09.019 Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Glarus, Appenzell Innerrhoden, Aargau und Genf vom 18. Februar 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Glarus, Appenzell Innerrhoden, Aargau und Genf mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. Februar 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-2718

1191

Übersicht Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes. Die Gewährleistung wird erteilt, wenn die Kantonsverfassung dem Bundesrecht nicht widerspricht. Erfüllt eine kantonale Verfassungsbestimmung diese Anforderungen, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie eine dieser Voraussetzungen nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Glarus: ­

Umsetzung der Gemeindestrukturreform;

­

Rechtsweggarantie in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten;

im Kanton Appenzell Innerrhoden: ­

Kirchenwesen;

im Kanton Aargau: ­

Wirtschaftsfreiheit;

­

administrative Entlastung von Unternehmen;

im Kanton Genf: ­

Schutz vor Passivrauchen;

­

Verbot gefährlicher Hunde.

Die Änderungen entsprechen Artikel 51 der Bundesverfassung; sie sind deshalb zu gewährleisten.

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Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Glarus

1.1.1

Kantonale Volksabstimmung vom 4. Mai 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Glarus haben an der Landsgemeinde vom 4. Mai 2008 den folgenden Verfassungsänderungen zugestimmt: ­

Umsetzung der Gemeindestrukturreform (Änderung der Art. 118, 128­133 und 154 der Kantonsverfassung);

­

Rechtsweggarantie in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Änderung der Art. 59 und 113 der Kantonsverfassung).

Mit Schreiben vom 4. Juli 2008 ersucht der Regierungsrat des Kantons Glarus um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2

Umsetzung der Gemeindestrukturreform

Bisheriger Text Art. 118 Bestandes- und Grenzänderungen 1 Änderungen im Bestand der Gemeinden oder deren Grenzen müssen von den betroffenen Gemeinden beschlossen und vom Landrat genehmigt werden.

2 Kommt eine Einigung nicht zustande, kann die Landsgemeinde auf Antrag einer der betroffenen Gemeinden oder des Landrates eine solche Änderung beschliessen.

3 Der Kanton kann Gemeinden, die sich zusammenschliessen, Beiträge an die Umstellung und Neuordnung ihrer Verwaltung gewähren.

Art. 128 Abs. 1 Bst. b und c 1 Notwendige Gemeindeorgane sind: b. die Vorsteherschaft, bestehend aus dem Präsidenten und mindestens vier Mitgliedern; c. mindestens zwei Rechnungsrevisoren oder eine Rechnungsprüfungskommission, bestehend aus dem Präsidenten und mindestens zwei Mitgliedern, die alle nicht der Vorsteherschaft angehören dürfen.

Art. 129 Abs. 1 1 Jeder Stimmberechtigte hat das Recht, der Vorsteherschaft jederzeit Anträge zuhanden der Gemeindeversammlung über Gegenstände einzureichen, die in deren Zuständigkeit fallen.

Art. 130 Abs. 1, 2 und 4 Die Stimmberechtigten üben das Stimmrecht an der Gemeindeversammlung aus; diese tritt nach Bedarf, jährlich aber mindestens einmal, zusammen.

2 Eine ausserordentliche Gemeindeversammlung findet statt, wenn die Vorsteherschaft es beschliesst oder wenn es von einem Zehntel der Stimmberechtigten, mindestens aber von zehn Stimmberechtigten, unter Angabe der zu behandelnden Geschäfte verlangt wird.

4 Der Gemeindepräsident und die Mitglieder des Gemeinderates werden an der Urne nach dem Mehrheitswahlverfahren gewählt.

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Art. 131 Bst. a, b und g Die Stimmberechtigten sind insbesondere zuständig für: a. die Wahl des Präsidenten und der Mitglieder der Vorsteherschaft; b. die Wahl der Rechnungsrevisoren oder der Rechnungsprüfungskommission; g. die Genehmigung der Gemeinderechnungen und der zugehörigen Berichte der Revisoren oder der Rechnungsprüfungskommission; Art. 132 Stillschweigende Beschlussfassung Ein Beschluss der Gemeinde kann in dringlichen Fällen ausnahmsweise stillschweigend gefasst werden, wenn der einstimmig gefasste Beschluss der Vorsteherschaft öffentlich bekanntgegeben wird und wenn danach nicht innert 14 Tagen mindestens zehn Stimmberechtigte in Gemeinden mit weniger als 1000 Stimmberechtigten oder 20 Stimmberechtigte in grösseren Gemeinden verlangen, dass der Beschluss als Antrag der nächsten Gemeindeversammlung zur Abstimmung vorgelegt wird.

Art. 133 Fakultatives Referendum Die Gemeinden können in der Gemeindeordnung vorsehen, dass die Vorsteherschaft zuständig ist für: a. bestimmte Gemeindeerlasse nach Artikel 131 Buchstabe e; b. Beschlüsse nach Artikel 131 Buchstabe h bis zu einem bestimmten Betrag; c. den Abschluss bestimmter Verträge nach Artikel 131 Buchstabe l.

2 Diese Erlasse und Beschlüsse unterstehen dem fakultativen Referendum. Es ist zustandegekommen, wenn innert 14 Tagen nach deren Veröffentlichung mindestens ein Zehntel der Stimmberechtigten, jedoch mindestens zehn Stimmberechtigte, verlangen, dass der Erlass oder Beschluss der nächsten Gemeindeversammlung als Antrag zur Abstimmung vorgelegt wird.

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Art. 154 Änderung der Amtsdauer nach Art. 78 Kantonsverfassung Das Gesetz kann Abweichungen von Artikel 78 (Amtsdauer und Wiederwahl) vorsehen, welche der Umsetzung und Einführung der am 7. Mai 2006 von der Landsgemeinde beschlossenen Gemeindestrukturreform dienen.

Neuer Text Art. 118 Bestandes- und Grenzänderungen 1 Änderungen im Bestand der Gemeinden bedürfen der Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten und der Genehmigung durch die Landsgemeinde.

2 Bei Kirchgemeinden sowie bei Grenzänderungen genügt die Genehmigung durch den Landrat.

3 Aufgehoben Art. 128 Abs. 1 Bst. b und c sowie Abs. 3 (neu) 1 Notwendige Gemeindeorgane sind: b. die Vorsteherschaft; c. die Geschäftsprüfungskommission der Gemeinde respektive ein Rechnungsprüfungsorgan einer Kirchgemeinde.

3 Die Gemeinden können ein Gemeindeparlament einführen. Es umfasst mindestens 20 Mitglieder und konstituiert sich im Rahmen von Gesetz und Gemeindeordnung selbst.

Art. 129 Abs. 1 Jeder Stimmberechtigte hat das Recht, der Vorsteherschaft jederzeit Anträge zuhanden der Stimmberechtigten einzureichen über Gegenstände, die in deren Zuständigkeit fallen.

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Art. 130 Abs. 1, 2 und 4 sowie 5 und 6 (neu) 1 Die Stimmberechtigten üben das Stimmrecht grundsätzlich an der Gemeindeversammlung aus; diese tritt nach Bedarf, jährlich aber mindestens einmal, zusammen.

2 Eine ausserordentliche Gemeindeversammlung findet statt, wenn die Vorsteherschaft es beschliesst, wenn es von der im Gesetz bezeichneten Anzahl Stimmberechtigten, unter Angabe der zu behandelnden Geschäfte verlangt wird oder wenn der Regierungsrat eine solche anordnet.

4 Die Mitglieder des Gemeindeparlaments werden an der Urne nach dem Verhältniswahlverfahren gewählt; das Gesetz regelt die Wahlkreise.

5 Der Gemeindepräsident sowie die Mitglieder des Gemeinderates werden an der Urne nach dem Mehrheitswahlverfahren gewählt.

6 Das Gesetz legt die Zuständigkeiten und die Wahlverfahren für die übrigen Wahlen fest.

Art. 131 Abs. 1 Bst. a, b und g sowie Abs. 2 (neu) 1 Die Stimmberechtigten sind insbesondere zuständig für: a. die Wahl des Präsidenten sowie der Mitglieder der Vorsteherschaft; b. die Wahl des Präsidenten sowie der Mitglieder der Geschäftsprüfungskommission oder die Wahl des Rechnungsprüfungsorgans; g. die Genehmigung der Gemeinderechnungen und der zugehörigen Berichte der Geschäftsprüfungskommission respektive des Rechnungsprüfungsorgans; 2 In den Gemeinden mit Gemeindeparlament sind die Stimmberechtigten obligatorisch zuständig für: a. die Wahl der Mitglieder des Gemeindeparlaments; b. die Wahl des Präsidenten sowie der Mitglieder der Vorsteherschaft; c. den Erlass der Gemeindeordnung; d. Beschlüsse nach Absatz 1 Buchstabe h im Rahmen der Gemeindeordnung sowie die Beschlüsse nach Absatz 1 Buchstaben i, k und l.

Art. 132 Dringliche Beschlussfassung Ein in die Zuständigkeit der Stimmberechtigten fallender Beschluss der Gemeinde kann in dringlichen Fällen ausnahmsweise stillschweigend gefasst werden, wenn der einstimmig gefasste Beschluss der Vorsteherschaft oder der mit absoluter Mehrheit gefasste Beschluss des Gemeindeparlaments öffentlich kundgemacht wird und wenn danach nicht die vom Gesetz bezeichnete Anzahl Stimmberechtigte innert Frist verlangt, dass der Beschluss als Antrag an die nächste Gemeindeversammlung oder die nächste Urnenabstimmung gelangt.

Art. 133 Fakultatives Referendum Gemeinden mit Gemeindeversammlung können in der Gemeindeordnung vorsehen, dass die Vorsteherschaft
zuständig ist für: a. bestimmte Gemeindeerlasse nach Artikel 131 Absatz 1 Buchstabe e; b. Beschlüsse nach Artikel 131 Absatz 1 Buchstabe h bis zu einem bestimmten Betrag; c. den Abschluss bestimmter Verträge nach Artikel 131 Absatz 1 Buchstabe l.

2 Diese Erlasse und Beschlüsse unterstehen dem fakultativen Referendum; das Gesetz regelt Fristen und Quoren.

3 Gemeinden mit Gemeindeparlament bezeichnen in der Gemeindeordnung die Erlasse und Beschlüsse des Gemeindeparlaments, die dem fakultativen Referendum unterliegen oder die vom Gemeindeparlament den Stimmberechtigten zur Abstimmung vorgelegt werden.

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Art. 154 Zuständigkeiten der neuen Vorsteherschaften Das Gesetz kann bestimmen, dass die vor Ende der Amtsdauer 2006/2010 gewählten Vorsteherschaften der drei am 1. Januar 2011 neu entstehenden Gemeinden bereits am 1. Juli 2010 in alle Rechte und Pflichten, Aufgaben und Zuständigkeiten der am 30. Juni 2010 ausscheidenden Gemeinde-, Tagwen- und Schulvorsteherschaften eintreten.

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An der Landsgemeinde vom 7. Mai 2006 wurde der Glarner Regierung der Auftrag erteilt, anstelle der damals 25 Ortsgemeinden, 18 Schulgemeinden, 16 Fürsorgegemeinden und 9 Tagwen lediglich 3 Einheitsgemeinden zu schaffen. Zur Vereinbarkeit dieser Gemeindestrukturreform mit der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (SR 0.102) hat der Bundesrat bereits in seiner Botschaft vom 10. Januar 2007 über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Schwyz, Glarus, Appenzell Innerrhoden und Waadt Stellung genommen (BBl 2007 638). Er kam zum Schluss, dass die Vereinbarkeit gegeben ist. Die eidgenössischen Räte haben die entsprechenden Bestimmungen mit Beschluss vom 18. Juni 2007 gewährleistet. Mit den vorliegenden Änderungen der Kantonsverfassung werden die Grundsätze der Organisation (Gemeindeorgane, Vorrang der Gemeindeversammlung, Möglichkeit der Schaffung eines Gemeindeparlaments) sowie der Umfang der Volksrechte (Befugnisse der Stimmberechtigten, Präzisierung des Individualantragsrechts, dringliche Beschlussfassung) festgelegt.

1.1.3

Rechtsweggarantie in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten

Bisheriger Text Art. 59 Abs. 2 2 Der Landrat entscheidet über die rechtliche Zulässigkeit der Anträge und beschliesst über deren Erheblichkeit; die zulässigen Anträge sind erheblich, wenn sie wenigstens zehn Stimmen auf sich vereinigen.

Art. 113 Abs. 1 Das Verwaltungsgericht beurteilt verwaltungs- und andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten als erste oder als Beschwerdeinstanz. Es besteht aus dem Präsidenten und acht Richtern; der Präsident und je vier Richter bilden eine Kammer.

1

Neuer Text Art. 59 Abs. 2 2 Der Landrat entscheidet über die rechtliche Zulässigkeit der Anträge und beschliesst über deren Erheblichkeit; die zulässigen Anträge sind erheblich, wenn sie wenigstens zehn Stimmen auf sich vereinigen. Gegen die Entscheide des Landrates über die rechtliche Zulässigkeit besteht kein kantonales Rechtsmittel.

Art. 113 Abs. 1 Das Verwaltungsgericht beurteilt verwaltungs- und andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten als erste oder als Beschwerdeinstanz. Es besteht aus dem Präsidenten sowie acht Richtern und bildet aus diesen zwei Kammern.

1

Am 1. Januar 2007 sind auf Bundesebene die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) und das Bundesgerichtsgesetz (BGG1) in Kraft getreten. Nach der neuen Verfassungsbestimmung hat jede Person bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde. Bund und Kantone können durch Gesetz die richterliche Beurteilung in Ausnahmefällen ausschliessen (Art. 29a zweiter Satz BV).

Das BGG konkretisiert die Rechtsweggarantie. Es verpflichtet die Kantone grundsätzlich dazu, als letzte kantonale Instanzen Gerichte einzusetzen (Art. 75 Abs. 2, 80 Abs. 2, 86 Abs. 2 und 114 BGG). Für Entscheide mit vorwiegend politischem 1

Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005, SR 173.110.

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Charakter oder für Stimmrechtssachen sieht das BGG Ausnahmen von dieser Verpflichtung vor (Art. 86 Abs. 3 und 88 BGG). Für Stimmrechtssachen betreffend kantonale Angelegenheiten ist den Kantonen lediglich die Bereitstellung eines Rechtsmittels gegen behördliche Akte vorgeschrieben (Art. 88 Abs. 2 erster Satz BGG); indessen entfällt bei Akten des Parlaments oder der Regierung explizit die Pflicht zur Gewährung eines kantonalen Rechtsmittels (Art. 88 Abs. 2 zweiter Satz).

Somit kann der Kanton Glarus frei darüber befinden, ob er die Entscheide des Landrates über die Zulässigkeit von Memorialsanträgen einem innerkantonalen Rechtsmittel unterstellen will oder nicht. Nachdem es sich bei den landrätlichen Beschlüssen über die Erheblichkeit von Memorialsanträgen um rein politische Entscheide handelt, hat sich der Kanton Glarus dafür entschieden, keine Anfechtungsmöglichkeit vorzusehen. Die entsprechende Änderung der Glarner Kantonsverfassung ist mit der Rechtsweggarantie gemäss Bundesverfassung und mit dem Bundesgerichtsgesetz vereinbar und somit bundesrechtskonform. Dasselbe gilt auch für den geänderten Artikel 113 Absatz 1 der Kantonsverfassung.

1.2

Verfassung des Kantons Appenzell Innerrhoden

1.2.1

Kantonale Volksabstimmung vom 27. April 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Appenzell Innerrhoden haben an der Landsgemeinde vom 27. April 2008 der Änderung von Artikel 46 der Kantonsverfassung (Kirchenwesen) zugestimmt.

Mit Schreiben vom 28. April 2008 ersucht die Standeskommission des Kantons Appenzell Innerrhoden um die eidgenössische Gewährleistung.

1.2.2

Kirchenwesen

Bisheriger Text Art. 46 Abs. 6 6 Durch ein Konkordat mit einem andern Stand kann bestimmt werden, dass Einwohner dieses Standes, die sich zur römisch-katholischen Religion bekennen, innerrhodischen Kirchgemeinden mit allen Rechten und Pflichten angehören.

Neuer Text Art. 46 Abs. 6 6 Durch Konkordat mit einem anderen Kanton kann bestimmt werden, dass die Einwohner der beiden Kantone, welche sich zur römisch-katholischen bzw. zur evangelisch-reformierten Konfession bekennen, von Kirchgemeinden im anderen Kanton als vollberechtigte und in allen Rechten und Pflichten stehende Kirchgenossen anerkannt werden.

Für ein im Jahre 1969 abgeschlossenes Konkordat über die Pastoration und Besteuerung der im Kanton Appenzell Innerrhoden wohnhaften Angehörigen der evangelisch-reformierten Konfession fehlte bisher die Rechtsgrundlage. Mit der Verfassungsänderung ist diese nun geschaffen worden. Die Verfassungsänderung bietet auch die Basis für den Abschluss weiterer Konkordate im Bereich des Kirchenwesens, falls sich dies künftig als nötig erweisen sollte.

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1.3

Verfassung des Kantons Aargau

1.3.1

Kantonale Volksabstimmung vom 1. Juni 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Aargau haben in der Volksabstimmung vom 1. Juni 2008 den folgenden Verfassungsänderungen zugestimmt: ­

Anpassung der Wirtschaftsfreiheit an das Bundesrecht (Änderung von § 20 der Kantonsverfassung) mit 100 551 Ja gegen 31 968 Nein;

­

administrative Entlastung von Unternehmen (Änderung von § 50 der Kantonsverfassung) mit 111 980 Ja gegen 21 143 Nein.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2008 ersucht der Regierungsrat des Kantons Aargau um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.2

Wirtschaftsfreiheit

Bisheriger Text § 20 Abs. l 1 Jeder Schweizer hat das Recht auf freie Wahl und Ausübung eines Berufes und auf freie wirtschaftliche Betätigung.

Neuer Text § 20 Abs. 1 1 Jede Person hat das Recht auf freie Wahl und Ausübung eines Berufes sowie auf freie wirtschaftliche Betätigung.

Nach dem bisherigen Wortlaut der Verfassung des Kantons Aargau galt das darin enthaltene Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit nur für Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Träger der Wirtschaftsfreiheit sind aber nach der Praxis des Bundesgerichts auch andere Personen, wenn sie entweder eine Niederlassungsbewilligung besitzen oder gestützt auf das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) oder allenfalls auf einen Staatsvertrag Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung haben. Der bisherige Wortlaut der kantonalen Verfassungsbestimmung erwies sich in diesem Sinne als zu eng, weshalb in der neuen Verfassungsbestimmung das Wort «Schweizer» durch das Wort «Person» ersetzt wurde: ein offenerer Begriff, der zugleich auch den Vorteil hat, geschlechtsneutral formuliert zu sein. Allerdings besteht nun neu insofern eine Schwierigkeit, als aus der neuen Formulierung (Verwendung des Wortes «Person») der Schluss gezogen werden könnte, dass auch jene Personen zu Trägern der Wirtschaftsfreiheit nach § 20 Absatz 1 der Aargauer Kantonsverfassung werden könnten, die ausländerrechtlich nicht oder nur mit Einschränkungen auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt zugelassen sind (Art. 34 und 46 i.V.m. Art. 38 AuG), was insofern über das Bundesrecht hinausginge. Die Bestimmung lässt sich jedoch bundesrechtskonform auslegen, weshalb die Gewährleistung auch in diesem Fall erteilt werden kann.

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1.3.3

Administrative Entlastung von Unternehmen

Neuer Text § 50 Abs. 2bis (neu) 2bis Der Kanton trifft Massnahmen, um die Regelungsdichte und die administrative Belastung für die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten. Er berücksichtigt dabei insbesondere die Anliegen der kleinen und mittelgrossen Unternehmen.

Der neue Verfassungsartikel verpflichtet den Kanton neu dazu, im Rahmen seiner Wirtschaftspolitik darauf hinzuwirken, dass die administrative Belastung von Unternehmen, namentlich von KMU, reduziert und so gering wie möglich gehalten wird.

Die neue Bestimmung steht im Einklang mit dem Bundesrecht und fügt sich nahtlos in die Liste der Vorkehren ein, die der Bund und verschiedene andere Kantone bereits unternommen haben, um die schweizerischen Unternehmen, insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen, administrativ zu entlasten2. Sie kann deshalb gewährleistet werden.

1.4

Verfassung des Kantons Genf

1.4.1

Kantonale Volksabstimmung vom 24. Februar 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben in der Volksabstimmung vom 24. Februar 2008 den folgenden zwei Verfassungsänderungen zugestimmt: ­

Schutz der öffentlichen Hygiene und Gesundheit; Passivrauchen (Art. 178B) mit 111 562 Ja gegen 29 363 Nein;

­

Verbot gefährlicher Hunde (Art. 178C und 182 Abs. 2) mit 90 091 Ja gegen 48 399 Nein.

Mit Schreiben vom 30. April 2008 ersucht der Staatsrat des Kantons Genf um die eidgenössische Gewährleistung.

1.4.2

Schutz der öffentlichen Hygiene und der Gesundheit

Neuer Text Art. 178B

Schutz der öffentlichen Hygiene und der Gesundheit (neu) Passivrauchen 1 Angesichts des öffentlichen Interesses an der Beachtung der öffentlichen Hygiene und am Schutz der Gesundheit wird der Staatsrat beauftragt, Massnahmen zu treffen gegen die Beeinträchtigung der Hygiene und der Gesundheit der Bevölkerung, die sich aus der Exposition gegenüber dem Tabakrauch ergibt, von der wissenschaftlich erwiesen ist, dass sie zu Krankheit, Invalidität und Tod führt.

2 Zum Schutz der Gesamtbevölkerung ist es verboten, im Innern von öffentlichen Anlagen oder in öffentlich zugänglichen geschlossenen Räumen zu rauchen, besonders in solchen, für die eine Betriebsbewilligung erforderlich ist.

2

Vgl. zum Ganzen insbesondere den Bericht des Bundesrates vom 8. Juni 2007 zur Politik des Bundes zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), BBl 2007 5787 sowie den Bericht des Bundesrates vom 2. April 2008 zur Wachstumspolitik 2008­2011 (in Erfüllung der Motion 01.3089 «Wachstumspolitik. Sieben Massnahmen»).

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3

Dies gilt für: a. alle Gebäude oder öffentlichen Räume des Staates, der Gemeinden sowie aller anderen Institutionen mit öffentlichem Charakter; b. alle öffentlich zugänglichen Gebäude oder Räume, namentlich solche, die folgenden Zwecken dienen: medizinische Versorgung, Pflege in Spitälern oder anderen Gesundheitseinrichtungen, Kultur, Erholung, Sport, Bildung, Freizeit, Begegnung, Ausstellungen; c. alle öffentlichen Einrichtungen im Sinne der Gesetzgebung über die Gaststätten, den Getränkeausschank und die Beherbergung; d. den öffentlichen Verkehr sowie die übrigen gewerbsmässigen Personentransporte; e. andere öffentlich zugängliche Räume, die das Gesetz vorsieht.

Das Gesundheitswesen ist grundsätzlich Sache der Kantone. Der Bund ist für einige wenige, fachlich begrenzte Aufgabenbereiche zuständig, die in Artikel 118 Absatz 2 Buchstaben a­c BV abschliessend aufgezählt sind (Umgang mit gesundheitsgefährdenden Waren und Konsumgütern, Bekämpfung von bestimmten Krankheiten, Schutz vor ionisierenden Strahlen). Die Kantone sind befugt, Regeln zum Schutz der Bevölkerung vor dem Passivrauchen zu erlassen, soweit und solange der Bundesgesetzgeber auf diesem Gebiet nicht legiferiert. Um den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Passivrauchen zu gewährleisten, hat der Bundesgesetzgeber in der Arbeitsgesetzgebung verschiedene Bestimmungen erlassen, die in Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a BV ihre verfassungsrechtliche Grundlage haben und die ausschliesslich auf den Schutz der Arbeitnehmerschaft ausgerichtet sind. Bis heute haben die Kantone die Möglichkeit, Regeln zum Schutz der Bevölkerung vor dem Passivrauchen zu erlassen.

Nun hat das Parlament am 3. Oktober 2008 das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen verabschiedet (BBl 2008 8243), das sowohl auf der soeben erwähnten verfassungsrechtlichen Grundlage als auch auf Artikel 118 Absatz 2 Buchstabe b BV beruht (Bekämpfung übertragbarer, stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten). Dieses Gesetz soll für alle Bevölkerungsteile einen umfassenden Schutz vor dem Passivrauchen gewährleisten, ist jedoch noch nicht in Kraft getreten. Da Artikel 4 dieses Gesetzes den Kantonen ausdrücklich erlaubt, strengere Vorschriften zum Schutz der Gesundheit zu erlassen, wird Artikel 178B der Verfassung des Kantons Genf dazu auch künftig nicht in Widerspruch stehen.

Im Weiteren ist zu prüfen, ob Artikel 178B der Genfer Kantonsverfassung mit anderem höherrangigem Recht vereinbar ist. Gemäss Artikel 178B Absatz 2 findet das Rauchverbot auf das Innere von öffentlichen Anlagen oder auf öffentlich zugängliche geschlossene Räume Anwendung, namentlich auf solche, für die eine Betriebsbewilligung erforderlich ist. Man kann sich fragen, ob diese Bestimmung mit dem Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) vereinbar ist. Das Bundesgericht hat in einem kürzlich ergangenen Entscheid zum neuen Artikel 178B der Genfer Kantonsverfassung Zweifel geäussert, ob aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit überhaupt ein Recht
abgeleitet werden kann, in öffentlichen Räumen und Anlagen rauchen zu dürfen3. Es hat diese Frage aber letztlich offen lassen können, weil es im gleichen Entscheid feststellte, dass bei der Genfer Verfassungsbestimmung zum Passivrauchen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einschränkung von Grundrechten (Art. 36 BV), namentlich die Verhältnismässigkeit, ohnehin erfüllt seien. In Bezug auf die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) könnte 3

BGE 133 I 125, E 5.2.4.

1200

zudem eingewendet werden, dass das Rauchverbot im Kanton Genf etwa den Betrieb von Raucherbars oder ähnlichen Gewerben praktisch verunmöglichen würde. Indessen kann der Kanton Genf nach Auffassung des Bundesgerichts4 in seiner Ausführungsgesetzgebung geeignete Ausnahmeregelungen treffen, um solchen Gewerbebetrieben die Weiterführung ihrer wirtschaftlichen Existenz zu ermöglichen. Die Verfassungsbestimmung kann demnach gewährleistet werden.

1.4.3

Verbot gefährlicher Hunde

Neuer Text Art. 178C

Gefährliche Hunde (neu) Verbote und Sicherheitsmassnahmen 1 Um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, werden Hunde, die gemäss einer vom Staatsrat aufzustellenden Liste sogenannten Kampfhunderassen angehören oder als gefährlich eingestuft werden, sowie Kreuzungen mit solchen Rassen im ganzen Kantonsgebiet verboten.

2 Dieses Verbot gilt auch für sämtliche anderen Hunde, die zum Angriff abgerichtet worden sind, ein aggressives oder gefährliches Verhalten an den Tag legen oder von irgendeiner Zuchtlinie stammen, deren genetische Eigenschaften Aggressivität oder Gefährlichkeit sind.

3 Grosse Hunde mit einem Körpergewicht von über 25 Kilogramm, die deswegen potenziell gefährlich sind, müssen gemeldet und angemessen erzogen werden und brauchen eine Haltebewilligung der zuständigen Behörde. Diese wird aufgrund einer Prüfung erteilt, die zum Ziel hat, das Verhalten des Tieres und die Fähigkeit des Halters, dieses in jeder Situation unter Kontrolle zu halten, zu beurteilen.

4 Polizeibeamte und Grenzwächter mit entsprechender Ausbildung dürfen Hunde der sogenannten Kampfhunderassen einsetzen. Der Staatsrat erlässt Regelungen für den Einsatz von Hunden durch Polizeikräfte.

5 Jede Widerhandlung gegen die Absätze 1 und 2 sowie gegen Artikel 182 Absatz 2 kann mit einer Übertretungsstrafe geahndet werden und zieht die Beschlagnahme sowie gegebenenfalls die Einschläferung des Tieres nach sich. Die zuständige Behörde kann Beschwerden, die gegen solche Massnahmen eingereicht werden, die aufschiebende Wirkung entziehen; die Massnahmen sind auch anwendbar auf grosse Hunde im Sinne von Absatz 3, die nicht Gegenstand einer Haltebewilligung sind.

6 Der Vollzug der Bestimmungen dieses Artikels wird einer vom Staatsrat bezeichneten Behörde übertragen; diese muss dem Grossen Rat jährlich einen Tätigkeitsbericht erstatten.

Art. 182 Abs. 2 (neu)5 Das Verbot gefährlicher Hunde im Sinne von Artikel 178C Absätze 1 und 2 gilt nicht für Tiere, die sich schon vor dessen Annahme durch das Volk rechtmässig im Kantonsgebiet befunden haben. Nach dem Inkrafttreten des Verbots müssen die Halter von Hunden im Sinne der Absätze 1­3 diese Tiere jedoch der zuständigen Behörde melden und innerhalb eines Jahres eine Haltebewilligung im Sinne von Absatz 3 erlangen. Überdies müssen Hunde nach den Absätzen 1 und 2 an der Leine geführt
und mit einem Maulkorb versehen werden, wenn sie nicht eingesperrt sind, und müssen kastriert oder sterilisiert werden, damit sie sich nicht fortpflanzen können.

2

4 5

BGE 133 I 125, E 7.4.

Der dem Bund seinerzeit zur Gewährleistung unterbreitete Absatz 2 des Artikels 182 wird heute in der systematischen Rechtssammlung des Kantons Genf als Absatz 4 aufgeführt.

Ursache dieser Verschiebung sind zwei in der Zwischenzeit neu in den Artikel 182 aufgenommene Übergangsbestimmungen (heutige Abs. 2 und 3), die zu einer Verfassungsänderung gehören (Art. 160F Kantonsverfassung GE), welche dem Bund versehentlich nicht zur Gewährleistung unterbreitet worden ist. Die zuständigen Genfer Behörden sind darüber informiert worden und das Gesuch um Gewährleistung ist in Vorbereitung.

1201

Nach geltender Rechtslage fällt der Schutz des Menschen vor gefährlichen Hunden in die Gesetzgebungskompetenz der Kantone (Art. 3 BV). Zurzeit ist eine parlamentarische Initiative Kohler (05.453), die Pitbulls verbieten will, bei einer Subkommission der nationalrätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur hängig. Beim gegenwärtigen Stand der Arbeiten ist noch nicht absehbar, ob und inwieweit künftiges Bundesrecht kantonales Recht im Bereich des Schutzes des Menschen vor Gefährdungen durch Hunde derogieren wird. Für die Erteilung der Gewährleistung ist jedoch die Rechtslage im Zeitpunkt der Gewährleistung massgebend; im vorliegenden Fall ist die Gewährleistung daher zu erteilen.

2

Verfassungsmässigkeit

Die Prüfung hat ergeben, dass die geänderten Bestimmungen der Verfassungen der Kantone Glarus, Appenzell Innerrhoden, Aargau und Genf die Anforderungen von Artikel 51 der Bundesverfassung erfüllen. Somit ist die Gewährleistung zu erteilen.

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 und 172 Absatz 2 der Bundesverfassung für die Gewährleistung der Kantonsverfassungen zuständig.

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