17.063 Botschaft zur Volksinitiative «Zersiedelung stoppen ­ für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» vom 11. Oktober 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Zersiedelung stoppen ­ für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. Oktober 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2017-1872

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Übersicht Die Volksinitiative «Zersiedelung stoppen ­ für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» will die weitere Ausdehnung der Bauzonen auf unbefristete Zeit stoppen und strebt gleichzeitig eine qualitätsvolle Siedlungsentwicklung nach innen an. Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten, die Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

Inhalt der Initiative Die Volksinitiative «Zersiedelung stoppen ­ für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» wurde am 21. Oktober 2016 mit 113 216 gültigen Unterschriften eingereicht. Die Initiative will die weitere Ausdehnung der Bauzonen stoppen. Dazu soll deren Gesamtfläche auf unbefristete Zeit eingefroren werden.

Die Ausscheidung neuer Bauzonen soll nur noch zulässig sein, wenn eine mindestens gleich grosse Fläche von vergleichbarem landwirtschaftlichem Ertragswert ausgezont wird. Gleichzeitig sollen Bund, Kantone und Gemeinden nachhaltige Formen des Wohnens und Arbeitens fördern und eine qualitätsvolle Siedlungsentwicklung nach innen anstreben. Ausserhalb der Bauzonen sollen nur noch Bauten für die bodenabhängige Landwirtschaft oder standortgebundene Bauten von öffentlichem Interesse bewilligt werden. Bestehende Bauten sollen Bestandesgarantie geniessen und geringfügig erweitert bzw. umgenutzt werden können.

Vorzüge und Mängel der Initiative Die Volksinitiative greift wichtige Fragen der schweizerischen Raumplanung auf.

Das anvisierte Ziel einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung ist zu begrüssen. Das generelle, unbefristete Einfrieren der Bauzonenfläche nimmt indessen keine Rücksicht auf kantonale und regionale Unterschiede. Es benachteiligt die Kantone, die haushälterisch mit dem Boden umgegangen sind. In gewissen Gegenden bestünde die Gefahr einer nicht mehr vertretbaren Baulandverknappung, was ein ausgeprägtes Ansteigen der Grundstückspreise mit allen negativen Begleiterscheinungen (z. B.

höhere Wohn- und Gewerbekosten) nach sich ziehen würde. Neuansiedlungen von Unternehmen könnten übermässig erschwert werden, was die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz beeinträchtigen würde. Bei einer Annahme der Initiative würde im Weiteren die Landwirtschaft in ihren Entwicklungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Die vorgesehenen Bestimmungen zum Bauen ausserhalb der Bauzonen sind zudem
interpretationsbedürftig. Schwierigkeiten bei deren Konkretisierung sind absehbar.

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die Siedlungsfläche seit Jahrzehnten zunimmt.

Als Reaktion darauf haben die eidgenössischen Räte im Jahre 2012 eine Revision des Raumplanungsgesetzes verabschiedet. Das Volk hat den darin vorgesehenen griffigen Massnahmen zugestimmt. Deren Umsetzung ist in vollem Gang. Eine erneute Änderung der Kriterien zur Schaffung neuer Bauzonen, noch bevor erste aussagekräftige Zahlen zur Wirkung dieser Revision vorliegen, ist nicht sinnvoll.

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Antrag des Bundesrates Der Bundesrat beantragt deshalb den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Zersiedelung stoppen ­ für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Zersiedelung stoppen ­ für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung vom 18. April 19991 (BV) wird wie folgt geändert: Art. 75 Abs. 4­7 Bund, Kantone und Gemeinden sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für günstige Rahmenbedingungen für nachhaltige Formen des Wohnens und Arbeitens in kleinräumigen Strukturen mit hoher Lebensqualität und kurzen Verkehrswegen (nachhaltige Quartiere).

4

Anzustreben ist eine Siedlungsentwicklung nach innen, die im Einklang steht mit hoher Lebensqualität und besonderen Schutzbestimmungen.

5

Die Ausscheidung neuer Bauzonen ist nur zulässig, wenn eine andere unversiegelte Fläche von mindestens gleicher Grösse und vergleichbarem potenziellem landwirtschaftlichem Ertragswert aus der Bauzone ausgezont wird.

6

Ausserhalb der Bauzone dürfen ausschliesslich standortgebundene Bauten und Anlagen für die bodenabhängige Landwirtschaft oder standortgebundene Bauten von öffentlichem Interesse bewilligt werden. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.

Bestehende Bauten geniessen Bestandesgarantie und können geringfügig erweitert und geringfügig umgenutzt werden.

7

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Zersiedelung stoppen ­ für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» wurde am 7. April 2015 von der Bundeskanzlei vorgeprüft2 und am 21. Oktober 2016 mit den nötigen Unterschriften eingereicht. Mit Verfügung vom 29. November 2016 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 113 216 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist3.

Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20024 (ParlG) hat der Bundesrat der Bundesversammlung somit spätestens bis zum 1 2 3 4

SR 101 BBl 2015 3241 BBl 2016 8547 SR 171.10

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21. Oktober 2017 eine Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 21. April 2019 darüber zu beschliessen, ob sie die Initiative Volk und Ständen zur Annahme oder Ablehnung empfiehlt.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 BV: a)

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b)

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c)

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2

Ausgangslage

Nach Artikel 75 BV legt der Bund Grundsätze der Raumplanung fest. Die Raumplanung selbst ist Sache der Kantone und dient der zweckmässigen und haushälterischen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes (Abs. 1).

Der Bund fördert und koordiniert die Bestrebungen der Kantone und arbeitet mit den Kantonen zusammen (Abs. 2). Bund und Kantone berücksichtigen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Erfordernisse der Raumplanung (Abs. 3).

Mit der am 1. Mai 2014 in Kraft getretenen Teilrevision vom 15. Juni 2012 des Raumplanungsgesetzes vom 22. Juni 19795 (RPG) soll die Zersiedelung eingedämmt und ­ als Folge einer verstärkt nach innen gelenkten Siedlungsentwicklung ­ das Kulturland besser geschützt werden. Diese erste Etappe der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (nachfolgend RPG 1) umfasst namentlich folgende Bereiche: Der fundamentale Grundsatz, das Baugebiet vom Nichtbaugebiet zu trennen, das Gebot, die Siedlungsentwicklung nach innen zu lenken, sowie das Gebot, kompakte Siedlungen zu schaffen, wurden in den Zielkatalog (Art. 1) aufgenommen. Die Planungsgrundsätze (Art. 3) wurden dahingehend ergänzt, dass der Landwirtschaft genügend Kulturland, insbesondere Fruchtfolgeflächen, erhalten bleiben soll. Zudem sollen brachliegende oder ungenügend genutzte Flächen in Bauzonen besser genutzt werden. RPG 1 stärkt im Weiteren die kantonalen Richtpläne im Bereich Siedlung (Art. 6, 8 und 8a). Der Richtplan muss neu aufzeigen, wie gross die Siedlungsfläche insgesamt und ihre räumliche Verteilung sein sollen, wie Siedlung und Verkehr aufeinander abgestimmt werden sollen, wie eine hochwertige Siedlungsentwicklung 5

SR 700

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nach innen gelenkt und wie sichergestellt werden soll, dass die Bauzonen den Anforderungen von Artikel 15 RPG entsprechen. Diese Anforderungen wurden markant erhöht. Neueinzonungen sind nur noch zulässig, wenn die inneren Nutzungsreserven konsequent mobilisiert werden, kein Kulturland zerstückelt wird, die Verfügbarkeit des eingezonten Landes sichergestellt ist und die Vorgaben des Richtplans umgesetzt werden (Art. 15 Abs. 4 Bst. b­e). Die Kantone müssen ihre Richtpläne bis Ende April 2019 an die neuen Bestimmungen anpassen. Bis zur Genehmigung der Anpassungen darf die Bauzonenfläche insgesamt nicht vergrössert werden. Nach unbenütztem Ablauf der Frist ist die Ausscheidung neuer Bauzonen unzulässig, bis der betreffende Kanton über eine vom Bundesrat genehmigte Richtplananpassung verfügt (Art. 38a). Ebenfalls bis Ende April 2019 müssen die Kantone einen angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile nach den Anforderungen von Artikel 5 RPG regeln. Nach unbenütztem Ablauf der Frist ist die Ausscheidung neuer Bauzonen unzulässig, bis der Kanton seiner Pflicht nachgekommen ist. Planungsvorteile müssen mit einem Satz von mindestens 20 Prozent ausgeglichen werden.

Im Jahr 2012 haben Volk und Stände die Zweitwohnungsinitiative angenommen.

Artikel 75b BV beschränkt seither den Anteil der Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten einer Gemeinde auf 20 Prozent. In seiner Botschaft6 zum anfangs 2016 in Kraft getretenen Zweitwohnungsgesetz7 geht der Bundesrat davon aus, dass dadurch im Vergleich zum jährlichen Verlust an Kulturland mit einer eingesparten Siedlungsfläche von rund 2 Prozent zu rechnen ist.

Ins Umfeld der Zersiedelungsinitiative gehören sodann verschiedene Initiativen auf kantonaler Ebene. Im Jahr 2012 hat das Zürcher Stimmvolk die sogenannte Kulturlandinitiative angenommen. Diese forderte in der Form einer allgemeinen Anregung den Schutz von wertvollem Kulturland. Die auf Gesetzesstufe vorgesehene Umsetzung, welche einen flächengleichen Ersatz bei der Einzonung von ackerfähigem Land vorsah, wurde allerdings 2016 von den Zürcher Stimmberechtigten verworfen.

Diese folgten der Argumentation, dass der Kanton Zürich mit dem an RPG 1 angepassten Richtplan ­ der Bundesrat genehmigte die Anpassung im April 2015 ­ bereits über ein griffiges Instrument für den Kulturlandschutz
verfüge. Im Kanton Bern wurde 2014 ebenfalls eine Initiative mit dem Ziel eingereicht, das Kulturland in qualitativer und quantitativer Hinsicht besser zu schützen. Nachdem der Grosse Rat einen Gegenvorschlag verabschiedet hatte, der einen verstärkten Schutz der landwirtschaftlichen Nutzflächen und insbesondere der Fruchtfolgeflächen vorsieht, wurde die Initiative zurückgezogen. Im Kanton Thurgau haben die Stimmberechtigten im Februar 2017 mit grossem Mehr dem Gegenvorschlag zu einer kantonalen Kulturlandinitiative zugestimmt, der die Kantonsverfassung dahingehend ergänzt, dass Kanton und Gemeinden für die Erhaltung des Nichtsiedlungsgebiets sorgen und Massnahmen für eine qualitativ hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen treffen.

Zu erwähnen ist schliesslich die Vorlage zur zweiten Etappe der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes. Es ist vorgesehen, die entsprechende Botschaft den eidge6 7

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nössischen Räten im 2018 zu unterbreiten. Zentraler Gegenstand der Vorlage sind die Bestimmungen über das Bauen ausserhalb der Bauzonen, welche den Rahmen für die Baumöglichkeiten im Nichtbaugebiet festlegen. Diese Bestimmungen sollen optimiert und vereinfacht werden. Rechnung zu tragen ist dabei zum einen den Bedürfnissen der im Strukturwandel begriffenen Landwirtschaft sowie den regional unterschiedlichen Gegebenheiten, welche einen kantonalen Gestaltungsspielraum erfordern. Andererseits ist der Grundsatz der Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet zu stärken und den Anforderungen des Kulturlandschutzes Rechnung zu tragen.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Wie ihr Titel besagt, will die Initiative die Zersiedelung stoppen und für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung sorgen. Die Zersiedelung zeigt sich gemäss den Initiantinnen und Initianten daran, dass mit tiefer Dichte gebaut werde und das Wohnareal weit zerstreut sei. Dies verursache zusätzlichen Verkehr. Um dem entgegenzuwirken, strebt die Initiative nachhaltige Formen des Wohnens und Arbeitens in kleinräumigen Strukturen mit kurzen Verkehrswegen an. Die weitere Zersiedelung soll dadurch gestoppt werden, dass kein Bauland mehr eingezont wird, ohne dass eine mindestens gleich grosse Fläche ausgezont wird. Zudem sollen ausserhalb der Bauzonen grundsätzlich nur noch Bauten für die bodenabhängige Landwirtschaft und standortgebundene Bauten von öffentlichem Interesse bewilligt werden.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die Initiative will den bestehenden Artikel 75 BV, der drei Absätze umfasst, mit vier weiteren Absätzen ergänzen. Gemäss dem neuen Absatz 4 von Artikel 75 BV sollen Bund, Kantone und Gemeinden für günstige Rahmenbedingungen für nachhaltige Formen des Wohnens und Arbeitens in kleinräumigen Strukturen mit kurzen Verkehrswegen sorgen. Anzustreben ist dabei nach dem neuen Absatz 5 eine Siedlungsentwicklung nach innen im Sinne einer Verdichtung unter gleichzeitiger Wahrung einer hohen Lebensqualität. Eine qualitativ hochwertige Verdichtung ist nach Ansicht der Initiantinnen und Initianten das zentrale Element einer nachhaltigen Raumplanung.

Von weittragender Bedeutung ist der neue Absatz 6, wonach die Ausscheidung neuer Bauzonen nur dann zulässig sein soll, wenn eine unversiegelte Fläche von mindestens gleicher Grösse und vergleichbarem landwirtschaftlichem Ertragswert ausgezont wird. Absatz 6 wird durch einen neuen Absatz 7 flankiert, wonach ausserhalb der Bauzonen nur Bauten und Anlagen für die bodenabhängige Landwirtschaft oder standortgebundene Bauten von öffentlichem Interesse bewilligt werden dürfen. Das Gesetz soll Ausnahmen vorsehen können. Weiter sollen bestehende Bauten ausserhalb der Bauzonen nach Absatz 7 Bestandesgarantie geniessen.

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Darüber hinaus sollen sie geringfügig erweitert und geringfügig umgenutzt werden können.

3.3

Erläuterung und Auslegung der Initiative

Mit den neuen Absätzen 4 und 5 von Artikel 75 BV strebt die Initiative nachhaltige Formen des Wohnens und Arbeitens in kleinräumigen Strukturen mit kurzen Verkehrswegen (nachhaltige Quartiere) sowie eine hochwertige Verdichtung an.

Absatz 4 enthält aus Sicht der Initiantinnen und Initianten die übergeordnete Zielsetzung. Nachhaltiges Wohnen bedeute einen sparsamen Umgang mit der Ressource Boden. Der Wohnraum soll nahe bei den Arbeitsplätzen liegen, funktional durchmischt und mit dem öffentlichen Verkehr gut erschlossen sein. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen, zu der Bund, Kantone und Gemeinden verpflichtet werden, verlangt nach Meinung der Initiantinnen und Initianten, dass Hürden für nachhaltige Quartiere wie beispielsweise die Parkplatzpflicht abgebaut werden. Die Initiantinnen und Initianten zählen eine Reihe weiterer Massnahmen auf, die für günstige Rahmenbedingungen sorgen sollen, z. B. die Optimierung der Infrastruktur, die Bereitstellung bezahlbarer Wohnflächen oder die Förderung von Genossenschaften.

Nach Absatz 5 ist eine Siedlungsentwicklung nach innen anzustreben, die im Einklang steht mit hoher Lebensqualität und speziellen Schutzbestimmungen. Angesprochen ist damit eine hochwertige Verdichtung. Dabei sollen weder die Kantone noch die Hauseigentümer zur Verdichtung gezwungen werden. Vielmehr sollen in der Nutzungsplanung durch Ausnützungsziffern oder andere geeignete Instrumente Anreize für verdichtetes Bauen geschaffen werden. Verdichtungsmassnahmen sollen die Lebensqualität berücksichtigen und nicht auf Kosten schützenswerter Bausubstanz gehen.

Eine weitreichende Forderung der Initiative findet sich im neuen Absatz 6 von Artikel 75 BV, wonach die Gesamtfläche der Bauzonen auf dem heutigen Stand eingefroren werden soll. Neue Bauzonen sollen nur noch zulässig sein, wenn eine unversiegelte Fläche von mindestens gleicher Grösse und vergleichbarem landwirtschaftlichem Ertragswert ausgezont wird. Eine Flächenkompensation innerhalb der gleichen Gemeinde wäre dabei nach Meinung der Initiantinnen und Initianten wenig zielführend. Langfristig erachten sie den schweizweiten Ausgleich als sinnvollste Variante. Dabei kommen ihres Erachtens grundsätzlich zwei Umsetzungsmöglichkeiten in Betracht.8 Nach der einen würden die vorhandenen Bauzonenreserven nach Massgabe der Arbeitsplätze, der
Verkehrsanbindung und der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung auf die Gemeinden verteilt. Eine andere Möglichkeit bestünde in der Schaffung einer Handelsplattform für Bauzonen. Dabei würde der Flächenausgleich über den Preismechanismus gesteuert.

Absatz 6 sieht vor, dass die auszuzonende Fläche von vergleichbarem potenziellem landwirtschaftlichem Ertragswert wie die einzuzonende Fläche sein muss. Damit 8

Siehe Argumentarium zur Zersiedelungsinitiative, S. 14, elektronisch abrufbar unter www.zersiedelung-stoppen.ch/initiative > Initiative > Argumentarium.

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soll sichergestellt werden, dass die landwirtschaftliche Produktionskapazität nicht abnimmt. Verfügt die einzuzonende Fläche über einen höheren Ertragswert als die auszuzonende Fläche, so muss entsprechend eine grössere Fläche ausgezont werden, was zu einer Verkleinerung der Bauzonenfläche führt. Die Initiantinnen und Initianten weisen darauf hin, dass das Umgekehrte nicht gilt, weil nach dem Wortlaut von Absatz 6 die auszuzonende Fläche in jedem Fall mindestens gleich gross wie die einzuzonende Fläche sein muss.9 Zu beachten ist im Weiteren, dass die auszuzonende Fläche nicht versiegelt sein darf. Bauten oder Anlagen aufweisende oder sonst wie versiegelte Flächen fallen als Kompensationsflächen ausser Betracht.

Für die Bestimmung des landwirtschaftlichen Ertragswerts ist gemäss den Initiantinnen und Initianten auf das bäuerliche Bodenrecht, genauer auf die Anleitung vom 26. November 200310 für die Schätzung des landwirtschaftlichen Ertragswertes (Schätzungsanleitung) abzustellen.11 Nach der Schätzungsanleitung wird der in Franken ausgedrückte landwirtschaftliche Ertragswert anhand der Bodenqualität und weiterer Kriterien (Klima, Exposition, Hangneigung usw.) bestimmt. Es gibt allerdings auch andere Bewertungsmethoden. Eine Methode, die im Rahmen der Überarbeitung des Sachplans Fruchtfolgeflächen diskutiert wird, besteht in der Bewertung anhand der Bodenfunktionen. Dabei werden neben der Bodenqualität auch ökologische und landschaftliche Gesichtspunkte in die Bewertung einbezogen.

Welche Bewertungsmethode sich mit dem Initiativtext vereinbaren lässt und welcher der Vorrang gebührt, wäre bei einer Annahme der Initiative vom Gesetzgeber zu entscheiden.

Die Initiantinnen und Initianten gehen davon aus, dass das Einfrieren der Bauzonenfläche den Druck auf das Gebiet ausserhalb der Bauzonen erhöht und Absatz 6 durch ein Ausweichen auf die Nichtbauzone unterlaufen werden könnte. Um dies zu verhindern, legt der vorgeschlagene Absatz 7 die ausserhalb der Bauzonen zulässigen Bauten und Anlagen auf Verfassungsstufe fest. Bewilligungsfähig sind ausschliesslich standortgebundene Bauten und Anlagen für die bodenabhängige Landwirtschaft sowie standortgebundene Bauten von öffentlichem Interesse. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.

Der in Absatz 7 statuierte Grundsatz einer bodenabhängig produzierenden
Landwirtschaft ist strenger als das geltende Recht. Gemäss Artikel 34 Absatz 1 der Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 200012 (RPV) sind in der Landwirtschaftszone nicht bloss Bauten und Anlagen für die bodenabhängige Bewirtschaftung zulässig.

Zonenkonform sind überdies Bauten und Anlagen für die innere Aufstockung (z. B.

Geflügelmasthallen) sowie ­ in speziell dafür vorgesehenen Gebieten nach Artikel 16a Absatz 3 RPG (sog. Speziallandwirtschaftszonen) ­ Bauten und Anlagen für die über eine innere Aufstockung hinausgehende bodenunabhängige Produktion (z. B. Gewächshäuser für überwiegend bodenunabhängig produzierende Gemüse9 10 11 12

Siehe Argumentarium zur Zersiedelungsinitiative, S. 12, elektronisch abrufbar unter www.zersiedelung-stoppen.ch/initiative > Initiative > Argumentarium.

Anhang zur Verordnung vom 4. Oktober 1993 über das bäuerliche Bodenrecht (VBB, SR 211.412.110) Siehe Argumentarium zur Zersiedelungsinitiative, S. 14, elektronisch abrufbar unter www.zersiedelung-stoppen.ch/initiative > Initiative > Argumentarium.

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baubetriebe). Gemäss Artikel 16a Absatz 1bis RPG können sodann Bauten und Anlagen zur Energiegewinnung aus Biomasse (z. B. Biogasanlagen) unter gewissen Voraussetzungen als zonenkonform bewilligt werden. Artikel 16abis RPG erklärt schliesslich Bauten und Anlagen für die Haltung und Nutzung von Pferden unter bestimmten Bedingungen als zonenkonform. Der restriktivere Ansatz der Initiative wird insofern relativiert, als das Gesetz Ausnahmen vorsehen kann (Abs. 7 zweiter Satz). Ob auf diesem Weg z. B. Biogasanlagen oder Bauten und Anlagen für die innere Aufstockung ­ allenfalls unter einschränkenderen Voraussetzungen als nach geltendem Recht ­ generell zugelassen werden könnten, ist nicht einfach zu beantworten. Klar ist, dass die Ausnahmen nicht so weit gehen dürften, dass der in Absatz 7 statuierte Grundsatz der Bodenabhängigkeit völlig aufgeweicht würde.

Hinsichtlich der Standortgebundenheit (Art. 24 RPG) unterscheidet sich Absatz 7 insofern vom geltenden Recht, als nur standortgebundene Bauten bewilligt werden dürfen, die einem öffentlichem Interesse entsprechen. Dieses zusätzliche Bewilligungserfordernis ist relativ unbestimmt. Im Hinblick auf einen einheitlichen, rechtsgleichen Vollzug wird es unumgänglich sein, ihm in der Ausführungsgesetzgebung präzisere Konturen zu verleihen. Auch vom Erfordernis des öffentlichen Interesses kann das Gesetz Ausnahmen vorsehen (Abs. 7 zweiter Satz). Die Initiantinnen und Initianten denken dabei an standortgebundene Vorhaben von gemeinnützigen Vereinen, an Berghütten oder dergleichen.

Absatz 7 sieht im Weiteren vor, dass bestehende Bauten ausserhalb der Bauzonen Bestandesgarantie13 geniessen. Mit Blick auf die Stossrichtung der Initiative ist davon auszugehen, dass die Initiantinnen und Initianten damit nicht weitergehen wollen als das, was sich bereits heute aus der verfassungsmässigen Besitzstandsgarantie ergibt. Danach geniessen rechtmässig erstellte, im Verlaufe der Zeit aber zonenwidrig gewordene Bauten, die noch bestimmungsgemäss nutzbar sind, Bestandesschutz bzw. Besitzstandsgarantie14. Diese Garantie umfasst das Recht, die Baute wie bisher zu nutzen, sowie das Recht, sie im Rahmen ihrer normalen Lebensdauer zu unterhalten, nicht hingegen das Recht auf den Wiederaufbau15.

Bestandesgeschützte Bauten im umschriebenen Sinn sollen nach Absatz 7 geringfügig
erweitert und geringfügig umgenutzt werden können. Mit dieser Erweiterung der Besitzstandsgarantie nehmen die Initiantinnen und Initianten wohl auf Artikel 24c Absatz 2 RPG Bezug, wonach bestandesgeschützte Bauten und Anlagen erneuert, teilweise geändert, massvoll erweitert oder wiederaufgebaut werden können. Absatz 7 übernimmt diese im RPG erfolgte Ausweitung der Besitzstandsgarantie nur in eingeschränkter Weise. Im Unterschied zu Artikel 24c Absatz 2 RPG wird der Wiederaufbau nicht genannt. Dies dürfte als qualifiziertes Schweigen zu verstehen sein, d. h. dass Absatz 7 den Wiederaufbau nicht zulässt. Zudem gehen die möglichen Änderungen an der Baute weniger weit als nach Artikel 24c Absatz 2 13

14 15

Siehe zu den Begriffen der Bestandesgarantie und der Besitzstandsgarantie z. B. Muggli in Aemisegger/Moor/Ruch/Tschannen, Praxiskommentar RPG: Bauen ausserhalb der Bauzonen, Bern 2017, Art. 24c, N 11.

Die verfassungsmässige Besitzstandsgarantie ist ein Teilgehalt des Vertrauensschutzes (Art. 9 BV) und der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV).

Siehe Muggli, in Aemisegger/Moor/Ruch/Tschannen, Praxiskommentar RPG: Bauen ausserhalb der Bauzonen, Bern 2017, Art. 24c, N 11.

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RPG. Dort werden teilweise Änderungen und massvolle Erweiterungen als zulässig erklärt, während Absatz 7 nur geringfügige Erweiterungen und geringfügige Umnutzungen vorsieht. Es wird dem Gesetzgeber obliegen, näher zu umschreiben, was darunter zu verstehen ist. Klärungsbedürftig ist sodann das Verhältnis von Absatz 7 zu Artikel 24a RPG (Zweckänderungen ohne bauliche Massnahmen), Artikel 24b RPG (nichtlandwirtschaftliche Nebenbetriebe), Artikel 24d RPG (landwirtschaftsfremde Wohnnutzung und schützenswerte Bauten), Artikel 24e RPG (hobbymässige Tierhaltung) sowie Artikel 37a RPG (zonenfremde gewerbliche Bauten und Anlagen). Gemäss den Initiantinnen und Initianten sollen jedenfalls Erweiterungen oder Umnutzungen, welche den Bestand an Wohnbauten über den für die eigentliche landwirtschaftliche Bewirtschaftung benötigten Bestand hinaus erhöhen, nicht erlaubt sein.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Mit den neuen Absätzen 4 und 5 von Artikel 75 BV strebt die Initiative nachhaltige Formen des Wohnens und Arbeitens in kleinräumigen Strukturen mit kurzen Verkehrswegen (nachhaltige Quartiere) sowie eine hochwertige Verdichtung an. Die Förderung der nachhaltigen Entwicklung bildet bereits heute einen Verfassungsauftrag (siehe Art. 2 und 73 BV). Der Bundesrat legt seine diesbezügliche Politik in der «Strategie Nachhaltige Entwicklung» fest. In der aktuellen Strategie 2016­19 hat er für das Handlungsfeld «Siedlungsentwicklung, Mobilität und Infrastruktur» namentlich die Eindämmung der Zersiedelung und eine qualitativ hochwertige bauliche Innenentwicklung als Ziele bestimmt. Auch das Raumplanungsgesetz enthält verschiedene Ziele und Grundsätze, die auf eine nachhaltige Siedlungsentwicklung und innere Verdichtung abzielen. Gemäss Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe abis RPG unterstützen Bund, Kantone und Gemeinden mit Massnahmen der Raumplanung die Bestrebungen, die Siedlungsentwicklung nach innen zu lenken; sie sollen dabei eine angemessene Wohnqualität berücksichtigen. Artikel 8a Absatz 1 Buchstabe c RPG fordert von den Kantonen, im Richtplan festzulegen, wie sie eine hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen bewirken wollen. In seinem Bericht16 in Erfüllung des Postulats von Graffenried 14.3806 kommt der Bundesrat denn auch zum Schluss, dass die Kantone und die Gemeinden über den erforderlichen Spielraum verfügen, um die Siedlungsentwicklung nach innen zu konkretisieren und zu fördern. Mit dem Programm «Impuls Innenentwicklung» unterstützt der Bund entsprechende Bestrebungen im Zeitraum von 2016­2020 finanziell. Zu nennen sind im Weiteren die Agglomerationspolitik 2016+, die Modellvorhaben zur nachhaltigen Raumentwicklung oder die Förderprogramme für nachhaltige Quartiere. Der Bundesrat ist deshalb der Ansicht, dass das geltende Recht den mit den neuen Absätzen 4 und 5 verfolgten Anliegen bereits Rechnung trägt.

16

Abrufbar unter: www.parlament.ch > 14.3806 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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Die Initiantinnen und Initianten sind der Auffassung, dass trotz RPG 1 und trotz Annahme der Zweitwohnungsinitiative die Zersiedelung nicht wirksam gestoppt werde. Die fundamentale Schwäche von RPG 1 bestehe in der Nachfrageorientierung: Werde mehr Bauland benötigt, so werde mehr Bauland eingezont. Darüber hinaus könnten die Kantone mit dem Bevölkerungsszenario, das sie ihren Bedarfsberechnungen zugrunde legen, die Intentionen des Gesetzgebers verwässern. Aus Sicht der Initiantinnen und Initianten braucht es daher ein unbefristetes Einfrieren der Bauzonenfläche (neuer Abs. 6). Eine solch einschneidende Massnahme trägt jedoch nach Ansicht des Bundesrats der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung und den unterschiedlichen kantonalen und regionalen Verhältnissen nicht angemessen Rechnung. Darauf hat er bereits in seiner Botschaft17 zur Volksinitiative «Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)» hingewiesen, die ein zwanzigjähriges Einzonungsmoratorium vorsah. Der Bundesrat ist sich dabei bewusst, dass sowohl die Siedlungsfläche als auch die pro Person beanspruchte Fläche zugenommen haben. Die Siedlungsfläche umfasst nebst den Gebäudearealen (inkl. Umschwung) alle übrigen Anlagen des Wohnens, des Arbeitens, der Freizeit und der Mobilität.

Auch Grünräume für die Erholung (z. B. Parkanlagen) gehören dazu. Die Gebäudeareale machen zusammen mit den Industrie- und Gewerbearealen fast 60 Prozent der Siedlungsfläche aus. Ein knappes Drittel entfällt auf die Verkehrsflächen. Die Siedlungsfläche bedeckt 7,5 Prozent der Fläche der Schweiz. Im Mittelland ist ihr Anteil mit 16,0 Prozent mehr als doppelt so gross wie im Landesdurchschnitt. Die pro Person beanspruchte Fläche lag anfangs der 80er-Jahre bei 387 m2. Gemäss der aktuellsten gesamtschweizerischen Arealstatistik (2004/09) werden mittlerweile 407 m2 beansprucht. Damit wird der Wert von 400 m2 pro Person, der vom Bundesrat in der Nachhaltigkeitsstrategie 2012­15 als Maximum festgelegt wurde, überschritten. Als Reaktion darauf haben die eidgenössischen Räte im Jahre 2012 RPG 1 verabschiedet. Das Volk hat den darin vorgesehenen griffigen Massnahmen in der Referendumsabstimmung vom 3. März 2013 zugestimmt. RPG 1 wurde am 1. Mai 2014 in Kraft gesetzt und ist seither in Umsetzung begriffen. Die Arbeiten in den Kantonen sind weit fortgeschritten (Stand:
20. September 2017): acht kantonale Richtpläne konnten vom Bundesrat bereits genehmigt werden (AG, BE, BS, GE, LU, SZ, UR, ZH), sechs befinden sich in Prüfung (AI, NW, SG, SO, TG, VD), bei fünf Richtplänen ist die Vorprüfung abgeschlossen (AR, BL, GR, VS, ZG) und für vier ist sie im Gang (JU, NE, SH, TI). Die Kantone müssen ihre Richtpläne bis Ende April 2019 an die neuen strengeren Bestimmungen anpassen. Bis zur Genehmigung des Richtplans darf im betreffenden Kanton die Bauzonenfläche insgesamt nicht vergrössert werden. Ab dem 1. Mai 2019 ist die Ausscheidung neuer Bauzonen unzulässig, solange der betreffende Kanton nicht über eine vom Bundesrat genehmigte Richtplananpassung verfügt (siehe Art. 38a RPG). Neben der Richtplanung sind auch Anpassungen der kantonalen Gesetzgebung erforderlich, insbesondere im Bereich von Artikel 5 RPG (Mehrwertabgabe) und Artikel 15a RPG (Förderung der Verfügbarkeit von Bauland). Die Umsetzung von Artikel 5 RPG muss bis spätestens Ende April 2019 erfolgen. Nach unbenütztem Ablauf dieser Frist ist die Ausscheidung neuer Bauzonen im betreffenden Kanton unzulässig (siehe Art. 38a Abs. 5 RPG).

17

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Wie stark der Bodenverbrauch mit RPG 1 eingedämmt wird, lässt sich derzeit nicht quantifizieren. Die Vorgaben in den Richtplänen müssen zuerst in den Nutzungsplänen der Gemeinden umgesetzt werden. Dies wird einige Zeit in Anspruch nehmen.

Die ersten Zahlen, von denen man sich substanzielle Rückschlüsse erhoffen darf, sollten im Jahre 2022 vorliegen. Zum einen werden dies die Zahlen der Arealstatistik sein. Für die westlichen Teile der Schweiz sind zwar Ergebnisse der laufenden Erhebung 2013/18 bereits verfügbar, gesamtschweizerisch werden aber frühestens im Jahre 2021 Zahlen vorliegen. Zum andern sollte die Bauzonenstatistik 2022 Rückschlüsse auf die Entwicklung 2017­22 zulassen. Trotz momentan fehlender statistischer Daten lässt sich beobachten, dass RPG 1 bereits in verschiedener Hinsicht Wirkung entfaltet. Als Beispiele können etwa genannt werden: erste Rückzonungen; Erlass von Planungszonen zur Sicherung von Flächen, die sich zur Rückzonung eignen; Bezeichnung von Gebieten, die sich für eine Verdichtung eignen; verbindliche Vorgaben betreffend Mindestdichten; Arbeitshilfen und Beispielsammlungen zur nachhaltigen Innenentwicklung.

Angesichts des eingeleiteten Paradigmenwechsels und der im vollen Gang befindlichen Umsetzung von RPG 1 ist der Bundesrat der Auffassung, dass derzeit keine neuen Vorgaben für die Ausscheidung von Bauzonen nötig sind. Gegenteils könnten sich solche negativ auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen auswirken.

Was das Bauen ausserhalb der Bauzonen betrifft, legt der vorgeschlagene Absatz 7 die zulässigen Bauten und Anlagen auf Verfassungsstufe fest. Im Bereich der Landwirtschaft verweist die Initiative Bauten und Anlagen für die bodenunabhängige Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse in die Bauzone. Das Gesetz kann zwar Ausnahmen vorsehen (Abs. 7 zweiter Satz). Dies ändert jedoch kaum etwas daran, dass die Landwirtschaft in ihren Entwicklungsmöglichkeiten stark eingeschränkt würde. Aus Sicht des Bundesrats hat sich die heutige Regelung bewährt. Sie ermöglicht untergeordnete bodenunabhängige Produktionsanlagen (sog. innere Aufstockungen) und sieht spezielle Zonen für Bauten und Anlagen vor, die über eine innere Aufstockung hinausgehen (sog. Speziallandwirtschaftszonen). Die Ausscheidung solcher Zonen hat gemäss Konzentrationsprinzip
schon nach heutigem Recht grundsätzlich im Anschluss ans Baugebiet zu erfolgen.

Im Gegensatz zum geltenden Recht sollen nach Absatz 7 die bestandesgeschützten Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen bloss noch geringfügig erweitert und geringfügig umgenutzt werden dürfen. Wie stark damit die baulichen Möglichkeiten gemäss geltendem Recht eingeschränkt würden, müsste vom Gesetzgeber geklärt werden (siehe oben Ziff. 3.3).

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Bei einer Annahme der Initiative wären Bund, Kantone und Gemeinden gehalten, günstige Rahmenbedingungen für nachhaltige Quartiere zu schaffen (Abs. 4). Die Initiantinnen und Initianten zählen ein Bündel von Massnahmen und Instrumenten auf. So könne die öffentliche Hand durch eine aktive Bodenpolitik bezahlbare

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Wohnfläche bereitstellen, das genossenschaftliche Wohnen fördern oder Hürden abbauen wie z. B. die Parkplatzpflicht.

Absatz 5, der eine Siedlungsentwicklung nach innen anstrebt, deckt sich in weitgehendem Masse mit der Stossrichtung von RPG 1 (siehe oben Ziff. 4.1). Die Initiantinnen und Initianten weisen ausdrücklich darauf hin, dass weder die Kantone noch die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer zur Verdichtung gezwungen werden sollen.

Weitreichende Auswirkungen hätte die in Absatz 6 vorgesehene Einfrierung der Bauzonenfläche. Neueinzonungen wären nur noch möglich, wenn gleichzeitig anderswo eine mindestens gleich grosse Fläche von vergleichbarem landwirtschaftlichem Ertragswert ausgezont würde. Während ein solches Ausgleichssystem innerhalb einer Gemeinde oder auch eines Kantons als bewältigbar erscheint, ist die Praktikabilität über die Kantonsgrenzen hinweg offen. Es hinge sehr viel vom Bundesgesetzgeber ab, der ein vollzugstaugliches Kompensationssystem schaffen müsste.

Kantone, die viele unüberbaute Bauzonen aufweisen, müssten nötigenfalls gezwungen werden, Bauland zugunsten anderer Kantone abzugeben. Auch die seinerzeitige Landschaftsinitiative sah einen ­ auf 20 Jahre befristeten ­ Einzonungsstopp vor.

In seiner damaligen Botschaft18 wies der Bundesrat darauf hin, dass dort, wo der Baulandbedarf gross ist, oft auch die Siedlungsentwicklung nach innen weit fortgeschritten sei. Bei einer ungenügenden Baulandumlagerung über die Regions- und Kantonsgrenzen hinweg bestünde in diesen Gegenden die Gefahr einer nicht mehr vertretbaren Baulandverknappung, was ein ausgeprägtes Ansteigen der Grundstückspreise mit allen negativen Begleiterscheinungen (z. B. höhere Wohn- und Gewerbekosten) nach sich ziehen würde. Das Baulandangebot könnte derart knapp werden, dass es schwierig würde, für neue Unternehmen an geeigneten Standorten genügend Land bereitzustellen. Es müsste damit gerechnet werden, dass sich Unternehmen vermehrt im Ausland statt in der Schweiz niederlassen würden.

Was das Bauen ausserhalb der Bauzonen betrifft, hätte eine Annahme der Initiative namentlich auf die Landwirtschaft tiefgreifende Auswirkungen. Bauten und Anlagen für die bodenunabhängige Produktion wären in der Landwirtschaftszone neu grundsätzlich unzulässig. Wie stark die Zahl der bewilligungsfähigen standortgebundenen
Bauten und Anlagen beschränkt würde, hinge davon ab, wie das nach Absatz 7 erforderliche öffentliche Interesse interpretiert und wie umfangreich der Ausnahmekatalog ausfallen würde. Was die bestandesgeschützten Bauten anbelangt, wären die Änderungsmöglichkeiten merklich eingeschränkter.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Aus raumplanerischer Sicht zu begrüssen ist der Fokus auf eine qualitativ hochstehende Siedlungsentwicklung nach innen. Wie gesehen, bedarf es dafür aber keiner Verfassungsänderung.

Die Initiative gebietet der weiteren Ausdehnung der Bauzonen Einhalt. Gleichzeitig verstärkt sie den Schutz des Kulturlandes und begrenzt den Pro-Kopf-Verbrauch an 18

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Boden. Andererseits würde die Zersiedelung in gewissen Gebieten nicht gestoppt, sondern unter Umständen noch akzentuiert, nämlich dann, wenn sich die Bautätigkeit als Folge des Einfrierens der Bauzonenfläche in peripher gelegene oder sonstwie ungeeignete Bauzonen verlagern würde. Im Unterschied zum geltenden Recht (siehe Art. 15 Abs. 2 RPG) statuiert der Initiativtext zudem keine Pflicht, überdimensionierte Bauzonen zu reduzieren.

Der Hauptmangel der Initiative steckt im undifferenzierten Einzonungsstopp. Kantone und Gemeinden, die haushälterisch mit dem Boden umgegangen sind und bedarfsgerechte Bauzonen ausgeschieden haben, wären in ihren Entwicklungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Gebiete mit überdimensionierten oder ungeeigneten Bauzonen könnten demgegenüber vom Einzonungsstopp sogar profitieren. Auch ist völlig offen, ob sich ein den Bedürfnissen von Bevölkerung und Wirtschaft gerecht werdender schweizweiter Ausgleichsmechanismus überhaupt bewerkstelligen liesse.

Bei einer ungenügenden Baulandumlagerung über die Regions- und Kantonsgrenzen hinweg bestünde in gewissen Gegenden die Gefahr einer nicht mehr vertretbaren Baulandverknappung mit all ihren negativen Folgen.

Die auszuzonenden Flächen müssen unversiegelt sein und mindestens den gleichen landwirtschaftlichen Ertragswert wie die einzuzonenden Flächen aufweisen. Bei einem tieferen Ertragswert müsste entsprechend eine grössere Fläche ausgezont werden. Die ohnehin schon einschneidenden Folgen des vorgesehenen Einzonungsstopps würden dadurch noch verstärkt.

Bei der Ausscheidung von Bauzonen ist ganz unterschiedlichen Zielen, Grundsätzen und Anliegen Rechnung zu tragen. Die Initiative fokussiert einseitig auf die landwirtschaftliche Produktionskapazität. Dabei wird zu wenig beachtet, dass die Hürde für die Einzonung von erstklassigem Kulturland (sog. Fruchtfolgeflächen) bereits gemäss geltendem Recht sehr hoch ist (siehe Art. 30 Abs. 1bis RPV).

Bauten und Anlagen für die bodenunabhängige Landwirtschaft würden durch die Initiative grundsätzlich in die Bauzone verwiesen. Damit würde die Landwirtschaft in starkem Ausmass tangiert. Zudem ist ­ nicht zuletzt mit Blick auf das Einfrieren der Bauzonenfläche ­ zweifelhaft, ob für die Aufnahme von bodenunabhängigen Tier- und Pflanzenproduktionsanlagen genügend geeignete Bauzonen vorhanden wären.
Die vorgesehenen Bestimmungen zum Bauen ausserhalb der Bauzonen sind in verschiedener Hinsicht interpretationsbedürftig. Schwierigkeiten bei deren Konkretisierung sind absehbar.

4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Das «Europäische Raumentwicklungskonzept» (EUREK) und dessen Folgedokument «Territoriale Agenda» sowie das Grünbuch «Territoriale Kohäsion» bilden den Orientierungsrahmen für die Raumordnungspolitik der EU. Die Schweiz nimmt aktiv an der Diskussion über die europäische Raumentwicklung teil. Zudem beteiligt sie sich an verschiedenen Programmen der Europäischen Territorialen Zusammen6793

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arbeit (ETZ). Mit dem Vertrag von Lissabon hat die Raumentwicklung zusätzliches Gewicht erhalten. Darin wird erstmals explizit auf die Notwendigkeit der territorialen Kohäsion innerhalb Europas hingewiesen.

Die europäische Raumentwicklungspolitik endet nicht an den Grenzen der EU. Zu erwähnen sind insbesondere die «Leitlinien für eine nachhaltige räumliche Entwicklung auf dem europäischen Kontinent» (CEMAT-Leitlinien), welche der Europarat im Jahr 2000 verabschiedet hat.

Im Oktober 2016 hat die Schweiz an der dritten UNO-Konferenz über Wohnungswesen und nachhaltige urbane Entwicklung (Habitat III) in Quito (Ecuador) teilgenommen. Mit der Verabschiedung der «New Urban Agenda» wurde dabei das Bekenntnis der Staatengemeinschaft zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung erneuert.

Die in der Initiative vorgeschlagenen Änderungen sind mit den oben genannten Bestrebungen auf internationaler Ebene vereinbar.

5

Schlussfolgerungen

Die Initiative greift wichtige Fragen der schweizerischen Raumplanung auf. Das generelle, unbefristete Einfrieren der Bauzonenfläche nimmt indessen keine Rücksicht auf kantonale und regionale Unterschiede. Es ist nicht das richtige Instrument, um der Zersiedelung adäquat zu begegnen. Dort, wo heute überdimensionierte oder ungeeignete Bauzonen bestehen, würde die Zersiedlung tendenziell verstärkt. Die Initiative benachteiligt jene Kantone, die haushälterisch mit dem Boden umgegangen sind. In gewissen Gegenden bestünde die Gefahr einer nicht mehr vertretbaren Baulandverknappung. Die Folgen wären ausgeprägte Grundstücks- und Mietpreissteigerungen. Neuansiedlungen von Unternehmen könnten übermässig erschwert werden, was die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz beeinträchtigen würde. Nicht zu vergessen ist, dass bei einer Annahme der Initiative die Landwirtschaft stark tangiert wäre und die Änderungsmöglichkeiten für Bauten ausserhalb der Bauzonen merklich eingeschränkt würden.

Als Reaktion auf die seit Jahrzehnten stark wachsende Siedlungsfläche haben die eidgenössischen Räte im Jahre 2012 RPG 1 verabschiedet. Die Umsetzung der darin vorgesehenen griffigen Massnahmen ist in vollem Gang. Eine erneute Änderung der Kriterien zur Schaffung neuer Bauzonen, noch bevor erste aussagekräftige Zahlen zur Wirkung von RPG 1 vorliegen, ist nicht sinnvoll.

Der Bundesrat beantragt deshalb den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Zersiedelung stoppen ­ für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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