verantwortlichen (insbesondere des Chefs der Armee, des Rüstungschefs und der Generalsekretärin). Der Rüstungsablauf bzw. die Projektplanung sah vor, dass spätestens im September 2016 eine umfassende Bewertung der Systeme sowie eine fundierte Kostenschätzung vorgelegen hätten und der Departementsvorsteher auf dieser Basis hätte entscheiden müssen, ob er die Beschaffung ins Rüstungsprogramm aufnehmen oder ohne Kostenfolgen abbrechen will. Ein Abbruch vor diesem Zeitpunkt wäre deshalb aus Sicht der GPK nur gerechtfertigt gewesen, wenn erhärtete Hinweise auf Mängel in der Projektführung oder auf gravierende Probleme vorgelegen hätten, was bei der Sistierung von Bodluv nicht der Fall war und vom Vorsteher des VBS auch nicht geltend gemacht wurde.

Die GPK erwarten vom Vorsteher des VBS deshalb, dass er bei künftigen Führungsentscheiden den vorgesehenen Entscheidungsprozessen und Verantwortlichkeiten Rechnung trägt und seine Entscheide auf einer sachlich fundierten Grundlage trifft.

Allerdings erhielten die GPK im Rahmen der vorliegenden Inspektion auch Hinweise darauf,
dass der Entscheid des Vorstehers des VBS bis zu einem gewissen Grad auf seine Zweifel an der Verlässlichkeit der erhaltenen Informationen zum Projekt zurückzuführen ist. Rückblickend betrachtet, scheint auch der Umstand dazu beigetragen zu haben, dass die Projektverantwortlichen den Vorsteher des VBS zu wenig aktiv auf (potentielle) Probleme und Risiken hingewiesen haben bzw. sich zu wenig bewusst waren, dass auch technische Fragen politisch bedeutsam sein können.

Der Vorsteher des VBS war zudem erst seit kurzer Zeit im Amt. Daneben trugen auch die wiederholten Indiskretionen dazu bei, dass er am Projekt und an der Projektführung zweifelte und dieses deshalb in der Evaluationsphase sistierte.

Die GPK sind daher einerseits der Ansicht, dass der Vorsteher des VBS bei künftigen Entscheiden die ihm unterstellten Fachexperten bzw. die zuständigen Kaderleute 3555

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systematischer einbeziehen muss. Andererseits sind diese auch aufgefordert, den Vorsteher offener und proaktiver über mögliche Probleme und Risiken in Projekten zu informieren. Um dies zu gewährleisten, ist es am Vorsteher des VBS, im Rahmen seiner Führungsverantwortung mit geeigneten Massnahmen für die Schaffung einer offenen und aktiven internen sowie externen Kommunikationskultur zu sorgen und damit gleichzeitig die Indiskretionspraxis im Departement anzugehen.

Empfehlung 2 Die GPK fordern den Vorsteher des VBS auf, bei künftigen Führungsentscheiden von einer gewissen politischen Tragweite den vorgesehenen Entscheidungsprozessen Rechnung zu tragen und die ihm unterstellten verantwortlichen Personen einzubeziehen. Zugleich soll er mit geeigneten Massnahmen auch für die Schaffung einer offenen und aktiven internen sowie externen Kommunikationskultur sorgen.

5

Weiteres Vorgehen

Die GPK ersuchen den Bundesrat, bis spätestens am 27. April 2017 zu den obigen Ausführungen und Forderungen Stellung zu nehmen.

26. Januar 2017

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Der Präsident der GPK-S: Ständerat Hans Stöckli Der Präsident der GPK-N: Nationalrat Alfred Heer Der Präsident der Arbeitsgruppe Bodluv: Ständerat Claude Janiak Die Sekretärin der GPK: Beatrice Meli Andres

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Abkürzungsverzeichnis Abs.

Absatz

Art.

Artikel

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

GPK-N

Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

SR

Systematische Rechtssammlung

VBS

Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport

GS

Generalsekretariat

Bodluv

Bodengestützte Luftverteidigung

TUNE14

Rahmenvereinbarung, welche die Zusammenarbeit zwischen der Armee und armasuisse bei Beschaffungsvorhaben regelt

3557

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Verzeichnis der angehörten Personen Blattmann, André

Korpskommandant, Chef der Armee

Falcone-Goumaz, Nathalie

Generalsekretärin VBS (seit dem 1.2.2016)

Grüter, Kurt

Beauftragter des VBS für die Administrativuntersuchung zu Bodluv, ehemaliger Direktor der Eidg. Finanzkontrolle

Knechtenhofer, Bernhard

Chef Projekte und Führungsunterstützung, GS VBS

Parmelin, Guy

Bundesrat, Vorsteher des VBS (seit dem 1.1.2016)

Schellenberg, Aldo C.

Korpskommandant, Kommandant der Luftwaffe / Vorsitzender Projektaufsicht Bodluv

Schregenberger, Hans-Christof

Externer Berater VBS (bis März 2016)

Sonderegger, Martin

Rüstungschef / Direktor armasuisse

Von Rotz, Gregor

Projektleiter Bodluv, armasuisse

Wiedmer, Urs

Chef Kommunikation VBS, GS VBS (seit dem 1.1.2016)

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Anhang

Tabelle zur Chronologie Zusammenfassende Übersicht der Ereignisse Datum

Ereignis

Jan. 2016

Der Vorsteher des VBS fordert eine Übersicht über die «Top-Projekte VBS»

ab 7.1.

Start der kritischen Berichterstattung über Werterhaltung Duro

18.1.

Weisung des Vorstehers des VBS (E-Mail): In Projekten dürfen keine grundsätzlichen Entscheide ohne Absprache mit ihm getroffen werden

19.1.

Sitzung Projektaufsicht Bodluv (Vorstellung Resultate EffektorEvaluation, Weiterverfolgung der Variante «Zwilling»)

19.1.

Der Vorsteher das VBS beschliesst auf Vorschlag des Chefs Projekte und Führungsunterstützung, sich 11 der «Top-Projekte VBS» genauer vorstellen zu lassen, darunter Bodluv

2.2.

Präsentation des Projekts Bodluv für den Vorsteher des VBS durch den Vorsitzenden der Projektaufsicht und den Projektleiter

14.2.

Kritischer Artikel zu Bodluv in der «Zentralschweiz am Sonntag», u.a. bezüglich Allwettertauglichkeit einer der evaluierten Lenkwaffen

22.2.

Sitzung des Vorsitzenden mit der Projektaufsicht und des Projektteams mit der Herstellerfirma der kritisierten Lenkwaffe

24.2.

Start des Prozesses zur Beschaffung eines neuen Kampfjets

26.2.

Vorsteher des VBS erwähnt Bedenken und Möglichkeit einer Sistierung von Bodluv gegenüber dem Chef Kommunikation VBS

29.2.­18.3. Frühjahrssession 29.2.

Stellungnahme (Aktennotiz) des Vorsitzenden der Projektaufsicht zum kritischen Artikel in der «Zentralschweiz am Sonntag» vom 14.2.

zuhanden des Chefs der Armee und des Chefs Kommunikation VBS

1.3.

Sitzung Projektaufsicht Bodluv (Diskussion über kritische Berichterstattung und Allwettertauglichkeit)

2.3.

Vorsteher des VBS nimmt Kenntnis von einer kritischen Informationsnotiz zur Sitzung der Projektaufsicht vom 1.3.2016

4.3.

Präsentation Projekt Bodluv für die Generalsekretärin VBS durch den stv. Vorsitzenden der Projektaufsicht und den Projektleiter

6.3.

Vorsteher des VBS erhält Rechtsgutachten zum Vertrag von armasuisse mit der Generalunternehmerin Thales zur Beschaffungsvorbereitung im Projekt Bodluv 3559

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Datum

Ereignis

7.­18.3.

Behandlung Rüstungsprogramm 2015+ und Werterhaltung Duro im Parlament

21.3.

Anfrage der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens ans VBS: schriftliche Auskunft auf eine Reihe von Fragen zum Projekt Bodluv

22.3.

Sistierungsentscheid (Veröffentlichung um 17.30 Uhr) (und Tag der Attentate in Brüssel)

22.­23.3

Vorsteher des VBS ordnet sofortigen Abbruch aller laufenden Tests an

23.3.

Teilnahme des Vorstehers des VBS an «Rundschau» (und Tag, an dem die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Chef der Armee kommuniziert wird)

24.3.

Debriefing des Vorstehers des VBS mit den Bodluv-Verantwortlichen

14.4.

Zweiter Beitrag der «Rundschau» zu Bodluv, dabei werden klassifizierte Unterlagen eingeblendet

18.4.

Einleitung Administrativuntersuchung und Untersuchung Militärjustiz

29.4.

Auflösung Beschaffungsvorbereitungsvertrag mit Firma Thales

Quelle: eigene Darstellung, basierend auf den Ausführungen der angehörten Personen, insbesondere auf den Ausführungen des Vorstehers des VBS, sowie den ausgewerteten Dokumenten

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