06.476 Parlamentarische Initiative Ein Kind, eine Zulage Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 4. Mai 2009

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die Familienzulagen. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt mit 14 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

Eine Kommissionsminderheit (Triponez, Borer, Dunant, Kleiner, Stahl) beantragt, auf die Vorlage nicht einzutreten.

Eine Kommissionsminderheit (Scherer, Baettig, Borer, Bortoluzzi, Dunant, Estermann, Parmelin, Stahl) beantragt, die Vorlage mit dem Auftrag, eine paritätische Finanzierung vorzusehen, an die Kommission zurückzuweisen.

4. Mai 2009

Im Namen der Kommission Der Präsident: Jürg Stahl

2009-1368

5991

Übersicht Am 1. Januar 2009 ist das Bundesgesetz über die Familienzulagen in Kraft getreten.

Es sieht für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die obligatorisch in der AHV versichert sind, einen Anspruch auf Familienzulagen vor. 13 Kantonen kennen auch für die Selbstständigerwerbenden Familienzulagen, es besteht jedoch kein bundesweiter Anspruch auf Familienzulagen für Selbstständigerwebende. Diese Lücke soll mit einer Änderung des Familienzulagengesetzes geschlossen werden.

Neu müssen sich die Selbstständigerwerbenden wie die Arbeitgebenden einer Familienausgleichskasse anschliessen und haben Anspruch auf dieselben Leistungen wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Anspruch ist nicht von ihrem Einkommen abhängig. Finanziert werden die Familienzulagen durch prozentuale Beiträge der Selbstständigerwerbenden an die Familienausgleichskassen auf der Basis ihres AHV-pflichtigen Einkommens. Für Bund und Kantone entstehen keine Mehrkosten. Die neue Regelung lässt den Kantonen die Freiheit, die Beiträge der Selbstständigerwerbenden an die Familienausgleichskassen auf einem bestimmten Einkommen zu plafonieren.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 26. November 2006 wurde das Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZG)1 in der Volksabstimmung angenommen. Es sieht für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die obligatorisch in der AHV versichert sind, einen Anspruch auf Kinderzulagen von mindestens 200 Franken pro Kind vor. Selbstständigerwerbende können keinen Anspruch auf Familienzulagen erheben. Das neue Bundesgesetz, welches am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, geht auf eine parlamentarische Initiative aus dem Jahr 19912 zurück. Bereits damals war die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs beauftragt. Die SGK-NR unterbreitete dem Nationalrat am 8. September 2004 einen Entwurf3, der auch Familienzulagen für Selbstständigerwerbende vorsah. Auch der Bundesrat befürwortete in seiner Stellungnahme den Einbezug der Selbstständigerwerbenden in die Regelung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.4 Der Nationalrat stimmte dieser Bestimmung bei der ersten Beratung des Gesetzesentwurfs oppositionslos zu. Im Ständerat stiessen die Familienzulagen für Selbstständigerwerbende jedoch auf Ablehnung. Nachdem der Nationalrat in der Differenzbereinigung zuerst noch knapp an der Bestimmung festgehalten hatte, schloss er sich schliesslich dem Ständerat an und strich die Familienzulagen für Selbstständigerwerbende, um das Schicksal der gesamten Vorlage nicht zu gefährden.5 Die von Nationalrat Hugo Fasel am 6. Dezember 2006 eingereichte parlamentarische Initiative nimmt die Forderung nach Familienzulagen für Selbstständigerwerbende wieder auf. Sie verlangt, das Familienzulagengesetz so anzupassen, dass für die Anspruchsberechtigung auf Kinderzulagen das Prinzip «Ein Kind, eine Zulage» gewährleistet ist.

Am 24. August 2007 gab die SGK-NR der parlamentarischen Initiative mit 13 zu 7 Stimmen bei 3 Enthaltungen Folge. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) stimmte diesem Beschluss am 8. November 2007 mit 5 zu 5 Stimmen und Stichentscheid der Präsidentin zu.

Die SGK-NR beauftragte daraufhin am 15. Februar 2008 ihre Subkommission «Familienpolitik»6 mit der Ausarbeitung eines Erlassentwurfs. Die Subkommission zog für ihre weiteren Arbeiten in Anwendung von Artikel 112 des Parlamentsgesetzes zwei Sachverständige des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) bei.

Nach einer ersten Sitzung vom 22. Oktober 2008 verabschiedete sie am 26. Januar

1 2 3 4 5

6

SR 836.2 91.411 Pa.Iv. Fankhauser. Leistungen für die Familie.

Zusatzbericht vom 8. September 2004 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates, BBl 2004 6887.

Ergänzende Stellungnahme des Bundesrates vom 10. November 2004, BBl 2004 6941.

Vgl. Verhandlungen des Nationalrates vom 15. März 2005; 29. November 2005 und 15. März 2006 und Verhandlungen des Ständerates vom 21. September 2005 und 13. März 2006.

Rossini, Fehr Jacqueline, Gilli (ab 14.9. 2008), Kleiner, Leuenberger-Genève (bis 14.9.2008), Maurer, Meyer Thérèse, Scherer, Stahl, Weibel.

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2009 mit 5 zu 3 Stimmen einen Entwurf zur Änderung des Familienzulagengesetzes zuhanden der SGK-NR.

An ihrer Sitzung vom 4. Mai 2009 trat die Kommission mit 15 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen auf den Entwurf der Subkommission ein. Anlässlich der Eintretensdebatte zeigte sich, dass vor allem die Finanzierung der Familienzulagen umstritten ist. Einen Rückweisungsantrag an die Subkommission, mit dem Auftrag, eine paritätische Finanzierung vorzusehen, lehnte die SGK-NR jedoch mit 13 zu 8 Stimmen bei 3 Enthaltungen ab.

Mit 14 zu 10 Stimmen und 1 Enthaltung verabschiedete die Kommission vorliegenden Erlassentwurf zuhanden ihres Rates und des Bundesrates für eine Stellungnahme.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Beurteilung der heutigen Regelung und Handlungsbedarf

Selbstständigerwerbende haben gemäss FamZG keinen Anspruch auf Familienzulagen. Ein Teil von ihnen kommt dank kantonaler Regelungen in den Genuss von Familienzulagen (vgl. Ziff. 2.2). In der Hälfte der Kantone besteht jedoch auch gemäss kantonalen Regelungen kein Anspruch für Selbstständigerwerbende auf Familienzulagen. Diese Lücke in der schweizweiten Regelung der Familienzulagen wurde bereits im Vorfeld der Volkabstimmung über das Bundesgesetz über die Familienzulagen kritisiert und soll mit dem vorliegenden Entwurf geschlossen werden.

Der grösste Teil der Selbstständigerwerbenden verdient zwischen 50 000 und 80 000 Franken, wie dies auch bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Fall ist.

Die Zahl der Selbstständigerwerbenden, die ein tieferes Einkommen als der Durchschnitt erzielen, ist jedoch grösser, weil die Einkommensschere bei den Selbstständigerwerbenden besonders gross ist. Für eine grosse Zahl der Selbstständigerwerbenden sind Kinderzulagen deshalb ein bedeutsamer Beitrag zum Familieneinkommen.

Alle Arbeitnehmenden sowie die Selbstständigerwerbenden in der Landwirtschaft haben bereits heute unabhängig von ihrem Einkommen einen Anspruch auf Familienzulagen. Im Sinne einer möglichst umfassenden und einheitlichen Lösung ist auch für die Selbstständigerwerbenden ausserhalb der Landwirtschaft keine Einkommensgrenze vorzusehen. Die Beiträge, welche die Selbstständigerwerbenden auf ihrem AHV-pflichtigen Einkommen an die Familienausgleichskassen zu leisten haben, können jedoch von den Kantonen plafoniert werden.

Werden die Selbstständigerwerbenden dem FamZG unterstellt, kann zugleich ein Missbrauchsrisiko der aktuellen Regelung beseitigt werden. Gemäss FamZG besteht auch bei einer Teilzeitanstellung ein Anspruch auf eine volle Familienzulage. Ein Selbstständigerwerbender kann sich somit mittels einer geringfügigen Anstellung seiner Frau von wenigen Stunden pro Woche einen Anspruch auf eine volle Zulage verschaffen, ohne auf einem vollen Lohn die Finanzierungsbeiträge zu bezahlen. Mit einer Unterstellung der Selbstständigerwerbenden kann dieses Vorgehen ausgeschlossen werden.

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Aufgrund einer Lücke der heutigen Regelung können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Jahreseinkommen zwischen 4555 und 6840 Franken liegt, weder als Arbeitnehmende noch als Nichterwerbstätige Familienzulagen beanspruchen. Dies widerspricht dem Geist des FamZG, wonach alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Nichterwerbstätigen Anspruch auf Familienzulagen haben, und soll deshalb mit der vorliegenden Revision in dem Sinne korrigiert werden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Jahreseinkommen unter 6840 Franken als Nichterwerbstätige gelten.

2.2

Familienzulagen für Selbstständigerwerbende nach den kantonalen Regelungen

Seit dem 1. Januar 2009 bestehen in 13 Kantonen Familienzulagenregelung für Selbstständigerwerbende, wobei zwei Systeme unterschieden werden können: ­

In 8 Kantonen (BE, GL, BL, BS, SH, AR, VD, GE) gibt es eine einheitliche Ordnung für Arbeitnehmende und für Selbstständigerwerbende, welche dem von der Kommission nun vorgeschlagenem Modell entspricht. Alle Selbstständigerwerbenden sind dem Gesetz unterstellt und haben einen vom Einkommen unabhängigen Anspruch. Die einzige Ausnahme besteht in VD, wo eine Einkommensgrenze von 315 000 Franken im Jahr gilt. Die Selbstständigerwerbenden schliessen sich einer Familienausgleichskasse (FAK) an und zahlen Beiträge in Prozenten ihres AHV-pflichtigen Erwerbseinkommens. In 5 Kantonen sind die Beiträge plafoniert. In BE, BS und BL werden sie nur auf dem in der obligatorischen Unfallversicherung höchstens versicherten Verdienst (126 000 Fr. im Jahr) erhoben. In GE beträgt die Grenze 243 000 und in VD 315 000 Franken im Jahr.

­

In 4 Kantonen (LU, SZ, NW, SG) ist die Unterstellung für die Selbstständigerwerbenden freiwillig und der Anspruch einkommensabhängig. Die Einkommensgrenze liegt in LU, SZ und NW bei 54 000 Franken im Jahr plus 10 Prozent pro Kind und in SG bei 65 000 Franken im Jahr. Die Durchführung erfolgt durch die kantonale AHV-Ausgleichskasse. Finanziert werden die Leistungen durch Beiträge der Bezügerinnen und Bezüger und, je nach Kanton, durch die Beiträge der Arbeitgeber an die FAK und/oder durch Kantonsbeiträge. In VS müssen die FAK die Anschlussmöglichkeit für die Selbstständigerwerbenden vorsehen und die Unterstellung ist freiwillig. Es besteht keine Einkommensgrenze für den Bezug von Familienzulagen. Die Finanzierung wird durch die FAK festgelegt.

Die Höhe der Leistungen entspricht in allen Kantonen derjenigen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Schon vor der Regelung der Familienzulagen auf Bundesebene gab es in 11 Kantonen Familienzulagen für Selbstständigerwerbende. 7 Kantone (LU, SZ, BL, SH, AR, SG, GE) haben sie beibehalten und 4 Kantone (UR, ZG, AI, GR) haben sie aufgehoben. 6 Kantone (BE, NW, GL, BS, VD, VS) haben Familienzulagen für Selbstständigerwerbende auf den 1. Januar 2009 neu eingeführt. Die Zahl der Kantone, die Familienzulagen für Selbstständigerwerbende kennen, ist leicht gestiegen.

Die Tendenz geht weg von einkommensabhängigen Lösungen in Richtung einer umfassenden Lösung.

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2.3

Eckwerte der vorgeschlagenen Änderung

Neu werden alle Selbstständigerwerbenden dem FamZG unterstellt. Sie müssen sich wie die Arbeitgebenden einer FAK anschliessen. Sie haben Anspruch auf dieselben Leistungen wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihr Anspruch ist nicht von ihrem Einkommen abhängig. Sie leisten prozentuale Beiträge an die FAK, wobei das AHV-pflichtige Erwerbseinkommen die Basis ist. Die Beiträge können jedoch von den Kantonen auf dem Einkommen plafoniert werden, das dem in der obligatorischen Unfallversicherung höchsten versicherten Verdienst entspricht.

Die vorgeschlagenen Änderungen nehmen im Wesentlichen die Fassung des Nationalrates wieder auf, wie er sie in der Frühjahrssession 2005 bei der Beratung des FamZG beschlossen hat. Die Beschlüsse des Nationalrates folgten dabei fast durchwegs den Anträgen seiner vorberatenden Kommission, wie sie im Zusatzbericht der SGK-N vom 8. September 2004 enthalten waren. Nur im 1. Abschnitt (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichtlandwirtschaftlicher Berufe) des 3. Kapitels (Familienzulagenordnungen) des FamZG müssen Änderungen vorgenommen werden, um den Geltungsbereich des FamZG auf die Selbstständigerwerbenden auszudehnen.

Die Bestimmung über die Finanzierung weicht vom Beschluss des Nationalrates aus dem Jahr 2005 ab. Zudem werden eine Abweichung von der geltenden Regelung für die Anspruchskonkurrenz und eine Bestimmung zur Kassenzugehörigkeit vorgeschlagen. Die beiden letztgenannten Punkte sollen die Durchführung erleichtern.

Änderungen weiterer Bundesgesetze sind nicht notwendig.

2.4

Nichteintreten: Begründung der Minderheit

Das Familienzulagengesetz ist erst am 1. Januar 2009 in Kraft getreten. Die Mehrkosten dieser neuen Gesetzgebung belaufen sich auf 500 Millionen Franken. Es wäre verfehlt, den Leistungsumfang so kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes bereits zu erweitern. Die Räte haben sich vor drei Jahren bei der Beratung des Familienzulagengesetzes nach ausgiebiger Diskussion gegen Familienzulagen für Selbstständigerwerbende ausgesprochen. Diesen Beschluss gilt es umso mehr zu respektieren, als auch die grosse Mehrheit der Selbstständigerwerbenden keine Bundeslösung für Familienzulagen wünscht.

Durch einen schweizweiten Anspruch der Selbstständigwerbenden auf Familienzulagen entstehen Mehrkosten von schätzungsweise 167 Millionen Franken. Diese Kosten müssen vollumfänglich von den Selbstständigerwerbenden aufgebracht werden. Zusätzlich fallen für sie auch noch Kosten für den administrativen Aufwand an. Dies würde somit bedeuten, dass die Selbstständigerwerbenden durch die neue Regelung gesamthaft betrachtet mehr bezahlen müssten als sie erhalten. Eine derartige Lösung kann nicht unterstützt werden.

Der Einbezug der Selbstständigerwerbenden in die Familienzulagenordung des Bundes bedeutet zudem einen Eingriff in die Autonomie der Kantone. Heute ist es den Kantonen freigestellt, für Selbstständigerwerbende Familienzulagen vorzusehen.

Dies soll so beibehalten werden.

Schliesslich ist eine bundesweite Regelung der Familienzulagen für Selbstständigerwerbende auch im Kontext der finanziellen Lage der übrigen Sozialversicherungen zu betrachten. In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass mit Ausnahme der 5996

Berufsunfallversicherung alle Sozialwerke in akuten finanziellen Schwierigkeiten stecken oder auf solche zusteuern. Für die nächsten Jahre zeichnet sich eine massive Finanzierungslücke ab. Vor diesem Hintergrund ist grundsätzlich jeder weitere Ausbau des Sozialstaates, der nicht zwingend notwendig ist, abzulehnen.

2.5

Rückweisung: Begründung der Minderheit

Die Familienzulagen waren ursprünglich kantonal geregelt und beschränkten sich grösstenteils auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auf Bundesebene existierte lediglich das Bundesgesetz über Familienzulagen in der Landwirtschaft. Eine unterschiedliche Finanzierung der Zulagen war somit gerechtfertigt. Mit dem neuen Familienzulagengesetz wurden einerseits die Mindestbeträge der Familienzulagen harmonisiert, andererseits der Kreis der Zulagenberechtigten auf Nichterwerbstätige erweitert. Durch den Einbezug der Selbstständigerwerbenden in die Familienzulagenordnung des Bundes und die Umsetzung des Prinzips «Ein Kind, eine Zulage», auf welche die vorliegende Gesetzesänderung abzielt, verlieren die Familienzulagen ihren bisherigen Charakter einer Lohnzulage und werden zu einer gesellschaftlichen Solidaritätsleistung. Auch ihre Finanzierung ist deshalb zwingend neu zu regeln. Am einfachsten wäre eine paritätische Finanzierung der Familienzulagen für Selbstständigerwerbende, wie sie die anderen Sozialversicherungen auch kennen. Die Vorlage ist deshalb an die Kommission zurückzuweisen, mit dem Auftrag, eine entsprechende Finanzierung vorzusehen.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Ziffer I Art. 7 Abs. 1 Bst. e Das Kriterium des höheren AHV-pflichtigen Einkommens ist für die Durchführung nicht unproblematisch, wenn dabei Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit betroffen sind. Diese richten sich nach dem steuerbaren Einkommen und stehen deshalb erst im Nachhinein fest, was je nach Konstellation auch mehrere Jahre dauern kann. Zudem variieren diese Einkommen von Jahr zu Jahr, wobei auch grössere Schwankungen nicht ausgeschlossen sind. Bei Eltern, welche die gemeinsame elterliche Sorge haben und mit den Kindern zusammen im gleichen Haushalt leben (was bei verheirateten Eltern die Regel ist), kann deshalb die Priorität oft erst nachträglich bestimmt werden, wenn sie beide (oder keiner) im Wohnsitzkanton der Familie arbeiten. Liegen die Einkommen der Eltern nicht weit auseinander, so kann es zu wiederholter Änderung in der Erstanspruchsberechtigung kommen. Als praktikable und im Vollzug einfache Lösung bietet sich an, dem Elternteil, der das höhere AHV-pflichtige Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit hat, den Vorrang zu geben. Diese Lösung entspricht auch der heutigen Regelung in 8 Kantonen (LU, SZ, NW, BS, SH, SG, VD und VS), die heute schon Familienzulagen für die Selbstständigerwerbenden kennen und diese Leistungen subsidiär gegenüber den Leistungen an Arbeitnehmende ausgestaltet haben, und zwar generell, also auch bei geschiedenen Eltern.

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Gegenüber der heutigen Regelung bei Anspruchskonkurrenz ergibt sich mit diesem Vorschlag Folgendes: ­

Bei verheirateten Eltern, die im gleichen Kanton arbeiten, ändert sich faktisch nichts gegenüber der heutigen Regelung ohne Einbezug von Ansprüchen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit.

­

Bei geschiedenen Eltern kann der Erstanspruch aufgrund von Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben a­d auch vom selbstständigerwerbenden Elternteil geltend gemacht werden. Hier muss kein Einkommensvergleich vorgenommen werden.

Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass die vorgeschlagene Regelung eine Abweichung vom einheitlichen System mit vollem Einbezug der Selbstständigerwerbenden darstellt. Zudem bevorzugt sie tendenziell FAK, die viele Selbstständigerwerbende umfassen, weil diese zwar Beiträge bezahlen, aber verhältnismässig weniger Leistungen beziehen werden. In den 16 Kantonen mit Lastenausgleich zwischen den FAK gleicht sich das allerdings aus. Die Kommission wollte eine administrativ einfache und praxistaugliche Regelung und hat sich deshalb für die vorgeschlagene Lösung entschieden.

Bst. f (neu) Sind verheiratete Eltern nur aufgrund ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit anspruchsberechtigt und beide Elternteile im gleichen Kanton tätig, so hat Vorrang, wer aufgrund dieser Tätigkeit das höhere AHV-pflichtige Einkommen erzielt.

Titel des 1. Abschnitts Der Begriff «Erwerbstätige» umfasst sowohl die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch die Selbstständigerwerbenden.

Art. 11 Abs. 1 Bst. c (neu) Um die Selbstständigerwerbenden einzubeziehen, werden sie in einem neuen Buchstaben c aufgeführt. Die Definition nimmt auch hier Bezug auf die AHV.

Art. 12 Abs. 1 In einem zweiten Satz wird ausdrücklich festgehalten, dass für die Selbstständigerwerbenden die gleichen kantonalen Bestimmungen für den Anschluss an eine FAK gelten wie für die Arbeitgeber. In allen Kantonen, die heute eine obligatorische Unterstellung der Selbstständigerwerbenden kennen, ist das schon der Fall.

Abs. 2 Für Selbstständigerwerbende gilt die gleiche Regelung wie für die Arbeitgeber.

Massgebend ist der Geschäftssitz oder, wenn ein solcher fehlt, der Wohnsitz. In den heutigen kantonalen Regelungen wird für die Unterstellung unter die Familienzulagenordnung meist sowohl der Geschäfts- als auch der Wohnsitz verlangt. Sind Geschäfts- und Wohnsitz eines Selbstständigerwerbenden nicht im gleichen Kanton, so führt diese Regelung zu Lücken. Die Priorität des Geschäftssitzes führt zu einer

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klaren Regelung der Unterstellung und bewirkt, dass der Selbstständigerwerbende dort unterstellt ist, wo er auch als Arbeitgeber für seine Angestellten unterstellt ist.

Im zweiten Satz wurde ergänzt, dass die Regelung der Unterstellung von Zweigniederlassungen nur für Arbeitgeber gilt. Wenn ein Selbstständigerwerbender eine Zweigniederlassung in einen anderen Kanton hat, muss er sich nicht auch dort einer FAK anschliessen.

Art. 13 Abs. 2bis (neu) Ein neu eingefügter Absatz 2bis legt den Anspruch der Selbstständigerwerbenden auf Familienzulagen fest und bestimmt, dass die Familienzulagenordnung im Kanton des Geschäftssitzes oder, wenn ein solcher fehlt, des Wohnsitzes, gilt. Die Einzelheiten betreffend Dauer des Anspruchs regelt der Bundesrat, denn bei den Selbstständigerwerbenden kann nicht auf die Dauer eines Arbeitsverhältnisses oder des Lohnanspruchs abgestellt werden.

Abs. 4 Bst. b Ebenso muss bei der Regelungskompetenz des Bundesrates ergänzt werden, dass der Bundesrat auch den Fall regelt, in dem eine Person gleichzeitig selbstständig und unselbstständig erwerbstätig ist.

Art. 16 Abs. 1 Minderheit (Scherer, Borer, Bortoluzzi, Dunant, Estermann, Parmelin, Stahl) Die Minderheit verweist auf die Begründung des Rückweisungsantrags (Ziff. 2.5).

Wird das Prinzip «Ein Kind, eine Zulage» konsequent umgesetzt, ist die Finanzierung der Familienzulagen grundsätzlich neu zu regeln. Eine paritätische Finanzierung der Familienzulagen entspricht der Finanzierung der übrigen Sozialleistungen.

Abs. 3 (neu) Die Bestimmung über die Finanzierung, die der Nationalrat in der Frühjahrssession 2005 beschlossen hatte, legte fest, dass die Beiträge der Selbstständigerwerbenden auf dem Einkommen plafoniert werden, das dem in der obligatorischen Unfallversicherung höchstens versicherten Verdienst entspricht7. Dieselbe Plafonierung war auch für die Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht beitragspflichtiger Arbeitgeber vorgesehen. Für die Beiträge der Selbstständigerwerbenden kennen seit dem 1. Januar 2009 die folgenden Kantone eine Plafonierung: BE, BS, BL, VD und GE.

Die Kantone, die heute schon eine umfassende Regelung mit Einbezug aller Selbstständigerwerbenden kennen, sollen ihre Bestimmungen über die Finanzierung der Familienzulagen für die Selbstständigerwerbenden möglichst nicht ändern müssen.

Deshalb wird den Kantonen die Kompetenz eingeräumt, die Beiträge der Selbst7

Der maximal versicherte Verdienst beträgt heute 126 000 Franken im Jahr; 2005 betrug er noch 106 800 Franken im Jahr.

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ständigerwerbenden auf dem Einkommen zu plafonieren, welches den Höchstbetrag des versicherten Verdienstes in der obligatorischen Unfallversicherung nicht übersteigt. Andere Plafonierungen betreffend das Einkommen, welches die Basis für die FAK-Beiträge bildet, sind nicht zulässig. Die Durchführung soll für die FAK, die in mehreren oder allen Kantonen tätig sind, nicht erschwert werden.

Die Kommission hat geprüft, ob die Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht beitragspflichtiger Arbeitgeber auch plafoniert werden sollten (so wie es der Nationalrat 2005 getan hatte) oder ob den Kantonen auch hierfür die Befugnis einzuräumen wäre. Heute werden nur im Kanton Genf die Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht beitragspflichtiger Arbeitgeber plafoniert. Es wird vorgeschlagen, dass im FamZG für die Beiträge dieser Arbeitnehmender keine Plafonierung vorgesehen wird und eine solche auch von den Kantonen nicht eingeführt werden kann. Diese Lösung ­

entspricht den Familienzulagenordnungen aller Kantone ausser Genf;

­

verhindert, dass für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichtbeitragspflichtiger Arbeitgeber je nach Kanton verschiedene Regelungen der Finanzierung gelten werden;

­

entspricht der voraussichtlichen Regelung für die AHV-Beiträge nach Abschluss der 11. AHV-Revision, wo die Sonderbehandlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichtbeitragspflichtiger Arbeitgeber aufgehoben werden soll.

Mit Ausnahme der Plafonierung der Beiträge der Selbstständigerwerbenden, die von den Kantonen beschlossen werden kann, werden die Beiträge aller Kategorien von Personen, die einer FAK angeschlossen sind, nach den gleichen Regeln (z.B. Höhe des Beitragssatzes) bemessen.

Art. 19 Abs. 1bis (neu) Nach Artikel 13 Absatz 3 FamZG müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Jahr mindestens auf einem Lohn AHV-Beiträge entrichten, der dem halben jährlichen Betrag der minimalen vollen Altersrente der AHV entspricht, um Familienzulagen beziehen zu können. Haben sie ein Jahreseinkommen von unter 6840 Franken, so sind sie deshalb als Arbeitnehmende nicht bezugsberechtigt. Wenn sie aber aufgrund ihres Lohnes mehr als den AHV/IV/EO-Mindestbeitrag entrichten, so gelten sie in der AHV nicht als Nichterwerbstätige. Sie haben deshalb nach Artikel 19 Absatz 1 FamZG auch keinen Anspruch auf Familienzulagen für Nichterwerbstätige. Das gilt für Arbeitnehmende, deren Jahreseinkommen zwischen 4555 und 6840 Franken liegt. Sie können weder als Arbeitnehmende, noch als Nichterwerbstätige Familienzulagen beanspruchen. Bisher haben 12 Kantone diese Lücke geschlossen. Die Kommission hält es für sinnvoll, das im Rahmen der Revision des FamZG gesamtschweizerisch zu tun.

Mit der Ausdehnung des Geltungsbereichs des FamZG auf die Selbstständigerwerbenden gilt die Voraussetzung des Mindesteinkommens zum Bezug der Familienzulagen nach Artikel 13 Absatz 3 FamZG auch für die Selbstständigerwerbenden. Für die AHV kann der Status als Selbstständigerwerbender selbst dann gelten, wenn während eines Jahres überhaupt kein Einkommen erzielt wird. Selbstständigerwerbende, die aus dieser Tätigkeit weniger als 6840 Franken im Jahr erwirtschaften, sollen deshalb für die Familienzulagen als Nichterwerbstätige gelten.

6000

Um diese Lücke für beide Bezügerkategorien zu schliessen, soll ein neuer Absatz 1bis in den Artikel 19 FamZG eingefügt werden, der diese Personen als Nichterwerbstätige im Sinne des FamZG definiert. Sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere das Familieneinkommen nicht über 41 040 Franken im Jahr liegt, können sie Familienzulagen als Nichterwerbstätige beziehen.

Art. 28a (neu) Übergangsbestimmungen zur Änderung vom ...

Die Änderung des FamZG führt dazu, dass die kantonalen Gesetze Bestimmungen enthalten, welche im Widerspruch zum FamZG stehen und daher einer Anpassung bedürfen.

Ziffer II Die Verpflichtung der Kantone, ihre Gesetzgebung der Neuerung anzupassen, soll wie schon beim Erlass des FamZG sofort in Kraft treten.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle Auswirkungen

Für viele Kinder von Selbstständigerwerbenden werden bereits vom anderen Elternteil Familienzulagen für Arbeitnehmende bezogen. Berechnet wurden die Kosten der Familienzulagen deshalb für Kinder von Selbstständigerwerbenden, für die derzeit kein Anspruch besteht. Das sind die Familienzulagen für Kinder mit mindestens einem selbstständig erwerbenden, aber keinem unselbstständig erwerbstätigen Elternteil. Die jährlichen Kosten der Familienzulagen für diese Kinder werden auf 278 Millionen Franken geschätzt. Die Kostenschätzung bezieht sich auf das Jahr 2010.

Würden diese Leistungen ausschliesslich durch die Beiträge auf den Einkommen der Selbstständigerwerbenden finanziert, so ergäben sich folgende Beitragssätze: ­

1,2 Prozent der AHV-pflichtigen Erwerbseinkommen der Selbstständigerwerbenden (bei unplafonierten Beiträgen);

­

1,6 Prozent der AHV-pflichtigen Erwerbseinkommen der Selbstständigerwerbenden (bei einer Plafonierung der Beitragspflicht auf einem Einkommen von 126 000 Franken).

Seit dem 1. Januar 2009 werden bereits 111 Millionen Franken im Jahr an Familienzulagen an Selbstständigerwerbende aufgrund der geltenden kantonalen Familienzulagenregelungen ausgerichtet. Die effektiven Mehrkosten durch einen schweizweiten Anspruch für die Selbstständigerwerbenden werden demnach schätzungsweise 167 Millionen Franken betragen. Diese Mehrkosten werden durch Beiträge an die FAK finanziert, welche durch die Selbstständigerwerbenden selber geleistet werden. Die oben erwähnten Beitragssätze beruhen auf einer theoretischen Berechnung. Sie bedeuten nicht, dass alle Selbstständigerwerbenden auch wirklich Beiträge in dieser Höhe leisten müssen. Durch den Anschluss der Selbstständigerwerbenden an die FAK steigt einerseits die Lohnsumme, andererseits aber auch die Zahl der Kinder, für die Familienzulagen ausgerichtet werden müssen. Schon heute ist je nach FAK das für den Beitragssatz massgebende Verhältnis zwischen 6001

Lohnsumme und Leistungen unterschiedlich. Es wird sich je nach Branche durch den Anschluss der Selbstständigerwerbenden mehr oder weniger verändern. Die Beitragssätze für die Selbstständigerwerbenden werden sich ­ wie das schon heute für die Arbeitgeber der Fall ist ­ von FAK zu FAK erheblich unterscheiden. Dazu kommt, dass verschiedene Kantone Lastenausgleichsverfahren zwischen den FAK kennen, was die Unterschiede zwischen den Beitragssätzen wiederum vermindert.

Heute betragen die Beitragssätze an die kantonalen FAK zwischen 1,2 und 3 Prozent. Die Beitragssätze an die übrigen FAK sind nicht bekannt. Es können also keine Aussagen darüber gemacht werden, ob und bei welchen FAK sich die Beitragssätze durch den Anschluss von Selbstständigerwerbenden ändern werden.

Für den Bund und die Kantone entstehen keine Mehrkosten.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Der Einbezug der Selbstständigerwerbenden in ein einheitliches System ist die beste Lösung für eine effiziente Durchführung. Insbesondere der obligatorische Anschluss an eine FAK und das Wegfallen einer Einkommensgrenze für den Bezug von Familienzulagen macht den Vollzug einfacher als die heute in 4 Kantonen geltende Regelung mit Einkommensgrenze. Mit den drei Änderungen betreffend Anspruchskonkurrenz, Kassenzugehörigkeit und Finanzierung wurde dem Erfordernis der Vollzugstauglichkeit der Vorlage besonders Rechnung getragen.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

5.1

Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft

Innerhalb der Europäischen Union wird die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Artikel 39 des EG-Vertrages geregelt. Voraussetzung für den freien Personenverkehr ist die Koordinierung der nationalen Sozialversicherungssysteme, welche in Artikel 42 des EG-Vertrages vorgesehen ist. Diese Koordinierung wird durch die Verordnung Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie durch die Durchführungsverordnung Nr. 574/728 umgesetzt. Die Verordnung Nr. 1408/71 sieht namentlich die Gleichbehandlung der eigenen Staatsangehörigen und der Angehörigen der Mitgliedstaaten, die Erhaltung der erworbenen Ansprüche und die Auszahlung von Leistungen auf dem ganzen Gebiet der Gemeinschaft vor.

Das Abkommen zwischen der Schweiz und der EG über die Freizügigkeit hat zur Folge, dass die Schweiz seit dem 1. Juni 2002 bei dieser multilateralen Koordinierung mitwirkt.

8

Kodifiziert durch die Verordnung des Rates Nr. 118/97, ABl. L 28 vom 30.1.1997, S. 1; zuletzt geändert durch die Verordnung des Europäisches Parlament und des Rates Nr. 631/2004, ABl. L 100 vom 6.4.2004, S. 1.

6002

Das Gemeinschaftsrecht sieht die Koordinierung der nationalen Sozialversicherungssysteme vor, jedoch nicht deren Harmonisierung. Die Mitgliedstaaten können die Art, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit selber festlegen.

Allerdings gibt es eine Empfehlung des Rates vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes9, in der die Mitgliedstaaten eingeladen werden, die Leistungen für die Familien auszubauen, für welche die Versorgung von Kindern eine besondere Belastung darstellt, beispielsweise wegen der Kinderzahl und/oder der wirtschaftlichen Verhältnisse.

5.2

Instrumente des Europarates

Was die wirtschaftlichen und sozialen Rechte anbelangt, so stellt die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 das Gegenstück zur Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Artikel 16 der Charta regelt das Recht der Familie auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz. Artikel 12 der Charta regelt das Recht auf Soziale Sicherheit.

Die Schweiz hat die Charta am 6. Mai 1976 unterzeichnet; die Ratifizierung wurde jedoch 1987 vom Parlament abgelehnt, so dass dieses Übereinkommen für unser Land nicht bindend ist.

Mit der Europäischen Sozialcharta (revidiert) vom 3. Mai 1996 wurde der materielle Inhalt der Charta von 1961 aktualisiert und angepasst. Es handelt sich dabei um ein eigenständiges Abkommen, das die Europäische Sozialcharta nicht aufhebt. Die Artikel 12 und 16 wurden in der revidierten Charta wieder aufgenommen. Die Schweiz hat dieses Instrument nicht unterzeichnet.

Die Schweiz hat die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 am 16. September 197710 ratifiziert. Unser Land hat insbesondere Teil VII über die Familienleistungen angenommen. Der Kreis der geschützten Personen hat entweder vorgeschriebene Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder vorgeschriebene Gruppen der erwerbstätigen Bevölkerung zu umfassen (Art. 41). Der Anspruch auf Familienleistungen zugunsten geschützter Personen darf nicht an die Voraussetzung der Bedürftigkeit geknüpft sein. Artikel 44 sieht vor, dass der Gesamtwert der Kinderzulagen mindestens 1,5 Prozent des Lohnes eines erwachsenen männlichen ungelernten Arbeiters im Sinne der Europäischen Ordnung, vervielfacht mit der Zahl der Kinder aller Einwohner, sein soll.

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit (revidiert) vom 6. November 1990 ist ebenfalls ein von der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit von 1964 zu unterscheidendes Abkommen; sie ersetzt die letztere nicht. Die revidierte Ordnung erweitert gewisse Vorschriften der Ordnung von 1964 (z.B. Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs und Verbesserung des Leistungsniveaus) und führt parallel dazu eine grössere Flexibilität ein, indem die Normen so formuliert sind, dass den einzelstaatlichen Regelungen bestmöglich Rechnung getragen wird. Da die revidierte Ordnung bisher von keinem Staat ratifiziert wurde, ist sie noch nicht in Kraft getreten.

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ABl. L 245 vom 26.8.1992, S. 49.

AS 1978 1518; SR 0.831.104

6003

Von den Instrumenten des Europarates sei noch die Empfehlung des Ministerkomitees Nr. R (92) 2 über die allgemeine Einführung von Familienleistungen erwähnt, wonach Familienbeihilfen für alle Kinder erbracht werden sollten, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates gewöhnlich aufhalten. Die Familienbeihilfen, die dem Mindestansatz entsprechen, sollten ferner einkommensunabhängig gewährt werden (Ziff. 3 und 10a im Anhang zur Empfehlung).

5.3

Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

Die Ausweitung des Bezügerkreises auf Selbstständigerwerbende im FamZG ist mit dem für die Schweiz massgebenden europäischen Recht vereinbar.

6

Verfassungsmässigkeit

Die vorliegenden Änderungen stützen sich auf Artikel 116 der Bundesverfassung.

Dieser gibt in Absatz 2 dem Bund die Kompetenz, Vorschriften über die Familienzulagen zu erlassen.

6004