09.024 Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung des UNO-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit vom 25. Februar 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf des Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des UNO-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2005 P

05.3807

Betreibungsrecht und Aussenbeziehungen (N 14.12.2005, Widmer)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

25. Februar 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-3041

1721

Übersicht Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit wurde von der UNO-Generalversammlung am 2. Dezember 2004 im Konsens angenommen. Es bezweckt die Einführung allgemein anwendbarer Regeln, die festlegen, unter welchen Bedingungen ein Staat und sein Vermögen in anderen als strafrechtlichen Verfahren der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterstellt werden können. 27 Jahre musste verhandelt werden, bis ein Text vorlag, der geeignet ist, die allgemeine Unterstützung in diesem Rechtsbereich zu finden, in dem es noch unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt. Die Schweiz wirkte bei der Erarbeitung des Textes aktiv mit und konnte sich dem allgemeinen Konsens zur Verabschiedung des Übereinkommens problemlos anschliessen, da dieses im Wesentlichen die vom Bundesgericht seit 1918 angewendeten Grundsätze auf internationaler Ebene kodifiziert. Gemäss dem sogenannten Grundsatz der beschränkten oder relativen Immunität ist der ausländische Staat durch seine Immunität geschützt, wenn er hoheitlich handelt (iure imperii), nicht aber, wenn er als Träger von Privatrechten gleich einer Privatperson handelt (iure gestionis).

Die Schweiz hat das Übereinkommen am 19. September 2006 in New York unterzeichnet. Es ist mit unserer Rechtsordnung vereinbar und stellt einen wichtigen Schritt bei der Kodifizierung und Weiterentwicklung des Völkerrechts dar. Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten nun die Genehmigung des Übereinkommens, dessen Ratifizierung aus verschiedenen Gründen wünschenswert ist.

Das Übereinkommen ist notwendig für eine einheitliche, globale Regelung in einem Bereich, der für das reibungslose Funktionieren der internationalen Gemeinschaft wesentlich ist. Da sich zahlreiche internationale Konferenzen und Organisationen im Hoheitsgebiet der Schweiz niedergelassen haben, hat unser Land ein besonderes Interesse an der Rechtssicherheit, die durch eine weltweit anwendbare Regelung über staatliche Immunitäten erzielt wird. Durch die Ratifizierung des Übereinkommens sichert sich unser Land optimale Bedingungen für ihre Beziehungen mit den anderen Staaten.

Das Übereinkommen stärkt auch die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen Staaten und Privatpersonen. Die Regelung der Immunität der Staaten und ihres Vermögens von
der Gerichtsbarkeit wirft komplexe Probleme auf, und die Länder haben in diesem Bereich keine einheitliche Praxis. Sowohl Staaten als auch Private würden von der Transparenz und der Berechenbarkeit verbindlicher Vorschriften profitieren. Die Ratifizierung des Übereinkommens ist im Interesse der Schweiz, da es zur Rechtstaatlichkeit und zur Rechtsicherheit beiträgt.

1722

Bisher [Stand 25.02.09] haben 6 Staaten das Übereinkommen ratifiziert (Iran, Libanon, Norwegen, Österreich, Portugal und Rumänien), und weitere 28 Staaten haben es unterzeichnet. Zu den Unterzeichnern gehören auch Länder, die früher eine absolute Immunität befürworteten. Indem die Schweiz das Übereinkommen als einer der ersten Staaten ratifiziert, könnte sie ihr traditionelles Engagement für das Völkerrecht bekräftigen und bei der Etablierung einer weltweit anwendbaren Regelung auf dem Gebiet der Immunität eine treibende Rolle spielen.

1723

Inhaltsverzeichnis Übersicht

1722

1 Einleitung 1.1 Begriff der Staatenimmunität 1.2 Immunität ausländischer Staaten in der Schweiz 1.2.1 Geschichtlicher Rückblick 1.2.2 Die schweizerische Praxis

1726 1726 1727 1727 1728

2 Das UNO-Übereinkommen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit 2.1 Ausgangslage 2.2 Entstehung des Übereinkommens 2.3 Haltung der Schweiz 2.3.1 Haltung der Bundesbehörden 2.3.2 Haltung der kantonalen Behörden 2.4 Inhalt und Gliederung des Übereinkommens

1729 1729 1730 1731 1731 1731 1732

3 Erläuterungen zu den Bestimmungen des Übereinkommens 3.1 Anwendungsbereich 3.2 Allgemeine Grundsätze 3.3 Der Begriff des Staates im Sinne des Übereinkommens 3.4 Immunität von der Gerichtsbarkeit 3.5 Ausnahmen von der Vollstreckungsimmunität 3.6 Verschiedene Bestimmungen 3.7 Schlussbestimmungen

1733 1733 1734 1735 1736 1741 1742 1742

4 Das Übereinkommen und die schweizerische Rechtsordnung 4.1 Allgemeines 4.2 Immunität von der Gerichtsbarkeit 4.2.1 Personen- und Sachschäden 4.3 Immunität von der Vollstreckung 4.3.1 Unterscheidung zwischen Zwangsmassnahmen vor und nach einer gerichtlichen Entscheidung 4.3.2 Unpfändbarkeit des Vermögens der Zentralbank 4.4 Verfahrensfragen 4.4.1 Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke 4.4.2 Versäumnisentscheidung 4.4.3 Vorrechte und Immunitäten während des Verfahrens

1743 1743 1744 1744 1746 1746 1747 1749 1749 1749 1751

5 Andere auslegende Erklärungen

1752

6 Schlussfolgerung

1752

7 Auswirkungen 7.1 Auswirkungen auf den Bund 7.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

1754 1754 1754

1724

7.3 Wirtschaftliche Auswirkungen 7.4 Sonstige Auswirkungen

1754 1755

8 Verhältnis zur Legislaturplanung

1755

9 Verhältnis zum europäischen Recht

1755

10 Erledigung eines parlamentarischen Vorstosses

1756

11 Verfassungsmässigkeit

1756

Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des UNO-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit (Entwurf)

1759

Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit

1761

1725

Botschaft 1

Einleitung

1.1

Begriff der Staatenimmunität

Die Staatenimmunität ist ein Begriff des Völkerrechts, wonach ein Staat nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterworfen werden kann. Damit soll seine Souveränität geschützt werden. Im Völkerrecht umfasst das Territorialitätsprinzip das ausschliessliche Recht jedes Staates, staatliche Funktionen, einschliesslich der Gerichtsbarkeit, in seinem Hoheitsgebiet wahrzunehmen; da zwischen souveränen Staaten keine Hierarchie besteht, kann ein Staat nicht den Hoheitsakten eines anderen Staates unterworfen werden. Der Grundsatz, wonach ein Staat nicht vor die Gerichte eines anderen Staates gebracht oder mit Vollstreckungsmassnahmen belegt werden darf, wird manchmal durch den Satz «par in parem non habet imperium»1 ausgedrückt.

Die Staatenimmunität ist eine alte Institution, die sich jedoch erheblich entwickelt hat. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war im Völkerrecht allgemein anerkannt, dass ein ausländischer Staat nicht der Gerichtsbarkeit der innerstaatlichen Gerichte unterworfen werden kann, es sei denn, er verzichte ausdrücklich auf seine Immunität (Grundsatz der absoluten Immunität). Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Rechtsprechung und Lehre nach und nach zu der Auffassung gelangt, dass diese Immunität nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Staat hoheitlich handelt (iure imperii). Handelt er dagegen wie eine Privatperson (iure gestionis), das heisst, gründet die Klage auf einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis, so muss er der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit unterstellt werden. Diese restriktive Auslegung (Grundsatz der beschränkten Immunität) wurde zuerst von italienischen und belgischen Gerichten angewandt und setzte sich dann auch in anderen Staaten einschliesslich der Schweiz (siehe Ziff. 1.2.2) durch. Sie wurde vor allem entwickelt, um der zunehmenden Wirtschaftstätigkeit der Staaten Rechnung zu tragen, die immer häufiger an Geschäften mit Privatpersonen beteiligt sind. Der Grundsatz der absoluten Immunität gilt aber immer noch in gewissen Ländern, die keinerlei Einmischung in ihre Aktivitäten wünschen.

Wie die zahlreichen Urteile in diesem Bereich zeigen, hat die Regelung der Staatenimmunität grosse praktische Bedeutung für die innerstaatliche Rechtsprechung. Es handelt sich dabei um eine sehr aktuelle, aber auch äusserst komplexe Problematik.

Neben der
Streitigkeit zwischen einem ausländischen Staat und einer Privatperson berührt die Immunität auch die Beziehungen, die zwischen dem Staat und dem Gerichtsstaat bestehen. Gerichtsurteile, welche die Immunität von Staaten betreffen, können also auch Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen haben. Das Thema ist deshalb heikel, umso mehr als die Staatengemeinschaft in Bezug auf die Tragweite des Grundsatzes der Immunität immer noch unterschiedlicher Auffassung ist: Selbst wenn heute der Grundsatz der beschränkten Immunität vorherrscht, gibt es immer noch erhebliche Unterschiede, und die von den Gerichten entwickelte oder auf Gesetzen beruhende nationale Praxis ist derzeit keineswegs einheitlich.

1

Wörtlich: «Gleiche haben keine Macht über Gleiche».

1726

1.2

Immunität ausländischer Staaten in der Schweiz

1.2.1

Geschichtlicher Rückblick

Die Schweiz hat wie viele andere Länder keine Gesetzgebung über die Immunität von Staaten. Diese Frage wird aufgrund allgemeiner völkerrechtlicher Grundsätze durch die Rechtsprechung geregelt.

1923 scheiterte der Entwurf zu einem Gesetz über Arrest und Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegenüber Vermögen fremder Staaten2 am Widerstand des Nationalrates; dieser zog es vor, die Regelung dieser Frage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu überlassen. Während der beiden Weltkriege erliess der Bundesrat gestützt auf ausserordentliche Vollmachten zwei Beschlüsse: 1918 einen Beschluss, der Zwangsmassnahmen gegenüber Vermögenswerten eines ausländischen Staates ausschloss, sofern dieser Gegenrecht hielt, und 1939 einen Beschluss, wonach Vermögen eines ausländischen Staates nur mit dessen Zustimmung mit Arrest belegt werden konnte3. Die beiden Beschlüsse wurden 1926 bzw. 1948 aufgehoben4. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden restriktive Bestimmungen in Bezug auf die Zwangsvollstreckungsmassnahmen gegenüber Vermögen ausländischer Staaten in mehrere Abkommen mit osteuropäischen Staaten aufgenommen. Dabei ging es darum, den Vollzug der Abkommen zur Entschädigung schweizerischer Interessen sicherzustellen. Diese Bestimmungen sind überholt und nicht mehr in Kraft.

Anlässlich der letzten Totalrevision des Bundesgesetzes vom 11. April 18895 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) im Jahr 1991 wurde die Einführung von Spezialbestimmungen über den Arrest auf Vermögen ausländischer Staaten geprüft.

Schliesslich wurde jedoch davon abgesehen, um die Weiterentwicklung der völkerrechtlichen Praxis und der diesbezüglichen Rechtsprechung nicht durch eine gesetzliche Regelung zu behindern6. Bei der Revision war ursprünglich auch vorgesehen, dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten die Befugnis zu erteilen, gegen einen Arrestbefehl in Bezug auf Vermögenswerte eines ausländischen Staates staatsrechtliche Beschwerde einzulegen. Auch darauf wurde in der Folge verzichtet, und zwar mit der Begründung, die zahlreichen Arreste auf Vermögen ausländischer Staaten, mit denen die Schweizer Gerichte befasst waren, hätten gezeigt, dass die geltende Regelung auch verfahrensmässig ausreiche7.

2 3 4 5 6

7

BBl 1923 I 419 Vgl. BGE 82 I 75 E. 9 und 10 (m.w.H.)

AS 1926 305 und 1948 950 SR 281.1 In Ermangelung einer Spezialbestimmung ist Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG also auch auf den Arrest auf Vermögen ausländischer Staaten anwendbar (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 8. Mai 1991 über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, BBl 1991 III 1, S. 162­166).

Botschaft des Bundesrates vom 8. Mai 1991 über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, BBl 1991 III 1, S. 164.

1727

1.2.2

Die schweizerische Praxis

Das Bundesgericht folgt seit 1918 dem Grundsatz der beschränkten Immunität der Staaten (BGE 44 I 49)8. Nach seiner Rechtsprechung ist der Grundsatz der gerichtlichen Immunität ausländischer Staaten keine absolute, allgemein gültige Regel. Es muss im Gegenteil unterschieden werden, ob der ausländische Staat kraft seiner Souveränität (iure imperii) handelt oder ob er als Träger von Privatrechten handelt (iure gestionis). Nur im ersten Fall kann er sich auf den Grundsatz der Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen. Im zweiten Fall kann er hingegen von einem Schweizer Gericht belangt und unter gewissen Umständen in der Schweiz mit Zwangsmassnahmen belegt werden. Diesbezüglich hat das Bundesgericht eine zusätzliche Bedingung aufgestellt: Ein privates Rechtsverhältnis, an dem ein ausländischer Staat beteiligt ist, muss laut Bundesgericht in einer Beziehung zum schweizerischen Hoheitsgebiet stehen («Binnenbeziehung»), damit es zu einem Verfahren in der Schweiz führen kann. Das heisst, das Rechtsverhältnis muss in der Schweiz begründet werden oder durchzuführen sein, oder der Schuldner muss wenigstens gewisse Handlungen vorgenommen haben, die geeignet sind, in der Schweiz einen Erfüllungsort zu begründen9.

Bei der Unterscheidung zwischen Handlungen iure imperii und iure gestionis hat das Gericht nicht auf deren Zweck, sondern auf deren Natur abzustellen. Es muss prüfen, ob die Handlung auf der öffentlichen Gewalt beruht oder ob es sich um Rechtsbeziehungen handelt, die in gleicher oder ähnlicher Art zwischen zwei Privaten abgeschlossen werden könnten10. Anhaltspunkte für diese Unterscheidung kann zum Beispiel auch der Ort des Handelns liefern. Tritt ein ausländischer Staat ausserhalb seiner Grenzen mit einem Privaten in Beziehung, ohne dass dabei diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Staaten im Spiel sind, so ist dies ein ernsthaftes Indiz für einen Akt iure gestionis.

Nach Auffassung des Bundesgerichts ist es schliesslich nicht gerechtfertigt, zwischen der Gerichtsbarkeit und der Vollstreckungsgewalt der Behörden eines Staates gegenüber einem ausländischen Staat zu unterscheiden. Wenn man bejaht, dass ein ausländischer Staat in einem Verfahren vor einem schweizerischen Gericht zur Feststellung seiner Rechte und Pflichten aus einem Rechtsverhältnis, an dem er beteiligt ist, Partei sein kann,
muss man auch annehmen, dass er in der Schweiz den Massnahmen zur Sicherstellung der Vollstreckung des gegen ihn ergangenen Urteils unterworfen ist11. Die Zwangsvollstreckung kann jedoch unter Umständen durch die Zweckbestimmung ausgeschlossen werden, die der ausländische Staat seinen Vermögenswerten gibt. Nach Auffassung des Bundesgerichts schützt die Vollstreckungsimmunität in Übereinstimmung mit den geltenden völkerrechtlichen Regeln die Vermögenswerte des ausländischen Staates in der Schweiz, wenn er sie für seinen diplomatischen Dienst oder für eine andere ihm in seiner Eigenschaft als

8

9 10 11

Für einen ausführlichen Überblick über die bundesgerichtliche Rechtsprechung siehe L'immunité de juridiction des Etats et des organisations internationales: la Pratique Suisse von Dominique Favre, Bundesrichter, in: Droit des immunités et exigences du procès équitable, Paris (Pedone) 2004, S. 43­55.

Vgl. insbesondere BGE 56 I 251; BGE 4C.379/2006.

Vgl. insbesondere BGE 86 I 23; 124 III 382; 130 III 136.

Vgl. insbesondere BGE 82 I 75 E. 10; 124 III 382.

1728

Staatsgewalt obliegende Aufgabe bestimmt hat12. Diese ständige Rechtsprechung wurde 1991 in die Totalrevision des SchKG integriert13.

2

Das UNO-Übereinkommen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit

2.1

Ausgangslage

Der vom Völkerbund eingesetzte Fachausschuss für die Kodifizierung des Völkerrechts war schon 1928 der Auffassung, die Frage der Staatenimmunität sei «so weit ausgereift, dass sie Gegenstand eines Übereinkommens werden kann»14. Die Ausarbeitung einer weltweit anwendbaren Regelung wurde jedoch erschwert durch unterschiedliche Vorstellungen über den Geltungsbereich des Prinzips der Staatenimmunität. In zahlreichen Entwürfen, die auf internationaler Ebene vorgelegt wurden, versuchte man daraufhin, die durch die Meinungsverschiedenheiten aufgeworfenen Probleme zu beheben. In diesem Zusammenhang seien insbesondere die von der «International Law Association» sowie dem Institut für Völkerrecht verfassten Artikelentwürfe genannt. Auch der Internationale Anwaltsverband («International Bar Association», IBA), der Asiatisch-afrikanische Rechtsberatungsausschuss und die Harvard University (USA) setzten sich eingehend mit dem Thema auseinander.

Bestimmte Aspekte waren bereits in mehreren internationalen Übereinkommen in Teilbereichen geregelt, unter anderem im Internationalen Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über die Immunität der staatlichen Seeschiffe von 1926, das für die Schweiz am 28. November 195415 in Kraft trat. Vorschriften zu den Immunitäten von Kriegsschiffen und anderen staatlichen Seeschiffen finden sich in den internationalen Übereinkommen über den Festlandsockel (Art. 20­22) und über die Hohe See (Art. 8 und 9), die 1958 in Genf abgeschlossen wurden16. Das Abkommen vom 29. Mai 1933 zur Vereinheitlichung von Regeln über die Sicherungsbeschlagnahme von Luftfahrzeugen17 sah vor, dass Luftfahrzeuge, die ausschliesslich für den staatlichen Dienst bestimmt sind, der Sicherungsbeschlagnahme nicht unterworfen sind (Art. 3 Bst. a). Das Europäische Übereinkommen vom 16. Mai 1972 über Staatenimmunität18 ist bislang das einzige völkerrechtliche Instrument, das die Frage der Staatenimmunität allgemein regelt. Es hat viele Anregungen für die Ausarbeitung des UNO-Übereinkommens gegeben und damit eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Die für das Europäische Übereinkommen gewählte Rechtsetzungstechnik ­ auf eine allgemeine Bestimmung, die Immunität vorsieht, folgt eine Liste der Ausnahmen ­ wurde bei der Abfassung des UNO-Textes übernommen.

12 13

14 15 16 17 18

Vgl. insbesondere BGE 111 Ia 62; BGE 1P.581/2000.

Art. 92 Abs. 1 Ziff. 11 SchKG (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 8. Mai 1991 über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, BBl 1991 III 1, S. 80­81).

Annuaire de la Société des Nations, 1929, S. 283.

SR 0.747.331.51 SR 0.747.305.11 und 0.747.305.12 SR 0.748.671 SR 0.273.1

1729

2.2

Entstehung des Übereinkommens19

Als wichtigstes Forum für die Weiterentwicklung des Völkerrechts lässt die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) von ihrer Völkerrechtskommission (ILC) Entwürfe ausarbeiten, die darauf in Form von Übereinkommen verabschiedet werden können, welche den Staaten zur Ratifizierung unterbreitet werden. Mit der Resolution 32/151 vom 19. Dezember 1977 wies die UNO-Generalversammlung die ILC an, mit der Ausarbeitung eines Entwurfs zur Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit zu beginnen. Eine eigens zu diesem Zweck eingesetzte Arbeitsgruppe befasste sich mit dem Thema. Aufgrund ihrer Arbeiten, die auf einer vergleichenden Analyse der Staatenpraxis fussten, nahm die ILC im November 1991 einen ersten Entwurf von Artikeln an20. Dieser Entwurf wurde der Generalversammlung noch im gleichen Jahr unterbreitet, fand aber nicht die Zustimmung der Staaten. Die Generalversammlung beschloss darauf, eine neue Arbeitsgruppe einzusetzen. Diese wurde beauftragt, die im Entwurf aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen zu untersuchen und einen Text auszuarbeiten, der allgemeine Zustimmung erwarten liess.

Die Suche nach allgemein annehmbaren Lösungen erforderte noch langjährige Überlegungen und Verhandlungen. Schon zu dem Zeitpunkt, als die ILC ihre Arbeit aufnahm, war der Kodifizierungsprozess geprägt durch die unterschiedlichen Meinungen zur Frage der Staatenimmunität, die im politischen Umfeld vertreten wurden. Während die Mehrzahl der westlichen Staaten den Begriff der Immunität restriktiv auslegte, lehnten die kommunistischen Staaten diese Interpretation grundsätzlich ab und traten für eine absolute Immunität ein. Die Mehrheit der Entwicklungsländer, die an einem ausreichenden Schutz vor Gerichtsverfahren interessiert waren, lehnte den restriktiven Ansatz ebenfalls ab. Diese Meinungsverschiedenheiten hatten erhebliche Auswirkungen auf die Ausarbeitung des Entwurfs eines Übereinkommens. Dies änderte sich erst mit dem Niedergang der kommunistischen Systeme, und ab 1995 war der politische Kontext wieder homogen genug, um Kompromisse denkbar zu machen.

Die Beratungen in der Generalversammlung und den verschiedenen Arbeitsgruppen führten nach und nach zu einem Konsens, der auf dem restriktiven Ansatz beruhte.

Um den seit der Vorlage des Entwurfs 1991 aufgetretenen neuen Tendenzen Rechnung zu tragen,
beschloss die Generalversammlung 1999, eine dritte Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Prof. Gerhard Hafner (Österreich) einzusetzen. Nach der Veröffentlichung mehrerer Berichte über die Hauptschwierigkeiten bei den Verhandlungen und deren mögliche Lösungen wurde 2000 ein Ad-hoc-Ausschuss eingesetzt, der unter demselben Vorsitzenden die Erarbeitung der Artikel abschloss21. Im März 2004 verabschiedete der Ausschuss die endgültige Fassung eines Übereinkommensentwurfs. Am 2. Dezember 2004 nahm die Generalversamm19

20 21

Eine ausführlichere Beschreibung der Ausarbeitung des Übereinkommens findet sich bei Gerhard Hafner, L'immunité d'exécution dans le Projet de Convention des Nations Unies sur les immunités juridictionnelles des Etats et de leurs biens, in: Droit des immunités et exigences du procès équitable, Paris (Pedone) 2004, S. 85­89.

Bericht der ILC über ihre Tätigkeit in der 43. Tagung (Jahrbuch der ILC, 1991, Bd. II, S. 12­64).

Rapport du Comité spécial sur les immunités des Etats et de leurs biens, 24.­28. Febr.

2003 (UNO-Dok. A/58/22); Rapport du Comité spécial sur les immunités des Etats et de leurs biens, 1.­5. März 2004 (UNO-Dok. A/59/22).

1730

lung diese Fassung im Konsens an. Mit ihrer Resolution 59/38, die den erfolgreichen Abschluss von 27 Jahren Arbeit markiert, ruft sie die Staaten auf, dem UNO-Übereinkommen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit, das bis zum 17. Januar 2007 zur Unterzeichnung auflag, beizutreten.

2.3

Haltung der Schweiz

2.3.1

Haltung der Bundesbehörden

Die Schweiz hat aktiv an der Ausarbeitung dieses Übereinkommens mitgewirkt, denn unser Land engagiert sich traditionell für Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit. Angesichts der Tatsache, dass eine völkerrechtliche Übereinkunft, die klare und einheitliche Rechtsvorschriften für die Staatenimmunität einführt, die Beziehungen zwischen den Staaten verbessert, war es für die Schweiz als Gaststaat zahlreicher internationaler Konferenzen und Organisationen ­ und damit zahlreicher Staatenvertreter ­ zudem von grosser Bedeutung, zu den Arbeiten beizutragen. Die Schweizer Delegation setzte sich in den Verhandlungen für eine beschränkte Immunität ein. Sie befürwortete sachdienliche Vorschläge, die in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Praxis sowohl die Interessen des souveränen Staates als auch die seiner dem Privatrecht unterstehenden Partner berücksichtigen. Der Bundesrat begrüsst natürlich den erfolgreichen Abschluss der jahrelangen Bemühungen, zumal dieses Übereinkommen einen wichtigen Durchbruch in der Kodifizierung und kontinierlichen Weiterentwicklung des Völkerrechts darstellt. Der angenommene Wortlaut des Übereinkommens bildet einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Auslegungen der Immunität, die im Laufe der Verhandlungen vertreten wurden.

2.3.2

Haltung der kantonalen Behörden

Nach der Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Schweiz am 19. September 2006 begann die Prüfung einer allfälligen Ratifizierung. Da das Übereinkommen auf den ersten Blick nur geringfügige Änderungen des innerstaatlichen Rechts erforderte, wurde auf eine Vernehmlassung im Sinne von Artikel 2 des Bundesgesetzes vom 18. März 200522 über das Vernehmlassungsverfahren (VlG) verzichtet. Auch wenn der Bundesbeschluss zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung23 (siehe Ziff. 11) untersteht, sind die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen technischer Natur. Daher bedürfen Verträge ohne oder mit nur geringfügigen Auswirkungen auf das Landesrecht in Übereinstimmung mit den Leitlinien der Bundeskanzlei vom 30. August 2006 zur Konsolidierung der Praxis betreffend Vernehmlassungsverfahren zu völkerrechtlichen Verträgen keiner Konsultation im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c VlG24.

22 23 24

SR 172.061 BV; SR 101 Ein Ziel des VlG ist, das Vernehmlassungsverfahren zu straffen und damit auch die Zahl der Vernehmlassungen zu beschränken.

1731

Das EDA wollte jedoch eine Anhörung der Kantone nach Artikel 10 VlG durchführen, um deren Meinungen zum Übereinkommen in Erfahrung zu bringen. Auch wenn das Übereinkommen im Ergebnis den Kantonen keine Vollzugsaufgaben zuweist, können diese dennoch mit Fragen der Staatenimmunität konfrontiert sein.

Die überwiegende Mehrheit der Kantone, die zur Frage Stellung bezogen, sprachen sich für die Ratifizierung des Übereinkommens aus und brachten weder besondere Bemerkungen noch Einwände vor. Die Kantone Genf, Waadt und Zürich stimmten zwar der Ratifizierung des Übereinkommens zu bzw. äusserten sich nicht, formulierten aber materielle Bemerkungen zum Geltungsbereich des Übereinkommens und zu den Menschenrechten sowie zum Verfahren. So wurde insbesondere betont, dass das Übereinkommen die Immunität der Staaten von der Gerichtsbarkeit tendenziell stärker schütze als die derzeitige Praxis der Schweiz und dass die Frage der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Übereinkommen nicht geklärt werde.

Diese Bemerkungen werden nachstehend im Rahmen der Prüfung des Übereinkommens mit Blick auf seine Ratifizierung in der Schweiz (siehe Ziff. 4) behandelt und berücksichtigt.

2.4

Inhalt und Gliederung des Übereinkommens

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit verfolgt zwei Ziele: Erstens soll es die Rechtsstaatlichkeit und die Rechtssicherheit, insbesondere in den Beziehungen der Staaten zu Privatpersonen, stärken. Zweitens soll es zur Kodifizierung und Weiterentwicklung des Völkerrechts und zur Vereinheitlichung der Praxis auf diesem Gebiet beitragen. Das Übereinkommen stellt eine völkerrechtliche Kodifizierung der Grundsätze der Immunität dar.

In der Präambel nennen die Vertragsstaaten insbesondere das Ziel des Übereinkommens. Dieses ist in sechs Teile gegliedert: Die Einleitung legt den Geltungsbereich des Übereinkommens fest (Art. 1 und 3) und definiert einige der darin verwendeten Begriffe (Art. 2). Des Weiteren wird hier auch die Nichtrückwirkung des Übereinkommens festgelegt: Es findet nicht Anwendung auf Fragen in Verfahren, die vor seinem Inkrafttreten eingeleitet wurden (Art. 4).

Teil II enthält die allgemeinen Grundsätze. Hier ist der allgemeine Grundsatz niedergelegt, nach dem ein Staat und sein Vermögen nach Massgabe des Übereinkommens Immunität von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates vor dessen Gerichten geniessen, vorbehaltlich der Ausnahmen in anderen Bestimmungen des Übereinkommens (Art. 5). Sodann werden die Modalitäten der Anwendung der Staatenimmunität sowie die Bedingungen und Auswirkungen der Zustimmung eines Staates zur Ausübung der Gerichtsbarkeit durch Gerichte eines anderen Staates erläutert (Art. 6, 7, 8 und 9).

Teil III nennt die Verfahren, in denen eine Berufung auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit nicht möglich ist. Es handelt sich um eine vollständige Liste aller Ausnahmen betreffend die Immunität der Staaten von der Gerichtsbarkeit (Art. 10­17). Wenn der dem Staat zugeschriebene fragliche Akt einer dieser Ausnahmen zuzuordnen ist, besteht kein Anspruch auf Immunität, und der betreffende Staat muss sich der Gerichtsbarkeit des Gerichtsstaates unterordnen.

1732

In Teil IV wird unter dem Titel Staatenimmunität von Zwangsmassnahmen im Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren die Frage der Vollstreckungsimmunität geregelt. Dieser Teil behandelt zunächst die Zwangsmassnahmen, die vor einer gerichtlichen Entscheidung angeordnet werden (Art. 18), und dann die Zwangsmassnahmen, die nach einer gerichtlichen Entscheidung angeordnet werden (Art. 19­21). Ausserdem wird die Wirkung der Zustimmung zur Ausübung der Gerichtsbarkeit auf Zwangsmassnahmen (Art. 20) definiert.

Teil V enthält unter dem Titel Verschiedene Bestimmungen eine Reihe von Verfahrensvorschriften. Diese betreffen die Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke (Art. 22), die Versäumnisentscheidung (Art. 23) sowie die Vorrechte und Immunitäten während eines gerichtlichen Verfahrens (Art. 24).

Die Schlussbestimmungen (Teil VI) regeln unter anderem die Beilegung von Streitigkeiten sowie das Inkrafttreten und die Kündigung des Übereinkommens (Art. 25­33). Da dieses keine Klausel enthält, die Vorbehalte verbietet, ist die Regelung des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 196925 anwendbar. Es können also Vorbehalte angebracht werden, die mit Ziel und Zweck des Übereinkommens vereinbar sind.

Das Übereinkommen enthält auch eine Anlage. Diese ist Bestandteil des Übereinkommens (Art. 25) und soll das Verständnis einzelner Bestimmungen erleichtern.

Damit dient sie im Sinne von Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge auch der Auslegung. Die Anlage darf jedoch nicht dazu verwendet werden, den Geltungsbereich der Artikel zu ändern. In der Anlage wird einleitend darauf hingewiesen, dass sie dazu dient, die vereinbarte Auslegung der betreffenden Bestimmungen festzuhalten.

3

Erläuterungen zu den Bestimmungen des Übereinkommens

3.1

Anwendungsbereich

Laut Artikel 1 findet das Übereinkommen Anwendung auf die Immunität eines Staates und seines Vermögens von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates vor dessen Gerichten. Nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a bezeichnet der Ausdruck «Gericht» jedes Organ eines Staates gleich welcher Bezeichnung, das zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben berechtigt ist. Der diesbezügliche Kommentar der ILC unterstreicht, dass es sich ­ je nach Verfassung und Rechtssystem ­ sowohl um ein Gericht als auch um ein Verwaltungsorgan handeln kann. Ausserdem wird präzisiert, dass diese gerichtlichen Funktionen vor der Einleitung des Verfahrens, während des Verfahrens und bis hin zur Vollstreckung eines Gerichtsentscheids ausgeübt werden können26.

Das Übereinkommen findet nicht Anwendung, wenn Sonderregelungen zur Immunität bestehen. Artikel 3 behält die Vorrechte und Immunitäten vor, die gewisse Einrichtungen oder Personen schon aufgrund des Völkerrechts geniessen. Daher werden die Immunitäten der diplomatischen Missionen und konsularischen Vertretungen eines Staates, seiner Sondermissionen und seiner Missionen oder Delegationen bei 25 26

SR 0.111 Jahrbuch ILC, 1991, Bd. 2, Zweiter Teil, S. 14.

1733

internationalen Konferenzen und Organisationen sowie die Immunitäten der ihnen angehörenden Personen von diesem Übereinkommen nicht berührt27. Ebensowenig berührt dieses die Immunitäten, die das Völkergewohnheitsrecht der Person von Staatsoberhäuptern sowie Luftfahrzeugen oder Weltraumgegenständen zuerkennt.

Die Präambel hält überdies fest, dass für Fragen, die das Übereinkommen nicht regelt, auch weiterhin die Regeln des Völkergewohnheitsrechts gelten. Aus der Tatsache, dass das Übereinkommen nicht auf militärische Aktivitäten eingeht, ist folglich zu schliessen, dass diese nicht in seinen Geltungsbereich fallen. Diese Auffassung wird bestätigt durch eine Erklärung des Vorsitzenden des Ad-hocAusschusses über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit anlässlich der Vorlage des Übereinkommens vor dem Ausschuss für Rechtsfragen der UNO-Generalversammlung28.

In zeitlicher Hinsicht sieht Artikel 4 vor, dass das Übereinkommen nicht anwendbar ist auf Verfahren, die vor seinem Inkrafttreten zwischen den betreffenden Staaten eingeleitet wurden. Im Gegensatz zum Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität29 ist jedoch der Zeitpunkt, in dem sich der das Verfahren auslösende Sachverhalt zugetragen hat, für die Anwendbarkeit des UNO-Übereinkommens nicht massgeblich.

Schliesslich gilt das Übereinkommen für alle Verfahren vor den Gerichten des Gerichtsstaates mit Ausnahme von Strafverfahren. Bei der Annahme des Übereinkommens erklärte die Generalversammlung in der Resolution 59/38, dass das Übereinkommen sich nicht auf Strafverfahren erstreckt30.

3.2

Allgemeine Grundsätze

Das Übereinkommen anerkennt in Artikel 5 den allgemeinen Grundsatz der Immunität eines Staates und seines Vermögens von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates vor dessen Gerichten; die in den übrigen Bestimmungen des Übereinkommens genannten Ausnahmen bleiben jedoch vorbehalten.

Artikel 6 sieht vor, dass ein Staat die Staatenimmunität anwendet, indem er davon absieht, in einem Verfahren vor seinen Gerichten gegen einen anderen Staat die Gerichtsbarkeit auszuüben. Ein Verfahren gilt nicht nur dann als gegen einen anderen Staat eingeleitet, wenn dieser als Partei in diesem Verfahren benannt wird 27

28 29 30

Diese Immunitäten fallen weiterhin unter das Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (SR 0.191.01), das Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (SR 0.191.02), das Übereinkommen vom 8. Dez. 1969 über Sondermissionen (SR 0.191.2) sowie allfällige Sitzstaatabkommen, die der Bundesrat mit Organisationen abgeschlossen hat, die ihren Haupt- oder Nebensitz in der Schweiz haben.

Siehe Tagesordnung der Sitzung des Sechsten Ausschusses vom 25. Okt. 2004, Punkt 142, Ziff. 36 (UNO-Dok. A/C.6/59/SR13).

Siehe Art. 35 Abs. 3 des Europäischen Übereinkommens vom 6. Mai 1972 über Staatenimmunität, SR 0.273.1.

Resolution 59/38 der Generalversammlung der Vereinten Nationen (A/RES/59/38), Ziff. 2. Diese Resolution bildet gemäss dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (SR 0.111) ein Element, in dessen Licht der Text ausgelegt werden muss.

Die Resolution kann auch als Bestandteil der Vorarbeiten gesehen werden und somit ein zusätzliches Auslegungsmittel zum Übereinkommen darstellen. Siehe auch Jahrbuch ILC, 1991, Bd. 2, Zweiter Teil, S. 14, Ziff. 2.

1734

(Abs. 2 Bst. a), sondern auch dann, wenn das Verfahren darauf abzielt, sein Vermögen, seine Rechte, seine Interessen oder seine Tätigkeiten zu beeinträchtigen, ohne dass er als Partei im Verfahren benannt worden ist (Abs. 2 Bst. b). Die Gerichte müssen von Amtes wegen feststellen, dass die Immunität dieses Staates geachtet wird.

Laut Artikel 7 kommt die Immunität nicht zur Anwendung, wenn der fragliche Staat der Einleitung eines ihn betreffenden Verfahrens zustimmt. So kann ein Staat, der in einer bestimmten Angelegenheit der Ausübung der Gerichtsbarkeit des Gerichtsstaates ausdrücklich zugestimmt hat, sich in dieser Angelegenheit nicht mehr auf seine Immunität berufen. Die Zustimmung erstreckt sich auf die Ausübung der Gerichtsbarkeit der für Beschwerden zuständigen Gerichte, jedoch nicht auf Vollstreckungsmassnahmen (Art. 20).

Artikel 8 behandelt die Umstände, unter denen die Beteiligung eines Staates an einem Verfahren vor Gericht als Beweis für seine Zustimmung zur Ausübung der Gerichtsbarkeit durch Gerichte eines anderen Staates gilt. Wenn der ausländische Staat das Verfahren selbst anhängig gemacht hat (Bst. a) oder sich ohne Vorbehalt daran beteiligt hat (Bst. b), kann er sich nicht mehr auf seine Immunität berufen, es sei denn, er hat sich nur deshalb beteiligt, um sich auf die Immunität zu berufen (Abs. 2 Bst. a) oder ein Recht an dem Vermögen geltend zu machen, das Gegenstand des Verfahrens bildet (Abs. 2 Bst. b). Das Auftreten eines Vertreters eines Staates als Zeuge (Abs. 3) und die Nichtbeteiligung eines Staates an einem Verfahren (Abs. 4) dürfen nicht als Zustimmung zur Gerichtsbarkeit dieses Gerichtes ausgelegt werden.

Artikel 9 legt den Umfang der Zustimmung des Staates zur Ausübung der Gerichtsbarkeit der Gerichte im Fall einer Widerklage fest. Wird diese gegen einen Staat in einem von ihm selbst anhängig gemachten Verfahren (Abs. 1) oder in einem Verfahren erhoben, dem er beigetreten ist, um Klage zu erheben (Abs. 2), so kann der betreffende Staat seine Immunität nicht geltend machen, es sei denn, die Widerklage ergibt sich aus einem anderen Rechtsverhältnis oder Sachverhalt als die Hauptklage bzw. die von ihm erhobene Klage. Wird die Widerklage von dem Staat selbst erhoben (Abs. 3), so kann er sich für die Hauptklage nicht auf seine Immunität berufen.

3.3

Der Begriff des Staates im Sinne des Übereinkommens

Bevor untersucht wird, ob eine bestimmte Handlung unter die Ausnahmen von der gerichtlichen Immunität der Staaten fällt, ist zunächst zu prüfen, ob die fragliche Handlung einem ausländischen «Staat» im Sinne des Übereinkommens zugeschrieben werden kann. Laut Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b bezeichnet der Begriff «Staat» nicht nur den Staat selbst und seine Organe (Ziff. i), sondern auch die Gliedstaaten eines Bundesstaates und die Gebietskörperschaften des Staates, die berechtigt sind, Handlungen in Ausübung der Hoheitsgewalt vorzunehmen, und die in dieser Eigenschaft handeln (Ziff. ii), ferner Einrichtungen oder Stellen des Staates oder andere Rechtsträger, soweit sie berechtigt sind, Handlungen in Ausübung der Hoheitsgewalt des Staates vorzunehmen, und solche Handlungen tatsächlich vornehmen (Ziff. iii), und schliesslich auch die Vertreter des Staates, die in dieser Eigenschaft handeln (Ziff. iv).

1735

Das Übereinkommen sieht also eine weit gefasste Definition der Einrichtungen vor, die darauf Anspruch erheben können, von der gerichtlichen Zuständigkeit des Gerichtsstaates ausgenommen zu sein. Somit geniessen die Schweizer Kantone Immunität für Handlungen, die sie in Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben vorgenommen haben. Dagegen gehören Einrichtungen wie die Post, die Eidgenössischen Technischen Hochschulen, die kantonalen Universitäten oder Unternehmen wie die SBB nicht zu der mit Ziffer iii erfassten Kategorie, insoweit sie ­ jedenfalls zurzeit ­ nicht in Ausübung der Hoheitsgewalt (im Sinne des Begriffs iure imperii) handeln31.

Die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b enthaltene Lösung stimmt im Wesentlichen mit der traditionellen Auffassung des Bundesgerichts überein, wonach ausschliesslich der Staat selbst sowie Einrichtungen, die hoheitliche Aufgaben erfüllen, aufgrund des Status des Handlungsträgers und der Natur der vorgenommenen Handlung Immunität geniessen32.

3.4

Immunität von der Gerichtsbarkeit

Das Übereinkommen widerspiegelt eine restriktive Auffassung und schränkt daher den in Artikel 5 niedergelegten allgemeinen Grundsatz der Immunität des ausländischen Staates von der Gerichtsbarkeit mit einer Reihe von Ausnahmen ein. Diese in den Artikeln 10­17 genannten Ausnahmen beziehen sich auf rechtsgeschäftliche Handlungen (acta iure gestionis) des Staates, selbst wenn der Text dies nicht ausdrücklich erwähnt. Um diese Ausnahmen zur Anwendung zu bringen, ist in der Regel ein bestimmter Zusammenhang der Angelegenheit mit dem Gerichtsstaat (Staatsgebiet, Staatsbürgerschaft usw.) nachzuweisen. Dieser Zusammenhang gewährleistet, dass ein Streitgegenstand, der eine Ausnahme von der Immunität impliziert, in hinreichend enger Verbindung zum Gerichtsstaat steht; der Zusammenhang präjudiziert nicht die Zuständigkeit der Gerichte, die durch das internationale Privatrecht der Vertragsstaaten geregelt wird33.

Ausnahmen von der Immunität von der Gerichtsbarkeit der Staaten sind: ­

31

32 33

privatwirtschaftliche Rechtsgeschäfte (Art. 10);

­

Arbeitsverträge (Art. 11);

­

Personen- und Sachschäden (Art. 12);

­

Eigentum, Besitz und Gebrauch von Vermögen (Art. 13);

­

geistiges und gewerbliches Eigentum (Art. 14);

­

Beteiligung an Gesellschaften oder anderen Vereinigungen (Art. 15);

In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung finden sich als Beispiele von Handlungen iure imperii militärische Aktivitäten, enteignungs- oder verstaatlichungsähnliche Handlungen oder Entscheide über die Beschlagnahmung von Gegenständen mit historischem oder archäologischem Wert (BGE 124 III 382, E. 4a).

BGE 1A.94/2001, E. 4b.

In der Schweiz bestimmt sich diese Zuständigkeit nach dem Übereinkommen vom 16. Sept. 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (SR 0.275.11) sowie nach dem Bundesgesetz vom 18. Dez. 1987 über das internationale Privatrecht (IPRG; SR 291).

1736

­

Schiffe, die einem Staat gehören oder von ihm eingesetzt werden (Art. 16);

­

Schiedsvereinbarungen (Art. 17).

Die Ausnahmen werden weiter unten näher erläutert. Es sei bereits erwähnt, dass Artikel 10 nicht zur Anwendung gelangt, wenn die Parteien einer privatwirtschaftlichen Transaktion dies ausdrücklich so vorsehen. Ebenso sind die Artikel 11­16 dispositiver Natur, und es bleibt den betreffenden Staaten überlassen, eine vom Übereinkommen abweichende Vereinbarung zu treffen.

Die erste Ausnahme von der Immunität spielt angesichts der zunehmenden Beteiligung des Staates am Wirtschaftsleben eine wesentliche Rolle für die restriktive Auffassung. Sie betrifft Verfahren, die sich aus privatwirtschaftlichen Rechtsgeschäften ergeben, die der Staat mit einer ausländischen natürlichen oder juristischen Person getätigt hat (Art. 10). Eine nicht erschöpfende Liste der gängigsten privatwirtschaftlichen Rechtsgeschäfte findet sich in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c.

Genannt werden hier unter anderem Kaufverträge für Güter, Dienstleistungsverträge, Darlehensverträge oder jedes andere Rechtsgeschäft finanzieller Art sowie jeder sonstige Vertrag oder jedes sonstige Rechtsgeschäft privatwirtschaftlicher oder gewerblicher Art oder Verträge über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, wobei Arbeitsverträge nicht eingeschlossen sind (sie werden in spezifischen Bestimmungen geregelt34). In Artikel 2 Absatz 2 heisst es jedoch, dass bei der Feststellung, ob es sich bei einem Vertrag oder einem Rechtsgeschäft um ein «privatwirtschaftliches Rechtsgeschäft» handelt, in erster Linie zwar die Natur des Vertrags oder Rechtsgeschäfts berücksichtigt, aber in den folgenden beiden Fällen auch sein Zweck einbezogen werden soll: wenn die beteiligten Parteien dies vereinbart haben oder wenn in der Praxis des Gerichtsstaates dieser Zweck für die Feststellung der nicht privatwirtschaftlichen Natur des Vertrags oder Rechtsgeschäfts von Bedeutung ist. In der Schweiz ist der Zweck des Rechtsgeschäfts nicht von Bedeutung. Das Bundesgericht vertritt die Auffassung, dass der Zweck nicht entscheidend ist, da er letztlich immer staatlichen Interessen dient. Nach schweizerischer Praxis wird daher in erster Linie geprüft, welcher Natur das fragliche Rechtsgeschäft ist35. Der Ansatz des Übereinkommens hat mehrere Vorteile. Er stellt zwar die Berücksichtigung der Natur des Rechtsgeschäfts in den Vordergrund, achtet jedoch die
Vertragsfreiheit der Parteien und anerkennt auch die Bedeutung der Praxis des Gerichtsstaates. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen können bestehen bleiben, während die Folgen für alle am Rechtsgeschäft beteiligten Parteien absehbar sind.

Laut Artikel 10 berührt ein auf ein privatwirtschaftliches Rechtsgeschäft zurückgehendes Verfahren, bei dem ein staatliches Unternehmen Partei ist, dann nicht die Immunität des Staates, wenn das Unternehmen eine selbständige Rechtspersönlich34 35

Art. 11 des Übereinkommens.

Siehe insbesondere BGE 124 III 382, E. 4a. Zur Veranschaulichung des Unterschieds zwischen Natur und Zweck der Tätigkeit diene das Beispiel eines Staates, der für ein Unternehmen bürgt, dessen Sitz sich in seinem Hoheitsgebiet befindet und das einen privatwirtschaftlichen Vertrag mit einem ausländischen Unternehmen abschliesst. In diesem Beispiel ist der Staat Bürge für seine Unternehmen im Ausland mit dem Zweck, ihre wirtschaftlichen Interessen, die letztlich auf ein staatliches Interesse hinauslaufen, zu schützen. Dagegen ist die Natur der Tätigkeit privatwirtschaftlich, z.B. ein Garantievertrag zwischen zwei Privatpersonen. Der Staat kann sich demnach nicht auf seine Immunität berufen, um sich seiner vertraglichen Verpflichtungen zu entziehen und die Schulden des Unternehmens, für das er bürgt, nicht zurückzuzahlen.

1737

keit sowie Prozessfähigkeit besitzt und Vermögen erwerben und in Eigentum oder Besitz haben kann36. Mit anderen Worten: Wenn ein solches staatliches Unternehmen ­ insbesondere bei dessen Zahlungsunfähigkeit ­ gerichtlich verklagt würde, könnte der Staat seine Immunität vor den Gerichten eines anderen Staates geltend machen, sofern das dem Fall zugrunde liegende privatrechtliche Rechtsgeschäft von einem Unternehmen getätigt wurde, das die Voraussetzungen von Artikel 10 Absatz 3 erfüllt.

Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme von diesem Grundsatz. In der Anlage heisst es nämlich, dies präjudiziere weder die Frage der Durchgriffshaftung («piercing the corporate veil») noch Fragen zu Sachverhalten, in denen «ein staatlicher Rechtsträger vorsätzlich falsche Angaben über seine finanzielle Lage gemacht oder sein Vermögen nachträglich verringert hat, um die Befriedigung eines Anspruchs zu umgehen». Das Übereinkommen nimmt also bestimmte Umstände aus, in denen das Vorhandensein einer selbständigen Rechtspersönlichkeit von einem Staat dazu benutzt werden kann, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Unter solchen besonderen Umständen, die einen Rechtsmissbrauch darstellen, kann von der selbständigen Rechtspersönlichkeit der Einrichtung abgesehen und der Staat, der sie geschaffen hat, zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt sowohl für die Einleitung eines Gerichtsverfahrens als auch für Zwangsmassnahmen, die nach einer gerichtlichen Entscheidung angeordnet werden (siehe Anlage, Vereinbarte Auslegung zu Art. 19); dieser Vorbehalt betrifft aussergewöhnliche Situationen, die der gerichtlichen Klärung bedürfen37.

Die zweite Ausnahme von der Immunität betrifft Streitigkeiten aus dem von einem Staat mit einer natürlichen Person geschlossenen Arbeitsvertrag, demzufolge die Arbeit ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Gerichtsstaates zu leisten ist (Art. 11). So gewährleistet das Übereinkommen den Rechtsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere der lokalen Arbeitskräfte, die Staatsangehörige des Gerichtsstaates sind oder ihren Wohnsitz im Gerichtsstaat haben38. In bestimmten Fällen jedoch hat der Staat, der Arbeitgeber ist, Anspruch auf Immunität. In solchen Fällen wird das legitime Interesse des Staates berücksichtigt, unter bestimmten Umständen keine Einmischungen und Ermittlungen hinsichtlich
der Führung seiner hoheitlichen Aufgaben hinnehmen zu müssen. So ist die Immunität zum Beispiel statthaft, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer eingestellt worden ist, um bestimmte Aufgaben in Ausübung der Hoheitsgewalt zu erfüllen (Art. 11 Abs. 2 Bst. a); wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer einen besonderen Status hat (Mitglieder des diplomatischen Personals, Konsularbeamte und andere Personen, die diplomatische Immunität geniessen, Art. 11 Abs. 2 Bst. b; siehe auch Anlage, Vereinbarte Auslegung zu Art. 11); wenn die Einstellung, die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses oder die Wiedereinstellung einer natürlichen

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37

38

Diese staatlichen Unternehmen können in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig sein und eine je nach der in einem Staat herrschenden politischen Kultur mehr oder weniger wichtige Stellung in der Gesellschaft einnehmen (öffentlicher Verkehr, Versorgungsdienste, Energie, Finanzen, Wohnungswesen, Tourismus, Kultur, Gesundheit, Erziehung usw.).

In der Schweizer Rechtsprechung stützt sich der Durchgriff («transparence», «levée du voile social») auf das Verbot des Rechtsmissbrauchs und beschränkt sich auf sehr ungewöhnliche Situationen (siehe insbes. BGE 113 II 31, E. 2c).

Jahrbuch ILC, 1991, Bd. 2, Zweiter Teil, S. 45, Ziff. 11.

1738

Person Gegenstand des Verfahrens ist (Abs. 2 Bst. c)39; wenn die Entlassung einer natürlichen Person Gegenstand des Verfahrens ist und das Verfahren nach Feststellung des Staats- oder Regierungsoberhaupts oder des Aussenministers des Staates, der Arbeitgeber ist, den Sicherheitsinteressen dieses Staates zuwiderliefe (Abs. 2 Bst. d; siehe auch Anlage, Vereinbarte Auslegung zu Art. 11)40; oder wenn der Arbeitnehmer Angehöriger des Staates ist, der sein Arbeitgeber ist, und er nicht seinen ständigen Aufenthalt im Gerichtsstaat hat (Abs. 2 Bst. e). Ausgenommen werden schliesslich schriftliche Vereinbarungen zwischen der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer und dem Staat, der Arbeitgeber ist (Abs. 2 Bst. f), sofern sie die öffentliche Ordnung des Gerichtsstaates nicht gefährden.

Bestimmte Kategorien von Personal werden zwar unter Artikel 11 Absatz 2 nicht ausdrücklich aufgeführt, sind aber deswegen nicht von vornherein ausgeschlossen, zum Beispiel das Verwaltungs- und technische Personal der diplomatischen Vertretungen und die Konsularangestellten der konsularischen Vertretungen. Diese Angestellten können je nach den Aufgaben, die sie wahrnehmen, Absatz 2 Buchstabe a unterliegen, d.h. als Personen gelten, die eingestellt worden sind, um bestimmte Aufgaben in Ausübung von Hoheitsgewalt zu erfüllen. In diesem Fall kann sich der arbeitgebende Staat auf seine Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen41. Die Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals der diplomatischen Vertretungen sowie die Konsularangestellten der konsularischen Vertretungen sind in der Regel versetzbar, sie besitzen die Staatsbürgerschaft des arbeitgebenden Staates und können ihre Ansprüche bei den Gerichten dieses Staates geltend machen. Das Dienstpersonal, das zwar auch nicht ausdrücklich aufgeführt wird, kann trotzdem je nach Fall unter Artikel 11 Absatz 2 fallen. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn ein Mitglied des Dienstpersonals ein Staatsangehöriger des arbeitgebenden Staates wäre und sich sein ständiger Wohnsitz im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung nicht im Gerichtsstaat befände. Demnach lässt sich nicht allein gestützt auf die Personalkategorie, zu der die angestellte Person gehört, bestimmen, ob die Immunität des Staates gilt. Das Gericht des Gerichtsstaates muss in jedem Einzelfall prüfen, ob die Person Artikel
11 Absatz 2 unterliegt; dies entspricht der bisherigen Praxis des Bundesgerichts.

Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe c ermächtigt den Staat, sich bei Verfahren über die Einstellung, die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses oder die Wiedereinstellung einer natürlichen Person auf seine Immunität zu berufen. Diese Bestimmung soll gewährleisten, dass der Gaststaat sein Ermessen behält, Personen für ein offizielles Amt oder für eine Stelle zu nominieren oder nicht. Dieser Grundsatz kann zwar Klagen wegen Diskriminierung bei der Einstellung42 erschweren, steht aber in 39

40

41 42

Diese Bestimmung lässt die Beschwerdeverfahren unberührt, die zur Erlangung einer Entschädigung oder von Schadenersatz bei missbräuchlicher Kündigung oder Missachtung der Pflicht zur Einstellung oder Erneuerung des Arbeitsverhältnisses angestrengt werden. Jahrbuch ILC, 1991, Bd. 2, S. 44 f. , Ziff. 10.

Die Tatsache, dass laut dem Übereinkommen allein die Personen auf den höchsten Regierungsstufen ermitteln dürfen, ob das fragliche Verfahren die Sicherheitsinteressen des Staates berühren kann, und dass der Ausdruck «Sicherheitsinteressen» die nationale Sicherheit und die Sicherheit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen betrifft (siehe Anlage zum Übereinkommen), bietet eine gewisse Gewähr gegen eine missbräuchliche Geltendmachung dieser Bestimmung durch die Staaten.

Jahrbuch ILC, 1991, Bd. 2, Zweiter Teil, S. 44, Ziff. 9.

Hier sind insbesondere Klagen wegen Diskriminierung bei Ablehnung der Einstellung gemeint, die nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995 (GlG; SR 151.1) eingereicht werden.

1739

Einklang mit dem einschlägigen Völkerrecht, das mit dem Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen kodifiziert worden ist43. Das Inkrafttreten des Übereinkommens wird demnach am in der Schweiz anwendbaren Recht nichts ändern.

Die dritte Ausnahme von der Immunität des Staates, die sowohl acta iure imperii als auch acta iure gestionis44 abdeckt, betrifft finanzielle Entschädigungen für Personen- oder Sachschäden, wenn der Schaden durch einen ausländischen Staat verursacht worden ist (Art. 12). Im Fall eines Personen- oder Sachschadens wird einem ausländischen Staat die Immunität entzogen, sofern die diesem Staat zuzurechnende Handlung oder Unterlassung ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Gerichtsstaates stattfand und die Person, welche die Handlung oder Unterlassung begangen hat, sich zu diesem Zeitpunkt in diesem Hoheitsgebiet aufhielt. Diese bisweilen als «deliktische Ausnahme» bezeichnete Bestimmung betrifft vor allem Schäden wegen Unfalltod oder Personen- oder Sachschäden, die z.B. durch Strassenverkehrsunfälle verursacht wurden. Artikel 12 wurde allerdings genügend weit gefasst, um auch vorsätzlich zugefügte Schäden wie Körperverletzungen oder vorsätzliche Brandstiftung abzudecken45.

Das Eigentum, der Besitz und der Gebrauch von Vermögen stellen die vierte Ausnahme dar. Verfahren bezüglich der Feststellung dieser Rechte unterstehen der Gerichtsbarkeit des Gerichtsstaates, wenn es sich um unbewegliches Vermögen in dessen Hoheitsgebiet oder um bewegliches oder unbewegliches Vermögen handelt, auf das der ausländische Staat aufgrund einer Erbschaft, Schenkung, Verwaltung oder Insolvenz Anspruch erhebt (Art. 13).

Ein Staat kann sich auch in Verfahren, die sich auf die Feststellung eines Rechtes an geistigem oder gewerblichem Eigentum beziehen, nicht auf seine Immunität berufen (Art. 14). Zu den Artikeln 13 und 14 steht in der Anlage, dass sich der Begriff der «Feststellung» strittiger Rechte nicht nur auf deren Bestehen, sondern auch auf ihren Inhalt, Geltungsbereich und Umfang bezieht.

Die Beteiligung eines Staates an Gesellschaften oder anderen Vereinigungen ­ ob rechtsfähig oder nicht ­ ist unter bestimmten Bedingungen von der Immunität ausgenommen (Art. 15). Das Übereinkommen sieht dies für Fälle vor, in denen die betreffende Gesellschaft oder Vereinigung
Beteiligte hat, die nicht Staaten oder internationale Organisationen sind (Bst. a), und wenn sie nach dem Recht des Gerichtsstaates gebildet ist oder ihren Sitz oder ihre Hauptniederlassung in dessen Hoheitsgebiet hat (Bst. b).

Desgleichen kann sich ein Staat, dem ein Schiff gehört oder der es einsetzt, in einem Verfahren, das sich auf den Einsatz dieses Schiffes bezieht, nicht auf seine Immunität berufen, wenn das Schiff im Zeitpunkt der Tat zu anderen als nicht privatwirtschaftlichen staatlichen Zwecken benutzt wurde (Art. 16). Dasselbe gilt für ein Verfahren, das sich auf die Beförderung von Ladung an Bord eines solchen Schiffes bezieht (Abs. 3), es sei denn, es handelt sich um eine Ladung, die einem Staat gehört und die ausschliesslich zu nicht privatwirtschaftlichen staatlichen Zwecken benutzt wird oder für eine solche Nutzung bestimmt ist (Abs. 4). Die Immunität des Staates bleibt hingegen die Regel, wenn es sich um Kriegsschiffe und Flottenhilfsschiffe 43 44 45

SR 0.191.01, Art. 7.

Jahrbuch ILC, 1991, Bd. 2, Zweiter Teil, S. 47, Ziff. 8.

Jahrbuch ILC, 1991, Bd. 2, Zweiter Teil, S. 46 f., Ziff. 4.

1740

oder um eine Ladung handelt, die auf einem Schiff dieser Art befördert wird (Abs. 2 und 4). Eine dem Gericht vorgelegte, von einem diplomatischen Vertreter oder einer anderen zuständigen Behörde dieses Staates unterzeichnete Bescheinigung dient als Nachweis der Zweckbestimmung des Schiffs beziehungsweise der Ladung (Abs. 6).

Trifft ein Staat mit einer ausländischen natürlichen oder juristischen Person eine schriftliche Schiedsvereinbarung, die sich auf Meinungsverschiedenheiten im Zusammenhang mit einem privatwirtschaftlichen Rechtsgeschäft (einschliesslich Investitionsfragen) bezieht, so kann dieser Staat keine Immunität geltend machen bei einem Verfahren bezüglich der Gültigkeit, Auslegung oder Anwendung dieser Vereinbarung, bezüglich des schiedsrichterlichen Verfahrens selbst oder bezüglich der Bestätigung oder Aufhebung des Schiedsspruchs (Art. 17; siehe auch Anlage, Vereinbarte Auslegung zu Art. 17)46. Sofern die Schiedsvereinbarung nicht etwas anderes vorsieht, kann ein ausländischer Staat, der in ein Schiedsverfahren einwilligt, nicht zu einem späteren Zeitpunkt seine Immunität von der Gerichtsbarkeit gegenüber der Aufsichtsbefugnis der zuständigen Gerichte geltend machen. In diesem Sinne untersagt auch Artikel 177 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das internationale Privatrecht47 der Partei einer Schiedsvereinbarung, die ein Staat ist, sich im Nachhinein unter Berufung auf ihr eigenes Recht für schiedsunfähig zu erklären.

3.5

Ausnahmen von der Vollstreckungsimmunität

Die Pfändung von Vermögen eines Staates stellt einen schweren und unmittelbaren Eingriff in seine Souveränität dar. Die meisten Länder verleihen daher der Vollstreckungsimmunität eine eigene und in der Regel grössere Reichweite als der Immunität von der Gerichtsbarkeit. Deshalb trifft das Übereinkommen eine Unterscheidung zwischen Zwangsmassnahmen, die vor einer gerichtlichen Entscheidung angeordnet werden, und solchen, die nachträglich angeordnet werden.

Laut Artikel 18 sind Zwangsmassnahmen, die vor einer gerichtlichen Entscheidung angeordnet werden, ausgenommen, es sei denn, der Staat hat der Anordnung solcher Massnahmen in den vorgeschriebenen Formen ausdrücklich zugestimmt oder hat Vermögen für die Befriedigung des Anspruchs, der Gegenstand des Verfahrens ist, bestimmt. Hingegen können nach der gerichtlichen Entscheidung Zwangsmassnahmen auch unter anderen Bedingungen angeordnet werden. Laut Artikel 19 sind Zwangsmassnahmen dann zulässig, wenn der Staat ihrer Anordnung in den vorgeschriebenen Formen ausdrücklich zugestimmt oder zu diesem Zweck Vermögen bereitgestellt hat, zusätzlich aber auch, wenn Vermögen, das sich im Gerichtsstaat befindet und zu anderen als nicht privatwirtschaftlichen staatlichen Zwecken benutzt wird oder für eine solche Nutzung bestimmt ist, im Zusammenhang mit dem Rechtsträger steht, gegen den das Verfahren gerichtet war. Diese Auslegung deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts, nach dessen Auffassung das, was für die Immunität von der Gerichtsbarkeit gilt, grundsätzlich auch für die Vollstreckungsimmunität Gültigkeit hat, weil letztere lediglich eine Folge der ersten ist ­ dies unter 46

47

Autonome Formen der Schiedsgerichtsbarkeit, die sich auf internationale Verträge wie das Übereinkommen vom 18. März 1965 zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (SR 0.975.2) stützen, sind von dieser Bestimmung nicht abgedeckt.

SR 291

1741

dem einzigen Vorbehalt, dass die Vollstreckungsmassnahmen nicht Vermögen betreffen, welches für die Erfüllung von hoheitlichen Handlungen bestimmt ist48.

In Artikel 21 werden die verschiedenen Vermögensarten aufgeführt. Das Vermögen, das in dieser Beispielliste aufgeführt ist, bleibt durch die Staatenimmunität geschützt, weil es von seiner Natur her als nicht privatwirtschaftliches Vermögen gilt. Es handelt sich insbesondere um Vermögen, das der Staat zur Wahrnehmung seiner diplomatischen, konsularischen oder militärischen Aufgaben nutzt, um Vermögen der Zentralbank und um Vermögen, das Bestandteil seines kulturellen Erbes ist49. Vorbehalten bleiben jedoch die Bereitstellung eines dieser Vermögen für die Befriedigung des Anspruchs, der Gegenstand des Verfahrens ist, und die Zustimmung des Staates zur Anordnung von Zwangsmassnahmen (Art. 21 Abs. 2).

3.6

Verschiedene Bestimmungen

Teil V des Übereinkommens umfasst die Bestimmungen zum Verfahren. Artikel 22 regelt die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke bei der Einleitung eines Verfahrens gegen einen Staat und sieht die unterschiedlichen Verfahren für die Zustellung einer Klage oder eines sonstigen Schriftstücks vor, das ein Verfahren gegen einen Staat einleitet50. Den Schriftstücken ist nötigenfalls eine Übersetzung in eine der Amtssprachen des betreffenden Staates beizufügen (Abs. 3).

Laut Artikel 23 muss sich das Gericht vergewissern, dass die Zustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke wie vorgeschrieben erfolgt ist (Bst. a) und dass eine Frist von mindestens vier Monaten verstrichen ist (Bst. b), bevor gegen einen ausländischen Staat eine Versäumnisentscheidung ergeht. Das Gericht muss sich zudem vorgängig vergewissert haben, dass der Staat in der betreffenden Angelegenheit nicht Immunität im Sinne des Übereinkommens geniesst (Bst. c). Die Frist für Anträge auf Aufhebung einer solchen Entscheidung beträgt mindestens vier Monate ab dem Tag, an dem die Abschrift der Entscheidung bei dem ausländischen Staat als eingegangen gilt (Abs. 3).

Laut Artikel 24 werden gegen einen Staat, der es ablehnt, eine Anordnung eines Gerichts eines anderen Staates zu befolgen, keine Strafmassnahmen verhängt.

Zudem wird dem beklagten Staat in einem Verfahren vor einem Gericht eines anderen Staates keine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung zur Sicherung der Verfahrenskosten auferlegt.

3.7

Schlussbestimmungen

Teil VI des Übereinkommens enthält die üblichen Schlussbestimmungen, insbesondere zum Verhältnis des Übereinkommens zu anderen völkerrechtlichen Übereinkommen, zur Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung oder die 48 49 50

BGE 124 III 382 E. 4a.

Die Unpfändbarkeit des Vermögens einer ausländischen Zentralbank entspricht nicht der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichts (siehe Ziff. 4.3.2).

Der französische Originaltext des Übereinkommens verwendet für den Begriff «Zustellung» die Begriffe «signification» oder «notification», um dem Sprachgebrauch verschiedener Staaten Rechnung zu tragen. Diese Begriffe haben den gleichen Sinn.

1742

Anwendung des Übereinkommens sowie über die Unterzeichnung, den Beitritt und das Inkrafttreten des Übereinkommens. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die wichtigsten Bestimmungen.

Laut Artikel 26 werden die Rechte und Pflichten der Vertragsstaaten aus anderen völkerrechtlichen Übereinkünften zum gleichen Gegenstand durch die Bestimmungen des Übereinkommens nicht berührt. Dieses gilt folglich subsidiär zu einschlägigen völkerrechtlichen Übereinkommen sowie zu allgemeinen Übereinkommen über die Staatenimmunität wie dem Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität von 1972.

Der Wortlaut der Bestimmung zur Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung oder die Anwendung des Übereinkommens (Art. 27) richtet sich nach demjenigen anderer UNO-Übereinkommen, denen die Schweiz beigetreten ist. Die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs ist für den Fall vorgesehen, dass die Verhandlungen und die Durchführung eines Schiedsverfahrens scheitern.

Schliesslich ist zu erwähnen, dass das Übereinkommen den Vertragsstaaten die Möglichkeit einer Kündigung bietet (Art. 31). Die Kündigung wird ein Jahr nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär der Vereinten Nationen wirksam.

Das Übereinkommen bleibt jedoch weiterhin auf alle Fragen der Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit anwendbar, die in einem Verfahren aufgeworfen werden, das vor Wirksamwerden der Kündigung eingeleitet wurde.

4

Das Übereinkommen und die schweizerische Rechtsordnung

4.1

Allgemeines

Das Übereinkommen beruht auf der Unterscheidung zwischen Tätigkeiten privatwirtschaftlicher Art (iure gestionis) und Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben (iure imperii), d.h. auf dem Prinzip der beschränkten Immunität. Dieser Ansatz wird seit 1918 von den Schweizer Gerichten angewandt, ebenso vom Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität, dem die Schweiz seit 1982 angehört. Das bedeutet, dass das UNO-Übereinkommen im Wesentlichen die Schweizer Praxis bei der Immunität der Staaten von der Gerichtsbarkeit übernimmt. Da das Übereinkommen aber einen Kompromiss zwischen Staaten darstellt, deren Praktiken sehr unterschiedlich sein können, gibt es in einigen spezifischen Punkten unvermeidliche Differenzen gegenüber der schweizerischen Praxis. In den Fällen, in denen solche Differenzen festzustellen sind, schützt das Übereinkommen die Immunität der Staaten stärker als die schweizerische Praxis.

Es geht hier einzig darum, die spezifischen Punkte zu erläutern, bei denen das Übereinkommen von der schweizerischen Praxis abweicht, und die entsprechenden Folgen für die innerstaatliche Rechtsordnung zu prüfen. Dabei ist zu betonen, dass die Bestimmungen des Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit so präzis gehalten sind, dass sie in der schweizerischen Rechtsordnung unmittelbar anwendbar sind (self-executing).

1743

4.2

Immunität von der Gerichtsbarkeit

4.2.1

Personen- und Sachschäden

Binnenbeziehung Das Übereinkommen sieht vor, dass ein Staat seine Immunität von der Gerichtsbarkeit im Rahmen eines Zivilverfahrens, das sich aus einem Personen- oder Sachschaden ergibt, nicht geltend machen kann, wenn folgende zwei Beziehungen zum Hoheitsgebiet des Gerichtsstaates vorliegen: Die Handlung (oder die Unterlassung) muss im Hoheitsgebiet des Gerichtsstaates stattgefunden haben, und die Person, welche die Handlung oder Unterlassung begangen hat, muss sich im Zeitpunkt der Begehung im Hoheitsgebiet dieses Staates aufgehalten haben (Art. 12). Diese doppelte Beziehung zum Gerichtsstaat, die der Praxis der Staaten entspricht und auch ins Europäische Übereinkommen über die Staatenimmunität von 1972 einfloss (Art. 11)51, hat zum Ziel, das sogenannte «Forum Shopping» zu verhindern, das zu Zivilverfahren in Staaten führt, die mit den betreffenden Tatbeständen in keiner Beziehung stehen.

Die schweizerische Praxis verlangt ebenfalls «gewisse Beziehungen»52, die sogenannte Binnenbeziehung, zwischen dem Rechtsfall und dem schweizerischen Hoheitsgebiet. Das Bundesgericht präzisiert, dass das fragliche Rechtsverhältnis in der Schweiz begründet sein muss oder hier durchzuführen ist oder dass zumindest der Schuldner bestimmte Handlungen vorgenommen hat, mit denen eine Binnenbeziehung geschaffen wurde53. Die vom Übereinkommen geforderte doppelte Binnenbeziehung scheint also enger zu sein als die von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geforderte Binnenbeziehung. Das Übereinkommen könnte also die Immunität der Staaten von der Gerichtsbarkeit im Rahmen von Zivilverfahren, die sich aus Personen- oder Sachschäden ergeben, stärker schützen.

Schwere Menschenrechtsverletzungen Rechtsvergleichend betrachtet können gegenwärtig in den meisten Staaten nur solche Menschenrechtsverletzungen Gegenstand eines auf eine finanzielle Entschädigung abzielenden Zivilverfahrens werden, die im Hoheitsgebiet des Gerichtsstaates begangen wurden. Unklar ist die Lage in Bezug auf Taten, die ausserhalb des Hoheitsgebiets des Gerichtsstaates begangen wurden. Es stellt sich nun die Frage, ob die im Übereinkommen geforderte doppelte Binnenbeziehung zwischen dem Gerichtsstaat und der fraglichen Handlung im Fall von schweren Verletzungen der Menschenrechte oder zwingender völkerrechtlicher Normen (ius cogens), die ausserhalb des
Gerichtsstaates begangen wurden, nicht unverhältnismässig ist.

Die Arbeitsgruppe der ILC hat diese Frage geprüft, um festzustellen, ob eine besondere Bestimmung notwendig sei, die es erlaubt, im Fall von Zivilverfahren über schwere Menschenrechtsverletzungen, die ausserhalb des Gerichtsstaates begangen 51

52 53

Das UNO-Übereinkommen betrifft mehr Fälle als das Europäische Übereinkommen, da es Handlungen einschliesst, die ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Gerichtsstaates vorgenommen wurden. Art. 11 des Europäischen Übereinkommens nimmt Art. 10 Abs. 4 des Haager Übereinkommens vom 1. Febr. 1971 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen wieder auf.

Siehe insbes. BGE 4C.379/2006.

Siehe insbes. BGE 120 II 400, E. 4b.

1744

wurden, die Immunität eines Staates einzuschränken. Obwohl die Arbeitsgruppe eine gewisse Entwicklung der Praxis der Staaten in diese Richtung feststellte, gab sie jedoch keine konkrete Empfehlung zu dieser Frage ab. Sie präzisierte aber, dass die neuesten Entwicklungen «nicht vernachlässigt werden sollten»54. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch das Bundesgericht festgestellt hat, dass Rechtsprechung und Lehre kaum Aufschluss geben, wenn es sich um eine zivilrechtliche Haftungsklage wegen eines Schadens infolge eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, gegen Leib und Leben oder gegen die körperliche Integrität handelt, das von ausländischen Tätern im Ausland begangen wurde55.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg war ebenfalls mit dieser Frage konfrontiert und entschied 2001 mit neun gegen acht Stimmen, dass die Immunität des Staates in einem Zivilverfahren im Zusammenhang mit Folterhandlungen ausserhalb des Gerichtsstaates nicht im Widerspruch zu dem in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; SR 0.101)56 verankerten Recht auf ein faires Verfahren steht. Das von der UNO-Generalversammlung verabschiedete Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit entspricht demnach der Rechtsprechung des Strassburger Gerichtshofs. Mit der Ratifizierung des Übereinkommens erfüllt die Schweiz folglich die Anforderungen der EMRK.

Obwohl das Übereinkommen den gegenwärtigen Stand des Völkerrechts in diesem Bereich widerspiegelt, ist es nicht ausgeschlossen, dass sich in dieser Frage neue Entwicklungen ergeben. So könnte sich das Völkerrecht aufgrund der gegenwärtigen Tendenzen hin zu einer Ausnahme von der Staatenimmunität bei Zivilverfahren im Zusammenhang mit schweren Menschenrechtsverletzungen ausserhalb des Gerichtsstaates entwickeln57.

Die Tatsache, dass das Übereinkommen die im Ausland begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen nicht ausdrücklich behandelt, darf nicht als Hindernis für die Weiterentwicklung des Völkerrechts in dieser Frage gesehen werden. Aus Transparenzgründen beantragt der Bundesrat, dass die Schweiz bei der Ratifizierung des Übereinkommens eine auslegende Erklärung zu diesem Punkt abgibt. Ziel einer solchen Erklärung wäre, darauf hinzuweisen, dass die Frage
der Immunität der Staaten bei schweren Menschenrechtsverletzungen ausserhalb des Gerichtsstaates nicht Gegenstand des Übereinkommens ist und dass dieses folglich eine Weiterentwicklung des Völkerrechts in diesem Bereich nicht behindert58. So könnte die Schweiz zeigen, dass sie für eine entsprechende Weiterentwicklung des Völker54 55 56 57

58

Anhang zum Bericht der Völkerrechtskommission über die Arbeiten ihrer 51. Tagung, 3. Mai­23. Juli 1999, S. 180 f. (UN Doc. A/54/10).

BGE 4C.379/2006, E. 3.4.

Urteil Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich [Grosse Kammer] (21. Nov. 2001, Recueil des arrêts et décisions de la Cour EDH 2001-XI, Nr. 35763/97).

Wir denken insbesondere an die abweichenden Meinungen von Richtern des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Angelegenheit Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich, a.a.O. (Anm. 56). Daneben ist auch zu erwähnen, dass verschiedene nationale Gerichtsbarkeiten sich nicht an die Ausnahme von der Staatenimmunität bei Schadenersatzklagen wegen Verletzung zwingender Regeln des Völkerrechts gehalten haben. Als Beispiel angeführt werden kann eine Angelegenheit vor italienischen Gerichten, Ferrini gegen Bundesrepublik Deutschland, Urteil vom 11. März 2004, Corte suprema, Rivista di Diritto Internazionale, Vol. 84, N° 2, 2004. Sie ist Gegenstand eines Verfahrens zwischen Deutschland und Italien vor dem Internationalen Gerichtshof.

Norwegen hat ebenfalls eine auslegende Erklärung zu Art. 12 formuliert, die ähnlich wie die vom Bundesrat vorgeschlagene lautet.

1745

rechts offen ist, ohne sich deswegen als Staat zu profilieren, der Schadenersatzklagen bei schweren Menschenrechtsverletzungen zulässt. Zuerst müsste eine solche Entwicklung des Völkerrechts abgewartet werden, bevor sie auf nationaler Ebene angewandt würde.

Der Bundesrat schlägt deshalb folgende auslegende Erklärung vor: Auslegende Erklärung zu Art. 12: «Nach Auffassung der Schweiz regelt Artikel 12 nicht die Frage der Klage auf eine Entschädigung in Geld für schwere Menschenrechtsverletzungen, die vorgeblich einem Staat zuzurechnen sind und ausserhalb des Gerichtsstaates begangen wurden.

Folglich greift dieses Übereinkommen der Weiterentwicklung des Völkerrechts in diesem Bereich nicht vor.»

4.3

Immunität von der Vollstreckung

4.3.1

Unterscheidung zwischen Zwangsmassnahmen vor und nach einer gerichtlichen Entscheidung

Zwangsmassnahmen sind sehr heikel, was die Schwierigkeiten der UNO bei der Erarbeitung des Übereinkommens zu einem grossen Teil erklärt. Trotzdem konnte schliesslich ein Kompromiss gefunden werden.

Die Regelung des UNO-Übereinkommens deckt sich mit den vom Bundesgericht angewandten Grundsätzen; sie erlaubt die Pfändung von Vermögen eines ausländischen Staates in der Schweiz, das nicht der Ausübung der Hoheitsgewalt dient und im Zusammenhang mit dem Rechtsträger steht, gegen den sich das Verfahren richtet.

Diese Möglichkeit besteht gemäss Übereinkommen aber nur, wenn eine gerichtliche Entscheidung vorliegt. Gemäss SchKG59 ist ein Urteil nicht unerlässlich, um Zwangsmassnahmen gegen das Vermögen eines Schuldners zu ergreifen, auch wenn dieser ein ausländischer Staat ist60. So sind Sicherungsmassnahmen gegen das Vermögen eines ausländischen Staates gestattet. Sobald das Übereinkommen in Kraft tritt, werden dessen Regeln Vorrang vor den Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts haben; im Übrigen behält das SchKG völkerrechtliche Verträge ausdrücklich vor61. Die Ratifizierung des Übereinkommens ändert also die Voraussetzungen, die bisher nach SchKG erfüllt sein müssen, damit Zwangsmassnahmen gegen das Vermögen eines ausländischen Staates ergriffen werden können, wenn dieser Staat ebenfalls Vertragsstaat des Übereinkommens ist. Die Möglichkeit, Vermögen dieses Staates zu pfänden, wird dann von seiner Zustimmung oder davon abhängen, ob ein Urteil vorliegt. Diese Regelung ist ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zum Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität, dem die Schweiz beigetreten ist. Dem Europäischen Übereinkommen ist es nicht gelungen, die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten in dieser schwierigen Frage beizulegen, und es schliesst Zwangsmassnahmen ­ ob vor oder nach dem Urteil ­ aus, ausser der betroffene Staat erteilt hierfür ausdrücklich seine Zustimmung62. Das UNO-Übereinkommen erlaubt bestimmte Zwangsmass59 60 61 62

SR 281.1 Siehe insbes. Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG (Arrestgründe).

Art. 30a SchKG Art. 23 des Europäischen Übereinkommens vom 16. Mai 1972 über Staatenimmunität, SR 0.273.1.

1746

nahmen, die nach einer gerichtlichen Entscheidung angeordnet werden, und schliesst sich damit der Auffassung des Bundesgerichts an, wonach sich die Vollstreckungsgewalt des Gerichtsstaates naturgemäss aus seiner Gerichtsbarkeit ergibt.

Der Bundesrat befürwortet die im Übereinkommen vorgesehene Regelung. Diese trägt zur Vorhersehbarkeit des in der Schweiz auf Zwangsmassnahmen gegen staatliche Vermögenswerte anwendbaren Rechts bei. Schliesslich ist zu betonen, dass diese Regelung auch einen angemessenen Schutz für Vermögen der Schweiz im Ausland mit sich bringt. So können keine Sicherungsmassnahmen gegen Schweizer Vermögen im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates ergriffen werden, bevor ein Gericht dieses Staates ein Urteil gefällt hat, es sei denn, die Schweiz erteilt ihre Zustimmung dazu.

4.3.2

Unpfändbarkeit des Vermögens der Zentralbank

Das Übereinkommen erlaubt Zwangsmassnahmen nach einer gerichtlichen Entscheidung, wenn es sich bei dem von den Massnahmen betroffenen Vermögen um Vermögen für privatwirtschaftliche Zwecke handelt; dabei sind verschiedene Vermögensarten vorgesehen, die ihrem Wesen nach nicht privatwirtschaftlichen Zwecken dienen und deshalb besonderen Schutz geniessen. Dazu gehört namentlich das Vermögen der Zentralbank oder einer anderen Währungsbehörde des Staates; dieses kann folglich nicht gepfändet werden. Nun widerspricht aber dieses Verbot, im Rahmen von Zwangsmassnahmen das Vermögen der Zentralbank zu pfänden, dem SchKG (Art. 92 Abs. 11) sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichts63. Dieses erlaubt die Pfändung von Vermögen einer ausländischen Zentralbank, wenn drei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind: Erstens muss der Anspruch des Antragstellers an die Tätigkeit iure gestionis des belangten Staates gebunden sein. Zweitens muss der Anspruch, der in diesem Verfahren geltend gemacht wird, aus einem Rechtsverhältnis entstanden sein, das einen Zusammenhang mit der Schweiz aufweist. Und drittens darf das in der Schweiz gepfändete Vermögen nicht für Aufgaben bestimmt sein, die dem Staat als Inhaber der Hoheitsgewalt obliegen64. Die Ratifizierung des Übereinkommens zieht demnach eine Änderung der schweizerischen Praxis in diesem Bereich nach sich.

Nach eingehender Prüfung dieser Frage und einer Abwägung aller beteiligten Interessen befürwortet der Bundesrat die im Übereinkommen enthaltene Regelung. Die Immunität für die ausländischen Zentralbanken schützt ihre in der Schweiz hinterlegten Gelder und trägt so zur Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit unseres Finanzplatzes bei. Das Übereinkommen gewährleistet auch den Schutz der Vermögenswerte der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die sich im Hoheitsgebiet von Vertragsstaaten des Übereinkommens befinden. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an den Fall Granville Gold Trust Switzerland v. Commissione Del Falli-

63 64

Siehe insbesondere BGE 110 Ia 43, E. 4b.

BGE 134 III 122, E. 5.2.

1747

mento/Inter Change Bank von 1996, der gezeigt hatte, welche finanziellen Folgen die Pfändung von Vermögenswerten unserer Zentralbank haben kann65.

Die im Übereinkommen vorgesehene Lösung entspricht zudem der Vollstreckungsimmunität für die Guthaben bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, die ja Einlagen von ausländischen Zentralbanken sind66. Es wäre deshalb folgerichtig, für die Guthaben von Zentralbanken eine einheitliche Regelung bei der Vollstreckungsimmunität vorzusehen, ob diese Guthaben nun bei der BIZ oder bei anderen Banken hinterlegt werden.

Verschiedene Staaten, welche die Sicherheit und damit die Attraktivität ihres Finanzplatzes gewährleisten wollen, haben erkannt, dass sie im eigenen Interesse Vermögen von ausländischen Zentralbanken einen besonderen Schutz gewähren müssen, und haben zu diesem Zweck Gesetze verabschiedet67.

Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Unpfändbarkeit von Vermögen einer Zentralbank gemäss den Artikeln 19 und 21 des Übereinkommens nicht absolut formuliert ist. So ist die Pfändung von Vermögen einer ausländischen Zentralbank möglich, wenn der betreffende Staat ausdrücklich seine Zustimmung erteilt oder wenn er Vermögen für die Befriedigung des Anspruchs, der Gegenstand des Verfahrens ist, reserviert oder bestimmt hat. So können Schweizer Unternehmen ­ wie das einige bereits tun ­ in Verträgen mit Staaten einen ausdrücklichen Verzicht auf die Vollstreckungsimmunität vorsehen. Zudem wird Artikel 19 in der Anlage zum Übereinkommen dahingehend präzisiert, dass dieser «nicht die Frage der Durchgriffshaftung (), Fragen zu Sachverhalten, in denen ein staatlicher Rechtsträger vorsätzlich falsche Angaben über seine finanzielle Lage gemacht oder sein Vermögen nachträglich verringert hat, um die Befriedigung eines Anspruchs zu umgehen, oder andere damit im Zusammenhang stehende Fragen» präjudiziert. Das Übereinkommen behält damit bestimmte Umstände vor, in denen ein Staat seine Zentralbank dazu missbraucht, sein Vermögen vor einer Pfändung zu schützen. Dieser Vorbehalt betrifft allerdings nur ausserordentliche Situationen, und seine Anwendung unterliegt dem richterlichen Ermessen.

65

66

67

Granville Gold Trust Switzerland v. Commissione Del Fallimento/Inter Change Bank, 928 F.Supp. 241 (E.D.N.Y. 1996). In dieser Angelegenheit hatte der Antragsteller Granville Gold Trust vor einem amerikanischen Gericht einen Prozess gegen das Tessiner Konkursamt angestrengt und 125 Mrd. Dollar gefordert. Nach einer Verurteilung im Abwesenheitsverfahren wurde eine Verfügung erlassen, um alle Vermögenswerte von Schweizer Banken auf amerikanischem Hoheitsgebiet einzufrieren, darunter jene der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der Kantonalbanken. Der erstinstanzliche Entscheid wurde schliesslich in der Berufung aufgrund der Immunität von der Gerichtsbarkeit und der fehlenden Beziehung zum amerikanischen Hoheitsgebiet aufgehoben.

Obwohl das Vermögen der SNB schliesslich nicht gepfändet wurde, hatte allein die Tatsache, dass eine solche Summe möglicherweise gepfändet werden könnte, offensichtliche Auswirkungen auf den Schweizer Finanzplatz.

Abkommen vom 10. Febr. 1987 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zur Regelung der rechtlichen Stellung der Bank in der Schweiz (SR 0.192.122.971.3), Art. 4 Abs. 4.

Siehe insbes. den State Immunity Act von 1978 (Grossbritannien), Abschnitte 13 und 14, aber auch den Foreign Sovereign Immunities Act von 1976 (USA), Abschnitt 1611 (b) und das neue belgische Gesetz vom 14. Aug. 2008 zur Änderung der Zivilprozessordnung im Hinblick auf die Einführung einer Vollstreckungsimmunität für das Vermögen ausländischer Zentralbanken und internationaler Währungsbehörden (Lois publiées au Moniteur Belge: Aug. 2008).

1748

Der Bundesrat beantragt deshalb, das Übereinkommen trotz der Divergenz zwischen den Artikeln 19 und 21 einerseits und der Praxis des Bundesgerichts sowie dem SchKG andererseits zu ratifizieren. Dieses Gesetz enthält einen Vorbehalt für die Anwendung von völkerrechtlichen Verträgen68 und erfordert deshalb keine Gesetzesänderung.

4.4

Verfahrensfragen

4.4.1

Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke

Artikel 22 Absatz 3 legt fest, dass Schriftstücken bei der Zustellung zur Einleitung eines Verfahrens erforderlichenfalls eine Übersetzung in eine der Amtssprachen des betreffenden Staates beizufügen ist. Im Interesse einer einheitlichen Regelung, die auch die Mehrsprachigkeit mancher Kantone berücksichtigt, erscheint es angebracht, dass die Schweiz folgende auslegende Erklärung abgibt69: Zu Art. 22 Abs. 3: «Ist der betreffende Staat ein Schweizer Kanton, so ist nach Auffassung der Schweiz unter Amtssprache eine Amtssprache des Kantons zu verstehen, in dem das Schriftstück zugestellt wird.»

4.4.2

Versäumnisentscheidung

Fristen Das Übereinkommen (Art. 23 Abs. 1 Bst. b) sieht vor, dass ein Gericht des Gerichtsstaates erst nach einer Frist von mindestens vier Monaten nach der Zustellung eine Versäumnisentscheidung erlassen kann. Diese Frist gilt unabhängig von der Art der Zustellung, die auf diplomatischem Weg oder auf anderen durch Übereinkommen und besondere Vereinbarungen zwischen dem Gerichtsstaat und dem Antragsteller oder zwischen dem Gerichtsstaat und dem betreffenden Staat vorgesehenen Wegen erfolgen kann.

Diese viermonatige Frist unterscheidet sich von der heutigen Verfahrenspraxis verschiedener kantonaler Arbeitsgerichte. Arbeitsrechtliche Verfahren müssen grundsätzlich einfach und rasch sein, insbesondere bei kleineren Streitwerten70.

Diese Verfahrensregeln des schweizerischen Rechts verlangen deshalb Fristen unter vier Monaten.

Eine viermonatige Frist sieht das Übereinkommen (Art. 23 Abs. 3) auch für Anträge auf Aufhebung einer Versäumnisentscheidung vor. Diese Frist läuft ab dem Tag, an dem die Abschrift der Entscheidung beim Staat eingegangen ist oder als eingegangen gilt. Auch diese Frist ist länger, als es die Verfahrensregeln auf Kantons- und

68 69

70

Art. 30a SchKG, SR 281.1 Eine ähnlich lautende Erklärung wurde zu Art. 5 Abs. 3 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (SR 0.274.131) abgegeben.

Art. 343 Obligationenrecht, SR 220.

1749

Bundesebene im Allgemeinen vorsehen, um gegen ein Versäumnis Einspruch zu erheben oder Beschwerde einzulegen.

Es ist legitim, dass das Übereinkommen einem souveränen Staat genügend Zeit einräumt, um zu einer Klage Stellung zu nehmen oder Antrag auf Aufhebung einer Versäumnisentscheidung einzureichen. Eine Frist von vier Monaten erscheint demnach vernünftig und angemessen ­ oder sogar wünschbar ­, um die Mitwirkung von Staaten an Verfahren gegen sie zu fördern. Eine solche Frist liegt auch im Interesse der Schweiz selbst, wenn gegen sie bei einem Gericht eines anderen Vertragsstaates des Übereinkommens ein Verfahren eingeleitet wird. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass kein Vorbehalt zu Artikel 23 des Übereinkommens angezeigt ist.

Auf Bundesebene sind nur sehr wenige Gesetze von dieser Frist des Übereinkommens betroffen. Die meisten Bundesgesetze mit Verfahrensbestimmungen enthalten einen Vorbehalt zu völkerrechtlichen Übereinkommen und Verträgen71.

Das Bundesgesetz vom 4. Dezember 194772 über den Bundeszivilprozess, das keinen Vorbehalt zu völkerrechtlichen Verträgen enthält, sieht auch keine präzisen Fristen vor: «Der Richter bestimmt die Fristen, soweit nicht das Gesetz sie festlegt»73. Da der Begriff «Gesetz» bei Inkrafttreten des Übereinkommens für die Schweiz das Übereinkommen mit einschliessen wird, braucht es keine Änderung dieses Gesetzes.

Umgekehrt sind im Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 (BGG)74 und im Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG)75 die ­ deutlich kürzeren ­ Beschwerdefristen sehr genau umschrieben76, und es ist kein Vorbehalt für völkerrechtliche Verträge vorgesehen.

Beschwerdelegitimation Das Übereinkommen enthält keine Bestimmungen darüber, welche Verfahrensparteien zur Beschwerde gegen eine Versäumnisentscheidung legitimiert sind. Daraus folgt, dass unter dem Regime des Übereinkommens alle Verfahrensparteien dazu imstande sind, eine Beschwerde gegen ein solches Urteil einzulegen, unabhängig davon, ob sie am Vorverfahren teilgenommen haben oder nicht. Nun sehen jedoch das BGG und das VwVG vor, dass nur diejenigen Parteien zur Beschwerde legitimiert sind, die am vorhergehenden Verfahren teilgenommen haben. Das Übereinkommen unterscheidet sich daher in dieser Beziehung von der aktuellen Verfahrenspraxis vor bestimmten
Gerichts- und Verwaltungsbehörden.

Änderung bisherigen Rechts Um diese Verfahrensunterschiede im Falle von Versäumnisentscheidungen zu beheben, beantragt der Bundesrat die folgenden, die Bestimmungen des Übereinkommens explizit vorbehaltenden Änderungen des VwVG und des BGG:

71 72 73 74 75 76

Siehe insbes. Art. 30a SchKG und Art. 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 18. Dez. 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG, SR 291).

SR 273 Art. 9 des Bundesgesetzes vom 4. Dez. 1947 über den Bundeszivilprozess, SR 273.

SR 173.110 SR 172.021 Siehe Art. 50 VwVG und Art. 100 BGG.

1750

1. Bundesgesetz vom 20. Dezember 196877 über das Verwaltungsverfahren Art. 4a (neu) IV. Immunität der Staaten

Auf Verfahren, die unter das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 2. Dezember 2004 über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit fallen, ist dieses Gesetz nur anwendbar, soweit das Übereinkommen keine abweichenden Vorschriften enthält.

2. Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 200578 Gliederungstitel vor Art. 71a

13. Abschnitt: Immunität der Staaten (neu) Art. 71a (neu) Auf Verfahren, die unter das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 2. Dezember 2004 über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit fallen, ist dieses Gesetz nur anwendbar, soweit das Übereinkommen keine abweichenden Vorschriften enthält.

Diese Gesetzesänderungen treten im Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Übereinkommens für die Schweiz in Kraft.

Auf kantonaler Ebene können die Behörden entscheiden, ob sie ihre Verfahrensregeln ändern wollen, wenn sie dies für angemessen halten. Die vom Parlament am 19. Dezember 2008 verabschiedete Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO), die das Zivilverfahren in allen Kantonen vereinheitlichen und regeln wird, behält allerdings die Bestimmungen des Staatsvertragsrechts vor79. Sobald die ZPO in Kraft ist, wird sich also die Frage der Unvereinbarkeit der Fristen nicht mehr stellen.

4.4.3

Vorrechte und Immunitäten während des Verfahrens

Artikel 24 des Übereinkommens bestimmt, dass gegen einen Staat, der die Anordnung eines Gerichts des Gerichtsstaates nicht befolgt, für Verfahrenszwecke eine bestimmte Handlung auszuführen oder zu unterlassen bzw. bestimmte Unterlagen beizubringen oder sonstige Informationen offenzulegen, keine Busse oder sonstige Strafmassnahme verhängt wird. Nun sehen aber das Obligationenrecht und das BGG vor, dass ein Richter in bestimmten Fällen eine Busse gegen eine Verfahrenspartei verhängen kann80. Diese Bestimmungen lassen dem Richter einen gewissen Ermes77 78 79 80

SR 172.021 SR 173.110 BBl 2009 21, Art. 2.

Art. 343 OR und Art. 33 BGG.

1751

sensspielraum: Er kann eine Busse verhängen, muss aber nicht. Sobald das Übereinkommen in Kraft tritt, können die Schweizer Gerichte keine Busse mehr gegen einen Staat verhängen.

Artikel 24 sieht in Absatz 2 ebenfalls vor, dass einem Staat in seiner Eigenschaft als Beklagter in einem Verfahren vor den Gerichten eines anderen Staates keine Kautions- oder Depotzahlungen zur Gewährleistung der Prozess- und Gerichtskosten auferlegt werden können. Nun sieht jedoch das BGG vor, dass jede Verfahrenspartei die Barauslagen vorzuschiessen hat, die aufgrund ihrer Anträge entstehen, sowie anteilsmässig diejenigen Barauslagen, die durch gemeinschaftliche Anträge der Parteien oder durch das Bundesgericht von Amtes wegen veranlasst werden81. Die oben beantragte Ergänzung des BGG82 wird diese Diskrepanz in verfahrensrechtlicher Hinsicht beheben.

5

Andere auslegende Erklärungen

Die UNO-Generalversammlung hat bei der Annahme des Übereinkommens in Resolution 59/38 erklärt, dass das Übereinkommen auf strafrechtliche Verfahren nicht anwendbar ist83. Somit ist das Übereinkommen für alle Verfahren vor den Instanzen des Gerichtsstaates einschlägig, ausgenommen Strafverfahren. Obwohl diese Ausnahme in der genannten Resolution genannt wird, bietet sich eine auslegende Erklärung in diesem Zusammenhang an.

Der Bundesrat schlägt dafür folgenden Wortlaut vor: «Allgemeine auslegende Erklärung: Im Einklang mit der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2. Dezember 2004 verabschiedeten Resolution 59/38 geht die Schweiz davon aus, dass dieses Übereinkommen auf strafrechtliche Verfahren nicht anwendbar ist.»

6

Schlussfolgerung

Die Regelung des UNO-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit garantiert ein hinreichendes Gleichgewicht zwischen dem Schutzbedarf der Rechtssuchenden und den hoheitlichen Befugnissen, mit denen der Staat ausgestattet ist und die jeglicher Einmischung ausländischer Gerichte entzogen bleiben müssen. Darüber hinaus entspricht sie weitgehend den Grundsätzen, die das Bundesgericht seit 1918 formuliert hat. Dieses hat festgestellt, dass das UNO-Übereinkommen die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze im Bereich der Staatenimmunität kodifiziert und dass es als Kodifikation des Völker-

81 82 83

Art. 63 BGG.

Siehe Ziff. 4.4.2.

Resolution 59/38 der Generalversammlung der Vereinten Nationen (A/RES/59/38), § 2.

Im Sinne der Wiener Konvention über das Recht der Verträge (SR 0.111) stellt diese Resolution eines jener Instrumente dar, die zur Interpretation des Übereinkommens herangezogen werden können. Ebenso kann die Resolution als Teil der travaux préparatoires betrachtet werden, die ein Mittel zur Vertragsinterpretation darstellen. Siehe auch Jahrbuch der Völkerrechtskommission, 1991, Bd. 2, Zweiter Teil, S. 14, § 2.

1752

gewohnheitsrechts zu betrachten ist.84 Infolgedessen ist das Übereinkommen der Form nach zwar nur zwischen seinen Vertragsstaaten anwendbar, doch die ihm zugrunde liegenden Prinzipien sind auch für die anderen Staaten relevant.

Nach Auffassung des Bundesrates ist es wichtig, dass die Schweiz dem Übereinkommen beitritt. Dieses entspricht der Notwendigkeit, in einem für das reibungslose Funktionieren des internationalen Systems wesentlichen Bereich eine weltweit einheitliche Regelung einzuführen. Die Komplexität der Probleme, welche die Immunität ausländischer Staaten aufwirft, stellt unsere Behörden immer wieder vor schwierige rechtliche Fragen, die auf internationaler Ebene heikle Auswirkungen haben können. Der Beschluss des Bundesrates vom 16. November 2005, aufgrund dessen die von den Walliser Behörden beschlagnahmten Kulturgüter, die zur Kunstsammlung des Nationalmuseums Puschkin in Moskau gehörten, das Gebiet der Schweiz verlassen durften, hat deutlich gemacht, dass ein öffentliches Interesse an der Einhaltung des Rechts der Staatenimmunität besteht85. Im Hinblick auf eine reibungslose Abwicklung ihrer internationalen Beziehungen hat die Schweiz also grosses Interesse an der Rechtssicherheit, die eine weltweit geltende Regelung der Staatenimmunität bietet. Im Übrigen hat die Schweiz, wie der Bundesrat erklärte86, sogar ein besonderes Interesse an der Umsetzung dieses Übereinkommens, da in unserem Land zahlreiche internationale Organisationen ihren Sitz haben und zahlreiche internationale Konferenzen stattfinden, insbesondere in Genf, das im Laufe der Jahre zu einem Zentrum für zwischenstaatliche Zusammenarbeit und einem internationalen Begegnungsort geworden ist. Das vorliegende Übereinkommen würde unserem Land erlauben, seine internationalen Aufgaben als Gaststaat, in dessen Hoheitsgebiet sich zahlreiche Vertretungen anderer Staaten befinden, unter optimalen Bedingungen zu erfüllen.

Wie es in der Präambel heisst, soll das Übereinkommen die Rechtsstaatlichkeit und die Rechtssicherheit nicht nur in den zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern auch in den Beziehungen zwischen Staaten und Privatpersonen stärken. Mehr Transparenz und Berechenbarkeit durch verbindliche Rechtsvorschriften kämen sowohl dem Staat als auch den Einzelnen zugute. Diesbezüglich hat das Übereinkommen nach Auffassung des
Bundesrates besonders effiziente Kompromisslösungen gefunden, namentlich zur Regelung privatwirtschaftlicher Transaktionen.

Desgleichen kann mit Befriedigung festgestellt werden, dass das UNO-Übereinkommen bei der Vollstreckungsimmunität weiter geht als das Europäische Übereinkommen (siehe Ziff. 4.3). Das UNO-Übereinkommen gestattet unter bestimmten Umständen nach einem Gerichtsurteil Zwangsmassnahmen; damit stellt es den Rechtssuchenden ein Instrument zur Verfügung, das für die Durchsetzung von Gerichtsurteilen von wesentlicher Bedeutung ist und damit die Position des Individuums stärkt.

Die Ratifizierung des Übereinkommens gäbe der Schweiz Gelegenheit, ihr Engagement für die Rechtsstaatlichkeit zu bekräftigen. Die Ratifizierung durch die Schweiz würde es ausserdem erlauben, den Staaten, die noch immer für eine uneingeschränkte Immunität plädieren, die Vorteile des restriktiven Ansatzes deutlich zu machen.

84 85 86

BGE 134 III 122, E. 5.1 (m.w.H.).

Siehe dazu die Pressemitteilung der Bundeskanzlei vom 16. Nov. 2005.

Bericht vom 26. Febr. 2003 über die Zusammenarbeit der Schweiz mit der Organisation der Vereinten Nationen und mit den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz, BBl 2003 2653, 2674.

1753

7

Auswirkungen

7.1

Auswirkungen auf den Bund

Die durch das Übereinkommen eingeführte Regelung für die Immunität der Staaten von der Gerichtsbarkeit stimmt im Wesentlichen mit den vom Bundesgericht angewandten Grundsätzen überein. Daher ist davon auszugehen, dass die Ratifizierung des Übereinkommens keine grossen Änderungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Folge haben wird.

Bei der Vollstreckungsimmunität wird das Übereinkommen Auswirkungen auf die schweizerische Praxis bei Sicherungsmassnahmen haben. Solche Massnahmen gegen das Vermögen eines ausländischen Staates, der ebenfalls Vertragsstaat des Übereinkommens ist, werden nicht mehr erlaubt sein, wenn dieser nicht seine Zustimmung erteilt hat (siehe Ziff. 4.3.1). Dasselbe wird für Vollstreckungsmassnahmen gegenüber Vermögen ausländischer Zentralbanken gelten (siehe Ziff. 4.3.2).

Schliesslich wird das Übereinkommen Auswirkungen auf die Anwendung der Verfahrensregeln in Rechtsverfahren gegen ausländische Staaten haben, insbesondere im Hinblick auf die Fristensetzung im Falle einer Versäumnisentscheidung (siehe Ziff. 4.4.2).

7.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die Ratifizierung des Übereinkommens wird keine erheblichen Auswirkungen auf das kantonale Recht haben. Sie berührt bis zu einem gewissen Grad die kantonalen Verfahrensvorschriften zur Fristensetzung für Versäumnisentscheidungen und für Anträge auf deren Aufhebung (siehe Ziff. 4.4.2). Die Kantone werden prüfen müssen, ob sie für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung87, die einen Vorbehalt bezüglich völkerrechtlicher Verträge enthält, die einschlägigen Vorschriften ändern wollen.

Das Übereinkommen wird keine Auswirkungen auf die Gemeinden haben.

7.3

Wirtschaftliche Auswirkungen

Die Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit wird für Schweizer Unternehmen, die Handelsbeziehungen zu ausländischen Staaten unterhalten, die Berechenbarkeit und die Rechtssicherheit erhöhen. Sie schafft zudem einen klaren rechtlichen Rahmen für die Immunität der Vermögen ausländischer Staaten in der Schweiz und wird damit zur Stabilität und zur Glaubwürdigkeit des Finanzplatzes Schweiz beitragen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es zwar schwierig, die wirtschaftlichen Auswirkungen zu quantifizieren, aber diese können nur positiv sein.

87

BBl 2009 21

1754

7.4

Sonstige Auswirkungen

Die Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit hat weder finanzielle Auswirkungen für die Schweiz noch Auswirkungen auf den Personalbestand.

8

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Botschaft zur Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit ist in der Botschaft vom 23. Januar 2008 über die Legislaturplanung 2007­2011 angekündigt88.

9

Verhältnis zum europäischen Recht

An dieser Stelle ist kurz auf die Frage einzugehen, wie sich das Inkrafttreten des Übereinkommens auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz aus dem europäischen Recht, insbesondere auf diejenigen aus dem Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität von 1972 und der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950, auswirkt.

Die Ratifizierung des UNO-Übereinkommens hat keine Auswirkungen auf die bestehenden Rechtsbeziehungen zwischen den Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität. Dies deshalb, weil das UNO-Übereinkommen in Artikel 26 explizit die Anwendung anderer Abkommen im Bereich der Staatenimmunität vorbehält. In diesem Zusammenhang muss aber darauf hingewiesen werden, dass das Europäische Übereinkommen, das nur einen beschränkten Anwendungsbereich hat und dessen Inhalt weniger progressiv ist als derjenige des UNO-Übereinkommens89, nur wenig Resonanz gefunden hat. Es wurde von nur acht europäischen Staaten (Belgien, Deutschland, Grossbritannien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz und Zypern) ratifiziert und spielte nur eine geringe Rolle bei der Weiterentwicklung der einschlägigen innerstaatlichen Rechtsprechung. Im Übrigen nahm das Bundesgericht in der Praxis nur selten Bezug auf dieses Übereinkommen. Ebenso wurde das durch das Zusatzprotokoll90 zum Europäischen Übereinkommen vorgesehene Gericht für den Bereich der Staatenimmunität nie angerufen. Angesichts dessen hat der Bundesrat die Absicht, das Europäische Übereinkommen und das Zusatzprotokoll ­ allein oder im Einvernehmen mit den anderen Vertragsstaaten ­ zu kündigen, sobald die Mehrheit der Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens das UNO-Übereinkommen ratifiziert hat und dieses in Kraft getreten ist. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt das Europäische Übereinkommen zwischen den acht Vertragsstaaten anwendbar.

Betreffend das europäische Menschenrechtsregime steht das UNO-Übereinkommen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit im Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und 88 89 90

BBl 2008 753, 826.

Siehe Ziff. 4.3.1 sowie die Bemerkung in Fussnote 51.

SR 0.273.11, 6 Vertragsstaaten [Stand 25.02.09].

1755

Grundfreiheiten (EMRK) und der hierzu ergangenen Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Tatsächlich betrachtet der Gerichtshof die durch die Staatenimmunität hervorgerufene Einschränkung des Zugangs zu einem Gericht als mit Artikel 6 EMRK und dem darin ebenfalls enthaltenen Recht auf Durchsetzung eines Urteils vereinbar, wenn mit der Einschränkung ein legitimes Ziel verfolgt wird und die Verhältnismässigkeit zwischen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten Ziel gewahrt bleibt. In seiner Rechtsprechung hielt der Gerichtshof in der Vergangenheit dafür, dass die sich aus der Lehre der Staatenimmunität ergebenden Beschränkungen diese Voraussetzungen erfüllen91.

10

Erledigung eines parlamentarischen Vorstosses

Am 14. Dezember 2005 wurde der Bundesrat durch ein Postulat92 aufgefordert zu prüfen, wie künftig verhindert werden kann, dass durch Betreibungsbegehren die Aussenbeziehungen der Schweiz gestört und ihre Interessen oder ihr Ansehen geschädigt werden können. Er wurde weiterhin eingeladen, dem Parlament über das Ergebnis seiner Prüfungen Bericht zu erstatten, gegebenenfalls die nötigen Massnahmen zu ergreifen oder dem Parlament die nötigen Gesetzesänderungen vorzuschlagen. Das Postulat wurde eingereicht, nachdem Bilder beschlagnahmt worden waren, die das russische Nationalmuseum Puschkin der Fondation Pierre Gianadda in Martigny ausgeliehen hatte (siehe Ziff. 6). In dieser Affäre musste der Bundesrat die Beschlagnahmung zugunsten der schweizerischen Interessen aufheben. Die vom Postulat aufgeworfene Fragestellung wird durch die Artikel 18­21 des Übereinkommens ausführlich und im Sinne des Postulats geregelt.

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Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des UNO-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit beruht auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)93, wonach die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes sind. Die Kompetenz der Bundesversammlung, völkerrechtliche Verträge zu genehmigen, ist in Artikel 166 Absatz 2 BV enthalten.

Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterstehen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, sofern sie unbefristet und unkündbar sind, sofern sie den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, sofern sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder sofern deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Das Übereinkommen ist unbefristet, kann aber von den Staaten gekündigt werden (Art. 31). Es sieht keinen Beitritt zu einer internationalen 91

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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 2. Okt. 2006, Unzulässigkeit der Beschwerde n° 58694/00 (Petar Alexandrov und Gospodinka Alexandrova Kirovi gegen Bulgarien und die Türkei); siehe auch Urteile Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich, a.a.O. (Anm. 56), S. 79ff., § 56; McElhinney gegen Irland vom 21. Nov.

2001 [Grosse Kammer], Beschwerde n° 31253/96, § 37; Fogarty gegen Vereinigtes Königreich vom 21. Nov. 2001 [Grosse Kammer], Recueil 2001-XI, Beschwerde n° 31253/96, § 37.

Po. 05.3807 Betreibungsrecht und Aussenbeziehungen (N 14.12.2005, Widmer Hans).

SR 101

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Organisation vor. Hingegen enthält es wichtige rechtsetzende Bestimmungen. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200294 gilt eine Bestimmung eines Staatsvertrags dann als rechtsetzend, wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generell-abstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt. Die Bestimmungen des Übereinkommens enthalten Pflichten, verleihen Rechte und sind so gehalten, dass sie in der schweizerischen Rechtsordnung unmittelbar anwendbar sind (self-executing)95. So werden die Bestimmungen des Übereinkommens im Rahmen von Rechtsverfahren mit Vertragsstaaten die Regeln des innerstaatlichen Rechts ersetzen. Ebenso erfordert die Umsetzung des Übereinkommens den Erlass von Bundesgesetzen nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV. Damit ist die Anpassung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen des VwVG und des BGG an die entsprechenden Bestimmungen des Übereinkommens gemeint. Die Änderung des VwVG erfolgt gestützt auf die Artikel 177 Absatz 3 und 187 Absatz 1 Buchstabe d BV, diejenige des BGG gestützt auf die Artikel 188­191c BV. Aus all diesen Gründen untersteht der Bundesbeschluss dem fakultativen Referendum.

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SR 171.10 Siehe Ziff. 4.1.

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