17.019 Botschaft zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen vom 15. Februar 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf des totalrevidierten Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2012

P

2013

M 12.3739

Öffentliche Beschaffungen des Bundes. Gleiche Rechte für die Sprachregionen (N 14.12.12, Hodgers; S 10.9.13)

2014

P

Bekämpfung der Korruption im öffentlichen Beschaffungswesen (S 17.6.14, Engler)

2014

M 14.3045

Publikation der Basisinformationen aller Beschaffungen des Bundes ab 50 000 Franken (N 20.6.14, Graf-Litscher; S 8.12.14)

2015

M 12.3914

Ausschreibungsverfahren in den drei Amtssprachen des Bundes (N 16.9.14, de Buman; S 18.6.15)

2015

M 14.3872

Für eine korrekte Nutzung der Amtssprachen in den öffentlichen Ausschreibungen von bundesnahen Betrieben (N 12.12.14, Regazzi; S 18.6.15)

2015

M 14.3886

Für eine sprachenfreundliche Vergabe auch von kleinen öffentlichen Aufträgen im Interesse unserer KMU (N 12.12.14, Cassis; S 18.6.15)

2016-0127

12.3910

14.3208

Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen.

Stopp dem Missstand (N 14.12.12, Darbellay)

1851

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. Februar 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

1852

Übersicht Das öffentliche Beschaffungsrecht regelt ein wichtiges Segment der Schweizer Volkswirtschaft. Seine Grundlagen findet es im WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA), das auf Ebene Bund durch das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen und die zugehörige Verordnung sowie von den Kantonen durch die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen umgesetzt wird, sowie im bilateralen Abkommen mit der EU über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens. Aufgrund der 2012 abgeschlossenen Revision des GPA sind Anpassungen im nationalen Recht erforderlich. Gleichzeitig sollen die Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen einander inhaltlich soweit möglich und sinnvoll angeglichen werden.

Ausgangslage Das revidierte WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen wurde am 30. März 2012 formell verabschiedet (GPA 2012). Es trat am 6. April 2014 in Kraft, nachdem das erforderliche Quorum der unterzeichnenden Mitgliedstaaten erreicht worden war. Die Revision des Übereinkommens von 1994 (GPA 1994), dem die Schweiz mit Wirkung ab 1. Januar 1996 beigetreten ist, erweitert dessen Geltungsbereich, vereinfacht und modernisiert den Konventionstext und regelt den Einsatz elektronischer Mittel. Sämtliche Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Änderung des GPA im nationalen Recht umzusetzen. Die Schweiz wird das GPA 2012 erst ratifizieren, nachdem die Anpassungen des innerstaatlichen Rechts vollzogen worden sind. Am 2. Juli 2014 erteilte der Bundesrat dem Eidgenössischen Finanzdepartement den Auftrag, gemeinsam mit dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung das Beschaffungsrecht des Bundes zu revidieren und dabei die Beschaffungsregimes von Bund und Kantonen soweit möglich und sinnvoll einander anzugleichen.

Für die Schweiz liegt die Bedeutung der Revision unter anderem in der Stärkung des Wettbewerbs, der Klärung von Unterstellungsfragen, der Flexibilisierung des Beschaffungsvorgangs und der Anpassung an die künftigen Herausforderungen, z. B. bei der elektronischen Vergabe. Zudem wird der Marktzugang von Schweizer Unternehmen in den GPA-Mitgliedstaaten verbessert.

Die Revision des GPA erfordert Anpassungen im Bundesrecht und im kantonalen Recht. Verschiedene Wirtschaftsverbände fordern seit Jahren eine
Harmonisierung zwischen den Rechtsordnungen des Bundes und der Kantone. Bund und Kantone sind übereingekommen, die internationalen Vorgaben im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten parallel umzusetzen. Die Gesetzgebungsverfahren des Bundes und der Kantone erfolgen je separat, basieren jedoch auf den Regelungsvorschlägen einer paritätischen Arbeitsgruppe Bund­Kantone. Nach Abschluss der GPA-Verhandlungen hat diese Arbeitsgruppe seitens des Bundes unter Federführung der Beschaffungskonferenz des Bundes und seitens der Kantone unter Federführung der Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz den vorliegenden Gesetzesent-

1853

wurf sowie den Entwurf der revidierten Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen erarbeitet.

Ziele und Inhalt der Vorlage Auf Ebene Bund sind das Bundesgesetz sowie die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen von der Revision des GPA 1994 betroffen. Beide Erlasse haben seit ihrem Inkrafttreten verschiedene Teilrevisionen erfahren, wobei Regelungsgehalte nicht immer stufengerecht abgebildet worden sind. Als Folge der Teilrevisionen sind die Beschaffungsregeln des Bundes heute relativ unübersichtlich und nicht immer einfach lesbar.

Die Vorlage hat zum Ziel, das GPA 2012 auf Stufe Bund umzusetzen. Gleichzeitig wird bezweckt, die Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen ­ unter Beibehaltung der föderalen Kompetenzregelung ­ einander inhaltlich so weit wie möglich anzugleichen. Diese Harmonisierungsbestrebungen von Bund und Kantonen stellen die bedeutsamste Neuerung dar. Hierzu wird das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen modern strukturiert und sprachlich überarbeitet. Bewährte Regelungskonzepte werden beibehalten, neue Begriffsdefinitionen eingeführt und diverse bisher auf Verordnungsstufe geregelte Bestimmungen, wie diejenigen betreffend «übrige Beschaffungen», ins Gesetz integriert. Die materiellen Änderungen betreffen im Wesentlichen Unterstellungsfragen (beispielsweise in Bezug auf die Übertragung gewisser öffentlicher Aufgaben sowie die Vergabe gewisser Konzessionen), neue Beschaffungsinstrumente und Folgebeschaffungen, aber auch die Themen Verhandlungen und Rechtsschutz. Der Zugang zum Gericht soll massvoll und in Beachtung der Rechtsweggarantie ausgebaut werden, ohne Beschaffungsvorhaben ungebührlich zu verzögern. Die massgebenden Schwellenwerte werden beibehalten.

In Anlehnung an die kantonale Regelung unterscheidet das Gesetz neu zwischen dem sogenannten Staatsvertragsbereich, d. h. öffentlichen Aufträgen, die im Geltungsbereich der internationalen Verpflichtungen der Schweiz im Zusammenhang mit dem öffentlichen Beschaffungswesen vergeben werden, und dem Nicht-Staatsvertragsbereich, d. h. öffentlichen Aufträgen, die nur den Regeln des Binnenrechts unterstehen.

Volkswirtschaftliche Bedeutung der vorliegenden Revision Die Gesamtsumme von Zahlungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Beschaffungswesen in der Schweiz beträgt derzeit
schätzungsweise rund 41 Milliarden Franken jährlich (rund 20 Prozent Bund und rund 80 Prozent Kantone und Gemeinden). Allein die zentrale Bundesverwaltung beschaffte im Jahr 2015 Bauleistungen, Waren und Dienstleistungen im Wert von 5,65 Milliarden Franken.

Gemäss Schätzungen der WTO hat die Revision des GPA insgesamt einen erweiterten Marktzugang im Wert von 80­100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zur Folge. Es liegt im Interesse der Schweizer Wirtschaft, dass die Schweiz das revidierte GPA 2012 möglichst rasch umsetzt und das erweiterte Marktzugangspotenzial erschliesst.

Auch in der Schweiz führt die Anwendung der GPA-Regeln zu mehr Wettbewerb unter den Anbieterinnen. Öffentliche Auftraggeberinnen haben eine noch grössere

1854

Auswahl an Angeboten. Dies erlaubt es, die Kosten der Bedarfsverwaltung zu reduzieren. Die verbesserte Anwenderfreundlichkeit, Klarheit und Rechtssicherheit versprechen auch bei den Anbieterinnen Sparpotenzial. Ein erheblicher Zusatznutzen dürfte den Anbieterinnen durch die Harmonisierung der nationalen Beschaffungsordnungen entstehen.

1855

BBl 2017

Inhaltsverzeichnis Übersicht

1853

1

Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Revision des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen 1.1.2 Anpassungsbedarf im nationalen Recht 1.1.3 Grundlagen des schweizerischen Beschaffungsrechts 1.1.4 Gescheiterte Revisionsvorhaben 1.1.5 Unterschiede zwischen dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht 1.1.6 Gründe für die Revision 1.2 Die beantragte Neuregelung 1.2.1 Vorarbeiten 1.2.2 Zielsetzung des Entwurfs für ein neues Beschaffungsgesetz 1.2.3 Wichtigste Neuerungen 1.2.4 Exkurs: Intellektuelle Dienstleistungen 1.2.5 Exkurs: Sprachanforderungen 1.3 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 1.4 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung 1.5 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen 1.6 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht 1.7 Umsetzung 1.8 Erledigung parlamentarischer Vorstösse 1.9 Empfehlungen der Finanzdelegation sowie der NEATAufsichtsdelegation

1858 1858

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

1883

3

Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.1.1 Finanzielle Auswirkungen 3.1.2 Personelle Auswirkungen 3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 3.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt

1994 1994 1994 1998 1999 2000 2001

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates 4.1 Verhältnis zur Legislaturplanung 4.2 Verhältnis zu nationalen Strategien des Bundesrates

2001 2001 2001

1856

1858 1860 1861 1862 1864 1865 1865 1865 1867 1870 1871 1873 1874 1878 1880 1880 1881 1882 1882

BBl 2017

5

Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.3 Erlassform 5.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 5.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz 5.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 5.7 Datenschutz und Öffentlichkeitsgesetz

Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) (Entwurf)

2002 2002 2002 2002 2003 2003 2003 2003 2005

1857

BBl 2017

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Revision des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen

Das Übereinkommen der Welthandelsorganisation (WTO) vom 15. April 19941 über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA 1994) trat ­ auch für die Schweiz ­ am 1. Januar 1996 in Kraft. Bis heute sind 47 Mitglieder diesem plurilateralen Übereinkommen beigetreten, wobei diese Zahl die EU mit ihren zurzeit 28 Mitgliedstaaten beinhaltet. Das Übereinkommen wird gemäss WTO-Terminologie als plurilateral bezeichnet, weil es nicht für sämtliche WTO-Mitgliedstaaten verbindlich ist, sondern nur für diejenigen, die ihm beigetreten sind. Die Schweiz gehört zu den Erstunterzeichnerstaaten.

Das GPA bildet die rechtliche Grundlage der beschaffungsrelevanten Freihandelsabkommen der zweiten Generation (nebst Abkommen mit Chile und Mexiko auch solche mit Kolumbien, Peru, den Golfstaaten, Ukraine, Panama, Costa Rica u. a. m.), des bilateralen Beschaffungsabkommens Schweiz­EU (nachfolgend das Abkommen Schweiz­EU)2 sowie der EFTA-Konvention3 und gilt als wichtiger Meilenstein zur Liberalisierung des internationalen Handels. Es regelt den Zugang zu öffentlichen Aufträgen und statuiert folgende Grundsätze der Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens: ­

Förderung des Wettbewerbs

­

Transparenz

­

Nichtdiskriminierung

­

wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel.

Weiter enthält es Bestimmungen zum Beschaffungsverfahren (Vergabeverfahren, Qualifikation der Anbieterinnen, Ausschreibung, Fristen für Angebote, Verhandlungen, Zuschlag, Streitbeilegung usw.) und zu den Schwellenwerten.

Dass das GPA im Schosse der WTO verhandelt wurde, ist kein Zufall. Zusammen mit den multilateralen Übereinkommen der Uruguay-Welthandelsrunde (GATT, GATS und TRIPS) bildet es einen der Grundpfeiler einer liberalen Welthandelsordnung. Wie aus der Präambel des GPA 1994 und der Revision von 2012 zu erkennen ist, will es die Voraussetzungen für einen Ausbau und eine verstärkte Liberalisierung des Welthandels schaffen. Nationale Beschaffungsregeln sollen nicht erlassen 1 2

3

SR 0.632.231.422 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens, SR 0.172.052.68.

Übereinkommen vom 4. Jan. 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), SR 0.632.31.

1858

BBl 2017

oder angewendet werden mit dem Ziel oder der Wirkung, inländische Anbieterinnen zu schützen oder ausländische Anbieterinnen zu diskriminieren.

Gleichzeitig bilden sowohl das GPA als auch die nationalen Beschaffungsordnungen Gegenstand einer Vielzahl öffentlicher und privater Anliegen. Zum einen gilt es, die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer zu schützen. Zum anderen haben auch Anliegen des Umweltschutzes, der Einhaltung sozialer Mindeststandards oder der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Eingang in das Beschaffungsrecht gefunden. Dies darf über den Ursprung des GPA und dessen Regulierungszweck nicht hinwegtäuschen. Das GPA ist der Öffnung der Märkte und der Gewährung des diskriminierungsfreien Marktzutritts verpflichtet. Anliegen wie Nachhaltigkeit oder KMU-Förderung wurden anlässlich der Revisionsarbeiten zwar diskutiert, letztlich aber in spezielle Arbeitsprogramme verwiesen, die im Beschluss der Ministerkonferenz vom 15. Dezember 2011 beschrieben werden.4 Gestützt auf Artikel XXIV Absatz 7 Buchstaben a, b und c GPA 1994 leiteten die Mitgliedstaaten im Jahr 1997 Revisionsverhandlungen ein, die bis Dezember 2011 andauerten und am 30. März 2012 formell abgeschlossen wurden. Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung gleichzeitig mit dieser Botschaft zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen eine Botschaft zur Genehmigung des GPA 2012.5 Kernstück der Revision (GPA 2012) ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Wettbewerb. Dieses Ziel soll vor allem durch erhöhte Transparenz und den konsequenten Kampf gegen die Korruption ­ die den Wettbewerb verfälscht ­ erreicht werden. Zentral bei der Revision sind zudem die Vereinfachung und Klärung des Textes, die Anpassung an die technischen Entwicklungen, namentlich im Bereich der elektronischen Instrumente, sowie die Erweiterung des persönlichen und des sachlichen Geltungsbereichs. Das GPA 2012 deckt neu z. B. ausdrücklich elektronische Auktionen ab, anerkennt das Erreichen von Umweltzielen als Angebotskriterium und verbessert durch geänderte Beschwerdemöglichkeiten den Rechtsschutz der Anbieterinnen. Ausserdem schafft es Klarheit hinsichtlich der Aufnahmeregeln für neue Mitglieder, was Ländern wie China, Russland und allenfalls Indien in Zukunft den Beitritt erleichtern dürfte.
Gemäss Schätzungen der WTO führt die Revision insgesamt zu einem erweiterten Marktzugang im Wert von rund 80­100 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Den Schweizer Anbieterinnen öffnet das revidierte Übereinkommen folglich den Zugang zu neuen Beschaffungsmärkten, unter anderem in den kanadischen Provinzen, in gewissen Ballungsgebieten Japans, aber auch im öffentlichen Personennahverkehr in Israel und Korea. Die Schweiz unterstellt dem Abkommen in Zukunft insbesondere die Beschaffungen durch die eidgenössischen Gerichte. Zudem hat sie angesichts der Marktzugangsbegehren anderer Mitgliedstaaten auf Basis der Reziprozität einer Erweiterung der Ausschreibungspflicht auf gewisse Dienstleistungsaufträge zuge4

5

Ministerial Decision of 15 December 2011 on the Outcomes of the Negotiations under Article XXIV:7 of the Agreement on Government Procurement, GPA/112. Abrufbar unter: http://docsonline.wto.org/imrd/directdoc.asp?DDFDocuments/t/PLURI/GPA/112.doc (Stand: 7. Nov. 2016).

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 15. Februar 2017 zur Genehmigung des Protokolls zur Änderung des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen, BBl 2017 2053 (Botschaft zum GPA 2012).

1859

BBl 2017

stimmt, z. B. im Bereich der Satellitentelekommunikation, der Steuerberatung oder der Verpackungsdienstleistungen. Gleichzeitig hat die Schweiz Vorbehalte beim Marktzugang gegen jene GPA-Mitgliedstaaten aufgehoben, die ihr Gleichbehandlung gewähren. Dadurch wird beispielsweise kanadischen Anbieterinnen der Zugang zu den Ausschreibungen der Kantone ermöglicht, nachdem sich Kanada bereit erklärt hat, der Schweiz den Zugang zu den Ausschreibungen der kanadischen Provinzen zu gewähren. Zudem öffnen die Schweiz und Kanada gegenseitig ihre Beschaffungsmärkte für Maschinen spezialisierter Industriezweige (wie Produktion und Verteilung von Gas) sowie für Informatikprodukte und Software.

1.1.2

Anpassungsbedarf im nationalen Recht

Jeder Mitgliedstaat hat seine Gesetzgebung dem GPA 2012 anzupassen (Art. XXII Abs. 4 GPA 2012). Nachdem zwei Drittel der Mitgliedstaaten des GPA 2012 ihre Ratifikationsinstrumente bei der WTO in Genf hinterlegt hatten, traten die Änderungen für die Parteien, die bereits ratifiziert hatten, am 6. April 2014 in Kraft. Danach tritt das Protokoll für jede Partei des GPA 1994 innert 30 Tagen nach der Hinterlegung ihrer jeweiligen Ratifikationsinstrumente in Kraft. Es liegt im Interesse der Schweizer Wirtschaft, dass die Schweiz das revidierte GPA möglichst rasch umsetzt und das erweiterte Marktzugangspotenzial erschliesst. Solange die Schweiz nicht ratifiziert hat, gilt für sie weiterhin das GPA 1994, und Schweizer Anbieterinnen haben keinen Rechtsanspruch auf einen Zugang zu den neu erschlossenen Märkten.

Grundsätzlich erlangen völkerrechtliche Verträge in der Schweiz mit ihrer völkerrechtlichen Verbindlichkeit auch landesrechtliche Geltung, ohne dass sie in das innerstaatliche Recht überführt werden müssen. Für Rechtsansprüche von Einzelpersonen gilt dies unter dem Vorbehalt, dass die entsprechenden Vertragsbestimmungen unmittelbar anwendbar («self-executing») sind. Gemäss Bundesgericht ist eine völkerrechtliche Norm dann self-executing, wenn sie einen Bezug zu Rechten und Pflichten von Privatpersonen hat und justiziabel ist, d. h. genügend bestimmt und klar formuliert ist, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheids zu bilden. Wenn sie sich zusätzlich an die rechtsanwendenden Behörden richtet, können diese die Norm direkt anwenden. So haben sowohl das Bundesgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht ihre Entscheide wiederholt direkt auf Bestimmungen des GPA 1994 gestützt.6 Richtet sich eine völkerrechtliche Norm hingegen primär an die Vertragspartei («non self-executing»), muss sie zuerst innerstaatlich umgesetzt oder konkretisiert werden.

Wie das GPA 1994 besteht auch das GPA 2012 sowohl aus unmittelbar anwendbaren Bestimmungen als auch aus konkretisierungsbedürftigen Grundsätzen. Es enthält eine Reihe von Verpflichtungen, die zwingend in nationales Recht umzusetzen sind.

Diese sind unter anderem daran zu erkennen, dass sie in der englischen Fassung oftmals den Ausdruck «shall» enthalten. Andere Regelungen des GPA 2012 gestehen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu, ihre Gesetzgebung den eigenen Bedürfnissen entsprechend anzupassen. Das sind die Bestimmungen beispielhafter Natur 6

Z. B. im Urteil 2P.151/1999 vom 30. Mai 2000.

1860

BBl 2017

(mit Ausdrücken wie «may» und «such as» in englischer Originalsprache). Einige Themen des GPA ­ wie der Beitritt neuer Mitgliedstaaten und die Lösung von Konflikten zwischen Mitgliedstaaten ­ betreffen die nationale Gesetzgebung hingegen nicht direkt.

Die Botschaft zur Genehmigung des GPA 2012 enthält eine illustrative Liste mit den zwingenden GPA-Verpflichtungen. Sie informiert zudem im Detail, welche Anpassungen der Gesetzgebungen des Bundes und der Kantone aufgrund der GPA-Revision, insbesondere gemäss den sieben Annexen von Anhang 1 GPA 2012 erfolgen.7

1.1.3

Grundlagen des schweizerischen Beschaffungsrechts

Das GPA 1994 wurde auf Stufe Bund durch das Bundesgesetz vom 16. Dezember 19948 über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) und die zugehörige Verordnung vom 11. Dezember 19959 über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB) umgesetzt. Die VöB ist zum einen ein Ausführungserlass zum BöB, sie enthält zum anderen aber auch gesetzesvertretende Bestimmungen, so zum Beispiel im 3. Kapitel Regeln für Beschaffungen, die nicht dem BöB unterstehen, und im 4. Kapitel Bestimmungen zum Planungs- und Gesamtleistungswettbewerb.

BöB, VöB, die Verordnung des UVEK vom 18. Juli 200210 über die Nichtunterstellung unter das öffentliche Beschaffungsrecht und die Verordnung vom 24. Oktober 201211 über die Organisation des öffentlichen Beschaffungswesens der Bundesverwaltung (Org-VöB) regeln die Vorgaben für die Vergabestellen des Bundes. Die gemäss den internationalen Beschaffungsabkommen massgeblichen Schwellenwerte werden in Schweizerfranken umgerechnet und vom Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) und unter Einbezug der Kantone alle zwei Jahre auf Verordnungsstufe überprüft.

Die Kantone setzten das GPA autonom um mit der Interkantonalen Vereinbarung vom 25. November 1994/15. März 200112 über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) sowie mit kantonalen Ausführungserlassen, mit denen sie die Vergaberichtlinien zur IVöB (VRöB)13 integral oder teilweise in ihren Kompetenzbereich überführten. Gleichzeitig enthält das Binnenmarktgesetz vom 6. Oktober 199514 (BGBM) in Artikel 5 allgemein gehaltene Vorgaben für Beschaffungen von Kantonen, Gemeinden und anderen Trägern kantonaler oder kommunaler Aufgaben.

BöB und VöB traten gemeinsam mit dem GPA 1994 am 1. Januar 1996 in Kraft und erfuhren seither diverse Änderungen. Das Abkommen Schweiz­EU, in Kraft seit 1. Juni 2002, brachte Teilrevisionen des Bundesrechts, namentlich der VöB, aber 7 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. Botschaft zum GPA 2012, Tabelle I und Tabelle II.

SR 172.056.1 SR 172.056.11 SR 172.056.111 SR 172.056.15 Abrufbar unter: www.bpuk.ch > Konkordate > IVöB.

Abrufbar unter: www.bpuk.ch > Konkordate > IVöB > PDF Vergaberichtlinien (VRöB).

SR 943.02

1861

BBl 2017

auch der IVöB, mit sich. Es erweiterte einerseits den Anwendungsbereich des GPA innerhalb der Schweiz auf Bezirks- und Gemeindeebene. Anderseits wurden Beschaffungen in den Sektoren Schienenverkehr, Telekommunikation, Gas- und Wasserversorgung sowie die Beschaffungen durch private Unternehmen in den Sektoren der Wasser-, Elektrizitäts- und Verkehrsversorgung dem GPA unterstellt. Dass die internationalen Verpflichtungen aus dem GPA auf Gesetzesstufe (BöB) und diejenigen des Abkommens Schweiz­EU auf Verordnungsebene (VöB) umgesetzt wurden, erleichterte die Übersicht nicht.

Mit der von der Schweiz ebenfalls ratifizierten EFTA-Konvention bzw. mit deren revidierter Version vom 21. Juni 2001 wurde die mit dem Abkommen Schweiz­EU angestrebte Öffnung der Beschaffungsmärkte zwischen der Schweiz und der EU auf die übrigen EFTA-Staaten ausgedehnt. Bis heute hat die Schweiz zudem eine beachtliche Zahl bilateraler Freihandelsabkommen abgeschlossen, z. B. mit Chile oder Peru. Da gewisse marktzugangsrelevante Beschaffungsabkommen mit Drittstaaten bereits auf der Grundlage der Regeln des GPA 2012 ausgehandelt wurden, werden mit dem revidierten Beschaffungsrecht auch die Verpflichtungen aus diesen Freihandelsabkommen umgesetzt (Kolumbien, Peru, Golfstaaten, Ukraine, Panama, Costa Rica etc.).

Ergänzt wird das Beschaffungsrecht unter anderem durch das BGBM sowie das Kartellgesetz vom 6. Oktober 199515 (KG). Das im Bereich der öffentlichen Beschaffungen nur für die Kantone, Gemeinden und andere Träger kantonaler und kommunaler Aufgaben geltende BGBM erweitert das Diskriminierungsverbot von Anbieterinnen aus GPA- bzw. EU/EFTA-Staaten gegenüber schweizerischen Anbieterinnen um das Diskriminierungsverbot zwischen inländischen, ortsansässigen und ortsfremden Anbieterinnen. Das KG ist für Bund, Kantone und Gemeinden im Zusammenhang mit Submissionskartellen und anderen Abreden oder abgestimmten Verhaltensweisen von Anbieterinnen von Bedeutung.

1.1.4

Gescheiterte Revisionsvorhaben

Das Schweizer Beschaffungsrecht ist föderal geregelt: Bund und Kantone setzten die internationalen Vorgaben autonom um, weshalb bis Ende des 20. Jahrhunderts unterschiedliche Beschaffungsordnungen entstanden. Die damit einhergehenden Probleme für Vergabestellen und Anbieterinnen lieferten dem Parlament schon bald Grund für zahlreiche Vorstösse. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die mittlerweile abgeschriebene Motion Jenny16. Der Bundesrat anerkannte in seiner Stellungnahme vom 21. November 2001 erstmals Handlungsbedarf in Bezug auf eine Revision des Beschaffungsrechts. Auch der Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle vom 11. März 200217 zum öffentlichen Beschaffungswesen der Schweiz kam zum Schluss, dass die Normen des Beschaffungswesens der Schweiz nicht mehr den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen 15 16 17

SR 251 Mo 01.3515, Missbräuche und Willkür bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen.

Parlamentarische Verwaltungskontrolle: Die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens in der Schweiz in juristischer und ökonomischer Hinsicht, Bern 2002.

1862

BBl 2017

Gegebenheiten entsprechen und zu einer volkswirtschaftlich und aussenwirtschaftspolitisch schädlichen Rechtsunsicherheit führen würden. Gestützt darauf wurden in der Folge die Ziele für eine Revision des BöB festgelegt.

Im Mai 2008 eröffnete der Bundesrat schliesslich die Vernehmlassung über einen Vorentwurf zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (nachfolgend VE-BöB 2008). Der darin enthaltene Vorschlag, das schweizerische Beschaffungsrecht teilweise mittels Bundesgesetz zu vereinheitlichen, fand mehrheitlich Zustimmung bei den Wirtschaftsverbänden, wurde jedoch von allen Kantonen als Eingriff des Bundes in ihren verfassungsmässigen Kompetenzbereich verworfen. Nach Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen18 und wegen Verzögerungen bei der Revision des GPA entschied sich der Bundesrat am 17. Juni 2009 für ein etappiertes Vorgehen:

18

19 20

­

Die Arbeiten an der Totalrevision des BöB wurden sistiert, bis Klarheit über das revidierte GPA bestehen würde.

­

Konjunkturpolitisch dringliche Elemente des VE-BöB 2008, die auf Verordnungsstufe eingeführt werden konnten, wurden zeitlich vorgezogen: Mit der auf 1. Januar 2010 in Kraft gesetzten Revision der VöB19 wurden effiziente beschaffungsrechtliche Rahmenbedingungen für die laufenden Konjunkturprogramme geschaffen. Die Vergabeverfahren wurden modernisiert und flexibilisiert, namentlich mittels einer Regelung betreffend neue Informationstechnologien, einer elektronischen Publikationsplattform sowie mit der sogenannten «funktionalen Ausschreibung» und dem Dialog. Dies brachte Kosteneinsparungen, Zeitgewinn und klarere rechtliche Rahmenbedingungen für die Anbieterinnen und die öffentliche Hand mit sich. Ferner enthielt die Revision Bestimmungen, die sich nur indirekt konjunkturfördernd auswirkten, jedoch zur Klärung gewisser Sachverhalte beitrugen und in der Vernehmlassung zum VE-BöB 2008 weitgehend unbestritten geblieben waren (z. B. Möglichkeiten der Fristverkürzung, die Regelung der Vorbefassung oder die Verankerung des Prinzips, dass bei Leistungsort im Ausland mindestens die Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation [ILO] einzuhalten sind).

­

Mit der Botschaft vom 19. Mai 201020 zur Änderung des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (aufschiebende Wirkung von Beschwerden) wurde dem Parlament eine Teilrevision des BöB unterbreitet, die sich auf Massnahmen zur Beschleunigung des Beschaffungsverfahrens beschränkte. Ziel der beantragten Regelung war es, den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel zu fördern und dabei weiterhin einen genügenden Rechtsschutz zu gewährleisten. Weder der Nationalrat noch der Ständerat traten auf die Vorlage ein.

Vgl. Bericht des EFD über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens betreffend den Vorentwurf zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen; www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2008 > EFD.

AS 2009 6149 BBl 2010 4051

1863

BBl 2017

1.1.5

Unterschiede zwischen dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht

Die geltenden Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen weisen Unterschiede auf. Differenzen finden sich insbesondere in folgenden Bereichen:21 persönlicher und sachlicher Geltungsbereich, Schwellenwerte, Anforderungen an die Ausschreibung, Auswahlkriterien (Unterscheidung zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien und deren Gewichtung), Offertöffnung, Preisverhandlungen (sind beim Bund zulässig, nicht aber bei den Kantonen), Ausschluss von laufenden und künftigen Verfahren, Berücksichtigung sogenannt vergabefremder, z. B. sozialpolitisch motivierter, Kriterien, Begründung der Zuschläge und Rechtsschutz.

Derzeit liegt der Schwellenwert, ab dem eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen ist, im Staatsvertragsbereich für Lieferungen und Dienstleistungen für den Bund bei 230 000 Franken, bei den Kantonen bei 350 000 Franken. Aufgrund der Regelung des BGBM, wonach Vorhaben für umfangreiche öffentliche Einkäufe, Dienstleistungen und Bauten publiziert werden müssen, schreiben die Kantone Lieferungen und Dienstleistungen jedoch bereits ab einem Auftragswert von 250 000 Franken öffentlich aus. Bauaufträge werden beim Bund ab 2 Millionen Franken (Staatsvertragsbereich: 8,7 Mio. Fr.) öffentlich ausgeschrieben, bei den Kantonen ab 250 000 Franken (Baunebengewerbe) und 500 000 Franken (Bauhauptgewerbe; Staatsvertragsbereich: 8,7 Mio. Fr.). Im Gegensatz zum Bund unterscheiden die Kantone zwischen Bauhaupt- und Baunebengewerbe. Sie kennen mehrheitlich die Tradition der öffentlichen Offertöffnung. Das Instrument des Dialogs war bisher nur beim Bund auf Verordnungsstufe vorgesehen. Während im kantonalen Recht unterschwellige Vergaben angefochten werden können (vgl. Art. 15 IVöB i. V. m. Art. 9 Abs. 2 BGBM), gibt es bei den «übrigen Beschaffungen» im Bund keinen Rechtsschutz.

Derartige Differenzen erhöhen die Komplexität des Beschaffungswesens und führen zu Unsicherheiten bei den Verfahrensbeteiligten. Nicht nur KMU weisen anlässlich der vom Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) organisierten Informationsveranstaltungen für Anbieterinnen seit Jahren darauf hin, dass die heutige Rechtslage auf Stufe Bund und Kantone nicht nur höchst komplex, sondern auch administrativ sehr aufwendig und kostspielig sei. Eine weitere Folge dieser unterschiedlichen Regelungen ist das Fehlen einer einheitlichen Spruchpraxis der
zuständigen Gerichte. Immerhin steht seit dem Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 200522 (BGG) grundsätzlich der Weg ans Bundesgericht als gemeinsame letzte Gerichtsinstanz offen.

21 22

Vgl. Zufferey Jean-Baptiste / Dubey Jaques, Etude comparative en droit des marchés publics de la Confédération et des Cantons, Fribourg 2003.

SR 173.110

1864

BBl 2017

1.1.6

Gründe für die Revision

Anstösse für die jetzt vorgeschlagene Revision des BöB kommen aus dem internationalen wie aus dem nationalen Bereich: Der Bundesrat unterzeichnete am 21. März 2012 das GPA 2012, unter Vorbehalt der Genehmigung durch das Parlament. Die Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde der Schweiz bei der WTO kann erst nach der Genehmigung des Abkommens und der Anpassung des einschlägigen Bundes- und Kantonsrechts erfolgen (vgl. Ziff. 1.1.1).

Letztere Voraussetzung ist als erfüllt zu betrachten, wenn die eidgenössischen Räte das revidierte BöB und das Interkantonale Organ für das öffentliche Beschaffungswesen (InöB) die Musterbotschaft zur revidierten IVöB verabschiedet haben. Mit Rücksicht auf das Harmonisierungsziel wird das InöB die Musterbotschaft zur revidierten IVöB erst verabschieden, nachdem das Gesetzgebungsverfahren im Bund abgeschlossen wurde.

Des Weiteren erfuhren BöB und VöB bereits verschiedene Teilrevisionen, wobei Regelungsgehalte nicht immer stufengerecht abgebildet wurden. Im Resultat sind die Rechtsgrundlagen von Bund und Kantonen unübersichtlich, zersplittert und nicht immer einfach lesbar. In den letzten Jahren hat sich die Ansicht verstärkt, die Grundlagen seien im Interesse der Schweizer Wirtschaft, wo möglich und sinnvoll, anzugleichen. Seitens des eidgenössischen Parlaments wurde schon verschiedentlich angeregt, das Beschaffungsrecht zu revidieren (vgl. Ziff. 1.8). Ein aktuelles Beispiel ist die Motion Bourgeois23, mit welcher der Bundesrat beauftragt werden soll, in Zusammenarbeit mit den Kantonen dafür zu sorgen, dass die Gesetze von Bund und Kantonen im Bereich des Beschaffungswesens bei der nächsten Revision so weit wie möglich harmonisiert werden. Die Angleichung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen soll es Anbieterinnen, insbesondere auch solchen aus dem KMU-Bereich, künftig erleichtern, sich im Gesetz zurechtzufinden.

Am 2. Juli 2014 beauftragte der Bundesrat das EFD, gemeinsam mit dem WBF auf der Grundlage der mit den Kantonen erarbeiteten Revisionstexte (vgl. Ziff. 1.2.1) mit dem Gesetzgebungsverfahren zur Revision des BöB zu beginnen.

1.2

Die beantragte Neuregelung

1.2.1

Vorarbeiten

Die Federführung für die Revision des BöB und der VöB liegt bei der Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB). Zuständig für Anpassungen der IVöB und der zugehörigen Vergaberichtlinien (VRöB) ist das InöB.

Im Juni 2012 erteilten BKB und die Bau-, Planungs- und UmweltdirektorenKonferenz (BPUK) einer paritätischen Arbeitsgruppe Bund-Kantone namens AURORA den Auftrag, Vorschläge für die Revision der einschlägigen Beschaffungserlasse zu unterbreiten. Nebst einer inhaltlich und formal konsistenten Umset23

Mo 12.3577, Programme zur Steigerung der Energieeffizienz. Berücksichtigung des schweizerischen Arbeitsmarkts. Diese Motion ist in den Räten noch hängig.

1865

BBl 2017

zung des revidierten GPA beim Bund und bei den Kantonen sollten die Beschaffungsordnungen des Bundes und der Kantone unter Beibehaltung der föderalen Kompetenzaufteilung so weit als möglich angeglichen werden. Von Oktober 2012 bis September 2013 erarbeitete die Arbeitsgruppe unter der Leitung einer externen juristischen Fachperson und auf Basis des GPA 2012 Entwürfe für die Anpassung der Bundesgesetzgebung sowie der IVöB. Anlässlich von Hearings erhielten verschiedene Interessengruppen und Fachleute die Gelegenheit, ihre Anliegen einzubringen. Diese wurden nach Möglichkeit berücksichtigt. Am 20. Dezember 2013 verabschiedete die Arbeitsgruppe einen ersten Erlasstextentwurf sowie einen Bericht, die im Rahmen eines gemeinsamen Redaktionsausschusses punktuell ergänzt wurden.

Die Gesetzgebungsverfahren von Bund und Kantonen erfolgen je separat. Das InöB führte die Vernehmlassung zum Entwurf der revidierten IVöB (E-IVöB) im 4. Quartal 2014 durch. Der weitgehend gleichlautende Vorentwurf BöB ging nach einer bundesinternen Ämterkonsultation im Frühsommer 2015 in die Vernehmlassung. Die Ergebnisse der Vernehmlassung auf Stufe Bund bzw. Kantone werden in Ziffer 1.3 zusammengefasst. Im Anschluss an die Vernehmlassungen auf Stufe Bund und Kantone wurden die beiden Vorlagen durch den paritätischen Redaktionsausschuss der Arbeitsgruppe AURORA gemeinsam bereinigt. Dabei galt das Augenmerk wiederum dem Gleichlauf der Regelung im vorliegenden Revisionsentwurf (E-BöB) und im E-IVöB. Abweichungen gibt es nur bei Themen, die für den Bund und die Kantone schon im GPA 2012 unterschiedlich geregelt sind, so zum Beispiel beim subjektiven Geltungsbereich, bei den Schwellenwerten, bei der Publikation freihändig erteilter Zuschläge oder bei Bestimmungen, die nur für den Bund relevant sind (z. B. die Ausnahmeregelung betreffend die Entwicklungshilfe). Abweichungen bestehen auch beim Rechtsschutz und beim Behördenbeschwerderecht der Wettbewerbskommission (WEKO) nach Massgabe des BGBM.

Um die Folgen der Revision eingehend abzuklären, wurde für den Bund eine Studie zur Abschätzung der Regulierungsfolgen (Regulierungsfolgenabschätzung; RFA) durchgeführt.24 Ihr Ziel ist es, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen ausgewählter neuer Bestimmungen und Massnahmen sowie das Gesamtpaket der Vorentwürfe zu analysieren und die möglichen
Konsequenzen für die verschiedenen Akteure aufzuzeigen. Die Ergebnisse der RFA bestätigen die Notwendigkeit des staatlichen Handelns. Die RFA kommt zum Schluss, dass der Handlungsbedarf in der geplanten Ratifizierung des GPA 2012 und insbesondere in der Harmonisierung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen sowie der verbesserten Transparenz und Rechtssicherheit begründet liegt. Die im Rahmen der RFA befragten Fachpersonen befürworten ausnahmslos die Stossrichtung der Revision.

Die Ergebnisse der RFA legen dar, dass die Revision mehrheitlich als pragmatisch bezeichnet wird und der Erlassentwurf sowohl zu einer besseren Verständlichkeit des Beschaffungsrechts als auch zu einer Harmonisierung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen und insgesamt zu mehr Rechtssicherheit führt.

24

Regulierungsfolgenabschätzung: Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen, durchgeführt von B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung Basel (18. Jan. 2016).

1866

BBl 2017

1.2.2

Zielsetzung des Entwurfs für ein neues Beschaffungsgesetz

Umsetzen des GPA 2012 Mit der vorgeschlagenen Revision soll das GPA 2012 auf Stufe Bund und Kantone in nationales Recht umgesetzt werden. Die bisherigen Ziele des Beschaffungswesens ­ wirtschaftlicher Einsatz der öffentlichen Mittel, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung der Anbieterinnen, Förderung des Wettbewerbs sowie Transparenz der Verfahren ­ werden beibehalten. Ein besonderes Augenmerk der Vorlage gilt den Massnahmen gegen Kollusion und Korruption sowie der ausdrücklichen Anerkennung nachhaltiger Beschaffungen.

Harmonisieren des nationalen Beschaffungsrechts Im Rahmen der Revision sollen entsprechend den parlamentarischen Vorgaben die nationalen Beschaffungsregeln soweit möglich und sinnvoll angeglichen werden.

Die Umsetzung des GPA 2012 ins nationale Recht wird zum Anlass genommen, eine Harmonisierung der Beschaffungsordnungen beim Bund und bei den Kantonen herbeizuführen.

Verschiedene Regelungen, die sich bisher für den Bund, die Kantone oder beide bewährt haben, werden in den Gesetzesentwurf übernommen. In Bezug auf den Rechtsschutz werden gewisse, im Ergebnis moderate Neuerungen vorgeschlagen (Art. 51 ff. E-BöB): Mit weitgehend einheitlichen Regeln zur Begründung und Eröffnung von Verfügungen, einheitlichen Beschwerdegründen und ­objekten sowie einer einheitlichen Beschwerdefrist von 20 Tagen soll der Rechtsschutz im Beschaffungswesen angeglichen und kanalisiert werden. Zudem soll der Rechtsschutz bei Bundesbeschaffungen massvoll ausgebaut werden. Festgehalten wird am Grundsatz, dass im Staatsvertragsbereich einer Beschwerde unter gewissen Voraussetzungen aufschiebende Wirkung gewährt werden kann und bis dahin alle Vollzugsvorkehren zu unterbleiben haben. Ausserhalb des Staatsvertragsbereichs rechtfertigt es sich indessen, nicht zuletzt mit Blick auf die zeitaufwendigen Verfahren, nur den sogenannten Sekundärrechtsschutz zu gewähren. Das bedeutet, dass Anbieterinnen in diesen Verfahren nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit vergaberechtlicher Entscheide beantragen können. Dank der vollen Kognition der Beschwerdeinstanz wird ein wirksamer und zumutbarer Gerichtszugang ermöglicht. Anders als in Fällen der Eingriffsverwaltung setzt die Rechtsweggarantie in Vergabesachen keine aufschiebende Wirkung einer Beschwerde voraus. Dieser Rechtsweg soll bei der Beschaffung von Waren
(Lieferungen) und Dienstleistungen bereits ab dem Schwellenwert für das Einladungsverfahren (d. h. ab einem Auftragswert von 150 000 Fr.)

offenstehen. Für Bauleistungen wird neu bereits ab einem Auftragswert von 2 Millionen Franken Sekundärrechtsschutz gewährt.25 Der Ausbau des Rechtsschutzes zeitigt keine Auswirkungen auf die für die öffentlichen Ausschreibungen massgeblichen Schwellenwerte und Verfahren. Diese werden beibehalten. Einem im Rahmen der Vernehmlassung vielfach geäusserten Anliegen folgend werden jedoch 25

Vgl. auch 14.3208 Po Engler, Bekämpfung der Korruption im öffentlichen Beschaffungswesen.

1867

BBl 2017

die für die Wahl des Verfahrens massgeblichen Schwellenwerte im Nicht-Staatsvertragsbereich bei Bund und Kantonen weitgehend angeglichen.

Neu gelten für die Auftraggeberinnen (ohne Sektorenmärkte) die Schwellenwerte gemäss folgender Tabelle: Lieferungen (CHF)

Freihändige Vergabe

Dienstleistungen (CHF)

Bauleistungen (CHF)

Bund: unter 300 000 unter 150 000 unter 150 000 Baunebengewerbe Kantone: unter 150 000

Einladungsverfahren

Offenes / selektives Verfahren

Bauhauptgewerbe Kantone: unter 300 000

Bund: ab 300 000 ab 150 000

Bund: ab 230 000 Kantone: ab 250 000

ab 150 000

Bund: ab 230 000 Kantone: ab 250 000

Baunebengewerbe

Bauhauptgewerbe

Kantone: ab 150 000

Kantone: ab 300 000

Bund: ab 2 Mio.

Baunebengewerbe

Bauhauptgewerbe

Kantone: ab 250 000

Kantone: ab 500 000

Harmonisiert werden soll auch die Terminologie des BöB und der IVöB, und zwar in den drei Amtssprachen. Dies führt insbesondere dazu, dass die italienische Fassung des Bundesgesetzes künftig einen neuen ­ der interkantonalen Terminologie entsprechenden ­ Titel erhält: «Legge federale sugli appalti pubblici» statt «Legge federale sugli acquisti pubblici».

Die angestrebte Angleichung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen wird nur möglich sein, wenn die Grundsätze und Leitlinien des Entwurfs beibehalten werden.

Klären und strukturieren Die Erfahrungen und Entwicklungen seit Inkrafttreten des BöB im Jahr 1996 wurden bei der Revision mitberücksichtigt und gaben wertvolle Impulse für die Optimierung der gesetzlichen Grundlagen. So zeigte sich bei der praktischen Anwendung, dass gewisse Sachverhalte und Begriffe der Klarstellung bedürfen.

In Anlehnung an das GPA 2012 wird das BöB mit Begriffsdefinitionen ergänzt und terminologisch angepasst. Der vorliegende Entwurf enthält einen knappen Katalog von Begriffsdefinitionen (Art. 3 E-BöB), der sich an Artikel I GPA 2012 orientiert.

Insbesondere die Neuregelung des subjektiven Geltungsbereichs (Art. 4 ff. E-BöB) bzw. die Definition des «öffentlichen Auftrags» (Art. 8 und 9 E-BöB) dient dazu, bisher unterschiedlich beantwortete Fragen zum Geltungsbereich des Beschaffungsrechts (z. B. in Bezug auf bestimmte Konzessionen und die Übertragung öffentlicher Aufgaben) zu klären.

1868

BBl 2017

Im Verhältnis zum GPA 1994 sieht das GPA 2012 eine andere Struktur vor. Der Aufbau des Gesetzentwurfs orientiert sich an der neuen Struktur des GPA 2012 sowie am Ablauf eines Vergabeverfahrens. Der Entwurf besteht aus 64 Artikeln, verteilt auf elf Kapitel, sowie aus sechs Anhängen (die Aufhebung und die Änderung anderer Erlasse nicht mitgerechnet). Der grössere Umfang im Vergleich zum geltenden BöB (rund 30 zusätzliche Artikel) ist darauf zurückzuführen, dass wesentliche Inhalte, die bislang auf Verordnungsstufe geregelt wurden, nun stufengerecht im Gesetz enthalten sind ­ z. B. die bisher im 3. Kapitel der VöB geregelten «übrigen Beschaffungen» sowie das Einsichtsrecht gemäss Artikel 5 VöB. Wo nötig, wird das revidierte Gesetz jedoch auch in Zukunft durch eine ausführende Verordnung präzisiert.

Flexibilisieren und modernisieren Das Gesetz will den öffentlichen Auftraggeberinnen und den Anbieterinnen ­ unter Vorbehalt der beschaffungsrechtlichen Grundsätze ­ möglichst grossen Handlungsspielraum gewähren und gleichzeitig den Einsatz moderner Informationstechnologien im öffentlichen Beschaffungswesen fördern. Materiell betreffen die vorgeschlagenen Änderungen des BöB insbesondere die Einführung flexibler Beschaffungsinstrumente, die wiederum die Schaffung innovativer Lösungen ermöglichen.

Damit soll für künftige Entwicklungen, etwa im Bereich der Beschaffung intellektueller Dienstleistungen, der grösstmögliche Handlungsspielraum geschaffen werden.

So werden Instrumente wie Folgebeschaffungen, aber auch der Dialog zwischen Auftraggeberin und Anbieterinnen, die in der Praxis schon länger genutzte Möglichkeit des Abschlusses von Rahmenverträgen (mit sog. Abrufverfahren), die Wettbewerbe und der Studienauftrag jetzt auf Gesetzesstufe verankert. Bei wirksamem Wettbewerb soll künftig sämtlichen ­ und nicht nur wie bis anhin den gemäss Abkommen Schweiz­EU unterstellten ­ Sektorenauftraggeberinnen die Möglichkeit offen stehen, eine Befreiung ihrer Tätigkeiten von der Unterstellung unter das Gesetz zu erwirken. Zur Flexibilisierung des öffentlichen Beschaffungswesens trägt nebst der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für elektronische Auktionen auch bei, dass neu mehrere an einer Beschaffung beteiligte Auftraggeberinnen, die einerseits dem BöB und anderseits der IVöB unterstellt sind, eine Rechtswahl
treffen können. Analog dazu und zur optimalen Ressourcennutzung kann bei der Beschaffung nationaler Infrastrukturen das anwendbare Beschaffungsrecht definiert werden.

Die vorgeschlagenen Normen fördern auch ein modernes Beschaffungsmanagement der öffentlichen Hand (z. B. durch schlanke innerbetriebliche Abläufe und optimale Volumenbündelung).

Weniger Administrativaufwand, mehr Effizienz für Anbieterinnen Die Harmonisierung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen ermöglicht es den Anbieterinnen, ihre Prozesse bei der Einreichung von Offerten weiter zu standardisieren. Sie dürfen, auch zufolge der zu erwartenden einheitlicheren Rechtsprechung sowie der verbesserten Klarheit der gesetzlichen Grundlagen, mit geringerem Abklärungsaufwand rechnen. Gewisse Bestimmungen zielen zudem direkt auf einen Abbau des Administrativaufwands seitens der Anbieterinnen ab: So können die Vergabestellen beispielsweise erst zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt die Nachweise im Zusammenhang mit den Teilnahmebedingungen von Anbieterin1869

BBl 2017

nen einholen (z. B. eine Bankgarantie, Art. 26 Abs. 3 und 27 Abs. 3 E-BöB). Auch die verstärkte Nutzung der modernen Informationstechnologien im öffentlichen Beschaffungswesen, namentlich die gemeinsame Internetplattform von Bund und Kantonen (simap.ch), dürfte den administrativen Aufwand der Anbieterinnen senken.

Die revidierten Beschaffungsregelungen sollen auch auf Seiten der Auftraggeberinnen zu Vereinfachungen führen. Das Beschaffungsrecht soll die Kernaufgaben der Auftraggeberinnen, also die Beschaffungen, unterstützen und nicht erschweren. Dem ist auch bei der Umsetzung und Anwendung des Beschaffungsrechts stets Rechnung zu tragen; die Beschaffungsregeln sind pragmatisch anzuwenden, damit sie zu einfacheren Verfahren führen.

Die Auftraggeberinnen sind gehalten, die ihnen anvertrauten öffentlichen Mittel nachhaltig einzusetzen. Sie haben daher die vom Beschaffungsrecht vorgegebenen Instrumente im Interesse der jeweiligen konkreten Beschaffung optimal zu wählen, den gewährten weiten Ermessensspielraum auch mit Blick auf Aufwand und Nutzen zu verwenden und die Vorgaben pragmatisch, effizient und lösungsorientiert umzusetzen. Den Auftraggeberinnen ist es stets gestattet, der Qualität der Leistung einen hohen Stellenwert einzuräumen. Bei Beschaffungen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs können Kriterien festgelegt werden, welche die inländische Produktion oder Leistungserbringung unterstützen ­ dies immer mit dem Ziel des nachhaltigen Einsatzes der öffentlichen Mittel und der Gleichbehandlung der Anbieterinnen vor Augen.

1.2.3

Wichtigste Neuerungen

Der Gesetzesentwurf bzw. der Entwurf für die IVöB überführt unter anderem die verpflichtenden Bestimmungen des GPA 2012 und der beschaffungsrelevanten Abkommen mit Drittstaaten ins schweizerische Recht. Der Bund und die Kantone nutzen die Einführung des GPA 2012 und den sich daraus ergebenden Anpassungsbedarf auch zur Harmonisierung ihrer Beschaffungsordnungen. Es werden daher gesamtschweizerisch einheitliche beschaffungsrechtliche Grundsätze und Regelungen für einen funktionierenden Binnenmarkt vorgeschlagen.

Als wichtige Neuerungen sind neben den bereits genannten Klärungen zu erwähnen: ­

die Unterstellung der Verleihung bestimmter Konzessionen und der Übertragung gewisser öffentlicher Aufgaben unter das Beschaffungsrecht;

­

die elektronische Abwicklung von Beschaffungsverfahren;

­

die Einführung flexibler Instrumente wie Dialog (bisher auf Verordnungsstufe geregelt), Rahmenverträge, elektronische Auktionen sowie verkürzte Fristen;

­

die Korruptionsprävention im öffentlichen Beschaffungswesen;

­

das Verbot sogenannter Abgebotsrunden (das bereits als Grundsatz in Art. 11 Bst. c IVöB enthalten ist);

1870

BBl 2017

­

die modifizierte Regelung des Ausstands aufgrund der Besonderheiten des Vergabeverfahrens;

­

die systematische Regelung der Ausschluss- und Sanktionstatbestände;

­

die Einführung einer zentralen ­ nicht öffentlichen ­ Liste mit Anbieterinnen und Subunternehmerinnen, die von künftigen Beschaffungsvorhaben ausgeschlossen sind;

­

die Publikation des Verfahrensabbruchs zur Stärkung der Transparenz;

­

der moderate Ausbau des Rechtsschutzes im Einklang mit der Rechtsweggarantie der Verfassung;

­

die adhäsionsweise Erledigung von Schadenersatzbegehren durch die Beschwerdeinstanz.

Wertvoll ist neben alledem, dass die bewährte Praxis und die Rechtsprechung von Bund und Kantonen in den neuen Entwurf eingeflossen sind. All dies soll letztlich Anbieterinnen den Marktzutritt erleichtern und damit den Wettbewerb sowie die Wirtschaftlichkeit stärken. Im Übrigen ist die Revision vom Ziel geleitet, an Bewährtem festzuhalten und in der Folge zum Abbau des Administrativaufwands bei den Anbieterinnen beizutragen.

1.2.4

Exkurs: Intellektuelle Dienstleistungen

In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Vergabe intellektueller Dienstleistungen Eigenheiten aufweist, die neue Wege bei der Ausgestaltung der Vergaben erforderlich machen. Auch die Wirtschaft und die Politik26 weisen auf die Besonderheiten der Beschaffung intellektueller Dienstleistungen hin. Die Vergabe intellektueller Dienstleistungen dürfte weiter zunehmen und damit an Bedeutung gewinnen. Intellektuelle Fähigkeiten und Innovationskraft sind insbesondere bei Leistungen gefragt, die eine grosse Hebelwirkung für eine längere Dauer haben können (bspw. Planerleistungen oder IKT-Strategie- oder -Konzeptleistungen). Darauf hat das Vergabeverfahren gebührend Rücksicht zu nehmen.

Speziell für die Vergabe intellektueller und innovativer Dienstleistungen stellt das revidierte Beschaffungsrecht drei Instrumente zur Verfügung: ­

Wettbewerbe (Art. 22);

­

Studienaufträge (Art. 22);

­

Dialog (Art. 24).

Den Auftraggeberinnen und den Anbieterinnen stehen damit flexible Instrumente zur Verfügung, die sie in der Praxis je nach Bedarf gestalten und anwenden sollen.

Die drei Instrumente eignen sich nicht nur für Beschaffungen im Baubereich, sondern auch in anderen Märkten.

26

Vgl. 16.3785 Po Français, Öffentliche Beschaffungen. Massnahmen im Bereich der Planerleistungen und 16.3493 Ip Français, Öffentliche Beschaffungen, Dienstleistungen zu welchem Preis?

1871

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Sowohl beim Studienauftrag als auch beim Dialog können sich Auftraggeberin und Anbieterin austauschen und sich so schrittweise den gesuchten Handlungsoptionen bzw. Lösungsmöglichkeiten annähern, die in der Folge geprüft und bewertet werden.

Die Qualität des Austauschs und der gemeinsamen Überlegungen der Auftraggeberin und der Anbieterin ist ein wichtiger Faktor für den Projekterfolg.

Ein solches Vorgehen ersetzt aber nicht eine frühzeitige und vorausschauende Planung der zuständigen Strategieorgane und Fachstellen. Mit anderen Worten: Das BöB und die VöB können lediglich geeignete Instrumente für das Vergabeverfahren zur Verfügung stellen. Es ist jedoch die Aufgabe der für das jeweilige Projekt zuständigen Auftraggeberin, diese Instrumente situativ und pragmatisch anzuwenden.

Nur so kann der nachhaltige Einsatz der öffentlichen Mittel sichergestellt werden.

Bei der Vergabe intellektueller Dienstleistungen kommt dem Verhältnis von Preis und Qualität eine besondere Bedeutung zu. Damit insbesondere im Bereich der Konzeption und Planung die Ausführung eines Auftrags den Ansprüchen der Beschaffungsstelle genügt, muss im Rahmen der Zuschlagskriterien die Qualität stärker als der Preis gewichtet werden. Die Auftraggeberin hat im Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden, welche Gewichtung dem Preis zukommen soll; das Preiskriterium vollständig weglassen darf sie aber nicht. Zwecks Optimierung der Beschaffungspraxis muss die Auftraggeberin ihren Vergabeentscheid so treffen, dass die Qualität des Konzepts bzw. der Planung ­ dank deren Hebelwirkung ­ sich nachhaltig auf das gesamte Projekt und seine Realisierung bzw. seinen Betrieb auswirkt: Investitionen in die Vorbereitung und die Planung eines Projekts, welche beispielsweise die Erarbeitung und Bewertung von Handlungsoptionen enthalten, zahlen sich später aus; dadurch sind in der Regel die Gesamtkosten tiefer, und der Nutzen ist grösser.

Diesem Umstand ist bei der Ausgestaltung der Bewertungsmatrix und somit auch bei der Gewichtung des Preises Rechnung zu tragen.

Der Bundesrat wird die Entwicklung der Praxis verfolgen und bei Bedarf dem Parlament Anpassungen des Gesetzes beantragen oder Anpassungen in der Verordnung vornehmen.

Weitere Ausführungen zur Vergabe intellektueller Dienstleistungen finden sich bei den Erläuterungen zu den Artikeln 21, 22 und 24.

1872

BBl 2017

1.2.5

Exkurs: Sprachanforderungen

Anliegen zu den Amtssprachen im öffentlichen Beschaffungswesen bildeten wiederholt Gegenstand parlamentarischer Vorstösse.27 Um dieser Thematik vertieft nachzugehen, veranlasste der Bundesrat eine gesamtheitliche Studie.28 Zudem hat die BKB Empfehlungen zur Förderung der Mehrsprachigkeit im öffentlichen Beschaffungswesen abgegeben.29 In der Vernehmlassung wurde vorgeschlagen, bei Bauleistungen die Ausschreibung wenigstens in der Amtssprache am Standort der Baute zu publizieren, die Eingaben der Anbieterinnen in allen Amtssprachen zuzulassen und im Einladungsverfahren wenn möglich mindestens ein Angebot aus einem anderen Sprachraum einzuholen.

Zu den vorgeschlagenen Bestimmungen ergab sich kein eindeutiges Bild. Die Vernehmlassungsteilnehmenden erachteten sie mehrheitlich als ausreichend. Jedoch wurde auch vielfach befürchtet, dass dadurch erhöhte Verwaltungskosten entstehen.

Eine nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens durchgeführte Kostenschätzung zeigte, dass zusätzliche Übersetzungen der Ausschreibungen oder Ausschreibungsunterlagen im Beschaffungsverfahren signifikante Mehrkosten verursachen würden.30 Solche Mehrkosten stünden jedoch im Widerspruch zu den seit der Einreichung der Vorstösse erheblich verschärften finanzpolitischen Rahmenbedingungen und den rigoroseren Sparvorgaben des Parlaments. Auf zusätzliche Übersetzungen im Zuge der Ausschreibung soll daher verzichtet werden.

Dennoch kann den unterschiedlichen sprachlichen Verhältnissen in der Schweiz vermehrt Rechnung getragen werden. Dieser Grundsatz soll neu auf Gesetzesstufe verankert werden (vgl. Art. 48 Abs. 5 zweiter Satz E-BöB). Der Bundesrat beabsichtigt dementsprechend, Folgendes auf Verordnungsstufe vorzusehen: Bei Bauleistungen ist die Ausschreibung wenigstens in der Amtssprache am Standort der Baute, bei Lieferungen und Dienstleistungen in wenigstens zwei Amtssprachen zu publizieren.

Bei Leistungen im Ausland oder im Bereich von hochspezialisierten technischen Leistungen kann die Ausschreibung ausnahmsweise nur in einer Amtssprache des Bundes und zusätzlich in einer anderen Sprache veröffentlicht werden. Die Ausschreibungsunterlagen sollen aus den erwähnten erheblichen Kostengründen nicht in mehreren Sprachen vorgelegt werden müssen. Wie in der Vernehmlassung vorgeschlagen, soll im Einladungsverfahren nach Möglichkeit mindestens ein Angebot von einer Anbieterin aus einer anderen Sprachregion eingeholt werden. Um den 27

28

29

30

Z. B. 12.3739 Mo Hodgers, Öffentliche Beschaffungen des Bundes. Gleiche Rechte für die Sprachregionen; 12.3914 Mo de Buman, Ausschreibungsverfahren in den drei Amtssprachen des Bundes; 12.3910 Po Darbellay, Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen. Stopp dem Missstand; 13.4042 Mo Bourgeois, Beschaffungswesen. Möglichkeit, das Angebot in der Amtssprache eigener Wahl einzureichen; 14.3885 Ip Cassis, Öffentliches Beschaffungswesen. Gesamtes Vergabeverfahren in der Amtssprache des Standortes der Bauten.

Vgl. Zusammenfassung der Studie «Sprachbarrieren im öffentlichen Beschaffungswesen der Bundesverwaltung?». Abrufbar unter: www.bkb.admin.ch > Öffentliches Beschaffungswesen > Förderung der Mehrsprachigkeit.

EFD/BBL/BKB, Empfehlung Förderung Mehrsprachigkeit, Bern, 2014. Abrufbar unter: www.bkb.admin.ch > Öffentliches Beschaffungswesen > Förderung der Mehrsprachigkeit.

Vgl. Ziff. 3.1.1.

1873

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erwarteten erheblichen Mehrkosten bzw. Fehlerrisiken zufolge von Übersetzungen entgegenzuwirken, behält sich der Bundesrat hingegen vor, dass für Eingaben der Anbieterinnen eine bestimmte Amtssprache vorgegeben werden kann. Der Bundesrat ist überzeugt, mit diesen Massnahmen auf Verordnungsstufe die Mehrsprachigkeit in der Schweiz pragmatisch und angemessen zu berücksichtigen. Er wird die Anwendung dieser Regelungen aufmerksam verfolgen und ist bereit, aufgrund der Erfahrungen mittelfristig zu prüfen, ob weitere Massnahmen angezeigt sind.

1.3

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Das Vernehmlassungsverfahren zur Revision des Beschaffungsrechts des Bundes dauerte vom 1. April bis 1. Juli 2015. Die interessierten Kreise nahmen rege an der Vernehmlassung teil; so gingen 109 Stellungnahmen sowie 48 ausgefüllte Fragebogen ein.31 Die Vernehmlassung zum E-IVöB fand vom 22. September bis am 19. Dezember 2014 statt.32 Es beteiligten sich dabei alle Kantone sowie 58 Organisationen und Einzelpersonen. Nachstehend werden die Resultate der Vernehmlassung im Bund zusammengefasst.

Generelle Bewertung der Vorlage durch die Vernehmlassungsteilnehmenden Fast alle Vernehmlassungsteilnehmenden befürworten die Vernehmlassungsvorlage und die grundsätzliche Ausrichtung der Revision. In etlichen Stellungnahmen wird die Vorlage gegenüber der geltenden Gesetzgebung als klarer strukturiert, übersichtlicher, moderner sowie als grundsätzlich der Rechtssicherheit zutragend beschrieben. Insbesondere die beiden übergeordneten Zielsetzungen der Vorlage, die Umsetzung des GPA 2012 in die nationale Gesetzgebung sowie die Harmonisierung der Beschaffungserlasse von Bund und Kantonen, stossen auf eine grosse Akzeptanz.

Dabei wird die grundsätzliche Ausrichtung nach den Prinzipien der Transparenz, Nichtdiskriminierung, Vermeidung von Korruption, Förderung des Wettbewerbs, Nennung von Umweltschutzzielen usw. von den Adressatinnen und Adressaten als positiv erachtet. Zahlreiche Teilnehmende unterstützen explizit, dass die Überführung der staatsvertraglichen Verpflichtungen in die nationale Gesetzgebung dazu genutzt wird, das Beschaffungsrecht der Schweiz weitgehend zu harmonisieren. In verschiedenen Stellungnahmen wird die Arbeit der Arbeitsgruppe AURORA ausdrücklich begrüsst.

Gleichzeitig bringen die Vernehmlassungsteilnehmenden zahlreiche Verbesserungsvorschläge zu den einzelnen Bestimmungen an und weisen eingehend auf materiellen und formellen Korrekturbedarf hin.

Die grosse Mehrheit der Kantone äussert sich nicht im Detail, sondern verweist auf die Stellungnahme des InöB. Dieses wiederum verweist auf die von den Kantonen im Jahr 2014 durchgeführte Vernehmlassung zum E-IVöB, in welcher die vorge31

32

Die Vernehmlassungsunterlagen sowie der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung sind abrufbar unter: www.bundesrecht.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2015 > EFD.

Die Vernehmlassungsunterlagen sowie der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung sind abrufbar unter: www.bpuk.ch > Konkordate > IVöB > E-IVöB.

1874

BBl 2017

schlagene Harmonisierung des schweizerischen Beschaffungsrechts von der überwiegenden Mehrheit der Kantone grundsätzlich begrüsst worden ist. Die parallel erarbeiteten Bestimmungen würden effiziente und wirtschaftliche Beschaffungsverfahren gewährleisten. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Projekt AURORA seien von Respekt, Vertrauen und Transparenz geprägt gewesen. Das InöB und damit die Kantone plädieren zudem dafür, das richtige Augenmass zu wahren und sich in den Bereinigungsrunden zwischen Bund und Kantonen auf die wesentlichen und berechtigten Anliegen zu fokussieren.

Harmonisierung Als eines der beiden Hauptziele der Revision des öffentlichen Beschaffungsrechts wird die Harmonisierung der Beschaffungserlasse von Bund und Kantonen in der Vernehmlassung allgemein begrüsst. Gemäss Stellungnahme des InöB sprechen sich auch die Kantone mit einer überwiegenden Mehrheit für die Harmonisierung der nationalen Beschaffungserlasse aus. Abgelehnt werden die Harmonisierungsbestrebungen einzig vom Kanton Solothurn und von der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die Tatsache, dass Bund und Kantone die von der Arbeitsgruppe AURORA ausgearbeitete Vorlage unverändert in die Vernehmlassung gegeben haben, wird von zahlreichen Teilnehmenden begrüsst.

Rechtsschutz In der Vernehmlassungsvorlage wurde vorgeschlagen, künftig bei sämtlichen Beschaffungen ab einem Auftragswert von 150 000 Franken Rechtsschutz zu gewähren. Eine Erweiterung des Rechtsschutzes wird im Rahmen der Vernehmlassung grossmehrheitlich begrüsst. Insbesondere die Wirtschafts- und Industrieverbände befürworten den Ausbau des Beschwerderechts mit grosser Mehrheit. Etliche Befürworterinnen und Befürworter verlangen jedoch, dass der Rechtsschutz nicht von einem bestimmten Auftragswert, sondern von der Verfahrensart abhängig gemacht wird. Verschiedene Adressatinnen und Adressaten fordern gar, Rechtsschutz für alle Beschaffungen (ab 1 Fr.) zu gewähren.

Staatliche und staatsnahe Institutionen sowie Betriebe des Bundes lehnen die Ausdehnung des Rechtsschutzes ab.

Verhandlungen Ein zentrales Thema der Harmonisierungsbestrebungen stellen die Verhandlungen gemäss Artikel 26 VE-BöB dar. Die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung zeigen diesbezüglich kein eindeutiges Bild. Staatsnahe oder staatliche Institutionen (z. B. SBB und Post) befürworten
die Möglichkeit zur Verhandlungsführung und beantragen, dass auf jegliche Einschränkungen der Verhandlungen verzichtet wird.

Hingegen sprechen sich die Wirtschafts- und Industrieverbände grösstenteils ausdrücklich gegen die Möglichkeit aus, reine Preisverhandlungen führen zu können.

Die sich in der Vernehmlassung des Bundes äussernden Kantone, der Städteverband sowie weitere Verbände lehnen Verhandlungen grundsätzlich ab. Während sich die Verbände der Bauwirtschaft (z. B. Schweizerischer Baumeisterverband) dazu ebenfalls mehrheitlich ablehnend äussern, erachten andere Adressatinnen und Adressaten Verhandlungen als wertvolles Instrument bei komplexen Beschaffungen. Vertrete1875

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rinnen und Vertreter der Lehre raten in diesem Zusammenhang entschieden davon ab, dass Bund und Kantone die gleiche Bestimmung unterschiedlich auslegen.

Leistungs- oder Herkunftsortsprinzip Unterschiedlich diskutiert wird, ob Zuschlagsempfängerinnen die Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen (Art. 14 VE-BöB) an ihrem Sitz- oder Niederlassungsort («Herkunftsorts-Prinzip») oder am Ort der Leistungserbringung («Leistungsorts-Prinzip») einhalten müssen. Es sprechen sich mehr Vernehmlassungsteilnehmende für das Leistungsorts- als für das Herkunftsorts-Prinzip aus, wobei die Befürworter des Leistungsorts-Prinzips für eine Beibehaltung der bisherigen Regelung sind.

Struktur, Aufbau und Verständlichkeit Insgesamt werden Struktur, Konzeption und Aufbau der Revisionsvorlagen in der Vernehmlassung als gut bewertet. In verschiedenen Stellungnahmen wird die Struktur des Vorentwurfs im Vergleich zu den heutigen Erlassen als klarer, deutlicher und vollständiger beschrieben. Als positiv wird hervorgehoben, dass der Aufbau der Erlasse nun weitgehend der Abfolge des öffentlichen Vergabeverfahrens entspricht.

Die Verständlichkeit sowie die gesetzestechnische Qualität der Revisionsvorlagen wird von den Vernehmlassungsteilnehmenden mit gut bewertet.

Auswirkung auf den administrativen Aufwand der Anbieterinnen Den höchsten Nutzen sehen die Vernehmlassungsteilnehmenden in der Harmonisierung der Beschaffungsordnungen des Bundes und der Kantone. Eine klare Mehrheit rechnet damit, dass durch die Angleichung der Rechtgrundlagen der administrative Aufwand auf Seiten der Anbieterinnen gleich bleiben oder abnehmen wird.

Regelungen betreffend Verfahrenssprachen Die Stellungnahmen zu den Verfahrenssprachen zeigen kein klares Bild. Allerdings sind verschiedene Grundtendenzen erkennbar. Die Anbieterinnen, besonders im Baubereich, sind dafür, dass die Publikation der Ausschreibung und des Zuschlags in der Sprache des Standorts der Bauten erfolgt. Sie verlangen zudem, dass auch die Ausschreibungsunterlagen übersetzt werden. Die bundesnahen Betriebe und Institutionen sind gegen eine Erweiterung der zulässigen Sprachen, da ein hoher Mehraufwand für die Übersetzungen befürchtet wird. Organisationen und Institutionen aus der Romandie sowie dem Tessin monieren hingegen, die Förderung der Mehrsprachigkeit in der Revision
werde zu wenig berücksichtigt.

Einsichtsrecht Das nach Artikel 18 VE-BöB vorgeschlagene Einsichtsrecht wird insbesondere von diversen Wirtschaftsvertretern abgelehnt. Argumentiert wird etwa, die vorgeschlagene Regelung bedeute einen ungerechtfertigten und schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit.

1876

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Nachhaltigkeit Die zentralere Darstellung der Nachhaltigkeitsaspekte in den revidierten Beschaffungserlassen stösst auf überaus breite Zustimmung. Zahlreiche Teilnehmende (z. B.

NGO-Koalition nachhaltige Beschaffung, Grüne, SP, SGB, Swiss Textiles) beschreiben die Revisionsvorlage in dieser Hinsicht gleichwohl als verbesserungswürdig und fordern einen noch weitergehenden Einbezug dieser Anliegen. In wenigen Stellungnahmen (z. B. SVP, FDP, swissmem) wird hingegen moniert, mit der Nachhaltigkeit würden vergabefremde Kriterien in den öffentlichen Beschaffungsprozess miteinbezogen. Die Erwähnung der Nachhaltigkeit im Zweckartikel (Art. 1 VE-BöB) wird von diesen Stellen abgelehnt.

Weitere Rückmeldungen Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmende begrüssen explizit, dass die Revisionsentwürfe im Sinn der Flexibilisierung diverse neue Elemente (z. B. elektronische Auktionen, Art. 25 VE-BöB) vorsehen bzw. bereits bestehende Instrumente nun auf Gesetzesstufe klarer geregelt werden (z. B. Dialog, Art. 28 VE-BöB).

Zahlreiche Wirtschafts- und Industrieverbände (z. B. economiesuisse, BSA, SFIG, Infra, SIA, Swissmem, FMB, Usic, FER, CCIG, VSEI / USIE, bauenschweiz, SMU) bemängeln, dass den komplexen Beschaffungen zu wenig Rechnung getragen und das Preiskriterium allgemein zu hoch gewichtet werde.

Wenige Rückmeldungen gingen zu Themen wie Konzessionen, Subventionen und Behördenbeschwerderecht der WEKO ein. Die Antworten sind zudem heterogen und ergeben insgesamt kein repräsentatives Vernehmlassungsergebnis.

Verhältnis von Beschaffungsrecht und Binnenmarktgesetz Bereits im Rahmen der paritätischen Arbeitsgruppe des Bundes und der Kantone äusserten die Kantone starke Vorbehalte gegen die Fortgeltung der vergaberechtlichen Bestimmungen des BGBM nach vollzogener Harmonisierung von IVöB und BöB. Sie verwiesen auf die unscharfen Regelungen des BGBM, die neben den detaillierten Bestimmungen der IVöB keinen Zusatznutzen bedeuteten. Mit dem Einbezug der Konzessionen in das Beschaffungsrecht wurde der Weiterbestand von Artikel 2 Absatz 7 BGBM infrage gestellt, da die Kantone dies als Doppelspurigkeit erachten. Die Kantone wiesen auf die schweizweite Geltung der IVöB und die positiven Erfahrungen aus über zwanzig Jahren harmonisierter kantonaler Vergabepraxis hin. Zudem beantragten die Kantone die ersatzlose Streichung
von Artikel 9 Absätze 2 und 3 BGBM.

Die Kantone gaben im Rahmen der paritätischen Arbeitsgruppe wiederholt ihrem Unmut über das Behördenbeschwerderecht der WEKO (Art. 9 Abs. 2bis BGBM) Ausdruck, das sie als Eingriff in originäre kantonale Zuständigkeiten kritisieren. Aus der Sicht der Kantone verhindern bereits die geltenden Transparenznormen der IVöB und der niederschwellige Rechtsschutz der Konkurrenten wirksam, dass kantonale oder kommunale Beschaffungsorgane ortsfremde Anbieter diskriminieren.

Eine Aufsichtsfunktion der WEKO über das gesamte kantonale und kommunale Beschaffungswesen lehnen die Kantone daher mit Hinweis auf die fehlende Bundeskompetenz als verfassungswidrig und unnötig ab.

1877

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1.4

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Der Bundesrat beantragt eine Totalrevision des BöB, welche die Neuerungen des GPA 2012 umsetzt und zu einer weitgehenden Harmonisierung der Beschaffungsregelwerke von Bund und Kantonen beiträgt. Damit werden namentlich folgende Verbesserungen angestrebt: ­

Durch die Harmonisierung kann einem langjährigen Bedürfnis der Schweizer Wirtschaft entsprochen und die Anwendung des Beschaffungsrechts insbesondere für die Anbieterinnen vereinfacht werden.

­

Mit der Revision und der damit verbundenen Ratifizierung des GPA 2012 wird der Marktzugang für Schweizer Unternehmen erweitert.

­

Die Verleihung gewisser Konzessionen sowie die Übertragung bestimmter öffentlicher Aufgaben nach den Regeln des Beschaffungsrechts führen zu mehr Rechtssicherheit und Transparenz.

­

Die moderate Ausweitung des Rechtsschutzes trägt der verfassungsmässigen Rechtsweggarantie Rechnung.

­

Durch die Nennung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit im Zweckartikel können mit der vorliegenden Revision umweltund sozialpolitische Zielsetzungen der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016­2019 besser umgesetzt werden.

Was das Verhältnis von Beschaffungsrecht und BGBM betrifft, ist auf Folgendes hinzuweisen: Artikel 95 Absatz 2 der Bundesverfassung33 (BV) beauftragt den Bund damit, für einen einheitlichen schweizerischen Wirtschaftsraum zu sorgen. Dieser Verfassungsauftrag ist ein Ausfluss der Wirtschaftsfreiheit.34 Er ist also von unmittelbarer grundrechtlicher Relevanz. Bei öffentlichen Beschaffungen besteht die Gefahr, dass bestimmte Anbieterinnen aufgrund von Ortsgebundenheit, persönlichen Beziehungen, bestehenden Vertragsbeziehungen oder anderen Präferenzen gegenüber anderen Anbieterinnen bevorzugt werden. Solche Privilegierungen sind binnenmarktwidrig. Deshalb enthält das BGBM bestimmte Mindestanforderungen, welche die Kantone und Gemeinden sowie andere Träger kantonaler oder kommunaler Aufgaben bei ihren Beschaffungen zu beachten haben (Art. 2 Abs. 7, Art. 5 und Art. 9 BGBM). Nach Artikel 8 BGBM überwacht die WEKO die Einhaltung des BGBM durch Kantone und Gemeinden sowie andere Träger kantonaler oder kommunaler Aufgaben. Dieser Auftrag findet seine Grundlage in Artikel 49 Absatz 2 BV. Dass die WEKO zur Wahrnehmung dieses Auftrags nach Artikel 9 Absatz 2bis BGBM das Recht hat, gegen binnenmarktwidrige Beschaffungen Beschwerde zu erheben, ist keine Besonderheit. Vielmehr hat nach Artikel 89 Absatz 2 Buchstabe a BGG jedes eidgenössische Departement in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein Behördenbeschwerderecht. Dieses ist ein notwendiges und effizientes Instrument der Bundesaufsicht. In Beschaffungsangelegenheiten ist die Behördenbeschwerde von besonderer Bedeutung, da die beschwerdelegitimierten 33 34

SR 101 Vgl. Peter Hettich, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, zu Art. 95 BV, N 13 ff.

1878

BBl 2017

Unternehmen aus wirtschaftlichen oder strategischen Gründen oftmals kein Rechtsmittel ergreifen. Aus diesem Grund ist es gerechtfertigt, dass eine unabhängige Behörde im öffentlichen Interesse eines offenen Binnenmarkts Beschwerde führen kann. Wenn die WEKO von ihrem Beschwerderecht Gebrauch macht, leistet sie damit zugleich einen Beitrag für eine einheitliche Praxis in kantonalen und kommunalen Beschaffungsfragen. Dies liegt auch im Interesse der Anbieterinnen und der Steuerzahler. Die Behördenbeschwerde nach Artikel 9 Absatz 2bis BGBM führt überdies zu keinen Beschaffungsverzögerungen, da die WEKO nur die Feststellung eines Rechtsverstosses, nicht aber die Aufhebung der Zuschlagsverfügung beantragen kann (Art. 9 Abs. 3 BGBM). Der Bundesrat sieht daher keinen Anlass, das Behördenbeschwerderecht der WEKO aufzuheben. Er anerkennt aber, dass die Revisionsvorlage für eine neue IVöB weitgehend mit dem revidierten BöB übereinstimmt und den Anforderungen des BGBM entspricht. Diesem Umstand soll mit der neuen gesetzlichen Vermutung Rechnung getragen werden, dass die Anforderungen des BGBM als erfüllt gelten, wenn sich eine Beschaffung auf die revidierte IVöB stützt (vgl. die Erläuterungen zur beantragten Änderung von Art. 5 Abs. 1 BGBM).

Das Begehren, Artikel 9 Absatz 2 BGBM ersatzlos aufzuheben, ist aus grundsätzlichen Überlegungen abzulehnen. Die Tatsache, dass die Kantone einem bundesrechtlichen Rechtsetzungsauftrag nachgekommen sind, führt nie dazu, dass dieser Auftrag anschliessend aufgehoben wird. Vielmehr behält dieser Auftrag mit Blick auf mögliche Änderungen des kantonalen Rechts seinen Sinn. Vorliegend ist aber zu anerkennen, dass der Auftrag, im kantonalen Recht wenigstens ein Rechtsmittel gegen Beschränkungen des freien Marktzugangs vorzusehen, bei öffentlichen Beschaffungen zu weit geht. Der Bundesrat schlägt daher vor, diese Bestimmung in Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu präzisieren (vgl. die Erläuterungen zur beantragten Änderung von Art. 9 Abs. 2 BGBM).

Im Rahmen der RFA wird festgestellt, dass die angestrebten Ziele der Revision mit dem vorliegenden Entwurf erreicht werden können.

Die Durchführung der Vernehmlassungen auf Stufe Bund und Kantone auf Grundlage weitgehend identischer Revisionsvorlagen ermöglichte eine vergleichbare Auswertung der Rückmeldungen. Die
in den Rückmeldungen ausgedrückte breite Akzeptanz der beiden übergeordneten Zielsetzungen der Revisionsarbeiten ist besonders positiv zu bewerten (vgl. Ziff. 1.3). Die deutliche Zustimmung zu den Harmonisierungsbestrebungen wurde zum Anlass genommen, dieses Ziel weiter zu verfolgen.

Der Vernehmlassungsentwurf ist nach der Vernehmlassung durch den paritätischen Redaktionsausschuss der Arbeitsgruppe AURORA redaktionell überarbeitet worden.

Die in der Vernehmlassung vorgebrachten Verbesserungsvorschläge bzw. die materiellen und formellen Anpassungsanträge zu einzelnen Themen wie namentlich den Verhandlungen (bzw. den reinen Preisverhandlungen) und zum Rechtsschutz veranlassten den paritätischen Redaktionsausschuss, tragfähige Kompromisse zu suchen.

Zudem konnten verschiedene offene Anliegen der Bundesstellen gewichtet und aufgenommen werden. Die materiellen Änderungen betreffen insbesondere Verhandlungen (die Vorlage enthält nun ein Verbot von Abgebotsrunden), den Rechtsschutz (insbesondere für Bauleistungen wird im Bundesrecht neu eine Streitwertgrenze von 2 Mio. Fr. vorgeschlagen, ab der ein Feststellungsbegehren zulässig ist) 1879

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sowie die für die Wahl des Vergabeverfahrens massgeblichen Schwellenwerte im Nicht-Staatsvertragsbereich. Während bei Letzteren eine Annäherung zwischen Bund und Kantonen erreicht und damit ein Anliegen diverser Vernehmlassungsadressaten umgesetzt werden konnte, wird es in Bezug auf den Rechtsweg für den Bund und die Kantone weiterhin gewisse Unterschiede geben.

1.5

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Die öffentlichen Beschaffungen in der Schweiz decken einen bedeutenden Bereich der schweizerischen Volkswirtschaft ab. Angesichts dessen überwiegt der Nutzen der Harmonisierung einen nur leicht erhöhten administrativen Aufwand der öffentlichen Auftraggeberinnen sowie damit verbundene Kosten. Diese sind unter anderem aufgrund des moderaten Ausbaus des Rechtsschutzes sowie der Umsetzung parlamentarischer Vorstösse zu erwarten.

Auf der andern Seite können sich die erhöhte Rechtssicherheit, die neuen Vergabeinstrumente sowie der gestärkte Wettbewerb unter den Anbieterinnen positiv auf das Preis-Leistungs-Verhältnis oder die Qualität der Beschaffungen auswirken und damit zu Kosteneinsparungen bei der öffentlichen Hand führen.

1.6

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die Verpflichtungen der Schweiz im Zusammenhang mit dem öffentlichen Beschaffungswesen ergeben sich aus einer Reihe internationaler Abkommen, allen voran aus dem GPA und dem Abkommen Schweiz­EU. Der Vorrang des Völkerrechts gebietet, den sogenannten Staatsvertragsbereich ­ gemeint sind die internationalen Verpflichtungen der Schweiz im Zusammenhang mit dem öffentlichen Beschaffungswesen ­ vom weiteren Anwendungsbereich des innerstaatlichen Beschaffungsrechts zu unterscheiden. Eine autonome Umsetzung oder Auslegung der völkerrechtlichen Vorgaben ist nur, aber immerhin so weit möglich, als der jeweilige Staatsvertrag dies erlaubt.

Das GPA gibt Grundsätze vor und konkretisiert diese in Teilbereichen. Die nationalen Beschaffungsgesetze der Mitgliedstaaten unterscheiden sich in denjenigen Punkten, die das GPA bewusst offen gelassen hat oder die lediglich in einer Grundsatznorm enthalten sind. Der Vergleich mit den Rechtserlassen verschiedener Industriestaaten ergab vielfältige Impulse für den vorliegenden Gesetzesentwurf.

Das GPA 2012 und damit das schweizerische Beschaffungsrecht sind (auch) von den Richtlinien der EU geprägt: Bereits die Richtlinien 2004/18/EG35, 93/38/EWG36 35

36

Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 1991 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 vom 30.4.2004, S. 114.

Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. L199 vom 9.8.1993, S. 84.

1880

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und 2004/17/EG37 hatten ­ zumindest indirekt ­ einen Einfluss auf das Beschaffungsrecht in der Schweiz.38 Im Dezember 2011 entschied die EU, ihr Beschaffungsrecht einer Revision zu unterziehen. Ziel dieser Revision war einerseits eine vereinfachte und praxisgerechte Regelung. Anderseits sollten damit Voraussetzungen für öffentliche Beschaffungen zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis und unter Achtung der Transparenz- und Wettbewerbsgrundsätze geschaffen und das revidierte GPA umgesetzt werden. Die Richtlinien 2014/23/EU39, 2014/24/EU40 und 2014/25/EU41 traten am 17. April 2014 in Kraft und mussten von den Mitgliedstaaten bis am 18. April 2016 in nationales Recht umgesetzt werden (mit Ausnahme der elektronischen Auftragsvergabe, die bis September 2018 einzuführen ist).

Die Richtlinie 2014/24/EU soll den Vergabestellen unter anderem ermöglichen, die öffentliche Auftragsvergabe verstärkt zur Unterstützung gemeinsamer gesellschaftlicher Ziele zu nutzen und bei öffentlichen Vergabeverfahren ökologische, soziale und beschäftigungspolitische Kriterien zu berücksichtigen. Deren Berücksichtigung ist auch gemäss dem vorliegenden Gesetzesentwurf möglich (Art. 2 Bst. a, Art. 12, Art. 29 und Art. 30 Abs. 4 E-BöB).

1.7

Umsetzung

Der Gesetzesentwurf legt Rechte und Pflichten der Auftraggeberinnen und der Anbieterinnen sowie Verfahren und Rechtsschutz knapp, aber hinreichend klar fest.

Ausführungsbestimmungen auf Verordnungsstufe sind nur in wenigen Teilbereichen erforderlich. Neben Ausführungen zu Einzelheiten des Vergabeverfahrens, zur Statistik und zur Rechtswahl nach Artikel 5 E-BöB wird die Verordnung Bestimmungen betreffend die Befreiung von der Unterstellung unter das öffentliche Beschaffungsrecht, Massnahmen zur Verhinderung von Korruption, Anordnungen zum Planungs- und Gesamtleistungswettbewerb sowie zum Studienauftrag enthalten.

37

38 39 40

41

Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. L 134 vom 30.4.2004, S. 1.

Vgl. BKB/Marco Fetz, Das EG-Vergaberecht: Einzelne Neuerungen. Darstellung und erste Analyse der Stärken und Schwächen. Bern, 2004.

Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe, ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 1.

Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl.

L 94 vom 28.3.2014, S. 65.

Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energieund Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG, ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 243.

1881

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1.8

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Folgende Vorstösse aus dem Parlament sind zurzeit noch hängig und werden mit vorliegender Gesetzesvorlage zur Abschreibung beantragt: 2012

P

12.3910

2013

M 12.3739

Öffentliche Beschaffungen des Bundes. Gleiche Rechte für die Sprachregionen (N 14.12.12, Hodgers; S 10.9.13)

2014

P

Bekämpfung der Korruption in öffentlichen Beschaffungswesen (S 17.6.14, Engler)

2014

M 14.3045

Publikation der Basisinformationen aller Beschaffungen des Bundes ab 50 000 Franken (N 20.6.14, Graf-Litscher; S 8.12.14)

2015

M 12.3914

Ausschreibungsverfahren in den drei Amtssprachen des Bundes (N 16.9.14, de Buman; S 18.6.15)

2015

M 14.3872

Für eine korrekte Nutzung der Amtssprachen in den öffentlichen Ausschreibungen von bundesnahen Betrieben (N 12.12.14, Regazzi; S 18.6.15)

2015

M 14.3886

Für eine sprachenfreundliche Vergabe auch von kleinen öffentlichen Aufträgen im Interesse unserer KMU (N 12.12.14, Cassis; S 18.6.15)

14.3208

Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen.

Stopp dem Missstand (N 14.12.12, Darbellay)

Die Motionen 12.3739, 12.3914, 14.3872, 14.3886 sowie das Postulat 12.3910 sollen auf Verordnungsstufe im Rahmen der Ausführungen gemäss Ziffer 1.2.5 umgesetzt werden, die Motion 14.3045 gemäss den Erläuterungen zu Artikel 49 Absatz 3 E-BöB.

Betreffend die Motion 14.3208 wird auf die Ausführungen zu Artikel 11 Buchstabe d und zu Artikel 45 Absatz 1 verwiesen.

1.9

Empfehlungen der Finanzdelegation sowie der NEAT-Aufsichtsdelegation

Die parlamentarische Finanzdelegation (FinDel) hat mit Blick auf die Revision von BöB und VöB im Juni 2013 drei Empfehlungen an den Bundesrat abgegeben. 42 Diese betreffen die Sanktionierung fehlbarer Anbieter (umgesetzt in Art. 44 Abs. 1 Bst. h E-BöB) sowie die elektronische Publikation von Beschaffungen bereits ab einem Wert von 50 000 Franken. Letzteres wird auch mit der Motion 14.3045 verlangt und auf Verordnungsstufe geregelt werden. Die dritte Empfehlung der FinDel bezieht sich auf die Festschreibung und Konkretisierung des Einsichtsrechts und des Rechts auf Preisprüfung in Monopolsituationen durch die Eidgenössische Finanz42

Bericht der Finanzdelegation vom 4. April 2014 an die Finanzkommissionen des Nationalrates und des Ständerates betreffend die Oberaufsicht über die Bundesfinanzen im Jahre 2013 (Ziff. 2.3.3), BBl 2014 5551.

1882

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kontrolle (EFK). Mit Artikel 59 E-BöB wird die formell-gesetzliche Grundlage für die behördliche Einsicht geschaffen.

Des Weiteren hatte die NEAT-Aufsichtsdelegation (NAD) in ihrem Untersuchungsbericht zur Vergabe des Bauloses Erstfeld 43 im Jahr 2007 unter anderem fünf Empfehlungen an das EFD gerichtet. Eine davon setzte der Bundesrat im Jahr 2010 um, indem er dem Parlament eine Botschaft über die Beschleunigung öffentlicher Beschaffungen vorlegte (vgl. Ziff. 1.1.4). Vier Empfehlungen zum Beschaffungsrecht des Bundes sind jedoch noch hängig. Sie betreffen die öffentliche Offertöffnung (Empfehlung 8, vgl. Art. 36 Bst. g E-BöB), das Verbot von reinen Abgebotsrunden (Empfehlung 9, vgl. Art. 11 Bst. d E-BöB), das wirtschaftlich günstigste Angebot (Empfehlung 10, vgl. Art. 41 Abs. 1 E-BöB) sowie die Erleichterung des Abbruchs des Vergabeverfahrens (Empfehlung 12, vgl. Art. 43 E-BöB).

Im Rahmen der Einzelnormkommentierung wird dazu Stellung genommen.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

1. Kapitel: Gegenstand, Zweck und Begriffe Art. 1

Gegenstand

Das Gesetz findet Anwendung auf: ­

die Vergabe öffentlicher Aufträge, wobei in den Artikeln 8 und 9 der Begriff des öffentlichen Auftrags ausgeführt wird;

­

die Vergabe durch unterstellte Auftraggeberinnen, wobei diese in Artikel 4 aufgezählt werden;

­

Vergaben innerhalb und ausserhalb des Staatsvertragsbereichs, wobei dieser Begriff in Artikel 3 Buchstabe c erläutert wird (vgl. auch Anhang 5 des Gesetzes zu den einzelnen Aufträgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs).

Der Entwurf beansprucht eine umfassendere Geltung als das aktuelle Gesetz, das auf die Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (sog. Staatsvertragsbereich) beschränkt bleibt. Die Bedeutung dieser Ausweitung darf allerdings nicht überschätzt werden, waren doch schon bisher Vergaben ausserhalb des Staatsvertragsbereichs durch das 3. Kapitel der VöB dem Beschaffungsrecht unterstellt, dies allerdings nach leicht modifizierten Regeln. Für diesen Dualismus besteht kein Anlass. Weder für die Erreichung der gesetzgeberischen Ziele noch für die Rechte und Pflichten der Anbieterinnen kann es einen Unterschied bedeuten, ob ein öffentlicher Auftrag aus Gründen internationaler Verpflichtungen oder aus Gründen der verfassungsrechtlichen Wirtschaftsordnung (Gleichbehandlung und Wettbewerbsneutralität) sowie des Finanzhaushaltsrechts öffentlich ausgeschrieben wird.

43

Bericht der NEAT-Aufsichtsdelegation vom 19. März 2007 über die Abklärungen ihrer Arbeitsgruppe betreffend der Vorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe des Bauloses 151 (Erstfeld) der AlpTransit Gotthard AG, BBl 2007 3635.

1883

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Art. 2

Zweck

Das Gesetz bezweckt: ­

die Nachhaltigkeit der Beschaffung, d. h. der wirtschaftliche, sozial und ökologisch verantwortungsvolle Einsatz der öffentlichen Mittel (Bst. a);

­

die Transparenz der Verfahren (Bst. b);

­

die Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung der Anbieterinnen, in Nachachtung des verfassungsrechtlichen Gebotes, wonach Wettbewerbsteilnehmer gleich zu behandeln sind (Bst. c);

­

die Förderung des wirksamen Wettbewerbs unter den Anbieterinnen, insbesondere durch Massnahmen gegen unzulässige Wettbewerbsabreden und Korruption (Bst. d).

Die Zwecknorm dient der Auslegung der nachfolgenden Bestimmungen. Die Reihenfolge der Aufzählung in Artikel 2 bedeutet nicht, dass dem ersten Grundsatz Priorität vor den nachstehend genannten zukäme. Alle Grundsätze verlangen gleichermassen Beachtung. Zielkonflikte sind unvermeidbar. So kann umfassende Transparenz abgestimmte Verhaltensweisen von Anbieterinnen begünstigen. Oder die Gleichbehandlung der Anbieterinnen kann eine wirtschaftliche Beschaffung erschweren. Solche Konflikte sind durch eine Abwägung aller Interessen zu lösen. Die gesetzgeberischen Ziele werden durch weitere Bestimmungen der Vorlage (zum Beispiel zu den Anforderungen an eine Ausschreibung, zur Einhaltung von Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzbestimmungen, zur Veröffentlichung der Ausschreibung und Ausschreibungsunterlagen, zur Sanktionierung wettbewerbsbehindernden Verhaltens oder zum Rechtsschutz) ausgeführt.

Bst. a: Gemäss Vernehmlassungsvorlage sollten die öffentlichen Mittel wirtschaftlich eingesetzt und dabei die Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Einem Anliegen der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer (mit zwei Ausnahmen) sowie der aktuellen Vergabepraxis und den internationalen Entwicklungen entsprechend wird der Grundsatz der Nachhaltigkeit noch stärker auf Gesetzesstufe verankert. Zudem steht der nachhaltige Einsatz der öffentlichen Mittel im Einklang mit Artikel 2 Absatz 2 BV sowie den parlamentarischen Vorgaben.

Wirtschaftlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit dem tiefsten Preis. Die Qualität der Leistungen und weitere Parameter, deren Wahl im Ermessen der Auftraggeberin liegt, sind ebenso zu berücksichtigen. Die Zielsetzung der wirtschaftlichen Verwendung der öffentlichen Mittel gibt einer Anbieterin keinen Rechtsanspruch darauf, die Beschaffung des «richtigen» Produkts zu erstreiten.44 Stets wird der Preis indessen als Zuschlagskriterium in die Bewertung miteinzubeziehen sein.

Das GPA 2012 erwähnt explizit in Artikel X Absatz 6 (und in engem Zusammenhang mit dem Nichtdiskriminierungsgebot in Art. X Abs. 1) die Realisierung umwelt- und ressourcenpolitischer Zielsetzungen. Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit findet im GPA 2012 keine explizite Erwähnung, da über ihren Anwendungsbereich während der Revision unter den Mitgliedstaaten kein Konsens erzielt werden konnte. Angesichts dessen haben sich die GPA-Mitgliedstaaten geeinigt, 44

Vgl. BVGer B-822/2010 vom 10. März 2010, E. 4.2.

1884

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gemäss Mandat in Artikel XXII Absatz 8 GPA 2012 ein Arbeitsprogramm über die beschaffungsrelevanten Aspekte des Begriffs der Nachhaltigkeit einzuleiten. Im Rahmen dieses Arbeitsprogramms prüfen die GPA-Mitgliedstaaten aus der Warte der Nichtdiskriminierungsverpflichtungen von Artikel IV GPA 2012, wie die nachhaltige Beschaffung im Einklang mit dem Grundsatz des «Besten Preis-LeistungsVerhältnisses» und den internationalen Handelsverpflichtungen der Parteien umgesetzt werden kann. Bis auf internationaler Ebene ein Konsens gefunden ist, haben die GPA-Mitgliedstaaten weiterhin einen gewissen Handlungsspielraum bei der Gestaltung der nationalen Gesetze.

Die Nachhaltigkeit im Sinne des Gesetzesentwurfs ist weit zu verstehen. Sie gewinnt Konturen in der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016­2019 des Bundesrates45.

Demnach nimmt der Bund bei seinem Konsumverhalten eine Vorbildfunktion ein, indem er bei seiner Beschaffungstätigkeit Produkte nachfragt und Bauwerke realisiert, die wirtschaftlich, umweltschonend und gesundheitsverträglich sind und die sozial verantwortungsvoll produziert werden. Auch einer positiven Auswirkung auf den Werk- und Ausbildungsplatz Schweiz kann in geeigneter Weise Rechnung getragen werden. So kann zum Beispiel die Berücksichtigung von Unternehmen, die zu einer Stärkung des inländischen Werk- und Ausbildungsplatzes beitragen und wirtschaftliche Innovationen fördern, zu einem sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel führen. Schon heute finden Ressourcen- und Umweltkriterien regelmässig Eingang in die Ausschreibungen der öffentlichen Hand. Der «sozialen Nachhaltigkeit» wird unter anderem dadurch Rechnung getragen, dass Aufträge in der Schweiz nur an Anbieterinnen vergeben werden dürfen, welche die Bestimmungen über Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen sowie die Gleichbehandlung von Frau und Mann in Bezug auf die Lohngleichheit einhalten. Bei Leistungen, die im Ausland erbracht werden, müssen mindestens die acht Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eingehalten werden.

Die Anwendung von Umwelt- und Sozialkriterien erfordert stets einen sachlichen Bezug zum jeweiligen Beschaffungsobjekt. Solche Beschaffungskriterien beziehen sich auf das Produkt oder auf dessen erwünschte Wirkung bei der Nutzung. Die Art und Weise der Produktion kann ebenfalls
vorgeschrieben werden, solange die Produktionsweise einen Bezug zum Beschaffungsgegenstand aufweist. Die Produktionsweise muss nicht notwendigerweise im Endprodukt sichtbar sein; sie muss aber zumindest den Wert und die Eigenart des Produkts verändern (z. B. Holz aus naturnaher Waldbewirtschaftung, Tierprodukte aus artgerechter Haltung). Allerdings wohnt der Berücksichtigung nicht-wirtschaftlicher Beschaffungsziele regelmässig die Gefahr inne, dass protektionistische Praktiken im Kleid legitimer Ziele Eingang in die Vergabepraxis finden. So «eignen» sich gerade ökologische Kriterien wie die Einhaltung nationaler Umweltstandards oder die Fahrtdistanz gut für die gezielte Bevorzugung inländischer Anbieterinnen. Das GPA 2012 toleriert solche Praktiken trotz Erwähnung ökologischer Ziele nicht. Daher ist bei technischen Spezifikationen oder bei Zuschlagskriterien, die der Ökologie verpflichtet sind, stets zu fragen, ob 45

Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016­2019, S. 52. Abrufbar unter: www.are.admin.ch > Nachhaltige Entwicklung > Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016­2019; vgl. auch Ziff. 7 sowie Anhang 3 der Botschaft vom 27. Jan. 2016 über die Legislaturplanung 2015­2019, BBl 2016 1105.

1885

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diese Kriterien einen sachlichen Bezug zum Leistungsgegenstand aufweisen. Falls Absicht oder Wirkung auf eine Diskriminierung ausländischer oder ortsfremder Anbieterinnen hinauslaufen, greift die Berufung auf die Nachhaltigkeit einer Anforderung nicht. Dies ist insbesondere bei Bestimmungen zu Herstellungsverfahren, die ohne Wirkung auf das zu beschaffende Produkt bleiben, sorgfältig zu prüfen.

Bst. b: Transparenz garantiert Fairness und Marktzutritt. Der Entwurf enthält daher zahlreiche Transparenzbestimmungen, die primär die Aktivinformation, d. h. die Informationstätigkeit der Behörde von sich aus bzw. von Amtes wegen betreffen (z. B. Art. 14 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1, Art. 27 ff., Art. 35 f.). Der Grundsatz der Transparenz gebietet unter anderem, dass eine Auftraggeberin die Gewichtung der Zuschlagskriterien zum Voraus präzisieren und bekannt geben muss.46 Auf Transparenz wird nur dort verzichtet, wo diese die Aufgaben der Auftraggeberinnen behindern oder die berechtigten Interessen der Anbieterinnen gefährden würde (Art. 49 Abs. 3, Art. 59).

Bst. c: Der Grundsatz der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung bedeutet, dass einer Anbieterin einerseits keine Nachteile auferlegt werden dürfen, die für andere nicht gelten, und dass ihr anderseits keine Vorteile gewährt werden dürfen, die anderen Anbieterinnen verwehrt sind. So ist es z. B. nicht zulässig, eine Anbieterin im Rahmen der Eignungsprüfung nach einem strengeren Massstab als ihre Mitbewerberinnen zu beurteilen. Ebenso wenig ist es zulässig, dass Eignungskriterien oder technische Spezifikationen zugunsten einer einzelnen Anbieterin aufgestellt, gestrichen oder aufgeweicht werden.

Bst. d: Wie in anderen Märkten kann der Wettbewerb auch auf den Beschaffungsmärkten durch Abreden oder andere wettbewerbsbehindernde Verhaltensweisen beeinträchtigt werden. Daher gilt es bei den Ausschreibungen, Massnahmen insbesondere gegen unzulässige Wettbewerbsabreden und Korruption vorzusehen. Korruption gilt heute als wesentliches Element der Wettbewerbsverfälschung und Wettbewerbsverhinderung im öffentlichen Beschaffungswesen. Das GPA 2012 sieht daher in der Präambel und in Artikel IV Absatz 4 eine griffigere internationale Rechtsgrundlage für die Korruptionsbekämpfung vor. Buchstabe d ändert die entsprechenden Spezialgesetze nicht; diese werden vielmehr
um eine spezifische beschaffungsrechtliche Zwecknorm ergänzt.

Der wirksame Wettbewerb kann auch in Fällen gefährdet sein, in denen eine öffentliche Auftraggeberin eine marktbeherrschende Stellung missbraucht. Nachfragemacht ist denkbar bei Beschaffungskooperationen oder auf Märkten, in denen der öffentlich-rechtlichen Nachfragerin einer Leistung nur wenige private Nachfragende gegenüberstehen. Allerdings ist infolge der Internationalität vieler Produktmärkte (zu denken ist beispielsweise an die Beschaffung von Rollmaterial durch die Bahnunternehmen) eine Nachfragemacht nicht leichthin anzunehmen.

46

Vgl. BRK 2003-032 vom 15. Juni 2004, E. 3a; BGE 125 II 101; Entscheid der BRK vom 1. Sept. 2000, veröffentlicht in VPB 65.11. E. 2a.

1886

BBl 2017

Art. 3

Begriffe

Die Legaldefinitionen dienen dazu, das Beschaffungsrecht zu vereinfachen und dessen Anwendung in der Praxis zu vereinheitlichen. Im Einklang mit den Begriffsbestimmungen des GPA 2012 strebt der Entwurf eine einheitliche Verwendung der zentralen beschaffungsrechtlichen Begriffe an.

Die meisten Definitionen des Entwurfs sind selbsterklärend und wurden unverändert aus dem GPA 2012 und dessen Anhängen übernommen. Soweit ein Begriff im Entwurf nur einmal verwendet wird, ist er an jenem Ort definiert. Zwei Hinweise sind an dieser Stelle angezeigt: Bst. b: Öffentliche Unternehmen sind privatrechtlich oder spezialgesetzlich organisierte Rechtsträger, die durch die öffentliche Hand unmittelbar oder mittelbar beherrscht werden, zum Beispiel durch die kapital- oder stimmenmässige Kontrolle (vgl. die Legaldefinition in Fussnote 2 von Annex 3 zum Anhang I [Schweiz] des GPA 2012). Beispiele sind die Schweizerische Post AG, die Schweizerischen Bundesbahnen AG (SBB) und die Alp Transit Gotthard AG47.

Bst. c: Der Begriff «Staatsvertragsbereich» wird in den Kantonen konsequent verwendet und hat sich in der Praxis eingebürgert. Dieser Begriff wird auch im E-BöB übernommen, da das Gesetz neu sowohl Beschaffungen nach Massgabe internationaler Verpflichtungen der Schweiz als auch die ausschliesslich binnenrechtlich unterstellten Beschaffungen regelt. Für Letztere bestehen einige wenige Sonderregelungen (vgl. Anhang 5 E-BöB).

Unter den Staatsvertragsbereich fallen das GPA, das Abkommen Schweiz-EU, die EFTA-Konvention und die bilateralen Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und diversen Einzelstaaten (vgl. Ziff. 1.1.3).

Der für die Anwendung des Beschaffungsrechts zentrale Begriff des öffentlichen Auftrags (vgl. dazu Art. II GPA 2012) wird nicht in Artikel 3, sondern in den Artikeln 8 und 9 des Entwurfs definiert. Der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, dass die hier verwendeten Begriffe des Auftrags und der Auftraggeberin nicht identisch sind mit denjenigen in den Artikeln 394 ff. des Obligationenrechts48 (OR). Insbesondere kommen als Vertragstypen nicht nur Aufträge nach OR in Frage, sondern ebenso Kauf-, Werk-, Innominatverträge usw.

2. Kapitel: Geltungsbereich 1. Abschnitt: Subjektiver Geltungsbereich Der subjektive Geltungsbereich des Gesetzes bestimmt sich nach Massgabe der staatsvertraglich eingegangenen
Verpflichtungen. Mit anderen Worten erfolgt keine autonome Ausdehnung des subjektiven Geltungsbereichs gegenüber den massgebenden Beschaffungsübereinkommen der Schweiz. Im Vordergrund stehen die Annexe 1­7 zum Anhang I (Schweiz) des GPA 2012, die beschaffungsrelevanten Kapitel und Anhänge der Freihandelsabkommen mit Drittstaaten sowie die Artikel 2 und 3 des Abkommens Schweiz­EU. Die Übereinkommen unterscheiden zwischen 47 48

Vgl. BVGer B-4902/2013 vom 14. März 2014, E. 1.1.

SR 220

1887

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der Unterstellung zentraler und subzentraler Verwaltungseinheiten auf der einen und Sektorenauftraggeberinnen auf der anderen Seite.

Das Abkommen Schweiz­EU weitete den subjektiven Geltungsbereich des GPA 1994 nach zwei Seiten hin aus: Zum einen führte es zur Unterstellung der Verwaltungseinheiten auf Stufe Bezirke und Gemeinden, zum anderen dehnte es den Marktzutritt für Anbieterinnen auf Aufträge von Auftraggeberinnen aus den Sektoren Schienenverkehr, Gas- und Fernwärmeversorgung sowie Förderung fossiler Brennstoffe und auf private Sektorenunternehmen aus. Das Verhältnis zwischen der Sektorenunterstellung nach dem GPA und dem Abkommen Schweiz­EU ist komplex und nicht in allen Punkten transparent. Herrscht in einem Sektorenmarkt wirksamer Wettbewerb, wird neu für alle Beschaffungen dieses Markts eine Befreiung von der Unterstellung vorgesehen (Art. 7 E-BöB).

Art. 4

Auftraggeberin

Die subjektive Unterstellung erfolgt anhand einer abschliessenden Aufzählung in diesem Artikel. Im GPA 2012 ist die allgemeine Unterstellung für den Bund und die Kantone je unterschiedlich geregelt. Während die Auftraggeberinnen auf Stufe Bund in einer Liste aufgeführt sind, werden die kantonalen Beschaffungsbehörden sowie die Behörden auf Bezirks- und Gemeindeebene generell-abstrakt unterstellt (Annexe 1 und 2 zum Anhang I des GPA 2012).

Abs. 1 Massgebend für die Unterstellung der zentralen und dezentralen Verwaltungseinheiten des Bundes ist die indikative Liste in Annex 1 zum Anhang I (Schweiz) des GPA 2012, die sich an den Anhängen 1 und 2 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 199849 (RVOV) orientiert. Während die Aufzählung der unterstellten Verwaltungseinheiten im GPA 1994 abschliessend war50, lässt die exemplarische Liste im GPA 2012 Raum für Entwicklungen und Anpassungen. Unterstellt sind beispielsweise das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE), das Schweizerische Heilmittelinstitut (swissmedic), die Pensionskasse des Bundes (PUBLICA) und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA), aber auch die Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Lausanne (EPFL) und Zürich (ETHZ), das Paul Scherrer Institut (PSI), Schweiz Tourismus (ST), die Schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV), der Swiss Investment Fund for Emerging Markets (SIFEM AG) und die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse). Unterstellt werden soll gemäss Entwurf auch der Ausgleichsfonds AHV/IV/EO (Compenswiss)51, nicht aber der BVG-Sicherheitsfonds. Bei Letzterem handelt es sich um eine 1984 auf dem Verordnungsweg gegründete öffentlich-rechtliche Stiftung, an der organisatorisch zahlreiche privatrechtliche Subjekte beteiligt sind.

Binnenverweise, d. h. Verweise von einem landesrechtlichen Erlass auf einen anderen ­ wie vorliegend auf das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 49 50 51

SR 172.010.1 Vgl. BVGer B-6177/2008 vom 20. Okt. 2008, E. 3.

Botschaft vom 18. Dez. 2015 zum Ausgleichsfondsgesetz, BBl 2016 311 und 353

1888

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21. März 1997 (RVOG)52 ­ sind immer dynamisch zu verstehen. Da folglich für die Unterstellung jeweils die zum Zeitpunkt der Ausschreibung geltende Fassung der RVOV zu beachten ist (Bst. a), werden auch Behörden und Verwaltungseinheiten erfasst, die bis oder erst nach Inkrafttreten des revidierten BöB entstehen und deshalb vorher noch nicht im Anhang zur RVOV aufgeführt sind. Mit «Zeitpunkt der Ausschreibung» ist der Zeitpunkt gemeint, in welchem die öffentliche Ausschreibung publiziert wird; bei freihändigen Vergaben der Zeitpunkt des Zuschlags und bei Einladungsverfahren der Zeitpunkt der Einladung. Selbstverständlich sind auch bei den entsprechenden Vorbereitungsarbeiten die Regeln des Beschaffungsrechts zu beachten.

Das Gesetz gilt ­ vorbehältlich spezialgesetzlicher Regelungen ­ für die zentralen und die dezentralen Verwaltungseinheiten sowie für die rechtsetzenden oder rechtsanwendenden Behörden (Bst. b­d), einschliesslich der Militärgerichte. Die Parlamentsdienste stellen einen Spezialfall dar. Sie sind weder vollziehende noch rechtsetzende Behörden, beschaffen aber für Letztere.

Im Vernehmlassungsentwurf war vorgeschlagen worden, Empfängerinnen und Empfänger von Finanzhilfen des Bundes dem BöB zu unterstellen, sofern sie Leistungen beschaffen, die zu mehr als 50 Prozent der Gesamtkosten mit öffentlichen Geldern finanziert werden (Art. 4 Abs. 1 Bst. e VE-BöB). Der Vorschlag stiess jedoch auf wenig Zustimmung und wird daher nicht weiter verfolgt. Es gilt weiterhin die Regelung des BGBM.

Abs. 2 Soweit eine Behörde dem Gesetz bereits nach Absatz 1 unterstellt ist, finden die Einschränkungen von Absatz 3 (Beschränkung auf die Kernbereichstätigkeit) keine Anwendung. Dann gelten für die Abgrenzung des Staatsvertragsbereichs die (meist niedrigeren) Schwellenwerte für die allgemeinen Auftraggeberinnen (vgl. Anhang 4).

Die Sektorenunterstellung im GPA und im Abkommen Schweiz­EU erfolgt für den Bund und für die Kantone einheitlich. Während der öffentliche Verkehr in der Luft und auf Flüssen per se nicht unterstellt ist, findet das Gesetz auf sogenannte Verkehrsendeinrichtungen Anwendung (Bst. c und d). Dabei handelt es sich um Häfen, Flughäfen, Umschlagplätze, Terminals und ähnliche Einrichtungen, welche die Schnittstelle am Ende der Verkehrsverbindungen bilden.

Bst. e: Eine besondere Stellung
nehmen die Postdienste ein. Diese wurden bereits durch das GPA 1994 unterstellt; das Abkommen Schweiz­EU findet auf Unternehmen, die Postdienste erbringen, keine Anwendung. Im GPA 1994 waren die Postdienste bzw. war die Post noch im Annex 1 aufgelistet. Entsprechend wurden die Post- und Automobildienste der Schweizerischen Post (ursprünglich noch der PTTBetriebe) dem Beschaffungsrecht unterstellt, soweit sie nicht Tätigkeiten in Konkurrenz zu Dritten ausübten. Diese Regelung war in der Praxis insbesondere mit Blick auf Beschaffungen für den Gesamtkonzern teilweise mit schwierigen Abgrenzungsfragen verbunden. So stellten sich gerade mit zunehmender Liberalisierung des Postmarktes (z. B. Paketpost) regelmässig Fragen zur Konkurrenzsituation. Im GPA 52

SR 172.010

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2012 sind nun die Unternehmen, die Postdienste erbringen, neu und beschränkt auf ihre Tätigkeiten aufgrund eines ausschliesslichen Rechts (reservierter Dienst) im Annex 3 (Sektorenunterstellung) aufgeführt. Folgerichtig erfolgt ihre Unterstellung hier im Gesetz nun ebenfalls im Bereich der Sektorenauftraggeberinnen.

Demnach sind Unternehmen, die Postdienste anbieten, nur dann und nur so weit dem Gesetz unterstellt, als sie einen reservierten Dienst gemäss Artikel 18 des Postgesetzes vom 17. Dezember 201053 (PG) anbieten und für diese Tätigkeit Liefer-, Dienstleistungs- oder Bauaufträge vergeben. Somit bleibt die Post bei Beschaffungen für den Monopolbereich (Beförderung von Briefen bis 50 g) wie bis anhin ausschreibungspflichtig. Zu denken ist etwa an den Kauf von Sortiermaschinen für leichte Briefe und Behältnisse für den Transport solcher Briefe. Will die Post z. B.

Leistungen für die Paketpost einkaufen oder für den Konzern IT-Produkte oder IT-Dienstleistungen beschaffen, die nicht unmittelbar der Erbringung des reservierten Dienstes dienen, ist sie nicht Auftraggeberin im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe e E-BöB. Soll ein öffentlicher Auftrag unmittelbar der Erbringung von Postdiensten sowohl innerhalb wie ausserhalb des reservierten Dienstes dienen, so ist darauf abzustellen, für welche Postdienste die Beschaffung überwiegend eingesetzt wird. Ähnlich dem Vorgehen bei der Beschaffung von gemischten Aufträgen ist auch hier bei der Frage des Einsatzbereiches des Beschaffungsgegenstands der Schwerpunkt zu bestimmen. Dient eine geplante Beschaffung überwiegend nicht dem reservierten Dienst, so ist das Vergaberecht auf die gesamte Beschaffung nicht anwendbar. Es findet also mithin keine «Infektion» statt in dem Sinne, dass ein anteilsmässig kleinerer Nutzen des Beschaffungsgegenstands für den reservierten Dienst ausreichen würde, um die Beschaffung dem Vergaberecht zu unterstellen.

Umgekehrt ist dagegen grundsätzlich öffentlich auszuschreiben, wenn eine Beschaffung überwiegend dem Bereitstellen von Postdiensten im Bereich des reservierten Dienstes nach dem PG dient.

Bst. f betrifft den Schienenverkehr, d. h. den Bau und Betrieb von Eisenbahnen. In diesem Sektor sind insbesondere die SBB sowie Unternehmen unter kapital- oder stimmenmässiger Beherrschung durch die SBB (unter Ausnahme von
Finanzbeteiligungen und Beteiligungen an Unternehmen, die nicht unmittelbar im Verkehrsbereich tätig sind) unterstellt. Als Beispiel für ein unterstelltes Tochterunternehmen mag die Alp Transit Gotthard AG dienen. Ebenfalls unterstehen dem Gesetz andere Betreiber von Eisenbahnanlagen, die unter dem beherrschenden Einfluss des Bundes stehen (z. B. BLS Netz AG oder Matterhorn Gotthard Infrastruktur AG). Demgegenüber unterstehen Eisenbahnunternehmen wie die BLS AG oder die Rhätische Bahn dem kantonalen Recht, soweit sie nicht wegen ihrer regionalen Bedeutung von der Rechtswahlmöglichkeit in Artikel 5 Absatz 3 Gebrauch gemacht haben. Anknüpfungspunkt ist allemal der Bau und der Betrieb des Schienennetzes. Damit erfasst Buchstabe f sowohl die Aufgaben der Netzerstellung und des Netzbetriebs als auch den Bahnverkehr auf diesen Netzen. Diese zwei Bereiche werden bei den Bahnunternehmen entweder organisatorisch oder finanziell (Spartenrechnung) getrennt geführt. Damit funktional nicht zusammenhängende Tätigkeiten der unterstellten Unternehmen sind vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen.

53

SR 783.0

1890

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Für jede Beschaffung ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein funktionaler Zusammenhang zum Bau und Betrieb der Eisenbahn besteht. Ein solcher Bezug ist namentlich beim Bau und Betrieb der Bahninfrastruktur (einschliesslich Forstarbeiten entlang der Bahnlinien), bei der Beschaffung und beim Unterhalt von Schienen, Eisenbahninfrastruktur und Rollmaterial sowie bei der Bewirtschaftung der (engeren) Bahnhofsbereiche (Bahnhofshalle, Wartesaal, Schalterhalle, Ticketautomaten etc.)

gegeben. Der Zusammenhang fehlt aber z. B. bei der kommerziellen Mantelnutzung von Bahnhofteilen oder beim Einkauf von Waren und Dienstleistungen für das SBBReisebüro RailAway. Diese Tätigkeiten werden regelmässig im Wettbewerb mit Drittanbieterinnen ausgeübt (so bereits Art. 2 Abs. 3 VöB) und sind daher dem Gesetz nicht unterstellt. Beschaffungen in diesen Bereichen können vergabefrei getätigt werden.

Die Unterstellung des städtischen Nahschienenverkehrs gemäss GPA 2012 sowie die entsprechenden Schwellenwerte werden in der revidierten IVöB geregelt.

Abs. 3 Die Unterstellung der Sektorenauftraggeberinnen erfolgt nicht umfassend, sondern jeweils nur für ihre Kernbereichs-Tätigkeiten. Soweit allerdings Auftraggeberinnen nach Absatz 1 unterstellt sind und ebenfalls Sektorentätigkeiten wahrnehmen, führt Absatz 3 nicht zu einer Beschränkung. Vielmehr unterstehen diese Auftraggeberinnen dem Gesetz umfassend, d. h. für alle ihre öffentlichen Aufträge.

Abs. 4 Der letzte Absatz der Bestimmung entspricht Artikel 2d VöB und dient der Klarstellung. Die beschaffungsrechtlichen Vorgaben gelten auch für Dritte (d. h. nicht mit der unterstellten Auftraggeberin identische Beschaffungsstellen), die Leistungen im Auftrag der Auftraggeberin und als deren direkte oder indirekte Stellvertreter beschaffen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Dritten selber dem Gesetz unterstellt sind oder nicht. Durch das Vorschalten einer (zentralen) Beschaffungsstelle oder die Auslagerung dieser Arbeiten an Dritte kann das Gesetz nicht unterlaufen werden.

Art. 5

Anwendbares Recht

Abs. 1 Bereits das geltende Recht enthält in Artikel 2c VöB und auf kantonaler Ebene in Artikel 8 Absätze 3 und 4 IVöB Kollisionsregeln für gemeinsame Beschaffungen von Auftraggeberinnen gleicher oder verschiedener Stufen. Diese Regeln werden hier ergänzt und neu geordnet. In der Regel kommt das Recht am Sitz der Hauptauftraggeberin zur Anwendung. Wer Hauptauftraggeberin ist, bestimmt sich nach Massgabe der Finanzierung. Falls an einer gemeinsamen Beschaffung Auftraggeberinnen sowohl der Bundesstufe als auch der kantonalen Ebene beteiligt sind, kommt das Bundesbeschaffungsrecht zur Anwendung, wenn die dem Bundesrecht unterstellten Auftraggeberinnen alle zusammen den finanziellen Hauptteil (die Mehrheit) der Beschaffungskosten aufbringen, d. h. die beteiligten Bundesstellen zusammen mehr bezahlen als alle involvierten kantonalen Stellen. Wird eine gemeinsame Beschaffung von Bund und Kantonen mehrheitlich mit kantonalen Geldern finanziert, ist kantonales Recht anwendbar.

1891

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Abs. 2 und 3 Die in den Absätzen 2 und 3 vorgesehene Rechtswahl der beteiligten Auftraggeberinnen dient der optimalen Ressourcennutzung. Beispiele für wahlberechtigte Unternehmen nach Absatz 3 sind: Flughafen Zürich AG, BLS AG oder Kernkraftwerk Leibstadt AG. Zwecks Rechtssicherheit sollte die Rechtswahl nicht von Fall zu Fall, sondern über eine gewisse Zeitspanne Bestand haben. Die Rechtswahl führt in keinem Fall dazu, dass eine Auftraggeberin oder deren Beschaffungen von der Unterstellung unter das Beschaffungsrecht befreit werden. Die Verordnung regelt die Einzelheiten, z. B. die Bekanntmachung der Rechtswahl.

Verschiedene Sektorenerlasse des Bundes enthalten spezifische Vorschriften zum anwendbaren Beschaffungsrecht, so zum Beispiel Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 20. März 200954 über die zukünftige Entwicklung der Bahninfrastruktur, die Artikel 38 f. der Nationalstrassenverordnung vom 7. November 200755, Artikel 15 Absatz 2 der Strukturverbesserungsverordnung vom 7. Dezember 199856, Artikel 3a des Stromversorgungsgesetzes vom 23. März 200757 für die Konzessionsvergabe für Übertragungs- und Verteilnetze, die Artikel 60 Absatz 3bis und 62 Absatz 2bis des Wasserrechtsgesetzes vom 22. Dezember 191658 (WRG) oder Artikel 15b im Entwurf der Änderung des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 199059 (SuG) (vgl.

Anhang 7 E-BöB) für die Übertragung von öffentlichen Aufgaben im Wettbewerb.

Diese spezialgesetzlichen Kollisionsregeln gehen den allgemeinen Bestimmungen von Artikel 5 E-BöB vor.

Die Frage nach dem anwendbaren Recht stellt sich auch bei Ausschreibungen betreffend Suche und Wahl von privaten Investoren, z. B. bei sogenannten Public Private Partnerships (PPP). Das Kürzel «PPP» bezeichnet die Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und privaten Anbieterinnen mit dem Ziel, öffentliche Aufgaben zu erbringen.60 Die Anwendbarkeit des Beschaffungsrechts auf PPP-Projekte ist anhand der charakteristischen Leistungen fallweise zu beurteilen.61 Da PPP-Projekte vielfältige Formen annehmen können und der vorhandene Spielraum nicht unnötig eingegrenzt werden soll, wird auf eine gesetzliche Regelung verzichtet.

Art. 6

Anbieterinnen

Abs. 1 Im Rahmen der internationalen Verpflichtungen der Schweiz im GPA 2012 und im Abkommen Schweiz­EU sowie in beschaffungsrelevanten Abkommen mit Drittstaaten wird ausländischen Anbieterinnen der diskriminierungsfreie Marktzutritt ermöglicht. Diese Marktöffnung gilt jeweils im Umfang der gegenseitig eingegan54 55 56 57 58 59 60 61

SR 742.140.2 SR 725.111 SR 913.1 SR 734.7 SR 721.80 SR 616.1 Vgl. Verein PPP Schweiz, Allgemeine Fragen zum PPP-Modell. Abrufbar unter: www.ppp-schweiz.ch > faq > was ist PPP.

Vgl. Galli Peter / Moser André / Lang Elisabeth / Steiner Marc, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Aufl., Zürich, 2013, Rz. 270 ff.

1892

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genen Verpflichtungen. Das Prinzip der Meistbegünstigung gilt ebenfalls (nur, aber immerhin) in diesem Umfang. Mit anderen Worten können durch Inanspruchnahme der Meistbegünstigung keine zusätzlichen Konzessionen von den Handelspartnern erwirkt werden.

Abs. 2 Der Gegenrechtsvorbehalt in Absatz 2 entspricht der heutigen Regelung in Artikel 4 BöB. Auch hier reicht der Marktzutritt nur so weit, als inländische Anbieterinnen im Ausland tatsächlich zum Angebot zugelassen werden. Die Auftraggeberinnen sind allerdings berechtigt, weitere Anbieterinnen zum Angebot zuzulassen, selbst wenn der Staat, in dem diese ihren Sitz haben, kein Gegenrecht gewährt. Gegen solche Entscheide der Auftraggeberinnen steht kein Rechtsschutz zur Verfügung. Zum Angebot zugelassene ausländische Anbieterinnen geniessen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs nur Rechtsschutz, wenn der Staat, in dem sie ihren Sitz haben, Gegenrecht gewährt (Art. 52 Abs. 2).

Abs. 3 Gegenrecht bedeutet vergleichbaren und effektiven Marktzutritt schweizerischer Anbieterinnen zu ausländischen Beschaffungsmärkten. Zur besseren Orientierung ist dem Bundesrat aufgetragen, eine indikative Liste der Staaten zu führen, die Gegenrecht gemäss den von ihm verhandelten internationalen Beschaffungsabkommen gewähren. Diese Liste wird regelmässig aktualisiert und steht den Auftraggeberinnen auf Anfrage zur Einsicht zur Verfügung. Die Verordnung regelt die Einzelheiten; es ist vorgesehen, dass darin das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mit der Führung der Liste beauftragt wird.

Art. 7

Befreiung von der Unterstellung

Abs. 1 Die Unterstellung der Sektorenauftraggeberinnen geht immer von der Annahme aus, dass in einem Tätigkeitsbereich kein Wettbewerb herrscht. Während das GPA 2012 den Begriff des «uneingeschränkten Wettbewerbs» verwendet und das Abkommen Schweiz­EU darauf abstellt, ob andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Tätigkeiten «in demselben geografischen Gebiet zu den im Wesentlichen gleichen Bedingungen» anzubieten, wird hier in Übereinstimmung mit dem kartellrechtlichen Vokabular der «wirksame Wettbewerb» verwendet. Sind Sektorenauftraggeberinnen bei ihren Tätigkeiten dem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt, kann der Bundesrat Beschaffungen in diesem Markt ganz oder teilweise von der Unterstellung unter das öffentliche Beschaffungsrecht befreien (sogenanntes Ausklinkverfahren). Das «Ausklinkverfahren» bei wirksamem Wettbewerb zwischen den Auftraggeberinnen ist bereits unter geltendem Recht bekannt (Art. 2b VöB sowie Verordnung des UVEK über die Nichtunterstellung unter das öffentliche Beschaffungswesen). Es stand bisher nur für Auftraggeberinnen nach Artikel 2a VöB bzw. Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe cbis IVöB, die dem Geltungsbereich des Abkommens Schweiz­EU unterstellt sind, zur Verfügung. Mit Rücksicht auf die Anmerkung 2 zum Annex 3 zum Anhang I (Schweiz) des GPA 2012 soll das Ausklinkverfahren neu auf alle Sektorenmärkte erstreckt werden, soweit in diesen wirksamer Wettbewerb herrscht. Dem 1893

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InöB stehen Vorschlags- und Konsultationsrechte zu. Schon nach geltendem Recht von der Unterstellung befreite Sektorenmärkte und darin tätige Auftraggeberinnen bleiben befreit, ohne dass es eines neuen Ausklinkverfahrens bedarf.

Die Anforderungen an die Ausklinkung sind für staatliche Behörden und öffentliche Sektorenunternehmen gemäss Annex 3 zum Anhang I zum GPA 2012 auf der einen und für Auftraggeberinnen nach Artikel 3 des Abkommens Schweiz­EU auf der anderen Seite je gleich auszugestalten. Die Befreiung erfolgt durch Verordnung des Bundesrates und wirkt somit für alle Anbieterinnen auf dem befreiten Sektorenmarkt.

Die Befreiung von der Unterstellung tritt ­ hinsichtlich der Beschaffungen des Staatsvertragsbereichs ­ erst mit Abschluss des Verfahrens gemäss Artikel XIX GPA 2012 ein. Dieses Verfahren sieht eine Notifikation der Vertragspartner sowie daran anschliessend ein Einwendungs- und Konsultationsverfahren vor. Können Differenzen nicht einvernehmlich ausgeräumt werden, kann jede Vertragspartei des GPA ein spezielles Schiedsgericht anrufen.

Abs. 2 Ob wirksamer Wettbewerb besteht oder nicht, ist anhand der indikativen Kriterien zu entscheiden, die der Ausschuss für das öffentliche Beschaffungswesen in Anwendung von Artikel XIX Absatz 8 Buchstabe b GPA 2012 dereinst festlegen wird.

Bei der Beurteilung der wettbewerbsrelevanten Aspekte nehmen die WEKO und das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr und Kommunikation (UVEK) eine zentrale Rolle ein: So konnten die Ausklinkungen des Telekommunikationssektors im Jahr 2002 und des Güterschienenverkehrs auf der Normalspur im Jahr 2007 nur im Licht eines vorgängigen Prüfberichts der WEKO beurteilt werden. Im Sinn einer Richtschnur werden der WEKO die künftigen ­ derzeit unter dem Vorsitz der EU in Verhandlung stehenden ­ indikativen Kriterien zur Verfügung gestellt. Am Erfordernis eines formellen Ausklinkverfahrens wird daher festgehalten.

2. Abschnitt: Objektiver Geltungsbereich Der Begriff des «öffentlichen Auftrags» (Art. 8) definiert den objektiven Geltungsbereich des Beschaffungsrechts. Während das GPA 1994 den Begriff nicht umschrieb, sondern voraussetzte, findet sich in Artikel II Absatz 2 GPA 2012 der Versuch einer Begriffsbestimmung. Danach ist das Übereinkommen anwendbar auf öffentliche Beschaffungen (i) von Waren, Dienstleistungen
(inklusive Bauleistungen) oder einer Kombination von beidem; (ii) die nicht im Hinblick auf den gewerblichen Verkauf oder Wiederverkauf erworben werden; (iii) durch vertragliche Mittel (d. h. nicht auf dem Weg der Verstaatlichung oder Enteignung); (iv) soweit diese Leistungen nicht nach den jeweiligen Länderanhängen vom Geltungsbereich ausgeschlossen sind und (v) soweit ihr Wert den Schwellenwert nach den Länderanhängen erreicht.

Vom schweizerischen Binnenrecht werden auch Aufträge ausserhalb des Staatsvertragsbereichs erfasst. Dem Gesetz unterstellt sind damit beispielsweise auch Dienstleistungen und Bauleistungen, die nicht in den für die Schweiz massgeblichen Positivlisten im GPA 2012 aufgeführt sind, sowie sämtliche Beschaffungen (Lieferungen, Dienstleistungen, Bauleistungen) mit einem Auftragswert unterhalb der 1894

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international festgelegten Schwellenwerte. Für diese Aufträge gilt eine Reihe von Besonderheiten: Zum einen steht mit dem Einladungsverfahren eine zusätzliche Verfahrensart zur Verfügung, zum anderen sind die Anforderungen bezüglich Fristen flexibler. Zudem sind ausländische Anbieterinnen zu Aufträgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs nur dann zugelassen, wenn ihr Sitzstaat Gegenrecht gewährt.

Und schliesslich wird für Beschwerden gegen Verfügungen bei Beschaffungen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs ein Sekundärrechtsschutz eingeführt.

Der Einbezug weiterer Beschaffungsvorhaben in das binnenrechtliche Vergaberegime ist aus Gründen des Verfassungsrechts geboten. Insbesondere die Wirtschaftsfreiheit und das Gebot der Wettbewerbsneutralität (Art. 94 Abs. 1 i. V. m. 4 BV) verlangen ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Entsprechend sind bereits unter geltendem Recht Aufträge ausserhalb des Staatsvertragsbereichs einer eingehenden vergaberechtlichen Ordnung unterstellt (3. Kapitel der VöB). Daran wird festgehalten, wobei diese Unterstellung nun stufengerecht im Gesetz erfolgt.

Art. 8

Öffentlicher Auftrag

Im Binnenrecht (BöB, VöB und IVöB/VRöB) wurde bisher auf eine Definition des öffentlichen Auftrags verzichtet. Die Rechtsprechung hat fallweise Kriterien für die objektive Unterstellung formuliert. Dies führte zu einer Rechtsunsicherheit, die mit dem vorliegenden Entwurf beseitigt werden soll.

Abs. 1 Der vergaberechtliche Begriff des öffentlichen Auftrags ist nicht deckungsgleich mit demjenigen des «Auftrags» im Obligationenrecht. Ein öffentlicher Auftrag ist ein Geschäft, mit dem sich eine dem Gesetz unterstellte Auftraggeberin gegen Bezahlung die Leistungen beschafft, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. Die beschaffte Leistung muss es der Auftraggeberin ermöglichen oder erleichtern, eine ihr zugewiesene öffentliche Aufgabe zu erfüllen. Auftraggeberinnen im Sinn dieses Gesetzes sind Verwaltungseinheiten, Behörden sowie Unternehmen, die eine Leistung beschaffen, eine bestimmte öffentliche Aufgabe übertragen oder gewisse Konzessionen verleihen (vgl. Art. 4 und 9).

Erstes Begriffselement ist die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe. Öffentliche Aufgaben sind all jene Aufgaben, die der Staat aufgrund eines Rechtssatzes wahrzunehmen hat. Sie reichen von polizeilichen Aufgaben bis zur Daseinsvorsorge und dem Umweltschutz. Demgegenüber fallen Aufgaben, die rein privaten Interessen dienen, nicht in den Geltungsbereich des Beschaffungsrechts.62 Eine Besonderheit ­ und verwandt mit Erscheinungen der Public Private Partnerships ­ bilden Sponsoringverträge. Auch hier handelt es sich um eine Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und privaten Anbieterinnen, wobei nicht in jedem Fall eine direkte Gegenleistung geschuldet wird. Zu unterscheiden sind die reinen Sponsoringverträge, die einzig der Förderung der Erfüllung einer vom Empfänger gewählten Aufgabe dienen, von den gemischten Verträgen, die nebst dem 62

Statt vieler: BGer-Urteil 2C_198/2012 vom 16. Okt. 2012.

1895

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Förderzweck auch eine direkte Leistung (beispielsweise Entgelt für eine Standmiete an einem Grossanlass) beinhalten. Als Förderung ist dabei derjenige Betrag zu qualifizieren, der das Entgelt für die direkte Gegenleistung übersteigt. Er kann je nach Vertragsgestaltung einen kleineren oder grösseren Anteil des vertraglich vereinbarten Gesamtbetrags ausmachen. Da dieser Förderanteil eine Finanzhilfe darstellt, wird dafür zwingend eine gesetzliche Grundlage benötigt. Finanzhilfen sind vom Beschaffungsrecht ausgenommen (Art. 10 Abs. 1 Bst. c E-BöB). Bei gemischten Verträgen ist die mit dem Sponsoringvertrag direkt eingekaufte Leistung im Umfang des auf dem Markt üblicherweise dafür geschuldeten Betrags als Gegenstand eines öffentlichen Auftrags im Sinne des Beschaffungsrechts zu qualifizieren.

Nur entgeltliche Verträge unterstehen dem Gesetz. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass die Gegenleistung regelmässig in Form von Geld erfolgt. Auch geldwerte Vorteile (wie die Möglichkeit, ein ausschliessliches Recht zu nutzen) fallen unter die Legaldefinition. Immer muss indessen ein Austauschverhältnis (Synallagma) vorliegen, in welchem die Auftraggeberin als Abnehmerin der Leistung auftritt. Einseitige Verträge wie Schenkungen oder unvollkommen zweiseitige Verträge wie eine Gebrauchsleihe stellen keine öffentlichen Aufträge dar. Nicht erforderlich ist hingegen, dass Leistung und Gegenleistung direkt zwischen den gleichen Parteien ausgetauscht werden. Denkbar ist es sowohl, dass Dritte (und nicht die Auftraggeberin) Empfänger der Leistung sind, als auch der umgekehrte Fall, dass das Entgelt der Anbieterin nicht von der Auftraggeberin, sondern von Dritten bezahlt wird.

Schliesslich kann nur dann von einem öffentlichen Auftrag gesprochen werden, wenn die Anbieterin die charakteristische Leistung erbringt. Charakteristisch ist immer diejenige Leistung, die (mit Geld oder geldwerten Vorteilen) entgolten wird.

Nicht erforderlich ist, dass die Auftraggeberin die so beschaffte charakteristische Leistung auch selber nutzt. Die Nutzung durch Dritte (Begünstigte der staatlichen Aufgabe) ändert nichts an der Qualifikation als öffentlicher Auftrag.

Abs. 2 Öffentliche Aufträge nach diesem Gesetz dienen der Beschaffung von Bauleistungen, Lieferungen (Waren) und Dienstleistungen. Diese Gliederung, die auf die
Verpflichtungslisten der Schweiz nach den internationalen Beschaffungsübereinkommen zurückgeht, wird bereits im BöB sowie in der IVöB und in den VRöB verwendet.

Welche konkreten Leistungen Gegenstand öffentlicher Aufträge im Staatsvertragsbereich sein können, ergibt sich aus den Anhängen 1, 2 und 3 des Gesetzes.

Abs. 3 Unter gemischten Aufträgen sind öffentliche Aufträge zu verstehen, die sich aus verschiedenen Leistungen (Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen) zusammensetzen. Dies ist zum Beispiel bei IT-Projektverträgen regelmässig der Fall.

Werden in einem Auftrag Bau- und Dienstleistungen kombiniert, wie dies bei Totaloder Generalunternehmerverträgen vorkommt, ist der gesamte öffentliche Auftrag als Bauleistung zu qualifizieren. Die Zuordnung gemischter Aufträge ist für die Bestimmung des Schwellenwerts (vgl. Art. 16) relevant. Entsprechend der von der Rechtsprechung entwickelten Schwergewichtstheorie soll sich auch bei einem gemischten Auftrag die vergaberechtliche Natur des Gesamtgeschäfts nach den in finanzieller Hinsicht überwiegenden Leistungsteilen richten. Als Pendant zum 1896

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Zerstückelungsverbot in Artikel 15 Absatz 2 wird hier ein Misch- und Bündelungsverbot statuiert. So ist es beispielsweise nicht zulässig, im Schatten der nach Artikel 10 vom Beschaffungsrecht ausgenommenen Tatbestände weitere ­ unterstellte ­ Dienstleistungen und Lieferungen zu beschaffen, wenn dadurch das Gesetz umgangen wird. Eine rechtswidrige Absicht der Auftraggeberin wird nicht vorausgesetzt.

Umgekehrt führt eine ­ sachlich begründete ­ Bündelung von Leistungen, die teilweise unterstellt und teilweise nicht unterstellt sind, nicht zur «Infektion» der gesamten Beschaffung, wenn der überwiegende Teil der Leistungen vom Beschaffungsrecht ausgenommen ist. Die abweichende Praxis des Bundesverwaltungsgerichts im Zusammenhang mit einer Sektorentätigkeit63 würde dazu führen, dass sachlich überwiegende Leistungen contra legem dem Gesetz unterstellt werden. Das entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers.

Abs. 4 Im Staatsvertragsbereich unterstehen diesem Gesetz die Aufträge nach Massgabe der Anhänge 1­3 E-BöB, falls die Schwellenwerte gemäss Anhang 4 Ziffer 1 erreicht werden. Anhang 1 enthält die Positivliste für Bauleistungen und Anhang 3 die Positivliste für Dienstleistungen. Anhang 2 Ziffer 1.2 enthält die Positivliste für das Material für Verteidigung und Sicherheit. Anhang 2 Ziffer 1.1 Buchstabe a erfasst nicht nur militärische, sondern auch andere mit der Sicherheit beauftragte Auftraggeberinnen (z. B. Zivilschutz, Grenzwache, Zollbehörden). Sämtliche Waren, die von anderen Auftraggeberinnen beschafft werden, unterstehen gemäss Anhang 2 Ziffer 1.1 Buchstabe b ebenfalls dem Staatsvertragsbereich. Diese Anhänge entsprechen den Annexen 4, 5 und 6 des Anhangs I (Schweiz) zum GPA 2012.

Anhang 4 schliesslich enthält die Schwellenwerte für die verschiedenen Auftragsarten (Ziff. 1 betrifft die Aufträge im Staatsvertragsbereich, Ziff. 2 die übrigen). Anhang 4 Ziffer 1 wird nach Massgabe der internationalen Verpflichtungen und der Umrechnungskurse sowie nach Konsultation des InöB periodisch durch den Bundesrat angepasst (Art. 16 Abs. 1 E-BöB).

In den Staatsvertragsbereich fallen ausschliesslich die in der Positivliste abschliessend genannten Dienst- und Bauleistungskategorien. Während beispielsweise Informatikdienstleistungen (CPC64­Klassifikation 84) unterstellt sind, trifft dies auf den Personalverleih
(CPC­Klassifikation 872) nicht zu ­ selbst wenn er im Informatikbereich erfolgt. Die nicht aufgeführten Dienstleistungen sind daher nach Massgabe der Vorschriften für Vergaben ausserhalb des Staatsvertragsbereichs auszuschreiben.

Während der Rechtsmittelweg für diese Beschaffungen nach geltendem Recht nicht offen steht, soll künftig auch bei Aufträgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs (sekundärer) Rechtsschutz gewährt werden (vgl. Erläuterungen zum 8. Kapitel).

Abs. 5 Anhang 5 schafft einen Überblick über die öffentlichen Aufträge ausserhalb des Staatsvertragsbereichs und zählt die dafür massgeblichen Bestimmungen auf. Für Vergaben ausserhalb des Staatsvertragsbereichs ergeben sich einige Besonderheiten, 63 64

BVGer B-4288/2014 vom 25. März 2015, E. 2.1, 2.2.

Central Product Classification (Zentrale Gütersystematik der Vereinten Nationen); diese Klassifikation ist auf der Internetplattform nach Art. 48 Abs. 1 E-BöB zu finden.

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dies hinsichtlich des Markzutritts ausländischer Anbieterinnen (Art. 6 Abs. 2), der Bestimmung des für die Verfahrenswahl massgeblichen Auftragswerts bei Bauleistungen (Art. 16 Abs. 4 und 5), der Bedeutung des Einladungsverfahrens (Art. 20), der Berücksichtigung von Ausbildungsplätzen (Art. 29 Abs. 2), der Frist für die Einreichung von Angeboten (Art. 46 Abs. 4), des Zeitpunkts des Vertragsabschlusses (Art. 42 Abs. 1) sowie des Rechtsschutzes (Art. 52 Abs. 2). Mit diesen besonderen Anforderungen für Vergaben im Binnenmarkt wird eine Flexibilisierung des Vergabeverfahrens erreicht, ohne die Erreichung des Gesetzeszwecks zu gefährden.

Artikel 6 Absatz 3 des Abkommens Schweiz­EU dehnt die Grundsätze der Inländerbehandlung und der Nicht-Diskriminierung mittelbar auf den Bereich unterhalb der massgeblichen staatsvertraglichen Schwellenwerte aus. Im Gegensatz zur Unterstellung der subzentralen Auftraggeberinnen (Kantone, Gemeinden und andere Träger kantonaler oder kommunaler Aufgaben) erfolgt die Unterstellung der Auftraggeberinnen des Bundes unterschiedslos: Dieselben Auftraggeberinnen sind im Staatsvertragsbereich und ausserhalb des Staatsvertragsbereichs unterstellt. Demgegenüber erweitert das Gesetz den Begriff der unterstellten Aufträge (sogenannte objektive Unterstellung) nach vier Seiten hin:

65 66 67

­

Erstens werden Aufträge auch unterhalb der staatsvertraglichen Schwellenwerte auf Gesetzesstufe erfasst. Bereits ab einem Auftragswert von 150 000 Franken sollen Lieferungen und Dienstleistungen in einem Einladungsverfahren vergeben werden (Bauleistungen ab einem Auftragswert von 300 000 Fr.). Dies führt nicht zur Öffnung oder Erweiterung des subjektiven Geltungsbereichs, wie er in Artikel 4 E-BöB festgelegt wird. Zudem erfolgt eine Erweiterung hinsichtlich der erfassten Auftrags- bzw. Leistungsarten: Während das Staatsvertragsrecht bei den militärischen Gütern sowie den Dienstund Bauleistungen mit Positivlisten operiert, erfasst das Binnenrecht alle öffentlichen Aufträge, unabhängig von deren Klassifikation.

­

Zweitens sollen auch die Übertragung öffentlicher Aufgaben und die Erteilung von Konzessionen unter gewissen Umständen nach den Regeln des Beschaffungsrechts erfolgen (Art. 9 E-BöB).

­

Drittens werden auch Beschaffungen in den Bereichen Landesverteidigung und Sicherheit, die nicht vom Geltungsbereich des GPA 2012 erfasst sind, einer vergaberechtlichen Ordnung unterstellt. Der in Anhang 5 Ziffer 1 Buchstabe c definierte umfassende Rüstungsbegriff ist in direktem Zusammenhang mit Anhang 1 des Gesetzes zu sehen. Für die Definition des Begriffs Kriegsmaterial kann auf Artikel 5 des Kriegsmaterialgesetzes vom 13. Dezember 199665 sowie auf die Munitions List des Wassenaar Arrangement, die dem Anhang der Kriegsmaterialverordnung vom 25. Februar 199866 zugrunde liegt, zurückgegriffen werden.67

­

Und viertens werden Aufträge für die internationale Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit, Förderung des Friedens und der menschlichen Sicherheit, obwohl von Artikel II Absatz 3 GPA 2012 integral ausgeklammert, ebenfalls SR 514.51 SR 514.511 BRK 2003-004 vom 27. März 2003, E. 3 f.

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diesem Gesetz unterstellt (Anh. 5 Ziff. 1 Bst. d). Diese Unterstellung reicht allerdings nur so weit, als diese Leistungen nicht nach Artikel 10 vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen sind.

Art. 9

Übertragung öffentlicher Aufgaben und Verleihung von Konzessionen

Im Gegensatz zu den «Baukonzessionen» ­ die namentlich in der EU und den EFTA-Staaten (ausser der Schweiz) sowie Korea unterstellt sind ­ werden sogenannte «Dienstleistungskonzessionen» weder vom GPA 1994 noch vom GPA 2012 erfasst. Nach der Legaldefinition in der Richtlinie 2014/23/EU68 ist eine Baukonzession ein entgeltlicher schriftlich geschlossener Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Nutzung des vertragsgegenständlichen Bauwerks oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung besteht. Als Beispiel mag der Bau und Betrieb von Tunnels oder Autobahnabschnitten durch private Anbieter dienen.

Entsprechend bezeichnet der Begriff der Dienstleistungskonzession einen Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der vertragsgegenständlichen Dienstleistungen oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung besteht.69 Diese Dienstleistung kann zum Beispiel die Entsorgung bestimmter Abfälle oder den Betrieb eines öffentlichen Parkhauses beinhalten.

Es besteht somit im Licht der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz keine Pflicht, die Vergabe von Konzessionen generell zu unterstellen. Falls die Schweiz eines Tages Baukonzessionen einführen sollte, müsste die Vergabe gegenüber den oben genannten Staaten sowie gewissen Partnern von Freihandelsabkommen Gegenstand einer öffentlichen Ausschreibung bilden (vgl. Annex 6 des Anhangs I [Schweiz] zum GPA 2012). Dienstleistungskonzessionen finden sich in der Schweiz in grosser Zahl bereits heute, ohne dass sich dieser Begriff eingebürgert hat.

Die Konzessionen des schweizerischen Verwaltungsrechts sind vielgestaltig ­ die Konzession gibt es nicht. Die Unterstellung unter das Beschaffungsrecht erfolgt ­ wie bereits nach Artikel 8 ­ immer dann, wenn die Übertragung einer öffentlichen Aufgabe infrage steht. Der Begriff wird im Gesetz in dem Sinn verwendet, dass eine private Anbieterin mit der Verleihung Rechte erhält, die ihr vorher nicht zustanden.

Konzessionen, die nicht im Zusammenhang mit öffentlichen
Aufgaben stehen (z. B.

Sondernutzungskonzessionen) oder die der Bewerberin kein Alleinstellungsmerkmal vermitteln, werden nicht erfasst. Für Kantone und Gemeinden gilt in diesem Zusammenhang die Ausschreibepflicht nach Artikel 2 Absatz 7 BGBM. Auch bei Monopolkonzessionen und Konzessionen öffentlicher Dienste bietet das Beschaffungsrecht mit seinem Fokus auf Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit jedoch nicht in allen Fällen den passenden Rahmen für die Konzessionsvergabe. Spezialgesetzliche 68 69

Art. 5 Abs. 1 Bst. a Richtlinie 2014/23/EU [Fn 39].

Art. 5 Abs. 1 Bst. b Richtlinie 2014/23/EU [Fn 39].

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Regeln gehen vor (z. B. Art. 3a StromVG, Art. 60 Abs. 3bis und Art. 62 Abs. 2bis WRG).

So kennt zum Beispiel Artikel 6 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 70 für die Infrastrukturkonzessionen keine Ausschreibungspflicht. Auch das Personenbeförderungsgesetz vom 20. März 200971 (PBG) kennt keine allgemeine Ausschreibungspflicht. Auszuschreiben sind Angebote auf der Strasse (Art. 32 Abs. 1 PBG); solche auf der Schiene können ausgeschrieben werden (Art. 32 Abs. 3 PBG). Wo eine Ausschreibung erfolgt, werden schon heute die Ausschreibungsverfahren mit dem Verfahren zur Erteilung oder Erneuerung der Konzession koordiniert. Der Vergabeentscheid aus dem Ausschreibungsverfahren sowie die Erteilung oder Erneuerung der Konzession bilden Teil ein- und derselben Verfügung (Art. 32b PBG). Weitere Bereiche, die vom Beschaffungsrecht ausgenommen bleiben, finden sich im Wasser- und Energierecht sowie im Fernmelde- und im Rundfunkrecht. Dies betrifft einerseits die Erteilung einer Grundversorgungskonzession gemäss Artikel 14 des Fernmeldegesetzes vom 30. April 199772 (FMG) sowie die Erteilung einer Funkkonzession gemäss Artikel 24 FMG und anderseits die Übertragung der Verwaltung und Zuteilung bestimmter Adressierungselemente auf Dritte gemäss Artikel 28 Absatz 2 FMG. Im Radio- und Fernsehgesetz vom 26. März 200673 (RTVG) finden sich spezialgesetzliche Ausnahmebestimmungen für die Erteilung von Veranstalterkonzessionen gemäss Artikel 25 RTVG (an die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR) sowie gemäss den Artikeln 38 ff. RTVG (an andere Veranstalter mit Leistungsauftrag und Gebührenanteil) und gemäss den Artikeln 43 ff. RTVG (an andere Veranstalter mit Leistungsauftrag ohne Gebührenanteil).

Der Staat hat infolge beschränkter Ressourcen und Besinnung auf seine Kernkompetenzen öffentliche Aufgaben in verschiedenen Bereichen und auf allen Stufen (Bund, Kantone und Gemeinden) an private Anbieterinnen ausgelagert. Aus der Sicht des Finanzhaushaltrechts und des diskriminierungsfreien Marktzutritts kann es keinen Unterschied machen, ob der Staat eine Leistung einkauft oder ihre Erfüllung unter Auslagerung des Betriebsrisikos einem Dritten überlässt. Beide Male ist sicherzustellen, dass die Erbringung der Leistung bzw. die Erfüllung der Aufgabe effizient erfolgt und es allen qualifizierten Anbieterinnen
offen steht, sich für die Leistungserbringung zu bewerben. Bis anhin existierten keine gesetzlichen Bestimmungen zum Verfahren für die Übertragung von öffentlichen Aufgaben. Auch die Gerichtspraxis zu solchen Übertragungen ist unübersichtlich. Mit den vorgeschlagenen Bestimmungen (Art. 9 E-BöB und Art. 15b SuG) soll dies geändert und Rechtssicherheit geschaffen werden.

Der Verweis auf «öffentliche Aufgaben» erfasst alle Bereiche, in denen den Staat eine Erfüllungsverantwortung trifft. Als Beispiele mögen Politikbereiche wie das Polizeiwesen, d. h. der Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, sowie die Gesundheits- oder die Sozialpolitik dienen. Ist der Staat etwa von Gesetzes wegen gehalten, für die Entsorgung problematischer Abfälle zu sorgen, so kann er diese 70 71 72 73

SR 742.101 SR 745.1 SR 784.10 SR 784.40

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Aufgabe Dritten übertragen, sofern eine gesetzliche Grundlage dazu besteht. Eine solche Übertragung erfüllt grundsätzlich alle Begriffsmerkmale eines öffentlichen Auftrags.74 Lässt der Staat eine Aufgabe gestützt auf eine gesetzliche Grundlage durch Dritte erbringen, dann untersteht die Übertragung dieser staatlichen Aufgabe grundsätzlich dem Geltungsbereich des Beschaffungsrechts. Dies gilt unabhängig davon, ob die Finanzierung direkt durch die Auftraggeberin oder aus Mitteln eines Fonds oder einer Versicherung erfolgt. Nach Artikel 9 E-BöB bleiben spezialgesetzliche Bestimmungen vorbehalten. Dieser Vorbehalt ist nötig, weil die Anwendung der beschaffungsrechtlichen Bestimmungen nicht für jeden Fall einer Aufgabenübertragung sachgerecht ist. Beispielsweise ist für die Übertragung von Aufgaben im Bereich Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht oder für diejenige von Dienstleistungen mit Monopolcharakter manchmal der Empfänger im spezialgesetzlichen Erlass explizit bestimmt75 oder es wird eigens dafür eine Anstalt errichtet. Ein Wettbewerb findet diesfalls nicht statt. Wenn die Aufgabe aber an privatrechtliche Empfänger übertragen werden soll und mehrere Anbieterinnen zur Verfügung stehen, die in der Lage wären, die Aufgabe zu erfüllen und dafür eine Abgeltung entrichtet werden soll, muss das Auswahlverfahren transparent, objektiv und unparteiisch erfolgen.

Um dies sicherzustellen wird Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe e SuG mit einer neuen Ziffer 1 ergänzt. Ausserdem sind im Spezialgesetz neu auch die Rechtsform der Übertragung (Verfügung oder öffentlich-rechtlicher Vertrag), die Anforderungen im Hinblick auf die Aufgabenübertragung und der Rechtsschutz zu regeln. Besteht keine Regelung zum Rechtsschutz, kommen die entsprechenden subventionsrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung (Art. 10 Abs. 1 Bst. e Ziff. 2 SuG).

Bis anhin bestand keine Pflicht zur Regelung des Auswahlverfahrens, weshalb diesbezüglich in zahlreichen bestehenden Spezialerlassen keine oder nur ungenügende Bestimmungen enthalten sind. Hier bietet sich in Bezug auf das Auswahlverfahren die Anwendung von beschaffungsrechtlichen Bestimmungen geradezu an. Da jedoch die Übertragung von öffentlichen Aufgaben primär im SuG geregelt ist, entstehen bei der gleichzeitigen Anwendung des Beschaffungsrechts verschiedene Schnittstellen, die es zu
regeln gilt. Entsprechend verweist Artikel 15b SuG in Bezug auf das Auswahlverfahren auf die Bestimmungen des E-Böb ausserhalb des Staatsvertragsbereichs (Abs. 1), während die Publikation des Auswahlverfahrens im Bundesblatt erfolgt (Abs. 2). Der Rechtsschutz richtet sich nach den Bestimmungen des SuG (Abs. 2), so auch die Übertragung und die Abgeltung nach einem rechtskräftig abgeschlossenen Auswahlverfahren (Abs. 3).

Weil für die Übertragung öffentlicher Aufgaben über Artikel 9 E-BöB auf die spezialgesetzlichen Bestimmungen (jeweiliges Fachgesetz oder SuG) verwiesen wird, sind sie von den anderen öffentlichen Aufträgen zu unterscheiden. Die Abgrenzung ist aber nicht immer einfach vorzunehmen. Obwohl sich die Übertragung einer öffentlichen Aufgabe zwingend auf eine gesetzliche Grundlage stützen muss, kann bei deren Existenz nicht automatisch auf das Vorliegen einer Aufgabenübertragung geschlossen werden. Auch für andere öffentliche Aufträge existieren Bestimmungen auf Gesetzesebene. Ebenfalls nur begrenzt geeignet als Unterscheidungskriterium ist 74 75

BRK 1999-006 vom 3. Sept. 1999.

So z. B. in Art. 2 Abs. 2 der Verordnung vom 18. Dez. 1995 über den Flugsicherungsdienst (VFSD), SR 748.132.1.

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der Wortlaut der entsprechenden Gesetzesbestimmung: Oftmals bestehen kaum Unterschiede. Die Verwaltung wird zum Beizug oder zur Beauftragung Dritter, zur Durchführung von Kontrollen durch Dritte oder zur Übertragung von gewissen (Teil-) Bereichen an Dritte ermächtigt. Erst aus den Materialien wird ersichtlich, ob nur eine administrative Hilfstätigkeit oder weitergehende Befugnisse an Dritte vergeben werden dürfen. Die Gesetzesartikel gleichen sich auch in Bezug auf die Regelungsdichte. Die historisch gewachsenen Bestimmungen zur Übertragung von öffentlichen Aufgaben genügen den heutigen Anforderungen oft nicht. Statt die Aufgabe zu definieren, das Vorgehen beim Aufgabenübergang zu bestimmen, die Aufsicht durch den Bund, die Finanzierung und die Haftung zu regeln sowie verfahrensrechtliche und allenfalls organisatorische Fragen zu klären, wird oft nur festgehalten, dass die Aufgabe übertragen werden darf. Massgebend für die Unterscheidung ist auch nicht die Form der Übertragung oder Beleihung (obwohl regelmässig ein öffentlich-rechtlicher Vertrag [bspw. Leistungsvereinbarungen] geschlossen werden dürfte), sondern die Wirkung der Aufgabenübertragung. Ob im konkreten Fall eine Aufgabenübertragung oder ein anderer öffentlicher Auftrag vorliegt, muss im Einzelfall abgeklärt werden. Um trotz dieser Abgrenzungsschwierigkeiten zu verdeutlichen, wann Artikel 9 E-BöB zur Anwendung gelangt, enthält die nachstehende Tabelle einige illustrative Beispiele gesetzlicher Bestimmungen des Bundesrechts, die es den Behörden erlauben, öffentliche Aufgaben an Dritte zu übertragen (und deren Übertragung Gegenstand von Ausschreibungen sein kann): SR Nr.

Artikel/Gesetz

Beschrieb

SR 725.11

Art. 49a Abs. 2 Nationalstrassengesetz (NSG)

SR 730.0

Art. 15bbis Abs. 7 Energiegesetz (EnG)

SR 734.0

Art. 21 Ziff. 2 Elektrizitätsgesetz (EleG)

SR 784.40

Art. 69d Abs. 1 RTVG

Übertragung der Ausführung des betrieblichen und projektfreien baulichen Unterhalts der Nationalstrassen an Dritte (nicht Kantone) Übertragung von Aufgaben im Zusammenhang mit dem Vollzug bei der Rückerstattung der Zuschläge auf die Übertragungskosten der Hochspannungsnetze Übertragung der Kontrolle der Vorschriften für die übrigen Schwach- und Starkstromanlagen mit Inbegriff der elektrischen Maschinen an ein vom Bundesrat bezeichnetes Inspektorat Übertragung der Erhebung der Empfangsgebühren und die damit verbundenen Aufgaben an eine unabhängige Organisation (Gebührenerhebungsstelle)

Die Schwellenwerte des Anhangs 4 gelten bei der Übertragung öffentlicher Aufgaben und bei der Verleihung von Konzessionen analog. Wie bei anderen öffentlichen Aufträgen ist anhand der charakteristischen Leistung der Anbieterin die jeweilige 1902

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Auftragsart (Bauleistung, Lieferung oder Dienstleistung) zu bestimmen. Gemischte Aufträge sind anhand des Schwergewichts zu unterstellen.

Art. 10

Ausnahmen

Diese Bestimmung sieht einen Katalog von Leistungen vor, die vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen sind. Es handelt sich dabei um eine abschliessende Aufzählung. Alle Ausnahmen sind bereits im Staatsvertragsrecht enthalten oder ergeben sich aus einem Vorbehalt der Schweiz anlässlich ihres Beitritts zum jeweiligen Übereinkommen.

Die folgende Aufzählung überführt die Ausnahmen von Artikel II Absatz 3 und Artikel III GPA 2012 ins nationale Recht, (wobei die Formulierungen der bisher geltenden Artikel 3 BöB und Artikel 10 IVöB nach Möglichkeit beibehalten werden).

Abs. 1 Bst. a: Der Grundsatz, dass die Beschaffung von Leistungen für den gewerblichen Verkauf oder Wiederverkauf freigestellt ist, gilt nach Massgabe des revidierten GPA (Art. II Abs. 2 Bst. a (ii)) für alle Auftraggeberinnen. «Gewerblicher Verkauf oder Wiederverkauf» bedeutet Veräusserung unter Wettbewerbsbedingungen. Kauft beispielsweise ein Verteilnetzbetreiber Strom und liefert er diesen ausschliesslich an freie Endverbraucher, dann ist das Beschaffungsgeschäft freigestellt. Der Wettbewerbsdruck im nachgelagerten Markt sorgt dafür, dass der Einkauf zu effizienten Bedingungen erfolgt.

Bst. b: Grundstücke sind Liegenschaften, die in das Grundbuch aufgenommenen selbstständigen und dauernden Rechte (z. B. das selbstständige Baurecht), Miteigentumsanteile an Grundstücken sowie Bergwerke (Art. 655 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs76 [ZGB]). Bauten sind Gebäude oder Teile davon. Anlagen sind Infrastrukturbauten wie Strassen und Mobilfunkantennen.

Bst. c: Dieser unechte Ausnahmetatbestand bezieht sich auf die Erteilung von Finanzhilfen (vgl. Art. 3 Abs. 1 SuG). Diese geldwerten Vorteile dienen einzig der Förderung oder dem Erhalt einer vom Empfänger oder von der Empfängerin gewählten Aufgabe und sind vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen.

Bst. d: Unter diese Ausnahme fallen beispielsweise die Bewirtschaftung von öffentlichen Schulden sowie Liquiditäts- und Fremdwährungsbewirtschaftung. Ebenfalls nicht dem Gesetz unterstellt sind die Vermögensbewirtschaftung (und zwar für alle Anlageklassen wie Liquidität, Obligationen, Aktien, Immobilien, Fondsanteile, strukturierte Produkte und Derivate, alternative Anlagen sowie weitere Anlageklassen) sowie die Beschaffung von Dienstleistungen in diesem Zusammenhang. Dies gilt unabhängig davon,
wer für die Vermögensbewirtschaftung zuständig ist oder einen entsprechenden Auftrag erteilt. Zu denken ist insbesondere an die Vermögensbewirtschaftung durch Organe der ersten (Compenswiss) und zweiten Säule (PUBLICA) sowie durch andere Verwaltungseinheiten oder Organisationen (beispielsweise Bundestresorerie oder Stilllegungs- und Entsorgungsfonds nach Arti76

SR 210

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kel 77 ff. des Kernenergiegesetzes vom 21. März 200377 [KEG] sowie der Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung vom 7. Dezember 200778 [SEFV]). Im Übrigen sind die Begriffe «Finanzdienstleistungen» und «Finanzinstrumente» in Übereinstimmung mit den Legaldefinitionen des Entwurfs für das Finanzdienstleistungsgesetz auszulegen.

Bst. e entspricht dem heutigen Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a BöB.

Bst. f ist ebenfalls eine unechte Ausnahme: Stellt eine öffentliche Auftraggeberin Personal ein, handelt es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag. Dies gilt auch für Arbeitsverhältnisse, die dem Obligationenrecht unterstehen. Wird zum Erbringen der Leistungen Personal im Sinne des Personalverleihs beigezogen, ist dies dem revidierten Gesetz grundsätzlich unterstellt. Da der Personalverleih nicht durch die in Anhang 3 aufgeführten Dienstleistungskategorien erfasst wird, fällt er nicht in den Staatsvertragsbereich und ist nach den Bestimmungen über die Vergabe von Aufträgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs zu behandeln.

Bst. g: Hintergrund dieser Ausnahme, die sich insbesondere auf Anwaltsmandate bezieht, sind Verfahren im Zusammenhang mit internationalen Investitionsschutzabkommen. Wird ein Staat vor einem nationalen oder internationalen Schieds- oder sonstigen Gericht oder einer Schlichtungsbehörde eingeklagt, bedarf er zu seiner Verteidigung in der Regel externer Ressourcen. Zu denken ist beispielsweise an Investitionsschutzstreitigkeiten, Klagen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, Streitschlichtungsverfahren im Rahmen der WTO und analoge Verfahren unter den Freihandelsabkommen. Bei manchen Verfahren, insbesondere solchen nach Investitionsschutzabkommen, läuft vorab eine sogenannte «cooling off»Periode von in der Regel zwölf Monaten. Die Nicht-Anwendung eines Vergabeverfahrens wegen Dringlichkeit fällt in solchen Konstellationen ausser Betracht, und ein Vertretungsmandat müsste ausgeschrieben werden, wenn das Gesetz keine Ausnahmeklausel enthält. Gegen eine Ausschreibung bzw. für eine Ausnahme sprechen Gründe wie die Prozesstaktik, die Fristenwahrung und das besondere Vertrauensverhältnis, das durch den Beizug einer Anwältin oder eines Anwalts gegründet wird.

Noch bevor eine Ausschreibung stattfinden kann, müsste in den genannten Verfahren anwaltlicher Rat beigezogen werden, schon
nur, um dann das Mandat korrekt auszuschreiben. Die hierfür beigezogene Kanzlei könnte sich dann aber wegen Vorbefassung nicht mehr für das Hauptmandat bewerben. Die Vorbefassung durch Vorabinformation aller potenziellen Anbieterinnen zu neutralisieren, würde wiederum die Prozesstaktik unterlaufen. Im Ergebnis müsste genau jene Person bzw.

Kanzlei für das Vertretungsmandat ausscheiden, zu der bereits ein besonderes Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde. Dies wäre nicht im Interesse der Schweizerischen Eidgenossenschaft als beklagte Partei.

Die Ausnahme nach Buchstabe g steht mit der Positivliste nach Annex 5 zum GPA («Beratungsdienstleistungen auf dem Gebiet des Rechts des Herkunftslandes und des Völkerrechts, Teil von CPC 861») in Einklang. Mit dem Vertretungsmandat «zusammenhängende Dienstleistungen» sind insbesondere Dokumentations- und

77 78

SR 732.1 SR 732.17

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Übersetzungsdienstleistungen sowie Expertenmandate. Auch Artikel 10 Buchstabe d, Ziffern i und ii der Richtlinie 2014/24/EU79 sieht eine analoge Regelung vor.

Bst. h: Beschaffungen für Massnahmen der internationalen humanitären Nothilfe und im Bereich Agrar- und Ernährungshilfe sind nicht dem Gesetz unterstellt, wenn das Element der Kurzfristigkeit vorliegt (Ziff. 1). Ausgenommen wäre beispielsweise die Beschaffung von Nothilfematerial sowie Nahrungs- und Arzneimitteln für die überlebenden Opfer nach einem Erdbeben oder einer Überschwemmung. Im Rahmen der Vorsorge und Planung bleibt das Beschaffungsrecht hingegen anwendbar (z. B. Rahmenverträge, aufgrund derer die Leistung im Notfall abgerufen werden kann). Im Bereich der internationalen Zusammenarbeit schliesst die Schweiz mit den Empfängerstaaten wenn möglich internationale Abkommen über die gemeinsam durchzuführenden Projekte. Die Vertragsparteien einigen sich in diesen Abkommen auch darüber, wie respektive nach welchen Grundsätzen Beschaffungen im Hinblick auf die Umsetzung der Projekte durchgeführt werden sollen (Ziff. 2). Dasselbe gilt für die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen beziehungsweise wenn die Schweiz Aufträge vergibt im Rahmen von international koordinierten Aktionen.

Internationale Organisationen wie die UNO verfügen über eigene Vergabeverfahren, die einheitlich angewandt werden sollen. Es würde sich dort nicht rechtfertigen, solche Beschaffungen in das Korsett des schweizerischen Beschaffungsrechts zu zwängen (Ziff. 3). Daher umfasst dieser Ausnahmetatbestand auch Konstellationen, in denen eine dem Gesetz unterstellte öffentliche Auftraggeberin Leistungen bei einer internationalen Organisation beschafft (z. B. von einer internationalen Organisation entwickelte Informatiksysteme, die sie ihren Mitgliedern zur Verfügung stellt). Die internationalen Organisationen unterstehen ihrerseits ihren jeweiligen Beschaffungsregeln und verrechnen Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen zu ihren definierten Bedingungen.

Die Massnahmen der internationalen Zusammenarbeit bezwecken unter anderem die Förderung der lokalen Kapazitäten inklusive des Privatsektors (vgl. z. B. Art. 5 und 6 des Bundesgesetzes vom 19. März 197680 über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe). Um dieses Ziel zu erreichen,
können die zuständigen Bundesstellen lokale Ausschreibungen mit auf lokale Anbieterinnen beschränktem Anbieterkreis im Empfängerstaat durchführen. Dies soll auch möglich sein, wenn beispielsweise aus politischen Gründen kein internationales Abkommen mit dem Empfängerstaat abgeschlossen werden kann (vgl. Ziff. 2). Als äquivalent im Sinne von Ziffer 4 gilt ein Verfahren, wenn dadurch ein wirtschaftlicher Einsatz der öffentlichen Gelder gewährleistet wird und die Grundsätze des Beschaffungsrechts beachtet werden.

Abs. 2 Die Beschaffungen nach Buchstabe h (internationale Hilfe und Zusammenarbeit) sind aufgrund des Transparenzgebots nachvollziehbar zu dokumentieren. Eine allfällige Publikation der Dokumentation liegt im Ermessen der Auftraggeberin.

79 80

Siehe Fussnote [40].

SR 974.0

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Abs. 3 In dieser Bestimmung werden vier Fälle nicht unterstellter Beschaffungen behandelt: Monopole, Instate-, Inhouse- und Quasi-Inhouse-Beschaffungen. Für die Sektorenunternehmen sind diese Ausnahmen vom Geltungsbereich (die zur Nichtanwendung des Beschaffungsrechts insgesamt führen) im Lichte der Notes relatives zum Annex 4 zum Anhang I (Schweiz) zum GPA 1994 sowie in Übereinstimmung mit Anhang VIII zum Abkommen Schweiz­EU auszulegen und anzuwenden.

Bst. a: Nach Ziffer B.2 des Annex 7 zum Anhang I (Schweiz) des GPA 2012 ist die Beschaffung von Lieferungen und Dienstleistungen ausgenommen, wenn diese nur von einer einzigen Anbieterin, die über ein ausschliessliches Recht (Monopol) verfügt, erbracht werden können. Als Beispiel mag die Beschaffung von Trinkwasser dienen.

Bst. b: Die «Instate»-Ausnahme bedeutet, dass die Beschaffung einer Auftraggeberin bei einer anderen (unterstellten) Auftraggeberin (unabhängig davon, ob von derselben oder einer anderen Staatsebene, d. h. Bund, Kanton oder Gemeinde) nicht öffentlich ausgeschrieben werden muss. Diese Ausnahme ist bereits in Ziffer B.1 des Annexes 7 zum Anhang I (Schweiz) des GPA 2012 vorgesehen. Das EU-Recht ist in diesem Punkt strenger.81 Die Ausnahme ist indessen konsequent, da die Beschaffung keinen Wettbewerbsbezug aufweist. Der zweite Satzteil macht deutlich, dass die Ausnahme dort nicht greift, wo eine Anbieterin, die gleichzeitig Auftraggeberin ist, Leistungen im Wettbewerb mit privaten Dritten erbringt.

Die «Instate»-Ausnahme setzt regelmässig voraus, dass an der potenziellen Anbieterin keine Privaten beteiligt sind. Keine Rolle spielt hingegen, ob die Auftraggeberin, welche die Leistung erbringen soll, dem Beschaffungsrecht am Ort ihres Sitzes oder dem Bundesrecht unterstellt ist. Voraussetzung für den Wegfall der Ausschreibungspflicht ist allemal, dass der Wettbewerb nicht verfälscht wird. Entsprechend gibt es beispielsweise keinen Freipass für Auftraggeberinnen, generell und ohne Ausschreibung einer Institution des ETH-Bereichs oder kantonalen Universitäten Aufträge für Gutachten oder Produktprüfungen zu erteilen, soweit diese Leistungen durch die Hochschulen (auch) im Wettbewerb mit privaten Anbieterinnen zugunsten von Dritten erbracht werden. Die Beurteilung, ob eine Leistung tatsächlich im Wettbewerb mit privaten Anbieterinnen
erbracht wird, ist im Einzelfall vorzunehmen.

Zu «Instate»-Beschaffungen kommt es beispielsweise bei Zusammenarbeitsvorhaben verschiedener öffentlicher Auftraggeberinnen, wenn jede der Auftraggeberinnen einen Beitrag zum gemeinsamen Projekt leistet. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in einer Reihe von Urteilen erkannt, dass zwei (oder mehr) öffentliche Auftraggeberinnen ohne Beachtung des Beschaffungsrechts zusammenarbeiten dürfen, solange es sich um eine echte Zusammenarbeit handelt, die Auftraggeberinnen auf diese Weise eine ihnen allen obliegende Gemeinwohlaufgabe erfüllen, kein Privater an der Zusammenarbeit beteiligt ist und diese allein durch Überlegungen und Konditionen geprägt wird, die im öffentlichen Interesse liegen,

81

Vgl. Urteil des EuGH vom 19. Dez. 2012, Azienda Sanitaria Locale di Lecce e.a., Rs. C-159/11, ECLI:EU:C:2012:817.

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also keinen kommerziellen Absichten folgen.82 Denkbar sind auch wechselseitige Leistungen, zum Beispiel zwischen Sektorenunternehmen des Bundes, wobei hier sorgfältig zwischen Monopol- und Wettbewerbsbereich unterschieden werden muss.

Bst. c: Eine «Beschaffung» erfolgt dann «inhouse», wenn die Leistung durch eigene Ressourcen der Auftraggeberin erbracht wird, diese somit auf den Beizug Dritter verzichtet («Make or Buy»-Entscheid). Derartige Aufträge fallen nicht unter das Beschaffungsrecht. Buchstabe c unterscheidet sich von den Ausnahmen der Buchstaben b und d dadurch, dass die Leistung verwaltungsintern erbracht wird, die Auftraggeberin und Leistungserbringerin mithin ein- und derselben rechtlichen Einheit zugehören. Da alle Verwaltungseinheiten der zentralen Bundesverwaltung nach Artikel 7 RVOV unselbstständige Organisationseinheiten der Bundesverwaltung sind, findet das Gesetz keine Anwendung bei der «Beschaffung» von Dienstleistungen, die durch solche Verwaltungseinheiten untereinander erbracht werden.

Nicht unterstellt sind beispielsweise Dienstleistungen der Bundesreisezentrale, des BBL oder des BIT an die anderen Verwaltungseinheiten des Bundes.

Bst. d: Schwieriger waren in der Vergangenheit Leistungen zu beurteilen, die von ausgelagerten, unter öffentlichem Einfluss stehenden Anbieterinnen erbracht wurden. Für solche Konstellationen hat die Lehre eine Übernahme der vom EuGH entwickelten Kriterien empfohlen. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist der «Teckal»-Entscheid.83 Buchstabe d kodifiziert die wesentlichen Voraussetzungen und Entscheidgründe dieser Praxis, die vom EuGH in einer Reihe von Entscheiden weiterentwickelt wurde. Allerdings erfolgt hier eine autonome, GPA-konforme und nicht notwendigerweise dynamische Kodifikation der Teckal-Praxis. Die weiteren Entwicklungen der EU-Rechtsprechung sind somit für die Auslegung von Buchstabe d nicht bindend.

Hinsichtlich der Kontrollanforderungen wird sich die Praxis an der indikativen Kriterienliste orientieren, die der Beschaffungsausschuss der WTO in Anwendung von Artikel XIX Absatz 8 Buchstabe b GPA 2012 verabschieden wird. Dass eine Anbieterin im Wesentlichen für eine (Sektoren-)Auftraggeberin tätig ist, kann angenommen werden, wenn sie mindestens 80 Prozent der Leistungen in einem bestimmten Markt für diese Auftraggeberin erbringt.
Abs. 4 Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem geltenden Recht (Art. 3 Abs. 2 BöB, Art. 10 Abs. 2 IVöB). Der Wettbewerbsgedanke soll vor übergeordneten Zielen wie dem Schutz des Lebens oder der öffentlichen Sicherheit zurücktreten. In Übereinstimmung mit Artikel III GPA 2012 werden verschiedene Ausnahmetatbestände aufgelistet. Fällt eine Beschaffung unter eine dieser Ausnahmen, findet das Gesetz insgesamt keine Anwendung.

Bst. a: Die weitestgehende Ausnahme betrifft (ähnlich wie heute Art. 3 Abs. 2 Bst. a BöB) die Aufrechterhaltung der inneren und äusseren Sicherheit sowie der öffent82 83

Vgl. Urteil des EuGH vom 8. Mai 2014, TU Hamburg.Harburg, Rs. C-15/13, ECLI:EU:C:2014:303.

Vgl. Urteil des EuGH vom 18. Nov. 1999, Teckal Srl, Rs. C-107/98, Slg. 1999 I-08121, ECLI:EU:C:1999:562.

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lichen Ordnung (vgl. dazu Art. III Abs. 1 GPA 2012). Dies betrifft nicht nur die Beschaffung von Kriegsmaterial (die grundsätzlich dem Gesetz unterstehen würde, vgl. Anhang 5), sondern auch von anderen (militärischen oder zivilen) Leistungen, die sicherheitskritisch sind, wie beispielweise die staatliche Kommunikationsinfrastruktur. Entsprechend haben auch die Kantone den Kauf von Waffen und Munition für die kantonalen und kommunalen Polizeikorps nicht öffentlich auszuschreiben.

Beschaffungen sind nicht nur dann ausgenommen, wenn ihre Ausschreibung die öffentliche Sicherheit gefährden würde, sondern auch dann, wenn die Leistungen als solche sicherheitskritisch sind. Dies dürfte für den Grossteil der Beschaffungen des Nachrichtendienstes oder von Organen der Sicherheitsbehörden des Bundes (z. B.

fedpol, Grenzwachtkorps) zutreffen. Wegen fehlender praktischer Relevanz wird der Schutz der «Sittlichkeit» im Ausnahmetatbestand nicht mehr erwähnt.

Im Unterschied zu den Ausnahmetatbeständen von Artikel III Absatz 2 GPA 2012 findet im Rahmen der sicherheitspolitischen Ausnahmen keine Verhältnismässigkeitsprüfung im engeren Sinn statt. Vielmehr entscheiden die Staaten souverän, welches Sicherheitsniveau sie wählen. Entscheidend ist hier vor allem das Geheimhaltungsinteresse des Bundes bzw. der öffentlichen Auftraggeberin, d. h. dass der Beschaffungszweck aus Sicherheitsüberlegungen nicht einer Ausschreibung zugeführt werden darf (z. B. bei militärisch «geheim» klassifizierten Fällen). Der Entscheid über das massgebende Sicherheitsniveau setzt eine genaue Kenntnis der Bedrohungslage der Schutzgüter voraus, weshalb der Vergabestelle ein weiter Ermessenspielraum zukommt. In diesen Ermessensspielraum kann nur bei Ermessenfehlern (Über- oder Unterschreiten des Ermessens, Ermessensmissbrauch) eingegriffen werden. Sicherheitspolitik ist eine Prärogative der Exekutive, dies auch mit Blick auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

Bst. b und c: Neben den polizeilichen Schutzinteressen werden auch der Schutz der Umwelt, der Tier- und Pflanzenwelt sowie private Rechtspositionen (Schutz der Immaterialgüterrechte) erwähnt, die dem Beschaffungsrecht vorgehen. Bei diesen Schutzgütern ist jedes Mal im Sinne der Erforderlichkeit zu klären, ob allenfalls mildere, den Anbieterwettbewerb weniger stark einschränkende
Mittel zur Verfügung stehen. Falls eine Ausschreibung die Immaterialgüter einer Anbieterin verletzen würden, ist zunächst zu versuchen, eine Einwilligung zur Offenlegung zu erlangen. Ist dies nicht möglich, rechtfertigt sich allenfalls eine freihändige Vergabe nach Massgabe von Artikel 21 Absatz 2 Buchstabe c. Ein Verzicht auf die Anwendung des Gesetzes insgesamt dürfte nur in seltenen Ausnahmefällen zu erwägen sein.

3. Kapitel: Allgemeine Grundsätze Art. 11

Verfahrensgrundsätze

Artikel IV GPA 2012 enthält einen Abschnitt über die Grundsätze, die bei öffentlichen Auftragsvergaben einzuhalten sind. Zu diesen Grundsätzen gehören die Nichtdiskriminierung bzw. die Inländerbehandlung, das Bekenntnis zu einem transparenten und unparteiischen Verfahren, die Bekämpfung der Korruption sowie der Verzicht auf Kompensationsgeschäfte. Ähnliche Grundsätze finden sich in den Vergaberichtlinien der EU.

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Die staatsvertraglichen Vorgaben sind in verschiedenen Bestimmungen des aktuell geltenden Binnenrechts wiedergegeben, unter anderem in Artikel 8 BöB, Artikel 6 und 7 VöB sowie Artikel 11 IVöB. Mit der Revisionsvorlage werden diese Grundsätze in einer Bestimmung zusammengeführt. Hinsichtlich Offset-Geschäfte bringt Artikel IV Absatz 6 GPA 2012 keine Änderung im Verhältnis zum GPA 1994. Das Verbot von Kompensationsgeschäften ist auf Leistungen im Staatsvertragsbereich direkt anwendbar; die diesbezügliche Praxis wird durch das GPA 2012 nicht in Frage gestellt. Jede Beschaffung kann unterschiedliche Anforderungen an das Beschaffungsverfahren stellen. Das Gesetz lässt hinreichend Spielraum, um die Gestaltung des Verfahrens an den spezifischen Beschaffungsgegenstand und an die Verhältnisse auf dem massgeblichen Markt anzupassen. Der Perimeter dieser Gestaltungsfreiheit wird von den Verfahrensgrundsätzen demarkiert. Diese Grundsätze bestimmen und leiten die Entscheide der Auftraggeberinnen in jeder Phase der Ausschreibung.

Die Verfahrensgrundsätze sind untereinander gleichwertig. Die Reihenfolge der Aufzählung bedeutet keine Prioritätsordnung. Vielmehr sind die Grundsätze insgesamt zu beachten. Konflikte sind durch eine Interessenabwägung zu lösen.

Bst. a: Von den allgemeinen Zielen im Zweckartikel sind die Grundsätze des Verfahrens zu unterscheiden. Während Artikel 2 die Ziele und den Zweck des Beschaffungsrechts generell festhält, befasst sich Artikel 11 mit den Anforderungen an das Vergabeverfahren. Diese Grundsätze ­ Transparenz, Objektivität und Unparteilichkeit ­ stehen im Dienst der übergeordneten Ziele.

Bst. b: Korrupte Praktiken stehen nicht nur im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Beschaffungsrechts, sie verursachen auch erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Gemäss einer Medienmitteilung84 der Europäischen Kommission vom 6. Juni 2011 werden allein in den Ländern der EU die durch Korruption entstandenen Kosten auf rund 120 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt. Die Vermeidung von Korruption und Interessenkonflikten stellt eines der Kernanliegen der GPA-Revision dar. Es wird bereits in der Präambel des GPA 2012 thematisiert und findet in Artikel IV Absatz 4 eine eingehende Regelung. Im EU-Recht sind parallele Bestrebungen im Gange, die Korruptionsbekämpfung zu verstärken und einen
zusätzlichen Schutz gegen Korruptionsrisiken zu bieten.

Grundlage der internationalen Bemühungen zur Korruptionsbekämpfungen bildet das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption85, das am 24. Oktober 2009 für die Schweiz in Kraft trat. Artikel 9 des Übereinkommens betrifft das öffentliche Beschaffungswesen. Demgemäss soll jeder Vertragsstaat die erforderlichen Massnahmen treffen, um geeignete Systeme für das Beschaffungswesen einzurichten, die auf Transparenz, Wettbewerb und objektiven Entscheidungskriterien beruhen und unter anderem bei der Verhütung von Korruption wirksam sind.

84 85

Abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-11678_de.htm?locale=en#footnote-1 (Stand: 25. Okt. 2016).

Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 31. Okt. 2003 gegen Korruption, SR 0.311.56.

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Die OECD-Konvention zur Bestechungsbekämpfung86 steht für die Schweiz bereits seit dem 30. Juli 2000 in Kraft. Sie verpflichtet dazu, die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr unter Strafe zu stellen. Zudem hat die OECD-Antikorruptionsarbeitsgruppe im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens eine Empfehlung zur Korruptionsprävention erlassen, wonach einem Unternehmen der Zugang zu öffentlichen Beschaffungsverfahren in der Schweiz verwehrt bleiben soll, wenn es der Korruption im In- oder Ausland überführt wurde.

Gestützt darauf ist vorgesehen, dass eine Auftraggeberin eine der Korruption überführte Anbieterin aus einem Beschaffungsverfahren ausschliessen bzw. den Zuschlag an diese widerrufen kann (vgl. Art. 44 Abs. 1 Bst. e und Art. 45 Abs. 1).

Bst. c: Das Gebot der Gleichbehandlung von in- und ausländischen Anbieterinnen gilt (unter dem Vorbehalt von Art. 6 Abs. 3 des Abkommens Schweiz­EU) nur im Staatsvertragsbereich. Zum einen sind ausländische Anbieterinnen gleich zu behandeln wie inländische (und umgekehrt), zum andern muss auch die Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Anbieterinnen unter sich gewährleistet sein. Der Grundsatz der Inländerbehandlung schliesst eine Vergabe aufgrund protektionistischer Motive aus. In der Regel ist es z. B. nicht zulässig, die Herkunft eines gewissen Produkts oder die Tatsache, dass der Sitz einer Anbieterin in der Nähe liegt oder eine Anbieterin eine gewisse wirtschaftliche und fiskalische Bedeutung für eine Region hat, beim Zuschlag zu berücksichtigen.87 Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist auch dann verletzt, wenn eine Auftraggeberin einzig einer Anbieterin die Gelegenheit bietet, ihr Angebot anzupassen.88 Das Gleichbehandlungsgebot geht über die Gleichstellung inländischer und ausländischer Anbieterinnen sowie die Vermeidung von Protektionismus hinaus. So ist z. B. auch zu vermeiden, dass eine Anbieterin einen Informationsvorsprung erlangt; lässt sich dies nicht vermeiden, ist der Informationsvorsprung möglichst auszugleichen (vgl. Art. 14 Abs. 1).

Bst. d: Mit dieser Bestimmung wird der Empfehlung 9 der NEAT-Aufsichtsdelegation aus dem Jahr 2007 auf Abgebotsrunden zu verzichten, Rechnung getragen. «Abgebotsrunden» sind Verhandlungen mit dem einzigen Zweck, den Angebotspreis zu senken. Der Verzicht auf reine
Preisverhandlungen entspricht auch einer anlässlich der Vernehmlassung vielfach von Wirtschaftsverbänden geäusserten Forderung. Das aktuelle Bundesrecht lässt solche reinen Preisverhandlungen ohne Einschränkung zu (Art. 26 VöB). Nach interkantonalem Recht gilt hingegen ein Verbot der Abgebotsrunden (Art. 11 IVöB). Dieses Verbot ist unter anderem durch die Befürchtung motiviert, dass Anbieterinnen im Hinblick auf Preisverhandlungen Margen in ihre Angebote einbauen, die sie später wieder preisgeben. Um solche Vorgehensweisen zu verhindern und maximale Transparenz zu sichern, sieht der vorliegende Entwurf von Abgebotsrunden ab.89 Dies bedeutet nicht, dass Preisanpassungen schlechthin ausgeschlossen sind. So wird es im Rahmen der Angebotsbereinigung (Art. 39) oder bei speziellen Verfahren wie dem Dialog (Art. 24) immer wieder vorkommen, dass der Leistungsgegenstand untergeordnete Modifikationen 86 87 88 89

Übereinkommen vom 17. Dez. 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, SR 0.311.21.

BRK 11/97 vom 4. Dez. 1997, E. 2.

BRK 2005-002 vom 30. Mai 2005, E. 4c.

Vgl. 14.3208 Po Engler, Bekämpfung der Korruption im öffentlichen Beschaffungswesen.

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erfährt. Dann ist in der Regel auch eine neue Preisofferte angezeigt, um dem Wirtschaftlichkeitsgebot Nachachtung zu verschaffen. Zudem können Preisanpassungen im Rahmen einer elektronischen Auktion oder bei den Verhandlungen einer Offerte im freihändigen Verfahren erfolgen.

Bst. e: Anbieterinnen haben Anspruch auf Schutz ihrer Daten und Geschäftsgeheimnisse. Werden diese Daten nicht konsequent geschützt, kann sich kein funktionierender Anbieterwettbewerb einstellen. Mangelnde Transparenz kann zu Korruption und Misswirtschaft führen, hingegen kann zu grosse Transparenz abgestimmte Verhaltensweisen begünstigen und sich antikompetitiv auswirken. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Anbieterinnen nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, wenn sie befürchten müssen, dass ihre Angebote Dritten (wie Konkurrenzunternehmen oder Medienschaffenden) zugänglich sein könnten. Daher schützt die Vertraulichkeit nicht nur private Interessen der Anbieterinnen, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Beschaffungsverfahrens. Vorbehalten bleiben die zahlreichen positivrechtlichen Publikationspflichten, die mit der Vorankündigung der öffentlichen Ausschreibung beginnen und auch den Zuschlag und den Abbruch mit einschliessen (Art. 48 Abs. 1). Zudem erstellen die Auftraggeberinnen umfangreiche Statistiken, in denen sie über ihre Beschaffungen Rechenschaft abgeben (Art. 50).

Die Einhaltung der beschaffungsrechtlichen Verpflichtungen wird von der Eidgenössischen Finanzkontrolle periodisch auditiert. Aus diesen Gründen wird auf weitere Zugangs- und Einsichtsrechte verzichtet.

Art. 12

Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen, der Arbeitsbedingungen und der Lohngleichheit

Abs. 1 Während Sozialstandards auf der einen und die Grundsätze der Inländerbehandlung und Nichtdiskriminierung auf der anderen Seite in einem Spannungsverhältnis stehen, hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Einhaltung minimaler Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen sowie die Gleichbehandlung zwischen Frau und Mann in Bezug auf den Lohn für einen funktionierenden Wettbewerb unverzichtbar sind. Im Inland sind insbesondere die zwingenden Bestimmungen des Obligationenrechts sowie die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes vom 13. März 196490 (ArG) und seiner Ausführungsverordnungen sowie das Gleichstellungsgesetz vom 24. März 199591 (GlG) zu befolgen. Darüber hinaus sind auch die Bestimmungen von Gesamt- und Normalarbeitsverträgen sowie, wo solche Instrumente fehlen, die orts- und branchenüblichen Arbeitsbedingungen einzuhalten. Das missbräuchliche Unterbieten der Arbeitsbedingungen, die Verletzung der massgeblichen Arbeitsschutzbestimmungen und die ungleiche Behandlung zwischen Frau und Mann in Bezug auf den Lohn können zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führen.

Während die Mehrheit der Vernehmlassungsadressaten eine Beibehaltung der bisherigen Bundesregelung befürwortet, wird in dieser Frage der Harmonisierung von Bundesrecht und interkantonalem Recht mehr Gewicht eingeräumt. Vorgesehen ist, 90 91

SR 822.11 SR 151.1

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für Anbieterinnen mit Sitz in der Schweiz das bisher in Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b BöB für Bundesbeschaffungen statuierte Leistungsortsprinzip zu modifizieren und die für die Kantone geltende Regelung des BGBM zu übernehmen. Das BGBM geht grundsätzlich vom sogenannten Herkunftsprinzip aus, indem es auf der Vermutung der Gleichwertigkeit unterschiedlicher Arbeitsbedingungen basiert. Dieses Herkunftsprinzip gilt allerdings nicht absolut und kann im Einzelfall zugunsten des Leistungsortsprinzips eingeschränkt werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen dies zwingend erfordern und der Schutz dieser Interessen nicht bereits durch die Vorschriften des Herkunftsorts gewährleistet ist (Art. 3 Abs. 1 und 2 BGBM).

Absatz 1 statuiert eine besondere Form der Inländerbehandlung, indem für alle in der Schweiz zu erbringenden Leistungen die schweizerischen Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen zu respektieren sind. Ausländische Anbieterinnen werden damit gleich wie ihre inländischen Konkurrentinnen behandelt. Während somit ausländische Anbieterinnen, welche eine Leistung in der Schweiz erbringen, immer die am Leistungsort geltenden Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen respektieren müssen, werden die Anbieterinnen mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz neu mindestens diejenigen Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen einhalten müssen, die an ihrem Sitz- oder Niederlassungsort Geltung haben. Auf diese Weise wird der administrative Aufwand für schweizweit tätige Unternehmen verringert, indem sie nicht je nach Auftragsort unterschiedliche Arbeitsbedingungen anwenden müssen. Da das Herkunftsprinzip nur bei gleichwertigen Schutzniveaus der Arbeitsbestimmungen zur Anwendung gelangt, führt dies insgesamt nicht zu einer Diskriminierung ausländischer Anbieterinnen.

Abs. 2 Das Leistungsortsprinzip gilt ohne Einschränkung, wenn eine Leistung im Ausland erbracht wird. Die Einhaltung minimaler Arbeits- und Sozialstandards hat aufgrund von Missständen in Produktionsbetrieben in den vergangenen Jahren Beachtung gefunden. Während sich das GPA 2012 nicht explizit mit dieser Frage befasst, gehört die Berücksichtigung minimaler Arbeitsstandards schon lange zum Acquis sowohl der Schweiz als auch der EU. Bereits heute entspricht es der Praxis des Bundes und der Kantone, bei internationalen
Vergaben die Einhaltung der Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als Mindeststandard zu verlangen (Art. 7 Abs. 2 VöB). Sofern das Recht am Leistungsort strenger ist, ist dieses zu beachten.

Kernübereinkommen der ILO sind:

92 93 94

­

Übereinkommen Nr. 29 vom 28. Juni 193092 über Zwangs- oder Pflichtarbeit

­

Übereinkommen Nr. 87 vom 9. Juli 194893 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes

­

Übereinkommen Nr. 98 vom 1. Juli 194994 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen SR 0.822.713.9 SR 0.822.719.7 SR 0.822.719.9

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­

Übereinkommen Nr. 100 vom 29. Juni 95195 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit

­

Übereinkommen Nr. 105 vom 25. Juni 195796 über die Abschaffung der Zwangsarbeit

­

Übereinkommen Nr. 111 vom 25. Juni 195897 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf

­

Übereinkommen Nr. 138 vom 26. Juni 197398 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung

­

Übereinkommen Nr. 182 vom 17. Juni 199999 über das Verbot und unverzügliche Massnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit

Die acht Kernübereinkommen sind in Anhang 6 des Entwurfs aufgelistet. Eine grosse Mehrheit der 185 ILO-Vertragsstaaten, inklusive der Schweiz, hat sämtliche ILO-Kernübereinkommen ratifiziert. Weiter sind gemäss der ILO-Erklärung von 1998 über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit100 alle Mitgliedstaaten verpflichtet, allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der ILO die grundlegenden Rechte, die Gegenstand der acht Kernübereinkommen sind, in gutem Glauben und gemäss der Verfassung einzuhalten, zu fördern und zu verwirklichen.

In Bezug auf die Anbieterinnen aus EU-/EFTA-Staaten gilt das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten anderseits über die Freizügigkeit (FZA)101.

Es nimmt auf die Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen102 Bezug. Darin garantieren die Mitgliedstaaten allen entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nach Artikel 3 der Richtlinie. Gemäss Artikel 16 Absätze 1 und 2 FZA trifft die Schweiz alle erforderlichen Massnahmen, damit gleichwertige Rechte und Pflichten wie in der Richtlinie Anwendung finden. Soweit für die Anwendung des Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird auch die einschlägige Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens berücksichtigt (Art. 16 Abs. 2 FZA).

95 96 97 98 99 100 101

SR 0.822.720.0 SR 0.822.720.5 SR 0.822.721.1 SR 0.822.723.8 SR 0.822.728.2 BBl 2000 398 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681.

102 Richtlinie 96/71/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dez. 1996, ABl. L 18, vom 21.1.1997, S. 1 in der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens geltenden Fassung.

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Abs. 3 Die Schutzbestimmungen nach den Absätzen 1 und 2 sind auch von allen Subunternehmerinnen einzuhalten. Subunternehmerin ist, wer einen relevanten Bestandteil der ausgeschriebenen Leistungen erbringt. Zulieferer von Grundstoffen, Vermieter der Produktionsstätten, Anbieterinnen allgemeiner Serviceleistungen für den Geschäftsbetrieb u. a. m. sind keine Subunternehmerinnen. Die Kontrollen nach Absatz 4 können über die Anbieterinnen oder direkt bei den Subunternehmerinnen erfolgen.

Im Baugewerbe trägt der Erstunternehmer nach Artikel 5 des Entsendegesetzes vom 8. Oktober 1999103 (EntsG) eine subsidiäre solidarische Haftung für seine Subunternehmer. Dies gilt nicht nur bei entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (vgl. Art. 1 Abs. 2 EntsG).

Abs. 4 Die Auftraggeberin kann die Einhaltung der Anforderungen entweder selber kontrollieren oder durch geeignete Dritte (z. B. paritätische Landeskommission im Schweizerischen Elektro- und Telekommunikations-Installationsgewerbe) kontrollieren lassen. Auf Verlangen haben Anbieterinnen nachzuweisen, dass sie und ihre Subunternehmerinnen die massgeblichen Arbeitsschutzbestimmungen und die Arbeitsbedingungen sowie den Grundsatz der Gleichbehandlung von Frau und Mann in Bezug auf den Lohn einhalten. Alternativ kann die Auftraggeberin auch auf international anerkannte Zertifizierungssysteme oder Berufsregister zurückgreifen. Als Beispiel sei das Berufsregister für die Branchen Maler und Gipser, Gerüstbau, Decken- und Innenausbau sowie Plattenleger hingewiesen: Dieses stellt Anbieterinnen auf ihr Gesuch hin Bestätigungen hinsichtlich ihrer Konformität mit den Gesamtarbeitsverträgen zu Handen der Beschaffungsstellen aus.

Absatz 4 umfasst auch die Einhaltung der Melde- und Bewilligungspflichten gemäss dem Bundesgesetz vom 17. Juni 2005104 gegen die Schwarzarbeit (BGSA), insbesondere im Bereich des Sozialversicherungs-, Ausländer- und Quellensteuerrechts.

Dies ist notwendig, weil die Schwarzarbeit neu einen Tatbestand für den Ausschluss oder Widerruf (Art. 44 Abs. 2 Bst. g E-BöB) darstellt. Folglich muss die Auftraggeberin die Einhaltung dieser Pflichten kontrollieren lassen können.

Die Sicherstellung und die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen können während des Beschaffungsverfahrens sowie nach Vertragsabschluss
stattfinden. Letzteres ist besonders angezeigt im Fall von wechselnden Lieferketten wie z. B. in der Textilindustrie. Durch geeignete Abreden in den Beschaffungsverträgen, insbesondere durch Konventionalstrafen, soll abweichendes Verhalten sanktioniert werden.

Abs. 5 Der Informationsaustausch zwischen der Auftraggeberin und den diversen Kontrollorganen des Arbeitsmarkts sowie den spezialgesetzlichen Behörden wird in Absatz 5 geregelt. Damit die Auftraggeberin die in Artikel 45 vorgesehenen Sanktionen anwenden kann, müssen sie und die zuständigen Organe und Behörden die notwen103 104

SR 823.20 SR 822.41

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digen Informationen austauschen können, z. B. über das Vorliegen eines Verstosses gegen die minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen. Kontrollorgane sind insbesondere: ­

Kontrollorgane gemäss Artikel 4 BGSA

­

Behörden nach Artikel 11 BGSA, insbesondere in den Bereichen Sozialversicherungs-, Quellensteuer- und Ausländerrecht

­

paritätische Vollzugsorgane im Sinn von Artikel 3 des Bundesgesetzes vom 28. September 1956105 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen

­

tripartite Kommissionen im Sinn von Artikel 360b OR

­

kantonale Vollzugsbehörden im Sinn von Artikel 41 ArG

­

Durchführungsorgane im Sinn von Artikel 85 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981106 über die Unfallversicherung (UVG) sowie

­

Gleichstellungsbüros.

Art. 13

Ausstand

Abs. 1 Anbieterinnen haben Anspruch auf die Beurteilung ihrer Angebote durch eine unabhängige Behörde bzw. durch ein unabhängiges Expertengremium im Fall von Planungs- und Gesamtleistungswettbewerben und Studienaufträgen. Die Ausstandsregeln des allgemeinen Verfahrensrechts gelten grundsätzlich auch für die öffentlichen Auftraggeberinnen. Sie greifen nach bisheriger Praxis bereits dann, wenn der blosse Anschein einer Befangenheit oder die blosse Gefahr einer Interessenkollision besteht (Art. 10 Abs. 1 Bst. d des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968107 [VwVG]). Das Zusammentreffen verschiedener Umstände, die für sich allein genommen keinen genügenden Intensitätsgrad für eine Ausstandspflicht aufweisen, kann ebenfalls zur begründeten Besorgnis der Befangenheit führen.

Zudem können insbesondere wirtschaftliche Interessen, in Form wirtschaftlicher Beziehungsnähe (z. B. eines Arbeitsverhältnisses, von Beteiligungen) oder im Rahmen eines Konkurrenzverhältnisses, den Anschein von Befangenheit wecken, wobei objektive Gründe auf eine gewisse Intensität hindeuten müssen. Ausstandsbegründende Umstände liegen umso eher vor, je intensiver und aktueller die Beziehungsnähe ist.108 Kontakte von Vertreterinnen oder Vertretern der Auftraggeberin zu Lieferanten im Rahmen bestehender Vertragsbeziehungen oder bei einer Marktabklärung im Vorfeld einer Beschaffung erreichen diese Intensität in aller Regel nicht.

Es gilt zu verhindern, dass im öffentlichen Beschaffungswesen die Anforderungen betreffend Ausstand überspannt werden, etwa mit Blick auf die relativ kleinen Anbietermärkte im hoch spezialisierten IT-Bereich. Deshalb kann die oben erläu105 106 107 108

SR 221.215.311 SR 832.20 SR 172.021 Vgl. BVGer B-4852/2012 vom 15. Nov. 2012, E. 4 ff.

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terte Praxis zur Unabhängigkeit des verfassungsmässigen Richters nicht ohne Weiteres auf den Beschaffungsvorgang übertragen werden. So lassen sich beispielsweise personelle Wechsel zwischen Anbieterinnen und Auftraggeberinnen nicht ausschliessen. Die Bundesverwaltung beschäftigt im IT-Bereich, aber auch im Baubereich immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die früher bei einer potenziellen Anbieterin tätig waren. Sie ist auf dieses Know-how angewiesen. Und Kontakte in Fachgremien sind je nach Umständen positiv zu bewerten, da sie die Fach- und Branchenkompetenz der Auftraggeberin schärfen. Die Unabhängigkeit ist daher nicht abstrakt, sondern immer vor dem Hintergrund der Aufgaben und Funktionen des Beschaffungsrechts zu beurteilen. Im Unterschied zu Artikel 10 VwVG ist ein blosser Anschein der Befangenheit nicht ausreichend, sondern die Befangenheit muss sich konkret auf den Beschaffungsvorgang auswirken. Ist es beispielsweise erstellt, dass eine befangene Mitarbeiterin oder ein befangener Mitarbeiter bei der Evaluation der Angebote freiwillig in den Ausstand trat, oder ist ihr oder sein Beitrag im Rahmen des Beschaffungsvorgangs nicht kausal für den Zuschlagsentscheid, wäre eine Wiederholung des gesamten Verfahrens unverhältnismässig und mit den Zielen des Beschaffungsrechts nicht vereinbar.

«In der gleichen Sache tätig» im Sinne von Buchstabe d ist so zu verstehen, dass ein bei der Vorbereitung und Durchführung der in Frage stehenden Ausschreibung involvierter Mitarbeiter einer öffentlichen Auftraggeberin in den letzten 18 Monaten vor der Ausschreibung noch als Mitarbeiter oder Vertreter einer Anbieterin bei der Abwicklung eines vorangehenden Auftrags in gleicher (den Beschaffungsgegenstand bildenden) Sache mitgewirkt hat.

Aus Praktikabilitätsüberlegungen bleibt daher beim Auffangtatbestand von Buchstabe e der Nachweis vorbehalten, dass die Umstände, welche die Unabhängigkeit in Frage stellen (z. B. Nachbarschaft zwischen Personen auf Seiten der Auftraggeberin und auf Seiten der Anbieterin), für den Ausgang des Verfahrens nicht relevant wurden.

Abs. 2 und 3 Mit einer Befangenheitsrüge darf nicht bis zum Zuschlag zugewartet werden. Vielmehr muss eine Anbieterin dieses Begehren vorbringen, sobald sie Kenntnis von Tatsachen erlangt, die eine Befangenheit als wahrscheinlich erscheinen
lassen. Die Auftraggeberin entscheidet über das Begehren durch einen Zwischenentscheid, wobei die als befangen gerügte Person bei diesem Entscheid nicht mitwirkt. Der Grundsatz, wonach eine Anbieterin angebliche Unregelmässigkeiten unmittelbar nach verlässlicher Kenntnisnahme rügen muss, gilt für das gesamte Vergabeverfahren. Eine Anbieterin kann daher auch bei anderen Rechtsverstössen nicht mit einer Rüge zuwarten, bis der Zuschlag an eine Wettbewerberin geht. Vielmehr trifft sie eine unmittelbare Rügeobliegenheit, deren Missachtung zum Verlust des Beschwerderechts führen kann.

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Art. 14

Vorbefassung

Abs. 1 Diese Bestimmung entspricht dem geltenden Artikel 21a Absatz 1 VöB. Die Regelung der Vorbefassung findet ihre Grundlage im Gleichbehandlungsgebot109 sowie im Gebot der Wettbewerbsförderung und des wirtschaftlichen Einsatzes der öffentlichen Mittel. Nach der Praxis des Bundesgerichts liegt eine Vorbefassung dann vor, wenn eine Anbieterin bei der Vorbereitung eines Beschaffungsverfahrens mitgewirkt hat, beispielsweise durch das Verfassen von Projektgrundlagen, durch das Erstellen von Ausschreibungsunterlagen oder durch das Informieren der Auftraggeberin über bestimmte technische Spezifikationen der zu beschaffenden Leistungen.110 Nur eine qualifizierte Vorbefassung kann zum Verbot der Teilnahme am Beschaffungsverfahren führen. Diese Rechtsfolge tritt nicht ein, wenn der bestehende Wissensvorsprung gegenüber den anderen Anbieterinnen nur geringfügig ist, wenn die ausgeschriebene Leistung nur von wenigen Anbieterinnen erbracht werden kann oder wenn die Mitwirkung der vorbefassten Anbieterin sowie deren Wissensvorsprung gegenüber den übrigen Anbieterinnen zwecks Herstellung von Transparenz offen gelegt sowie ausgeglichen wird.111 Der Grundsatz der Gleichbehandlung verpflichtet die Auftraggeberin, keiner Anbieterin Vorteile einzuräumen, die deren Konkurrentinnen nicht erhalten. Wird der durch die Vorbefassung entstandene Wettbewerbsvorteil ausgeglichen, darf die Auftraggeberin auf den Ausschluss der vorbefassten Anbieterin verzichten. Es liegt im Ermessen der Auftraggeberin zu entscheiden, ob sie im konkreten Einzelfall hinreichend Zeit und die notwendigen Mittel hat, den durch die Vorbefassung entstandenen Wettbewerbsvorteil auszugleichen. Gleicht die Auftraggeberin den Wettbewerbsvorteil einer vorbefassten Anbieterin nicht aus, muss diese vom weiteren Verfahren ausgeschlossen werden.

Komplexe Beschaffungsvorhaben werden häufig in Phasen unterteilt. Am Ausgangspunkt steht eine Bedürfnisabklärung, eine Forschungsarbeit, ein Grobkonzept oder die Herstellung eines Prototypen (s. dazu auch Art. 21 Abs. 2 Bst. f). Diese Vorarbeiten werden aufgrund des Auftragswerts häufig freihändig oder im Einladungsverfahren vergeben. Die Frage, ob solche Vorarbeiten zu einer Vorbefassung der betreffenden Anbieterin führen, lässt sich nicht generell beantworten. Zwei Beispiele mögen dies illustrieren: ­

109 110 111

X wird mit der Erstellung eines Konzepts zur Erschliessung einer grossen Bundesimmobilie mit Wireless LAN betraut. Lieferobjekte sind detaillierte Stockwerkpläne mit den Standorten der technischen Infrastruktur. Basierend darauf wird die Lieferung und Implementierung der Komponenten ausgeschrieben.

Vgl. BRK 2006-004 vom 26. Juni 2006, E. 2.

Vgl. Urteil des BGer 2P.164/2004 vom 25. Jan. 2005, E. 3.1.

Vgl. BVGer B-4621/2008 vom 6. Okt. 2008, E. 5.2 f.

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­

Y entwickelt nach längeren Forschungsarbeiten und Bedürfnisabklärungen einen neuen Personalausweis (Badge) für die Bundesverwaltung, mit dem Leistungen wie Zutritt, Kantine, Zugfahrten, Krankenkassen etc. abgewickelt werden können. Die Funktionalitäten des Badges werden in einem umfangreichen Bericht dokumentiert. Allerdings basieren einzelne Funktionen (wie das kontaktfreie Bezahlen über den NFC-Chip) auf proprietären Technologien von Y, die nicht offengelegt werden.

Im ersten Fall dürfte mit Offenlegen der Lieferobjekte der Wettbewerbsvorteil von X ausgeglichen sein. Im zweiten Fall hat Y nicht nur aufgrund seiner Immaterialgüterrechte und der Geschäftsgeheimnisse, sondern auch aufgrund des erheblichen technischen Ermessens, eine Lösung auf die eigenen Stärken masszufertigen, einen uneinholbaren Vorsprung gegenüber seinen Konkurrenten. Die Frage des Wettbewerbsvorteils kann daher nicht abstrakt, sondern nur im Einzelfall beurteilt werden.

Abs. 2 Eine Vorbefassung einzelner Anbieterinnen lässt sich nicht immer vermeiden.

Massgebend ist in diesem Zusammenhang, dass die Auftraggeberin die speziellen Kenntnisse der vorbefassten Anbieterin auch den anderen Anbieterinnen zugänglich macht, um so die Chancengleichheit zu wahren. Was regelmässig vorkommt, jedoch nicht eine Vorbefassung im beschaffungsrechtlichen Sinn darstellt, sind beispielsweise Daueraufträge, die periodisch neu ausgeschrieben werden. Dort bringt es die Natur der Sache mit sich, dass eine bereits mit den Leistungen befasste Anbieterin über einen Informationsvorsprung verfügt. Es widerspräche dem Gleichbehandlungsprinzip, die bisherigen Leistungserbringerinnen generell von periodisch neu auszuschreibenden Leistungen auszuschliessen.112 Es empfiehlt sich jedoch auch hier, den Informationsvorsprung nach Möglichkeit durch eine Dokumentation der erbrachten Leistungen und der Erfahrungen der bisherigen Anbieterin auszugleichen.

Dem Ausgleich der Informationsasymmetrien kommt somit ebenso grosses Gewicht zu wie deren Vermeidung. Absatz 2 entspricht weitgehend dem bisherigen Artikel 21a Absatz 2 VöB und zählt exemplarisch Möglichkeiten auf, wie die Auftraggeberin den Wettbewerbsvorteil einer vorbefassten Anbieterin ausgleichen kann: Das Transparenzgebot verlangt nicht nur eine Anzeige von Informationsasymmetrien, sondern auch eine Offenlegung aller relevanten Informationen mit dem Ziel, dass sämtliche Anbieterinnen über gleich lange Spiesse verfügen (Bst. a). Die Ausgleichsmassnahme «Bekanntgabe der an der Vorbereitung Beteiligten» (Bst. b) stellt für sich allein noch kein Mittel zum Ausgleich eines Wettbewerbsvorteils dar. 113 Hingegen ist die Verlängerung der Mindestfristen (Bst. c) ­ für alle Anbieterinnen gleichermassen, also auch für diejenige mit dem Wettbewerbsvorteil ­ ein grundsätzlich geeignetes Mittel, um den Informationsrückstand wettzumachen und damit den Wettbewerbsvorteil auszugleichen.114

112 113 114

Vgl. BVGer B-4621/2008 vom 6. Okt. 2008, E. 5.5.

Vgl. BVGer B-1172/2011 vom 31. März 2011, E. 5.

Vgl. BVGer B-1358/2013 vom 23. Juli 2013, E. 4.5.

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Abs. 3 Eine öffentliche Ausschreibung dient der Beschaffung von Leistungen, nicht der Marktabklärung. Die Auftraggeberin ist gehalten, sich vor der Ausschreibung ein Bild über die auf dem Markt angebotenen Lösungen zu verschaffen. Zu diesem Zweck kann es erforderlich sein, eine Marktabklärung durchzuführen oder durch einen unabhängigen Dritten durchführen zu lassen.

Solange die Resultate der Marktabklärung mit den Ausschreibungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden, führen Marktabklärungen nicht zur Vorbefassung der im Vorfeld der Ausschreibung kontaktierten Anbieterinnen. Wenn dadurch der Wissensvorsprung des mit der Abklärung betrauten Dritten ausgeglichen werden kann und der Dritte in den Ausschreibungsunterlagen genannt wird, führt dies auch nicht zur Vorbefassung dieses Dritten. Das gilt insbesondere auch für den Fall, dass ansonsten aus objektiven Gründen kein Restwettbewerb besteht.

Art. 15

Bestimmung des Auftragswerts

Die Bestimmung entspricht weitgehend der bisherigen Regelung in den Artikeln 14a, 15 und 15a VöB. Der Auftragswert ist für die Wahl des zulässigen Verfahrens von Bedeutung. Für die verschiedenen Auftragsarten gelten je verschiedene Schwellenwerte (Art. 16E-BöB). Diese sind in den Verpflichtungslisten der internationalen Beschaffungsabkommen verankert. Die Umrechnungswerte in Schweizer Franken zu den Sonderziehungsrechten des GPA und der Freihandelsabkommen mit Drittstaaten sowie zu den Euro-Beträgen der Schwellenwerte des Abkommens Schweiz­ EU können dem Anhang 4 zum Gesetzesentwurf entnommen werden.

Abs. 1 Ob der massgebende Schwellenwert aufgrund der gesicherten oder antizipierten Inhalte und Mengengerüste des Beschaffungsgegenstands erreicht wird oder nicht, beurteilt sich nach einer pflichtgemässen Schätzung der Auftraggeberin, die auf eigenen Kenntnissen und spezifischen Marktabklärungen basiert. Stellt sich nach Eingang der Angebote heraus, dass ein höherstufiges Verfahren hätte angewendet werden müssen (z. B. offenes anstatt Einladungs- oder freihändiges Verfahren), ist das Verfahren unter Umständen abzubrechen. Liegen die Angebote umgekehrt unter den Schwellenwerten für das gewählte Verfahren, ist dieses unterschiedslos zu Ende zu führen.

Abs. 2 Bei mehreren gleichartigen Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen und insbesondere bei Aufteilungen in Lose bestimmt sich der Auftragswert nach dem kumulierten Gesamtwert,115 da ein öffentlicher Auftrag nicht in der Absicht aufgeteilt werden darf, die Anwendbarkeit dieses Gesetzes zu umgehen. Massgebend ist der Bedarfshorizont der Auftraggeberin. Was nach Massgabe des konkreten Bedarfs zusammen gehört, ist zusammen auszuschreiben. Die Qualität und Vollständigkeit der sachgerechten Planung und Erhebung des (Gesamt-)Bedarfs hat der qualifizierten Sorgfaltspflicht einer Fachperson im Bereich des Beschaffungsgegenstands zu 115

Vgl. BRK 2003-021 vom 5. Nov. 2003, E. 1.

1919

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genügen. Das sogenannte Zerstückelungsverbot ist bereits im geltenden Recht verankert (Art. 7 Abs. 1 BöB); es bildet ein Kernstück des Beschaffungsrechts (Art. II Abs. 6 GPA 2012). Eine unzulässige Aufteilung setzt nicht eine rechtswidrige Absicht der öffentlichen Auftraggeberin voraus; die objektive Folge, dass im Ergebnis die Schwellenwerte unterlaufen werden, ist ausreichend.

Abs. 3 Massgebend ist jeweils die Gesamtheit der ausgeschriebenen Leistungen und Vergütungen, sofern zwischen diesen ein enger rechtlicher oder sachlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher liegt z. B. vor, wenn die Leistungen vernünftigerweise im Geschäftsverkehr nicht unabhängig voneinander beschafft werden, insbesondere, wenn sie demselben Zweck dienen, von derselben Person erbracht werden sollen oder wenn die Aufteilung der Verantwortlichkeiten unerwünscht ist. 116 Nebst Verlängerungsoptionen sind auch mengenmässige Optionen in die Bestimmung des Auftragswerts einzubeziehen.

Abs. 4 Bei Dauerverträgen ist vorab zu unterscheiden, ob eine bestimmte oder unbestimmte Laufzeit vereinbart ist. Der Auftragswert von Verträgen mit fester Laufzeit entspricht der kumulierten Vergütung während der vereinbarten Vertragsdauer, auch wenn eine vorzeitige Kündigung unter Umständen vertraglich vorbehalten wird. Die Auftraggeberin soll nur in Ausnahmefällen eine Vertragsdauer von mehr als fünf Jahren vereinbaren und hat die Ausnahme zu begründen. Es handelt sich hierbei um eine rein verwaltungsinterne Anweisung, die nicht justiziabel ist. Verträge über längere Zeiträume sind insbesondere dann verhältnismässig, wenn betriebswirtschaftliche Gründe, wie das Bedürfnis nach Investitionsschutz oder die Berücksichtigung von Produktlebenszyklen eine längere Dauer und damit eine massvolle Beschränkung des Marktzugangs rechtfertigen. So erfordern zum Beispiel die Wartung und der Betrieb von IT-Systemen, die aus Gründen der Wirtschaftlichkeit oft über eine lange Zeit abgeschrieben werden, längerfristige Dauerverträge. Ob eine Vertragsdauer von mehr als fünf Jahren und die damit einhergehende Wettbewerbsbeschränkung während dieser Zeit gerechtfertigt erscheinen, gilt es im Einzelfall zu prüfen. Der Leistungsgegenstand muss auf jeden Fall über die gesamte Vertragslaufzeit genügend konkret bestimmt sein. Für die Verlängerung bereits bestehender Verträge
gelten grundsätzlich dieselben Bedingungen, wobei die Verlängerung eines bereits bestehenden Vertrags strenger zu beurteilen wäre als das Eingehen eines neuen Vertrags.

Abs. 5 Bei Verträgen mit unbestimmter Laufzeit ist die geschätzte monatliche Vergütung mit 48 zu multiplizieren. Grundsätzlich sind Verträge mit unbestimmter Laufzeit nicht so auszugestalten, dass andere Anbieterinnen unangemessen lange vom Markt ausgeschlossen werden. Daher empfiehlt sich, die vertraglich geregelten Leistungen nach Ablauf der unbestimmten Laufzeit, spätestens aber auf den Ablaufzeitpunkt hin 116

Vgl. Erläuternder Bericht des EFD vom 1. Jan. 2010 zur Änderung der VöB, S. 9, abrufbar unter: www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Von / Bis 18. Nov.

2009 > Bundesrat beschliesst Änderung der Beschaffungsverordnung.

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von 48 Monaten neu zu vergeben. Festzuhalten bleibt, dass die Bestimmung keine Aufforderung zu Stückelung und jährlichen Bestellungen darstellt und Verträge mit unbestimmter Laufzeit aus beschaffungsrechtlicher Sicht nur mit Zurückhaltung geschlossen werden dürfen. Zudem ist der Auftragswert immer anhand des effektiven Bedarfshorizonts pflichtgemäss zu schätzen.

Abs. 6 Gewisse Leistungen werden von der Auftraggeberin in gleicher Art und Menge periodisch immer wieder von neuem beschafft. Dies trifft zum Beispiel auf die Lieferung von Kopierpapier, Reinigungsmittel für den Gebäudeunterhalt, Heiz- und Betriebsstoffe, allgemeine Verbrauchsmaterialien für die Verwaltung, Inserate in Medien für die Rekrutierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu. Wird für diese Leistungen ein Dauervertrag geschlossen, finden die Bewertungsgrundsätze von Absatz 4 und 5 Anwendung. Erfolgen immer wieder von neuem einzelne Bestellungen (ohne Dauer- oder Rahmenvertrag), ist der Auftragswert nach Absatz 6 zu berechnen.

Während Artikel II Absatz 7 GPA 2012 den Begriff «recurring contracts» bzw.

«wiederkehrende Verträge» verwendet, wird hier mit Blick auf das Harmonisierungsziel bewusst der Begriff «wiederkehrend benötigte Leistungen» verwendet. Er erstreckt sich auf alle Leistungen, d. h. auf Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen.

Absatz 6 enthält keine Aufforderung, Dauerverträge mit einem Beschaffungshorizont von mehreren Jahren in jeweils einjährige Kettenverträge aufzugliedern. Vielmehr zwingt Absatz 6 als Minimalanforderung dazu, den Auftragswert periodischer Lieferungen über eine Dauer von einem Jahr zu kumulieren, um dem Splitting in Form von mehreren gleichförmigen Kleinstaufträgen über längere Zeit entgegenzuwirken. Unter dem Gesichtswinkel der Volumenbündelung und des Wettbewerbs (Wirtschaftlichkeit) wird es sich häufig auch in solchen Fällen empfehlen, Dauerverträge nach Massgabe der Absätze 4 und 5 auszuschreiben und abzuschliessen (vgl.

auch Erläuterungen zu Art. 25 Rahmenverträge).

4. Kapitel: Vergabeverfahren Art. 16

Schwellenwerte

Abs. 1 und 2 Die Schwellenwerte bestimmen in Abhängigkeit vom Auftragswert die Verfahrensart. Beschaffungen unterhalb der Schwellenwerte erfolgen nicht nach Ermessen der Auftraggeberin. Auch das freihändige Verfahren ist regelbasiert und untersteht dem Gesetz. Die Geltung des Gesetzes wird durch die Schwellenwerte nicht begrenzt. Es findet auch auf unterschwellige Beschaffungen Anwendung, wobei dort zusätzliche Verfahren (Art. 20 Einladungsverfahren) zur Verfügung stehen und kein umfassender Rechtsschutz gewährt wird.

Die Schwellenwerte des Staatsvertragsbereichs sind in den Annexen 1, 2 und 3 zum Anhang I (Schweiz) zum GPA 2012, in Artikel 3 Absatz 4 des Abkommens Schweiz­EU sowie in den Anhängen der marktzugangsrelevanten Abkommen mit 1921

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Drittstaaten enthalten. Die Schwellenwerte werden künftig im Anhang 4 zum BöB enthalten sein. Dieser Anhang wird die bisherige Verordnung des WBF über die Anpassung der Schwellenwerte im öffentlichen Beschaffungswesen ersetzen und gibt ­ analog zu den Anhängen der IVöB ­ einen Überblick über die für die Wahl des jeweiligen Beschaffungsverfahrens einschlägigen Schwellenwerte (sowohl im Staatsvertragsbereich als auch ausserhalb des Staatsvertragsbereichs). Der Anhang wird vom Bundesrat nach Massgabe von Absatz 1 zweiter Satz regelmässig überprüft und, wenn erforderlich, angepasst. Der E-IVöB sieht einen parallelen Anpassungsmechanismus vor.

Während es den Vertragsstaaten erlaubt ist, gegenüber ihren internationalen Verpflichtungen tiefere Schwellenwerte vorzusehen, dürfen sie ihre Schwellenwerte nicht über die staatsvertraglichen Vorgaben hinaus erhöhen.

Da die Schwellenwerte des GPA sowie der Freihandelsabkommen mit Drittstaaten in Sonderziehungsrechten und die Schwellenwerte des Abkommens Schweiz­EU in Euro ausgedrückt sind, unterliegen die Werte in Schweizerfranken einer periodischen Anpassung. Massgebend für die Umrechnung ist die entsprechende Entscheidung des WTO-Ausschusses über das öffentliche Beschaffungswesen. Die Schwellenwerte werden periodisch den veränderten Wechselkursen angepasst. Die Anpassung der Schwellenwerte als Folge veränderter Wechselkurse erfolgt unter Federführung des WBF und nach vorgängiger Konsultation der Kantone.

Die völkerrechtlichen Verpflichtungen gelten auch für die Kantone. Werden die Zugeständnisse hinsichtlich der subzentralen Vergabestellen (Kantone und Gemeinden) angepasst bzw. neu verhandelt, so wirken die Kantone an den betreffenden internationalen Verhandlungen gemäss Artikel 55 BV mit. Ihre Mitwirkung geht deutlich über die Konsultation im Rahmen eines Vernehmlassungsverfahrens hinaus.

Abs. 3 Die Kollisionsnorm von Absatz 3 entspricht der aktuellen Praxis und der Schwergewichtstheorie, die bereits bei Artikel 5 erläutert wurde. Unterschiedliche Schwellenwerte sind insbesondere bei einer Beschaffungsgemeinschaft aus allgemeinen Auftraggeberinnen und Sektorenauftraggeberinnen zu gewärtigen.

Abs. 4 und 5 Im Baubereich gilt die sogenannte Bauwerkregel. Danach sind die geschätzten Auftragswerte eines bestimmten Vorhabens auch dann zusammenzuzählen, wenn
sie ohne Verletzung des Zerstückelungsverbots einzeln ausgeschrieben werden könnten.

Im Staatsvertragsbereich ist für die Ermittlung des Auftragswerts bei einem Bauwerk daher jeweils der Gesamtwert aller Bauleistungen (Hoch- und Tiefbau) massgebend. Bei Lieferungen und Dienstleistungen im Staatsvertragsbereich sowie bei sämtlichen Aufträgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs ist hingegen der jeweilige Wert der einzelnen Leistung entscheidend (wobei hier das Zerstückelungsverbot zu beachten ist, vgl. Abs. 5). Aus Praktikabilitätsgründen findet die Bauwerkregel eine Ausnahme in der sogenannte Bagatellklausel. Sie bedeutet eine Erleichterung für die Vergabe von Bauaufträgen, die je einzeln den Wert von zwei Millionen Franken nicht erreichen und zusammengerechnet 20 Prozent des Werts des gesamten Bauwerks nicht überschreiten. Die als «Bagatellfälle» ausgeschiedenen Einzel1922

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aufträge müssen in Bund und Kantonen nach den für deren (Einzel-)Auftragswert massgebenden Schwellenwerten behandelt werden (für die Kantone vgl. hierzu Art. 5 Abs. 2 BGBM und die Schwellenwerte gemäss Anhang 2 E-IVöB).

Art. 17

Verfahrensarten

Wie bis anhin besteht auch künftig eine feste Anzahl zulässiger Verfahren: offenes und selektives Verfahren sowie Einladungs- und freihändiges Verfahren. Neubildungen oder Mischformen sind nicht erlaubt. Dies bedeutet indessen nicht, dass die Verfahrensarten nicht mit auftragsspezifischen Elementen ergänzt werden dürfen.

Grenze und Bedingung bildet der Grundsatz, dass jederzeit erkennbar bleiben muss, welches gesetzlich vorgesehene Verfahren zur Anwendung gelangt. Zudem müssen der Gesetzeszweck beachtet und die allgemeinen Verfahrensgrundsätze eingehalten werden.

Die Auftraggeberin darf aus hinreichenden Gründen ein höherrangiges Verfahren wählen (d. h. offenes oder selektives Verfahren statt Einladungsverfahren; Einladungsverfahren statt freihändiges Verfahren, soweit der Sachverhalt dies zulässt), auch wenn das Gesetz nur eine einfachere Verfahrensform verlangt. Diese Wahl darf nicht ohne sachlichen Grund erfolgen. Aus Gründen der Verwaltungsökonomie macht es keinen Sinn, für Bagatellbeschaffungen ein offenes oder selektives Verfahren vorzusehen.

Die Auftraggeberin entscheidet zwischen offenem und selektivem Verfahren nach praktischen Gesichtspunkten, insbesondere mit Rücksicht auf die Komplexität der zu beschaffenden Leistungen und auf die Anzahl der zu erwartenden Angebote. Das freihändige Verfahren, bei dem ein Zuschlag direkt und ohne vorgehende Ausschreibung erfolgt, steht nur bei Lieferungen und Dienstleistungen unter 150 000 Franken bzw. von Bauleistungen unter 300 000 Franken zur Verfügung. Abweichend vom beschriebenen Grundsatz der Wahl des Vergabeverfahrens in Abhängigkeit vom Auftragswert sind gewisse Ausnahmen zugelassen: Auch über den für das jeweilige Verfahren anwendbaren Schwellenwert hinaus sind freihändige Verfahren (Art. 21 Abs. 2) bzw. Einladungsverfahren (Art. 20 Abs. 3) in Ausnahmefällen möglich.

Art. 18

Offenes Verfahren

Abs. 1 und 2 Beim offenen Verfahren werden Leistungen direkt ausgeschrieben. Eine Vorselektion der Anbieterinnen erfolgt nicht. Sämtliche interessierten Anbieterinnen reichen ihre Angebote direkt bei der Auftraggeberin ein. Ungeeignete Anbieterinnen können von der Auftraggeberin entweder mit einem selbstständig anfechtbaren Entscheid (Art. 53 Abs. 1 Bst. g) oder beim Zuschlagsentscheid vom Verfahren ausgeschlossen werden.

Sowohl das offene als auch das nachstehend beschriebene selektive Verfahren gewähren den vollen Marktzugang.

1923

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Art. 19

Selektives Verfahren

Abs. 1 Das selektive Verfahren beginnt ebenfalls mit einer öffentlichen Ausschreibung.

Interessierte Anbieterinnen müssen zuerst ihre Teilnahme am Verfahren beantragen.

Abs. 2 und 3 Die Auftraggeberin prüft in einem ersten Schritt die Eignung der Anbieterinnen, die einen Antrag auf Teilnahme am Verfahren gestellt haben. Während die Wahl der zugelassenen Anbieterinnen beim Einladungsverfahren im Ermessen der Auftraggeberin liegt, wird beim selektiven Verfahren die Zahl der Bewerberinnen in einer strukturierten Eignungsprüfung reduziert. Die Eignungsprüfung kann aus Gründen der Verfahrensökonomie und der Sicherstellung eines genügend breiten Wettbewerbs im Offertverfahren nach der Präqualifikation auch bereits gewisse zwingend notwendige Mindestanforderungen an den Auftragsgegenstand (technische Spezifikationen) beinhalten. Der Eignungsentscheid (Präqualifikation) ist selbstständig anfechtbar (Art. 53 Abs. 1 Bst. b). Nur präqualifizierte Anbieterinnen werden eingeladen, eine Offerte einzureichen.

Sofern der wirksame Wettbewerb gewährleistet bleibt, besteht im selektiven Verfahren zusätzlich zur vorgezogenen Eignungsprüfung die Möglichkeit, die Anzahl derjenigen, die eine Offerte einreichen dürfen, aus Effizienzgründen zu beschränken.

Dabei unterliegt die Auftraggeberin einer doppelten Pflicht: Einerseits muss die Notwendigkeit der Begrenzung der Anbieterzahl sachlich begründet sein. Anderseits sind bereits bei der Ausschreibung die Absicht, die Anzahl der Anbieterinnen zu begrenzen, sowie die maximal zugelassene Anbieterzahl bekanntzugeben. 117 Art. 20

Einladungsverfahren

Abs. 1 Das Einladungsverfahren ist im Völkerrecht nicht vorgesehen; es findet ausserhalb des Staatsvertragsbereichs unter Beachtung der dort geltenden Schwellenwerte Anwendung: Gemäss aktuellem Recht ist das Einladungsverfahren bei der Beschaffung von Waren bei einem Auftragswert ab 50 000 Franken vorgeschrieben. Im neuen Anhang 4 wird dieser Schwellenwert demjenigen für Dienstleistungen angeglichen, womit das Freihandverfahren bis zu einem Auftragswert von 150 000 Franken zulässig ist. Zwecks Angleichung an das kantonale Recht sollen Bauleistungen künftig bis zu einem Auftragswert von 300 000 Franken freihändig beschafft werden können. Das Einladungsverfahren ist damit anwendbar auf die Beschaffung sämtlicher Waren und Dienstleistungen ab 150 000 Franken bis zur Höhe der international festgelegten Schwellenwerte bzw. im Bereich der Bauleistungen ab 300 000 Franken bis zum (tieferen) binnenrechtlichen Schwellenwert für ein offenes oder selektives Verfahren (gegenwärtig 2 Millionen Franken). Mit der vorgeschlagenen Angleichung der für die Wahl der Verfahrensarten massgeblichen Schwellenwerte bei Bund und Kantonen wird eine in der Vernehmlassung von einer Mehrheit der Teilnehmenden geäusserte Anregung weitgehend umgesetzt.

117

Vgl. BRK 003/98 vom 8. Okt. 1998 (VPB 63.16), E. 4 f.

1924

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Abs. 2 Die Wahl bzw. Beschränkung der zugelassenen Anbieterinnen beim Einladungsverfahren liegt im Ermessen der Auftraggeberin. Diese Regelung entspricht dem geltenden Artikel 35 Absatz 1 VöB. Um einen minimalen Wettbewerb zu garantieren, sollten mindestens drei geeignete Anbieterinnen zur Offertstellung eingeladen werden. Diese Voraussetzung ist in der Praxis erfüllt, wenn, nach Möglichkeit wenigstens drei Anbieterinnen angefragt werden. Dies ist nicht gleichbedeutend mit der Anforderung, dass drei Angebote auch tatsächlich eingehen. Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach den Bestimmungen des Gesetzes für Verfahren ausserhalb des Staatsvertragsbereichs.

Abs. 3 Da Beschaffungen von Waffen, Munition und Kriegsmaterial vom Staatsvertragsbereich ausgenommen sind (Anhang 5 Ziff. 1 Bst. c), können sie ohne summenmässige Begrenzung im Einladungsverfahren erfolgen. Gleiches gilt für anderweitige Beschaffungen, die aus Verteidigungs- und Sicherheitszwecken unerlässlich sind.

Damit verweist Absatz 3 zurück auf die Ausnahmebestimmung von Artikel 10 Absatz 4. Nach Ermessen der Auftraggeberin kann dort von einem Vergabeverfahren überhaupt abgesehen oder ein Einladungsverfahren gewählt werden, wenn die Schutzziele dies erlauben. Das kann beispielsweise bei Beschaffungen von Verwaltungseinheiten mit militärischen oder polizeilichen Aufgaben (armasuisse, fedpol, Eidgenössische Zollverwaltung oder Grenzwachtkorps) relevant werden.

Art. 21

Freihändiges Verfahren

Das freihändige Verfahren war bereits in Artikel XV GPA 1994 vorgesehen. Es ist ebenfalls im EU-Recht (Art. 32 der Richtlinie 2014/24/EU118 bzw. Art. 50 der Richtlinie 2014/25/EU119) sowie in Artikel 16 BöB enthalten. Wie das GPA 1994 enthält auch der Ingress zu Artikel XIII GPA 2012 (freihändige Vergabe) den Vorbehalt, dass die Auftraggeberinnen solche Verfahren nicht mit der Absicht anwenden dürfen, den Wettbewerb unter den Anbieterinnen zu verhindern oder Anbieterinnen eines anderen Vertragsstaats zu diskriminieren. Dieser Grundsatz gilt für alle nachstehend erläuterten Tatbestände, die restriktiv anzuwenden sind.

Abs. 1 Beim freihändigen Verfahren vergibt die Auftraggeberin den Beschaffungsauftrag direkt einer Anbieterin. Die Auftraggeberin tritt also direkt mit einer Anbieterin in Vertragsverhandlungen, ohne vorab eine Ausschreibung oder ein Einladungsverfahren durchzuführen. Entsprechend handelt es sich beim freihändigen Verfahren nicht um ein dem offenen oder selektiven Verfahren gleichwertiges Instrument. Die Grundsätze des Beschaffungsrechts ­ Wirtschaftlichkeit, Transparenz, Wettbewerb ­ kommen nur in abgeschwächter Form zum Tragen. Die Möglichkeit, Vergleichsofferten einzuholen und Verhandlungen zu führen, besteht gleichwohl, wird aber nicht bei allen Tatbeständen relevant. Insbesondere die Voraussetzungen von Absatz 2 118 119

Siehe Fussnote [40].

Siehe Fussnote [41].

1925

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Buchstabe c würden einem Anbieterwettbewerb ­ und damit der Möglichkeit Vergleichsofferten einzuholen ­ definitionsgemäss entgegenstehen.

Abs. 2 Gemäss Anhang 4 ist das freihändige Verfahren bei der Beschaffung von Bauleistungen unter 300 000 Franken sowie bei Lieferungen und Dienstleistungen unter 150 000 Franken stets zulässig. Werden diese Schwellenwerte erreicht oder überschritten, sind freihändige Vergaben nur bei Vorliegen einer der in Absatz 2 genannten Ausnahmen erlaubt.

Absatz 2 überführt die Liste der Ausnahmetatbestände von Artikel XIII Absatz 1 Buchstaben a­h GPA 2012, die eine freihändige Vergabe erlauben, ins nationale Recht. Die Liste entspricht ­ mit wenigen Modifikationen ­ dem geltenden Recht (Art. 13 Abs. 1 VöB). Die Liste ist abschliessend und Analogieschlüssen nicht zugänglich. Nach ständiger Praxis sind diese Tatbestände aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen.120 Es handelt sich durchwegs um Fälle, in welchen das offene und das selektive Verfahren nicht durchführbar oder nicht zweckmässig wären, z. B. weil ein Wettbewerb aus Gründen des Schutzes von Immaterialgüterrechten nicht möglich wäre. Gleiches gilt für Folgebeschaffungen oder für aus unvorhersehbaren und nicht selbst verschuldeten Gründen dringliche Beschaffungen.

Bst. a: Die Auftraggeberin darf die Ausschreibungsunterlagen nicht derart ausgestalten, dass sie Anbieterinnen verunmöglicht, die Anforderungen zu erfüllen, um danach die Leistungen freihändig zur vergeben. Ein freihändiges Verfahren nach Massgabe von Buchstabe a setzt voraus, dass die Teilnahmebedingungen und weiteren Anforderungen der Ausschreibung nicht erheblich geändert werden (Art. XIII Abs. 1 Bst. a GPA 2012), d. h. die Anforderungen dürfen gegenüber der offenen oder selektiven Ausschreibung nicht gelockert werden. Dieser Tatbestand steht auch dann zur Verfügung, wenn bei einer Aufteilung der ausgeschriebenen Leistungen in Lose eines der Lose ohne Angebot bleibt.

Bst. b: Das Bestehen einer unzulässigen Wettbewerbsabrede ist in der Regel nicht einfach feststellbar. Dies bedarf einer sorgfältigen Abklärung. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für eine Abrede, kann die WEKO kontaktiert und eine erste Einschätzung eingeholt werden. Liegen hinreichende Gründe für die Annahme einer unzulässigen Wettbewerbsabrede vor, soll der Auftraggeberin die
Möglichkeit des freihändigen Verfahrens offen stehen, sofern ausserhalb des Submissionskartells kein Restwettbewerb mehr möglich ist.

Bst. c: Dieser Tatbestand entspricht der bisherigen bewährten Regelung. Er kann insbesondere bei Erstvergaben zur Anwendung kommen. Er ist dann erfüllt, wenn ein Auftrag aufgrund seiner technischen oder künstlerischen Besonderheiten oder aus Gründen des Schutzes des geistigen Eigentums nur an eine bestimmte Anbieterin erteilt werden kann. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn diese Anbieterin mangels angemessener Alternativen als einzige in der Lage ist, ein entsprechendes Produkt zu liefern bzw. eine entsprechende Bau- oder Dienstleistung zu erbringen. Zur Rechtfertigung des freihändigen Verfahrens ist die Auftraggeberin nicht nur zur 120

Vgl. BRK 2000-007 vom 3. Nov. 2000 (VPB 65.41), E. 4a.

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Darlegung technischer Gründe verpflichtet, sondern sie muss auch glaubwürdig erläutern und nachweisen, dass diese Gründe (technischer, künstlicher oder immaterialgüterrechtlicher Natur) die freihändige Vergabe unbedingt erfordern.121 Vertragliche Abmachungen zwischen der Auftraggeberin und Dritten, die den Wettbewerb in einer öffentlichen Beschaffung einschränken oder eine entsprechende Wirkung haben (z. B. eine Architekten- oder Ingenieurklausel), stellen weder eine technische noch eine künstlerische Besonderheit dar und sind somit keine zulässigen Gründe, um sich auf die Ausnahme gemäss Buchstabe c zu berufen. Wird gegen eine freihändige Vergabe der Rechtsweg beschritten, trägt die beschwerdeführende Anbieterin die Beweislast, dass sie willens und in der Lage ist, substituierbare Leistungen zu erbringen.122 Bst. d: Die Anwendung der Dringlichkeitsklausel erfordert kumulativ folgende Voraussetzungen: Es tritt ein unvorhersehbares Ereignis ein, welches den Ursprung der dringlichen Situation bildet (wie Ausbruch einer Pandemie oder einer Naturkatastrophe, Einführung neuer gesetzlicher oder völkerrechtlicher Anforderungen ohne entsprechende Übergangsfrist, welche eine dringliche Beschaffung notwendig machen). Diese Situation darf daher nicht von der Auftraggeberin verschuldet sein (z. B. durch Inaktivität oder mangelhafte Planung). Die Dringlichkeit muss derart sein, dass die Auftraggeberin ihren Pflichten nicht nachkommen könnte, falls sie ein offenes oder selektives Verfahren oder ein Einladungsverfahren durchführen würde.

Stehen mildere Mittel zur Verfügung (z. B. Verkürzung der Fristen im Staatsvertragsbereich nach Art. 47 Abs. 1), sind diese zu wählen.

Bst. e: Diese Bestimmung betrifft Folgebeschaffungen. Sie sieht freihändige Vergaben neu immer dann vor, wenn Leistungen zur Ersetzung, Ergänzung oder Erweiterung bereits erbrachter Lieferungen, Bau- oder Dienstleistungen der ursprünglichen Anbieterin vergeben werden müssen, weil ein Anbieterwechsel aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht möglich ist, erhebliche Schwierigkeiten bereitet oder substanzielle Mehrkosten nach sich ziehen würde. Solche Gründe können etwa darin liegen, dass Materialien, Dienstleistungen, Anlagen und Leistungen (wie Computerprogramme, Software) nicht beliebig austauschbar sind. Gerade wenn die Kompatibilität
mit bestehenden Komponenten gesichert sein muss, wäre eine offene oder selektive Ausschreibung nicht zielführend.

Die Auftraggeberin hat in der schriftlichen Begründung nachvollziehbar darzulegen, weshalb sie davon ausgeht, dass es an der Austauschbarkeit von oder Kompatibilität mit Material, Software, Dienstleistungen oder Anlagen aus einer ursprünglichen Beschaffung fehlt bzw. weshalb ein Anbieterwechsel zu erheblichen Schwierigkeiten oder substanziellen Mehrkosten führen würde. Hinsichtlich der erwarteten Mehrkosten liegt die Schwelle hoch: Nicht jede Erhöhung der erwarteten Kosten berechtigt zum Ausschluss des Wettbewerbs. Vielmehr muss feststehen, dass die Mehrkosten unverhältnismässig sind, d. h. in keinem angemessenen Verhältnis zum Auftragspreis der fraglichen freihändigen Vergabe stehen. Zu den erwarteten Kosten werden auch Überführungs- und Einrichtungskosten sowie solche für die Einarbei-

121 122

Vgl. BRK 2000-007 vom 3. Nov. 2000 (VPB 65.41), E. 4b.

Vgl. BVGer B-3402/2009 vom 6. Juli 2010, E 3.2.7 und 4.3.

1927

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tung, also für das Aneignen des Spezialwissens sowie der Kenntnisse der Gegebenheiten vor Ort, gerechnet.

Folgebeschaffungen setzen einen vergaberechtskonformen Grundauftrag voraus.

Erreicht der Auftragswert für eine Folgebeschaffung den Schwellenwert für eine offene oder selektive Ausschreibung, so muss auch der Grundauftrag offen oder selektiv ausgeschrieben worden sein. Abgesehen von stichhaltig begründeten und nachgewiesenen Ausnahmefällen darf der Auftragswert eines Folgeauftrags nie höher sein als der Auftragswert eines Grundauftrags, wobei der Grundauftrag mindestens im Einladungsverfahren vergeben worden sein muss. Bei Beschaffungen gemäss Artikel 20 Absatz 3 gilt dies ohne Beachtung der Schwellenwerte.

Ist der Grundauftrag nicht im entsprechenden Verfahren beschafft worden, so ist eine Folgebeschaffung nach Artikel 21 Absatz 2 Buchstabe e nicht möglich, da andernfalls Umgehungsstrategien ermutigt würden. Beziehen sich mehrere Folgeaufträge auf denselben Grundauftrag, darf die Summe ihrer Auftragswerte denjenigen des Grundauftrags gemäss vorstehender Regel nicht überschreiten. In Artikel XV GPA 1994 waren noch drei verschiedene Tatbestände der Folgebeschaffung vorgesehen (Bst. d «zusätzliche Lieferungen», Bst. f «zusätzliche Baudienstleistungen», Bst. g «neue Baudienstleistungen»). Diese drei Tatbestände wurden in Artikel XIII Absatz 1 Buchstabe c GPA 2012 auf Betreiben einzelner Mitgliedstaaten in einer einzigen Bestimmung zusammengeführt.

Die heutige Regelung in Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe h VöB (neue gleichartige Bauaufträge) entfällt. Buchstabe e wird künftig auch für diese Beschaffungen einschlägig sein.

Bst. f­h: Diese Tatbestände entsprechen der Regelung in Artikel XIII Absatz 1 Buchstaben e­g GPA 2012. Sie haben in der Praxis nur eine beschränkte Bedeutung erlangt. Die gesetzliche Zweckbestimmung (Art. 2) ist auch bei freihändigen Vergaben, z. B. bei Liquidationsverkäufen (Bst. h), zu beachten.

Bst. i entspricht weitgehend Artikel XIII Absatz 1 Bst. h GPA 2012. Die freihändige Vergabe ist auch dann erlaubt, wenn die Auftraggeberin in einem «vorausgehenden Verfahren», d. h. in einem Planungs- oder Gesamtleistungswettbewerb oder in einem Studienauftrag, die Lösung einer ausgeschriebenen Aufgabe erarbeiten liess und im Anschluss daran dem Gewinner oder der Gewinnerin gewisse Folgeleistungen, die eng mit der ausgeschriebenen Aufgabe zusammenhängen, vergeben möchte.

Somit können bei einem Wettbewerb freihändig vergeben werden: ­

die Folgeplanung bzw. Detailkonzeption oder die Koordination der Leistungen zur Umsetzung der Planung an die Gewinnerin eines Planungswettbewerbs oder

­

Planer- oder Konzeptionierungsleistungen und die Realisierung der Lösung, die für die ausgeschriebene Aufgabe vorgeschlagen worden ist, an die Gewinnerin eines Gesamtleistungswettbewerbes.

Bei einem Studienauftrag können freihändig vergeben werden: ­

1928

weitere planerische oder Konzeptionierungs-Leistungen an die Gewinnerin eines Auswahlverfahrens zu einer Planungs- oder Konzeptstudie oder

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­

Planer- oder Konzeptionierungsleistungen und die Realisierung der Lösung, die für die ausgeschriebene Aufgabe vorgeschlagen worden ist, an die Gewinnerin eines Auswahlverfahrens zu einer Gesamtleistungsstudie.

«Expertengremium» wird in diesem Gesetz als Oberbegriff verwendet und bedeutet nicht, dass das Gremium nur aus Fachleuten zusammengesetzt sein muss. Als Expertengremium gelten insbesondere das Preisgericht bei Wettbewerben und das Beurteilungsgremium bei Studienaufträgen. Das Expertengremium, das die Lösungsvorschläge bewertet, gilt als unabhängig, wenn keine am Verfahren teilnehmende Anbieterin darin mitwirkt und das Gremium mehrheitlich aus unabhängigen Fachpersonen besteht. Die Auftraggeberin kann im Gremium vertreten sein.

Mit diesen Regelungen soll der Handlungsspielraum, welchen das GPA eröffnet, neu voll ausgenützt werden. Gerade die Vergabe intellektueller Dienstleistungen dürfte weiter zunehmen und damit an Bedeutung gewinnen. Der Anwendungsbereich von Artikel 21 Absatz 2 Buchstabe i und damit generell jener von Wettbewerben und Studienaufträgen beschränkt sich dabei nicht auf den Baubereich. Vielmehr sollen sie überall dort eingesetzt werden, wo sie Beschaffungen dienlich sind (z. B.

Lösungsvorschläge im Rahmen der Energiestrategie). Unter dem Begriff «Planungsleistungen» sind mithin auch Leistungen zu verstehen, welche ausserhalb der Baubranche demselben Zweck für die Lösungsrealisierung dienen, beispielsweise Konzeptarbeiten. Der Bundesrat wird in der Verordnung die notwendigen Anforderungen an das Verfahren festlegen. Er wird im Weiteren den Vollzug der Bestimmungen, insbesondere im Hinblick auf die Vergabe intellektueller Dienstleistungen, beobachten und die Regelungen gegebenenfalls später weiterentwickeln. Vergleiche zu den Wettbewerben und Studienaufträgen auch die Erläuterungen zu Artikel 22.

Abs. 3 Eine Besonderheit gilt für die Beschaffung von Leistungen, die für Verteidigungsund Sicherheitszwecke unerlässlich sind. Zur Sicherung der Unabhängigkeit und Souveränität des Landes sind inländische Rüstungsbetriebe unerlässlich. Soweit ihr Erhalt nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann (Erforderlichkeit der Massnahme), ist eine freihändige Vergabe an diese Anbieterinnen gerechtfertigt und völkerrechtlich unbedenklich, da solche Beschaffungen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs erfolgen.

Abs. 4 Wie Artikel XIII Absatz 2 GPA 2012 und Artikel 13 Absatz 2 VöB vorsehen, verfasst die Auftraggeberin über jeden freihändig vergebenen Auftrag über dem massgeblichen Schwellenwert
für das Einladungsverfahren eine Dokumentation. Diese enthält insbesondere eine Darlegung der Gründe und Umstände, die einen Verzicht auf ein offenes oder selektives oder ein Einladungsverfahren begründen. Eine Veröffentlichung erübrigt sich, da bereits der Zuschlag mit den Angaben nach Massgabe von Artikel 48 Absatz 6 publiziert wird.

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Art. 22

Planungs- und Gesamtleistungswettbewerb sowie Studienaufträge

Abs. 1 Planungs- und Gesamtleistungswettbewerbe und Studienaufträge spielen bei öffentlichen Beschaffungen eine wichtige Rolle. Planungswettbewerbe und Planungsstudien können zur Erarbeitung von Lösungsvorschlägen als Ideenwettbewerb oder Ideenstudie zu allgemein umschriebenen und abgegrenzten Aufgaben oder als Projektwettbewerb oder Projektstudie zu konkret umschriebenen bzw. komplexen Aufgaben und zur Vergabe der teilweisen oder umfassenden Realisierung der Lösung lanciert werden. Gesamtleistungswettbewerbe und Gesamtleistungsstudien werden zur Erarbeitung von Lösungsvorschlägen zu konkret umschriebenen bzw. im Rahmen der Studie durch den Austausch zwischen der Auftraggeberin und den Anbieterinnen klar und präzis definierten Aufgaben und zur Vergabe der Realisierung dieser Lösung durchgeführt.

Studienaufträge wurden aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Das Staatsvertragsrecht enthält keine Regeln für die Durchführung von Wettbewerben und Studienaufträgen. Immerhin findet sich in Artikel XII Absatz 1 Buchstabe h GPA 2012 der Hinweis, dass eine freihändige Vergabe an den Gewinner oder die Gewinnerin eines Wettbewerbs nur dann zulässig ist, wenn die Organisation des Wettbewerbs ­ insbesondere in Bezug auf die Publizität ­ den Grundsätzen dieses Übereinkommens entspricht, die Teilnehmenden bzw. deren Projekte von einem unabhängigen Preisgericht beurteilt werden und dem Gewinner oder der Gewinnerin ein Vertrag in Aussicht gestellt wird. Das Staatsvertragsrecht setzt mithin erst auf einer zweiten Stufe, nach Abschluss des Wettbewerbs ein. Es wirkt indessen auf die Gestaltung des Wettbewerbs zurück.

Wird der Auftrag nicht an den Gewinner oder die Gewinnerin des Wettbewerbs vergeben oder entspricht das Wettbewerbsverfahren nicht den Grundsätzen des GPA 2012, muss ein offenes oder selektives Verfahren durchgeführt werden. Der Planungs- und Gesamtleistungswettbewerb sowie der Studienauftrag sind daher keine eigenen submissionsrechtlichen Verfahrenstypen.123 Vielmehr sind der Wettbewerb und der Studienauftrag, wenn sie in eine freihändige Vergabe an den Gewinner oder die Gewinnerin münden sollen, in einem GPA-konformen (in der Regel offenen oder selektiven) Verfahren durchzuführen.

Die SIA-Ordnungen 142/2009 (Wettbewerbe) und 143/2009 (Studienaufträge) haben eine
grosse praktische Bedeutung im Bereich der Baubeschaffungen. Dabei gilt es zu beachten, dass es sich bei den SIA-Normen um private Regelwerke handelt. Zum einen finden diese Regelwerke nur dann Anwendung, wenn in den Ausschreibungsunterlagen darauf hingewiesen wird. Zum anderen können sie die (zwingenden) Bestimmungen des anwendbaren Beschaffungsrechts nicht derogieren. Sie können aber im Rahmen der Auslegung und Lückenfüllung Beachtung finden.124

123

Galli Peter / Moser André / Lang Elisabeth / Steiner Marc, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Aufl., Zürich 2013, Rz. 990.

124 Vgl. BRK 1999-011 vom 9. Dez. 1999 (VPB 64.63), E. 4d/bb.

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Abs. 2 Absatz 2 nennt die Bereiche, in denen der Bundesrat auf Verordnungsstufe die Wettbewerbe und Studienaufträge genauer zu regeln hat.

Mit «Expertengremium» sind sowohl Beurteilungsgremien bei Studienaufträgen als auch Preisgerichte bei Planungs- und Gesamtleistungswettbewerben gemeint.

Art. 23

Elektronische Auktionen

Beschaffungsvorhaben werden zunehmend auf elektronischem Weg abgewickelt.

Das senkt nicht nur die Transaktionskosten, sondern erhöht die Transparenz und fördert den Marktzutritt ortsfremder Anbieterinnen. Artikel 35 der Richtlinie 2014/24/EU125 sowie Artikel 53 der Richtlinie 2014/25/EU126 sehen ebenfalls Grundlagen für elektronische Auktionen vor.

Während elektronische Auktionen im GPA 1994 noch nicht erwähnt waren, werden sie im GPA 2012 eingehend geregelt. Es versteht die elektronische Auktion nicht als besondere Form der Verhandlungen, sondern als ein Instrument sui generis. Artikel I Buchstabe f GPA 2012 beschreibt die elektronische Auktion als iterativen Vorgang bzw. als Prozess, bei dem sich die Anbieterinnen gegenseitig über- oder unterbieten können. Mit Iteration ist die wiederholte Anwendung derselben Funktion gemeint.

Gegenstand der Angebote können neben dem Preis auch andere Kriterien sein.

Denkbar wäre beispielsweise, dass Anbieterinnen unter dem Kriterium der Realisierungsdauer zusätzliche Punkte in der Bewertung ihrer Angebote erhalten, sofern sie die Verpflichtung eingehen, eine Leistung rascher zu erbringen (z. B. kürzere Lieferfristen).

Um eine niederschwellige sowie sichere Benützung durch die Anbieterinnen sicherzustellen, verwenden die Auftraggeberinnen bei der elektronischen Abwicklung eines Beschaffungsvorhabens allgemein verfügbare und kompatible Systeme und Software und stellen Sicherungsmechanismen auf, um die eingereichten Angebote vor unbefugten Zugriffen zu schützen (Art. IV Abs. 3 GPA 2012). Aus Transparenzgründen muss jede Bekanntmachung einer Beschaffung über die eingesetzte Beschaffungsmethode Auskunft geben sowie einen Hinweis enthalten, ob Verhandlungen oder eine elektronische Auktion stattfinden (Art. VII Abs. 2 Bst. f GPA 2012).

Die Modalitäten der elektronischen Auktion, insbesondere wann welche Mindestangaben bekannt zu geben sind und wie eine Auktion beginnt und endet, sind in Artikel 23 E-BöB geregelt. Ausführungen zur Authentifizierung finden sich in der Verordnung. Trotz Gemeinsamkeiten mit dem Steigerungskauf finden die obligationenrechtlichen Bestimmungen (Art. 229 ff. OR) keine Anwendung.

Abs. 1 und 2 Die elektronische Auktion ist kein eigenständiges Vergabeverfahren, sondern ein Instrument, das im offenen oder selektiven Verfahren, im Einladungsverfahren oder im Rahmen eines Abrufverfahrens nach dem Zuschlag von Rahmenverträgen einge125 126

Siehe Fussnote [40].

Siehe Fussnote [41].

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setzt werden kann. Die Besonderheit der elektronischen Auktion besteht darin, dass die Offerten anhand eines iterativen, automatisierten Verfahrens bewertet werden.

Die elektronische Auktion erstreckt sich auf die Preise, wenn der Zuschlag für den niedrigsten Preis erteilt wird, oder auf die Preise beziehungsweise die Werte für quantifizierbare Komponenten, wenn der Zuschlag für das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt wird. Nach dem Entwurf bleibt dieses Instrument auf die Beschaffung standardisierter Leistungen beschränkt.

Die Ausschreibungsunterlagen weisen auf die Anforderungen an Authentifizierung und Verschlüsselung hin, welche die Anbieterinnen bei der Einreichung ihrer Angebote zu erfüllen haben. Der Sicherheit dieser Verfahren (insbesondere der NichtAbstreitbarkeit der Angebote) gebührt grosse Beachtung. Zudem ist sicherzustellen, dass die Eingaben der Teilnehmenden in pseudonymisierter Form erfolgen. Zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sowie zur Verhinderung eines Preisaustausches soll vermieden werden, dass die Teilnehmenden erkennen können, welche Mitbewerberinnen welche Angebote abgeben.

Abs. 3 Der elektronischen Auktion geht eine Präqualifikation voraus. In einer ersten Phase prüft die Auftraggeberin die Eignungskriterien und die technischen Spezifikationen und nimmt eine erste Bewertung vor. Die eigentliche Auktion kommt erst in einem zweiten Verfahrensschritt zur Anwendung, wobei mehrere Bewertungsrunden stattfinden können.

Abs. 4 Alle im Anschluss an die erste Evaluation zugelassenen Anbieterinnen werden gleichzeitig und auf elektronischem Wege aufgefordert, neue, bereinigte Angebote einzureichen. Sofern dies vorab bekanntgegeben wurde, kann die Anbieterzahl begrenzt werden ­ dies insbesondere aus Gründen der Effizienz und Administrierbarkeit der elektronischen Auktion.

Abs. 5 Kommt eine elektronische Auktion zur Anwendung, ist die vollständige und periodische Information der Anbieterinnen durch die Auftraggeberin ein wichtiges Element zur Herstellung von Transparenz und der Garantie der Gleichbehandlung der Anbieterinnen. Vor Beginn jeder Auktion stellt die Auftraggeberin jeder Anbieterin die Informationen über die automatische Bewertungsmethode, einschliesslich der mathematischen Formel, das Ergebnis ihrer ersten Angebotsbewertung und alle weiteren relevanten Informationen
zur Abwicklung der Auktion zur Verfügung. Bei mehreren nacheinander durchgeführten Auktionsrunden informiert die Auftraggeberin alle Anbieterinnen in jeder Phase über ihren jeweiligen Rang.

Art. 24

Dialog

Das Instrument des Dialogs ­ der Begriff ist an die Terminologie der EU-Richtlinien angelehnt ­ ist weder im GPA 1994 noch im GPA 2012 vorgesehen. Die Formulierung «Methoden wie» («such as») in Artikel IV Absatz 4 Buchstabe a GPA 2012 weicht den Numerus Clausus möglicher Verfahren in Artikel VII Absatz 3 GPA 1932

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1994 auf. Im Gegensatz zu Artikel XIV Absatz 2 GPA 1994 enthält Artikel XII GPA 2012 nicht mehr die Einschränkung, dass der Gegenstand der Verhandlungen vorab die Feststellung von Stärken und Schwächen der Angebote sein muss.

Dadurch entsteht ein Spielraum für Verfahren wie den Dialog (vgl. auch Art. VII Abs. 2 Bst. f GPA 2012 gegenüber Art. IX Abs. 6 Bst. b GPA 1994).

In der EU wurde der «wettbewerbliche Dialog» als Instrument zur Erhöhung der Flexibilität bei besonders komplexen Vorhaben bereits mit Artikel 29 der Richtlinie 2004/18/EG127 eingeführt, wobei Preisverhandlungen gemäss den Materialien ausgeschlossen wurden.128 Artikel 48 der Richtlinie 2014/24/EU129 dient dazu, das Verfahren des wettbewerblichen Dialogs zu optimieren und zu vereinfachen.

Eine helvetische Variante des Dialogs wurde auf Bundesebene mit der Revision der VöB im Jahr 2010 eingeführt. Anders als in der EU wird der Dialog in der VöB nicht als eigenständiges Verfahren ausgestaltet, sondern als Instrument, das im offenen oder selektiven Verfahren eingesetzt werden kann. Dieser Ansatz lässt sich besser in das Bundesvergaberecht eingliedern.130 Im Recht der Kantone ist dieses Instrument bisher nicht vorgesehen. Es wird indessen in die parallel zum Gesetzesentwurf erarbeitete IVöB Eingang finden.

Die Auftraggeberin kann im Dialog zusammen mit ausgewählten Anbieterinnen mögliche Lösungswege oder Vorgehensweisen erarbeiten, so dass am Ende des Dialogs eine Leistungsbeschreibung resultieren sollte, die den Ansprüchen der Auftraggeberin ebenso wie dem Können und Vermögen der Anbieterinnen angemessen Rechnung trägt. Die Auftraggeberin hat damit ein Instrument in der Hand, mit dem sie auf das spezifische Fachwissen der Anbieterinnen in einem konkreten Beschaffungsmarkt zurückgreifen und Innovationen fördern kann. Für die Anbieterinnen hat der Dialog den Vorteil, dass sie ihre Angebote zu Beginn des Vergabeverfahrens nicht bis ins letzte Detail, sondern in einem fortlaufenden Prozess konkretisieren können.

Flexible Beschaffungsinstrumente wie der Dialog dürften in Zukunft an Bedeutung gewinnen, eignen sie sich doch auch für die Vergabe besonderer intellektueller Dienstleistungen. Der Bundesrat wird daher die Entwicklung der Beschaffungen in diesem Bereich verfolgen und bei Bedarf später Anpassungen vornehmen (VöB) oder dem Parlament
beantragen (BöB).

Abs. 1 Bei besonders komplexen Vorhaben, bei intellektuellen Dienstleistungen oder bei innovativen Vorhaben ist die Auftraggeberin oft nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand im Stande, ohne Mitwirkung der Anbieterinnen den Beschaffungsgegenstand so zu bestimmen, dass er ihren Bedürfnissen gerecht wird, oder zu beurteilen, welche Lösungen der Markt anbietet. Wird eine Lösung von der Auftrag127 128

Siehe Fussnote [35].

Erläuterungen der Europäischen Kommission zum wettbewerblichen Dialog in der Richtlinie 2004/18/EG (siehe Fussnote [35]), abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/publicprocurement/docs/explan-notes/ classic-dir-dialogue_de.pdf (Stand: 25. Okt. 2016).

129 Siehe Fussnote [40].

130 Siehe Fussnote [116], S. 17.

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geberin einseitig vorgegeben, kann dies zur Folge haben, dass die Ressourcen und das Innovationspotenzial des Markts nicht voll erschlossen werden.

Die Komplexität kann in technischen oder rechtlichen Eigenarten gründen oder Folge der gewählten Finanzierungslösung sein (insbesondere bei Public Private Partnerships). In solchen Fällen ist die Suche nach Lösungswegen oder Vorgehensweisen idealerweise Teil der Beschaffung und nicht der vorgelagerten Marktabklärung, da es sich mangels spezifischer Kenntnisse der Auftraggeberin aufdrängt, die möglichen Lösungswege und Vorgehensweisen mit den Anbieterinnen in einem strukturierten Verfahren zu besprechen und gemeinsam weiterzuentwickeln. Durch dieses Vorgehen können auch heikle Vorbefassungstatbestände besser vermieden werden.

Abs. 2 Die Bestimmung zum Dialog geht als spezielles Recht Artikel 39 (Bereinigung der Angebote) vor. Die Voraussetzungen von Artikel 39 Absatz 2 finden daher keine Anwendung. Der Dialog darf nicht zum Zweck genutzt werden, die Offertpreise zu verhandeln. Es ist hingegen denkbar, dass diese Preise im Verlauf des Dialogs als Folge der Konkretisierung des Leistungsgegenstands angepasst werden.

Abs. 3 In der Ausschreibung ist in geeigneter Form darauf hinzuweisen, dass die Auftraggeberin beabsichtigt, einen Dialog durchzuführen. Anbieterinnen sollen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt wissen, worauf sie sich einlassen. Die Durchführung des Dialogs liegt in der Folge weitgehend im Ermessen der Auftraggeberin.

Das Transparenzgebot ist auch beim Dialog zu beachten. Die Auftraggeberin gibt in den Ausschreibungsunterlagen ihre Wünsche und Anforderungen bekannt und weist darauf hin, aufgrund welcher (Eignungs-)Kriterien sie die Dialogpartnerinnen auswählt. Den ausgewählten Anbieterinnen gibt sie bestimmte Mindestangaben zum Ablauf des Dialogs ausreichend früh (in der Ausschreibung oder den Ausschreibungsunterlagen) bekannt, so dass sie sich angemessen vorbereiten können. Der Dialog wird in erster Linie bilateral mit den einzelnen Anbieterinnen geführt und soll sich auf deren Lösungen und Vorschläge stützen. Gemeinsame, d. h. multilaterale Dialoge, bei denen einzelne Lösungen und Vorschläge miteinander kombiniert und anbieterinnenübergreifend diskutiert und entwickelt werden können, sind in sehr spezifischen Fällen grundsätzlich denkbar,
aber äusserst anspruchsvoll, so dass die Praxis bisher davon abgesehen hat.

Je nach Umfang des zu beschaffenden Gegenstands bzw. der Komplexität der sich stellenden Fragen kann die Auftraggeberin den Dialog in verschiedene aufeinander folgende Phasen aufteilen, bei denen der Beschaffungsgegenstand laufend eingegrenzt werden kann. Es bleibt auf Verordnungsstufe zu regeln, wie der Vergütungsmechanismus genau ausgestaltet werden soll und ob allenfalls auch nur denjenigen Anbieterinnen eine Entschädigung gezahlt werden soll, die der Verwendung von Geschäftsgeheimnissen zugestimmt, den Zuschlag jedoch nicht erhalten haben.

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Abs. 4 Ziel des Dialogs ist es, die seitens der Auftraggeberin formulierten funktionalen Anforderungen bzw. die Lösungswege oder Vorgehensweisen anhand des Knowhows und der Erfahrungen der Anbieterinnen zu konkretisieren. Dazu kann es erforderlich sein, das Verfahren in Phasen zu gliedern. Zeigt sich während des Verfahrens, dass eine der Dialogpartnerinnen vernünftigerweise nicht für den Zuschlag in Frage kommt, braucht die Auftraggeberin den Dialog mit dieser Anbieterin nicht fortzuführen. Eine Mitteilung an diese Anbieterin in Form einer anfechtbaren Verfügung kann sogleich oder erst zum Zeitpunkt des Zuschlags erfolgen.

Die im Dialog verbliebenen Anbieterinnen werden über den Abschluss des Dialogs und die relevanten Ergebnisse orientiert und aufgefordert, innert Frist ihr endgültiges vollständiges Angebot einzureichen. Die Auftraggeberin beurteilt die eingereichten Angebote anhand der in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen festgelegten Zuschlagskriterien und wählt das wirtschaftlich günstigste Angebot aus.

Die Verordnung regelt die Einzelheiten.

Abs. 5 Aus Gründen der Transparenz, der Nachvollziehbarkeit und der gerichtlichen Überprüfung sind alle Etappen des Dialogs zu dokumentieren. Falls eine Entschädigung an die Dialogpartnerinnen erfolgt, sollte auch deren Aufwand angemessen festgehalten werden.

Art. 25

Rahmenverträge

Das Institut der Rahmenverträge ist weder im GPA 1994 noch im GPA 2012 vorgesehen. Artikel XV Absatz 7 GPA 2012 erwähnt lediglich, dass «Optionen» nicht dafür eingesetzt werden dürften, «die Verpflichtungen nach diesem Übereinkommen zu umgehen». Rahmenverträge und Optionen weisen Gemeinsamkeiten auf: Beide Male wird nicht ein abschliessend bestimmtes Leistungsvolumen ausgeschrieben, sondern das Recht der Auftraggeberin, gewisse Leistungen über einen bestimmten Zeitraum zu beziehen. Rahmenverträge werden insbesondere aus wirtschaftlichen Überlegungen, zur Vermeidung einer Abhängigkeit von nur einer Anbieterin oder zwecks Verhinderung von Versorgungsengpässen ausgeschrieben.

In den Mitgliedstaaten der EU haben sich schon länger zentrale Vergabestellen etabliert mit der Aufgabe, Leistungen für eine Mehrzahl von Vergabestellen einzukaufen. Dazu werden Rahmenvereinbarungen eingesetzt. Für die Beschaffung grosser Mengen tragen diese Verfahren zur Verbesserung des Wettbewerbs und zur Rationalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens bei. Insbesondere aus dem Bereich der Arzneimittelbeschaffung ist die Rahmenvereinbarung heute nicht mehr weg zu denken.

Der Begriff der Rahmenvereinbarung wurde im EU-Recht in den Richtlinien 2004/17/EG131 (Art. 14 und 29) und 2004/18/EG132 (Art. 32) eingeführt. Das breit angewandte und europaweit als effiziente Beschaffungsmethode angesehene Instru131 132

Siehe Fussnote [37].

Siehe Fussnote [35].

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ment ist auch in den Richtlinien 2014/24/EU133 (Art. 33) und 2014/25/EU134 (Art. 51) vorgesehen.

Abs. 1 Beim Abschluss eines Rahmenvertrags mit einer oder mehreren Anbieterinnen findet kein besonderes Verfahren Anwendung. Vielmehr beanspruchen die allgemeinen Verfahren auch für die Ausschreibung und den Abschluss eines Rahmenvertrags Geltung. Gleiches gilt für die allgemeinen Grundsätze des Vergabeverfahrens (Art. 11 E-BöB), die sowohl für den Abschluss des Rahmenvertrags als auch für den individuellen Abruf der Leistungen beachtlich sind, mit der Besonderheit, dass der Abruf der Leistungen unter einem Rahmenvertrag dem Zivilrecht untersteht.

Inhalt und Umfang des Einzelvertrags sowie das Verfahren zu dessen Abschluss hängen direkt vom Rahmenvertrag und dessen Regelungsdichte ab. Wurden sämtliche Bedingungen bereits im Rahmenvertrag festgelegt, gelten dieselben Bedingungen auch für den darauf basierenden Einzelvertrag. Andernfalls sind die Leistungen und Modalitäten im Einzelvertrag detailliert zu beschreiben. In der Regel wird dieser aber nur noch Liefermengen und Termine sowie allenfalls besondere kommerzielle Bedingungen (Rabatte) enthalten.

Werden bei einer Ausschreibung Einheitspreise verlangt, sieht die Auftraggeberin ein optionales Mengengerüst vor, aus dem sich multipliziert mit den Einheitspreisen ein geschätzter Gesamtpreis errechnet. Alternativ kann sie einen Gesamtpreis für alle Leistungen unter einem Rahmenvertrag vorsehen.

Der Gesamtpreis bildet Grundlage des Zuschlags und ist nach Artikel 48 zu publizieren. Mangels anderer Abreden begründen weder der Gesamtpreis noch ein Mengengerüst eine Pflicht der Auftraggeberin, die unter einem Rahmenvertrag angebotenen Leistungen zu beziehen. Wird die vorgesehene Laufzeit inklusive Option erreicht, sind die Leistungen rechtzeitig vor diesem Zeitpunkt neu auszuschreiben.

Abs. 2 Der Hinweis auf die Wettbewerbswirkungen der Rahmenverträge nimmt auf Artikel XV Absatz 7 GPA 2012 Bezug. So ist es unzulässig, einen Rahmenvertrag «für den IT-Bedarf der Bundesverwaltung in den Jahren 2017­2020» auszuschreiben.

Damit würde eine beträchtliche Anzahl sachlich getrennter Beschaffungen für Jahre dem Wettbewerb entzogen. Eine solche Behinderung bzw. Beseitigung des Wettbewerbs darf nicht Ziel oder Wirkung von Rahmenverträgen sein.

Rahmenverträge müssen
stets auf eine spezifische Leistungskategorie beschränkt bleiben. Die Leistungen sind daher hinreichend zu spezifizieren. Ein Rahmenvertrag bildet keinen Ersatz für eine mangelhafte Leistungsbeschreibung.

133 134

Siehe Fussnote [40].

Siehe Fussnote [41].

1936

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Abs. 3 In Artikel 15a Absatz 1 VöB wurde die Vertragsdauer bei wiederkehrenden Leistungen auf fünf Jahre befristet, nachdem die Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen darauf hingewiesen hatte135, dass sich der Bundesgesetzgeber der speziellen Problematik von Verträgen mit einer (über)langen Dauer offenbar nicht bewusst gewesen sei und daher im BöB keine entsprechende Regelung vorgesehen habe.136 Eine zeitliche Begrenzung ist auch für Rahmenverträge, die typischerweise auf Dauer angelegt sind, beachtlich.

Ein Rahmenvertrag für eine Dienstleistung, die ein dauerndes oder langwährendes Bedürfnis der Vergabebehörde befriedigen soll, soll daher nur für eine begrenzte Dauer vergeben werden. Die Leistungen sollen in periodischen Zeitabständen wieder neu ausgeschrieben werden. Entsprechend der Regel von Artikel 15 Absatz 4 und in Anlehnung an das bisherige Recht soll die Laufzeit eines Rahmenvertrags höchstens fünf Jahre betragen. Eine automatische Verlängerung ist nicht zulässig.

Ein Rahmenvertrag mit unbestimmter Dauer, der während Jahren nicht gekündigt werden kann, würde der Zuschlagsempfängerin einen Wettbewerbsvorteil einräumen und damit den Markzutritt der Konkurrenz sowie den Wettbewerb beeinträchtigen. Eine längere Vertragsdauer kann daher nur in Ausnahmefällen vorgesehen werden. Eine Ausnahme von der fünfjährigen Maximaldauer ist z. B. dann gerechtfertigt, wenn wegen der Komplexität des Leistungsgegenstands, wegen erheblicher Anfangsinvestitionen oder wegen der besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten, die sich eine Anbieterin erst aneignen muss und die bei einem Wechsel verloren gehen, eine längere Vertragsdauer zu Effizienzgewinnen führt. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Beschaffung von Waren, deren Unterhalt und Instandhaltung durch die Herstellerin oder eine speziell beauftragte Firma sicherzustellen ist. Oder bei Rahmenverträgen mit einer Revisionsstelle oder mit Expertinnen und Experten für die berufliche Vorsorge, die jedenfalls bei einer grösseren Vorsorgeeinrichtung bis zu einem Jahr Einarbeitungszeit benötigen. Eine längere Vertragsdauer lässt sich auch dann rechtfertigen, wenn mehrere Rahmenverträge zugeschlagen werden und zwischen den Zuschlagsempfängerinnen dieser Rahmenverträge über ein Abrufverfahren weiterhin ein Restwettbewerb besteht (sog. Mini-Tender).
Im Weiteren verlängert sich der Rahmenvertrag um die Dauer von Einzelverträgen, die während der Geltung des Rahmenvertrags geschlossen wurden. Allerdings ist beim Abschluss solcher Einzelverträge darauf zu achten, dass die fünfjährige Maximaldauer nicht bzw. nur in Ausnahmefällen und massvoll überschritten wird. Auch aus diesem Grund wird keine längere Laufzeit vorgesehen.

Abs. 4 Wird ein Rahmenvertrag mit nur einer Anbieterin geschlossen, kommen bei den Einzelverträgen stets die Bedingungen des Rahmenvertrags zur Anwendung. Im Hinblick auf den Abschluss eines Einzelvertrages kann die Auftraggeberin, falls die Bedingungen im Rahmenvertrag nicht im Voraus abschliessend festgelegt wurden, die beteiligte Anbieterin schriftlich zur Vervollständigung des Angebots auffordern.

135 136

BRK 2000-007 vom 3. Nov. 2000 (VPB 65.41), E. 3c/ii.

Siehe Fussnote [116], S. 9.

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Ohne erneute Ausschreibung dürfen die Leistungen indessen durch den Einzelvertrag nicht wesentlich geändert oder erweitert werden.

Abs. 5 Hat eine Auftraggeberin (z. B. aus Gründen des Ressourcenbedarfs, der Versorgungssicherheit, der Vermeidung einer Abhängigkeit von einer einzelnen Lieferantin, zur Senkung der Transaktionskosten oder aus anderen zureichenden Gründen) mehrere Rahmenvertragspartnerinnen, kann sie im Hinblick auf den Abschluss eines Einzelvertrags ein sogenanntes Abrufverfahren vorsehen. In diesem Abrufverfahren werden der Bedarf sowie die im Ausschreibungsverfahren für den Abschluss von Einzelverträgen definierten Kriterien konkretisiert und die Rahmenvertragspartnerinnen zu einem konkretisierten Angebot eingeladen. Dabei haben alle Rahmenvertragspartnerinnen die Muss-Kriterien respektive den Erfüllungsgrad der Zuschlagskriterien aus dem Ausschreibungsverfahren mindestens wie ursprünglich offeriert einzuhalten. Die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze, insbesondere das Prinzip der wirtschaftlichen Beschaffung, ist durchgehend zu gewährleisten.

Alternativ können Leistungen auch ohne Konsultation der Vertragspartnerinnen direkt anhand der Kriterien abgerufen werden, die im Rahmenvertrag festgelegt wurden. Dies kann sich zum Beispiel bei kleinen Beschaffungsvolumen mit Rücksicht auf die Transaktionskosten rechtfertigen. Auch bei solchen direkten Abrufen sind die allgemeinen Grundsätze (Gleichbehandlung, Transparenz, Wirtschaftlichkeit, Wettbewerb unter den Anbieterinnen) zu berücksichtigen. Die Abrufkriterien sind transparent bekannt zu machen und rechtsgleich anzuwenden.

Auch beim Abschluss von mehreren Rahmenverträgen kann dem Grundsatz des wirtschaftlich günstigsten Angebots (Art. 41 ) entsprochen werden, sofern anhand der Gesamtheit der Umstände beurteilt wird, was «wirtschaftlich am günstigsten» ist: Rahmenverträge führen bei richtiger Verwendung zur Senkung von Transaktionskosten und zu Zeiteinsparungen. Damit wird die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gefördert. Mit dem Abrufverfahren wiederum kann zusätzlich sichergestellt werden, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot zum Abschluss eines Einzelvertrags führt.

Der Abschluss von Einzelverträgen unter einem Rahmenvertrag erfolgt durch Annahme einer privatrechtlichen Offerte der Anbieterin. Es findet kein erneuter
Zuschlag statt. Das Vergabeverfahren ist mit dem rechtkräftigen Zuschlag des Rahmenvertrags oder der Rahmenverträge abgeschlossen. Beim Abschluss der Einzelverträge sind die Vorgaben des Rahmenvertrags zu beachten. Ist eine Anbieterin mit Entscheiden beim Abrufverfahren nicht einverstanden, kann sie sich dagegen vor dem Zivilgericht wehren. Nicht offen steht ihr hingegen ­ mangels einer anfechtbaren Verfügung ­ der Beschwerdeweg (Art. 53 Abs. 6).

5. Kapitel: Vergabeanforderungen Sowohl das GPA 1994 als auch das GPA 2012 verwenden eine Reihe teils überlappender Begriffe für die Anforderungen, die bei einer öffentlichen Ausschreibung in persönlicher, formeller und sachlicher Hinsicht zu erfüllen sind («Teilnahmebedingungen», «Auswahlkriterien», «technische Spezifikationen», «Qualifikation der 1938

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Anbieterin», «Selektionskriterien», «Bewertungskriterien» und «Zuschlagskriterien»). Der vorliegende Entwurf klärt die Begriffe, wobei die aus dem geltenden Recht bekannte Trias «Eignungskriterien, technische Spezifikationen und Zuschlagskriterien» als Leitfaden dient. Überdies hat sich in der Praxis bewährt, formalisierte Teilnahmebedingungen aufzustellen. Die Anforderungen an die Form und die Verzeichnisse geeigneter Anbieterinnen werden in einer besonderen Bestimmung geregelt.

Teilnahmebedingungen, Eignungskriterien, Verzeichnisse, Registrierungssysteme, technische Spezifikationen und Zuschlagskriterien dürfen nicht mit der Absicht oder der Wirkung gewählt werden, den Marktzutritt zu erschweren und unnötige Hemmnisse für den internationalen Handel zu schaffen. Sie müssen insbesondere an den Grundsätzen der Inländerbehandlung und der Nichtdiskriminierung gemessen werden.

Während sich die Eignungskriterien auf die Fähigkeiten und Eigenschaften der Anbieterin beziehen, sind die technischen Spezifikationen und die Zuschlagskriterien stets leistungs- bzw. auftragsbezogen. Erfüllt eine Anbieterin die Teilnahmebedingungen sowie die Eignungskriterien und entspricht ihr Angebot den technischen Spezifikationen (absolute Minimal- bzw. Muss-Anforderungen für die Erfüllung des ausgeschriebenen Auftrags), prüft die Auftraggeberin, ob und inwiefern das Angebot die leistungsbezogenen Zuschlagskriterien erfüllt.

Das Zuschlagskriterium «Nachhaltigkeit» fand im Jahr 2010 Eingang in Artikel 27 Absatz 2 VöB137. Die Kantone haben im Jahr 2001 die «Nachhaltigkeit» in den Katalog der relevanten Zuschlagskriterien aufgenommen (Art. 32 Abs. 1 VRöB).

Auf europäischer Ebene zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. Die EU-Kommission hielt bereits im Grünbuch vom 27. Januar 2011 über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens fest: «Ein weiteres zusätzliches Ziel besteht darin, den Auftraggeberinnen eine bessere Nutzung der öffentlichen Auftragsvergabe im Sinne gemeinsamer gesellschaftlicher Ziele zu ermöglichen. Dazu zählen der Umweltschutz, eine höhere Ressourcen- und Energieeffizienz und die Bekämpfung des Klimawandels sowie die Förderung von Innovationen und sozialer Eingliederung und auch die Gewährleistung der bestmöglichen Bedingungen für die Erbringung öffentlicher
Dienstleistungen von hoher Qualität».138 In Artikel IX Absätze 1­3 GPA 2012 ist eine Grundlage für die Führung von Registrierungssystemen vorgesehen. Solche Systeme sollen die Transaktionskosten senken, gleichzeitig aber den Marktzutritt nicht behindern. Die Bestimmung betreffend Verzeichnisse über geeignete Anbieterinnen wurde nun in Anlehnung an Artikel 22 VRöB über ständige Listen sowie an Artikel 52 der Richtlinie 2004/18/EG139 bzw.

137 138

Siehe Fussnote [116], S. 19.

Grünbuch der Europäischen Kommission vom 27. Jan. 2011 über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, Wege zu einem effizienteren europäischen Markt für öffentliche Aufträge, S. 5. Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/consultations/docs/2011/public_procurement/ 20110127_COM_de.pdf (Stand: 7. Nov. 2016).

139 Siehe Fussnote [35].

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Artikel 64 der Richtlinie 2014/24/EU140 über amtliche Verzeichnisse zugelassener Wirtschaftsteilnehmerinnen ausgearbeitet. Neben dem Bund führen gegenwärtig lediglich zwei Kantone, Wallis und Thurgau, entsprechende Listen. Die anderen Kantone haben davon aus verschiedenen Gründen abgesehen.

Art. 26

Teilnahmebedingungen

Abs. 1 und 2 Teilnahmebedingungen sind von den Anbieterinnen und von ihren Subunternehmerinnen unabhängig vom Leistungsgegenstand zu erfüllen und nachzuweisen. Falschdeklarationen können straf- und vergaberechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Die Bezahlung fälliger Steuern und Sozialversicherungsbeiträge umfasst neben den Bundesteuern und -abgaben (inkl. MWST, AHV-, IV-, EO-, ALV-, BVG- und UVG-Beiträge) auch kantonale und kommunale Steuern.

Die Gleichbehandlung von Frau und Mann in Bezug auf den Lohn kann entweder durch die Auftraggeberin selber oder durch Dritte verifiziert werden, z. B. mit dem Instrument LOGIB.141 Es ist der Auftraggeberin freigestellt, welche Erklärungen bzw. Nachweise betreffend Verpflichtung zur Einhaltung der Lohngleichheit, der Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen sie verlangt. In den Ausschreibungsunterlagen kann sie die Anbieterinnen beispielsweise darauf aufmerksam machen, mit der Offerte auch Nachweise betreffend Einhaltung der Teilnahmebedingungen durch sie und gegebenenfalls ihre Subunternehmerinnen einzureichen. In der Regel wird mindestens eine Selbstdeklaration anhand formalisierter Nachweise verlangt. Daneben können auch Bestätigungen über erfolgte Kontrollen durch Behörden oder Organe nach Artikel 12 Absatz 4 verlangt werden. Unter Umständen ist anhand objektiver Faktoren (Produktionsstandort, Branche, Produkt) eine Risikoanalyse durchzuführen. Basierend auf deren Ergebnissen wird entschieden, ob weitere Massnahmen, wie die Durchführung von Audits bei Leistungsort im Ausland, ergriffen werden müssen. Eine Risikoanalyse kann jederzeit, d. h. auch nach Vertragsschluss, erfolgen. Die Auftraggeberin kann hierfür qualifizierte Organisationen beiziehen. Sind die Teilnahmebedingungen nicht oder nicht mehr erfüllt, ergreift die Auftraggeberin die erforderlichen Massnahmen.

Ein weiteres Hilfsinstrument besteht mit den Empfehlungen «Nachhaltige Beschaffung»142 der BKB. Darin wird ausführlich dargelegt, wie die Einhaltung der Teilnahmebedingungen überprüft werden kann.

Abs. 3 Das Beibringen der Nachweise führt bei den Anbieterinnen zu einem erheblichen Aufwand. Daher sollten die Anforderungen stets auf den Leistungsgegenstand Rücksicht nehmen. Zum Abbau bürokratischer Leerläufe kann beitragen, wenn gewisse Nachweise wie eine Bankgarantie erst zu einem späteren Verfahrensstand (aber auf jeden Fall vor dem Zuschlag) und nur von der erstplatzierten Anbieterin 140 141 142

Siehe Fussnote [40].

Abrufbar unter: www.ebg.admin.ch >Dienstleistungen > Selbsttest Tool: Logib.

EFD/BBL/BKB, Nachhaltige Beschaffung. Empfehlungen für die Beschaffungsstellen des Bundes, Bern, 2014. Abrufbar unter: www.bkb.admin.ch > Hilfsmittel > Merkblätter.

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einzureichen sind. Auf diese Weise kann vermieden werden, dass chancenlose Anbieterinnen unnötigen Aufwand tätigen.

Art. 27

Eignungskriterien

Abs. 1 Eignungskriterien müssen objektiv, für die Auftragserfüllung wesentlich und überprüfbar sein. Das Verhältnismässigkeitsprinzip schützt vor überzogenen Anforderungen. Obwohl diese Kriterien stets auf die Person der Anbieterin bezogen sind, sind sie mit Rücksicht auf den Leistungsgegenstand zu definieren. Die gewählten Kriterien sollen den Anbieterkreis nicht weiter einschränken, als dies durch den Beschaffungsgegenstand gerechtfertigt ist (Art. VIII Abs. 1 GPA 2012).

Abs. 2 Die Aufzählung möglicher Eignungskriterien ist nicht abschliessend. Es handelt sich dabei stets um anbieterbezogene Anforderungen, so die fachliche, finanzielle, wirtschaftliche, technische und organisatorische Leistungsfähigkeit sowie die Erfahrung der Anbieterinnen. Diskriminierende Anforderungen, auch hinsichtlich der Sprachkenntnisse, sind nicht erlaubt. Sachlich gerechtfertigte Anforderungen (z. B. an die Sprachkompetenz eines Projektleiters oder von sonstigen Ansprechpersonen) sind jedoch zulässig, damit sich Auftraggeberin und Anbieterin bei der Auftragsausführung effizient verständigen können.

Abs. 3 Es liegt im Ermessen der Auftraggeberin, die erforderlichen Nachweise für die einzelnen Eignungskriterien zu definieren und zu verlangen. Eine Pflicht der Auftraggeberin, die Nachweise durch Rückfragen zu validieren, wird damit nicht statuiert. Bei offensichtlichen Zweifeln an der Verlässlichkeit eines Nachweises wird sich freilich eine Überprüfung aufdrängen. Diese ist rechtsgleich durchzuführen und transparent festzuhalten.

Das Bundesgericht erachtet es als grundsätzlich zulässig, die Referenzen einerseits als Eignungskriterium, anderseits auch als Zuschlagskriterium zu verwenden (z. B.

bei den Eignungskriterien zwei Referenzen zu verlangen und für zusätzliche Referenzen bei den Zuschlagskriterien Punkte zu vergeben). Im Weiteren ist es nicht unzulässig, auch Referenzen einzuholen, welche die Anbieterin nicht angegeben hat.

Wird jedoch aufgrund einer solchen Referenz zum Nachteil der betroffenen Anbieterinnen abgestellt, müssen sich diese dazu äussern können (rechtliches Gehör).143 Analog zum Nachweis zur Erfüllung der Teilnahmebedingungen kann auch der Nachweis der Eignungskriterien aus Gründen der Transaktionskosteneffizienz zu einem späteren Zeitpunkt im Vergabeverfahren erfolgen, wenn dies in der Ausschreibung oder den Ausschreibungsunterlagen so bekannt gegeben wurde. Damit können Bürokratie und Aufwand seitens der Anbieterinnen begrenzt werden.

143

Vgl. BGE 139 II 489, E. 3.2 f.

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Abs. 4 Hier wird die Regelung von Artikel VIII Absatz 2 Buchstabe a GPA 2012 umgesetzt, wonach die Auftraggeberin bei der Festlegung der Teilnahmebedingungen für die Teilnahme an der Beschaffung nicht verlangen darf, dass die Anbieterin bereits einen oder mehrere öffentliche Aufträge erhalten hat. Dies gilt ebenfalls in Bezug auf Zuschlagskriterien und technische Spezifikationen. Es dient der Sicherung der Transparenz und der Nichtdiskriminierung und soll den Marktzutritt nicht gefährden. Damit sollen langjährige «Seilschaften» zwischen Auftraggeberinnen und Anbieterinnen verhindert werden. Die Einholung von Referenzen anderer Auftraggeberinnen bleibt weiterhin zulässig (vgl. Art. VIII Abs. 2 Bst. b GPA 2012). Stets müssen jedoch vergleichbare Aufträge öffentlicher oder privater Auftraggeberinnen als Referenz zugelassen werden.

Art. 28

Verzeichnisse

Das GPA sieht in Artikel IX Absätze 7­13 GPA 2012 eine «multi-use list» vor.

Verzeichnisse sollen der effizienten Abwicklung einer Ausschreibung dienen, indem die Eignung einer Anbieterin nicht jedes Mal wieder von Neuem geprüft werden muss. Gleichzeitig bergen Verzeichnisse die Gefahr der fehlenden Aktualität sowie einer Bevorzugung der verzeichneten Anbieterinnen. Diese beiden Gesichtspunkte gilt es gegeneinander abzuwägen. Ähnliche Effizienzgewinne lassen sich heute schon mit der Verwendung von elektronischen Anbieterprofilen auf der Internetplattform von Bund und Kantonen realisieren. Auch dort muss sichergestellt werden, dass die hinterlegten Angaben jederzeit aktuell sind und Anbieterinnen ohne Profil nicht benachteiligt werden.

Abs. 1 und 2 Absatz 1 räumt den Auftraggeberinnen die Möglichkeit ein, ein Verzeichnis über geeignete Anbieterinnen zu führen. Das Transparenzgebot gilt auch für die Einrichtung und die Führung solcher Verzeichnisse. Die Angaben, die zu den Verzeichnissen zu publizieren sind, werden in Absatz 2 abschliessend aufgeführt. Die Aufnahme neuer Anbieterinnen, die sich über die gestellten Anforderungen ausweisen, muss innert angemessener Frist erfolgen (Art. IX Abs. 10 GPA 2012). Die Veröffentlichung der Angaben nach Absatz 2 erfolgt periodisch auf der Internetplattform von Bund und Kantonen sowie ­ nach Wahl der Auftraggeberin ­ in weiteren Publikationsorganen. Die Angaben sind laufend nachzuführen.

Abs. 3 Zur Qualitätssicherung ist ein Verfahren vorzusehen, um die Eintragung sowie die Überprüfung der Eignung jeder Anbieterin jederzeit zu garantieren. Ein solches Prüfungsverfahren soll nicht nur im Zeitpunkt der Gesuchstellung, sondern jederzeit stattfinden können und notfalls auch zur Streichung von Anbieterinnen aus dem Verzeichnis führen.

Abs. 4 Unabhängig vom Eintrag in einem Verzeichnis muss es allen Anbieterinnen offenstehen, fallweise ihre Eignung im Hinblick auf eine konkrete Ausschreibung durch 1942

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individuelle Nachweise zu belegen. Das heisst, ein Beschaffungsverfahren darf sich nicht darauf beschränken, Anbieterinnen zuzulassen, welche in einem Verzeichnis aufgenommen sind.

Abs. 5 Wird das Verzeichnis nicht mehr weitergeführt, ist das allen darin verzeichneten Anbieterinnen mitzuteilen. Dieser Entscheid kann nicht mit Beschwerde angefochten werden.

Art. 29

Zuschlagskriterien

Abs. 1 Zuschlagskriterien orientieren sich primär an der Leistung (sachlicher Bezug zum Beschaffungsobjekt). Der Angebotspreis ist immer, aber nur ausnahmsweise allein ausschlaggebend (Art. 41). Unzulässig wäre es, Angebote ausschliesslich anhand preisfremder Kriterien zu bewerten und auszuwählen.

In Anlehnung an Artikel 21 Absatz 1 BöB werden in einer nicht abschliessenden Aufzählung mögliche Zuschlagskriterien genannt, die teilweise als sogenannte Sekundärziele zu qualifizieren sind. Ihre Berücksichtigung darf nicht zu einer Diskriminierung einzelner Anbieterinnen führen.

«Lebenszykluskosten» ist der Oberbegriff für Beschaffungs-, Betriebs-, Rückbauund Entsorgungskosten. Bei den Betriebskosten sind die Nutzungskosten (z. B. der Verbrauch von Energien und anderen Ressourcen) sowie die Wartungskosten zu berücksichtigen. Bewertet die Auftraggeberin die Kosten nach dem Lebenszykluskosten-Ansatz, nennt sie in den Ausschreibungsunterlagen die von den Anbieterinnen bereitzustellenden Daten und beschreibt die Methode zur Bestimmung der Lebenszykluskosten. Externe Kosten der Umweltbelastung, die mit dem Beschaffungsgegenstand während dessen Lebenszyklus in Verbindung stehen, können berücksichtigt werden, sofern eine breit abgestimmte und vom zuständigen Organ (z. B. BKB oder Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren [KBOB]) zugelassene Methode zu ihrer Bewertung vorliegt.

Das Kriterium der «Nachhaltigkeit» beinhaltet die drei Dimensionen Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Soziales. Die Dimension Umwelt wird durch die Aspekte der Umweltverträglichkeit sowie der Ressourcenschonung und -effizienz definiert.

Diese Aspekte können Faktoren wie Schadstoffgehalt, Wasser-, Boden- und Luftbelastungen sowie Energie-, Wasserverbrauch oder Beeinträchtigung der Biodiversität beinhalten. Umwelt- und Ressourcenaspekte können sich auf den Beschaffungsgegenstand selbst, aber auch auf seine Herstellung, Nutzung und Entsorgung beziehen.

Die Dimension Soziales ermöglicht es beispielsweise, Fair-Trade-Produkte zu beschaffen, die Beschäftigung von Personen mit einer gesundheitlichen Einschränkung oder die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen mitzuberücksichtigen oder Vorgaben hinsichtlich Arbeitssicherheit aufzustellen. Für die Definition der Umwelt- und Sozialaspekte und ihre
Prüfung kann sich die Auftraggeberin auf international anerkannte Zertifizierungssysteme stützen. Damit vereinfachen sich die Überprüfungsmöglichkeiten und die Bewertungsprozesse. Der Nachweis, dass gleichwertige Anforderungen eingehalten werden, ist aber stets zuzulassen. Kann die 1943

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Anbieterin kein Zertifikat vorweisen, hat die Auftraggeberin beispielsweise die Möglichkeit, eine Risikoanalyse durchzuführen und bei Vorliegen eines Risikos (z. B. bei ausländischem Leistungsort) ein Audit durchführen zu lassen. Im Baubereich gibt die KBOB Empfehlungen144 ab, wie wirtschaftliche, umweltrelevante und gesellschaftliche Aspekte vom Standortentscheid über die Projektentwicklung bis hin zur Ausführung und zum Betrieb eines Gebäudes mitberücksichtigt werden können.

Innovative und ressourcenschonende Technologien sind langfristig wirtschaftlicher als veraltete und ressourcenintensive Leistungen. Die Innovationskraft einer Leistung kann insbesondere in Rahmen eines Dialogs nach Artikel 24 ermittelt werden.

Dies bedeutet indessen nicht, dass eine Auftraggeberin neue Technologien um jeden Preis den bewährten Lösungen vorziehen muss. So soll sie nicht eine neue Softwarelösung entwickeln lassen, wenn eine bestehende Standardlösung alle geforderten Funktionen enthält. Die Innovationskraft ist nicht ein selbstständiges Kriterium, sondern ein Aspekt der Wirtschaftlichkeit.

Bei personenbezogenen Vergaben (z. B. Aufträge an Expertinnen und Experten, Revisionsstellen) kann auch die Qualität einer Präsentation durch die Anbieterinnen und deren Antworten auf fachliche Fragen ein zulässiges Zuschlagskriterium darstellen, sofern weitere Gesichtspunkte wie Preis und Qualität angemessen berücksichtigt werden.

Ausserhalb des Staatsvertragsbereichs kommt der Auftraggeberin ein breites Ermessen bei der Festlegung von Kriterien zu. Sie kann dabei auch den sprach-, binnenmarkt- und wirtschaftspolitischen Gegebenheiten Rechnung tragen. So kann z. B.

eine Bundesbeschaffungsstelle in einem Einladungsverfahren Anbieterinnen aus mehreren Sprachregionen zur Offertstellung einladen oder eine Anbieterin mit regionaler Produktion berücksichtigen (bspw. bei verderblichen Lebensmitteln).

Abs. 2 Die Möglichkeit der Berücksichtigung der Ausbildung von Lernenden als Zuschlagskriterium findet sich bereits im geltenden Recht (Art. 21 Abs. 1 BöB). Dieses bildungs- und beschäftigungspolitisch motivierte Zuschlagskriterium wurde aufgrund einer parlamentarischen Initiative145 eingeführt und kann ­ da das duale Bildungssystem in den meisten Vertragsstaaten des GPA 2012 nicht bekannt ist ­ nur ausserhalb des Staatsvertragsbereichs
verwendet werden. Die Berücksichtigung erfolgt im pflichtgemässen Ermessen der Auftraggeberinnen und unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Die Anzahl Ausbildungsplätze ist in Relation zur Gesamtzahl an Arbeitsstellen der betreffenden Anbieterinnen mit Niederlassung oder Sitz in der Schweiz zu setzen. Es ist mithin das relative Verhältnis, nicht die absolute Zahl massgeblich.146

144

Abrufbar unter: www.kbob.admin.ch > Publikationen / Empfehlungen / Musterverträge > Nachhaltiges Bauen.

145 03.445 Parlamentarische Initiative Lustenberger, Öffentliches Beschaffungswesen.

Ausbildung von Lehrlingen als Kriterium.

146 Vgl. BGer-Urteil 2P.242/2006 vom 16. März 2007, E. 4.2.1 ff.

1944

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Abs. 3 Die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung sind im Sinn der Transparenz in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen bekannt zu geben. Bei funktionalen Ausschreibungen, insbesondere wenn ein Dialog vorgesehen ist, kann ausnahmsweise auf eine Vorausmitteilung der Gewichtung verzichtet werden: Sind Lösungen, Lösungswege oder Vorgehensweisen Gegenstand einer Beschaffung, wäre es unpraktikabel, von der Auftraggeberin bereits im Voraus die Gewichtung der Zuschlagskriterien zu verlangen. Charakteristisch für derartige Beschaffungen ist gerade, dass die Auftraggeberin nur das Ziel vorgibt, den Weg dorthin aber allenfalls nicht kennt oder bewusst nicht vorgeben will. Die Ungewissheit der möglichen Angebotsinhalte verunmöglicht eine pflichtgemässe Gewichtung der Kriterien im Voraus. Die Auftraggeberin hat immerhin die Rangfolge der Kriterien im Voraus festzulegen und die Bewertung zu dokumentieren.

Art. 30

Technische Spezifikationen

Abs. 1 Das GPA 2012 sieht wie das bisherige GPA vor, dass die Auftraggeberinnen weder technische Spezifikationen ausarbeiten, annehmen oder anwenden noch Verfahren für die Konformitätsbescheinigung vorschreiben dürfen in der Absicht oder mit der Folge, unnötige Hemmnisse für den internationalen Handel zu schaffen (Art. X Abs. 1 GPA 2012). Es enthält eine exemplarische Aufzählung der Anforderungen, die als technischen Spezifikationen infrage kommen (Art. I Bst. u GPA 2012).

Absatz 1 setzt diese Vorgaben in enger Anlehnung an das internationale Recht um.

Der Begriff der technischen Spezifikationen ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen und schliesst auch technische Anforderungen im Sinne von Merkmalen, Funktionen und Leistungsparametern mit ein.

Abs. 2 In Übereinstimmung sowohl mit Artikel VI Absatz 2 GPA 1994 als auch mit Artikel X Absatz 2 GPA 2012 definiert die Auftraggeberin die technischen Spezifikationen und bezieht sich dabei nach Möglichkeit auf internationale Normen (oder andere Standardisierungsdokumente), auf in der Schweiz verwendete technische Vorschriften, anerkannte nationale Normen oder weitere Standardisierungsdokumente sowie Branchenempfehlungen. Andere Standardisierungsdokumente als technische Normen sind beispielsweise europäische Bewertungsdokumente für Bauprodukte gemäss dem Bauproduktegesetz vom 21. März 2014147 (BauPG). Internationale Normen (oder Standardisierungsdokumente) im Sinne von Absatz 2 sind dann einschlägig, wenn sie gemäss den technischen Vorschriften in der Schweiz bezeichnet wurden. Bei Beschaffungen im Staatsvertragsbereich ist nach Möglichkeit auf allfällige internationale technische Normen Bezug zu nehmen.

147

SR 933.0

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Abs. 3 Absatz 3 enthält die in Artikel VI Absatz 3 GPA 1994 und Artikel X Absatz 4 GPA 2012 wie auch in Artikel 16a Absatz 4 VöB sowie in § 15 VRöB vorgesehene Leitproduktklausel. Grundsätzlich ist es vergaberechtswidrig, bestimmte Handelsmarken oder -namen, Patente, Urheberrechte, Muster oder Typen sowie Anforderungen mit Bezug auf einen bestimmten Ursprung, eine Anbieterin oder eine Produzentin in der Leistungsbeschreibung zu nennen. Eine Ausnahme wird gemacht, wenn die Leistung nicht auf eine andere hinreichend präzise oder verständliche Art und Weise beschrieben werden kann. Dies kommt in der Praxis vor, weshalb ein striktes Verbot nicht praktikabel ist.

Verlangt die Auftraggeberin ausnahmsweise technische Spezifikationen, die sich an Produkten oder Dienstleistungen von bestimmten Anbieterinnen orientieren, hat sie Konkurrenzprodukte oder Dienstleistungen ebenfalls zuzulassen, sofern diese nachweislich die gewünschten Anforderungen erfüllen. Sie hat in den Ausschreibungsunterlagen auf diese Möglichkeit hinzuweisen, indem sie den Zusatz «oder gleichwertig» oder eine entsprechende Bezeichnung verwendet.148 Abs. 4 Entsprechend Artikel X Absatz 6 GPA 2012 werden in Absatz 4 die technischen Spezifikationen zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen oder zum Schutz der Umwelt gesondert vorgesehen. Obwohl sie im Endprodukt nicht sichtbar sind, können sich ökologisch motivierte technische Spezifikationen auch auf den Herstellungsprozess beziehen, sofern ein sachlicher Bezug zum Beschaffungsgegenstand vorliegt. Denselben Ansatz sieht Artikel I Buchstabe u GPA 2012 vor. Bei der Festlegung und Überprüfung von umwelt- und ressourcenrelevanten technischen Spezifikationen kann die Auftraggeberin auf international anerkannte Zertifizierungssysteme abstellen, muss jedoch den Nachweis der Einhaltung gleichwertiger Anforderungen immer zulassen. Es wird empfohlen, nach Möglichkeit die besten verfügbaren Technologien («best available technologies») zu berücksichtigen, um die natürlichen Ressourcen bestmöglich zu schonen. Die BKB-Empfehlungen «Nachhaltige Beschaffung»149 enthalten Informationen zur Zulässigkeit und Handhabung umweltbezogener technischer Spezifikationen. Die Regelung in Absatz 4 steht unter dem Vorbehalt der Schranken gemäss Artikel 11 E-BöB und darf insbesondere nicht zum Schutz inländischer
Anbieterinnen oder zu anderen handelshemmenden Auswirkungen führen. Nebst dem Diskriminierungsverbot (Art. IV GPA 2012) sind die Bestimmungen von Artikel XXII Absätze 6­8 GPA 2012 zu beachten («Standstill», d. h. keine neuen bzw. Abbau von bestehenden diskriminierenden Massnahmen, Inhalt zukünftiger Verhandlungen sowie Umsetzung des Arbeitsprogramms des GPA 2012 über die nachhaltige Entwicklung). Zudem darf die Formulierung technischer Spezifikationen nicht zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führen.

148

Vgl. Erläuternder Bericht des EFD vom 1. Jan. 2010 zur Änderung der VöB, hier zu Art. 16a Abs. 4, S. 11; abrufbar unter: www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Von / Bis 18. Nov. 2009 > Bundesrat beschliesst Änderung der Beschaffungsverordnung.

149 Siehe Fussnote [142].

1946

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Art. 31

Bietergemeinschaften und Subunternehmerinnen

Abs. 1 Bietergemeinschaften sind wie schon nach geltendem Recht (Art. 21 VöB) grundsätzlich zulässig. Sie sind, ebenso wie Subunternehmerinnen, die wesentliche Leistungen erbringen, aus Gründen der Transparenz immer offenzulegen. Ein (justiziabler) Anspruch der Anbieterinnen auf Bildung einer Bietergemeinschaft besteht indessen nicht. Die Auftraggeberin verfügt diesbezüglich über ein erhebliches Ermessen, das immer mit Blick auf den Zweck und die Grundsätze des Beschaffungsrechts auszuüben ist (Art. 2 E-BöB). Als Grundsatz gilt, dass der Marktzutritt der Anbieterinnen nicht ohne Not beschränkt werden darf. Zur Wirtschaftsfreiheit der Anbieterinnen gehört auch der Entscheid, wie sie sich organisieren. So finden sich in vielen Branchen stärker und weniger stark integrierte Unternehmen. Daher wäre es nicht zulässig, nur vertikal voll integrierte Anbieterinnen zum Angebot zuzulassen.

Das Beschaffungsrecht soll wirtschaftliche und wettbewerbsneutrale Beschaffungen ermöglichen. Bietergemeinschaften können dazu beitragen, einen Markt zu beleben und den Wettbewerb zu fördern, indem sie den KMU den Zugang zu grossen öffentlichen Aufträgen erleichtern. Bietergemeinschaften sollen daher nur aus begründetem Anlass beschränkt oder sogar ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausschluss ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn ein übermässiger Koordinationsaufwand den Beschaffungszweck gefährdet oder unnötige Transaktionskosten generiert werden, wenn also eine Beschaffung von Leistungen durch ein Konsortium von Anbieterinnen nicht wirtschaftlich ist. Dieser Gedanke kann primär bei kleineren Vorhaben, die sich ohne Weiteres aus einer Hand abwickeln lassen, zum Tragen kommen. Bei grossen und komplexen Beschaffungen sollten Bietergemeinschaften indessen nicht ohne guten Grund ausgeschlossen werden.

Ähnliche Überlegungen leiten die Zulassung oder den Ausschluss von Subunternehmerinnen. Bereits die Prüfung der Eignungskriterien kann die Auftraggeberin bei einer Vielzahl von Subunternehmerinnen vor Schwierigkeiten stellen (wobei Subunternehmerinnen unter Umständen nicht alle Eignungskriterien erfüllen müssen).

Werden sowohl Bietergemeinschaften als auch Subunternehmerinnen ausgeschlossen, dürfte eine qualifizierte Begründung erforderlich sein. Umgekehrt wird eine Zulassung von Subunternehmerinnen den Ausschluss von
Bietergemeinschaften argumentativ kompensieren.

Abs. 2 Mehrfachbewerbungen von Subunternehmerinnen können den Wettbewerb stärken.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Subunternehmerin über besondere Kenntnisse oder Ressourcen (z. B. einen Maschinenpark) verfügt, die auf dem Markt nur sehr beschränkt verfügbar sind. Solche Subunternehmerinnen sollten sich mehrfach bewerben dürfen, da dadurch eine grössere Anzahl von Offerten ermöglicht wird. Auf der anderen Seite kann eine Mehrfachbewerbung die Kollusion zwischen den Anbieterinnen erleichtern, da ein ­ unter Umständen massgeblicher ­ Teil der Angebote vergaberechtlich (da identisch) neutralisiert wird. Daher bedarf es eines zureichenden Grunds (z. B. besondere Kenntnisse und Erfahrungen, Immaterialgüterrechte oder Total- oder Generalunternehmerverträge), um Mehrfachbewerbungen zuzulassen.

1947

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Das Gleiche gilt für die Mehrfachbewerbung von Anbieterinnen als Mitglied eines Konsortiums.

Sofern sich Subunternehmerinnen oder Mitglieder von Bietergemeinschaften mehrfach bewerben, obwohl weder die Ausschreibung noch die Ausschreibungsunterlagen dies zulassen, werden diese Angebote ausgeschlossen.

Abs. 3 Diese Bestimmung will Angebote von Anbieterinnen verhindern, die selber keine oder nur untergeordnete Aufgaben übernehmen. Die Zwischenschaltung solcher Anbieterinnen, die primär ihren Namen zur Verfügung stellen, resultiert regelmässig in Zusatzkosten. Auftraggeberinnen sollen die Leistungen direkt von den Leistungserbringerinnen beschaffen. Im Falle von Konzerngesellschaften ist ein «Durchgriff» in dem Sinne gerechtfertigt, dass Leistungen, die durch andere Konzerngesellschaften im In- oder Ausland erbracht werden, der Anbieterin zuzurechnen sind. Nur in begründeten Fällen kann vom Grundsatz der Leistungserbringung durch die Anbieterin abgewichen werden.

Bei Bietergemeinschaften genügt es, wenn eines der Konsortialmitglieder die charakteristische Leistung erbringt. Bei Leistungen, die typischerweise von Generalunternehmern erbracht werden, besteht die charakteristische Leistung gerade in der Koordination aller Einzelleistungen und der Übernahme der Gesamtverantwortung.

Im Übrigen bestimmt sich der charakteristische Leistungsinhalt nach Massgabe der Ausschreibung.

Art. 32

Lose und Teilleistungen

Abs. 1 Als Grundsatz wird festgehalten, dass eine Anbieterin die ausgeschriebenen Leistungen insgesamt anbieten muss. Teilangebote für einzelne Leistungsteile werden nicht berücksichtigt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht, wenn die Auftraggeberin den Beschaffungsgegenstand in Lose aufteilt.

Abs. 2 Eine Leistung kann nach Ermessen der Auftraggeberin gesamthaft oder in Teilen (Losen) ausgeschrieben werden. Einerseits kann die Volumenbündelung Preisvorteile bringen. Anderseits fördert die Aufteilung einer Beschaffung in einzelne Lose den Wettbewerb und erhöht insbesondere die Chancen der KMU (aus der Schweiz, dem GPA-Raum und anderen Staaten, mit denen die Schweiz Freihandels- oder bilaterale Beschaffungsabkommen geschlossen hat), an umfangreichen Beschaffungen teilnehmen zu können. Lose und Teilleistungen dürfen jedoch nicht als Instrument zur Unterschreitung der Schwellenwerte eingesetzt werden (Art. II Abs. 6 GPA 2012).

Anbieterinnen steht kein Recht zur Entbündelung zu. Eine Entbündelung kann sich indessen wegen Terminvorgaben oder zwecks Vermeidung von Abhängigkeiten empfehlen. Lose können insbesondere nach sachlichen (wie Maler-, Gipser- oder Sanitärarbeiten), quantitativen oder zeitlichen Gesichtspunkten gebildet werden.

Evaluation und Zuschlag erfolgen für jedes Los je separat. Stets gilt der Grundsatz,

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dass durch die Aufgliederung der Gesamtleistung in Lose die massgebende Verfahrensart nicht umgangen wird.

Abs. 3 Den Anbieterinnen steht es grundsätzlich frei, Angebote für ein Los oder für mehrere Lose einzureichen. Diese Wahlfreiheit kann in der Ausschreibung beschränkt werden. So kann eine Auftraggeberin (z. B. zur Vermeidung von Abhängigkeiten) festlegen, dass jedes Los einer anderen Anbieterin zugeschlagen wird oder dass eine Anbieterin nur eine bestimmte Zahl von Losen erhalten kann. Diese Einschränkung der Wahlfreiheit darf jedoch nicht dazu benutzt werden, bestimmte Anbieterinnen oder Anbietergruppen zu bevorzugen.

Abs. 4 und 5 Durch eine Entbündelung der Leistungen entsteht in der Regel Abstimmungsbedarf an den Schnittstellen. Will die Auftraggeberin die verschiedenen Zuschlagsempfängerinnen verpflichten, bei der Leistungserbringung zusammenzuarbeiten, teilt sie das in der Ausschreibung mit (Abs. 4). Das Gleiche gilt, wenn sich die Auftraggeberin den Zuschlag von Teilleistungen (einzelne Lose) vorbehalten will, auch wenn ein Gesamtangebot eingereicht wird (Abs. 5).

Art. 33

Varianten

Abs. 1 Die Bestimmung entspricht weitgehend dem heutigen Artikel 22a Absatz 1 VöB.

Sogenannte Unternehmervarianten weisen Vor- und Nachteile auf. Zum einen ermöglichen sie bessere Lösungen als die in der Ausschreibung definierten. Zum anderen erschweren sie den Vergleich der verschiedenen Angebote und erhöhen den Transaktionsaufwand einer Ausschreibung. Daher kann die Auftraggeberin Unternehmervarianten beschränken (z. B. auf einen einzelnen Bereich) oder ganz ausschliessen. Eine Begründung ist nicht erforderlich. Erfolgt keine Beschränkung oder kein Ausschluss, sind Variantenvorschläge zulässig. Auf jeden Fall muss aber ein Angebot zur «Amtsvariante» unterbreitet werden.

Abs. 2 Mit der Zulassung von Varianten zielt die Auftraggeberin nicht darauf, eine andere Leistung als die ausgeschriebene zu beschaffen. Vielmehr kann durch Varianten ein anderer Lösungsansatz oder ein anderer Lösungsweg beschrieben werden. Varianten müssen somit immer eine leistungsbezogene, inhaltliche Abweichung von den Ausschreibungsbedingungen enthalten, jedoch mit dem Beschaffungsgegenstand funktional gleichwertig sein. Die Gleichwertigkeit ist durch die Anbieterin nachzuweisen. Bewegen Varianten sich ausserhalb des ausgeschriebenen Leistungsgegenstands, werden sie nicht berücksichtigt.

Bei unterschiedlichen Preisarten wird der Vergleich der Angebote schwierig. Wählt eine Anbieterin lediglich eine andere Preisart (z. B. Globalpreis anstelle von Einheitspreis), liegt keine Variante, sondern ein ausschreibungswidriges Angebot vor.

Immerhin steht es den Auftraggeberinnen frei, im Einzelfall den «Amtsvorschlag» hinsichtlich der Preisart derart offen zu umschreiben, dass die Wahl des Preismo1949

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dells der Anbieterin überlassen wird.150 Erforderlich ist, dass die verschiedenen Offerten vergleichbar und bewertbar bleiben.

Art. 34

Formerfordernisse

Abs. 1 Die Angebote müssen stets schriftlich eingereicht werden (Art. XV Abs. 4 GPA 2012). Sie sind von den Anbieterinnen rechtsgültig zu unterzeichnen und müssen fristgerecht sowie vollständig bei der Auftraggeberin eingereicht werden.

Die Regeln zur Angebotseinreichung ergeben sich aus der Ausschreibung oder aus den Ausschreibungsunterlagen.

Eine Missachtung der Formvorschriften kann zum Ausschluss einer Offerte führen.

Allerdings vermag nicht jede Unregelmässigkeit eine solche Sanktion zu rechtfertigen. Aus Gründen der Verhältnismässigkeit darf und muss vom Ausschluss einer Offerte abgesehen werden, wenn der festgestellte Mangel relativ geringfügig ist und der Zweck, den die in Frage stehende Formvorschrift verfolgt, dadurch nicht ernstlich beeinträchtigt wird (Verbot des überspitzten Formalismus).151 Abs. 2 Das Gesetz lässt Raum für die elektronische Abgabe von Angeboten unter Verwendung einer unbestreitbaren Identifikation der Anbieterinnen. Die Formerfordernisse, insbesondere für die Einhaltung der Angebotsfrist und die Vollständigkeit der Unterlagen, sind in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen zu definieren.

6. Kapitel: Ablauf des Vergabeverfahrens Art. 35

Inhalt der Ausschreibung

In diesem Artikel werden die Anforderungen von Artikel VII Absatz 2 und 3 GPA 2012 hinsichtlich des Mindestinhalts der öffentlichen Ausschreibung umgesetzt.

Soweit ein Hinweis publikationspflichtig ist, gilt dies auch für dessen Berichtigung.

Die Bestimmung entspricht dem bisherigen Anhang 4 zur VöB (Mindestangaben für die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags im offenen oder im selektiven Verfahren).

Bst. m: Mit «Sprache oder Sprachen des Verfahrens» ist bzw. sind die Sprachen gemeint, in denen die Auftraggeberin von der Ausschreibung bis zum Zuschlag mit den Anbieterinnen kommuniziert. Die Anforderungen an die Sprache werden gemäss Artikel 48 Absatz 5 in der Verordnung ausgeführt. Der Bundesrat behält sich vor, bezüglich der Sprache der Angebote Vorgaben zu machen (vgl. Ziff. 1.2.5).

150

Vgl. Erläuternder Bericht des EFD vom 1. Januar 2010 zur Änderung der VöB, hier zu Art. 22a Abs. 2 VöB, S. 15; abrufbar unter: www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Von / Bis 18. Nov. 2009 > Bundesrat beschliesst Änderung der Beschaffungsverordnung.

151 Vgl. BGer-Urteil 2D_50/2009 vom 25. Febr. 2010, E. 2.4.

1950

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Bst. p: Die Gewichtung der Zuschlagskriterien muss nicht bei jedem Beschaffungsvorhaben angegeben werden. Bei funktionalen Ausschreibungen, d. h. wenn lediglich das Ziel der Beschaffung bekannt ist, kann darauf verzichtet werden (Art. 29 Abs. 3).

Art. 36

Inhalt der Ausschreibungsunterlagen

Die Auftraggeberinnen stellen den Anbieterinnen Unterlagen zur Verfügung, die alle erforderlichen Angaben enthalten, um Angebote oder Teilnahmeanträge einzureichen. Diese Ausschreibungsunterlagen werden in der Regel zeitgleich mit der Ausschreibung und ebenfalls in elektronischer Form zur Verfügung gestellt.

«Ausschreibungsunterlagen» ist ein Oberbegriff. Er deckt nicht nur die Unterlagen bei öffentlichen Ausschreibungen (d. h. Beschaffungen im offenen oder selektiven Verfahren), sondern auch die Unterlagen bei Einladungsverfahren ab (vgl. Art. 20 Abs. 2).

Bst. c: Eignungskriterien sind Mindestanforderungen an die Eignung der Anbieterinnen und werden daher in der Regel nicht gewichtet. Eine Ausnahme bildet die Präqualifikation im selektiven Verfahren. Falls im selektiven Verfahren lediglich eine bestimmte Anzahl geeigneter Anbieterinnen zur Einreichung der Offerte zugelassen werden, muss in der Präqualifikation eine Rangliste resultieren. Dies kann nur über die Bewertung einzelner Eignungskriterien erreicht werden.

Bst. d: Die Gewichtung der Zuschlagskriterien muss angegeben werden, wenn keine Ausnahme nach Artikel 29 Absatz 3 vorliegt. Sollen Lösungen, Lösungswege oder Vorgehensweisen beschafft werden, ist eine vorgängige Gewichtung der Zuschlagskriterien wenig praktikabel.

Bst. g: Bei Beschaffungen des Bundes ist (im Gegensatz zur Praxis in verschiedenen Kantonen) die Offertöffnung in der Regel nicht öffentlich. Es gibt aber Fälle, in denen die Offerten öffentlich geöffnet werden. Dieser Handlungsspielraum der Vergabestellen soll, auch unter Berücksichtigung der NAD-Empfehlung 8152, nicht eingeschränkt werden.

Art. 37

Angebotsöffnung

Abs. 1 Angebote werden nach dem Eingang in einem formalisierten Verfahren geöffnet und auf ihre formelle Vollständigkeit geprüft. Damit werden unerlaubte Nachbesserungen der Offerten im Interesse der Gleichbehandlung der Anbieterinnen verhindert.

Die Tradition der öffentlichen Offertöffnung in verschiedenen Kantonen hat sich beim Bund nicht durchgesetzt. Die öffentliche Offertöffnung kann die Bereinigung der Offerten verfälschen und abgestimmte Verhaltensweisen bei künftigen Ausschreibungen begünstigt.

152

Siehe Fussnote [43].

1951

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Abs. 2 Die eingegangenen Angebote werden nach deren Öffnung in einem Protokoll festgehalten. Inhaltliche Bemerkungen zu den Angeboten gehören nicht in das Offertöffnungsprotokoll. Das Protokoll wird zu den Vergabeakten genommen. Eine öffentliche Offertöffnung findet bei Beschaffungen durch den Bund in der Regel nicht statt. Damit sollen kollusive Praktiken und der Austausch über die angebotenen Preise verhindert werden.

Art. 38

Prüfung der Angebote

Abs. 1 Die Prüfung bezweckt die Beseitigung offensichtlicher Fehler durch die Vergabestelle. Zunächst werden die eingereichten Angebote auf die Einhaltung der Formvorschriften überprüft (rechtzeitige Eingabe, Vollständigkeit, Unterschriften etc.).

Danach sind die Angebote technisch und rechnerisch zu bereinigen und anhand der Eignungs- und Zuschlagskriterien zu prüfen. Anschliessend ist eine bereinigte Vergleichstabelle über die Angebote zu erstellen, welche die Grundlage für den Zuschlagsentscheid bilden soll.

Offensichtliche Rechenfehler sind von Amtes wegen zu korrigieren. Dies bedeutet, dass solche Fehler einer Berücksichtigung des Angebots nicht entgegenstehen. Das korrigierte Angebot ist vielmehr in die Evaluation einzubeziehen. Der hier verwendete Begriff des «Rechenfehlers» entspricht dem zivilrechtlichen Begriff von Artikel 24 Absatz 3 OR. Es handelt sich demnach um eine fehlerhaft durchgeführte arithmetische Operation mit im Angebot richtig aufgeführten Grössen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn beispielsweise für eine Materiallieferung von 1000 m3 bei einem Preisangebot von 2 Franken/m3 schliesslich der Gesamtpreis mit 200 Franken anstatt 2000 Franken berechnet wird. Ein solcher Fehler ist zu korrigieren und hindert die Verbindlichkeit des Angebots nicht. Davon zu unterscheiden sind absichtliche oder versehentliche Kalkulationsfehler (z. B. Liefern und Einbringen einer bestimmten Betonqualität à 150 statt 250 Fr., weil die Transportkosten vergessen wurden) oder Fehler in der Preiserklärung der Anbieterin (z. B. Kantholz ab Sägewerk à 35 Fr. pro m3 anstatt 350 Fr. pro m3). In diesen Fällen ist eine Berichtigung von Amtes wegen unzulässig.

Abs. 2 Die Erläuterung hat zum Ziel, die Vergleichbarkeit von Offerten insbesondere mit Blick auf diejenigen Angaben, die sich auf das Preis-Leistungs-Verhältnis beziehen, sicherzustellen. Sie ist grundsätzlich auf die Korrektur von unbeabsichtigten Fehlern begrenzt und darf nicht zur Änderung der Angebote oder Nachbesserung von Mängeln (mit Ausnahme von Rechnungsfehlern) führen.153 Es liegt im Ermessen der Auftraggeberin, ob und ­ vorbehältlich der Gleichbehandlung der Anbieterinnen ­ auf welchem Weg (z. B. anlässlich einer Angebotspräsentation oder schriftlich) die Angebote erläutert werden sollen. Falls es zwecks objek-

153

Vgl. BVGer B-2675/2012 vom 23. Juli 2012, E. 4.

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tiver Vergleichbarkeit zu einer Korrektur kommt, ist diese nachvollziehbar zu dokumentieren.

Abs. 3 Diese Bestimmung findet in Artikel XV Absatz 6 GPA 2012 eine Grundlage und ist bereits unter dem geltenden Recht bekannt (Art. 25 Abs. 4 VöB). Sie ermächtigt die Auftraggeberin, im Fall ungewöhnlich niedriger Angebote bei der Anbieterin nachzufragen, ob die Teilnahmebedingungen eingehalten sind und die Modalitäten der Auftragserfüllung richtig verstanden wurden. Kann die Anbieterin die Einhaltung dieser Bedingungen nicht oder nicht überzeugend garantieren und allfällige Zweifel an einer korrekten Auftragserfüllung nicht ausräumen, kann das Angebot ausgeschlossen werden (vgl. Art. 44 Abs. 2 Bst. c E-BöB).

Ungewöhnlich tiefe Angebote stellen per se kein vergaberechtliches Problem dar.

Unzulässig sind hingegen unlautere Angebote im Sinne des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb154 (UWG). Unlauter ist ein Angebot, wenn ein Unternehmen die Differenz zu kostendeckenden Preisen mit illegalen Mitteln deckt, etwa durch Verletzung von Gesamtarbeitsverträgen oder durch Verwendung von Einsparungen, die aus Steuer- und Abgabehinterziehungen resultieren.

Das Bundesverwaltungsgericht geht von einer qualifizierten Überprüfungspflicht der Vergabestelle aus in Fällen, in denen öffentlich-rechtliche Anbieterinnen eine Offerte unterbreiten. Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Wettbewerbsneutralität wird ein Verbot abgeleitet, den Anbieterwettbewerb durch Quersubventionen zu verzerren. Bei Vorliegen gewichtiger Indizien für ein nicht kostendeckendes Angebot einer öffentlich-rechtlichen Anbieterin soll die Vergabestelle daher verpflichtet sein, die Kalkulationsgrundlagen zu überprüfen.155 Welche Indizien gewichtig genug sind und nach welchen Kriterien die Kalkulation zu überprüfen ist, bleibt derzeit ungeklärt.

Der Ausschluss eines ungewöhnlich tiefen Angebots kann zudem im Einzelfall geboten sein, wenn infolge Preisumlagerungen von Einheits- in Pauschalpreispositionen der öffentlichen Hand ein erhebliches Vergaberisiko entsteht. Ein Ausschluss einer Anbieterin ist auch dann gerechtfertigt, wenn vertiefte Abklärungen zum Ergebnis führen, dass sie effektiv nicht in der Lage ist, die verlangten Leistungen zum angebotenen Preis zu erbringen bzw. die Auftragsmodalitäten zu erfüllen.
Hingegen wäre es sachwidrig und damit unzulässig, derartigen Bedenken in qualitativer Hinsicht bei der Preisbewertung Rechnung zu tragen, um auf diese Weise einen unerwünschten Zuschlag zu verhindern.156 Art. 39

Bereinigung der Angebote

Um einen fairen Vergleich sicherzustellen, wird es im Rahmen der Bereinigung weiterhin möglich sein, den Leistungsgegenstand anzupassen. Dies entspricht weitgehend der bisherigen Praxis auf Bundesebene (Art. 25 VöB). Anlässlich der Berei154 155 156

SR 241 Vgl. BVGer B-3797/2015 vom 13. April 2016; nicht rechtskräftig.

Vgl. BRK 2003-032 vom 15. Juni 2004, E. 2 ff.

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nigungen können direkte Kontakte mit den Anbieterinnen stattfinden, die dokumentiert werden müssen.

Abs. 1 und 2 Eine Bereinigung der Angebote kann insbesondere bei komplexen Leistungen nötig werden. Die Bereinigung dient einerseits der Klärung von Missverständnissen und der Füllung echter Lücken in den Ausschreibungsunterlagen. Mit der Angebotsbereinigung wird der Auftraggeberin anderseits im Sinne einer Flexibilisierung ein Instrument in die Hand gegeben, während einer laufenden Ausschreibung den Leistungsgegenstand innerhalb vorgegebener Schranken zu optimieren und die Angebote vergleichbar zu machen.

Leistungsänderungen oder -reduktionen dürfen nicht dazu dienen, die Konformität einzelner Angebote, welche die ursprünglich gestellten Anforderungen klarerweise nicht erfüllt haben, nachträglich herbeizuführen. Angebote, die unvollständig sind oder anderweitig nicht den Ausschreibungsunterlagen entsprechen, sind vom Verfahren auszuschliessen. So besteht kein Rechtsanspruch einer Anbieterin, ihr Angebot, das technische Spezifikationen nicht erfüllt, nachträglich zu ergänzen, um die Ausschreibungskonformität im zweiten Anlauf herzustellen.157 Immerhin wird man der Auftraggeberin bei kleineren Abweichungen einen Ermessensspielraum zubilligen, Offerten durch Rückfragen auf den verlangten Stand zu bringen.158 Bei geringfügigen Offertmängeln muss mit Rücksicht auf das Verbot des überspitzten Formalismus Hand zu einer Nachbesserung geboten werden.

Abs. 3 Das GPA 2012 lässt wie bereits das GPA 1994 Verhandlungen unter gewissen Voraussetzungen zu (Art. XII Abs. 1). Anders als die Kantone hat der Bund bisher von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Preisverhandlungen durften jedoch auch nach bisherigem Bundesbeschaffungsrecht nicht mit der Absicht oder der Wirkung durchgeführt werden, einzelne Anbieterinnen zu bevorteilen oder andere zu benachteiligen, indem z. B. einer willkürlich ausgewählten Anbieterin eine Nachbesserung ihrer Offerte zugestanden wird.

Einer verbreiteten Forderung in der Vernehmlassung entsprechend und zwecks Harmonisierung mit dem interkantonalen Recht werden Preisanpassungen nach der Offertöffnung nicht mehr voraussetzungslos zugelassen (vgl. bereits Art. 11 Bst. d E-BöB). Die Notwendigkeit zu Preisanpassungen kann sich jedoch dann aufdrängen, wenn der Leistungsgegenstand im Rahmen
der Angebotsbereinigung angepasst oder konkretisiert werden muss. Das Gebot der wirtschaftlichen Beschaffung kann bei Änderungen am Leistungsinhalt auch auf der Preisseite Anpassungen zur Folge haben. In finalen oder funktionalen Ausschreibungen, in denen lediglich das Ziel der Beschaffung vorgegeben wird, ist die Bereinigung von Leistungselementen regelmässig erforderlich. Dabei ist auf die Gleichbehandlung der Anbieterinnen zu achten.

157 158

Vgl. BRK 2006-016 vom 5. Dez. 2006, E. 3.

BVGer B-5563/2012 vom 28. Febr. 2013, E. 2.2.

1954

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Analog zu Artikel 21 Absatz 1 sind Verhandlungen auch dann erlaubt, wenn in einer offenen oder selektiven Ausschreibung nur ein einziges Angebot die zwingenden Anforderungen erfüllt und sich die Wettbewerbsfähigkeit des Angebotspreises durch Vergleich mit Konkurrenzofferten nicht ermitteln lässt.

Mit der bedingten Zulassung von Preisanpassungen wird ein grundlegender Unterschied zwischen Bundesrecht und interkantonalem Recht beseitigt. Der vorliegende Entwurf schöpft den Handlungsspielraum des GPA 2012 nicht aus und gestattet eine inhaltliche Offertbereinigung mit anschliessender Preisanpassung nur aus begründetem Anlass und innerhalb enger formaler Schranken.

Abs. 4 Die Offertbereinigung untersteht den gesetzlichen Anforderungen sowie den Grundsätzen der Verhältnismässigkeit und Fairness. Mit der Protokollierung der Resultate soll sichergestellt werden, dass die rechtlichen Vorgaben und die Gleichbehandlung der Anbieterinnen eingehalten werden.

Art. 40

Bewertung der Angebote

Abs. 1 Die Bewertung der Angebote darf nur nach Massgabe der in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen mitgeteilten Zuschlagskriterien erfolgen. Zur besseren Vergleichbarkeit der Angebote sind die Resultate der Prüfung in einer Bewertungsmatrix festzuhalten. In der Praxis verfügt die Vergabebehörde sowohl beim Erstellen der Beurteilungsmatrix als auch beim Bewerten der Kriterien über ein erhebliches Ermessen.159 Erforderlich ist, dass sich aus der Dokumentation (Evaluationsbericht) die wesentlichen Gründe für die Bewertung, d. h. die Vorteile des berücksichtigten Angebots gegenüber den Angeboten der unterlegenen Anbieterinnen, klar und zweifelsfrei nachvollziehen lassen.

Abs. 2 Je nach der Komplexität der Beschaffungsvorhaben kann die Prüfung der Offerten einen erheblichen Aufwand bedeuten. Einerseits kann es beispielsweise bei standardisierten Normpositionen im Hoch- oder Tiefbau bereits nach der Prüfung weniger Hauptkapitel klar werden, welche Angebote überhaupt noch für den Zuschlag in Frage kommen. Anderseits kann es zuweilen erforderlich sein, im Rahmen der Angebotsbewertung einen Labor- oder Feldtest durchzuführen, um bestimmte Eigenschaften der Leistung effektiv und nicht nur auf dem Papier beurteilen zu können. Gestützt auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit muss es der Auftraggeberin erlaubt sein, nach einer ersten Prüfung die Anzahl der Angebote zu reduzieren und nur die so verbleibenden Angebote in einem zweiten Schritt einer weiteren Prüfung und Bewertung zu unterziehen. Die ausgeschiedenen Anbieterinnen werden über den Vorentscheid informiert, wobei dieser Entscheid allerdings nicht selbstständig anfechtbar ist. Im Sinne des Transparenzgebots empfiehlt es sich, die Anwendung dieser Norm und die Anzahl der Anbieterinnen, welche nach der ersten Prüfung zu Ende evaluiert werden, bereits in der Ausschreibung bekannt zu geben. In allen 159

Vgl. BGer-Urteil 2D_49/2011 vom 25. Sept. 2012, E. 7.4.

1955

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Fällen ist sicherzustellen, dass trotz Reduktion der Angebote ein echter Wettbewerb gewährleistet ist.

Art. 41

Zuschlag

Abs. 1 Ein kardinaler Grundsatz des Staatsvertragsrechts verlangt, dass der Zuschlag an das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt (Art. XV Abs. 5 Bst. a GPA 2012: «most advantageous tender»). Diese Bestimmung entspricht dem geltenden Recht von Bund und Kantonen. Daher wird der von diversen Vernehmlassungsadressaten geäusserte Vorschlag, den Begriff «vorteilhaftestes Angebot» einzuführen, abgelehnt. Stimmen aus Politik, Handel und Industrie waren der Ansicht, das vorteilhafteste Angebot bringe besser zum Ausdruck, dass neben dem Preis weitere Faktoren mitbewertet werden. Das wirtschaftlich günstigste Angebot hat sich jedoch in der deutschsprachigen Schweiz auf allen föderalen Stufen eingebürgert und steht zudem im Einklang mit der Terminologie in den EU-Richtlinien.

«Wirtschaftlich günstig» ist nicht gleichbedeutend mit «billig». Vielmehr geht es hier um die optimale Erfüllung der Zuschlagskriterien. Daher besteht im Beschaffungsrecht ein Rechtsanspruch auf die Erteilung des Auftrags an diejenige Anbieterin, die das wirtschaftlich günstigste Angebot eingereicht hat.160 Dieses wird ermittelt, indem Qualität und Preis einer Leistung sowie je nach Leistungsgegenstand weitere gleichwertige Kriterien (Art. 29) berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung von Sekundärzielen (wie Förderung von Innovationen, soziale Eingliederung, Ausbildungsplätze in der beruflichen Grundbildung) darf nicht in einer Diskriminierung oder einer ungerechtfertigten Verweigerung des Marktzutritts resultieren.

In die gleiche Richtung gehen die Empfehlungen der NAD.161 Gemäss Empfehlung 10 sind die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass bei komplexen Bauwerken aus der technischen Bewertung und dem Preis das effektiv wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt und auch sichergestellt werden kann, dass eine dem Projekt nutzende, höhere Qualität einen höheren Preis aufwiegen kann.

Abs. 2 Für die Beschaffung weitgehend standardisierter Güter kann (in Anlehnung an Art. 21 Abs. 3 BöB) ausschliesslich auf deren Preis abgestellt werden. Artikel X Absatz 7 Buchstabe c und Artikel XV Absatz 5 Buchstabe b GPA 2012 lassen es zu, dass Angebote allein nach ihrem Preis bewertet werden. Dies kann insbesondere dann zulässig sein, wenn allgemein anerkannte Normen und Standards die Qualität des Produkts bereits hinlänglich definieren
oder ökologische Aspekte bereits bei den technischen Spezifikationen berücksichtigt wurden. Als Beispiel möge die Beschaffung von Baustoffen oder Brenn- und Treibstoffen dienen. Die Auftraggeberin verfügt diesbezüglich über Ermessen. Werden bei der Ausschreibung von Standardgütern keine Zuschlagskriterien bekannt gegeben, ist der Auftrag ausschliesslich nach dem Kriterium des niedrigsten Preises zu vergeben.

160 161

Vgl. BGer-Urteil 2D_49/2011 vom 25. Sept. 2012, E. 1.3.1.

Siehe Fussnote [43].

1956

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Bei nicht standardisierten Leistungen hat der Preis nicht von vornherein eine die andere Kriterien überragende Bedeutung. Qualitative Kriterien, Lieferbereitschaft, Serviceorientierung, Innovationskraft oder auch Nachhaltigkeit in der Leistungserbringung können stärker gewichtet werden. Voraussetzung bleibt, dass der wirtschaftliche Einsatz der öffentlichen Mittel gemäss Artikel 2 Buchstabe a im Einzelfall gewahrt bleibt.

Die Bedeutung des Preises hängt immer auch vom angewendeten Bewertungssystem ab. Die Preiskurve sollte so (steil oder flach) gewählt werden, dass sie die gemäss Marktabklärung zu erwartende Angebotsspanne gut abdeckt. Durch eine unangemessene Preisformel kann die Gewichtung dieses Kriteriums verwässert werden.

Dies gilt es zu vermeiden.

Art. 42

Vertragsabschluss

Abs. 1 Der Zuschlag erfolgt durch Verfügung im Sinn von Artikel 5 VwVG.

Dadurch wird das öffentlich-rechtliche Abschlussverbot beseitigt. Der daran anschliessende Vertrag untersteht in der Regel (aber nicht zwingend und nicht ausnahmslos) dem Privatrecht. Auch wenn die Anbieterin mit dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag erhält, besteht kein Anspruch auf einen Vertragsabschluss (fehlender Kontrahierungszwang). Der Vertragsabschluss liegt im Ermessen der Auftraggeberin. Um langwierige Vertragsverhandlungen nach erfolgtem Zuschlag zu vermeiden, sind Auftraggeberinnen teilweise dazu übergegangen, den Entwurf des Beschaffungsvertrages bereits mit den Ausschreibungsunterlagen aufzulegen. Es wäre auch zulässig, Anpassungen dieses Vertragsentwurfs im Rahmen der Zuschlagskriterien und der Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen in die Bewertung miteinzubeziehen.

Da ausserhalb des Staatsvertragsbereichs Sekundärrechtsschutz gewährt wird (Art. 52 Abs. 2 E-BöB), wird der Zuschlag sofort vollstreckbar. Der Eintritt der formellen Rechtskraft muss für den Vertragsabschluss nicht abgewartet werden. Ein Vertragsabschluss mit der berücksichtigten Anbieterin ist auch dann gültig, wenn er nach Erhebung einer Beschwerde erfolgt.

Abs. 2 Anders liegen die Dinge bei Zuschlägen im Staatsvertragsbereich. Absatz 2 entspricht weitgehend der Regelung in Artikel 22 Absatz 1 BöB, wobei neu ausdrücklich festgehalten wird, dass mit dem Vertragsabschluss bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zugewartet werden muss. Obwohl einer allfälligen Beschwerde gegen den Zuschlagsentscheid von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zukommt, darf der Beschaffungsvertrag erst nach Ablauf der Beschwerdefrist bzw. nach der Abweisung eines Gesuchs um Gewährung der aufschiebenden Wirkung geschlossen werden.162 Infolge der Übermittlungsfristen solcher Gesuche sowie der Benachrichtigung durch das zuständige Gericht besteht in der Praxis eine Stillstandsperiode von insgesamt 25 Tagen.

162

Vgl. BVGer B-3402/2009 vom 2. Juli 2009, E. 7.1.

1957

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Ein vorzeitig abgeschlossener Beschaffungsvertrag ist auch im Staatsvertragsbereich nicht schlechthin nichtig (Art. 20 OR). Diese Rechtsfolge tritt nur dann ein, «wenn [sie] vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist oder sich aus dem Sinn und Zweck der verletzten Norm ergibt»163. Das Vergaberecht, das primär der wirtschaftlichen Beschaffungstätigkeit verpflichtet ist, gebietet keine derart weitgehende Sanktion.

Der inhaltliche Mangel besteht nicht im verfrühten Vertragsabschluss, sondern in einem allfälligen, im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens zu klärenden Verstoss gegen die Regeln und Grundsätze des Beschaffungsrechts. Bei erfolgreichem Ausgang des Verfahrens ist eine Anweisung des Gerichts an die Auftraggeberin denkbar, die Leistungen neu auszuschreiben. Wenn das freihändige Verfahren gestützt auf Artikel 21 Absatz 2 durchgeführt wird und der Beschaffungswert die Schwellenwerte für das Einladungsverfahren oder für das offene oder selektive Verfahren erreicht, unterliegt der Zuschlag der Beschwerde. Folglich ist auch in solchen freihändigen Verfahren mit dem Vertragsabschluss zuzuwarten, bis die Beschwerdefrist abgelaufen ist, sofern der Vertrag nicht aufschiebend bedingt geschlossen wird. Ein freihändig erfolgter Zuschlag kann nach Vertragsabschluss wieder aufgehoben werden, ohne dass dadurch die privatrechtliche Gültigkeit des Vertrags zum vorneherein zu verneinen wäre.164 Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Privatrechts ist im Beschaffungsrecht zwischen der internen Willensbildung der Auftraggeberin einerseits und dem Vertragsabschluss zwischen Auftraggeberin und Anbieterin anderseits zu unterscheiden. Aus dem Umstand, dass am Ende des Vergabeverfahrens mit der berücksichtigten Anbieterin ein privatrechtlicher Vertrag abgeschlossen wird, lässt sich keine allgemeine privatrechtliche Haftung des Gemeinwesens gegenüber nicht berücksichtigten Anbieterinnen, geschweige denn gegenüber nur mittelbar beteiligten Dritten, ableiten.165 Während das EU-Recht die Schriftform des Beschaffungsvertrags vorschreibt, wird hier auf dieses Kriterium verzichtet. Aus Beweisgründen sind öffentliche Aufträge jedoch regelmässig schriftlich abzuschliessen (so auch Art. 29 Abs. 1 VöB).

Falls gemäss den Bestimmungen des Finanzhaushaltgesetzes vom 7. Oktober 2005166 für eine Beschaffung ein Verpflichtungskredit erforderlich
ist, steht der Zuschlag unter dem Vorbehalt der Bewilligung des Verpflichtungskredits durch das Parlament. Dieser Vorbehalt ist im Zuschlag festzuhalten. Die Beschwerdefrist läuft gleichwohl ab der Eröffnung des Zuschlags, nicht erst ab der Kreditgenehmigung.

Wird der Vertrag ausnahmsweise (z. B. aus Effizienzgründen) schon vor der Genehmigung des Verpflichtungskredits abgeschlossen, ist darin eine entsprechende Suspensivbedingung vorzusehen.

Abs. 3 Wurde ein Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung nicht gestellt oder abgelehnt, so darf der Beschaffungsvertrag mit der Zuschlagsempfängerin abgeschlossen werden. Einem allfälligen Weiterzug des Massnahmenentscheids ans 163 164 165 166

BGE 102 II 401 Vgl. BVGer B-3402/2009 vom 2. Juli 2009, E. 7.2.

Vgl. BGer-Urteil 4A_397/2012 vom 11. Jan. 2013, E. 2.2.

SR 611.0

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Bundesgericht (der im Übrigen nur bei Verletzung verfassungsmässiger Rechte und Fragen von grundsätzlicher vergaberechtlicher Bedeutung möglich ist167) kommt mangels gesetzlicher Anordnung keine aufschiebende Wirkung zu. Da ein unmittelbarer Vertragsabschluss allenfalls rechtsmissbräuchlich sein könnte, ist nach Eingang des erstinstanzlichen Entscheids eine Warteperiode von in der Regel fünf Tagen zu beachten.168 Bei rechtshängigem Verfahren ist der Vertragsabschluss dem befassten Gericht anzuzeigen. Damit ist die Beschwerdeführerin auf den sogenannten Sekundärrechtsschutz verwiesen.

Art. 43

Abbruch

Abs. 1 Ein Beschaffungsverfahren wird entweder durch eine Zuschlags- oder durch eine Abbruchverfügung abgeschlossen. Ein Abbruch ist aus zureichenden Gründen in jedem Verfahrensstand möglich (Art. XV Abs. 5 GPA 2012, Art. 30 VöB). Über das Beschaffungsbedürfnis entscheidet allein die Auftraggeberin. Die Aufzählung möglicher Abbruchgründe in Absatz 1 ist exemplarisch. Massgebend ist einzig, dass sich die Auftraggeberin auf hinreichend sachliche Gründe stützt und mit dem Abbruch weder eine gezielte Diskriminierung einer Anbieterin noch die Behinderung des Wettbewerbs beabsichtigt oder bewirkt.169 Diese Regelung stützt sich auf die NADEmpfehlung 12170 und räumt der öffentlichen Auftraggeberin zusätzlichen Handlungsspielraum für den Abbruch des Vergabeverfahrens ein.

Bst. a: Wenn die Auftraggeberin das beabsichtigte Vorhaben nicht verwirklicht, ist ein Abbruch regelmässig definitiv und ohne Weiteres zulässig. Dazu kann es zum Beispiel dann kommen, wenn eine Leistung unter Vorbehalt der Kreditgewährung ausgeschrieben wird und der Kredit in der Folge nicht gesprochen wird. Auch aufgrund neuer Erkenntnisse kann eine Auftraggeberin beschliessen, von der Vergabe eines öffentlichen Auftrags abzusehen.

Bst. b­e: Die Leistungsanforderungen werden gelegentlich «überspezifiziert». Ein Abbruch ist daher auch dann zulässig, wenn kein Angebot die technischen Spezifikationen oder die weiteren Anforderungen erfüllt (Bst. b). Ebenso rechtfertigen veränderte Rahmenbedingungen (Bst. c) und die daraus resultierende Möglichkeit eines günstigeren Angebots einen Abbruch des Verfahrens ­ beispielsweise, wenn die Auftraggeberin im Laufe des Verfahrens neue Erkenntnisse erlangt (z. B. von neuen Techniken). Ein Abbruch ist jedoch auch aufgrund einer wesentlichen Bedarfsänderung (Bst. f) möglich oder wenn die eingereichten Angebote die geschätzten Kosten deutlich übersteigen (Bst. d). Für die Beurteilung unzulässiger Wettbewerbsabreden (Bst. e) vergleiche die Erläuterungen zu Artikel 44 Absatz 2.

Bei einer Abbruchverfügung sind die Anforderungen an die Begründungsdichte etwas höher als bei einer Zuschlagsverfügung: Aus einer Abbruchverfügung muss direkt hervorgehen, aus welchen sachlichen Gründen die Auftraggeberin das Verfah167 168 169 170

Vgl. Art. 83 Bst. f Ziff. 2 in Verbindung mit Art. 98 BGG.

BGer-Urteil 2C_203/2014 vom 9. Mai 2015, E. 1.4 f.

Vgl. BGE 134 II 192, E. 2.3 f.

Siehe Fussnote [43].

1959

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ren abbricht und ob der Abbruch definitiv ist oder eine Wiederholung des Verfahrens in Betracht gezogen wird.171 Eine Publikationspflicht in Bezug auf den Abbruch war bislang weder im BöB noch in der VöB vorgesehen, hingegen war die Publikation des Abbruchs auch nicht gesetzlich ausgeschlossen.172 Diese Rechtsunsicherheit wird beseitigt, indem der Abbruch künftig im offenen und im selektiven Verfahren zu publizieren ist (Art. 48 Abs. 1). Auf eine individuelle Eröffnung kann daher verzichtet werden (Art. 51 Abs. 1).

Abs. 2 Bei einem gerechtfertigten Abbruch aus sachlichem Grund haben die Anbieterinnen keinen Anspruch auf Entschädigung ihrer Auslagen für die Einreichung des Angebots. Ein solcher Abbruchentscheid stellt keine Rechtsverletzung dar.

Art. 44

Ausschluss vom Verfahren und Widerruf des Zuschlags

Die Möglichkeit, Anbieterinnen wegen Fehlverhaltens oder anderer Gründe auszuschliessen, sah bereits Artikel VIII Buchstabe h GPA 1994 (Teilnahmebedingungen) vor. Allerdings war die Formulierung wenig griffig, und nur die Tatbestände des Konkurses und der unwahren Erklärungen wurden beispielhaft aufgezählt. Im revidierten GPA werden die Tatbestände, die einen Ausschluss vom Verfahren begründen, erweitert. Artikel VIII Absatz 4 GPA 2012 führt exemplarisch folgende Ausschlussgründe auf: a)

Konkurs,

b)

unwahre Aussagen,

c)

erhebliche oder anhaltende Mängel bei der Erfüllung einer wesentlichen Anforderung oder Verpflichtung früherer Aufträge,

d)

rechtskräftiges Urteil betreffend ein schweres Verbrechen oder sonstige schwere Delikte,

e)

berufliches Fehlverhalten, Handlungen oder Unterlassungen, die die kommerzielle Integrität der Anbieterin beeinträchtigen oder

f)

Nichtbezahlung von Steuern.

Gefordert wird allemal ein «supporting evidence». Dass die Auftraggeberin negative Erfahrungen aus früheren Aufträgen ebenso wie die Resultate aus einer Abklärung durch die WEKO (Submissionsabreden, Kollusion) berücksichtigen kann, stellt eine zentrale Neuerung von Artikel VIII Absatz 4 GPA 2012 dar. Nach dem Wortlaut im GPA 2012 berechtigt eine frühere Vertragsverletzung in einem untergeordneten Punkt allerdings auch dann nicht zum Ausschluss der betreffenden Anbieterin, wenn diese Vertragsverletzung wiederholt erfolgt ist.173

171 172 173

Vgl. BVGer B-2449/2012 vom 6. Sept. 2012, E. 4.2 ff.

Vgl. BVGer B-2449/2012 vom 6. Sept. 2012, E. 3.4.1.

S. Hubert Stöckli / Martin Beyeler, «Neues GPA, neue Urteile, neue Tendenzen», in: Zufferey / Stöckli (éd.), «Aktuelles Vergaberecht 2012», Zürich, 2012, S. 36.

1960

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Abs. 1 Sanktionen im Rahmen von öffentlichen Vergaben erschöpfen sich nicht in der Möglichkeit, Anbieterinnen aus einem Verfahren auszuschliessen. Darüber hinaus muss ein wirksames Instrumentarium auch die Möglichkeit enthalten, eine Anbieterin aus einem amtlichen Verzeichnis zu streichen und einen bereits erteilten Zuschlag zu widerrufen. Die Auftraggeberinnen haben diesbezüglich ein grosses Ermessen. Ebenso kann es sich von Fall zu Fall empfehlen, die betroffene Ausschreibung abzubrechen.

Die Bestimmung enthält eine Liste von Tatbeständen, die einen Ausschluss, einen Widerruf des Zuschlags oder die Streichung aus einem Verzeichnis rechtfertigen. Im ersten Absatz werden diejenigen Tatbestände abschliessend aufgeführt, die sichere Kenntnis voraussetzen. Die Auftraggeberin ist gehalten, sich diese Kenntnis vor ihrem Entscheid zu verschaffen.

Bst. a: Es liegt im Ermessen der Auftraggeberin, ob und welches Verhalten (eingeschlossen ein Untätigbleiben) einer Anbieterin oder beigezogener Dritter sie als derart unpassend qualifiziert, dass ein Ausschluss oder Widerruf des Zuschlags gerechtfertigt wäre. Beispielsweise, wenn Anordnungen der Auftraggeberin trotz Abmahnung nicht befolgt werden.

Bst. b: Die Auftraggeberinnen legen in der Ausschreibung und in den Ausschreibungsunterlagen die formellen und inhaltlichen Anforderungen an die Angebote fest. Diese Festlegungen (z. B. ökologische Beschaffungskriterien) sind verbindlich einzuhalten, sofern sie nicht diskriminierend wirken. Angebote, die den Anforderungen nicht entsprechen, können ausgeschlossen werden. Bei untergeordneten Mängeln wird eine kurze Frist zur Korrektur angesetzt (Verbot des überspitzten Formalismus).

Bst. c: Der «Unrechtsgehalt» ist unterschiedlich. Erfasst wird einerseits die rechtskräftige Verurteilung der Anbieterin oder ihrer Organe (gemeint sind hier die Mitglieder des Organs) wegen eines Verbrechens (gegen Dritte) sowie anderseits ein Verbrechen oder Vergehen «zum Nachteil der jeweiligen Auftraggeberin», d. h.

Fälle, in denen die Auftraggeberin geschädigte Person im Sinne von Artikel 115 der Strafprozessordnung174 (StPO) ist. Buchstabe c bezieht sich nicht nur auf Verbrechen und Vergehen gemäss dem Strafgesetzbuch175 (StGB), sondern auch gemäss der Spezialgesetzgebung wie zum Beispiel der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes.
Bst. d: Das Pfändung- oder Konkursverfahren schliesst an ein abgeschlossenes Betreibungsverfahren an. Die Fortsetzung erfolgt entweder durch Pfändungsankündigung oder durch Konkursandrohung. Von diesem Zeitpunkt weg besteht ein erhebliches Risiko, dass das Vermögen der Anbieterin durch Vollstreckungsmassnahmen geschmälert wird und sie nicht mehr in der Lage sein wird, die erforderlichen Ressourcen für einen öffentlichen Auftrag bereitzustellen.

174 175

SR 312.0 SR 311.0

1961

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Bst. e: Die Bekämpfung der Korruption bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bildet ein Kernthema der GPA-Revision. Korruption kann viele Formen annehmen. Im Zentrum stehen die Gewährung und die Annahme geldwerter Vorteile, auf die kein gesetzlicher Anspruch besteht. Auch hier wird sichere Kenntnis vorausgesetzt; der Verdacht allein genügt nicht. Sichere Kenntnis bedeutet indessen ­ in Abweichung von Buchstabe c ­ nicht, dass eine rechtskräftige Verurteilung der betroffenen Anbieterin oder ihrer Organe abzuwarten ist. Begründete Vermutungen, wie die Eröffnung einer Untersuchung durch die Strafuntersuchungsbehörden, reichen aus.

Verfügt eine Auftraggeberin über sichere Kenntnis von korrupten Praktiken, ist ihr eine Zusammenarbeit mit der betroffenen Anbieterin nicht mehr zuzumuten. Ein Teil der «Bestimmungen zur Bekämpfung der Korruption» findet sich im Strafgesetzbuch (Art. 322ter ff. StGB). Buchstabe e betrifft jedoch auch Bestimmungen des UWG und andere Bestimmungen zivilrechtlicher Natur, welche die Bekämpfung der Korruption zum Inhalt haben ­ beispielsweise als eigenständige Vertragsklausel oder Bestandteil von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Mit Buchstabe e wird ferner der in den Erläuterungen zu Artikel 11 Buchstabe b erwähnten Empfehlung der OECD-Antikorruptionsarbeitsgruppe Rechnung getragen.

Bst. f: Kontrollen nach Massgabe von Artikel 12 können durch die Auftraggeberinnen, durch spezialgesetzlich dazu berufene Behörden oder durch paritätische Organe angeordnet und durchgeführt werden. Die Anbieterinnen sind verpflichtet, bei diesen Kontrollen mitzuwirken. Ihre Weigerung oder die Vereitelung solcher Kontrollen kann zum Ausschluss vom Vergabeverfahren führen.

Bst. g: Bezahlt eine Anbieterin fällige Bundes-, Kantons- oder Gemeindesteuern oder fällige Sozialabgaben (wie AHV-, IV-, EO-, ALV-, BVG- und UVG-Beiträge) nicht, kann sie ebenfalls von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.

Bst. h: Artikel VIII Absatz 4 Buchstabe c GPA 2012 erlaubt es den Vertragsparteien, negative Erfahrungen mit einer Anbieterin bei früheren Vergaben in den Ausschlussentscheid miteinzubeziehen. Die Gründe für einen solchen Ausschluss müssen objektiv und schwerwiegend sein. Untergeordnete Mängel oder Versäumnisse bei der Erfüllung früherer Aufträge berechtigen nicht zu einem Ausschluss.

Erfasst werden
etwa die mangelhafte Ausführung früherer Aufträge sowie Fälle, in denen die Anbieterin in anderer Weise erkennen liess, keine verlässliche und vertrauenswürdige Vertragspartnerin zu sein. Letzteres ist ein Auffangtatbestand; seine Anwendung bedarf einer sorgfältigen Interessenabwägung und wird in der Regel voraussetzen, dass die Anbieterin erfolglos abgemahnt wurde. Sichere Kenntnis dieser Ausschlussgründe dürfte regelmässig nur die Auftraggeberin haben, die bereits auf entsprechende Erfahrungen mit der Anbieterin zurückblicken kann. Den Vergabestellen wird empfohlen, die fehlende Verlässlichkeit oder Vertrauenswürdigkeit der Vertragspartnerin zu dokumentieren.

Bst. i: Vorbefassung (Art. 14) führt regelmässig zum Ausschluss. Eine Ausnahme kann sich dann aufdrängen, wenn der Wettbewerbsvorteil mit geeigneten Mitteln (z. B. Offenlegung von Arbeitsresultaten) ausgeglichen werden kann.

Bst. j: Nach Artikel 45 Absatz 1 kann eine Anbieterin bei Erfüllung eines oder mehrerer Tatbestände von Artikel 44 Absatz 1 Buchstaben c, e und k sowie Absatz 2 Buchstaben b, f und g für die Dauer von bis zu fünf Jahren von künftigen Vergaben 1962

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ausgeschlossen werden. Dieser besondere Ausschlussgrund wird hier ausdrücklich erwähnt.

Bst. k: Bei fehlendem Wettbewerb ist die Auftraggeberin zur Prüfung der Preiskalkulation berechtigt (Art. 59). Wird diese Prüfung durch eine Anbieterin behindert oder vereitelt, kann dies zu einem Ausschluss nach Artikel 45 führen.

Abs. 2 Der zweite Absatz enthält eine nicht abschliessende Liste von Tatbeständen, die bereits bei Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte zur Anwendung gelangen können. So kann beispielsweise bei einem dringenden Verdacht auf eine unzulässige Wettbewerbsabrede mit einem Ausschluss nicht bis zum Abschluss des WEKOVerfahrens zugewartet werden. Gleiches gilt für den dringenden Verdacht einer Insolvenz oder einer Verletzung der Teilnahmebedingungen (wie Verletzung von Arbeitsschutzvorschriften, Schwarzarbeit oder Verletzung des Grundsatzes der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann). Die Zusammenarbeit bei der Leistungserbringung setzt Vertrauen in die Anbieterinnen voraus. Ist dieses Vertrauen zerstört oder ernstlich gefährdet, soll die Auftraggeberin nicht zur Zusammenarbeit gezwungen werden. Sie soll aber auch nicht auf den blossen Verdacht hin eine Anbieterin ausschliessen. Vielmehr ist sie gehalten, sorgfältig die Verdachtsgründe abzuklären und allfällige Beweise sorgfältig zu würdigen.

Für beide Absätze gilt: Mit der Kann-Formulierung ist angedeutet, dass nicht jede Verfehlung einer Anbieterin zwingend solche Folgen haben muss. Ein Ausschluss wäre z. B. nicht gerechtfertigt, wenn die Verletzung einer Vorschrift als Bagatelle betrachtet und sofort korrigiert werden kann. Eine Lohndiskriminierung beispielsweise wird sanktioniert (Abs. 2 Bst. f), wenn die Analyse der Lohndaten eine Lohndifferenz zu Ungunsten einer Geschlechterkategorie feststellt, die statistisch signifikant über einer Toleranzschwelle von 5 Prozent liegt. Diese Toleranzschwelle gilt ausschliesslich im Rahmen der Kontrollen im Beschaffungswesen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in einem Unternehmen möglicherweise Faktoren lohnrelevant sind, die in der Analyse nicht berücksichtigt werden.

Liegt ein rechtkräftiges Urteil wegen schwerer Delikte vor, dürfte ein Ausschluss regelmässig geboten sein (so auch Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU176).

Unterpreis-Angebote sind nicht von vornherein
unzulässig. Eine Auftraggeberin wird sich aber bei der Anbieterin vergewissern, ob alle Leistungsanforderungen richtig verstanden wurden und die Anbieterin «Gewähr» für eine richtige Vertragserfüllung bietet (Art. 38 Abs. 3). Bei allen Tatbeständen sind der Grundsatz der Verhältnismässigkeit und das Verbot des überspitzten Formalismus zu beachten.177 Dies ist auch deshalb angezeigt, weil die Auftraggeberin in den meisten Fällen gestützt auf Verdachtsgründe eine Anbieterin aus dem laufenden Verfahren ausschliessen, sie aus einem Verzeichnis streichen oder einen Zuschlag widerrufen könnte. Hat die Auftraggeberin Sachverhalte in einem Rechtsgebiet zu beurteilen, in welchem sie keine besonderen Fachkenntnisse aufweist (z. B. Verstoss gegen anerkannte Berufsregeln, Verletzung der Bestimmungen über die Schwarzarbeit und der 176 177

Siehe Fussnote [34].

Vgl. BGer-Urteil 2C_782/2012 vom 10. Jan. 2013, E. 2.3.

1963

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Lohngleichheit zwischen Frau und Mann oder bei unzulässigen Wettbewerbsabreden), kann sie bei Bedarf die entsprechenden Fachbehörden konsultieren.

Der Ausschluss einer Anbieterin vom Vergabeverfahren kann nach Ermessen der Auftraggeberin durch individuell eröffnete Verfügung oder implizit durch Zuschlagserteilung an eine andere Anbieterin erfolgen. Auf eine individuell eröffnete Verfügung besteht bereits unter dem aktuellen Recht kein Anspruch.178 Diese Praxis soll auch unter dem neuen Recht beibehalten werden.

Art. 45

Sanktionen

Werden die Bestimmungen des Beschaffungsrechts durch die Auftraggeberinnen in schwerwiegender Weise verletzt, kann dies eine Administrativuntersuchung und für die verantwortlichen Personen Disziplinarmassnahmen zur Folge haben. Die Auftraggeberin wiederum hat die Möglichkeit, eine Anbieterin oder eine Subunternehmerin zu sanktionieren, wenn diese sich rechtswidrig verhält.

Sanktionen müssen gemäss Legalitätsprinzip in einem Gesetz im formellen Sinn geregelt sein. Verwarnungen haben schriftlich zu erfolgen und stellen in der Regel eine Reaktion auf leichtere Widerhandlungen dar, die nach keiner weitergehenden Sanktion rufen.

Im Weiteren setzt die Verhängung einer Sanktion ein Verschulden der fehlbaren Person voraus, wobei die fahrlässige Verletzung in den häufigsten Fällen ausreichend sein dürfte (z. B. bei Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften). Bei der Verhängung einer Massnahme hat die Auftraggeberin dem Verhältnismässigkeitsprinzip und der Schwere der Verfehlung Rechnung zu tragen. Der Anbieterin bleiben gegen die Sanktionierung die im Gesetz genannten Rechtsmittelmöglichkeiten (vgl. Art. 53 Abs. 1 Bst. h).

Abs. 1 Bei schwerwiegenden Widerhandlungen kann die Auftraggeberin fehlbare Anbieterinnen oder Subunternehmerinnen ohne vorgehende Verwarnung von künftigen Vergaben für eine Dauer von bis zu fünf Jahren ausschliessen. In leichten Fällen kann eine Verwarnung erfolgen. Statt einer direkten Sanktion kann auch die Anzeige an eine Spezialbehörde erfolgen. Diese Sanktionen sind möglich, wenn eine Anbieterin bzw. Subunternehmerin oder ihre Organe rechtskräftig wegen eines Verbrechens im Zusammenhang mit einem öffentlichen Auftrag verurteilt worden sind oder ein Verbrechen oder Vergehen zum Nachteil der jeweiligen Auftraggeberin begangen haben. Eine Verwarnung oder ein Ausschluss von weiteren öffentlichen Aufträgen der jeweiligen Auftraggeberin ist zudem möglich, wenn eine Anbieterin bzw. Subunternehmerin Bestimmungen zur Bekämpfung der Korruption verletzt hat.179 Schliesslich können auch die Missachtung von Pflichten in Bezug auf das behördliche Einsichtsrecht (Art. 59), die Beteiligung an einer unzulässigen Wettbewerbsabrede oder die Verletzung der Arbeitsschutzbestimmungen, der Arbeitsbedingungen, der Bestimmungen über die Gleichbehandlung von Frau und Mann in 178 179

Vgl. BRK 2002-016 vom 4. Febr. 2003, E. 1.

Vgl. 14.3208 Po Engler, Bekämpfung der Korruption im öffentlichen Beschaffungswesen.

1964

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Bezug auf die Lohngleichheit oder der Bestimmungen zur Vertraulichkeit zu einer Verwarnung oder zu einem Ausschluss führen.

Es steht im Ermessen der jeweiligen Auftraggeberin, ob sie eine Sanktion ausspricht oder nicht. Ein Ausschluss von künftigen Vergaben stellt eine schwere Sanktion dar, die bei einmaligen leichten Verstössen in der Regel nicht gerechtfertigt ist. Bei wiederholten oder schweren Widerhandlungen, namentlich nach einem rechtskräftigen Strafurteil wegen Korruption, kann diese Sanktion angemessen sein.

Der je nach Schwere des Verstosses mehr oder weniger lange Ausschluss von künftigen Aufträgen beschränkt sich regelmässig auf die Beschaffungen der jeweiligen Auftraggeberin. Als Auftraggeberin sind alle Organisationseinheiten derselben Rechtspersönlichkeit zu verstehen (wie Zentralverwaltung, öffentliche Unternehmen). Die zentralen Beschaffungsstellen des Bundes sollen z. B. der SBB und der Post nicht vorschreiben, welche Anbieterinnen künftig nicht mehr berücksichtigt werden dürfen (und umgekehrt). Die Vergabestellen entscheiden nach pflichtgemässem Ermessen, wie sie die Sanktionen der jeweiligen Auftraggeberinnen werten.

Insbesondere besteht die Möglichkeit, einen Ausschluss nach Massgabe von Artikel 44 Absatz 1 Buchstabe j zu würdigen und die betroffene Anbieterin von einem Verfahren auszuschliessen.

Wenn eine Anbieterin aber wegen Korruptionsdelikten von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen wird, soll dieser Ausschluss für die Aufträge aller diesem Gesetz unterstellten Auftraggeberinnen gelten.

Eine Anbieterin, die in schwerwiegender oder wiederholter Weise gewisse Bestimmungen über die Schwarzarbeit missachtet hat und deswegen rechtskräftig verurteilt worden ist, wird grundsätzlich gemäss Artikel 13 BGSA sanktioniert. Sie wird entweder von der zuständigen kantonalen Behörde während maximal fünf Jahren von künftigen Aufträgen des öffentlichen Beschaffungswesens auf kommunaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene ausgeschlossen, oder es können ihr während einer bestimmten Dauer Finanzhilfen gekürzt werden. Parallel dazu ermöglicht es der vorliegende Gesetzesentwurf einer öffentlichen Auftraggeberin, eine Anbieterin, welche die Melde- oder Bewilligungspflichten nach dem BGSA verletzt hat, zu verwarnen oder bis zu fünf Jahren von ihren öffentlichen Aufträgen auszuschliessen,
sofern diese Sanktion nicht bereits von der zuständigen kantonalen Behörde verhängt wurde (ne bis in idem).

Abs. 2 Die Sanktionsmöglichkeiten Verwarnung und Ausschluss bestehen unabhängig von weiteren rechtlichen Schritten gegen die fehlbare Anbieterin. In diesem Zusammenhang ist an Untersuchungen und Sanktionen der Wettbewerbsbehörden, der Strafverfolgungsbehörden oder paritätischer Kommissionen zu denken, soweit diese nicht die Voraussetzung der Sanktionierung nach dieser Bestimmung bilden.

Wie bereits heute in Artikel 33 Org-VöB vorgesehen, wird eine Anzeigepflicht bei hinreichenden Anhaltspunkten einer Kollusion zwischen den Anbieterinnen in das Gesetz aufgenommen. Eine Meldung an die WEKO kann auch unabhängig von der Sanktionierung betroffener Anbieterinnen erfolgen. Die Auftraggeberin teilt der WEKO daher mit, wenn sie wegen abgestimmter Angebote eine freihändige Ver1965

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gabe durchführt (Art. 21 Abs. 2 Bst. b), ein Vergabeverfahren abbricht (Art. 43 Abs. 1 Bst. e) oder eine Anbieterin wegen Verdachts auf unzulässige Wettbewerbsabreden (Art. 44 Abs. 2 Bst. b E-BöB) sanktioniert.

Abs. 3 Mit dieser Bestimmung wird die gesetzliche Grundlage für eine zentrale Liste der von künftigen öffentlichen Aufträgen ausgeschlossenen Anbieterinnen und Subunternehmerinnen geschaffen. Die Kantone sehen in der IVöB eine entsprechende Liste vor. Bund und Kantone werden die so erhobenen Daten in geeigneter Weise austauschen.

Da die Aufführung auf einer solchen Liste einer Anbieterin nicht wiedergutzumachende Nachteile bringen könnte (insbesondere Geschäftsschädigungen, die über die Nichtberücksichtigung im Rahmen eines öffentlichen Auftrags hinausgehen), ist die Liste nicht öffentlich. D. h. sie wird weder aktiv publiziert noch ist der Zugang nach Massgabe der Bestimmungen des Öffentlichkeitsgesetzes (Passivinformation) vorbehalten. Anfragen seitens der Auftraggeberinnen können nur mit Bezug auf eine spezifische Anbieterin erfolgen, die an einer konkreten Ausschreibung teilnimmt.

Nach Ablauf der Sanktion wird die Anbieterin aus der Liste gestrichen. Über abgelaufene Sanktionen wird aktiv keine Auskunft erteilt. Sowohl die Aufnahme in die Liste als auch die Streichung von der Liste erfolgt auf dem Weg einer beschwerdefähigen Verfügung.

Die Bestimmung enthält zudem eine Grundlage im Sinne von Artikel 19 Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992180 über den Datenschutz für die Einrichtung eines Abrufverfahrens.

7. Kapitel: Fristen und Veröffentlichungen, Statistik Artikel IX Absatz 1 GPA 1994 verwies für die Bekanntmachung der Ausschreibung auf das Publikationsorgan nach Anhang II, d. h. für Beschaffungen der Auftraggeberinnen des Bundes auf eine Internetplattform (heute «simap.ch») und für die Kantone und Gemeinden auf das jeweilige amtliche Publikationsorgan. Artikel XVIII GPA 1994 sah überdies vor, dass die Auftraggeberinnen spätestens 72 Tage nach jedem Zuschlag eine einschlägige Bekanntmachung veröffentlichen. Auch die Richtlinien 2014/24/EU181 und 2014/25/EU182 enthalten diverse Bestimmungen zu den Themen Veröffentlichung und Transparenz.

Zur Verbesserung der Transparenz führt das GPA 2012 einen separaten Artikel VI betreffend «Information über das Beschaffungswesen»
ein. Darin wird vorgesehen, dass die Vertragsstaaten im Publikationsorgan gemäss Anhang III (in elektronischer Form oder in Papierform) die Bekanntmachungen betreffend Beschaffungen, die Anzeigen zur Aufnahme auf die mehrfach verwendbare Anbieterliste und die Bekanntmachungen betreffend Zuschlagserteilung und damit zusammenhängende Informationen veröffentlichen. Artikel VII Absatz 1 GPA 2012 stipuliert zudem, dass die Anzeigen in einem weit verbreiteten Publikationsorgan erfolgen und zu180 181 182

SR 235.1 Siehe Fussnote [40].

Siehe Fussnote [41].

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mindest für die angekündigte Dauer der Publikation leicht zugänglich sein sollen.

Artikel XVI über die «Transparenz von Beschaffungsinformationen» enthält Bestimmungen zur Aufbewahrung der Unterlagen, Berichte und Daten zur Rückverfolgbarkeit der elektronischen Abwicklung.

Im geltenden Recht fehlt eine übersichtliche Darstellung, welche Entscheide und Mitteilungen zu veröffentlichen sind. Die Artikel 48 und 50 E-BöB sollen diesbezüglich Abhilfe schaffen und die Transparenzerfordernisse des GPA 2012 umsetzen.

Gleichzeitig werden in Artikel 47 E-BöB die Vorgaben von Artikel XI GPA 2012 zur Verkürzung der Minimalfristen umgesetzt.

Art. 46

Fristen

Abs. 1 Umfang und Komplexität der unterstellten Beschaffungen unterscheiden sich erheblich. Das Gesetz sieht daher nur Mindestfristen vor. Bei umfangreichen Beschaffungen sollten diese Fristen wie unter geltendem Recht (Art. 19 Abs. 2 VöB) angemessen verlängert werden.

Vorbehältlich abweichender Instruktionen der Auftraggeberin ist die Frist für eine schriftliche Eingabe gewahrt, wenn diese am letzten Tag der Frist (spätestens um Mitternacht) der Vergabebehörde eingereicht oder zu deren Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben wird (Art. 21 VwVG). Beim Einreichen eines Angebots auf dem Postweg ist für die Fristwahrung der Poststempel relevant.183 Abweichend davon ist es der Auftraggeberin im Einklang mit der bisherigen Praxis freigestellt, die Frist in der Ausschreibung unter Bestimmung des Tages und der Uhrzeit so festzusetzen, dass das vollständige Angebot zur Fristwahrung zu diesem Zeitpunkt eingehen muss. Dann spielt das Datum der Postaufgabe keine Rolle, und es wird einzig darauf abgestellt, ob das Angebot zu diesem Zeitpunkt vollständig und in der verlangten Form bei der Auftraggeberin eingeht.

Abs. 2 Die Minimalfristen für das offene und das selektive Verfahren richten sich im Staatsvertragsbereich nach der Bestimmung in Artikel XI Absatz 3 Buchstabe a GPA 2012. Sie entsprechen der heutigen Regelung in Artikel 19 Absatz 3 VöB. Die Frist von 40 Tagen beginnt mit der Publikation substanzieller Berichtigungen noch einmal von neuem. Kleinere Berichtigungen der Ausschreibung oder der Ausschreibungsunterlagen, die keinen substanziellen Mehraufwand für die Anbieterinnen und keine Änderung des Anbieterkreises zur Folge haben, führen nicht zu einem Neubeginn des Fristenlaufs. Für diesen massgebend ist neben der Wesentlichkeit der Berichtigung jedoch auch deren Zeitpunkt, d. h. ob es den Anbieterinnen in der verbleibenden Zeit noch möglich ist, die Anpassung zu berücksichtigen.

183

Vgl. BRK 2002-015 vom 29. Jan. 2003, E. 2.

1967

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Abs. 3 Im Gegensatz zu Fristverkürzungen sind Fristverlängerungen im Ermessen der Auftraggeberin ohne Einschränkungen möglich, solange sie rechtsgleich angewendet werden. Im offenen und selektiven Verfahren sind Fristverlängerungen zu publizieren; im Einladungsverfahren genügt eine schriftliche Anzeige, die gleichzeitig an alle Anbieterinnen ergeht. Eine entsprechende Vorschrift findet sich im geltenden Recht in Artikel 19 Absatz 2 VöB.

Abs. 4 Ausserhalb des Staatsvertragsbereichs beträgt die Frist zur Einreichung von Angeboten in der Regel mindestens 20 Tage. Eine Unterschreitung dieser Minimalfrist ist nur ausnahmsweise möglich (z. . bei standardisierten Waren und Dienstleistungen).

Art. 47

Fristverkürzung im Staatsvertragsbereich

Fristverkürzungen sind sowohl beim offenen als auch beim selektiven Verfahren möglich. Allerdings kann ­ ausgenommen in dringlichen Fällen ­ nur die Angebotsfrist, nicht auch die (nur im Zusammenhang mit dem selektiven Verfahren relevante) Teilnahmefrist verkürzt werden.

Abs. 1 Die Möglichkeit zur Fristverkürzung auf 10 Tage wegen nachgewiesener Dringlichkeit entspricht Artikel XI Absatz 4 Buchstabe c GPA 2012.

Abs. 2 Bei elektronischer Publikation einer Beschaffung (Bst. a), bei gleichzeitiger elektronischer Publikation der Ausschreibungsunterlagen (Bst. b) sowie bei elektronischer Entgegennahme der Angebote (Bst. c) kann die Minimalfrist von 40 Tagen für die Einreichung der Angebote um je fünf Tage, also um insgesamt 15 Tage, verkürzt werden (Art. XI Abs. 5 GPA 2012).

Abs. 3 und 4 Weitere Verkürzungen auf bis zu 10 Tage für die Einreichung der Angebote sind möglich, wenn spätestens 40 Tage und frühestens 12 Monate vor der Publikation der Ausschreibung eine Vorankündigung ergangen ist bzw. bei wiederkehrend benötigten Leistungen die Auftraggeberin auf die Fristverkürzung hingewiesen hat. Diese Regelung findet sich bereits in den Artikeln 19 f. VöB.

Abs. 5 Der Begriff «Gewerbliche Waren oder Dienstleistungen» stammt aus dem GPA 2012 und umfasst Lieferungen, Dienstleistungen und Bauleistungen. Diese singuläre Bestimmung setzt Artikel XI Absatz 7 GPA 2012 um. Soweit (aus anderen Gründen) eine Verkürzung auf 10 Tage zulässig ist, steht dies Artikel XI Absatz 7 GPA 2012 nicht entgegen.

«Gewerbliche Waren oder Dienstleistungen» im Sinne dieser Bestimmung sind Leistungen, die regelmässig von privaten Nachfragern für private Zwecke erworben 1968

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werden (insbesondere Leistungen des täglichen Bedarfs). Die Definition entspricht jener von Artikel I Buchstabe a GPA 2012 und lässt Raum für eine Beurteilung im Einzelfall. Soweit diese Leistungen im Hinblick auf einen Verkauf oder Wiederverkauf erworben werden, ist ihre Beschaffung ohnehin nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a von der Geltung des Gesetzesentwurfs ausgenommen. Werden gewerbliche Waren und Dienstleistungen indessen von der Auftraggeberin beansprucht («konsumiert»), ist eine Fristverkürzung möglich.

Art. 48

Veröffentlichungen

Abs. 1 Der Einsatz moderner Informationstechnologien verbessert die Transparenz des öffentlichen Beschaffungswesens und erleichtert den Marktzutritt. Sowohl im offenen als auch im selektiven Verfahren werden die Ausschreibung, der Zuschlag sowie der Abbruch auf einer gemeinsam von Bund und Kantonen betriebenen Internetplattform für öffentliche Beschaffungen publiziert. Zudem besteht auch in Bezug auf freihändig erteilte Zuschläge im Staatsvertragsbereich eine Publikationspflicht.

Mit der Erweiterung des Rechtsschutzes wird diese Publikationspflicht auf alle freihändigen Zuschläge ab dem Schwellenwert für das offene oder selektive Verfahren erweitert, dies unabhängig davon, ob Leistungen im Staatsvertragsbereich oder ausserhalb des Staatsvertragsbereichs beschafft werden. Keine Publikation erfolgt hingegen für freihändig erteilte Zuschläge, deren Auftragswert dem Einladungsverfahren zuzuordnen ist. Es besteht kein Anspruch auf Einladung und daher auch kein Interesse an der Publikation solcher Zuschläge. Aus dem gleichen Grund werden Zuschläge, die im Einladungsverfahren ergehen, nicht publiziert, sondern den teilnehmenden Anbieterinnen schriftlich eröffnet.

Da bei Beschaffungen gemäss Anhang 5 Ziffer 1 Buchstaben c und d kein Rechtsschutz besteht, kann bei freihändigen Zuschlägen solcher Leistungen von einer Publikation abgesehen werden.

Aufgrund der raschen Entwicklung im Bereich der Domainnamen und des EGovernment wird darauf verzichtet, die Publikationsplattform im Gesetz zu benennen. Heute ist das die Plattform «simap.ch»; sie steht in Deutsch, Französisch, Italienisch und weitgehend auch in Englisch zur Verfügung. Träger und Verantwortlicher von «simap.ch» ist der Verein für ein Informationssystem über das öffentliche Beschaffungswesen in der Schweiz. Der Bund sowie sämtliche Kantone sind Vereinsmitglieder und leisten Beiträge. Ausser dem Bund und allen Kantonen verwenden auch zahlreiche Städte und Gemeinden diese Internetplattform als Publikationsorgan. Die Vorgaben von Artikel VII Absatz 1 GPA 2012 werden damit eingehalten.

Abs. 2 Die Ausschreibungsunterlagen werden in der Regel zeitgleich mit der Ausschreibung und ebenfalls elektronisch zur Verfügung gestellt. Werden die Ausschreibungsunterlagen bei der Veröffentlichung der Ausschreibung gemäss Absatz 1 nicht auf der Internetplattform
öffentlich zugänglich gemacht, hat die Auftraggeberin die Unterlagen interessierten Anbieterinnen auf anderem Weg zur Verfügung zu stellen (z. B. als DVD, CD-ROM oder Hardcopy auf dem Postweg).

1969

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Werden die Ausschreibungsunterlagen zeitgleich mit der Ausschreibung auf der Internetplattform publiziert, nehmen die darin enthaltenen Festlegungen an derselben Publizitätswirkung teil. Sie sind daher nach Massgabe von Artikel 53 Absatz 2 zusammen mit der Ausschreibung anzufechten.

Der Zugang zu den Publikationen über Ausschreibungen und Zuschläge ist unentgeltlich.

Abs. 3 Weitere Leistungen der Plattformbetreiberin (z. B. Hinterlegung gewisser Eignungsnachweise, elektronische Ablage der Angebote, Abonnementsdienste und Supportoder andere Serviceleistungen), die über den Zugang zu Ausschreibungen und Ausschreibungsunterlagen hinausgehen, können kostenpflichtig sein. Zum Beispiel ist es denkbar, automatisierte Benachrichtigungen auf Ausschreibungen zu abonnieren (Push-Service). Oder es wird interessierten Anbieterinnen die Möglichkeit eröffnet, den Nachweis der Teilnahmebedingungen oder standardisierter Eignungskriterien (Handelsregisterauszug, Geschäftsbericht) auf der Plattform zu hinterlegen.

Für solche Dienstleistungen bzw. Nutzungen können Gebühren oder Entgelte erhoben werden, wobei deren Höhe dem Äquivalenzprinzip folgt.

Abs. 4 In Einklang mit Artikel VII Absatz 3 GPA 2012 wird vorgesehen, dass die Auftraggeberin im Staatsvertragsbereich eine Zusammenfassung der Ausschreibung in einer WTO-Amtssprache veröffentlichen muss, sofern die Ausschreibung nicht bereits in Französisch, Englisch oder Spanisch erfolgt. Die Vorgaben des GPA 2012 sehen zudem vor, dass diese Zusammenfassung zeitgleich mit der eigentlichen Ausschreibung zu veröffentlichen ist. Dies soll die Arbeit der Anbieterinnen vereinfachen und möglichen Sprachbarrieren entgegenwirken.

Abs. 5 Anliegen bezüglich Amtssprachen im öffentlichen Beschaffungswesen waren wiederholt Gegenstand von politischen Vorstössen.184 Daher soll der Grundsatz, dass den unterschiedlichen sprachlichen Verhältnissen in der Schweiz angemessen Rechnung getragen werden kann, auf Gesetzesstufe verankert werden. Der Bundesrat beabsichtigt, diesem Grundsatz möglichst pragmatisch und mit vernünftigem Aufwand nachzukommen. Zudem erklärt er sich bereit, aufgrund der Erfahrungen mit diesen Regelungen mittelfristig zu überprüfen, ob weitere Massnahmen angezeigt sind (vgl. Ziff. 1.2.5).

Abs. 6 Die Publikation des Zuschlags hat auch unter der Geltung des GPA 2012
innert maximal 72 Tagen nach dem Erlass der Zuschlagsverfügung zu erfolgen. Artikel XVI Absatz 2 GPA 2012 will eine minimale Transparenz über erfolgte Zuschläge garantieren. Demgegenüber hat sich beim Bund die Praxis eingebürgert, Zuschläge zeitgleich zu publizieren und individuell zu eröffnen. Eine Frist von 30 Tagen sollte im Regelfall genügen. Soweit neben den Angaben in den Buchstaben a-f die aus184

Vgl. Exkurs: Sprachanforderungen (Ziff. 1.2.5).

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schlaggebenden Merkmale und Vorteile des berücksichtigten Angebots publiziert werden, wird gleichzeitig den Anforderungen an die summarische Begründung des Zuschlags nach Artikel 51 Absatz 3 Genüge getan. Die Verfügung ist damit rechtsgenügend eröffnet (Art. 51 Abs. 1).

Art. 49

Aufbewahrung der Unterlagen

Abs. 1 und 2 Bereits in Artikel XX Absatz 4 GPA 1994 war eine Aufbewahrungsfrist von drei Jahren für «die Unterlagen zu sämtlichen Aspekten des Beschaffungsverfahrens» vorgesehen. Artikel XVI Absatz 3 GPA 2012 weist in die gleiche Richtung. Die Auftraggeberinnen können über diese staatsvertragliche Mindestfrist hinausgehen.

Von der Aufbewahrungspflicht erfasst werden alle Dokumente, welche den Ablauf des Verfahrens und die Rechtmässigkeit des Zuschlags nachvollziehbar dokumentieren. Die dreijährige Frist beginnt ab rechtskräftigem Abschluss des Vergabeverfahrens zu laufen, d. h. ab Rechtskraft des Zuschlagsentscheids oder der das Verfahren abschliessenden Verfügung.

In Bezug auf Angebote, denen der Zuschlag nicht erteilt wurde, ist die Auftraggeberin nicht zur Aufbewahrung verpflichtet. Es steht ihr vielmehr frei, die entsprechenden Unterlagen aufzubewahren, zurückzuschicken oder zu vernichten. Auch dies gilt nur, soweit es mit weitergehenden Bestimmungen betreffend die Aufbewahrungspflicht, die sich namentlich im Archivierungsgesetz vom 26. Juni 1998185, im Obligationenrecht bzw. im Ausführungsrecht dazu finden, vereinbar ist.

Der Hinweis auf die «Bereinigungsprotokolle» erfasst auch die Verhandlungsprotokolle, falls im Rahmen eines freihändigen Verfahrens nach Artikel 21 Absatz 2 Verhandlungen mit der Anbieterin geführt werden.

Abs. 3 Das Beschaffungsrecht ist von Beginn weg auf Transparenz ausgerichtet (öffentliche Ausschreibung, Publikation des Zuschlags usw.). Soweit das Gesetz nicht bereits eine Offenlegung bzw. Veröffentlichung vorsieht, unterliegen die aufzubewahrenden Unterlagen während ihrer Aufbewahrungsfrist der Geheimhaltung.

Mit der Geheimhaltungspflicht in Absatz 3 wird eine Sonderordnung im Sinne von Artikel 4 des Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 2004186 (BGÖ) vorgeschlagen. Das BGÖ will die Transparenz über den Auftrag, die Organisation und die Tätigkeit der Verwaltung fördern (Art. 1 BGÖ). Da viele Doppelspurigkeiten zu den Transparenzvorschriften des E-BöB bestehen, ist es mit Blick auf die Interessen der Anbieterinnen (z. B. Offert- und Vertragsinhalt) und zwecks Vermeidung erheblichen, keinen Mehrwert generierenden Aufwands gerechtfertigt, dass zu den nicht der Transparenz unterliegenden Beschaffungsunterlagen auch nach Abschluss eines Beschaffungsverfahrens kein
Zugang nach BGÖ gewährt wird.

Diese Regelung schützt nicht nur die berechtigten Erwartungen der Anbieterinnen, dass ihre Berufs-, Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse über den Zuschlag hinaus 185 186

SR 152.1 SR 152.3

1971

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generell geschützt werden, sondern auch den Wettbewerb. Umfassende Zugangsrechte zu Angebotsunterlagen oder Verträgen würden zu einem unerwünschten Preis- und Konditionenaustausch führen, der es den Zugangsberechtigten ermöglichen würde, den Wettbewerb zu manipulieren und künftige Angebote in ähnlichen Ausschreibungen entsprechend abzustimmen.

Zudem bleibt der Zugang zur Internetplattform für öffentliche Beschaffungen nach Artikel 48 Absatz 1 und zur Gesamtstatistik nach Artikel 50 Absatz 4 gewahrt.

Diese beiden Quellen erlauben die Kenntnisnahme und Bewertung der öffentlichen Beschaffungen. Müssten diese Quellen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundes zuhanden von Bürgerinnen und Bürgern oder Medienschaffenden fallweise ausgewertet und aufbereitet werden, müsste eine Vielzahl neuer Stellen für die Öffentlichkeitsarbeit geschaffen werden.

Weiter wird in Umsetzung der Motion 14.3045 Graf-Litscher auf Verordnungsstufe vorgesehen, künftig regelmässig eine Liste sämtlicher Beschaffungen ab einem Auftragswert von 50 000 Franken zu publizieren. Medienschaffende und andere Interessierte werden sich somit ohne Umweg über das (für die Verwaltung oft zeitund kostenintensive) Verfahren nach BGÖ informieren können, wofür die öffentlichen Mittel eingesetzt werden.

Art. 50

Statistik

Schon Artikel XIX Absatz 5 GPA 1994 sah vor, dass die Vertragsstaaten eine Statistik ihrer Beschaffungen führen. Solche Statistiken haben keinen Selbstzweck. Sie erlauben (auf aggregierter und anonymisierter Basis) eine Überprüfung der eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen.

Im EU-Recht sind Artikel 85 der Richtlinie 2014/24/EU187 sowie Artikel 101 der Richtlinie 2014/25/EU188 massgebend, wonach die statistische Berichterstattung alle drei Jahre erfolgen muss.

Die staatsvertraglichen Anforderungen an statistische Erhebungen der zentralen und subzentralen Vergabestellen sind je unterschiedlich. Artikel XVI Absatz 4 GPA 2012 normiert den Mindestinhalt. Die Berichte erstrecken sich jeweils auf ein Jahr und müssen innerhalb von zwei Jahren nach dem Ablauf des Berichtszeitraums eingereicht werden. Sie enthalten für die Auftraggeberinnen des Bundes:

187 188

­

Angaben zu Anzahl und Gesamtwert aller unterstellten Aufträge für sämtliche betroffenen Vergabestellen;

­

Angaben zu Anzahl und Gesamtwert aller unterstellten, von jeder Vergabestelle vergebenen Aufträge nach Waren- und Dienstleistungskategorie auf der Grundlage eines einheitlichen, international anerkannten Klassifikationssystems sowie

­

Angaben zu Anzahl und Gesamtwert aller unterstellten, von jeder Vergabestelle freihändig vergebenen Aufträge.

Siehe Fussnote [40].

Siehe Fussnote [41].

1972

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Abs. 1 Der Entwurf sieht vor, dass die Auftraggeberin ­ auch die Sektorenauftraggeberinnen ­ innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf eines Kalenderjahrs zuhanden des SECO eine Statistik über die Beschaffungen des Vorjahrs im Staatsvertragsbereich erstellt. Statistiken der übrigen Beschaffungen wären sehr aufwendig und von geringem Zusatznutzen. Daher wird darauf verzichtet. Die Statistik wird elektronisch geführt und periodisch dem Ausschuss für das öffentliche Beschaffungswesen (Art.

XXI GPA 2012) übermittelt. Absatz 1 ist so zu verstehen, dass die jeweiligen Auftraggeberinnen für ihren Bereich die entsprechenden Daten sammeln, eine Statistik vorbereiten und dem SECO zukommen lassen.

Abs. 2 Artikel XVI Absatz 4 GPA 2012 verlangt eine Gliederung der Statistik nach Massgabe der Auftraggeberinnen (Anhang I Annexe 1­3) sowie eines international anerkannten Klassifikationssystems (namentlich der CPC- oder CPV-Klassifikation).

Indem auch für subzentrale Auftraggeberinnen und für Sektorenauftraggeberinnen Angaben zur Auftragsart sowie zu den freihändigen Vergaben im Staatsvertragsbereich aufgenommen werden, geht die Schweiz über die staatsvertraglichen Transparenzpflichten hinaus.

ProvCPC ist die offizielle Nomenklatur der UNO, auf die die WTO referenziert. Die CPV-Klassifikation wird von der EU verwendet und hat sich auch in der schweizerischen Vergabepraxis etabliert. Die Statistik der Beschaffungen durch Auftraggeberinnen des Bundes enthält neben den Angaben zur Anzahl und zum Gesamtwert der Aufträge eine Gliederung in die verschiedenen CPV-Klassierungen (Bst. a). Zudem werden Anzahl und Gesamtwert aller öffentlichen Aufträge erfasst, die im freihändigen Verfahren vergeben werden (Bst. b).

Abs. 3 Üblicherweise wird im Beschaffungsrecht (sowohl bei der Bestimmung des Auftragswerts als auch bei der Bewertung der Angebotspreise) der Auftragswert exklusive der gesetzlich vorgeschriebenen Mehrwertsteuer betrachtet. In Abweichung zu dieser Praxis enthält die Statistik jeweils den Gesamtwert inklusive Mehrwertsteuer.

Dadurch werden die Gesamtkosten von Beschaffungen ersichtlich, da den meisten Auftraggeberinnen kein Vorsteuerabzug zusteht. Hoheitliche, d. h. nicht gewerbliche Aufgaben sind nämlich nicht mehrwertsteuerpflichtig.

Abs. 4 Das SECO veröffentlicht die Gesamtstatistik unter Vorbehalt des
Datenschutzes und der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen. Die Gesamtstatistik gibt Auskunft über die Beschaffungen des Bundes, der Sektorenauftraggeberinnen und der Kantone. Sie kann ausser den Mindestangaben gemäss Absatz 2 weitere Informationen enthalten, zum Beispiel die Verteilung der Zuschläge auf die Sprachregionen und die Zuschlagsempfängerinnen.

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8. Kapitel: Rechtsschutz Wie bereits das GPA 1994 regelt auch das GPA 2012 in Artikel XVIII, dass die Vertragsstaaten «zügige, wirksame, transparente und nichtdiskriminierende Überprüfungsverfahren auf Verwaltungs- oder Gerichtsebene» festlegen, welche rasch greifende vorsorgliche Massnahmen vorsehen, damit die Anbieterinnen Beschwerde gegen behauptete Rechtsverletzungen erheben können. Artikel XX GPA 1994 regelt das Überprüfungsverfahren nur rudimentär und überlässt das Feld weitgehend dem innerstaatlichen Recht. Das GPA 2012 ist diesbezüglich präziser und stellt die Rechtsstellung der Anbieterinnen in den Vordergrund. Artikel XVIII Absatz 7 GPA 2012 überlässt es dem Ermessen der Vertragsstaaten zu bestimmen, ob einer Beschwerde gegen einen Vergabeentscheid aufschiebende Wirkung zukommt oder nicht (ebenso Art. XX Abs. 7 GPA 1994). Diese Grundsätze (zügige, wirksame, transparente und nichtdiskriminierende Überprüfungsverfahren) sind für alle Beschaffungen im Staatsvertragsbereich verbindlich.

Nach geltendem Recht sind Verfügungen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs nicht mit Beschwerde anfechtbar (Art. 39 VöB). Mit Blick auf die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) stellt sich die Frage, ob nicht alle Verfügungen anfechtbar sein sollten und damit bereits ab einem Auftragswert von 1 Franken Rechtsschutz gewährt werden sollte. Dagegen sprechen Kosten- und Effizienzgründe, die in einem Spannungsfeld zum Rechtsschutzbedürfnis der Anbieterinnen stehen. Ein Rechtsschutz bei sämtlichen öffentlichen Aufträgen würde zu deutlich höheren administrativen Aufwendungen und zu Verzögerungen des Beschaffungsprozesses, jedoch kaum zu mehr Wettbewerb führen. Dies stünde im Widerspruch zum Grundsatz des wirtschaftlichen Einsatzes der öffentlichen Mittel.

Im Vernehmlassungsentwurf wurde vorgeschlagen, den Rechtsschutz zu erweitern und künftig den Zugang zum Gericht bereits ab dem für das Einladungsverfahren massgebenden Schwellenwert zu öffnen, um so zu einer Harmonisierung mit dem für die Kantone geltenden Recht beizutragen (vgl. vorne Ziff. 1.3). Zu diesem Zweck wurde ein einfaches und rasches Verfahren diskutiert, das vor dem Einzelrichter stattfinden würde und innert 60 Tagen abgeschlossen wäre. Der Grundsatz einer Erweiterung des Rechtsschutzes wurde von einer grossen Mehrheit der Adressaten (insbesondere Wirtschafts-
und Industrieverbände) begrüsst. Allerdings fanden sich hinsichtlich der Einführung eines bisher unbekannten Verfahrens kritische Stimmen. Nach der Vernehmlassung wurde daher eine Abwägung zwischen den in der Vernehmlassung vertretenen Interessen der Wirtschaft und den Beschleunigungsüberlegungen der bundesnahen Unternehmen vorgenommen: Auch mit Blick auf die zeitaufwendigen Rechtsschutzverfahren und die erhöhten Sparvorgaben des Parlaments wurden die Beschleunigungsüberlegungen höher gewichtet und wird der nun vorgelegten Lösung eines feststellenden Rechtsschutzes ausserhalb des Staatsvertragsbereichs der Vorzug gegeben. Auf die Einführung eines einfachen und raschen Verfahrens wird verzichtet.

Gemäss Gesetzesentwurf wird für Beschaffungen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs der sogenannte Sekundärrechtsschutz gewährt (Art. 52 Abs. 2). Beschwerdeführer sind bei diesen Vorhaben berechtigt, vom Bundesverwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit vergaberechtlicher Entscheide feststellen zu lassen und Schadenersatz für ihre nutzlosen Offertaufwendungen zu verlangen. Damit wird der Rechts1974

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schutz im Vergleich zum geltenden Recht massvoll erweitert. Gleichzeitig wird einer zu Unrecht nicht berücksichtigten Anbieterin ein Anspruch auf das Erfüllungsinteresse, d. h. den ihr aus dem Abschluss und der Erfüllung des Beschaffungsvertrags erwachsenden Nutzen, verwehrt. Dies bedeutet im Vergleich zum oben beschriebenen einfachen und raschen Verfahren zwar eine Einschränkung des Rechtsweges, stellt jedoch in erster Linie eine materiell-rechtliche Beschränkung der klagbaren Schadenpositionen dar. Trotz der feststellenden Natur wird ein Beschwerdeentscheid eine darüber hinaus wirkende Bedeutung erlangen und für die Praxis der Vergabestellen wegleitend sein. Dieses Konzept ist auch im Binnenmarktrecht vorgesehen (vgl. Art. 9 Abs. 2bis und 3 BGBM).

Allenfalls wäre für den Bundesrat ­ unter Berücksichtigung des Harmonisierungsziels ­ aber auch der im Vernehmlassungsentwurf vorgeschlagene Rechtsweg vertretbar.

In Bezug auf Beschaffungen von Leistungen, die für Verteidigungs- und Sicherheitszwecke unerlässlich sind, sowie von Leistungen im Rahmen der internationalen Entwicklungshilfe, die zwar dem Gesetz, nicht aber dem Staatsvertragsbereich unterstellt sind, wird eine Ausnahme statuiert; bei ihnen besteht kein Rechtsschutz (Art. 52 Abs. 5).

Art. 51

Eröffnung von Verfügungen

Abs. 1 Die Eröffnung der Ausschreibung, des Zuschlags (auch freihändige Zuschläge ab dem für das offene oder selektive Verfahren massgebenden Schwellenwert, Art. 48 Abs. 1) sowie des Abbruchs erfolgt durch Publikation, sofern diese Verfügungen nach Artikel 52 mit Beschwerde anfechtbar sind. Werden diese Verfügungen (fakultativ) vor der Publikation individuell eröffnet, läuft die Frist nach Artikel 56 Absatz 1 ab der individuellen Eröffnung, sonst ab der Publikation. Alle anderen Verfügungen werden nach Wahl der Auftraggeberin entweder individuell oder durch Publikation auf der Internetplattform eröffnet. Infolge des speziellen Charakters des Verfahrens und des Schutzes der Geschäftsgeheimnisse der Anbieterinnen besteht im Verfügungsverfahren kein Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Artikel 26­33 VwVG finden im erstinstanzlichen Vergabeverfahren keine Anwendung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz dürfte dort angezeigt sein, wo eine Anbieterin nach Artikel 44 vom Verfahren ausgeschlossen wird. Davon abgesehen wird der Gehörsanspruch der Anbieterinnen durch die verschiedenen Interaktionen im Laufe eines Vergabeverfahrens ausreichend geschützt.

Abs. 2 Das Staatsvertragsrecht schreibt die summarische Begründung des Zuschlags lediglich auf Ersuchen einer Anbieterin vor (Art. XVI Abs. 1 GPA 2012). Zudem ist in der Publikation des Zuschlags im freihändigen Verfahren immer auch eine kurze Begründung beizufügen (Art. XVI Abs. 2 Bst. f GPA 2012). Die mindestens zehntägige Beschwerdefrist nach Artikel XVIII Absatz 3 GPA 2012 beginnt erst mit der summarischen Begründung zu laufen. Der blosse Hinweis, wonach der Zuschlag dem wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt wurde, genügt nicht. Allerdings kann 1975

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eine mangelhafte Begründung im Beschwerdeverfahren unter Umständen geheilt werden.189 Beschwerdefähige Verfügungen werden summarisch begründet. Als Teil der Begründung des Zuschlags sind z. B. die Gründe darzulegen, weshalb das Angebot der Zuschlagsempfängerin mit Rücksicht auf die Zuschlagskriterien den anderen Angeboten überlegen ist. Diese Begründung soll die unterlegenen Anbieterinnen in die Lage versetzen, den Zuschlagsentscheid in den Grundzügen nachvollziehen zu können.

Falls die Publikation einer Verfügung auf der Internetplattform von Artikel 48 keine summarische Begründung enthält, wird die Beschwerdefrist nach Artikel 56 nicht ausgelöst. Die Frist beginnt dann ab der individuellen Eröffnung des summarisch begründeten Entscheids zu laufen.

Als Ergänzung zur summarischen Begründung sehen Auftraggeberinnen regelmässig ein «Debriefing» mit den Anbieterinnen vor. Der Anstoss zu einem Debriefing kann von der Anbieterin oder von der Auftraggeberin kommen. Das Debriefing soll es den unterlegenen Anbieterinnen ermöglichen, die Gründe für ihre Nichtberücksichtigung besser zu verstehen, sodass unnötige Beschwerden nach Möglichkeit vermieden werden können.

Abs. 3 Der Mindestinhalt der Zuschlagsbegründung wird für Aufträge im Staatsvertragsbereich von Artikel XVI Absatz 1 GPA 2012 vorgegeben. Jede Anbieterin hat Anspruch auf Kenntnis der Gründe, aus denen ihr Angebot nicht berücksichtigt wurde, sowie der relativen Vorteile des Angebots der erfolgreichen Anbieterin. Im Rahmen der Zuschlagsverfügung wird man sich auf die ausschlaggebenden Merkmale und die Vorteile des berücksichtigten Angebots (Bst. c) beschränken, wobei dessen Gesamtpreis (Bst. b) wenn möglich inklusive all seiner Optionen anzugeben ist. Im individuellen Debriefing können auch die relativen Schwächen der Angebote der unterlegenen Anbieterinnen zur Sprache kommen.

Abs. 4 Angebote auf öffentliche Ausschreibungen enthalten oft Geschäftsgeheimnisse der Anbieterinnen. Daher ist die Einsicht in die Konkurrenzofferten nur sehr eingeschränkt möglich. In gleicher Weise sind Geschäftsgeheimnisse im Rahmen der summarischen Begründung und des Debriefings zu schützen. Diese und weitere Verweigerungsgründe sind bereits in Artikel XVII Absatz 3 GPA 2012 enthalten.

Art. 52

Beschwerde

Abs. 1 Der Zugang zum Gericht steht bei Beschaffungsvorhaben betreffend Lieferungen und Dienstleistungen ab dem für das Einladungsverfahren massgebenden Schwellenwert offen, bei Bauleistungen ab dem Schwellenwert für das offene oder selektive Verfahren. Das gilt auch bei freihändigen Vergaben aufgrund eines Ausnahme189

Vgl. BVGer B-2675/2012 vom 23. Juli 2012, E. 3.

1976

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tatbestands nach Artikel 21 Absatz 2. Dieser massvolle Ausbau des Rechtsschutzes ist insbesondere der im Jahr 2007 in die Verfassung aufgenommenen Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) geschuldet. Ein allfälliger Mehraufwand der Rechtspflegeorgane wird durch die rechtsstaatliche Funktion der Beschwerdeverfahren, die auch präventiv wirken, aufgewogen.

Anhang 4 E-BöB setzt den Schwellenwert bei 150 000 Franken an. Bei Bauleistungen kann ab dem für das offene (oder selektive) Verfahren massgebenden Schwellenwert (ab 2 Mio. Fr.) Beschwerde geführt werden, unabhängig davon ob es sich um Beschaffungen von Auftraggeberinnen nach Artikel 4 Absatz 1 oder von Sektorenauftraggeberinnen handelt. Die je nach Auftragsart unterschiedlichen Schwellenwerte für öffentliche Ausschreibungen und Rechtsschutz gehen auf das Bestreben zurück, «Bagatellverfahren» auf allen Stufen zu vermeiden. Die für die öffentlichen Ausschreibungen massgeblichen Schwellenwerte werden beibehalten und durch die Erweiterung des Rechtsschutzes nicht tangiert.

Im Hinblick auf den Rechtsschutz spielt es keine Rolle, ob der Auftrag von einer Auftraggeberin nach Artikel 4 Absatz 1, einer Sektorenauftraggeberin nach Artikel 4 Absatz 2 oder einer beauftragten Beschaffungsstelle nach Artikel 4 Absatz 4 vergeben wurde. Ebenso ist es unmassgeblich, ob eine Vergabe im Staatsvertragsbereich oder ausserhalb desselben Streitgegenstand bildet; diese Unterscheidung wird erst für die im Rahmen einer Beschwerde zulässigen Rechtsbegehren (Primär- vs. Sekundärrechtsschutz) relevant. Zuständig für Beschwerden gegen Verfügungen der Auftraggeberinnen ist auf Bundesebene (d. h. bei Beschaffungsvorhaben, die nach Massgabe des BöB ausgeschrieben werden) das Bundesverwaltungsgericht.

Unter bestimmten Voraussetzungen (Erreichen der staatsvertraglichen Schwellenwerte und Beurteilung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung) können Urteile des Bundesverwaltungsgerichts innert 30 Tagen mit Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht weiter gezogen werden (Art. 83 Bst. f, 85 und 100 Abs. 1 BGG). Der Beschwerde an das Bundesgericht kommt ­ wie derjenigen ans Bundesverwaltungsgericht ­ grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zu (Art. 103 BGG). Die Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat ist ausgeschlossen (Art. 74 VwVG).

Abs. 2 Bei Aufträgen
ausserhalb des Staatsvertragsbereichs kann künftig Beschwerde geführt werden mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit einer anfechtbaren Verfügung gemäss Artikel 53 Absatz 1 festzustellen (sog. Sekundärrechtsschutz). Mit dem Feststellungsbegehren kann neu ein Schadenersatzbegehren verbunden werden, wobei sich der Anspruch auf die erforderlichen Offertaufwendungen beschränkt (Art. 58 Abs. 3 und 4). Auch hier gelten die Schwellenwerte nach Absatz 1.

Anordnungen nach Artikel 53 Absatz 1 Buchstabe i (Verhängung einer Sanktion) und Buchstabe j (Rückerstattung von Entgelten und die Preisreduktion als Folge einer Preisüberprüfung) lassen sich durch Feststellungsbegehren nicht angemessen korrigieren. Daher werden für diese Verfügungen auch kassatorische und reformatorische Anträge zugelassen. Beschwerden gegen Verfügungen nach Buchstabe i sind zudem auch unterhalb der Schwellenwerte von Absatz 1 zulässig (Art. 53 Abs. 4).

1977

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Werden ausländische Anbieterinnen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs zum Angebot zugelassen, können sie nur den Rechtsweg beschreiten, wenn der Staat, in dem sie ihren Sitz haben, Gegenrecht gewährt.

Abs. 3 und 4 Für Beschaffungen des Bundesstrafgerichts, des Bundespatentgerichts und der Bundesanwaltschaft ist das Bundesverwaltungsgericht die zuständige Beschwerdeinstanz (Abs. 1). Gegen Verfügungen im Zusammenhang mit Beschaffungen des Bundesverwaltungsgerichts kann direkt beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden. Für Beschwerden gegen Beschaffungen des Bundesgerichts soll eine interne Rekurskommission des Bundesgerichts bestellt werden.

Abs. 5 Kein Rechtsschutz besteht bei Beschaffungen von Leistungen, die für Verteidigungs- und Sicherheitszwecke unerlässlich sind, sowie von Leistungen im Bereich der internationalen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit, der humanitären Hilfe sowie der Förderung des Friedens und der menschlichen Sicherheit. Diese Beschaffungen erfolgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs. Eine Beschwerde bei Rüstungsbeschaffungen wäre bereits aus sicherheitspolitischen Gründen (Akteneinsicht) nicht zu verantworten. Auch andere Gründe (Unabhängigkeit, Erhaltung der schweizerischen Rüstungsindustrie, mangelnde Justiziabilität militärischer Strategien) stehen dem Rechtsweg entgegen.

Auf internationaler Ebene besteht die Tendenz, die internationale Zusammenarbeit ganz vom Anwendungsbereich des öffentlichen Beschaffungsrechts auszunehmen.

Aufträge z. B. in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe sind immer von der politischen Situation im Empfängerland abhängig. Der Ruf der Schweiz als zuverlässige Partnerin in den Empfängerländern ist in diesem sensiblen Bereich zentral, und der Erfolg der Projekte hängt oft nicht zuletzt vom Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern sowie von diversen weichen Faktoren ab. Ein Beschwerderecht würde zu einem erheblichen Mehraufwand für Programmverantwortliche und Vergabestellen führen, der im Bereich der internationalen Zusammenarbeit nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Mehrwert der gerichtlichen Überprüfung stünde.

Auch aus wirtschafts- und verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten wäre die Gewährleistung des Rechtschutzes in diesem spezifischen Bereich für die Erfüllung der Ziele der Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit nicht zielführend.

Art. 53

Beschwerdeobjekt

Abs. 1 Die Beschwerdeobjekte werden in Absatz 1 abschliessend aufgezählt. Weitere Zwischenverfügungen können nicht selbstständig angefochten werden, auch wenn sie (aus Sicht der Beschwerdeführenden) einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bedeuten. Insbesondere sogenannte Parkierungsschreiben, nach denen die Offerte einer Anbieterin bis zum Zuschlagsentscheid nicht weiter geprüft wird, sind nicht bzw. erst mit dem Endentscheid, d. h. dem Zuschlag anfechtbar.

1978

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Die Ausschreibung (Bst. a) umfasst auch deren Berichtigung. Während der Entscheid über die Auswahl der Anbieterinnen im selektiven Verfahren angefochten werden kann (Bst. b), gilt dies nicht in Bezug auf die im Rahmen eines Einladungsverfahrens (Art. 20) eingeladenen Anbieterinnen. Bei dieser Auswahl ist die Auftraggeberin frei. Es besteht kein Rechtsanspruch auf Einbezug in das Einladungsverfahren. Nicht zum Angebot eingeladene Anbieterinnen sind daher nicht legitimiert, die Ausschreibungsunterlagen oder den im Einladungsverfahren erteilten Zuschlag anzufechten. Ebenfalls nicht anfechtbar sind Ausschreibungsunterlagen, die nicht gleichzeitig mit der Ausschreibung zur Verfügung stehen.

Anfechtbar sind jedoch Entscheide, ob eine Anbieterin in ein Verzeichnis aufgenommen oder aus einem solchen wieder entfernt wird (Bst. c). Auch Entscheide über Ausstandsbegehren unterliegen der Anfechtung (Bst. d) ­ diese Anfechtungsmöglichkeit kann zum Beispiel relevant sein, wenn die Veranstalterin von Planungsoder Gesamtleistungswettbewerbs das Preisgericht jeweils mit denselben Personen besetzt. Dies gilt sinngemäss im Bereich des Studienauftrags. Ein Zuschlag (Bst. e) kann unabhängig davon angefochten werden, ob er im offenen, selektiven oder freihändigen Verfahren190 oder im Einladungsverfahren ergeht. Der Ausschluss aus dem Verfahren (Bst. h) umfasst auch die Reduktion der Anbieterinnen im Rahmen eines Dialogs oder einer elektronischen Auktion, sofern ein solcher Ausschluss durch separat eröffnete Zwischenverfügung erfolgt. Ebenfalls wehren können sich Anbieterinnen, die nach behördlicher Einsichtnahme (Art. 59) dazu verpflichtet wurden, Vergütungen zurückzuerstatten oder Preise zu reduzieren (Bst. j).

Abs. 2 Es entspricht dem Gebot der Fairness und der Verfahrenseffizienz, dass Einwendungen gegen Anordnungen in der Ausschreibung sofort gerügt werden müssen. Mit anderen Worten darf eine Anbieterin mit der Beschwerde gegen den Zuschlag keine Rügen mehr vorbringen, die sie bereits mit einer Beschwerde gegen die Ausschreibung hätte vorbringen können. Diesbezüglich hat sie bei Verzicht auf eine Anfechtung ihr Beschwerderecht verwirkt.

Etwas schwieriger gestaltet sich die Rechtslage bei Anordnungen, die nicht in der Ausschreibung selbst, sondern in den Ausschreibungsunterlagen enthalten sind.

Diese können nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung als «integrierender Bestandteil der Ausschreibung» betrachtet werden191 (anders noch die Praxis der ehemaligen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen192 sowie die aktuelle Praxis des Bundesverwaltungsgerichts).

Zum einen entspricht es einem Bedürfnis der öffentlichen Auftraggeberin, die Anbieterinnen auf Anordnungen zu behaften, wenn sie diese nicht sofort in Frage stellen. Dazu dient u. a. die Rügeobliegenheit der am Verfahren teilnehmenden Anbieterinnen (als Ausfluss des Verhaltens nach Treu und Glauben). Zum andern sollen die Anbieterinnen aus der öffentlichen Ausschreibung erkennen können, ob ein publizierter Auftrag für sie interessant ist.

190 191 192

Vgl. BGE 137 II 313, E. 2.3.

Vgl. BGE 129 I 313, E. 6.2; BGer-Urteil 2C_225/2009 vom 16. Okt. 2009, E. 4.2.

Vgl. BRK 2001-011 vom 16. Nov. 2001, E. 3b.

1979

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Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfolgen Rügen daher verspätet, soweit Bedeutung und Tragweite der fraglichen Anordnung der Auftraggeberin bereits zu einem früheren Zeitpunkt ohne Weiteres erkennbar waren.

Immerhin gilt diese Praxis nur dann, wenn nicht ungewöhnliche «Spielregeln» ohne ausdrücklichen Verweis in die Ausschreibungsunterlagen aufgenommen werden.

Einer Anbieterin kann nicht zugemutet werden, diese Unterlagen bereits zu einem frühen Zeitpunkt einer umfassenden Rechtsprüfung zu unterziehen.193 Sind Anordnungen und ihre Tragweite indessen bei pflichtgemässer Sorgfalt erkennbar, so sind diesbezügliche Rügen gegen den Zuschlagsentscheid auch dann verwirkt, wenn die Anordnungen in den Ausschreibungsunterlagen und nicht in der Ausschreibung enthalten waren.

Abs. 3 Vergaberechtliche Sanktionen wie der Ausschluss haben strafähnlichen Charakter.

Daher können die an Beschleunigung und Rechtssicherheit orientierten Spezialvorschriften des Beschaffungsrechts nicht unbesehen übertragen werden. Der Rechtsschutz der Sanktionierten ist höher zu gewichten.

Folglich finden bei Beschwerden gegen die Verhängung einer Sanktion nach Artikel 45 die Bestimmungen dieses Gesetzes zum rechtlichen Gehör im Verfügungsverfahren (Art. 51 Abs. 1), zur aufschiebenden Wirkung (Art. 54) und zur Beschränkung der Beschwerdegründe (Art. 56 Abs. 3) keine Anwendung. Stattdessen gilt das Verwaltungsverfahrensrecht.

Abs. 4 Unabhängig vom Auftragswert steht der Rechtsweg immer dann offen, wenn eine Anbieterin aus einem Verzeichnis gestrichen oder in ein solches aufgenommen wird oder wenn sie nach Artikel 45 sanktioniert wird, z. B. durch einen Ausschluss von künftigen Aufträgen.

Abs. 5 In Beschaffungsverfahren mit einem Auftragswert, der unterhalb des Schwellenwerts für ein Einladungsverfahren (Lieferung und Dienstleistungen) bzw. des offenen oder selektiven Verfahrens (Bauleistungen) liegt, besteht kein Rechtsschutz. Die (direkten und indirekten) Kosten gerichtlicher Überprüfungsverfahren solcher Vergaben übersteigen deren Nutzen regelmässig. Daher besteht kein Bedarf an einem weiter gehenden Rechtsschutz.

Die Rechtsweggarantie der Verfassung (Art. 29a BV) steht diesem Ausschluss nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei Beschaffungen nicht um «Actes de Gouvernement». Jedoch schliesst bereits
eine vergaberechtliche Besonderheit den Rechtsschutz bei Bagatellbeschaffungen aus. Wenn es sowohl völkerrechtlich als auch binnenrechtlich zulässig ist, eine Leistung freihändig (nicht unter einem Ausnahmetatbestand, sondern nach pflichtgemässem Ermessen) zu beschaffen und eine Ermessensüberprüfung ausgeschlossen ist, dann bleibt kein Raum für ein Beschwerdeverfahren.

193

Vgl. BVGer B-738/2012 vom 14. Juni 2012, E. 3.1 und 4.4.

1980

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Abs. 6 Mit dem rechtskräftigen Zuschlag eines Rahmenvertrags wird das Vergabeverfahren abgeschlossen. Das Verhältnis zwischen Auftraggeberin und Zuschlagsempfängerin ist anschliessend rein privatrechtlicher Art. Erfolgt unter mehreren Zuschlagsempfängerinnen ein Abrufverfahren, steht nicht berücksichtigten Rahmenvertragspartnerinnen der Beschwerdeweg nach Artikel 53 nicht offen. Sind sie mit einem Entscheid beim Abrufverfahren nicht einverstanden, können sie sich ans Zivilgericht wenden.

Art. 54

Aufschiebende Wirkung

Gemäss Artikel 55 VwVG hat die Verwaltungsbeschwerde aufschiebende Wirkung.

Die Nichtgewährung des Suspensiveffekts als Abweichung vom VwVG muss daher auf Gesetzesstufe geregelt werden.

Abs. 1 Artikel XVIII Absatz 7 GPA 2012 überlässt es dem Ermessen der Vertragsstaaten zu bestimmen, ob dem Überprüfungsverfahren ein automatischer Suspensiveffekt zukommt oder nicht. Dagegen sprechen primär Praktikabilitätsüberlegungen. Würde eine Beschwerde automatisch die Vollstreckbarkeit des Zuschlagsentscheids aufschieben und den Vertragsabschluss bis zum Entscheid der Beschwerdeinstanz verhindern, so bestünde die Gefahr von Verzögerungen und erheblicher Mehrkosten bei der Beschaffung.194 Ebenso unvorteilhaft würde sich die Situation für die berücksichtigte Anbieterin auswirken. Bereits das geltende Recht sieht daher von diesem Automatismus ab (Art. 28 Abs. 1 BöB).

Soweit Aufträge ausserhalb des Staatsvertragsbereichs im Streit liegen, stellt sich die Frage nach der Gewährung der aufschiebenden Wirkung von vornherein nicht. Da das Gesetz nur Feststellungs- und Schadenersatzbegehren zulässt, bleibt kein Raum für die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Würde trotzdem ein entsprechendes Gesuch gestellt, müsste es in allen Fällen abgelehnt werden. Eine Ausnahme bilden Fälle, bei denen die Zugehörigkeit zum Staatsvertragsbereich den Streitgegenstand bildet.

Eine Ausnahme besteht bei Beschwerden gegen die Verhängung einer Sanktion (Art. 53 Abs. 1 Bst. i). Nach Massgabe von Artikel 53 Absatz 3 gilt die allgemeine Regel des VwVG (Art. 55 Abs. 1), wonach diesen Beschwerden von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt, ohne dass es eines Gesuchs bedarf.

Abs. 2 Einem Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung wird von den Gerichten bei Aufträgen im Staatsvertragsbereich regelmässig superprovisorisch bis zur Stellungnahme der Auftraggeberin stattgegeben. Während des Superprovisoriums darf kein Vertrag geschlossen und keine den Zuschlagsentscheid präjudizierende Handlung vorgenommen werden. Nach Eingang der Stellungnahme wird über die Aufrechterhaltung des Massnahmenentscheids verfügt.

194

Vgl. BVGer B-4904/2013 vom 29. Okt. 2013, E. 3.

1981

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Wird die aufschiebende Wirkung beantragt, werden in der Praxis im Sinne einer prima-facie-Würdigung anhand der Akten als Erstes die Erfolgschancen der Beschwerde geprüft. Bei offensichtlich unbegründeten Beschwerden wird die aufschiebende Wirkung verweigert. In allen anderen Fällen, d. h. wenn die Beschwerde nicht aussichtslos ist oder Zweifel darüber bestehen, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Kriterien für den Entscheid, ob die aufschiebende Wirkung gewährt wird, sind einerseits die Interessen der beschwerdeführenden Partei an der Aufrechterhaltung der Möglichkeit, den Zuschlag zu erhalten. Anderseits sind die öffentlichen Interessen, welche die Auftraggeberin wahrnimmt, zu berücksichtigen, wobei dem öffentlichen Interesse an einer möglichst raschen Umsetzung des Vergabeentscheids ein erhebliches Gewicht zukommt. In die Abwägung miteinzubeziehen sind auch allfällige Interessen Dritter, namentlich der übrigen an einem Beschaffungsgeschäft Beteiligten. Zugleich besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Gewährung effektiven Rechtsschutzes sowie an der Verhinderung von Vorkehren, welche das Rechtsmittel illusorisch werden lassen.195 Abs. 3 Wird einer Beschwerde aufschiebende Wirkung erteilt, kann sich das Beschaffungsvorhaben um Monate oder Jahre verzögern. Eine Verzögerung ist auch dann zu gewärtigen, wenn ein Gericht den Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung letztlich abweist. Aufgrund der Praxis der Gerichte, jeden Antrag superprovisorisch zu schützen und in Dreierbesetzung nach doppeltem Schriftenwechsel zu entscheiden, führen auch unbegründete Anträge zu Projektverzögerungen.

Ein Antrag um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ist dann rechtsmissbräuchlich oder treuwidrig, wenn er einzig in der Absicht gestellt wird, die Vollstreckbarkeit des Zuschlagsentscheids hinauszuzögern. Eine solche Absicht sollte u. a. dann geprüft werden, wenn eine Beschwerdeführerin bereits Leistungen für die Auftraggeberin erbringt und mit ihrer Beschwerde einzig verhindern will, dass ein Wettbewerber, der berechtigterweise den Zuschlag erhalten hat, neu an ihre Stelle tritt.

Durch dilatorische Gesuche können sowohl der Auftraggeberin als auch der Zuschlagsempfängerin, die gewisse Ressourcen vorhalten muss, Schaden erwachsen.

Es rechtfertigt sich daher, rechtswidriges prozessuales
Verhalten zu sanktionieren.

Zu diesem Zweck sieht Absatz 5 einen Ersatzanspruch vor, der von den Zivilgerichten nach Massgabe von Artikel 41 OR zu beurteilen ist.

Ein Anspruch nach Artikel 41 OR kann nur dann mit Erfolg erhoben werden, wenn der Berechtigte die Verletzung einer Schutznorm nachweist. Absatz 3 stellt eine solche Schutznorm dar und erlaubt eine Liquidierung von Schäden, die aus missbräuchlichem oder treuwidrigem prozessualem Verhalten resultieren.

Art. 55

Anwendbares Recht

Das Verfügungs- und das Beschwerdeverfahren richten sich für den Bund nach den Bestimmungen des VwVG, soweit die Bestimmungen im vorliegenden Gesetz nichts Abweichendes anordnen. Mit Rücksicht auf die Einheit des Verwaltungsver195

Vgl. BVGer B-4904/2013 vom 29. Okt. 2013, E. 3.

1982

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fahrens werden Abweichungen von den allgemeinen Regeln nur dort vorgesehen, wo sie im Hinblick auf das Vergabeverfahren unbedingt erforderlich sind. Auf Beschwerden gegen die Verhängung einer Sanktion (Art. 53 Abs. 1 Bst. i) finden die einschränkenden Bestimmungen des Gesetzes zum rechtlichen Gehör, zur aufschiebenden Wirkung und zu den Beschwerdegründen keine Anwendung (Art. 53 Abs. 3).

Art. 56

Beschwerdefrist, Beschwerdegründe und Legitimation

Abs. 1 Artikel XVIII Absatz 3 GPA 2012 verlangt eine ausreichende Frist für die Vorbereitung und Einreichung einer Beschwerde. Die Frist muss mindestens zehn Tage ab dem Zeitpunkt betragen, zu dem der Anlass der Beschwerde bekannt ist oder vernünftigerweise bekannt sein sollte. Der Anlass für die Beschwerde erschöpft sich nicht in der Tatsache, dass eine Anbieterin nicht für den Zuschlag berücksichtigt wurde. Vielmehr wird Kenntnis der wesentlichen Entscheidgründe vorausgesetzt.

Die Länge der Frist wird einerseits begrenzt durch das Beschleunigungsgebot und das Bestreben, den Beschaffungsvorgang zeitnah abzuschliessen. Anderseits besteht bei zu kurzer Frist das Risiko unbegründeter «Spontanbeschwerden». Diese lassen sich meist durch ein professionelles Debriefing (dessen Organisation und Durchführung ebenfalls ein paar Tage Zeit benötigt) verhindern. In Abwägung aller Umstände scheint eine Frist von 20 Tagen als angemessen, womit die heutige Regelung (Art. 30 BöB) übernommen wird.

Abs. 2 Weder für das Verfügungs- noch für das Beschwerdeverfahren in Vergabesachen gelten Gerichtsferien. Damit laufen die Fristen unbesehen allfälliger Sperrzeiten.

Dieser Grundsatz hatte bisher nur im Bereich der vorsorglichen Massnahmen (aufschiebende Wirkung der Beschwerde) allgemeine Geltung. Neu soll er ­ im Einklang mit zahlreichen kantonalen Regelungen ­ für das gesamte Verfahren gelten.

Abs. 3 Im Beschwerdeverfahren sind die Rügen auf Rechtsverletzungen und Ermessensfehler (Über- und Unterschreitung sowie Missbrauch des Ermessens der Auftraggeberin) bzw. auf unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts beschränkt. Die Unangemessenheit einer Verfügung kann im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht werden ­ womit die Regelung im geltenden Artikel 31 BöB beibehalten wird. Beispielsweise ist ein Zuschlag dann rechtswidrig, wenn eine Anbieterin aus Gründen ihrer Herkunft nicht berücksichtigt wird.

Weiter kann eine dem Gesetz widersprechende Ausschreibung gerügt werden, sei es, dass formale Voraussetzungen nicht erfüllt sind, sei es, dass eine falsche Gewichtung der Kriterien erfolgt. Die Überprüfung der Angemessenheit des Zuschlags, insbesondere des Bewertungsvorgangs, ist hingegen (mangels Justiziabilität technischer und wirtschaftlicher Kriterien) nicht möglich.

1983

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Abs. 4 Die einzigen Rügen, die im freihändigen Verfahren nach Artikel 21 vorgebracht werden können, betreffen die Wahl des falschen Verfahrens sowie einen unter Korruption erfolgten Zuschlag. Auch diese Rügen setzen indessen voraus, dass die Beschwerdeführerin glaubhaft macht, die streitgegenständlichen Leistungen erbringen zu können.

Art. 57

Akteneinsicht

Bei der Frage nach dem Einsichtsrecht in Unterlagen geraten zwei Grundsätze des Beschaffungsrechts in Konflikt. Einerseits gefährdet eine zu weit gehende Akteneinsicht den lauteren Wettbewerb und damit die Gleichbehandlung der Anbieterinnen, anderseits ist eine gewisse Transparenz für einen effektiven Rechtsschutz unabdingbar. Dieser Konflikt wird gelöst, indem je nach Verfahrensstand das Akteneinsichtsrecht unterschiedlich weitgehend gewährt wird.

Abs. 1 Für das Vergabeverfahren (Verfügungsverfahren) wird das Akteneinsichtsrecht gemäss den Artikeln 26­28 VwVG wie bisher explizit ausgeschlossen. Dies rechtfertigt sich im Hinblick auf die Geschäftsgeheimnisse und den Schutz des wirksamen Anbieterwettbewerbs.

Abs. 2 Das Akteneinsichtsrecht kommt erst im Beschwerdeverfahren zum Tragen. Es setzt ein Gesuch der Beschwerdeführerin voraus und beschränkt sich auf die Einsichtnahme in die Bewertung ihres Angebots und in weitere entscheidrelevante Verfahrensakten. Die besondere Interessenlage, die bereits im Verfügungsverfahren bestand, gilt es auch hier zu beachten. Insbesondere sind Rechte Dritter angemessen und wirksam zu schützen, etwa durch Schwärzung der Passagen, die Geschäftsgeheimnisse enthalten.

Art. 58

Beschwerdeentscheid

Abs. 1 Das Gericht kann in der Sache selbst entscheiden oder den Streitgegenstand mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz oder an die Auftraggeberin zurückweisen. Es wird von Fall zu Fall entscheiden müssen, welches Vorgehen sich im betreffenden Verfahren als geeignet erweist. Bei Feststellungsbegehren wird das Gericht stets selber entscheiden; eine Rückweisung ist dort undenkbar. Leidet ein Entscheid an unheilbaren formellen Mängeln, werden eine Aufhebung der angefochtenen Verfügung durch die Beschwerdeinstanz und die Anordnung der Wiederholung der Ausschreibung von dem Zeitpunkt an, an dem der Fehler seinen Anfang nahm, kaum zu vermeiden sein. Eine Zuschlagserteilung an die Beschwerdeführerin wird nur in liquiden Fällen möglich sein. Bedarf es zusätzlicher Abklärungen des Sachverhalts, bleibt wiederum nur die Rückweisung.

1984

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Rückweisungsentscheide sind nach Massgabe von Artikel 93 BGG anfechtbar, wenn die weiteren Voraussetzungen nach Artikel 83 Buchstabe f BGG gegeben sind. Die Auftraggeberin als Adressatin des Rückweisungsentscheids ist zur Beschwerde an das Bundesgericht befugt, ohne die besonderen Voraussetzungen der Behördenbeschwerde nachweisen zu müssen (Art. 89 Abs. 2 Bst. a BGG).

Abs. 2 Bei Aufträgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs bildet ein Feststellungsentscheid die Regel (es sei denn, Beschwerdeobjekt ist eine Verfügung gemäss Art. 53 Abs. 1 Bst. i und j). Er kommt auch dann in Betracht, wenn ein Vertrag bereits abgeschlossen wurde und das Gericht anschliessend eine Beschwerde gegen den Zuschlag gutheisst. Es stellt damit die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung fest (sog. Sekundärrechtsschutz). Die Aufhebung des Zuschlags, der bereits durch einen privatrechtlichen Vertrag vollzogen wurde, kann von vornherein nicht zum Ziel führen. Der Beschwerdeinstanz ist ein direkter Eingriff in den privatrechtlichen Vertrag mangels Zuständigkeit verwehrt. Die Gültigkeit oder Ungültigkeit eines privatrechtlichen Vertrages ist durch die Zivilgerichte zu beurteilen.

Der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren bleibt immer die Möglichkeit, Schadenersatz geltend zu machen. Wurde der Vertrag (bei Aufträgen im Staatsvertragsbereich) verfrüht geschlossen oder ging dem Vertragsabschluss zu Unrecht keine Ausschreibung bzw. kein Einladungsverfahren voraus, kann das Gericht die Auftraggeberin unter Umständen anweisen, den Vertrag nach Massgabe der darin enthaltenen Bestimmungen auf den nächsten vertraglich zulässigen Zeitpunkt hin zu kündigen und den Beschaffungsgegenstand ordentlich dem Wettbewerb zu unterstellen, sofern die Leistungen nicht mit internen Ressourcen der Auftraggeberin erbracht werden.196 Abs. 3 Bisher waren Schadenersatzbegehren im Rahmen des Sekundärrechtsschutzes in einem separaten Verfahren nach Massgabe des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958197 (VG) zu verfolgen. Neu erlaubt Absatz 3 der Beschwerdeführerin eine «adhäsionsweise» Beurteilung des Ersatzbegehrens vor der gleichen Instanz.

Dadurch werden Doppelspurigkeiten und unnötige Transaktionskosten vermieden.

Die Anspruchsvoraussetzungen entsprechen weiterhin denjenigen des VG. Voraussetzung für eine Behandlung im Rahmen des
Beschwerdeentscheids bildet, dass das Schadenersatzbegehren liquid ist.

Abs. 4 Die Beschränkung der Ersatzforderung, die bereits unter geltendem Recht bekannt ist, wird beibehalten. Ersetzt werden lediglich die Offertkosten, d. h. die der Anbieterin im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Einreichung des Angebots erwachsenen Kosten. Dies umfasst nicht das gesamte negative Interesse. Weitere Schadenspositionen können von der Beschwerdeinstanz nicht zugesprochen werden.

Da das Beschaffungsrecht keinen Kontrahierungszwang kennt, kann insbesondere 196

Verwaltungsgericht VD, Urteil GE.2007.0013 vom 6. Nov. 2009, E. 5. Vgl. auch den Entscheid des BGer, 2C_388/2012 vom 30. Aug. 2012.

197 SR 170.32

1985

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kein Ersatz des Erfüllungsinteresses gewährt werden ­ auch nicht in einem nachträglichen Verfahren nach VG.

9. Kapitel: Einsichtsrecht Art. 59 Werden Aufträge im freihändigen Verfahren oder aufgrund einer Ausnahmebestimmung vergeben, so ist ihre Kostenäquivalenz mangels Anbieterwettbewerb ungewiss. Als quid pro quo bzw. Ausgleich für das Fehlen einer Vergabe im Wettbewerb sieht Artikel 5 VöB in solchen Fällen bereits heute die Pflicht vor, mit Anbieterinnen ein Einsichtsrecht in ihre Kalkulationsgrundlagen vertraglich zu vereinbaren.

Diese Regelung hat sich im Grundsatz bewährt, wird jedoch im Rahmen der Vernehmlassung seitens Wirtschaft abgelehnt. Gestützt auf die Empfehlung der FinDel wird vorgeschlagen, das Einsichtsrecht und die Preisprüfung in Monopolsituationen im Gesetz zu statuieren.

Abs. 1 Diese Bestimmung übernimmt die Regelung von Artikel 5 Absatz 1 VöB, wonach die Anbieterin bei fehlendem Wettbewerb (namentlich bei freihändigen Vergaben) ein Einsichtsrecht in ihre Preiskalkulation zu gewähren hat. Neu ist keine separate Vereinbarung zwischen der Auftraggeberin und der Anbieterin mehr erforderlich; das Einsichtsrecht gilt direkt gestützt auf das Gesetz. Es soll sicherstellen, dass die öffentliche Hand Leistungen auch abseits vom Wettbewerbsdruck zu wirtschaftlichen Bedingungen einkaufen kann. Die Grundlagen für eine allfällige Überprüfung des Preises sind das finanzielle und betriebliche Rechnungswesen der Anbieterin oder der Subunternehmerin sowie die darauf basierende Vor- oder Nachkalkulation des Vertragspreises (inkl. Preisanpassungs- und Preisgleitformeln). Die Kalkulation weist die Selbstkosten in der branchenüblichen Gliederung, Risikozuschläge sowie den Gewinn aus.

Abs. 2 Stellt sich im Rahmen der Überprüfung heraus, dass der vereinbarte Preis unangemessen ist, wird die Pflicht zur Rückerstattung und künftigen Preisreduktion mittels einer selbstständig anfechtbaren Verfügung (Art. 53 Abs. 1 Bst. i) durchgesetzt.

Nicht möglich ist es hingegen, aufgrund des Resultats der Überprüfung den Preis zu erhöhen. Die Einzelheiten sind in der Verordnung geregelt. Verletzt eine Anbieterin ihre Pflichten im Zusammenhang mit der behördlichen Einsicht, droht ihr ein bis zu fünfjähriger Ausschluss von künftigen Beschaffungsverfahren (Art. 45 Abs. 1).

Abs. 3 entspricht der heutigen Praxis. Bei
der Übertragung der Aufgabe an eine ausländische Stelle handelt sich um einen Akt der internationalen Amtshilfe.

Der Begriff «Finanzinspektorat» soll im Rahmen der anstehenden Revision des Finanzkontrollgesetzes vom 28. Juni 1967198 durch «Stelle für interne Revision» ersetzt werden.

198

SR 614.0. Botschaft des Bundesrates vom 7. Sept. 2016, BBl 2016 7117. Sofern diese Revision vor dem Inkrafttreten des revidierten BöB in Kraft tritt, ist Artikel 59 im Rahmen der parlamentarischen Beratung entsprechend anzupassen.

1986

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Abs. 4 ermächtigt den Bundesrat, Ausnahmen zum Einsichtsrecht gemäss Absatz 1 sowie weitere Einzelheiten wie die Preisprüfung zu regeln.

Abs. 5 Das Einsichtsrecht der Auftraggeberin erstreckt sich auf sämtliche Akten der Anbieterin, die als Grundlage für die Preisbildung dienen. Unter Umständen könnten auch Dritte gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) Zugang zu diesen Akten erhalten, die in der Regel diverse Berufs-, Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisse enthalten. Obwohl der Zugang Dritter zu solchen Geheimnissen nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe g BGÖ im Einzelfall eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden kann, ist allein die Möglichkeit eines Zugangs aufgrund des BGÖ geeignet, die Zusammenarbeit zwischen dem zuständigen Finanzinspektorat oder der EFK und der Anbieterin zu beeinträchtigen und die Arbeit der Prüfstelle zu erschweren. Daher wird vorgeschlagen, hinsichtlich der Preisprüfung eine generelle Ausnahme im Sinne von Artikel 4 Buchstabe a BGÖ zu schaffen. Dies fördert die Akzeptanz eines gesetzlich geregelten Einsichtsrechts und ist auch mit Blick auf die finanziellen Interessen der Auftraggeberin an der Rückerstattung überhöhter Preise sachgerecht und verhältnismässig.

10. Kapitel: Kommission Beschaffungswesen Bund-Kantone Art. 60 Die Kommission Beschaffungswesen Bund-Kantone (KBBK) wurde im Zuge der Ratifikation des GPA 1994 mit Beschlüssen des Bundesrates vom 4. Dezember 1995 und 3. April 1996 sowie mit Beschluss der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) vom 21. Juni 1996 ins Leben gerufen. Sie ist eine ausserparlamentarische Kommission, welche paritätisch durch Vertreter und Vertreterinnen des Bundes und der Kantone zusammengesetzt und von einem Mitglied der Direktion des für die aussenwirtschaftlichen Verhandlungen zuständigen SECO präsidiert wird. Die Kantone stellen das Vizepräsidium. Im Zuge der Gesamterneuerungswahlen 2016­ 2019 hat der Bundesrat am 5. Dezember 2014 eine Einsetzungsverfügung erlassen.

Die KBBK leitet ihre Legitimität und ihren Tätigkeitsbereich von den eigenständigen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Kantone im öffentlichen Beschaffungswesen ab. Ihr übergeordneter Auftrag besteht darin, die kohärente Umsetzung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens auf allen Stufen sicherzustellen.
Ihr Kompetenzbereich wurde anlässlich der Verabschiedung des Abkommens Schweiz­EU im Hinblick auf die Umsetzung des Artikels 8 des Abkommens Schweiz­EU ins nationale Beschaffungsrecht erweitert. Seit Inkrafttreten des Abkommens Schweiz­EU fungiert die Kommission als unabhängige Überwachungsbehörde. Auf Bundesebene erfolgte die Umsetzung auf der Grundlage von Artikel 68a68d VöB. Auf Kantonsebene erfolgte die Umsetzung über Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe e, g und h IVöB. Die KBBK verfügt über ein vom Bundesrat am 30. November 2001 und vom InöB am 13. September 2001 verabschiedetes Geschäftsreglement.

1987

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Vor diesem Hintergrund ist die KBBK insbesondere mit folgenden Aufgaben betraut: ­

Ausarbeitung der Position der Schweiz in internationalen Gremien des öffentlichen Beschaffungswesens;

­

Beratung der Schweizer Delegationen bei internationalen Verhandlungen über das öffentliche Beschaffungswesen und Sicherstellung der angemessenen Umsetzung der Verhandlungsresultate;

­

Förderung des Informations- und Erfahrungsaustauschs zwischen dem Bund und den Kantonen über Fragen, die die Umsetzung der internationalen Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, ihre Anwendung und Überwachung beim Bund und in den Kantonen betreffen, u. a. durch die Ausarbeitung von Empfehlungen bei voller Wahrung der jeweiligen Zuständigkeiten (Gesetzgebung, Rechtsprechung, Entscheidungs- und Überwachungsbefugnisse);

­

Gewährleistung des Zugangs zu Informationen über relevante Gesetzesvorschriften im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens auf Stufe Bund und Kantone für interessierte Kreise, sofern nicht andere Bundes- oder Kantonsstellen für diese Informationen zuständig sind;

­

Pflege internationaler Kontakte zu Überwachungsbehörden im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens;

­

Beratung und Vermittlung in Einzelfällen bei Anständen im Zusammenhang mit Geschäften gemäss dem oben erwähnten Tätigkeitsbereich.

Die KBBK kann, sofern gegen die Verletzung internationaler Verpflichtungen kein Rechtsmittel ergriffen wurde, bei der zuständigen Behörde des Bundes oder der Kantone auf Anzeige einer Anbieterin oder von sich aus im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Aufsichtsbeschwerde einreichen, sofern die zuständige Auftraggeberin keine Abhilfe schafft.

Gemäss Artikel 7 des Geschäftsreglements erstattet die KBBK dem Bundesrat und der BPUK zuhanden des InöB jährlich Bericht.

Mit der Umsetzung des GPA 2012 sowie mit der Einbindung des Abkommens Schweiz­EU und der Freihandelsabkommen in revidierte und angeglichene Beschaffungsgesetzgebungen auf den Stufen des Bundes und der Kantone bietet sich die Gelegenheit einer harmonisierten gesetzlichen Einbettung der KBBK. Hiermit wird ein weiterer Beitrag zur Angleichung und zur verbesserten Transparenz der Beschaffungsgesetzgebungen des Bundes und der Kantone geleistet.

11. Kapitel: Schlussbestimmungen Art. 61

Vollzug

Abs. 1 und 2 Die Vorlage enthält eine Ermächtigung des Bundesrates, unter Beachtung der massgebenden Staatsverträge (insbesondere GPA, Abkommen Schweiz-EU, Freihandels1988

BBl 2017

abkommen) Ausführungsvorschriften zu erlassen. Er kann den Erlass von Ausführungsbestimmungen zur Statistik einer Verwaltungseinheit, beispielsweise dem SECO oder dem Bundesamt für Bauten und Logistik, übertragen.

Abs. 3 enthält die gesetzliche Grundlage für die Beteiligung des Bundes am Verein «simap.ch».

Art. 62

Aufhebung und Änderung anderer Erlasse

Gemäss Anhang 7 Ziffer I wird das geltende BöB aufgehoben. Ziffer II enthält die Änderungen folgender Bundesgesetze: 1. Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968199 (VwVG) Der im VwVG vorgesehene Stillstand der Fristen gilt bereits nach geltendem Recht nicht für Verfahren betreffend die aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen. Um unnötige Verzögerungen von Beschaffungsvorhaben zu vermeiden, soll diese Regelung auf Verfahren betreffend öffentliche Beschaffungen ausgedehnt werden.

2. Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005200 (BGG) Die moderate Ausweitung des Rechtsschutzes im Beschaffungsrecht des Bundes erfordert eine Anpassung des BGG.

3. Subventionsgesetz vom 5. Oktober 1990201 (SuG) Das SuG gilt als Spezialgesetz im Sinn von Artikel 9 E-BöB. Die vorgeschlagenen Anpassungen des SuG dienen somit zur Klärung der Anwendung von Artikel 9 E-BöB (bzw. Art. 8 Abs. 2 VE-BöB), wie dies von einzelnen Vernehmlassungsteilnehmern gefordert worden ist.

Wenn eine öffentliche Aufgabe an privatrechtliche Empfänger übertragen werden soll und mehrere geeignete Anbieter zur Verfügung stehen, ist ein transparentes, objektives und unparteiisches Auswahlverfahren erforderlich. Um dies sicher zu stellen wird Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe e SuG mit einer neuen Ziffer 1 ergänzt.

Ausserdem sind im Spezialgesetz neu auch die Rechtsform der Übertragung (Verfügung oder öffentlich rechtlicher Vertrag), die Anforderungen im Hinblick auf die Aufgabenübertragung und der Rechtsschutz zu regeln. Besteht keine Regelung zum Rechtsschutz, kommen die entsprechenden subventionsrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung (Art. 10 Abs. 1 Bst. e Ziff. 2 SuG).

Zahlreiche bestehende Spezialerlasse enthalten jedoch noch keine oder nur ungenügende Bestimmungen zum Auswahlverfahren. In solchen ungeregelten Fällen erweist sich das Vergabeverfahren als das geeignete Mittel. Da die Übertragung von öffentlichen Aufgaben primär im SuG geregelt ist, entstehen bei der gleichzeitigen Anwendung des Beschaffungsrechts verschiedene Schnittstellen, die es zu regeln gilt. Entsprechend verweist Artikel 15b SuG in Bezug auf das Auswahlverfahren auf 199 200 201

SR 172.021 SR 173.110 SR 616.1

1989

BBl 2017

die Bestimmungen des BöB ausserhalb des Staatsvertragsbereichs (Abs. 1), während die Publikation des Auswahlverfahrens im Bundesblatt erfolgt (Abs. 2). Der Rechtsschutz richtet sich nach den Bestimmungen des SuG (Abs. 2), so auch die Übertragung und die Abgeltung nach einem rechtskräftig abgeschlossenen Auswahlverfahren (Abs. 3).

Analog zur Regelung der Kantone in Artikel 45 Absatz 5 E-IVöB können auch beim Bund Finanzhilfen ganz oder teilweise entzogen oder zurückgefordert werden, wenn bei deren Verwendung gegen das Beschaffungsrecht verstossen wird (Art. 30 Abs.

2bis SuG). Der Verstoss kann sowohl Regeln des Bundes als auch der Kantone betreffen.

4. Eisenbahngesetz vom 20. Dezember 1957202 (EBG) Der neue Artikel 5 Absatz 5 EBG stellt eine spezialgesetzliche Norm im Sinn von Artikel 9 E-BöB dar und schliesst die Anwendung des Beschaffungsrechts im Zusammenhang mit Infrastrukturkonzessionen aus.

5. Personenbeförderungsgesetz vom 20. März 2009203 (PBG) Artikel 6 Absatz 5 PBG stellt klar, dass die Erteilung von Personenbeförderungskonzessionen nicht als öffentlicher Auftrag im Sinn von Artikel 9 E-BöB gilt.

6. Binnenmarktgesetz vom 6. Oktober 1995204 (BGBM) Die zur Revision des Bundesrechts parallel laufende Totalrevision der IVöB (EIVÖB) bedingt Anpassungen des Binnenmarktgesetzes Diese Anpassungen sind erforderlich, damit das Ziel der materiellen Harmonisierung der Beschaffungsrechte von Bund und Kantonen erreicht werden kann. Zudem sollen Doppelspurigkeiten zwischen dem BGBM und der E-IVÖB ausgeräumt werden, ohne aber die heute durch das BGBM gewährleisteten Mindeststandards und die heutigen Vollzugsaufgaben der WEKO im Bereich des kantonalen und kommunalen Beschaffungswesens zu verändern. Einzig die Rechtsschutzgarantie erfährt im Hinblick auf die Vereinheitlichung der beim Bund und bei den Kantonen geltenden Regelungen eine materielle Anpassung.

Art. 5 Abs. 1 dritter Satz BGBM Aufgrund der Vorarbeiten zu diesem Gesetz kann man davon ausgehen, dass die Kantone eine neue Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (E-IVöB) abschliessen werden, die mit dem revidierten BöB inhaltlich weitestgehend übereinstimmt. Damit kann man auch annehmen, dass kantonale oder kommunale Entscheide, die sich auf die E-IVöB stützen, die Vorgaben des BGBM einhalten. Dem soll mit einer
gesetzlichen Vermutung in Artikel 5 Absatz 1 BGBM Rechnung getragen werden.

Diese Vermutung bezieht sich nicht etwa auf Tatsachen (wie die Vermutung auf die Beseitigung wirksamen Wettbewerbs nach Art. 5 Abs. 3 und 4 KG), sondern auf die 202 203 204

SR 742.101 SR 745.1 SR 943.02

1990

BBl 2017

Rechtsfolge. Die Vermutung ändert nichts an der unmittelbaren Anwendbarkeit von Artikel 5 BGBM. Die WEKO überwacht weiterhin die Einhaltung von Artikel 5 und Artikel 2 Absatz 7 BGBM durch Kantone, Gemeinden und andere Träger kantonaler und kommunaler Aufgaben (Art. 8 Abs. 1 BGBM) und kann zur Durchsetzung dieser Bestimmungen unter anderem Beschwerde führen (Art. 9 Abs. 2bis BGBM).

Diese Vollzugspraxis hat sich bewährt und wird mit dieser Revision nicht berührt (BGE 141 II 113; BGE 141 II 307). Das Gericht wird im Beschwerdefall neu aber vorfrageweise klären, ob die Vermutungsbasis nach Artikel 5 Absatz 1 BGBM gegeben ist oder nicht.

Die Vermutung tritt nur ein, wenn sich eine Beschaffung oder die Übertragung einer Monopolnutzung auf die E-IVöB abstützt; dies setzt voraus, dass die E-IVöB korrekt angewendet worden ist. Trifft dies zu, so kann mit Blick auf die generellabstrakte BGBM-Konformität des gegenwärtig vorliegenden Entwurfs für die E-IVöB angenommen werden, dass die Anforderungen des BGBM erfüllt sind.

Verstösst eine Beschaffung oder die Übertragung einer Monopolnutzung jedoch gegen die E-IVöB, so tritt die Vermutungswirkung nicht ein und das Vergabeverfahren wird direkt nach den Anforderungen des BGBM geprüft. In der Praxis der WEKO wird sich damit der Fokus zwar in einem ersten Schritt jeweils auf die Handhabung der IVöB richten, dies aber nur im Sinn der Klärung einer Vorfrage.

Stützt sich etwa eine freihändige Vergabe formell auf die E-IVöB ab, ohne aber die Voraussetzungen der E-IVöB für eine freihändige Vergabe zu erfüllen, so fehlt es an der Vermutungsbasis und die Vergabe kann in einem zweiten Schritt nach BGBM geprüft werden. Bei dieser Prüfung muss die WEKO wie bisher gegenüber der Rechtsmittelinstanz begründen, dass die Vergabe das BGBM verletzt. So wird sichergestellt, dass die WEKO weiterhin gegen binnenmarktschädliche Vergaben vorgehen kann.

Ferner ist von Bedeutung, dass es sich um eine widerlegbare Vermutung handelt.

Die Vermutung kann widerlegt werden, wenn sich herausstellt, dass eine mit der E-IVöB an sich konforme Vergabe gegen das BGBM verstösst, etwa, weil eine Änderung der IVöB zu einer Inkompatibilität mit dem BGBM geführt hat. In diesem Fall wäre in erster Linie die BGBM-Konformität einer E-IVöB-Bestimmung zu prüfen.

Art. 9 Abs. 1 BGBM Nach der geltenden
Fassung sind Beschränkungen des freien Zugangs zum Markt, insbesondere im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens, in der Form einer anfechtbaren Verfügung zu erlassen. Diese Vorschrift wird nur marginal geändert.

Der Grundsatz, dass Beschränkungen des freien Zugangs zum Markt in Form einer Verfügung vorgenommen werden, wird beibehalten. Es ist jedoch nicht erforderlich, dies mit Blick auf öffentliche Beschaffungen besonders zu betonen, zumal der Rechtsschutz in solchen Fällen mit der Ergänzung von Absatz 2 präzisiert wird.

Abgesehen davon ergibt sich die Anfechtbarkeit von Verfügungen auch aus dem kantonalen Recht über die Verwaltungsrechtspflege.

1991

BBl 2017

Art. 9 Abs. 2 zweiter Satz BGBM Nach Artikel 9 Absatz 2 BGBM muss das kantonale Recht für Beschränkungen des freien Zugangs zum Markt wenigstens ein Rechtsmittel an eine verwaltungsunabhängige Behörde vorsehen. In einem konkreten Fall stellte sich die Frage, ob dies bei öffentlichen Beschaffungen unabhängig vom Wert des Beschaffungsgegenstandes (also auch für Bagatellfälle) gelte. Das Bundesgericht gelangte im Entscheid 131 I 137 («Sigriswil») zum Ergebnis, die fragliche Vorschrift sei nicht so zu verstehen. Das kantonale Recht könne den Rechtsschutz z. B. vom Erreichen bestimmter Schwellenwerte abhängig machen. Der Rechtsschutz müsse aber in gewissen Fällen auch unabhängig vom Erreichen der Schwellenwerte bestehen. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Transparenz soll diese Rechtsprechung in Artikel 9 Absatz 2 BGBM positiviert werden. In erster Linie muss demnach der Rechtsschutz gewährt werden, wenn die Schwellenwerte für das Einladungsverfahren erreicht oder überschritten werden (Bst. a). Sodann muss ein Rechtsschutz gegen Entscheide über die Aufnahme in oder die Streichung eines Anbieters aus einem Verzeichnis sowie gegen Sanktionsentscheide gewährt werden (Bst. b). Schliesslich muss mit einer Beschwerde auch geltend gemacht werden können, ein Auftrag sei nach den massgebenden Vorschriften öffentlich auszuschreiben (Bst. c); damit können namentlich Fälle angefochten werden, bei denen zweifelhaft ist, ob eine Vergabe zur Recht im freihändigen Verfahren erfolgt ist.

Art. 63

Übergangsbestimmung

Ein Beschaffungsverfahren dauert in der Regel längere Zeit. Aus Praktikabilitätsgründen soll bei Beschaffungen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes eingeleitet wurden, das anwendbare Recht nicht ändern. Das neue Recht ist somit erst auf Beschaffungsverfahren anwendbar, in denen nach seinem Inkrafttreten eine öffentliche Ausschreibung, eine Einladung oder ein freihändiger Zuschlag erfolgt. Massgebend ist jeweils der Zeitpunkt der Publikation oder der individuellen Eröffnung.

Das revidierte Gesetz ist somit anwendbar auf Zusatz- und Folgeaufträge, die nach seinem Inkrafttreten vergeben werden. Dies gilt auch, wenn die Vergabe des ursprünglichen Auftrags nach altem Recht erfolgt ist.

Auch beim Abschluss von Rahmenverträgen (Art. 25) ist die Verfahrenseinleitung massgebend. Das Vergabeverfahren gilt mit dem Zuschlag für den Rahmenvertrag als abgeschlossen; der Bezug der einzelnen Leistungen erfolgt gemäss den Vorgaben des Obligationenrechts.

Sollte in einem pendenten Verfahren nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes ein Entscheid auf Ausschluss oder Abbruch getroffen werden, müsste dieser Entscheid nach altem Recht angefochten werden.

Art. 64

Referendum und Inkrafttreten

Abs. 1 und 2 Gegen das Gesetz kann das fakultative Referendum ergriffen werden (Abs. 1). Die Revisionsverhandlungen zum GPA wurden im März 2012 abgeschlossen. In der Regel werden internationale Abkommen innert eines Jahres, spätestens jedoch innerhalb von 24 Monaten im Landesrecht umgesetzt. Allerdings nimmt die mit der 1992

BBl 2017

Umsetzung des GPA 2012 angestrebte parallele Harmonisierung der nationalen Beschaffungserlasse ebenfalls Zeit in Anspruch. Der Bundesrat wird entscheiden, wann der Erlass in Kraft tritt (Abs. 2). Falls die Interkantonale Vereinbarung, mit der die Kantone das GPA 2012 umsetzen, nicht gleichzeitig mit diesem Gesetz in Kraft treten kann, wird der Bundesrat das Inkrafttreten der Änderungen des BGBM aufschieben.

Anhänge Der Gesetzesentwurf enthält insgesamt 7 Anhänge.

In den Ziffern 1 der Anhänge 1­3 sind die Bauleistungen (Anhang 1), Lieferungen (Anhang 2) und Dienstleistungen (Anhang 3) im Staatsvertragsbereich aufgeführt.

Anhang 1: In Bezug auf die dem Staatsvertragsbereich unterstellten Bauleistungen gibt es keine Änderung.

Anhang 2: Auch hinsichtlich der von den allgemeinen Auftraggeberinnen (Art. 4 Abs. 1) und Sektorenauftraggeberinnen (Art. 4 Abs. 2) beschafften Lieferungen im Staatsvertragsbereich ändert sich nichts, da schon nach bisherigem Recht sämtliche Waren bzw. Güter auf der Positivliste aufgeführt sind.

Zu den mit «Verteidigung und Sicherheit beauftragten Auftraggeberinnen» zählen nebst militärischen Auftraggeberinnen insbesondere auch die im Bereich Polizei, Grenzwache und Zivilschutz tätigen Einheiten und Institutionen (wie fedpol, Grenzwachtkorps, Bundesamt für Bevölkerungsschutz). Im Vergleich zum bisherigen Recht wurde die Liste des von diesen Auftraggeberinnen beschafften zivilen Materials für Verteidigung und Sicherheit erweitert. Wenn für den Zivilschutz sicherheits- oder verteidigungsrelevante Beschaffungen getätigt werden müssen, sind diese auch abgedeckt.

Anhang 3: Eine Erweiterung erfuhr auch der Katalog der Dienstleistungen. Neu unterstellt sind Dienstleistungen im Bereich ­

Hotellerie- und andere ähnliche Beherbergungsdienstleistungen

­

Restauration und Verkauf von an Ort zu konsumierenden Getränken

­

Dienstleistungen von Reisebüros und Reiseorganisatoren

­

Dienstleistungen von Immobilienmaklern auf Honorar- oder Vertragsbasis

­

Miet- oder Leasingdienstleistungen von Maschinen und Ausrüstung, ohne Führer

­

Beratungsdienstleistungen auf dem Gebiet des Rechts des Herkunftslandes und des Völkerrechts

­

Steuerberatung

­

Verpackungsdienstleistungen

­

Beratung im Bereich Forstwirtschaft

Anhang 4 nennt die massgeblichen Schwellenwerte im und ausserhalb des Staatsvertragsbereichs sowie die jeweils anwendbaren Verfahren. Es liegt im pflichtgemässen Ermessen der öffentlichen Auftraggeberin, ob sie ein höherrangiges Verfahren 1993

BBl 2017

anwenden will und sich beispielsweise im Sinne eines breiteren Wettbewerbs bei unterschwelligen Beschaffungen, d. h. bei Beschaffungen unterhalb der staatsvertraglichen Vorgaben, für ein Einladungsverfahren statt für eine freihändige Vergabe entscheidet.

Anhang 5 gibt einen Überblick über die öffentlichen Aufträge ausserhalb des Staatsvertragsbereichs und welche Sonderbestimmungen dabei anwendbar sind.

In Anhang 6 sind die Kernübereinkommen der ILO aufgelistet. Ihre Einhaltung ist eine Mindestvoraussetzung, wenn Leistungen im Ausland erbracht werden (Art. 12 Abs. 2). Im Vergleich zum seit 2010 geltenden Verordnungsrecht gibt es keine materielle Änderung. Diverse Vernehmlassungsteilnehmende hatten vorgeschlagen, den Anhang mit zusätzlichen elementaren ILO-Übereinkommen sowie (ähnlich der Regelung in den EU-Richtlinien) mit massgeblichen Umweltschutzabkommen zu ergänzen. Darauf wird angesichts des von den GPA-Mitgliedstaaten anvisierten Arbeitsprogramms zur nachhaltigen Beschaffung zurzeit verzichtet.

Anhang 7 führt die mit der vorgeschlagenen Totalrevision des BöB einhergehenden Änderungen anderer Erlasse auf (vgl. Erläuterungen zu Art. 62).

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle Auswirkungen

a) Grundsätzlicher Mehraufwand Die Auswirkungen der Revision auf Verwaltung und Wirtschaft wurden mittels der Studie zur Abschätzung der Regulierungsfolgen (RFA) 205 geschätzt. Die RFA kommt zum Schluss, dass die Revision einen leicht höheren administrativen Aufwand für die Bundesstellen zur Folge haben wird. Vor allem in der Initialphase, nach Inkrafttreten des revidierten Gesetzes, ist mit einem erhöhten Aufwand für die Vergabestellen zu rechnen (Schulungen, Beratungen, einheitliche Umsetzung etc.).

Zudem wird erwartet, dass die moderate Erweiterung des Rechtsschutzes Zusatzaufwand nach sich ziehen wird. Dieser wird aufgrund einer etwas höheren Anzahl von Beschwerden und Rechtsfällen vermutet; dies als Folge des über den Staatsvertragsbereich hinaus massvoll erweiterten Rechtsschutzes, des grundsätzlich erweiterten Geltungsbereichs des Gesetzes, der tendenziellen Zunahme von öffentlichen Ausschreibungen und entsprechend steigenden Zahl von beschwerdefähigen Verfügungen. Immerhin ist dank des gewählten Modells (sog. Sekundärrechtsschutz) keine Verzögerung bei Beschaffungsgeschäften ausserhalb des Staatsvertragsbereichs zu gewärtigen. Auch die Flexibilisierung des Vergabeprozesses, etwa die Einführung neuer Beschaffungsinstrumente wie elektronische Auktionen, wird Kosten mit sich bringen. Die aus der Revision resultierenden Kosten hängen stark vom konkreten Vollzug ab und lassen sich nicht abschliessend quantifizieren. Der 205

Regulierungsfolgenabschätzung: Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen, durchgeführt von B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung Basel (18. Jan. 2016).

1994

BBl 2017

überwiegende Teil dieser sich ergebenden Mehrkosten muss im gesamten Bundeshaushalt aufgefangen werden.

Administrativer Aufwand fällt bei den Vergabestellen des Bundes auch aufgrund der Umsetzung eines politischen Vorstosses206 an, wonach neu alle Beschaffungen ab einem Auftragswert von 50 000 Franken jährlich publiziert werden müssen. Die jährlichen Mehrkosten für die erweiterte Publikationspflicht werden von den Vergabestellen in einer Umfrage, welche auf groben Schätzungen basiert, auf rund 900 000 Franken geschätzt.207 Die Anzahl Beschaffungen und in der Folge auch die Mehrkosten verteilten sich dabei gleichmässig auf die Bundesverwaltung und die verselbstständigten Einheiten (SBB, Post, ETH-Bereich). Es ist zu beachten, dass im Rahmen der Kostenschätzung zu dieser Frage wenige Antworten eingegangen und diese durchaus heterogen sind. Während eine Beschaffungsstelle von unwesentlichen Mehrkosten ausgeht, schätzen andere die Mehrkosten auf bis zu 900 Franken pro Beschaffung. Eine weitere Beschaffungsstelle schätzt den einmaligen Aufwand zur Programmierung der zur jährlichen Berichterstattung erforderlichen Liste auf 6 000 Franken, da die meisten der nötigen Informationen bereits heute erfasst werden.

Mehrkosten wegen der erweiterten Publikationspflicht, in CHF Anzahl Beschaffungen

Mehrkosten pro Beschaffung

Gesamt

Alle

5703

150 (0­900)

855 450

Bundesverwaltung

2957

150

443 550

SBB/Post/ETH

2746

150

411 900

Anmerkung: Die Zahlen beruhen auf Medianwerten der Kostenschätzungen. Minimum und Maximum der geschätzten Mehrkosten pro Beschaffung sind in kleiner Schrift vermerkt.

b) Mehraufwand wegen der Sprachanforderungen Bezüglich der überwiesenen parlamentarischen Vorstösse zum Thema der Mehrsprachigkeit im öffentlichen Beschaffungswesen208 wurden erhebliche Mehrkosten erwartet. Um diese bewerten zu können, veranlasste die BKB bei 15 Vergabestellen (zentrale und weitere Beschaffungsstellen des Bundes sowie Post, SBB und ETHRat) eine Kostenschätzung, die von einer externen Unternehmung durchgeführt

206

Neu besteht die Pflicht, alle Beschaffungen mit einem Auftragswert ab 50 000 Franken mindestens einmal jährlich öffentlich in maschinenlesbarer Form zu publizieren (14.3045 Mo Graf-Litscher).

207 Beschaffungskostenschätzung bezüglich Erhöhung der Sprachanforderungen und Erweiterung der Publikationspflicht, durchgeführt von B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung Basel (23. Dez. 2015).

208 Vgl. dazu auch Ziff. 1.2.5.

1995

BBl 2017

wurde.209 Diese auf groben Schätzungen basierende Studie zeigte, dass sich die Verwaltungskosten beim Bund und bei den staatlichen Institutionen wie Post, SBB und ETH-Bereich signifikant erhöhen würden, wenn diese Mehrsprachigkeitsanforderungen auf sämtliche Veröffentlichungen und Ausschreibungsunterlagen ausgedehnt würden. Es müsste demnach mit jährlichen Mehrkosten von bis zu 841 Millionen Franken gerechnet werden.

Das nachfolgende Beispiel aus dem Bereich der Filiale F2 des ASTRA in Thun (eine der kleineren Filialen des ASTRA) zeigt auf, welche Menge an Seiten bzw. Plänen je Verfahrensart im Jahr 2014 zu übersetzen gewesen wären, wenn die Ausschreibungsunterlagen schon nur in eine andere Amtssprache des Bundes übersetzt werden müssten. Da pro zusätzlichem Plan mit Druckkosten von 2000 Franken (durchschnittlicher Wert, unabhängig von der Grösse des Plans) gerechnet werden muss, wären alleine im Bereich Nord der Filiale von Thun zusätzliche Übersetzungs- und Druckkosten von 8 410 600 Franken angefallen. Dieser Wert müsste mit 15 multipliziert werden, um auf die gesamten Kosten des ASTRA für die Übersetzung in eine andere Amtssprache schliessen zu können. Das ASTRA geht von Mehrkosten in der Höhe von rund einer Viertelmilliarde Franken aus, wenn die Pläne vollständig in zwei Amtssprachen des Bundes übersetzt werden müssten.

ASTRA-Thun, PM-Nord Statistik: Übersetzungen bei Ausschreibungen aus dem Jahr 2014 Beschaffungsgegenstand

Beschaffungsart

Planer-/Dienstleistungen Bau Planer-/Dienstleistungen BSA Planer-/Dienstleistungen Bau Planer-/Dienstleistungen BSA Planer-/Dienstleistungen Bau Planer-/Dienstleistungen BSA

Einladung <150 000 freihändig freihändig

Kauf-/Lieferungen Bau Kauf-/Lieferungen BSA Kauf-/Lieferungen Bau

209

Schwellenwert (CHF)

Anzahl Seiten

Anzahl Pläne

Anzahl Gesamtkosten Beschaffungen

7­15 48

0­4 6

1 154 13

1 848 000

1 0

30 800

Einladung 150 000­230 000 85 67

14 10

offen

500­2317 300­350

15­235 15­20

12 5

528 000

freihändig <50 000

30

2

10 1

48 400

Einladung 50 000­230 000

96

15

1

33 000

>230 000

Beschaffungskostenschätzung bezüglich Erhöhung der Sprachanforderungen und Erweiterung der Publikationspflicht, durchgeführt von B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung Basel (23. Dez. 2015).

1996

BBl 2017

Beschaffungsgegenstand

Beschaffungsart

Schwellenwert (CHF)

Anzahl Seiten

Anzahl Pläne

Anzahl Gesamtkosten Beschaffungen

Kauf-/Lieferungen

freihändig >230 000 unter Konkurrenz

Bau-Werkleistungen Bau Bau-Werkleistungen BSA Bau-Werkleistungen Bau Bau-Werkleistungen BSA Bau-Werkleistungen Bau Bau-Werkleistungen BSA Bau-Werkleistungen Bau Bau-Werkleistungen BSA

freihändig <150 000

5­250 450­640

1­14 20­40

89 12

2 750 000

Einladung 150 000­ 2 000 000

135­300 450

10­20 30

31 10

1 683 000

offen nach 2 000 000­ VöB 8 700 000

169­600 120

10­62 14

5 1

415 800

offen nach >8 700 000 BöB

365­1350 keine

68­177 keine

4 0

1 073 600

0

Annahme: Erstellung/Überarbeitung Plan: 2000 CHF

0

Summe PM Nord 8 410 600

Übersetzung Plan: 200 CHF Anzahl Pläne: Es wurde der Mittelwert genommen (Beispiel: 20­40 : 30)

Zudem könnte es wegen der umfangreichen Übersetzungsarbeiten zu zeitlichen Verzögerungen und zusätzlichen Fehlerquellen im Vergabeprozess kommen. Dies könnte namentlich im Baubereich auch sicherheitsrelevante Konsequenzen haben.

Als mögliche Folge von Abweichungen und Unstimmigkeiten bei den Übersetzungsarbeiten würde auch ein erhöhtes Beschwerde- und Nachtragsrisiko entstehen.

Die höhere Anzahl an Beschwerden und die vorgenannten zeitlichen Verzögerungen könnten zu einer weiteren Erhöhung der Kosten führen. Insbesondere wäre mit erheblichen indirekten Zusatzkosten zu rechnen infolge des erhöhten Nachtragswesens. Dieses würde durch ungenaue Übersetzungen und mündliche Fehlinterpretationen aufgrund mangelnder beidseitiger Sprachkompetenz in der Vergabe-, Auftragserteilungs- und Realisierungsphase verursacht.

Die Umsetzung von solchermassen kostspieligen und mit Risiken verbundenen Massnahmen lässt der Haushalt angesichts der erheblichen strukturellen Defizite nicht zu. Zudem würde es den Sparvorgaben des Parlaments sowie den seit Einreichung der erwähnten parlamentarischen Vorstösse deutlich verschärften finanzpolitischen Rahmenbedingungen zuwiderlaufen. Deshalb beabsichtigt der Bundesrat, auf zusätzliche Übersetzungen von Ausschreibungen oder Ausschreibungsunterlagen zu verzichten.

Die Bundesverwaltung ist dennoch bestrebt, bezüglich der Sprachenthematik eine angemessene und praktikable Lösung zu schaffen. Deshalb soll dem Anliegen, den unterschiedlichen sprachlichen Verhältnissen in der Schweiz angemessen Rechnung 1997

BBl 2017

zu tragen (vgl. Art. 48 Abs. 5 E-BöB), auf Verordnungsstufe möglichst pragmatisch und mit vernünftigem Aufwand nachgekommen werden. Dennoch dürften einzelne Massnahmen ­ etwa, dass beim Einladungsverfahren nach Möglichkeit mindestens ein Angebot von einer Anbieterin aus einer anderen Sprachregion eingeholt werden soll ­ bei den Auftraggeberinnen zu einem gewissen zusätzlichen Aufwand für allfällige Übersetzungskosten führen.

c) Nutzen Dem vorgenannten Aufwand steht jedoch auch der erhebliche Nutzen der Revision entgegen. Die erhöhte Rechtssicherheit durch die Harmonisierung zwischen Bund und Kantonen, die neuen Vergabeinstrumente sowie der gesteigerte Wettbewerb unter den Anbieterinnen können zu einer Erhöhung der Qualität der Beschaffungen des Bundes beitragen und sich positiv auf das Preis-Leistungs-Verhältnis zugunsten der Auftraggeberinnen auswirken. Dies kann zu Kosteneinsparungen bei der öffentlichen Hand führen. Neuerungen wie die Einführung von elektronischen Auktionen können zudem eine Flexibilisierung des Vergabeverfahrens bewirken und zu einer Effizienzsteigerung bei der Beschaffung standardisierter Leistungen führen. Weitere Kosten und Nutzen hängen stark vom konkreten Vollzug der geplanten Massnahmen ab.

Hinzuweisen ist weiter auf das mögliche Einsparpotenzial für die öffentliche Hand, welches die nachhaltige öffentliche Beschaffung mit sich bringt: In einer im Auftrag der Stadt Berlin durchgeführten Studie von 2015 wurde die finanzielle Wirkung des Einkaufs von ökologischen Produkten untersucht. Als Ergebnis wurde ermittelt, dass die umweltverträglichen Beschaffungsvarianten in zwei Drittel der Fälle in ihren Lebenszykluskosten günstiger sind als die konventionellen Beschaffungsvarianten.210 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen auch Studien in Bezug auf nachhaltige ­ insbesondere ökologische ­ Beschaffungsprogramme beispielsweise der Stadt Wien211 sowie in China212.

3.1.2

Personelle Auswirkungen

Für neue Aufgaben oder zusätzlichen Aufwand bei bestehenden Aufgaben wie die Zunahme an Beratungen und Schulungen, die einheitliche Umsetzung der revidierten Erlasse aber auch zufolge der erweiterten Publikationspflicht sowie der erwarteten Zunahme von Rechtsstreitigkeiten (Rechtsschutzerweiterung) wird mittel- und längerfristig ein personeller Mehrbedarf erwartet.

210

Öko-Institut e.V., Studie: Umwelt- und Kostenentlastung durch eine umweltverträgliche Beschaffung, Berlin, 2015. Abrufbar unter: www.stadtentwicklung.berlin.de > Service > Rechtsvorschriften > Umweltverträgliche Beschaffung > Studien zur VwVBU > Umweltund Kostenentlastung.

211 Singh Jason / Culver Alicia / Melis Bitlis, Energy Sector Management Assistance Program / The World Bank, Public Procurement of Energy Efficient Products. Lessons from Around the World, Washington, 2012. Abrufbar unter: www.esmap.org > Publications.

212 The International Institute for Sustainable Development, How Green Public Procurement Contributes to Sustainable Development in China, Winipeg, 2015. Abrufbar unter: www.scpclearinghouse.org/upload/publication_and_tool/file/480.pdf (Stand: 12. Febr.

2016).

1998

BBl 2017

Erste grobe Schätzungen beispielsweise der zentralen Beschaffungsstellen BBL und armasuisse zeigen, dass infolge des erweiterten Rechtsschutzes und der Zunahme an Beratungen und Schulungen mit einem mittel- und längerfristigen Mehrbedarf von je 200 zusätzlichen Stellenprozenten gerechnet werden muss. Das ASTRA gibt an, dass der künftige Personalaufwand infolge der Revision noch nicht quantifizierbar sei. Andere Bedarfsstellen wie beispielsweise das Staatssekretariat für Migration rechnen im Sinne einer ersten Schätzung mit einem personellen Mehrbedarf von 150 bis 200 Stellenprozenten, die Eidgenössische Zollverwaltung mit 50 Stellenprozenten. Verschiedene Verwaltungseinheiten des Bundes sowie staatsnahe Organisationen wie die SBB, die Post und der ETH-Bereich erwarten ebenfalls eine Erhöhung des Personalbedarfs.

Darüber hinaus wird nach Inkrafttreten des revidierten Gesetzes ein Einführungsaufwand entstehen, der mit den vorhandenen Mitteln zu bewältigen sein wird. Insbesondere werden zusätzliche Schulungen und Beratungen sowie die Einführung von neuen Beschaffungsinstrumenten (z. B. Personalaufwand für den Aufbau einer ITInfrastruktur für elektronische Auktionen) zu einer Erhöhung des personellen Aufwands führen.

Weil verschiedene Thematiken auf Verordnungsstufe umgesetzt werden und diese erst nach der Verabschiedung des Gesetzes durch das Parlament abschliessend festgelegt werden können, ist der definitive personelle Mehrbedarf aufgrund des revidierten Gesetzes noch nicht quantifizierbar.

Dieser wird nach Verabschiedung des BöB durch das Parlament evaluiert und zusammen mit dem Antrag zur Verordnung (VöB) dem Bundesrat unterbreitet.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die Harmonisierung der nationalen Beschaffungsrechtsordnungen bringt auch auf kantonaler und kommunaler Ebene Vorteile mit sich. Es wird erwartet, dass sich die angestrebte Rechtsangleichung einerseits im Verhältnis zwischen Bund und Kantonen sowie anderseits auch im Verhältnis der Kantone und Gemeinden unter sich positiv auswirkt, sobald die revidierte IVöB in Kraft getreten ist. Gründe dafür sind z. B. eine einheitlichere Rechtsprechung, Erfahrungsaustausch, gemeinsame Vorlagen, ähnliche Hilfs- und Lehrmittel sowie Aus- und Weiterbildungen. Die Revision des Beschaffungsrechts wird auch auf kantonaler und kommunaler Stufe mehr Rechtssicherheit schaffen.

1999

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3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Das öffentliche Beschaffungsrecht regelt ein beträchtliches Segment der schweizerischen Volkswirtschaft: Gegenwärtig wird die Gesamtsumme von Zahlungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Beschaffungswesen in der Schweiz auf rund 41 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt.213 Im Jahr 2015 beschaffte allein die zentrale Bundesverwaltung Güter und Dienstleistungen im Wert von 5,65 Milliarden Franken.214 Aus diesen Zahlen lässt sich ableiten, dass die Ausgestaltung des Beschaffungsrechts einen wichtigen Faktor für den Wirtschaftsstandort Schweiz darstellt.

Eine klare Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden rechnet damit, dass durch die Revisionsvorlage der administrative Aufwand der Unternehmen nicht steigen, sondern gleich bleiben oder abnehmen wird. Verschiedene Voten lassen zudem auf eine verbesserte Anwenderfreundlichkeit schliessen.

Gemäss RFA sehen die Anbieterinnen den höchsten Nutzen der Revision in der Harmonisierung der Beschaffungsordnungen, die eine stärkere Standardisierung der Prozesse bei der Offertstellung erlaubt und insgesamt weniger Einarbeitungszeit erfordert. Weiter werden die verbesserte Klarheit der gesetzlichen Grundlagen sowie der Ausbau der elektronischen Vergabeinstrumente positiv hervorgehoben. Zudem werden für die Wirtschaft indirekte Nutzeneffekte erwartet. Dazu zählen der ausgebaute Rechtsschutz auf Bundesebene, die höhere Transparenz und Rechtssicherheit.

Die Mehrzahl der befragten Unternehmen geht davon aus, dass der Aufwand für die Offertstellung ungefähr gleich bleiben wird. Kosten werden aufgrund höherer Dokumentationspflichten und allfälliger Kontrollen sowie durch allfällige Verzögerungen der Vergabeverfahren erwartet. Dieser letzten Befürchtung soll jedoch mit den nach der Vernehmlassung eingeführten Bestimmungen zur Eingrenzung des Administrativaufwands bei den Anbieterinnen entgegengewirkt werden.

Zusammenfassend ist damit zu rechnen, dass der Aufwand im Beschaffungsverfahren für die Unternehmen abnehmen oder allenfalls gleich bleiben wird.

Positiv für die Gesamtwirtschaft zu werten ist zudem der vergrösserte internationale Beschaffungsmarkt, der erst mit der Ratifizierung des GPA 2012 erschlossen werden kann. Zudem wird erwartet, dass die Anwendung der GPA-Regeln zu mehr Wettbewerb unter den Anbieterinnen führen wird, was sich tendenziell positiv auf
die Auswahl an Angeboten und auf das Preis-Leistungsverhältnisse auswirken kann.

Hinzuweisen ist weiter auf das Einsparpotenzial für die öffentliche Hand, welches die nachhaltige öffentliche Beschaffung längerfristig mit sich bringt (vgl. Ziff.

3.1.1).

213

Vgl. Stöckli Hubert / Beyeler Martin, Das Vergaberecht der Schweiz, 9. Auflage, Zürich 2014. Beitrag Professor Dr. Hubert Stöckli «Die Rechtsquellen im Wandel», Fn 3, S. 3.

214 Vgl. Faktenblatt BBL betreffend «Beschaffungszahlungen 2015». Abrufbar unter: www.bkb.admin.ch > Öffentliches Beschaffungswesen > Statistik Beschaffungszahlungen.

2000

BBl 2017

3.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt

Die Auswirkungen hinsichtlich Gesellschaft und Umwelt (Verankerung der nachhaltigen Beschaffung) wird als eher gering eingeschätzt.

Allerdings kann die konsequente und kontinuierliche Berücksichtigung von ökologischen Aspekten bei Beschaffungen langfristig einen Beitrag zum Schutz der Umwelt sowie zur Schonung der Ressourcen leisten. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um den Wettbewerb auch künftig zu ermöglichen und spielen zu lassen, und kommt letztlich auch der Gesellschaft als Ganzes zugute.

Die konsequente Bekämpfung von Kollusion und Korruption stärkt das Vertrauen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in die Verwaltung. Der Bund wird im öffentlichen Beschaffungswesen künftig verstärkt Massnahmen zur Einhaltung der Lohngleichheit von Frau und Mann ergreifen. Folglich sind positive Auswirkungen in Bezug auf die Gleichbehandlung von Frau und Mann zu erwarten.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

4.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Verabschiedung der Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen ist in der Botschaft vom 27. Januar 2016215 zur Legislaturplanung 2015­2019 vorgesehen.

Die Kenntnisnahme des Bundesrates vom Vernehmlassungsergebnis und gegebenenfalls die Verabschiedung der Botschaft sind unter Ziel 2 der Jahresziele 2016 des Bundesrates216 erwähnt.

4.2

Verhältnis zu nationalen Strategien des Bundesrates

Im Einklang mit der Strategie nachhaltige Entwicklung des Bundesrates 217 werden in der Vorlage die Nachhaltigkeitsaspekte verankert. Neu sind die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit im Zweckartikel des Gesetzes (und nicht mehr auf Verordnungsstufe, wie dies in der Vernehmlassung vorgeschlagen wurde) aufgeführt. Mit der Totalrevision des BöB werden somit die formell-gesetzlichen Grundlagen für eine nachhaltige Beschaffungspraxis geschaffen.

Zudem wird eine nach wie vor hängige Massnahme der Wachstumspolitik des Bundesrates und somit eine wirtschaftspolitische Reform umgesetzt. Der Bundesrat verfolgt mit einer expliziten Wachstumspolitik seit drei Legislaturen eine langfristig orientierte Wirtschaftspolitik, welche die Grundlagen für einen nachhaltigen Wohlstand schaffen und bewahren soll. In den Legislaturplanungen 2004­2007 sowie 215 216

BBl 2016 1105, hier 1218.

Band I, S. 11, 17 f. Abrufbar unter: www.bk.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Politische Planung > Jahresziele.

217 Siehe Fussnote [45].

2001

BBl 2017

2008­2011 war die Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen als Massnahme der jeweiligen Wachstumspakete aufgeführt.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Rechtsetzungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des öffentlichen Beschaffungswesens auf Bundesebene leitet sich aus verschiedenen Bestimmungen der Bundesverfassung ab: Formale Verfassungsgrundlage ist Artikel 173 Absatz 2 BV.

Die Kompetenz zum Erlass von Vorschriften, welche die Bundesbehörden und öffentliche Unternehmungen binden, ergibt sich aus der Organisationskompetenz (Art. 164 Abs. 1 Bst. g BV). In Einzelfragen existiert zudem eine explizit geregelte Bundeskompetenz (Art. 65 BV betreffend Führung einer gesamtschweizerischen Beschaffungsstatistik sowie Art. 63 Abs. 1 BV betreffend Berufsbildung).

Die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen wird durch die Vorlage nicht berührt.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Umsetzung der staatsvertraglichen Vorgaben des GPA 2012 in nationales Recht war Anstoss für die vorliegende Revision, hätte jedoch nicht zu einer Totalrevision geführt. Im Vordergrund stand vielmehr eine Harmonisierung des Bundesgesetzes mit der interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen.

Zudem sollen die bislang auf Verordnungsstufe umgesetzten Vorgaben der bilateralen Abkommens Schweiz-EU neu stufengerecht im Gesetz geregelt werden. Wie gross der verbleibende Handlungsspielraum für autonomes nationales Recht im Einzelfall ist, ergibt sich aus den Erläuterungen zu den jeweiligen Gesetzesbestimmungen. Die Revision ist mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen vereinbar.

5.3

Erlassform

Mit dieser Vorlage wird den eidgenössischen Räten die Totalrevision eines Bundesgesetzes vorgeschlagen. Bundesgesetze unterstehen gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe a BV dem fakultativen Referendum.

Weil das Gesetz nicht nur Beschaffungen erfasst, die staatsvertraglichen Verpflichtungen unterliegen, sondern auch solche, die nur landesrechtlich geregelt werden, wird darauf verzichtet, das Gesetz in den Bundesbeschluss zur Genehmigung des GPA 2012 zu integrieren und damit für das GPA 2012 und das BöB eine einzige Referendumsvorlage zu verabschieden.

2002

BBl 2017

5.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV bedarf es der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder beider Räte, sofern eine Subventionsbestimmung eine einmalige Ausgabe von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich zieht. Eine solche Bestimmung ist nicht enthalten; die Vorlage untersteht also nicht der Ausgabenbremse.

5.5

Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Die Regelungsgehalte werden stufengerechter als im bisherigen Recht abgebildet; dies führt dazu, dass der E-BöB umfangreicher ist als das geltende BöB. Zu einem grösseren Umfang der Vorlage trägt zudem das Harmonisierungsziel bei. Mehrere Bestimmungen werden auch deshalb auf Gesetzstufe vorgeschlagen, um die Angleichung zu den entsprechenden interkantonalen Normen (E-IVöB) zu bewirken.

5.6

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Der Gesetzesentwurf sieht im Zusammenhang mit der Sprachenthematik im Beschaffungswesen (Art. 48 Abs. 5) sowie mit dem behördlichen Einsichtsrecht (Art. 59 Abs. 4) neue Rechtsetzungsdelegationen an den Bundesrat vor.

Bereits unter dem geltenden Recht bestehende Rechtsetzungsdelegationen sind neu in den Artikeln 16 Absatz 1 und 22 Absatz 2 enthalten (wobei Letztere in Bezug auf Studienaufträge erweitert wird). Bei Artikel 16 Absatz 1 E-BöB handelt es sich um eine Delegationsnorm, die eine zügige Anpassung der im Anhang des Gesetzes aufgeführten Schwellenwerte ermöglicht. Der Bundesrat wird somit auch nach der Revision des BöB befugt sein, die Schwellenwerte gemäss den völkerrechtlichen Vorgaben festzulegen. Angepasst wird die Delegation zum Erlass von Bestimmungen über die Befreiung von Beschaffungen in bestimmten Sektorenmärkten von der Unterstellung unter das Gesetz (Art. 7).

Diese Delegationen rechtfertigen sich im Hinblick darauf, dass die konkrete Umsetzung flexibel auf die Erfahrungen beim Vollzug abgestimmt werden soll.

5.7

Datenschutz und Öffentlichkeitsgesetz

Die Vorgaben des Datenschutzgesetzes werden berücksichtigt. Gesetzliche Grundlagen für die Bearbeitung von Personendaten finden sich im vorliegenden Entwurf in Artikel 28 Absatz 2 (Verzeichnis geeigneter Anbieterinnen) und Artikel 45 Absatz 3 (Liste sanktionierter Anbieterinnen und Subunternehmerinnen). Diese Bestimmungen werden auf Verordnungsstufe präzisiert.

2003

BBl 2017

Auch bei der Bearbeitung pseudonymisierter Daten im Rahmen von elektronischen Auktionen (Art. 23) sowie bei der Erstellung der Beschaffungsstatistik (Art. 50 Abs. 4) ist der Datenschutz einzuhalten.

Das Beschaffungsrecht ist von Beginn weg auf Transparenz ausgerichtet (öffentliche Ausschreibung, Veröffentlichung des Zuschlags usw.). Es greift nicht ein in geschützte Rechtspositionen von Bürgerinnen und Bürgern (soweit diese nicht am Beschaffungsprozess beteiligt sind).

Mit Blick auf die Interessen der Anbieterinnen (z. B. Offert- und Vertragsinhalt) enthält der Revisionsentwurf spezialgesetzliche Einschränkungen des Öffentlichkeitsgesetzes. Vergleiche dazu die Erläuterungen zu den Artikeln 49 Absatz 3 und 59 Absatz 5.

2004