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Schweizerisches Bundesblatt.

46. Jahrgang. III.

Nr. 32.

8. August 1894.

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Bundesratsbeschluß über

den Rekurs des .Fritz Baßler, Wirt zum Spiezerhof in Spiez, gegen Art. 4 des Réglementes betreffend das Kutscherwesen bei der Bahn- und Schiffstation Spiez.

(Vom 31. Juli 1894.)

Der schweizerische Bundesrat hat über den Rekurs des Fritz B a ß l e r, Wirt zum Spiezerhof in Spiez, gegen Art. 4 des von der Ortspolizeibehörde Spiez unterm 5. Mai 1894 erlassenen und vom Regierungsrate des Kantons Bern unterm 12. gleichen Monats genehmigten Réglementes betreffend das Kutscherwesen bei der Bahn- und Schiffstation Spiez (Art. 31 der Bundesverfassung), auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 29. April 1882 hat der Regierungsrat des Kantons Bern ein Reglement für die Kutscher des Oberlandes erlassen, worin über die Ausübung des Kutschergewerbes in den Amtsbezirken Oberhasli, Bundesblatt. 46. Jahrg. Bd. III.

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Interlaken, Frutìgen, Niedersimmenthal, Obersimmenthal, Saanen und Thun gewisse Normen aufgestellt sind, welche hauptsächlich auf die zum Gewerbebetrieb erforderlichen Eigenschaften der Bewerber und ihres Gespanns, SQwie auf die Pflichten der Kutscher im allgemeinen sich beziehen.'

Art. 18 dieses Réglementes enthält folgende Bestimmungen: ,,Für diejenigen Plätze, wo die Umstände behufs der Aufstellung der Fuhrwerke eine besondere Ordnung nötig machen, wie beim Bahnhof in Thun, beim Landungsplatz in Spiez, bei den Bahnhöfen in Interlaken und beim Landungsplatz in Brienz, Gießbach etc., haben die betreffenden Amts- oder Ortspolizeibehörden die entsprechenden Vorschriften aufzustellen und dem Regierungsrat zur Sanktion zu unterbreiten. In denselben sind auch die von den Kutschern zu beziehenden Gebühren zu bestimmen.tt In Abänderung der bisherigen Verordnungen für den Platz Spiez erließ die dortige Ortspolizeibehörde unterm 5. Mai 1894 ein Reglement' betreffend das Kutscherwesen bei der Bahn- und Schiffstation Spiez, wodurch letzteres der Aufsicht der Ortspolizeibehörde und polizeilicher Aufseher unterstellt und sodann u. a. folgendes bestimmt wird: Art. 2. ,,Als Aufstellplätze für alle Fuhrwerke von gewerbsmäßigen Kutschern werden bezeichnet: a. beim Bahnhof: der Platz westlich vom Stationsgebäude für Kutscherfuhrwerke, der Platz östlich für Hotel- und Badeomnibusse ; o. beim Schiff: die Straße von der Kirchtreppe in der Richtung nach dem Dorf. Die Fuhrwerke sind in der Längsrichtung aufzustellen."

Art. 4. ,,Das Aufstellen von Fuhrwerken, welche nicht zum voraus bestellt sind, auf Privateigentum zum Zwecke der gewerbsmäßigen Kutsch erei ist untersagt.1* Dieses Reglement, im ganzen 18 Artikel enthaltend, erhielt am 12. Mai 1894 die Genehmigung des bernischen Regierungsrates.

II.

Gegen die citierten Artikel 2 und 4 des Réglementes ergriff Herr Fr. Hofer, Fürsprecher in Bern, namens des Fritz Baßler, Wirt zum Spiezerhof in Spiez, den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat.

In dem Rekursmemorial vom 22. Mai 1894 wird ausgeführt: Die Eigentums- und Dienstbarkeitsverhältnisse betreffend die Schifflände zu Spiez nebst Umgebung beruhen auf einem zwischen

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der Vorbesitzerin des Spiezerhofes, der Thuner Dampfschiffgesellschaft, und dem bernischen Regierungsrate am 23. Juli 1881 abgeschlossenen Marchungs- und Dienstbarkeitsvertrage. Danach ist die genannte Sehifisgesellschaft Eigentümerin des Landungsplatzes, welcher einen rechten Winkel bildet und nach außen an den See und nach innen an die Spiezerhofbesitzung grenzt. Anderseits beginnt die nach dem Dorfe Spiez führende Staatsstraße bei der Kirchtreppe. Das übrige anliegende Grundeigentum mit den darauf stehenden Gebäuden, nämlich Spiezerhof, Nebengebäude, Pavillon und ßuefbesitzung, bilden das dem Beschwerdeführer gehörende Etablissement,' genannt Spiezerhof. Jedoch hat der Besitzer desselben der Dampfschiffgesellschaft als Servitut die Zu- und Vonfahrt zwischen ihrem Landungsplatz und der Staatsstraße durch einen 5,7 m. breiten Weg eingeräumt.

Bis dahin hatte der Besitzer des Spiezerhofes den Platz beim Pavillon längs der Staatsstraße bis zur Ruefbesitzung zur Aufstellung der Kutscherfuhrwerke unentgeltlich eingeräumt und dessen Unterhalt selbst besorgt, daneben allerdings sich vorbehalten, eigene Fuhrwerke in beschränkter Zahl außerhalb der Rangordnung in seinem übrigen Grundeigentum aufzustellen.

Dieser letztere Umstand scheint den Neid der andern Kutscher erregt zu haben, weshalb sie die Abänderung des bisherigen Réglementes betrieben und beim Gemeinderate von Spiez williges Entgegenkommen fanden, um dem Rekurrenten die aus seinem günstig gelegenen Privateigentum fließenden Vorteile zu unterbinden.

Dieser Zweck wird in dem jüngsthin erlassenen Réglemente nun dadurch erreicht, daß die Staatsstraße von der Kirchtreppe gegen das Dorf Spiez als Aufstellplatz angewiesen und zugleich das Aufstellen von Fuhrwerken, welche nicht zum voraus bestellt sind, auf Privateigentum zum Behuf der gewerbsmäßigen Kutscherei untersagt wird. Ob dieser Platz dem bisher benutzten vorzuziehen sei und ob nicht vielmehr die Aufstellung der Fuhrwerke in der 5,7 m. breiten öffentlichen Straße mannigfache Übelstände nach sich ziehen werde, bleibt hier dahingestellt. Wohl aber ist ausführlicher die Frage zu untersuchen, ob mit den Grundsätzen des Art. 31 der Bundesverfassung über j die Gewerbefreiheit die andere von der Berner Regierung sanktionierte Verfügung sich vertrage, w o n a c h dem R e k u r r e n t e n v e r b o
t e n wird, die zur Beförderung d e r R e i s e n d e n d i e n e n d e n F u h r w e r k e i n n e r h a l b seiner Privatbesitzung aufzustellen.

Daß die Kantone befugt sind, die Ausübung des Kutschergewerbes an gewisse p o l i z e i l i c h e A u s w e i s e zu knüpfen, z.B.

über Leumund, finanzielle Garantien und Ausstattung des Gespanns

228 u. s. w., läßt sich nicht bestreiten, und der Rekurrent wird sich ia dieser Beziehung allen Vorschriften unterziehen, welche darüber in dem allgemeinen Kutscherreglement aufgestellt sind. Auch die weitere Befugnis ist zuzugestehen, O r d n u n g s v o r s c h r i f t e n über ö f f e n t l i c h e P l ä t z e zu erlassen, welche zum Aufstellen von Fuhrwerken benutzt werden. Letzteres ist weniger ein Ausfluß polizeilicher Beschränkung der Gewerbefreiheit, als vielmehr des Rechts der Regierung, über die Benutzung öffentlicher Sachen die geeigneten Normen zu erlassen. Unter keine dieser beiden Rücksichten läßt sich aber das von der Berner Regierung in dem vorliegenden Réglemente genehmigte V e r b o t subsumieren, die zum Kutschergewerb dienenden Fuhrwerke auf P r i v a t e i g e n t u m aufzustellen. Ist es für den Reisenden, der befördert werden will, nicht völlig gleichgültig, ob das von ihm gewählte Fuhrwerk auf öffentlicher Straße oder im Privateigentum aufgestellt sei, sofern nur der Inhaber den allgemeinen Vorschriften über diesen Gewerbebetrieb entspricht? Tritt durch die Wahl, Fuhrwerke auf Privateigentum statt auf öffentlichem Platze aufzustellen, nicht geradezu eine Entlastung der letztern und damit die Möglichkeit ein, die Ordnung auf diesen Plätzen um so leichter zu handhaben? Die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen führt immer darauf zurück, daß das vom Rekurrenten angefochtene Verbot nicht auf Gründen zulässiger Beschränkung der Gewerbeausübung oder auf Rücksichten öffentlicher Ordnung, sondern lediglich auf dem Bestreben beruht, einen Einzelnen in der Ausübung seiner privatrechtlichen Befugnisse zu beschränken, ohne daß damit den Reisenden oder der öffentlichen Ordnung gedient wird. Der Einwand, daß durch die imperative Vorschrift eine.gleiche Behandlung aller Kutscher hergestellt werde, widerlegt sich durch den Hinweis, daß diese Regel nur bei einer Gleichartigkeit der faktischen Verhältnisse eintritt, eine solche aber hier nicht vorliegt. Wenn der Rekurrent zur Aufnahme des Fremdenverkehrs vermöge der Lage seines Etablissements günstig gestellt ist, so ist dies eben ein Vorteil seines Besitztums, den er bei der Erwerbung desselben mit in Anschlag gebracht hat, in der berechtigten Erwartung, daß solcher durch polizeiliche Verfügungen nicht geschmälert werden dürfe. Eine
derartige Gleichstellung der Kutscher würde zu den absurdesten Konsequenzen führen. In gleicher Weise wie hier könnten die berufsmäßigen Kutscher der verschiedenen Fremdenorte des Berner Oberlandes verhalten werden, ihre Fuhrwerke überall auf öffentlichem Platze aufzustellen, in der Meinung, daß ihnen untersagt sei, ihre Dienste innerhalb ihrer Heimstätte anzubieten.

Die Analogie aus den Vorschriften über das Metzgereigewerbe, wonach nur in einem bestimmten Lokal geschlachtet werden darf,

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kann nicht hierher gezogen werden. Dort sind es sanitätspolizeiliche Gründe, welche eine solche Beschränkung rechtfertigen. Hier aber bezieht sich die Aufsicht nicht auf die Ausübung 'des Gewerbes an sich, sondern lediglich auf die Handhabung der Ordnung auf öffentlichem Platze.

Das Resultat der vorstehenden Erörterung ist dahin zusammenzufassen : Der im Kutscherreglement für das Berner Oberland vorgesehene Ausweis zur Ausübung des Kutschergewerbes, sowie die Bestimmungen des Spiezerreglements über die Anordnungen beim Aufstellen der Fuhrwerke auf öffentlicher - Straße fallen inner den Bereich deiin Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung vorbehaltenen V e r fügungen über G e w e r b e a u s ü b u n g , sowie über Ben u t z u n g der Straßen.

Aber anders steht es mit dem in Art. 4 des letztern Reglements enthaltenen Verbot, die Kutscherfuhrwerke im Privateigentum aufzustellen. H i e r f ü r b e s t e h e n k e i n e p o l i z e i l i c h e n G r ü n d e und es e n t h ä l t dieses V e r b o t ein en E i n g r i f f in P r i v a t rechte und zugleich die Beeinträchtigung des G r u n d satzes der Gewerbefreiheit.

Gestützt auf das Angebrachte stellt der Rekurrent den Antrag an den Bundesrat: Es sei der Art. 4 des von der Ortspolizeibehörde Spiez am 5. Mai abhia erlassenen und vom bernischen Regierungsrate am 12. gl. Mts. sanktionierten Reglements als unvereinbar mit Art. 31 der Bundesverfassung zu erklären und die Regierung von Bern einzuladen, für die Aufhebung desselben zu sorgen.

III.

Dem Hauptbegehren fügte der Rekurrent mit Rücksicht darauf, daß das Inkrafttreten des neuen Regimentes auf den Zeitpunkt der regierungsrätlichen Genehmigung desselben festgesetzt wurde, das Ersuchen bei, der Bundesrat möge die Regierung des Kantons Bern einladen, die Wirksamkeit des citierten Art. 4 einstweilen zu suspendieren.

Diesem Ersuchen ist vom Bundesrate unterm 26. Mai 1894 entsprochen worden.

IV.

Der Regierungsrat des Kantons Bern ließ sich mit Schreiben vom 13. Juni 1894 an den Bundesrat über den Rekurs wie folgt vernehmen :

230 Wir bemerken vor allem, daß im vorliegenden Falle zwischen dem gewerbsmäßigen Betriebe der Kutscherei durch Baßler und der Fuhrwerkerei für den Betrieb seines Hotels wohl zu unterscheiden ist. Baßler ist durch das fragliche Reglement nicht im geringsten hehindert; er kann für diesen Zweck seine Fuhrwerke aufstellen, wo er will, und seine Hotelgäste in diesen Fuhrwerken führen, wie und wohin er will, ohne daß sich die Ortspolizei darum zu kümmern und ohne daß er diese dafür irgendwie zu begrüßen hat. Ganz anders aber verhält es sich mit der von Baßler n o c h außerdem und unabhängig vom Wirtschaftsbetriebe ausgeübten gewerbsmäßigen Kutscherei, d. h. mit dem Halten und Aufstellen von nicht zum voraus bestellten Fuhrwerken behufs Anwerbung von Fremden für beliebige Touren. In dieser Hinsicht ist Baßler, wie alle anderen gewerbsmäßigen Kutscher, den im Interesse der Verkehrssicherheit und der guten Ordnung aufgestellten polizeilichen Vorschriften unterworfen, so namentlich dem Eeglement für die Kutscher des Oberlandes vom 29. April 1882 und dem in Anwendung von Art. 18 dieses Réglementes erlassenen Reglement betreffend das Kutscherwesen bei der Bahn- und Schiffstation Spiez.

Er hat sich, wie alle anderen Kutscher von Spiez, bei der Ortspolizeibehörde als gewerbsmäßiger Kutscher anschreiben lassen müssen und muß sich demgemäß auch, wie alle anderen Kutscher, dem aufgestellten Kutschertarif, sowie der auf dem hierfür ausschließlich bestimmten Platze gültigen Aufstellungs- und Rangordnung der Fuhrwerke und der durch einen besondern Platzaufseher gehandhabten Aufsicht unterziehen. Würde man dem Baßler erlauben, seine Kutschen, statt auf dem gemeinsamen Kutscherplalze, irgendwo auf seinem Privateigentum aufzustellen, so hätte jeder andere Kutscher dasselbe Recht, und es könnte alsdann schließlich von Handhabung einer allgemeinen Aufsicht im Kutscherwesen der Gemeinde Spiez, von Überwachung der Kutscher in Bezug auf Beobachtung des Kutscherreglements, des gesetzlichen Tarifs und der guten Ordnung überhaupt gar keine Rede mehr sein. Zur Zeit der Gültigkeit des früheren Kutscherreglements für den Platz Spiez hatte Baßler freilich das Recht, seine Kutscherfuhrwerke auf seinem Privateigentum aufzustellen, allein nur deshalb, weil er zu jener Zeit der Gemeinde Spiez den Kutscherplatz selbst zur Verfügung
stellte. Dieses Verhältnis hatte aber seine Inkonvenienzen gerade darin, daß Baßler, auf sein Privateigentumsrecht fußend, für seine Fuhrwerke einen besonders günstigen Aufstellungsort in Anspruch nahm, und daß infolgedessen öfters Streitigkeiten zwischen seinen Kutschern und den übrigen wegen der Rangordnung entstanden. Aus diesen wie aus andern Gründen fand die Ortspolizei von Spiez neuerlich für gut, auf den von Baßler zur Disposition gestellten Platz zu ver-

231 ziehten und statt dessen mit unserer Bewilligung die Staatsstraße als ausschließlichen Aufstellungsplatz für die Kutscher der Gemeinde zu bezeichnen. Dieser neuen, allgemein verbindlichen Ordnung der Dinge hat sich Baßler, solange er neben dem Wirtschaftsbetriebe auch noch die gewerbsmäßige Kutscherei ausüben will, so gut wie alle anderen Kutscher zu fügen. Er hat dieser Ordnung gegenüber kein Vorrecht zu beanspruchen, und es kann in dem Verbot der Übertretung derselben, oder mit anderen Worten in der Beschränkung der gewerbsmäßigen Ausübung des Kutscherberufs auf einen bestimmten Platz weder ein Eingriff in die Eigentumsrechte des Baßler, noch eine Verletzung des Prinzips der Gewerbefreiheit erblickt werden, sondern lediglich eine sowohl im Rahmen der Kompetenz der Gemeindebehörde sich . bewegende, als sachlich wohlbegründete gewerbepolizeiliche Maßregel, wie solche gegen Art. 31 der Bundesverfassung nicht im geringsten verstoßen, ja vielmehr durch litt, e desselben ausdrücklich vorbehalten und gestattet sind.

Demnach beantragen wir, es sei der Rekurs Baßler abzuweisen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Die bundesrechtliche Praxis hat es seit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1874 für zulässig befunden, daß von den Kantons- oder Gemeindebehörden für den Betrieb des Kutschergewerbes in Gegenden der Schweiz, die während der Fremdensaison von Touristen besucht werden, bestimmte Normen, insbesondere auch Maximalfahrtaxen, aufgestellt werden.

In diesem Sinne wurden Beschwerden betreffend die Aufstellung von Fremdenführern, von Kutschen, Hotelomnibussen u. s. w. auf öffentlichen Plätzen (Eisenbahnstationsplätzen etc.) materiell geprüft und bezügliche reglem en tarische Bestimmungen als bundesrechtlich nicht anfechtbar erklärt. Die Bundesrekursbehörde bezeichnete solche polizeiliche Vorschriften als dem Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit nicht widersprechende, vielmehr durch Art. 31 (früher litt, c, seit 1885 litt, e) der Bundesverfassung ausdrücklich vorbehaltene, im Interesse der Verkehrssicherheit und der öffentlichen Ordnung liegende, Fremde vor Ausbeutung schützende Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerbe. (Vergi, v. Salis, Bundesrecht, II, Nr. 603 u. ff.)

2. Die Bundesbehörden haben ' indessen zu keiner Zeit übersehen, daß auch in die Freiheit des Kutschergewerbes nur insofern und insoweit eingegriffen werden dürfe, als eine zwingende Not-

232 wendigkeit hierfür besteht. So hat z. ß. der Bundesrat dem Begehren der Regierungen von Bern, Luzern, Ob- und Nidwaiden nicht stattgegeben, welches dahin ging, es möge ihnen gestattet werden, nicht nur Maximal-, sondern auch Minimalfahrtaxen aufzustellen, trotzdem sie bemerkten, .daß nur so das Heruntermarkten der Taxen, das gegenseitige Entziehen von Reisenden durch die Kutscher verhindert und ärgerlichen Auftritten auf öffentlichen Plätzen vorgebeugt werden könne. (Vergi, v. Salis, a. a. 0.)

Daß im Begriffe der Gewerbefreiheit die Zulässigkeit der gewerblichen Konkurrenz eingeschlossen sei, galt von jeher als etwas Selbstverständliches (Bundesbl. 1890, III, 1156).

Eine Beschränkung der Konkurrenz wurde auch beim Betrieb des Kutschergewerbes nur aus polizeilichen Rücksichten als zulässig erklärt. (Vergi, v. Salis, II, Nr. 606.)

3. Nicht die Unterstellung unter die Aufsicht der Ortspolizeibehörde und des Platzaufsehers von Spiez, nicht Tarifbestimmungen u. a. m., sondern das Verbot, zum Zwecke der gewerbsmäßigen Kutscherei auf seinem eigenen Grund und Boden Fuhrwerke aufzustellen, wird im vorliegenden Falle als eine verfassungsrechtlich nicht zulässige reglementarische Bestimmung bezeichnet und angefochten.

Diese Bestimmung stützt sich auf die allgemeine Bestimmung, welche die berneroberländischen Ortspolizeibehörden ermächtigt, a u f Plätzen, ,, w o d i e U m s t ä n d e e i n e b e s o n d e r e O r d n u n g n ö t i g m a c h e n , wie beim Bahnhof in Thun, beim Landungsplatz in Spiez" etc., ü b e r die A u f s t e l l u n g der F u h r w e r k e entsprechende Vorschriften aufzustellen.

Es kann nun nicht zweifelhaft sein, daß für diejenigen Fuhrwerke, die auf dem ö f f e n t l i c h e n L a n d u n g s p l a t z in Spiez sich aufstellen, eine polizeiliche Regelung der Aufstellung erforderlich ist, im Interresse der Verkehrssicherheit sowohl, als zur Aufrechthaltung der guten Ordnung und der Gleichstellung der Kutscher im Wettbewerbe um die Erlangung von Bestellungen.

Eine andere Frage aber ist, ob die Kutscher aus öffentlichrechtlichen Gründen gezwungen werden können, ihre Fuhrwerke auf dem öffentlichen Landungsplatze aufzustellen, und dies auch dann, wenn sie vorziehen, mit denselben auf ihren privaten Grund und Boden sich aufzustellen und dort die Bestellungen abzuwarten.

Eine solche Zwangsbestimmung ist bis jetzt nicht zur Kenntnis der Bundesrekursinstanz gelangt und von dieser nicht gutgeheißen worden.

233 Wenn die Bundesbehörde in der bisherigen Praxis sich ausschließlich über die Aufstellung der Fuhrwerke auf öffentlichen Plätzen auszusprechen hatte, so ist dies dem thatsächlichen, rechtlich unerheblichen Umstände zuzuschreiben, daß die Kutscher eben überall darauf angewiesen waren, auf den öffentlichen Stationsplätzen Aufstellung zu nehmen, wenn sie ihr Geschäft mit Erfolg betreiben wollten. Aber es ist von der Bundesbehörde niemals erkannt worden, daß es dem Besitzer von Pferd und Wagen verwehrt werden dürfe, auf seinem Grundeigentum, z. B. auf dem Vorplatze seines Hauses, Aufstellung zu nehmen und Bestellungen entgegenzunehmen.

Es ist möglich, daß der einem Kutscher gehörende Aufstellungsplatz den öffentlichen Platz derart berührt, indem er z. B.

in denselben hineinragt, daß eine richtige Aufstellung der Wagen auf dem letztern nur möglich ist, wenn auch der oder die Wagen des betreffenden Kutschers der für den öffentlichen Platz geltenden Wagenordnung sich einfügen. Wenn aber ein solches Motiv nicht besteht, so ist nicht ersichtlich, aus welchen zureichenden öffentlichrechtlichen Gründen dem Eigentümer verboten werden könnte, auf seinem eigenen Grunde seine Fuhrwerke aufzustellen und das Kutschergewerbe auszuüben. Natürlich hat auch er sich sämtlichen Vorschriften betreffend die Beschaffenheit und Instandhaltung der Wagen, betreffend odie Tarifsätze u. s. f. zu unterwerfen und unterliegt auch er in allen diesen Beziehungen der polizeilichen Aufsicht und Kontrolle. Für eine weitergehende Reglementierung aber, speciell für ein Verbot, auf seinem eigenen Boden Aufstellung zu nehmen, fehlen, wie bereits gesagt, in öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten wurzelnde Gründe.

4. Im vorliegenden Falle kommt noch hinzu, daß die polizeiliche Aufsicht über die Fuhrwerke des Rekurrenten und deren Bedienung und Gebrauch sich sehr wohl ausüben läßt, wenn dieselben auf dem Platze aufgestellt sind, der dem Rekurrenten zu Eigentum gehört, ja daß diese Aufsicht sich in vollkommener Weise gleichzeitig über den Fuhrdienst der auf dem öffentlichen Platze aufgestellten Kutscher und denjenigen der Kutscher des Rekurrenten ausüben läßt und thatsächlich ausgeübt wird.

Die unmittelbare Nähe des dem Rekurrenten gehörenden Aufstellungsplatzes bei dem öffentlichen Platze ermöglicht dies.

Übrigens dürfte auch die
Rücksicht auf die Polizeiaufsicht nach Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung dem Grundsatz der Gewerbefreiheit nicht zu nahe treten.

5. Daß ein Kutscher, der sich eines für den Betrieb seines Gewerbes günstig gelegenen Grundeigentums erfreut und deshalb

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den auf dem öffentlichen Platze stationierenden Gewerbegenossen eine wirksame Konkurrenz zu machen im stände ist, nicht aus diesem Grunde gezwungen werden kann, jenen sich beizugesellen, liegt in dem Wesen der Konkurrenz und in der durch Art. 31 der Bundesverfassung gewährleisteten Freiheit derselben begründet.

Der Staat hat allerdings auf Grund von Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung die Befugnis und die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß bei gleichen Verhältnissen 'zwei oder mehr Gewerbetreibende auf öffentlichem Grund und Boden unter den gleichen Konkurrenzbedingungen arbeiten können. Aber er würde in unzukömmlicher Weise in das Gebiet der Privatwirtschaft und in die Rechtssphäre des Privateigentümers übergreifen, wenn er diesem letztern verwehren wollte, alle Vorteile, die ihm sein Privatbesitz bietet, auszunützen, um anderen Gewerbetreibenden in der wirtschaftlichen Konkurrenz die Spitze zu bieten.

Genau unter diesem Gesichtspunkte ist der Widerstand des Rekurrenten gegen Art. 4 des Spiezer Polizeireglements vom 5. Mai 1894 zu beurteilen. Der Eigentümer des Spiezerhofes und des vor demselben liegenden Platzes macht nicht Anspruch auf ein V o r r e c h t , sondern auf die Ausnutzung seines R e c h t e s , innerhalb der Schranken der öffentlichen Ordnung.

Demnach wird beschlps-sen: 1. Der Rekurs ist begründet.

2. Infolgedessen wird die hohe Regierung des Kantons Bern eingeladen, dafür zu sorgen, daß Art. 2 des Réglementes vom 5. Mai 1894 betreffend das Kutscherwesen bei der Bahn- und Schiffsstation Spiez entsprechend abgeändert, Art. 4 aber außer Wirksamkeit gesetzt werde.

3. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Bern und zu Händen des Rekurrenten dem Herrn Fürsprecher Friedrich Hofer in Bern mitzuteilen.

Bern-, den 3l. Juli 1894.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: E. Frey.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Ringier.

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Bundesratsbeschluß über den Rekurs des Fritz Baßler, Wirt zum Spiezerhof in Spiez, gegen Art. 4 des Reglementes betreffend das Kutscherwesen bei der Bahn- und Schiffstation Spiez. (Vom 31. Juli 1894.)

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08.08.1894

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