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Schweizerisches Bundesblatt.

46. Jahrgang. III.

Nr. 26.

27. Juni 1894.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 6 Franken, Einrückungsgebühr per Zeile oder deren Baum 15 Bp. -- Inserate franko an die Expédition.

Druck und Expedition der Buchdruckerei Karl Stämpfli & die. in Bern.

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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Motion Comtesse (Lohnzahlung) vom 9. April 1891, die Motion "Vogelsanger (Vereinsfreiheit) vom 17. Dezember 1891 und die Maifeierpetitionen 1890--1893.

(Vom 16. Juni 1894.)

Tit.

I. Einleitung.

Am 9. April 1891 erklärte der Nationalrat, folgende, vom 3. April jenes Jahres datierte M o t i o n der Herren C o m t e s s e und Mitunterzeichner erheblich : ,,Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage zu prüfen, ob es nicht angezeigt wäre, durch ein Specialgesetz oder durch entsprechende Ergänzung des elften Titels des eidgenössischen Obligationenrechts, handelnd vom ,,Dienstvertrag", gesetzliche Bestimmungen über folgende Punkte aufzustellen : 1. daß der ganze Betrag des Lohnes den Arbeitern regelmäßig in kurrentem Geld auszubezahlen und die Ausrichtung von Löhnen in der Form von Verabfolgung von Waren oder überhaupt auf einem andern Wege, als mittelst Barbezahlung, als null und nichtig zu erklären sei; 2. daß kein Lohnabzug irgend welcher Art stattfinden dürfe, der nicht vertraglich vereinbart worden wäre ; Bundesblatt. 46% Jahrg. Bd. III.

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3. daß jeder Arbeitgeber gehalten sein solle, seinen Arbeitern mindestens alle vierzehn Tage den Lohn auszubezahlen, unter Beobachtung der in Art. 10 des Fabrikgesetzes enthaltenen Vorschriften.

Diese Bestimmungen würden keine Anwendung auf Dienstboten und auf diejenigen Landarbeiter finden, welche bei dem Arbeitgeber Kost und Wohnung haben.

Der Bundesrat wird das Ergebnis seiner Untersuchungen in einem Berichte niederlegen und den eidgenössischen Räten darauf bezügliche Anträge unterbreiten.a Unser Industrie- und Landwirtschaftsdepartement, in dessen Geschäftskreis diese Angelegenheit vorwiegend fällt, war, schon wegen Mangels an einschlägigem Material, nicht in der Lage, ohne weiteres auf die Sache einzutreten, und glaubte daher gut zu thun, wenn es sich zunächst von Kreisen, die ihr näher standen, unterrichten ließ. Es richtete demnach mit Kreisschreiben vom 30. Juli 1891 (Bundesbl. IV, 81) eine dahin zielende Anfrage an sämtliche Kantonsregierungen, den Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins, den Centralvorstand des schweizerischen Gewerbevereins, den leitenden Ausschuß des schweizerischen Arbeiterbundes und an die Vorstände der schweizerischen landwirtschaftlichen Vereine.

^Arbeiterfragen" wurden um dieselbe Zeit auch von anderer Seite bei uns anhängig gemacht.

Hauptsächlich aus Anlaß der A r b e i t e r - M a i d e m o n s t r a t i o n e n in den J a h r e n 1890 und 1891 waren den Bundesbehörden folgende P e t i t i o n e n zugekommen: 1. Von einer Volksversammlung, veranstaltet von den sämtlichen Arbeiterorganisationen in N e u e n b ü r g am 1. Mai 1890, mit den Begehren, ,,den Achtstundentag für alle eidgenössischen Werkstätten und Bauplätze einzuführen" und ,,als Normalarbeitstag in der zu revidierenden Fabrik-, sowie in der Gewerbegesetzgebung zu berücksichtigen" ; 2. von einer Arbeiterversammlung in A l t o r f am 1. Mai (Datum der Eingabe: 6. Mai) 1890, betreffend Verbesserung der Lage der Arbeiter und Verkürzung der Arbeitszeit; 3. von einer Volksversammlung in G r e n c h e n am 1. Mai (Datum der Eingabe: 9. Mai) 1890, betreffend ,,Anbahnung eines internationalen Achtstundentages" ; 4. von einer Volksversammlung in D ä n i k e n (Datum der Eingabe: 8. Juni 1890), betreffend ,,Einführung eines Maximalarbeitstages von 10 Stunden" ;

5. von einer Volksversammlung in B u r g d o r f am 1. Mai (Eingangsdatum der Eingabe : 24. Juni) 1890, betreffend Einführung der zehnstündigen Arbeitszeit und Verbot der Arbeit verheirateter Frauenspersonen in Fabriken, sowie betreffend Anbahnung des achtstündigen Arbeilstages auf internationalem Wege; 6. von einer Volksversammlung in T h u n am 1. Mai 1891, betreffend den Achtstundentag, das Recht auf Arbeit, Handhabung der Fabrik- und Haftpflichtgesetzgebung und Einführung von Arbeiter-Beschwerdekommissionen ; 7. von einer Arbeiterversammlung in L a n g e n d o r f (Eingangsdatum der Eingabe: 2. Mai 1891), betreifend Ausbau des Fabrikgesetzes ,,im Sinne der Beschlüsse des Oltener Arbeitertages", ,,Einführung des gesetzlichen Zehnstundentages für die ungefährlichem, des Neun- und Achtstundentages für die gesundheitsmörderischen Industrien und Gewerbe", ,,bessere Ausführung des Fabrik- und Haftpflichtgesetzes durch die kantonalen Behörden und durch Vermehrung der eidgenössischen Fabrikinspektoren" ; 8. von einer Versammlung von Bürgern in S o l o t h u r n (Datum der Eingabe: 2. Mai 1891), mit den gleichen Begehren, wie die sub 7 angeführten; 9. von einer Versammlung ostschweizerischer Stickereiarbeiter in St. G a l l e n am 2. Mai 1891, mit den gleichen Begehren, wie die sub 7 angeführten ; 10. von einer Volksversammlung in M ä n n e d o r f am 3. Mai 1891, betreffend Einführung des zehnstündigen Normalarbeitstages, Ausbau des Fabrikgesetzes ,,im Sinne der Beschlüsse des Oltener Arbeitertages", ,,bessere Ausführung des Fabrik- und Haftpflichtgesetzes durch die kantonalen Behörden und Vermehrung der eidgenössischen Fabrikinspektoren", ,,Publikation der Strafurteile bei Übertretung des Fabrikgesetzes", internationale Regelung des zehnstündigen Arbeitstages und ,,der übrigen Arbeiterfragen", ,,Schutz des freien Vereinigungsrechtes" ; 11. von einer Versammlung von Bürgern in A r b o n - a m 1. Mai (Datum der Eingabe: 9. Mai) 1891, im wesentlichen mit den gleichen Begehren, wie die sub 10 angeführten; 12. von einer Volksversammlung in F r e i b u r g am 1. Mai (Datum der Eingabe: 19. Mai) 1891, mit den gleichen Begehren, wie die sub 7 angeführten ;

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13. von einer Grütlivereinsversammlung in D i e l s d o r f (Datum der Eingabe: 26. Mai 1891), betreffend den zehnstündigen Arbeitstag, ,,Schutz des freien Vereinsrechtes",, Kranken-, Unfall- und Altersversicherung, Zündhölzchenmonopol etc.; 14. von einer Versammlung von Stickereiarbeitern in St. G a l l e n am 18. Mai (Datum der Eingabe: 5. Juni) 1891, betreffend Verkürzung der Arbeitszeit auf täglich 10 Stunden und Unterstellung der Hausindustrie unter die Fabrik- oder Gewerbegesetzgebung.

In seinem erwähnten Kreisschreiben führte das Departement diese Begehren ebenfalls auf, hob aber daraus folgende hervor, deren Prüfung nach seiner Ansicht ,,zunächst an die Hand genommen werden dürfte" : a. Verkürzung des M a x i m a l a r b e i t s t a g e s in den dem Fabrikgesetze unterstellten Etablissementen auf 10, beziehungsweise 9 oder 8 Stunden ; b. Verbot der Arbeit verheirateter F r a u e n in den genannten Etablissementen ; c. Vermehrung der Zahl der eidgenössischen F a b r i k i n s p e k t o r e n oder I n s p e k t i o n s k r e i s e .

Die eingegangenen Antworten beschränkten sich denn auch in der Regel darauf, außer der Motion Comtesse die letztgenannten drei Punkte zu behandeln, wenn sie auf die Petitionen überhaupt eintraten. Die Einbeziehung dieser Materien in eine und dieselbe Enquete erschien deshalb zweckmäßig, weil sie innerlich miteinander verwandt sind und weil das häufig sich wiederholende Veranstalten von Umfragen ermüdet und ungünstige Resultate liefert.

Wir sind denjenigen Stellen, welche sich die verdankenswerte Mühe nahmen, das Kreisschreiben vom 30. Juli 1891 zu beantworten, hier wenigstens Erwähnung schuldig, und gewinnen dabei gleichzeitig eine kurze Übersicht über das ziemlich bedeutende Aktenmaterial.

B e r i c h t e liefen ein : a. Von allen Kantonsregierungen, ausgenommen Tessin und Waadt (von Bern liegen nur vorläufige Angaben vor), und zwar der erste (Schwyz) datiert vom 14. Oktober 1891, der letzte (Graubünden) vom 19. August 1893; 14 fallen in das Jahr 1892; b. vom Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins, d. d. 29. Oktober 1892;

c. vom Centralvorstand des schweizerischen Gewerbevereins, d. d.

15. Januar 1892; d. vom leitenden Ausschuß des schweizerischen Arbeiterbundes, d. d. 21. September 1893; e. vom Vorstand des schweizerischen landwirtschaftlichen Vereins, d. d. 16. März 1892; f. vom eidgenössischen Fabrikinspektorat, d. d. 24. August 1893.

Es sei uns hier eine Zwischenbemerkung gestattet. Wie die oben beigefügten Daten zeigen, vergingen über zwei Jahre, bis das gewünschte Material beisammen war; als der letzte der Berichterstatter erscheint der schweizerische Arbeiterbund selbst. An mehrfachem Drängen seitens der Bundesbehörde fehlte es nicht, aber die wiederholten Mahnungen beschleunigten die Angelegenheit nicht erheblich. Wir dürfen daher wohl erklären, daß uns die Schuld nicht trifft, wenn die Behandlung der Sache als eine zu wenig prompte angesehen werden will, und daß wir einen allfälligen Vorwurf der Verschleppung zum voraus bestimmt ablehnen. Nachdem das Material einmal in unsern Händen war, befaßten wir uns damit, sobald die erste Möglichkeit geboten war.

Man darf sich übrigens nicht verhehlen, daß das bisher mehrfach in Anwendung gebrachte S y s t e m der Befragung der kantonalen Regierungen und der beteiligten Interessenvertretungen große Nachteile in sich birgt. Dasselbe ist äußerst schwerfällig, zeitraubend und oft unzuverlässig; man ist beim besten Willen häufig nicht im stände, die gewünschte Auskunft zu geben oder richtig zu geben. Zudem wirken solche Enqueten, wie bereits angedeutet, vielfach ermüdend oder sie erregen geradezu Mißmut; so schreibt z. B. das k a u f m ä n n i s c h e D i r e k t o r i u m in St. G a l l e n am 21. September 1891 : ,,Wir sind vollständig überzeugt, daß wir dem tit. eidgenössischen Departement mit unsern kurzen Bemerkungen zu den drei letzten Punkten sozusagen gar nichts Neues bieten, und · können nicht umhin, den Wunsch auszusprechen, daß solche Fragen, deren Beantwortung geradezu auf der Hand liegt, nicht zum Gegenstand der weitausgreifendsten Begutachtung gemacht werden, bloß weil sie durch Petitionen aufgeworfen werden, die aus Massendemonstrationen hervorgegangen sind." In seinem gedruckten Verwaltungsbericht 1890/91 spricht sich das Direktorium noch erheblich schärfer aus.

Wir meinen aber, daß man der Bundesbehörde eher dankbar sein sollte, wenn sie auf so wichtige Fragen aufmerksam macht und Gelegenheit bietet, sich darüber zu äußern, und daß es den Interessenten erwünscht sein müsse, ihre Ansichten geltend zu machen.

Aus den angedeuteten Gründen wurde darauf verzichtet, über eine w e i t e r e G r u p p e von P o s t u l a t e n sieh Bericht erstatten zu lassen, und es wird sich überhaupt in Zukunft fragen, ob nicht andere Wege besser geeignet seien, um das unentbehrlichste Material sich zu verschaffen.

Die letzterwähnten Postulate sind durch die Maifeier von 1892 und diejenige von 1893 veranlaßt.

M a i f e i e r 1892.

Namens des Maifeier-Centralkomitees des schweizerischen Gewerkschaftsbundes, des schweizerischen Grütlivereins und der socialdemokratischen Partei der Schweiz übermittelte Redaktor A. Steck in Bern mit Schreiben vom 17. Mai 1892 dem Bundesrat zu Händen der Räte eine Reihe von Petitionen, welche von 47 V o l k s v e r s a m m l u n g e n (Aarau, Arbon, Baden, Basel, Bern, Biel, Burgdorf, Chaux-de-Fonds, Chur, Davos-Platz, Delsberg, Frauenfeld, Freiburg, Genf, Herisau, Horgen, Kreuzungen, Küttigen, Langenthal, Lausanne [zwei Versammlungen Liestal, Luzern, Matten, Männedorf, Neuenburg, Örlikon, Oftringen, Ölten, Payerne, Reinach, Rorsehach, Rüti-Zürich, Schaffhausen, Schützengarten (wo?), Solothurn, St. Gallen [zwei Versammlungen], Steckborn, Sursee, Thun, Uster, Utzwy], Wattwyl, Winterthur, Zug, Zürich) mit einer angegebenen Teilnehmerzahl von 35,962 herrührten.

Die Begehren sind gedruckt und lauten übereinstimmend : ,,Die unterfertigte Volksversammlung hat nach angehörtem, sachbezüglichem Referat einmütig beschlossen, Sie zu ersuchen, Sie möchten auf dem Wege der Gesetzgebung, soweit möglich, die nötigen Maßnahmen treffen : ,,1. Für V e r k ü r z u n g der A r b e i t s z e i t bis auf 8 Stunden, in allen Berufsarten, besondere zwingend entgegenstehende Verhältnisse vorbehalten ; 2. für B e k ä m p f u n g der A r b e i t s l o s i g k e i t und V e r h ü t u n g ihrer ökonomisch en Folgen für die besitzlose Arbeiterklasse; 3 für g e s e t z l i c h e F ö r d e r u n g der g e w e r k s c h a f t lichen Arbeiterorganisation; 4. für w i r k s a m e n S c h u t z der V e r e i n s f r e i h e i t der im D i e n s t e von U n t e r n e h m e r n j e d e r Art s t e h e n den Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen; 5. für W i e d e r a u f h e b u n g der in den l e t z t e n J a h r e n e i n g e f ü h r t e n p o l i t i s c h e n Polizei.a Die Petition von K ü t t i g e n führt noch auf:

,,6. überzeugt, daß das materielle Wohl des Schweizervolkes hauptsächlich auf einer soliden Schulbildung basiert, stellen die Grütlivereine Küttigen und Densbüren-Asp das Ansuchen, es m ö c h t e d e r B u n d m i t a l l e n v e r f ü g b a r e n finanziellen Mitteln jeglichen Unterricht, der d e n A r b e i t e r s t a n d z u f ö r d e r n im s t ä n d e i s t , unterstützen.

Außerdem liegt von der Versammlung in S o l o t h u r n eine gedruckte ,, R e s o l u t i o n " vor, des Inhalts: ,,1. Mit allen gesetzlich zu Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, daß die Arbeitszeit in allen Berufsarten, besondere Verhältnisse vorbehalten, in stufenweisem Vorgehen bis auf höchstens acht Stunden täglich abgekürzt werde; 2. zu diesem Zwecke insbesondere die Organisation der Lohnarbeiterschaft aller Berufszweige und deren sociale Reformbestrebungen aus allen Kräften zu fördern und zu unterstützen ; 3. in diesen Bestrebungen sich mit der Arbeiterschaft aller Länder solidarisch zu erklären und den hieraus entspringenden internationalen Verpflichtungen jeweilen nach besten Kräften freudig gerecht zu werden. tt Eine separate Eingabe ist diejenige einer Volksversammlung in Siebnen, datiert vom 8./9. Mai 1892, mit folgender ,, R e s o l u t i o n " : ,,Man verlangt die W a h l des B u n d e s r a t e s d u r c h s V o l k ; eine R e f o r m d e r e i d g e n ö s s i s c h e n B u n d e s v e r w a l t u n g ; das o b l i g a t o r i s c h e R e f e r e n d u m und die Ges e t z g e b u n g s i n i t i a t i v e ; in Ausführung des §27 der Bundesverfassung eine m a t e r i e l l e U n t e r s t ü t z u n g der Kantone zu gunsten der P r i m a r s c h u l e n und besonders die U n e n t g e l t l i c h k e i t d e r L e h r m i t t e l ; eine energische Ausführung und Durchführung der s o c i a l e n A u f g a b e n des Bundes; die V e r s t a a t l i c h u n g der E i s e n b a h n e n , und endlich eine weitere C e n t r a l i s a t i o n d e s C i v i l - u n d S t r a f r e c h t e s , Vorschriften zum S c h u t z e des V e r e i n s r e c h t e s und A u f h e b u n g der p o l i t i s c h e n Polizei."

MitSchreiben vom 31. Mai 1892 überwies der N a t i o n a l r a t die vorerwähnten Akten dem Bundesrate ,,zum Vorbericht.

Um vollständig zu sein und damit sich niemand über Mißachtung beschweren könne, erwähnen wir endlich folgende ,,résol u t i o n " einer Volksversammlung in V e v e y - M o n t r e u x , welche nachträglich (14. Juni 1892) an uns gelangte:

,,1. Elle exprime ses sentiments de solidarité avec les travailleurs du monde entier réunis ce jour pour célébrer la fête du travail.

,,2. Elle se déclare partisan de la journée de 8 heures et invite ses mandataires dans les Conseils de la Nation à prendre des mesures pour obtenir à bref délai la journée de 8 heures.

,,Pour y arriver elle demande a. la revision et l'extension des lois fédérales sur le travail dans les fabriques, la responsabilité civile des fabricants et l'extension de la responsabilité civile, dans le sens des décisions des congrès d'Olten et de Lausanne et spécialement l'introduction immédiate de la journée légale de 10 heures et de 8 heures pour les industries dangereuses ou se servant de matières explosibles; b. une meilleure application de ces lois par l'augmentation d'inspecteurs fédéraux des fabriques ainsi que leur nomination par les ouvriers organisés, et une surveillance plus stricte exercée par les autorités cantonales.

,,3. La création d'un secrétaire ouvrier romand avee siège permanent dans la Suisse romande."

M a i f e i e r 1893.

Es langten von 36 V o l k s v e r s a m m l u n g e n (abgehalten zum Teil an oben bereits genannten Orten, ferner in Binningen, Buchs, Grenchen, Locle, Murten, Papiermühle, Selzach, Wädensweil"), mit einer deklarierten Teilnehmerzahl von 26,778, ebenfalls gedruckte Petitionen ein, welche diejenigen vom Mai 1892 bestätigten und wörtlich die nämlichen Punkte enthielten, wie die oben unter Ziffer l--5 angeführten ; andere wurden von keiner Seite geltend gemacht.

MitSchreiben vom 6. Juni 1893 überwies der N a t i o n a l r a t auch diese neu eingelaugten Petitionen dem Bundesrat ,,mit der Einladung, über dieselben, ebenso wie über die Ihnen voriges Jahr zugewiesenen analogen Petitionen auf nächste Dezembersession Bericht zu erstatten"-.

Wir bemerken, daß die genannten Petitionen gewöhnlich keine Begründung enthalten, ein Verfahren, das man wohl als ein mehr bequemes denn als ein zweckdienliches bezeichnen darf.

Es erübrigt uns noch, die zahlreichen B es chi üs s e d e s Arb e i t e r t a g e s in Ö l t e n (7. April 1892) pro memoria zu erwähnen, da einige Petitionen auf sie Bezug nehmen. Sie finden sich in der zwei Jahre später erschienenen Publikation : ,,Der Arbeitertag in Ölten zu Ostern 1890. Vierter und fünfter Jahresbericht des lei-

tenden Ausschusses des schweizerischen Arbeiterbundes und des schweizerischen Arbeitersekretariats für die Jahre 1890 und ISOl^ und sind uns offiziell nie unterbreitet worden.

Mit Postulat 4 der Maifeierpetitionen 1892 und 1893 steht materiell in enger Beziehung die am 17. Dezember 1891 vom Nationalrat erheblich erklärte, vom 14. April 1891 datierte Mot i o n der Herren V o g e l s a n g e r und Mitunterzeichner, lautend: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten, ob nicht durch gesetzliche Bestimmungen das in Art. 56 der Bundesverfassung ausgesprochene Recht der freien Vereinigung der Bürger derart geschützt werden könne und zu schützen sei, daß die thatsächliche Ausübung dieses Rechtes innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken jedem möglich ist und jede Beeinträchtigung desselben gegenüber wirtschaftlich abhängigen Personen der Bestrafung unterliegt."

Wir werden uns erlauben, diese Motion und das erwähnte Postulat 4 der Volksversammlungen gemeinsam zu besprechen, und .gehen über zu unserer Berichterstattung über die oben aufgeführten einzelnen Punkte, wobei wir bemerken, daß Abschnitt I--VI vom Industrie- und Landwirtschiiftsdepartement (II unter Mitwirkung des Justiz- und Polizeidepartements), Abschnitt VII--IX vom Justizund Polizeidepartemeat, Abschnitt X vom Departement des Innern, Abschnitt XI vom Post- und Eisenbahndepartement zu behandeln waren.

IL Motion Comtesse.

Die Thesen der Motion wurden rückhaltlos nur von einer Kantonsregierung (Neuenburg) bejaht, unbedingt verneint von 9, während die übrigen 12 sich dahin aussprachen, daß für deren Verwirklichung auf ihrem Gebiet kein Interesse oder kein Bedüi'fnis vorliege, oder daß die Motion nur teilweise annehmbar sei und im übrigen zu weit gehe, oder daß deren Erledigung in-ein eidgenössisches Gewerbegesetz gehöre. Im allgemeinen dominiert eine sehr skeptische Anschauungsweise in Bezug auf die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit der Motionsanträge, und es finden sich über das zur Zeit herrschende System der Motionen überhaupt in den Akten scharfe Bemerkungen. Das Bild, das sich aus dem vorliegenden Material ergiebt, zeigt nicht so grelle und gleichzeitig allgemein verbreitete Übelstände, daß das Einschreiten des Gesetzgebers als dringend erschiene; über die hieraus sich ergebende Folgerung schreibt der Regierungsrat des Kantons S o l o t h u r n am 15. Februar 1892 nicht mit Unrecht:

10 ,,Nach uuserer Ansicht sollten gesetzliche Erlasse gegen Übel· stände in Arbeiterkreisen nur dann erfolgen, wenn man über das Vorhandensein, die Ausdehnung und die Art dieser Übelstände möglichst genau orientiert ist. Ansonst hängen solche sogenannte Arbeiterschutzgesetze in der Luft, greifen ohne Not in bestehende Verhältnisse ein, schießen weit über das Ziel hinaus oder erreichen dasselbe gar nicht und machen böses Blut bei Arbeitern und Arbeitgebern."1 Auch wir sind der Meinung, daß man nicht so leicht sich zum Erlaß von G e l e g e n h e i t s g e s e t z e n entschließen solle, die oft nur ein mangelhafter, in Wirklichkeit schlecht funktionierender Notbehelf sind und am wenigsten das Ansehen der Landesbehörden und der Bundesinstitutionen zu vermehren geeignet sind.

Immerhin ist ohne weiteres zuzugeben, daß in Bezug auf die Bezahlung der Arbeitslöhne manches nicht ist, wie es sein sollte, und daß speciell das Trucksystem unsevm Lande nicht ganz fremd ist. Wenn wir auch, soweit unsere Kenntnis der Verhältnisse reicht, -- für die wir wiederum auf die uns gebotenen, teilweise recht ungenügenden Quellen angewiesen sind -- einen besorgniserregenden Umfang des Übels nicht zu ersehen vermögen, so wären wir doch gern bereit, auch einer weniger eingreifenden Benachteiligung von Arbeitergruppen entgegenzutreten. Im allgemeinen handelt es sich mehr um diejenigen Arbeiter, welche nicht bereits durch das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken geschützt sind, und da teilen wir vollständig die Ansicht derjenigen Kantonsregierungen, welche solche Vorschriften in eine e i d g e n ö s s i s c h e G e w e r b e g e s e t z g e b u n g verweisen ; diese wäre viel eher, als ein Gesetz oder eine Gesetzesnovelle ad hoc, dazu geeignet, durch auf allgemeiner Grundlage aufgebaute und in den Zusammenhang der Verhältnisse sich einfügende Bestimmungen den beabsichtigten Zweck zu erreichen. So äußert sich der Regieruagsrat des Kantons B a s e l - S t a d t in seinem Bericht vom 20. Februar 1892: ,,Es sollte ein Grewerbegesetz geschaffen werden, da nur ein solches einheitliche Normen aufstellen und die für das gesamte Handwerk maßgebenden Grundsätze zur Ausführung bringen kann. Bei Erlaß eines solchen Gesetzes wäre auch allein die Möglichkeit gegeben, den in der Motion enthaltenen Vorschlägen zur Abhülfe in
einer Weise Rechnung zu tragen, daß sie sowohl dem Bedürfnis entsprechend als auch überhaupt durchführbar wären. Es könnten die Vorschriften über die Lohnauszahlungen, welche der Motionssteller als absolut gültige in einem Specialgesetz aufstellen will, den einzelnen Formen und Verhältnissen des Kleingewerbes und des Handwerkes angepaßt werden. Denn die Verhältnisse der Per-

11 sonen, welche als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer unter den Bestimmungen des .Dienstvertrages stehen, sind einerseits so mannigfache und nach den Bedürfnissen und lokalen Gebräuchen verschiedene, anderseits aber so enge mit den Eigenheiten der einzelnen Betriebe verbunden,^daß nur ein auf Kleinindustrie und Handwerk sieh beschränkendes Gewerbegesetz die erforderliehen und zugleich mögliehen Vorschriften enthalten kann."

Die Volksabstimmung vorn 4. März 1894 hat allerdings den Bundesbehörden das Recht zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des Gewerbewesens vorläufig verweigert; indessen dürfte dieser Spruch wohl kein endgültiger sein und die Möglichkeit, in der angedeuteten Weise vorzugehen, doch noch geschaffen werden.

Zu den einzelnen Thesen der Motion Comtesse haben wir folgende Bemerkungen anzubringen.

1. Barbezahlung des Arbeitslohnes.

Nach Art. 10 des Bundesgesetzes betreffend die A r b e i t in den F a b r i k e n sind die Fabrikbesitzer verpflichtet, die Arbeiter io bar, in gesetzlichen Miinzsorten und in der Fabrik selbst auszuzahlen. Für die unter diesem Gesetz stehenden Arbeiter ist somit im Sinne von Ziff. l der Motion hinreichend vorgesorgt, wenn auch letztere von ,,Arbeitern" überhaupt spricht.

Jener Vorschrift des Fabrikgesetzes wird in der Regel nachgelebt, so daß die F a b r i k i n s p e k t o r e n in ihrem Gutachten vom 24. August 1893 konstatieren: ,,Die Voraussetzungen der Motion Comtesse treffen in diesem Punkt in Bezug auf Fabriken nur selten und lokal vereinzelt zu. tl Dagegen hält es, trotz aller Anstrengung, schwer, die teilweise Lohnzahlung durch Waren in der Zündhölzchenfabrikation des Frutigthales auszurotten, weil diese so sehr daniederliegt, daß der Fabrikant selbst an Zahlungsstatt von seinem Händler Waren annehmen muß.

Was die n i c h t unter dem F a b r i k g e s e t z stehenden Arbeiter betrifft, so ist an. und für sich allerdings kein Grund einzusehen, warum man ihnen nicht denselben Schutz angedeihen lassen sollte. Es kann nicht geleugnet werden, daß es Fälle genug giebt, wo eine lästige oder ungerechte Löhnung vermittelst Waren stattfindet. Es ist gerade dies ein Punkt, der in der Gewerbegesetzgebung zu regeln wäre. Wir können uns aber vorläufig nicht entschließen, inzwischen eine andere Lösung (Specialgesetz oder Ergänzung des Obligationenrechts) vorzuschlagen, weil das Übel kein allgemein verbreitetes oder tief eingreifendes zu sein scheint, weil wir, wie ebenfalls bereits angedeutet, eine derartige Gelegenheit«-

12 gesetzgebung nicht als rationell ansehen, und weil wir endlieh überzeugt sind, daß das Trucksystem durch kein Gesetz gänzlich ausgerottet werden kann, da es sich in äußerlich nicht erkennbaren Formen verbergen kann.

Dazu kommt folgendes : Die Motion enthält den Satz, daß der Lohn ,, i n k ü r r e n t e m G e l d " zu bezahlen sei. Sind damit die gesetzlichen Münzsorten gemeint, so wäre allerdings daran zu erinnern, daß von Gesetzes wegen schon längst niemand gezwungen ist, ungesetzliche oder außer Kurs stehende Münzsorten an Zahlungsstatt anzunehmen, und daß eine erneute Betonung dieses Grundsatzes überflüssig ist, namentlich dann, wenn der benachteiligte Arbeiter nach wie vor gegen den Arbeitgeber nur auf dem ordentlichen Rechtswege auftreten kann, d. h. wenn er riskiert, bei Geltendmachung seines gesetzlichen Anspruches seine Stelle zu verlieren.

Wohl könnte ein Gegenmittel in der Schaffung einer staatlichen I n s p e k t i o n gesucht werden, aber es scheint uns nicht thunlich und nicht gerechtfertigt zu sein, eine solche einzig für die Beaufsichtigung der Lohnzahlung in nicht fabrikmäßigen Betrieben ins Leben zu rufen. Wirksamem Schutz dürfte, auch bei der bereits bestehenden Gesetzgebung, der Arbeiter dann finden, wenn das kantonale Recht ihm gestattet, sich an die p o l i z e i l i c h e n Organe zu wenden, und es wäre sehr wünschenswert, daß die K a n t o n e in dieser Richtung die nötigen Weisungen ergehen lassen würden.

Wir behalten uns vor, je nach Ihrem Entscheid über unsern Bericht, dazu die Veranlassung zu geben.

Es dürfte hier der Ort sein, die Ansicht mitzuteilen, welche unser J u s t i z - und P o l i z e i d e p a r t e m e n t in der Angelegenheit vertritt (Gutachten vom 5. Mai 1894): ,,Schon das Bundesgesetz über das eidgenössische Münzwesen, vom 7. Mai 1850, hat in Art. 8, letzter Absatz, festgesetzt, daß Lohnverträge nur auf den gesetzlichen Münzfuß abgeschlossen und Löhnungen nur in gesetzlichen Münzsorten ausbezahlt werden dürfen.

Es liegt hierin unverkennbar eine fürsorgliche Berücksichtigung desjenigen , der durch eine Arbeitsleistung gegenüber einem andern forderungsberechtigt wird. Derselbe soll seinen Lohn, seinen 'Entgelt, in gesetzlicher Münze erhalten, die von ihm ohne Weiterung und Einbuße in die entsprechenden Werte, in Gegenstände des täglichen Bedarfs,
in Genußmittel u. s. w. umgesetzt werden kann."

Allerdings wird, wie bereits angedeutet, das Bundesgesetz vorn 7. Mai 1850 kaum eine starke Handhabe zur Vermeidung und Beseitigung von Übelständen bieten; auch das letztgenannte Departement bemerkt an anderer Stelle:

13 ,,Wir wollen die Möglichkeit von Mißbrauchen bei Ausrichtung von Arbeitslöhnen durchaus nicht in Abrede stellen. Es ist allgemein bekannt, daß die Arbeitgeber da und dort das sogenannte Trucksystem praktizieren, das darin besteht, daß sie dem Arbeitnehmer statt baren Geldes Marken verabfolgen, die ihn berechtigen, im Magazin des Arbeitgebers Waren zu beziehen. Wenn einem solchen System entgegengewirkt werden will, so haben wir unsererseits nichts dagegen einzuwenden. Nur möchten wir bemerken, daß auch durch die Annahme von Ziff. l der Motion derartige Praktiken nicht unterdrückt werden können. Denn es wird die Gefahr der Ausbeutung des wirtschaftlich schwächern Arbeitnehmers nicht schon dadurch beseitigt werden, daß der Arbeitgeber gezwungen wird, ihm bei der Lohnzahlung kurrentes Geld auf die Hand zu legen. Solange der Arbeitgeber ein Magazin, eine Verkaufsstelle hält, wo die Waren feilgeboten werden, deren Anschaffung durch den Arbeitnehmer er wünscht, so lange wird der Arbeitnehmer sich durch die Macht der Verhältnisse gezwungen sehen, seinen Bedarf ebendort zu beziehen. Das kommt dann materiell auf das ' Gleiche hinaus, ob der Arbeitnehmer sein kurz vorher empfangenes bares Geld oder ob er Lohnmarken im Laden des Dienstherrn verausgabt.

,,Wirksame Abhülfe kann nur eine Bestimmung schaffen, die mit Strafandrohung gegen Widerhandlungen dem Arbeitgeber (Fabrikherrn) untersagt, Verkaufsmagazine der fraglichen Art zu halten oder den Fabrikarbeitern Waren zu verkaufen. Eine solche Bestimmung würde den in vielen Kantonen bestehenden Beschränkungen analog sein, denen die Inhaber gewisser Beamtungen oder gewisse Gewerbetreibende in Hinsicht auf die Ausübung bestimmter Berufsarten, z. B. des Wirtschaftsgewerbes, unterworfen sind.11 Man hat sich im weitern zu überlegen, daß eine kategorische Vorschrift im Sinne der Motion Comtesse in manchen Fällen schlechterdings unausführbar wäre, das Fatalste, das ihr, wenn sie Gesetz würde, passieren könnte. Im G r e n z v e r k e h r nämlich ist es nicht zu vermeiden, daß, namentlich in industriellen Centren, Lohnzahlung in Münze stattfludet, die bei uns nicht offiziellen Kurs hat; es rührt dies von den durch intensiven Verkehr bedingten grenznachbarlichen Verhältnissen her, denen man sich notgedrungen unterwirft und unter welchen man nicht wesentlich leidet. So
hätte es z. B. keinen Sinn, einem an der Landesgrenze wohnenden Arbeitgeber, der seinerseits von Kunden in fremder Münze bezahlt wird, zu verbieten, Arbeitern, welche im benachbarten Staatsgebiet wohnen, ihren Lohn in der Münze ihres eigenen Landes zu verabfolgen. Auch die eidgenössischen F a b r i k i n s p e k t o r e n

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bemerken in ihrem Gutachten vom 24. Augu8t 1893: ,,Am häufigsten gelangt deutsches Geld in der Nähe von Konstanz zur Auszahlung, besonders in Konstanzer Filialen auf Schweizerboden. Die dortigen Zustände haben aber bis jetzt keine Unzuträglichkeiten verursacht und es ließe sich manches zu deren Entschuldigung anfuhren.* Die Motion geht aber auch, und es ist dies die weitaus vorherrschende Meinung unserer Berichterstatter, insofern zu weit, als nach dem Wortlaut von Ziffer l selbst die Entrichtung eines Lohnteiles in Form von K o s t und W o h n u n g und anderer Nat u r a l l e i s t u n g e n unzulässig wäre. Ausgenommen sind allerdings in einem späteren Alinea Dienstboten und Landarbeiter^ weil, obgleich es nicht zu billigen ist, wenn für einzelne Arbeitergruppen von neuem verschiedenes Recht geschaffen wird, für Dienstboten und Landarbeiter die geplante Vorschrift zur Zeit einfach als undurchführbar erscheint. Aber auch im übrigen ist der unbedingte Ausschluß jeder andern als der baren Lohnzahlung nicht zu empfehlen; wir berufen uns auf folgendes Urteil unserer F a b r i k i n s p e k t o r e n , denen eine große Erfahrung auf diesem Gebiet, niemand bestreiten wird (Gutachten vom 24. August 1893): ,,Ob Kost und Logis nebst Barlohn gewährt wird, weiß jeder Arbeiter bei der Anstellung sehr wohl. Einen Vertrag hierüber aufzustellen wäre eiue lächerliche Formalität, welche höchstens zur Folge hätte, daß dem Arbeiter noch seltener als jetzt eine Teilnahme am Familienleben des Prinzipals gewährt würde. So weit wir ferner sehen, werden die Arbeiter in kleinern Fabrikbetrieben (Mühlen, G-erbereien etc.) vom Prinzipal besser und reichlicher beköstigt, als in Kostgebereien. Ausnahmen mögen vorkommen, aber im ganzen wäre ein Verbot im Sinne der Motion eine Schädigung für die Arbeiter, namentlich die jungen, die doch noch an ein gewisses Maß häuslicher Ordnung sich gewöhnen oder gewöhnt bleiben.

,,Noch käme die Frage hinzu, wie es mit andern Naturalleistungen zu halten sei, wie freier Wohnung, Heizung, Beleuchtung, zur Benutzung überlassenem Garten oder Ackerland, selbst Getränken (.z. B. jährlich ein Faß Most) u. a. m. Bisher galten solche Dinge als ein Zeichen der Bevorzugung und die Arbeiter fassen es auch in diesem Sinne auf. Die Ziffer \ der Motion Comtesse kann doch unmöglich auch hier die bisherigen
Verhältnisse zerstören wollen, und doch bilden die erwähnten Naturalleistungen in der Regel einen Teil des Lohnes."

Wir fügen bei, daß man nach unserer Überzeugung es auch dem Handwerksmeister, namentlich auf dem Lande, nicht verbieten kann und soll, seinen Gesellen und Lehrlingen Kost und Wohnung als Teilzahlung zu verabfolgen; man muß sogar im Interesse der

15 beruflichen und sittlichen Erziehung nur froh sein, wenn tüchtige Meister dieses System noch beibehalten. Das Gleiche gilt für die Arbeitnehmer und Lehrlinge in den kaufmännischen Betrieben.

Und geradezu eine Härte wäre es, wenn ein Bauunternehmer von Gesetzes wegen verhindert sein würde, etwa in abgelegenen Gegenden für Nahrung und Obdach seiner Arbeiter zu sorgen.

Überhaupt ist es fraglich, ob durch das erwähnte Verbot viel Übles beseitigt und Gutes geschaffen würde, und es ist jedenfalls die Ansicht, daß durch jenes Zusammenleben von Arbeitgeber und Arbeiter ihr gegenseitiges Verhältnis sich besser, menschlicher und freundschaftlicher gestalte, und daß die Gesetzgebung es eher fördern statt verhindern solle, eine wenigstens beachtenswerte.

Wie sehr übrigens auch in den zunächst beteiligten Kreisen die Ansichteo auseinandergeheo, mögen folgende Citate aus den Akten beweisen : Kantonal vorstand der G l a r n e r G r ü t l i v e r e i n e (22. November 1891): ,,Selbstverständlich müßte in vorliegender Frage, . vvo dem Arbeiter von Seiten des Arbeitgebers Kost und Logis geboten ist, Ausnahme geschaffen werden, denn es hätte keinen Sinn, den ganzen Lohn in Empfang zu nehmen, resp. auszubezahlen, und im gleichen Moment Kost- und Logisgeld sich ausbezahlen zu lassen.tt K a n t o n a l e r A r b e i t e r b u n d G l a r u s (30. November 1891): Die Versammlung stellt sich ,,einstimmig auf die Seite derjenigen, welche absolut keine Ausnahmen gestatten wollen. Es sollen die Arbeitgeber und Meister den Arbeitern und Gesellen ihren vollen Arbeitslohn ausbezahlen, der Arbeiter aber solle, wenn er Kost und Logis beim Arbeitgeber nehme, demselben den vereinbarten Preis dafür zurückerstatten. Nur so weiß eigentlich der Arbeiter, welchen Lohn er verdient und was ihm für Kost und Logis gefordert wird. Entsprechen dann diese letztern dem vereinbarten Preise nicht, so kann der Arbeiter eher reklamieren und, wenn das nicht hilft, anderswo Kost und Logis nehmen. tt 2. Lohnabzüge.

Es ist nicht zu bestreiten, daß von Seiten vieler Arbeitgeber durch Lohnabzüge gesündigt wird, und daß ganze Arbeitergruppen, z. B. in der ostschweizerisehen Stickerei, bitter darunter leiden.

Die Motion will daher durch Ziffer 2 in anerkennenswerter Tendenz die nicht vertraglich vereinbarten Lohnabzüge verbieten.

Naturgemäß drängt
sich hier die Frage auf, ob man nicht noch weiter gehen und grundsätzlich a l l e Lohnabzüge ohne Ausnahme verbieten sollte. Um vorab auf diesen Punkt einzutreten,

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glauben wir, daß die Motionssteiler gut daran thun, nicht zu diesem radikalen Mittel zu greifen.

Die Abzüge, um die es sich handeln könnte, mögen etwa folgende sein: a. L o h n v o r s c h ü s s e . Deren Verbot würde den Arbeitern in vielen Fällen erheblichen Schaden zufügen. Sie bedürfen ihrer z. B.

beim Antritt einer Stelle, bei Krankheits- und Todesfällen in der Familie, und wären ohne sie genötigt, anderswo unter ungünstigen und erschwerenden Bedingungen Geld zu suchen. Jene Maßregel wäre entschieden nicht zu empfehlen, wie denn auch der Bericht des s c h w e i z e r i s c h e n A r b e i t e r b u n d e s , vom 21. September 1893, im Gegensatz zu vereinzelten andern Stimmen, sich in diesem Sinne ausspricht (,,Natürlich kann hier keine Rede sein von Forderungen, die ihrer Natur nach liquid sind, wie Vorschüsse auf den laufenden Lohn, es handelt sich um s t r e i t i g e Forderungen"; letztere Auffassung geht, nebenbei bemerkt, weniger weit, als die Motion selbst).

b. K o s t e n v o n W a r e n l i e f e r u n g e n . Solche Lieferungen erfolgen häufig in wirklichem Interesse der Arbeiter, wenn der Arbeitgeber in guter Absieht letztere durch Beschaffung von Lebensmitteln, Brennmaterial u. dergl. und Abgabe zu Engros-, Selbstkosten- oder noch billigern Preisen zu unterstützen sucht. Vernünftigerweise wird man solche philanthropische Bestrebungen nicht durch ein Verbot, die betreffenden Barbeträge am Lohn abzurechnen, verunmöglichen wollen. Um so verwerflicher sind allerdings andere Manipulationen, welche mit solchen Lieferungen die Erzielung eines Gewinnes zu gunsten des Arbeitgebers verbinden. Es wäre sehr wünschenswert, solchen ein Ende zu machen, aber äußerst schwierig, eine entsprechende Vorschrift auszuführen, beziehungsweise das Delikt nachzuweisen.

c. F o r d e r u n g e n von D r i t t p e r s o n e n . Es dürfen schon nach bestehender Gesetzgebung ohne Zustimmung des Arbeiters nie Forderungen Dritter vom Lohn abgezogen werden, dagegen hat der Arbeiter das Recht der Cession, von dem er wohl lieber Gebrauch macht, als andere Geldquellen oder Bürgschaften aufzutreiben.

d . E r s a t z f ü r s c h l e c h t e A r b e i t , v e r d o r b e n e Stoffe oder Werkzeuge, a n d e r w e i t i g e Schädigung des Arb e i t g e b e r s , B u ß e n . Dieser Punkt dürfte zu denjenigen gehören,
welche hüben und drüben am meisten diskutiert und bestritten werden. Von selten der Arbeiter wird ebenso großes Gewicht darauf gelegt, daß Lohnabzüge dieser Art unterbleiben sollen, wie von Seiten der Arbeitgeber, daß sie unentbehrlich seien. Während

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von jener Seite vielfach mit theoretischen Gründen, abgeleitet von der rechtlichen Gleichstellung von Arbeitgeber und Arbeiter, argumentiert wird, halten wir dafür, daß man sich auf den Boden der Praxis stellen müsse, um in dieser Frage zu einem richtigen Urteil zu gelangen. Von diesem Gesichtspunkte aus muß wohl anerkannt werden, daß sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer sich dann am besten befinden, wenn das Geschäft in beidseitiger strenger Ordnung und unter Beobachtung der jedem Beteiligten ankommenden Verantwortlichkeit geführt wird, daß aber die Erfüllung dieser Bedingung ohne tüchtige Disciplin nicht denkbar ist. Um diese in wirksamer Weise zu sichern, besteht das Mittel der Lohnabzüge und der Entlassung. Werden die ersteren nicht gestattet, so bleibt nur letztere übrig, welche dann in vielen Fällen sich als äußerst harte, aber unvermeidliche Maßregel darstellen würde. Andererseits darf man dem Einwand, daß der Arbeitgeber eine erlittene Schädigung vor dem ordentlichen Richter einklagen könne, nicht zu viel Gewicht beimessen, denn er wird auch bei gewonnenem Prozeß in weitaus den meisten Fällen zu den Kosten nur das Nachsehen haben, weil vom Arbeiter aus begreiflichen Gründen nichts erhältlieh ist (vergi. Art. 93 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs). Dieses Auskunftsmittel wäre also problematischer Natur, während der Arbeiter, welcher,.vRegeQ'ilönaehteiligung durch den Arbeitgeber beim Gericht Recht sucht, '.Sieh in anderer Stellung befindet und mit seiner Lohnforderung durch Art. 21'Ö des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs privilegiert ist. So sehr man daher gegen jene Abzüge grundsätzlich eingenommen sein kann, so stellen sie sich doch sozusagen als notwendiges Übel dar, und wenn auf der einen Seite vom Arbeitgeber gewiß manche bittere Ungerechtigkeit begangen wird, möge auf der andern bedacht werden, daß es Arbeiter giebt, die aus Bosheit oder Rachsucht ihrem Arbeitgeber Schaden zufügen.

Man hat es hier eben auch beidseitig mit menschlichen Fehlern und Leidenschaften zu thun und muß sich bei Beurteilung solcher Fragen nur hüten, in den Fehler der Einseitigkeit zu verfallen.

Wir geben übrigens abermals den eidgenössischen F a b r i k i n s p e k t o r e n das Wort (Gutachten vom 24. August 1893): ,,Es wird aber auch nicht das Recht des Arbeitgebers, Schadenersatz
zu verlangen und den ihm zukommenden Betrag mit seiner Lohnschuld zu kompensieren, in Frage gestellt werden wollen. Es handelt sich unseres Eraehtens vielmehr darum, ob der A r b e i t g e b e r b e f u g t sei, v o n s i c h a u s z u entscheiden, o b u n d wie v i e l a b g e z o g e n w e r d e n d ü r f e . Wenn z. B. ein Arbeiter, dem gekündet ist, aus Rache hierfür Maschinen ruiniert, Bundesblatt. 46. Jahrg. Bd. III.

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18 wird niemand die Ersatzpflicht bestreiten. Soll aber der Prinzipal die Schadenersatzsumme festsetzen ? Gewöhnlich geschieht es. Wirkonstatieren, daß der Arbeiter dabei in der Regel besser fährt, als wenn der Richter entscheiden würde. Aber es giebt häßliche Ausnahmen. Am häutigsten sind sie in der Stickerei. Dort führten siezur Aufstellung von Schiedsgerichten, die, von Fachleuten besetzt und kostenlos, Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, welche beide Verbandsmitglieder waren, entschieden. Der gewöhnliche Richter versteht meist die technischen Details nicht, bedarf Experten ; der Entscheid verursacht unverhältnismäßige Kosten. Es.

wird daher gut sein , für derartige Dinge fachmännische Schiedsgerichte aufzustellen. Aber auch wenn solche bestehen, ist nicht einzusehen, warum j e d e r Abzug für Schädigung vor Gericht kommen soll. Es giebt eine Menge Fälle, wo der Betrag des Schadens ohne weiteres bekannt ist. Es giebt solche, wo kaum ^10 bis Vao des effektiven Schadens abgezogen wird ; ferner solche, wo der Schaden gar nicht bestimmt festgestellt werden kann und nur ungefähr geschätzt werden muß. Soll man in allen diesen Fällen Schiedsgericht, Prinzipal und Arbeiter zwingen, kostbare Zeit zwecklos zu verlieren, wenn letztere sich einigen können?

Behalte man also die Anrufung des Richters im Streitfall vor, wie d as Fabrikgesetz es thut ,,Sollten auch.Bußen, d. h. Geldstrafen für Disciplinarvergehen in dem Lohnabzug irgend welcher Art inbegriffen sein, so verweisen wir auf unsere wiederholten Auslassungen im Amtsbericht.

besonders pag. 52, von 1890--1891." -Wir wüßten nichts Neues über dieses Kapitel beizufügen."

Die citierte Stelle im A m t s b e r i e h t der Fabrikinspektoren, für die Jahre 1890 und 1891 lautet: ,,Die völlige A b s c h a f f u n g der B u ß e n wäre, soweit ichdies beurteilen kann, ein zweifelhaftes Geschenk für die Arbeiter, dessen sie selbst überdrüssig würden. Kommen ja doch in allen möglichen Vereinen und Versammlungen der Arbeiter auch Bußen vor für Verspätung, ungebührliches Benehmen u. s. w. Warum sollten denn die Fabriken derselben so leicht entraten können? Man kann freilich einwenden, der Arbeitgeber sei Richter in eigener Sache. Das trifft jedoch nur zu, wo die Buße nicht vorher fixiert ist, wie so gewöhnlich die Verspätungsbußen. Die Tragweite
des Bußenrechts ist keine große mehr, seit Grund und Betrag der Bußen amtlich kontrolliert wird. Und wo findet am häufigsten das Büßen statt? Vor allem aus, wo viele Kinder beschäftigt werden.

Verweise fruchten bei denselben selten, andere Strafen sind unzulässig ; wird aber durch die Buße der Lohn auch nur ein wenig

19 beeiüträchügt, helfen dann meist auch die Eltern zur Aufrechterhaltung der Disciplin mit. Sodann finden sich die höchsten Bußen, wo viele junge Leute mit gutem Erwerb und ohne Familie beschäftigt sind und nur allzugern zu Nachlässigkeiten in der Arbeit oder jugendlich übermütigem Unfug sich hinreißen lassen. Die häufigsten, aber meist minimen Bußen endlich werden ausgesprochen, wo der Arbeitgeber durch allerlei kleine, oft sich wiederholende Fehler der Arbeit Schaden erleidet, der aber im Einzelfall so unbedeutend, so wenig abzuschätzen ist, daß ein Lohnabzug nicht gerechtfertigt erseheint. So kann sich ein Spinner z. B. nur durch Bußen oder Wegschicken der Arbeiter gegen Diskreditierung seines Produkts durch schlecht gemachte Bobinen schützen, während der Sticker den ihm zugefügten Schaden oft in hohem Betrag abzieht und zu seinem Nutzen verwendet. An die Stelle der Bußen würde ohne Zweifel die Entlassung, je nach Umständen eine.plötzliche oder auf Kündigung hin, sehr oft auch Schadenersatzforderungen treten -- ein schlechter Tausch !a Über die Berechtigung der Bußen spricht sich auch der Staatsrat des Kantons N e u e n b ü r g (Bericht vom 13. Januar 1893) in so zutreffender Weise aus, daß wir die Stelle noch anführen: ,,Nous en dirons autant des amendes pour irrégularités de travail. Nous admettons volontiers que l'exercice des industries, dans les conditions modernes et avec le développement toujours plus considérable des machines, implique toujours davantage unegrande régularité de travail chez tous ceux qui participent à la production et que l'on inflige en conséquence des amendes à ceux qui contreviennent au règlement de l'usine ou de l'atelier et qui peuvent ainsi par leur irrégularité et leur négligence compromettre, non seulement la bonne marche du travail, mais souvent aussi la sécurité de leurs collègues, mais ces retenues par suite d'amendes doivent aussi être prévues dans un règlement auquel l'ouvrier aura dû donner son adhésion écrite * Es dürfte aus obigen Ausführungen resultieren, daß es nicht angehen kann, Lohnabzüge in absoluter Weise zu verbieten. Sehen wir nun, wie sich die Sache gestaltet, wenn im Sinne der Motion die v e r t r a g l i c h v e r e i n b a r t e n Abzüge vorbehalten werden.

Das Resultat unserer nähern Prüfung dieses Punktes geht; um es kurz zu sagen, dahin,
daß mit einem solchen Vorbehalt in Wirklichkeit gar nichts gewonnen wird. IQ der That hat es der Arbeitgeber so ziemlich in der Hand, in einen Vertrag diejenigen Lohnabzüge einzuführen, die man eben beseitigen wollte, denn der Arbeiter wird einen solchen Vertrag in den meisten Fällen doch

20 eingehen, beziehungsweise wohl oder übel eingehen müssen, da ihn die Sorge um seinen und seiner Familie Unterhalt nur zu oft dazu zwingt, die Arbeit zu nehmen, wo er sie findet. Man gelangt also auf Umwegen wieder zum bestehenden Zustande, so daß eben diese Umwege als vollständig überflüssig und unnütz sich erweisen. Ja, es liegt entschieden die Gefahr vor, daß, da der Arbeitgeber sich vertraglich für möglichst viele Fälle zu schützen suchen wird, die Verträge schärfere und lästigere Bestimmungen über Lohnabzüge enthalten würden, als sie bis jetzt vorkamen, und daß der Arbeiter sich demnach bedeutend schlechterstellte. Der s c h w e i z e r i s c h e A r b e i t e r b u n d bemerkt daher in seinem Berichte vom 21. September 1893: ,,Die vertragliche Vereinbarung zu Lohnabzügen sollte allerdings stark eingeschränkt werden, sonst bildet sie nur wieder das bekannte Hinterthürlein, zu dem die Umgehung der Bestimmung wieder hereinschlüpft; denn, was kann man nicht alles vertraglich vereinbaren? Jedenfalls müßten generelle Verträge betreffend Lohnabzüge vor ihrem Inkrafttreten von einer Aufsichtsbehörde genehmigt sein, und wäre die Genehmigung zu versagen, wenn sie dem Gewerbsinhaber bei streitigen- Forderungen die Begünstigung der Vorwegnahme des Lohnes einräumten.11 O Wir wollen hier nicht weiter erörtern, wohin diese Komplikationen eines an sich schon unhaltbaren Zustandes führen müßten.

Es treten noch gewisse Schwierigkeiten hinzu, welche ebenfalls gegen die Annahme von Ziffer 2 der Motion sprechen. Die eine besteht darin, daß es wegen der Mannigfaltigkeit und dem Wechsel der Beziehungen zwischen Arbeiter und Arbeitgeber schlechterdings nicht möglich ist, a l l e F ä l l e , in welchen Lohnabzüge stattfinden sollten und könnten, v o r h e r z u s e h e n , und daß also eine befriedigende Ordnung dieser Dinge doch nicht erreicht würde, abgesehen davon, daß die Stellung des Arbeitgebers, der doch auch eine gewisse Berücksichtigung verdient, erschwert würde.

Eine weitere bedeutende Unzukömmlichkeit würde dadurch verursacht, daß, entgegen der Meinung, an Stelle des eigentlichen Vertrages könnte ein allgemein geltendes und vom Arbeiter in jedem einzelnen Fall eventuell anzuerkennendes Reglement für Abzüge (,,Arbeitsordnung") treten, die entgegengesetzte Ansicht, daß m i t j e d e m A r b e i t e r e
i n b e s o n d e r e r V e r t r a g abzuschließen sei, zu dominieren scheint; so verlangt der Staatsrat des Kantons N e u e n b u r g , wohl der berufenste Interpret der Motion Comtesse, in seinem Bericht vom 13. Januar 1893 einen ,, c o n t r a t é c r i t " .

Wir beschränken uns darauf, betreffend die Konsequenzen eines solchen Verfahrens auf folgenden Passus eines Berichts zu verweisen,

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den die c o m m i s s i o n s c a n t o n a l e s des a r t s et m é t i e r s et do l ' i n d u s t r i e von F r e i b u r g am 20. Oktober 1892 erstattet haben: ,,Enfin, cette motion compliquerait étrangement les formalités de l'engagement des ouvriers. Jusqu'ici les engagements se sont faits de vive voix. La présence de l'ouvrier à l'atelier est considérée comme une acceptation, par les deux parties, des usages et des règles généralement suivis dans la localité. Il n'en sera plus de même, lorsque toute retenue sur le salaire devra être basée sur un contrat préalablement accepté par l'employeur et par l'employé.

Les clauses des obligations réciproques devront être consignées dans une convention écrite, chargée de tous les frais de papier timbré et d'enregistrement nécessaires à sa validité. Bien plus, si l'on considère que la plupart des industriels n'ont pas fait d'études juridiques et que, dès lors, il peuvent s'exposer à faire, malgré toutes les précautions, un contrat contenant des informalités et donnant lieu à un procès, la prudence la plus élémentaire leur conseillera de s'adresser à un homme de loi, à un notaire. Qui payera les stipulations ? Quel changement dans les formalités aujourd'hui si simples et cependant, si sûres de l'embauchage !

Ajoutons que l'obligation du contrat sera bien loin de constituer une garantie pour les intérêts des ouvriers que M. Comtesse a eu certainement l'intention de protéger. C'est aujourd'hui la coutume de la place qui fait règle quant aux conditions de l'engagement. Or, la coutume peut être considérée à chaque instant comme la résultante des prétentions des patrons et de celles des ouvriers. La coutume ne change que par l'entente libre des deux parties, ou bien à la suite de grèves et de luttes terminées par une transaction. Ainsi les ouvriers exercent une influence collective sur les conditions de l'embauchage. Il en sera autrement lorsque l'ouvrier discutera en tête-à-tête avec le patron, ou les deux par devant notaire, le contrat du travail. L'ouvrier abandonné à luimême, pressé de gagner sa vie, n'ayant aucune économie qui lui permette d'attendre, venant de loin et ne connaissant pas les conditions généralement acceptées par les autres ouvriers, devra passer souvent par les exigences de celui qui lui offre de l'ouvrage.a 3. Vierzehntägige Lohnzahlung.
Wir bemerken zunächst, daß uns nicht klar ist, ob die Motion (Ziffer 83 einzig die 14tägige Lohnzahlung einführen will, oder ob, da sie die ,,Beobachtung der in A r t . 10 des F a b r i k g e s e t z e s enthaltenen Vorschriften" verlangt oder zuläßt, sie auch

22 eine längere Zahlungsfrist gestattet, indem ja Absatz 2 von Art. 10 bestimmt: ^Durch besondere Verständigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, oder durch die Fabrikordnung, kann auch monatliche Auszahlung festgesetzt werden"1, wodurch die 14tägige Lohnzahlung also illusorisch gemacht werden kann und ot't auch wird.

Will man nur die kürzere Frist, so müßte Absatz 2 von Art. 10 des Fabrikgesetzes offenbar aufgehoben werden.

Nach den uns vorliegenden Berichten hat sich die 14tägige Lohnzahlung in weiten Kreisen eingelebt, und es ist zu hoffen, daß sie nach und nach ganz zur Regel werde. Uns ist sie durchaus sympathisch, und wir teilen n i c h t die Befürchtungen derjenigen, die, wie der H a n d w e r k s m e i s t e r v e r e i n von St. G a l l e n und U m g e b u n g , einen nachteiligen Einfluß auf die Sparsamkeit der Arbeiter prophezeien, indem er am 12. Oktober 1891 schreibt: ,,Wir bitten in dieser Hinsicht sehr, die Verhältnisse vieler Handwerksmeister zu ihren Gesellen nicht mit denjenigen der Fabrikherren zu ihren Arbeitern auf gleiche Linie zu stellen, 'und betonen ferner, daß viele der nach Jahren zum Meister vorgerückten Gesellen es hierzu nie gebracht hätten, wenn sie alle 8 oder 14 Tage ihren Lohn erhalten hätten! Wer hausen will, soll hausen k ö n n e n , und ihm aber auch die passendste Gelegenheit zu Ersparnissen, ja die einzige für viele tüchtige, willige, aber moralisch schwachen Stunde» unterworfene Arbeiter, hei welchen vom Zahlplatze bis zur Ersparniskasse ein weiterer Weg als nur die räumliche Distanz liegt, nicht entzogen werden.a Wir sind überzeugt, daß die in die Augen springenden Vorteile der kürzern Lohnfrist allfällige Nachteile weit überwiegen; sie ermöglicht dem Arbeiter größere Unabhängigkeit nach außen, mehr Bewegungsfreiheit und Sicherheit in seiner Lebenshaltung, und schützt ihn namentlich auch vor schädlicher und zu starker Inanspruchnahme fremden Kredits, Die 14tägige Lohnzahlung ist, entgegen anders lautenden Versicherungen aus Arbeitgeberkveisen, auch bei der Stücklohnarbeit nicht durchaus undurchführbar, indem z. B. der Minimallohn oder 75 °/o des voraussichtliehen Lohnes zur Basis von A conto-Zahlungen an den Zahltagen genommen werden und die Restzahlung nach Beendigung und Ausrechnung des Akkordes stattfindet.

Aher auch dieses Prinzip der kurzen
Lohufrist ließe sich gegebenen Falles nicht überall durchführen, so daß seine allgemeine Einführung im Sinne der Motion Comtesse kaum möglich erscheint.

Wir verweisen auf die K l e i n i n d u s t r i e und die L a n d w i r t s c h a f t , soweit sie die allein in Frage kommenden Arbeiter beschäftigen, die nicht beim Arbeitgeber Kost und Wohnung haben;

23 «die Arbeitgeber dieser Erwerbszweige arbeiten oft mit wenig Mitteln und kleinem Kredit, haben unregelmäßige Einnahmen und können sich nicht an genau geregelte Zahlungstermine binden. Ferner und ·in erhöhtem Maße kommt die h a u s i n d u s t r i e l l e A r b e i t in Betracht, die meist Aceordarbeit ist, deren Vollendung abgewartet ·werden muß, ehe sie geprüft, gewertet und bezahlt werden kann.

Immerhin würde noch eine große Zahl von Arbeitern verbleiben, für welche die 14tägige Lohnzahlung unbedenklich eingeführt werden könnte. Dazu wäre nun aber unter anderm eine Revision des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken '(Eliminierung von Absatz 2 des Art. 10) erforderlich, von welcher -wir, da sie schwerwiegende Konsequenzen anderer Natur im Gefolge hat -- wir sprechen uns hierüber noch an anderer Stelle aus -- «einstweilen zurückschrecken.

Bezüglich einer Gesetzgebung ad hoc gelten im übrigen auch hier unsere oben mitgeteilten Bemerkungen allgemeiner Natur.

Wir schließen den letztern noch folgende au, die wir dem Bericht unseres J u s t i z - und P o l i z e i d e p a r t e m e n t s vom S.Mai 1894 entnehmen : ,,Nach unserer Auffassung kann es sich nur im Hinblick auf «die Verhältnisse der F a b r i k a r b e i t e r fragen, ob ein Bedürfnis au legislativem Vorgehen im Sinne der Motion vorhanden sei. Die Motionssteller selbst wollen die Dienstboten und die bei dem Arbeitgeber Kost und Wohnung habenden Landarbeiter ausnehmen. Wir halten aber dafür, daß die socialpolitische Tendenz, den Arbeiter gegenüber dem Dienstherrn zu schützen, überhaupt nur da gerechtfertigt sei, wo eine größere Anzahl von Arbeitern in dauernder Weise einem Arbeitgeber zur Leistung von Diensten sich verpflichten und wo nach der Natur der Dinge ein solches Abhängigkeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entstehen kann, ·daß des letztern Ausbeutung durch den erstem zu befürchten steht.

Auf diesen Standpunkt hat sich der Bundesgesetzgeber im Jahre 1881 gestellt, als er von den Bestimmungen des Obligationenrechts über ·den Dienstvertrag die Bundesgesetzgebung über die Arbeit in den Fabriken ausnahm. Unser Obligationenrecht hat sich, soweit es Ihunlich war, davon ferne gehalten, für gewisse Berufsstände Sonderrechte einzuführen ; seine Tendenz ist, allgemein, auf jeden Bürger anwendbare Bestimmungen
aufzustellen. Wenn z. B. in Art. 338 bestimmt wird, daß durch den Dienstvertrag der Arbeitgeber zur Entrichtung einer Vergütung an den Arbeitnehmer sich verpflichtet, so unterläßt das Gesetz es absichtlich, festzusetzen, worin diese Vergütung zu bestehen habe, und in diesem Punkte die Freiheit der Disposition der Parteien zu beschränken oder aufzuheben. Wir

24 möchten diesen Gesichtspunkt der Generalisierung der Bestimmungen' in unserm Privatrechte nicht verlassen und sprechen uns daher ganz entschieden gegen eine der Motion Comtesse entsprechende ,,Ergänzung"1 des Titels des O b l i g a t i o n e n r e c h t s , der vom Dienstvertrag handelt, aus ,,Es wäre, wie uns scheint, auch unthunlich, den Inhalt der Motion in ein vom Fabrikgesetz losgelöstes, selbständiges Specialgesetz aufzunehmen. Wie wir bereits ausgeführt haben, bezweckt dieselbe ja doch im Grunde nichts anderes als eine Weiterbildung von Art. 10 des Fabrikgesetzes. Es würde auch schwer fallen, diejenigen Arbeitnehmer, für welche die vorgeschlagenen Bestimm'ungen kein Bedürfnis sind, zutreffend und erschöpfend aufzuzählen. Da& es nicht bloß Dienstboten und Landarbeiter sind, wie die Motionäre meinen, steht bei uns fest. Man denke nur an die vielerlei Arten der kaufmännischen Angestellten, an die Werkführer, die Lehrlinge u. a. m."

Speciell in letzterer Hinsicht ist hervorzuheben, daß Begehren vorliegen, wonach die Bestimmungen der Motion Comtesse (Ziff. l--3) auf a l l e L o h n a r b e i t e r ohne Ausnahme auszudehnen seien.

Abgesehen von den bereits besprochenen Hindernissen anderer Natur wiederholen wir aber, daß es noch der heiklen Untersuchung bedürfte, wie der Begriff ,,Arbeiter"1 (Motion) oder ,,Lohnarbeiter11 zu verstehen sei, wie er sich zu demjenigen des ,,Angestellten" verhalte, welches die Stellung des letzteren, sowie speeiell des Personals i n W i r t s c h a f t s - , H a n d e l s - , V e r k e h r s u n t e r n e h m u n g e n sei etc. Besondere Schwierigkeiten bietet auch in dieser Frage die L a n d w i r t s c h a f t ; der Regierungsrat dea Kantons L u z e r n schreibt am 19. Februar 1892 hierüber: ,,Was ist denn eigentlich das Ziel, welches die Arbeiterschutzgesetzgebung zu verfolgen hat ? Sie hat den Arbeiter allüberall, wo er so schwachist, daß ihn der Arbeitgeber in einer aller Gerechtigkeit hohnsprechenden Weise ausbeuten kann, sowie dort, wo seine körperliche, geistige und moralische Gesundheit gefährdet ist, zu schützen.

Und wenn wir nun diesen Arbeiterschutz auf die ländlichen Arbeiter n i c h t ausdehnen möchten, so leiten uns dabei folgende Gedanken.

In den kleinbäuerlichen Verhältnissen, wie sie in der ganzen Schweiz ausnahmslos verbreitet sind, ist das
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein ganz anderes, als man sich dasselbe vielfach vorstellt. Es hält in den meisten Fällen schwer, den ,,Herrn" und den ,,Knecht" von einander zu unterscheiden. Der Ernährungszustand beider ist der gleiche, sie sehen gleich wetterhart aus, ihre Kleidung ist von derselben Qualität, beide haben gleich schwielige Hände Und wenn man in sachverständigen

25

Kreisen heute die Frage aufwerfen würde, ob der Bauer oder sein Knecht der Schwache, Schutzbedürftige sei, so würde man übereinstimmend die Autwort erhalten, daß bei Abschluß ihres gegenseitigen Kontraktes der Bauer der Schwache und der Knecht der Starke sei. Ein einigermaßen tüchtiger Landarbeiter wird seit Jahrzehnten eigentlich gehätschelt und bedarf durchaus keinesSchutzes, weil er sich gegen jede Verletzung seiner Interessen selbst schützen kann" Auch der Regierungsrat des Kantons T h u r g a u spricht davon (31. Dezember 1891), ,,daß bei dem fortwährend herrschenden Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften die Arbeitgeber gewissermaßen eher in ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber ihren Arbeitern versetzt sind, als die letztern gegenüber den erstern.

Es ist sieher, daß, wenn auch die Motion Comtesse in allen Teilen sachlich begründet wäre, nicht alle Arbeiter, laute die Definition so oder anders, darunter zu bringen wären, auch nicht die,, welche nach Abrechnung der in der Motion selbst vorgesehenen Ausnahmen (Dienstboten und diejenigen Landarbeiter, welche beim, Arbeitgeber Kost und Wohnung haben) noch bleiben ; greift manaber nur einzelne Gruppen heraus, so erregt dies wiederum nicht, unbegründeten Unwillen in andern Kreisen; so läßt sich der H a n d w e r k s m e i s t e r v e r e i n v o n St. G a l l e n u n d U m g e b u n g am 12. Oktober 1891 wie folgt vernehmen: ,,Überhaupt erscheint uns ungerecht, das in den letzten Jahren praktizierte System, bei allen socialen Fragen hauptsächlich auf den H a n d w e r k s m eis t e r n herumzureiten, noch länger fortzusetzen. Mißverhältnisse im Lehrlingswesen, in Behandlung der Arbeitnehmer bei Unfällen, bei Lohnauszahlungen, bei Anstellungen und Entlassungen, in Krankheitsfällen und gegenüber den Arbeitslosen, sie führen außer den Eisenhahnen und Fabriken immer nur zu Einschreitungen gegen die Handwerksmeister und nicht auch gegen Kaufherren, Wirte und andere industrielle und landwirtschaftliche Betriebsleitungen, obschon a l l e diese Übelstände in andern Branchen unbestreitbar in viel größerem Maße vorhanden sind und viel dringendere Abhülfe rufen Die Handwerksmeister sind auch ,,Arbeiter" ; viele derselben sind schlechter daran als die Schützlinge der Motionssteller, und wir könnten nachweisen, daß die größte Zahl der hiesigen ,,Meister"
weniger verdienen, al» bessere Arbeitnehmer verschiedener Branchen, von den ebenfalls gesetzlieh geschützten Contremaîtres etc. gar nicht zu reden.a Eine grundsätzliche und daher befriedigende Lösung der durch die Motion Comtesse aufgeworfenen wichtigen Fragen läßt sich also zur Zeit nicht finden, und wir müssen uns vorhehalten, dasjenige,

26 was sich bei deren Prüfung als gut erweist, in einer später doch kommenden Gewerbegesetzgebung und bei einer nicht ausbleibenden Revision des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken zu berücksichtigen. Inzwischen ist es den K a n t o n e n unbenommen, auf solchen Gebieten, wo wirklich ein Einschreiten geboten sein möchte (z. B. in der Uhrenindustrie, Stickerei), von sich aus vorzugehen.

Wir b e a n t r a g e n , die Motion (Nationalratsbeschluß vom 9. April 1891) im Sinne unseres Berichtes als erledigt zu erklären.

III. Verkürzung des Maximalarbeitstages.

Wie wir in unserer Einleitung (Ziffer I) gesehen haben, präsentiert sich das Begehren nach Verkürzung der Arbeitszeit in verschiedenen Formen; es erstreckt sich vom 10-Stundentag bis zum 8-Stundentag, von den dem Fabrikgesetz unterstellten Etablissementen bis auf ,,alle Berufsartentt.

Zunächst möge wiederum mitgeteilt werden, wie sich die Küntonsregierungeu verhalten: Es äußerten sich 17, wovon 8 ablehnend, 7 mehr oder weniger bedingt (unter Vorbehalt internationaler Regelung, der Konkurrenzfähigkeit etc.) zustimmend; die Regierung von Wallis will Verschiebung bis zum Erlaß einer eidgenössischen Gewerbegesetzgebung, diejenige von Genf bemerkt nur, daß ein mittlerer 10-Stundentag in diesem Kanton im allgemeinen schon eingeführt sei.

Was uns betrifft, so erklären wir unverhohlen, daß wir uns mit einer gesetzlichen Verkürzung der Maximalarbeitszeit, speciell mit dem 10-Stundentag, an und für sich sehr befreunden könnten und die Bewegung zu deren Gunsten, welche in mehrfacher Beziehung berechtigt ist, begreiflich finden. Nichtsdestoweniger kommen wir bei näherer Untersuchung auch in dieser Frage zu einem allerdings nur vorläufig negativen Resultat. Die Gründe, welche uns hiebei leiten, sind itn folgenden dargethan.

Die gegenwärtige Situation ist bekanntlich die, daß unter dem Schute des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken mit einem Maximalarbeitstag von 11 Stunden cirka 190,000 Arbeiter (Zählung von 1893) stehen, unter demjenigen betreffend die Arbeitszeit beim Betriebe der Eisenbahnen und anderer Transportanstalten cirka 25,000, während, die in der Hausindustrie Beschäftigten mitgerechnet, etwa 475,000 Arbeitnehmer (Volkszählung von 1888) verbleiben, deren Arbeitszeit bundesgesetzlich nicht beschränkt ist.

Es geht aus diesen Zahlen hervor, daß speciell das Fabrikgeselz

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den ihm oft gemachten Vorwurf, es sei ein K l a s s e n - oder A u s n a h m e g e s e t z , verdient, und man wird im weitern zu der Frage gedrängt, ob man in Berücksichtigung vorliegender Begehren, tur alle Lohnarbeiter einen Maximalarbeitstag einzuführen, die vorhandene Ungleichheit korrigieren könne und solle. Es wäre das Verfahren, al le A r b e i tn eh rn er in Bezug auf die Regelung ihrer Arbeitsdauer -- wir sprechen hier nur von dieser -- zu berücksichtigen, das einzig konsequente und gerechte.

Die Antwort auf jene Frage liegt aber auf der Hand : die Praxis läßt die Verwirklichung dieser Theorie zur Zeit unter keinen Urnständen zu ; es ist geradezu undenkbar, daß eine solche Maßregel durchgesetzt werden könnte. Wer wollte es z. B. wagen, -der dem Wechsel der Witterung, der Jahreszeit etc. unterworfenen L a n d w i r t s c h a f t , den H a u s h a l t u n g e n für ihre Dienstboten, der H a u s i n d u s t r i e etc. einen Maximalarbeitstag aufzuerlegen!

Wie die Sache beim H a n d w e r k angesehen wird, möge folgender Passus im Bericht des s c h w e i z e r i s c h e n G e w e r b e v e r e i n s vom 15. Januar 1892 zeigen: ,,Die Fabrik in ihrem eigentlichen Sinn des Wortes befaßt «ich mit Massenfabrikation von Produkten, deren Gestalt möglichst begrenzt ist und deren Absatz an der Hand von Mustern in bestimmten Massen und auf bestimmte Termine lieferbar gefunden werden kann. Wo diese Umstände bestehen, kann der Betrieb mit Vorbedacht gestaltet, es können die Arbeitskräfte und die Arbeitszeit in einer Weise ausgenützt werden, wie es im Handwerk und Kleingewerbe schon deshalb niemals der Fall sein kann, weil dasselbe mit den Konsumenten in direkter Verbindung steht und daher mit endlosen Variationen in der Gestalt der Produkte und mit unberechenbaren Lief'erungsterminen zu rechnen hat. In den letzteren Geschäften können sodann die Jahreszeiten, die Witterung, die Dimension eines momentan bestellten Objektes im Vergleich zum Umfang der Werkstatt, die Moden, momentane Ereignisse u. s. w.

allerlei Hemmnisse im Gefolge haben, die man im fabrikmäßigen Betrieb im obengenannten Sinne ebenfalls nicht kennt.

,,Es springt z. B. eine Wasserleitung in einem Haus und richtet großen Schaden an. -- Es wird eine Zuleitung zu einem Motor, zu einem Back- oder Dörrofen etc. defekt und sollte über Nacht
repariert werden, wenn nicht am andern Morgen eine große Zahl von Arbeitern von der Arbeit abgehalten sein sollen. -- Beim plötzlichen Glatteis stehen vor oder nach dem reglernentarischen Feierabend noch eine Menge Pferde vor der Schmiede, und deren Hufeisen sollten gespitzt werden, wenn größeres Unglück und Verkehrsstörungen verhütet werden sollen. -- Bin Fremder muß an

28 einem bestimmten Morgen verreisen; die Annahme des dem Schneider bestellten Kleides hängt von der Lieferzeit ab; der Schneider steht, vielleicht durch die Schuld des Arbeiters, vor der Alternative, entweder noch zwei Stunden arbeiten zu lassen oder den Beirag für das Kleid zu verlieren. -- Die Umstände erfordern die Anfertigung eines Sarges während der Nacht oder am Sonntag. -- Hundert oder mehr Bauarbeiter können am Weiterarbeiten gehindert sein durch ein nebensächliches, unvorhergesehenes Ereignis, welchesvielleicht von einem oder zwei Specialisten in wenigen Stunden gehoben werden ka.nn, indessen wegen Raumverhältnissen erst nach Entfernung der übrigen Arbeiter zu machen möglich ist u. s. w ,,Um unter solchen Umständen die Wirkung einer allfälligen Verkürzung der Arbeitszeit beurteilen zu können, muß man sich vergegenwärtigen, daß eine ganze Reihe von Gewerben aus nicht abzuwendenden Gründen teilweise mit 11 Stunden täglicher Arbeitszeit kaum auskommen, während sie teilweise kaum für 9 Stunden Beschäftigung haben. Die Verkürzung der Arbeitszeit würde sich also ausschließlieh gegen die sogenannte Erntezeit des Berufes richten und könnte somit vom betroffenen Teil nur als ein kopfloser, gewalttätiger, gegen den Arbeitgeber gerichteter Eingriff taxiert werden."· Um Mißverständnissen vorzubeugen, wollen wir nicht unterlassen, beizufügen, daß wir die soeben angeführte Ansichtsäußerung (herrührend vom Handwerker- und Gewerbeverein Bern) nicht in ihrem vollen Umfange billigen, daß wir aber, was die Regelung der Arbeitszeit betrifft, eine solche auch jetzt nicht für das gesamte Handwerk und Kleingewerbe als thunlich erachten. Wir berufen uns darauf, daß wir bereits in unserm B e r i e h t vom 3. Juni 1891 b e t r e f f e n d vie r B e s c h l ü s s e d e r R ä t e z u m B u n d e s g e s e t z ü b e r d i e A r b e i t i n d e n F a b r i k e n (Bundesbl. III, 194) uns in gleichem Sinne ausgesprochen haben, indem wir ala einen Hauptgrund, warum dieses Gesetz nicht auf alle Betriebe, welche fremde Personen beschäftigen, übertragbar sei, bezeichneten: ,,Andererseits der M a x i ma l ar b e i t s t a g . Wenn auch dem vorerwähnten Bedenken ^betreffend die Haftpflicht) in baldiger Zeit durch die obligatorische und staatliche Unfallversicherung abgeholfen werden wird, so bleibt das nicht minder gewichtige,
daß die kleinen Gewerbe (z. B. Schuhmacher-, Schneiderwerkstätten, Kleinwascherei) einen Maximalarbeitstag von 11 Stunden, respektive eine Beschränkung der Arbeitszeit auf die Stunden von 5 Uhr, bezvv. 6 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, nicht auf sich nehmen können, ohne in ihrer Existenzfähigkeit ernstlich bedroht zu sein. Dazu kommt, daß die Kontrolle über die Beobachtung einer eventuellen Vorschrift dieser

29 Art vielfach beinahe und ganz unmöglich wäre, indem es sich um Geschäfte handelt, welche zum Teil in der Hausindustrie aufgehen, sich überhaupt der öffentlichen Einsicht mit Leichtigkeit entziehen. a Anschließend an letzteren Satz ist von neuem nur zu bestätigen, daß die Einführung einer gesetzlichen Arbeitsdauer für alle außerhalb ihrer Wohnung beschäftigteo Arbeitnehmer der H a u s i n d u s t r i e und den mit ihr verbundenen argen Mißständen, die jn bekannt sind, gewaltig Vorschub leisten würde; der Hausindustrie selbst ist aber von seilen des Staates in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen schwerlich beizukommen, es sei denn, daß man zu «infein unerträglichen Polizeiregime seine Zuflucht nähme. Es ist kaum nötig, beizufügen, daß wir ein solches nicht befürworten können.

Wir haben es aber in der vorliegenden Frage nicht nur materiell, sondern auch formell mit zur Zeit unübersteigbaren Hindernissen zu thun. Art. 34 der Bundesverfassung räumt nämlich dem Bund nur die K o m p e t e n z zu einer beschränkten Arbeiterschutzgesetzgebung ein. Was speciell das aus jenem Artikel abgeleitete Bundesgesetz über die Arbeit in den Fabriken betrifft, so rnuß wohl zugegeben werden, daß man in seiner Ausdehnung auf die einzelnen Betriebe bis an die äußerste Grenze gegangen ist. Dennoch steht die große Mehrzahl der Arbeitnehmer außerhalb dieses Gesetzes. Wir haben in unserer B o t s c h a f t vom 25. November 1892 betreffend E i n f ü h r u n g des R e c h t s d e r G e s e t z g e b u n g ü b e r d a s G e w e r b e w e s e n (Bundesbl. V , 366) dargelegt, unter welchen Umständen eine Regelung der Arbeitszeit für eiae Anzahl von Nichtfabrikarbeitern erfolgen sollte, und stehen auch heute noch auf dem Standpunkte, daß eine solche Maßnahme für manche Betriebe (Wirtschaften, Konfektions-, Handelsgeschäfte etc.) eine geradezu dringende wäre. Nachdem aber das Volk den Verfassungsartikel, welcher die Kompetenz zur Gewerbegesetzgebung hätte geben sollen, verworfen, muß es vorläufig beim alten bleiben, und man hat sich zu gedulden, bis die fortschreitende Bewegung auch hier Wandel schafft. Einstweilen ist das festzuhalten, daß der Bund zur Zeit nicht kompetent ist, diejenigen Begehren, welche einen gesetzlichen Arbeitstag für ,,alle Berufsarten'1 verlangen, zu berücksichtigen, und daß die jenern Volksentscheid gebührende
Achtung es nicht erlaubt, j e t z t durch eine Verfassungsrevision die nötige Befugnis zu verlangen, um so weniger, als der Entscheid selbst vielfach durch Furcht vor zu weitgehendem .,,Arbeiterschutz" entstanden sein dürfte.

Es kann sich somit nur noch um die dem Bundesgesete betreffend die Arbeit in den Fabriken unterstellten Arbeiter handeln ; nennen wir sie F a b r i k a r b e i t e r , obschon dieser Ausdruck nach

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den faktischen Verhältnissen zu eng ist. Ferner kann gegenwärtig,, entgegen dem in den Petitionen zu findenden Postulat eines gesetzlichen Arbeitstages von 8 Stunden, vernünftigerweise nur ein solcher von 10 S t u n d e n gegenüber dem bestehenden llstündigen (10 Stunden an den Samstagen und Vorabenden von Sonn- und Festtagen) in Betracht fallen. Der A r b e i t e r t a g in Ö l t e n (Ostern 1890) beschloß selbst: ,,Der Maximalarbeitstag für alle dem Fabrikgesetz unterworfenen Geschäfte soll 10 Stunden betragen", und der Bericht des s c h w e i z e r i s c h e n Ar h e i t e r b u n d e s vom 21. September 1893 äußert sich dahin: ,,Da wir hier als Beauftragte des schweizerischen Arbeiterbundes handeln, dürfen wir, obgleich überzeugte grundsätzliche Verfechter des Achtstundentages, den Rahmen der Ottener Beschlüsse nicht überschreiten."

Wir beschäftigen uns also im folgenden vorwiegend mit dem 10-Stundentag und bemerken zum voraus, daß wir uns der Schwierigkeiten wohl bewußt sind, welche auf diesem Gebiet einerseits der Bildung eines unbefangenen Urteils, andererseits der vorurteillosen Würdigung eines solchen entgegenstehen. Demgemäß sind wir daraufgefaßt, daß unser Berieht heftigen Angriffen begegnen werde; selbstverständlich ist, daß wir uns hierdurch in unserm Bestreben, das Gesamtwohl des Landes ins Auge zu fassen, nicht irre machen lassen.

Wenn das Thema ^Reduktion der Arbeitszeit"' auftaucht, ist man gewöhnt, den Ruf zu vernehmen, daß durch eine solche die I n d u s t r i e in unerträglicher Weise g e s c h ä d i g t würde. Dieser Einwand ist mit ebensogroßer Vorsicht aufzunehmen, wie die Resolutionen zahlreicher Arbeiterversarnmlungen, welche einer Parole zustinMnen, ohne sich von ihrer Bedeutung und Tragweite genau Rechenschaft zu geben. Jener Ruf erscholl auch vor dem Erlaß des gegenwärtigen Fabrikgesetzes, vor 1877 ; inwiefern hat die seitherige Erfahrung ihn bestätigt? Die Wahrheit dürfte sein, daß der 11-Stundentag einem Teil der schweizerischen Industrie anfangs empfindlichen Schaden brachte, daß sie aber ihre Stellung durch Vervollkommnung der maschinellen Einrichtung, Herbeiniehung auch der kleinsten Betriebsvorteile, intensive Ausnützung der Arbeitszeit seitens ihrer Arbeiter u. s. w. im großen und ganzen zu wahren vermochte. Eine solche Anspannung hat natürlich ihre Grenze;
manche Industrie (z. B. die Baumwollspinnerei und -weberei) kann einen durch neue Verkürzung der Arbeitszeit verursachten Ausfall an Produkt nicht mehr durch schnellern Gang der Maschinen einbringen, weil die Maschinen längst mit maximaler Geschwindigkeit arbeiten oder die Arbeitskraft ganz ausgenützt ist; die Erfindung und Anschaffung neuer leistungsfähigster Maschinen läßt sich auch

31 nicht erzwingen, letztere deshalb nicht, weil unsere Industrie vielfach nicht so kapitalkräftig ist, wie man anzunehmen geneigt ist; betreffend die Arbeiter wird sogar die Befürchtung geäußert, daß ihre vermehrte Anstrengung, um z. B. bei Accordarl>eit in kürzerer Zeit den nämlichen Lohe zu verdienen, schädigend auf die Gesundheit zurückwirken werde (der Bericht des schweizerischen Arbeiterbundes vom 21. September 1893 geht .sogar von den Nachteilen der Stückarbeit ,,für Gesundheit und Leben" aus, um für die Beseitigung dieses Lohnsystems zu plädieren), abgesehen davon, daß der Arbeitgeber das Bestreben haben wird, nur gewandte Leute anzustellen und mittelmäßige Kräfte abzuschieben. Es liegt sonach in der Natur der Verhältnisse, daß unzweifelhaft durch eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit von 11 auf 10 Stunden eine gewisse Schädigung mancher unserer Industrien eintreten wird, die, wenn sie auch vielleicht nicht den von Arbeitgebern befürchteten Umfang annimmt, doch einen bleibenden und bedrohlichen Charakter erhält..

Die Schädigung wird in einer der Istündigen Verkürzung wenigstens teilweise schritthaltenden Produktionsabnahme, sowie in einer Verteuerung des Produktes bestehen, und somit einen wohl ins Auge zu fassenden Einfluß auf die Konkurrenzfähigkeit ausüben. Letztere wird auch mancherorts, z. B. in der Stickerei, um so fühlbarer unter der Produktion der dem Fabrikgesetz nicht unterstellten gleichO c artigen Betriebe zu leiden haben, als die Differenz zwischen dea beidseitigen Arbeitszeiten größer wird.

Zu erwarten wäre zwar, daß die Geschäfte, welche den inländischen Markt beherrschen, sich der nachteiligen Situation bi» zu einem gewissen Grade, d. h. solange der ausländische Import sich nicht aufzudrängen vermag, zu ungunsten der Konsumenten, zu denen die Arbeiter selbst wieder gehören, durch Erhöhung der Warenpreise zu entziehen vermöchten. Dies ist aber thatsächlich nicht mehr der Fall bei denjenigen wichtigen Industriezweigen, welche auf den Export angewiesen sind; keiner derselben ist im Vergleich zu der Produktionskraft der andern Länder auch nur annähernd stark genug, um auf die Preisregulierung des Weltmarkts einen maßgebenden Einfluß auszuüben oder gar auf die Überproduktion einzuwirken. (Es zeugt, nebenbei bemerkt, von etwas sonderbarer Logik, wenn von Verfechtern der
reduzierten Arbeitszeit gleichzeitig vorgebracht wird, einerseits, durch letztere werde die leidige Überproduktion vermindert und der höhere Handelspreis der Ware bilde einen Ersatz für die Vermehrung der Produktionskosten, andererseits, der Ausfall an Arbeitszeit werde durch intensivere Arbeitsleistung eingebracht.) Die Folge hiervon ist die, daß ein Teil unserer Exportindustrie die ohnehin gewaltige Konkurrenz nicht mehr zu ertragen vermag, was so viel bedeutet wie

32 Aufhören der Existenzfähigkeit oder Auswanderung in andere ·Staaten. Man wird von uns nicht verlangen, dnß wir hier ins einzelne eingehen und über den Umfang des zu gewävtigenden Schadens weitläufige Untersuchungen anstellen, es würde dies viel .zu weit führen; es genüge, zu wissen, daß unsere Besorgnisse auf keiner Voreingenommenheit, sondern auf leider sehr reeller Grundlage und auf objektiver Würdigung von Thatsachen beruhen. Der Bund aber, welcher die Gesamtinteressen des Landes zu wahren tat, kann sie den Interessen auch des Arbeiterstandes nicht unterordnen, und diese müssen im vorliegenden Falle zurücktreten, weil sie mit wichtigem und allgemeinern Interessen anderer Natur zur Zeit nicht vereinbar sind. Die Industrie ist gegenwärtig nicht kräftig genug, um dem Experiment des gesetzlichen 10-Stunderitages ausgesetzt zu werden (der Regierungsrat des Kantons T h u r g a u urteilt in seinem Bericht vom 31. Dezember 1891 : ,,Die schweizerische Industrie ist aber nicht im stände, diese Probe zum zweitenmal durchzumachen"), und daß dein so ist, möge man aus den Veröffentlichungen der s c h w e i z e r i s c h e n H a n d e l s s t a t i s t i k (herausgegeben vorn schweizerischen Zolldepartement) und den Berichten ,, ü b e r H a n d e l u n d I n d u s t r i e d e r S c h w e i z " ' (erstattet vom Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins) ersehen.

Es mag schön klingen, die Schweiz solle auf diesem Gebiete vorangehen, aber man muß eben nicht vergessen, daß sie ihre eigenen wirtschaftlichen Existenzbedingungen nicht untergraben darf, und daß in ganz Europa außer ihr nur noch zwei Staaten einen gesetzlichen Maximalarbeitstag für erwachsene männliche Personen haben (Frankreich einen faktisch gar nicht durchgeführten 12-Stundentag, Österreich den 11-Stundentag); in England, das so häufig als Vorbild hingestellt wird, hat nicht der Staat, sondern die Arbeiterschaft eine kürzere Arbeitsdauer eingeführt und sich verschaffen können, weil die industriellen Verhältnisse zufolge ihrer großartigen und dominierenden Entwicklung es zuließen. So wie die Sache jetzt liegt, kann die Schweiz nicht isoliert weiter gehen, sondern muß immer wieder hoffen, daß doch noch eine Aktion auf i n t e r n a t i o n a l e m Wege zu stände komme; zum mindesten muß sie abwarten, bis ihr die großen, tonangebenden
Industriestaaten n a c h g e k o m m e n sein werden.

Man möge uns nicht mißverstehen. Wir geben gern zu, daß es in manchen unserer Industrien und Gewerbe möglich und wünschenswert ist, unter den llstündigen Arbeitstag zu gehen.

Es liegt überhaupt in der Verschiedenartigkeit der Bedürfnisse und Betriebsweisen, daß der Maximalarbeitstag hier etwas länger sein

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muß, dort kürzer sein darf; schon die einheitliche Schablone des 'Fabrikgesetzes hat in mehrfacher Hinsicht empfindlich gestört, und es dürfte kaum rationell sein, in dieser Unifikation weiter zu gehen.

Auf der andern Seite aber geht es kaum an, von Gesetzes wegen v e r s c h i e d e n lange M a x i m a l a r b e i t s t a g e einzuführen, denn es wäre so ziemlich unmöglich, eine gerechte, Arbeitgeber wie Arbeiter befriedigende Zuteilung der Beschäftigungsarten zum kürzeren oder längeren Arbeitstag vorzunehmen und die Vollziehung betreffender Vorschriften wirksam zu überwachen und zu sichern. Aufgabe des Staates war es in erster Linie, diejenigen Maßnahmen zu treffen, welche die Sorge für Gesundheit und Leben der Arbeiter gebot, und es geschah dies durch die Fabrikgesetzgebung.

Weitere bedeutende und erfreuliche Fortschritte speciell in der Richtung der Arbeitszeitverkürzung sind durch d i r e k t e V e r s t ä n d i g u n g zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zustande gekommen. Die Direktion des Innern des Kantons Z ü r i c h hat sich die verdankenswerte Mühe genommen, über ,,die Arbeitszeit in den Fabriketablissementen des Kantons Zürich im Dezember 1891 nach Industriezweigen1* s t a t i s t i s c h e A n g a b e n zu sammeln, die in einer Tabelle vorliegen und folgendes Gesamtresultat ergeben: Von 757 industriellen Etablissementen mit 43,649 Arbeitern haben eine wöchentliche Arbeitsdauer von 65 Stunden, gesetzliches Maximum . . . . 3 9 5 Etablissemente m i t 24,092 Arbeitern, weniger als 65, aber mehr als 60 Stunden . . 82 ,, ,, 3,461 ,, 60--57, d. h. täglich 10--9Vz Stunden . . 252 ,, ,, 15,235 ,, weniger als 57 Stunden 28 ,, ,, 861 ,, In der r o m a ni s e h e n S c h w e i z haben 702 Fabriken täglich 11 Stunden Arbeit, 80 ,, ,, IO'/» ,, 238 ,, ,, 10 5 ,, ,, 9V» ,, 57

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(Amtsbericht der Fabrikinspektoren 1892/93, II. Kreis.)

Diese Bewegung wird, besonders auch vermöge der zunehmen.den Organisation der Arbeiter, ihren Weg weiter verfolgen, und wir hoffen, daß auf diesem das zur Zeit Zulässige zu erreichen sei.

Dieses Verfahren freiwilligen Übereinkommens bietet außerdem die Vorteile, daß es die specifischen Verhältnisse jeder Betriebsart beBundesblatt. 46. Jahrg. Bd. III.

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rlicksichtigen kann und innerhalb der gesetzlichen 11 Stunden einen, gewissen Spielraum für Anpassung an wechselnde Verhältnisse gewährt ; in letzterer Beziehung möge bedacht werden, daß der industrielle Betrieb, auch in verhältnismäßig guten Zeiten, eben oft ein unregelmäßiger, ruckweiser geworden ist.

Wir sind überzeugt, daß es an vielfachem Entgegenkommen, seitens der Arbeitgeberschaft nicht fehlen wird ; so versichert der Vorort d e s s c h w e i z e r i s c h e n H a n d e l s - u n d I n d u s t r i e v e r e i n s (Bericht vom 29. Oktober 1892) in Bezug auf die Resolutionen der schweizerischen Handelskammer: ,,Diese Schlußnahme erklärt sich durchaus nicht grundsätzlich gegen eine Verkürzung der Arbeitsdauer, wie sie von der organisierten Arbeiterschaft für die dem Fabrikgesetz unterstellten Etablissemente gefordert wird ; allein sie will dem Gang der Dinga nicht in einer Weise vorgegriffen wissen, die den Slaat unter Umständen gleichsam zum Mitschuldigen arn Niedergänge der Landesindustrien werden ließe.

,,Es ist leider in weiten Kreisen üblich geworden, die Arbeitgeber insgemein als allen Neuerungen und jeder bessern Einsicht unzugänglich hinzustellen. So auch in der Frage der Verkürzung der Arbeitsdauer. Die Ungerechtigkeit. dieses Vorwurfes könnte mit jenen vielfachen Beispielen nachgewiesen werden, wo der Arbeitgeber entweder vollkommen aus freien Stücken oder doch keineswegs gezwungen die Dauer des gesetzlichen istormalarbeitstâges vermindert hat: um mehr oder weniger, je nachdem die Verhältnisse es zu gestatten schienen.

,,Eine Ermäßigung der Arbeitsdauer kann doch wohl nur dann statthaben, wenn in der vorgesehenen kürzern Arbeitszeit die Erzeugung der nämlichen Warenmenge ohne Schädigung der Beschaffenheit möglich ist, wie in der bisherigen längern. In dieser Hinsicht ist aber vorderhand für manche unserer Industrien die Grenze der zulässigen Arbeitszeiteinschränkung bei den ihr zu Gebote stehenden Produktionsmitteln bereits erreicht. So stehen den Aussagen in den Berichten der Fabrikinspektoren, wonach die Herabsetzung des Normalarbeitstages in den Maschinenwerkstätlen gar keine nachteiligen Folgen gehabt hätte, diejenigen des Vereins schweizerischer Maschinenindustrieller gegenüber, welche einen Ausfall in der Produktion und damit eine Verteuerung des Betriebes behaupten, deidie
Konkurrenzfähigkeit fühlbar beeinträchtige. Und doch giebt der Verein vorbehaltlos zu, daß eine lOstündige tägliche Arbeitszeit _ für die körperlich anstrengende Arbeit lang genug bemessen seiEs hundelt sich hier mithin nicht um Mangel an gutem Willen."·

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Es liegen noch einige besondere Erwägungen vor, welche in der vorliegenden Frage m e h r o d e r w e n i g e r in Betracht fallen, abgesehen davon, daß eine jetzige Revision des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken im Sinne der Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit bedenkliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte, indem der Umfang der Revision nicht zum voraus einzugrenzen ist.

a. Es giebt bekanntlich Betriebe, welche nur während eines Teils des Jahres intensiv arbeiten können -- S a i s o n i n d u s t r i e n (Stroh, Konfektion, Ziegelei) --, oder von der sogenannten F r e m d e n i n d u s t r i e abhängen (Wäscherei), oder endlich an eine gewisse Dauer ihrer t e c h n i s c h e n V e r fa h r e n gebunden sind (Chemische Industrie, Färberei). Schon der 11-Stundentag bereitet ihnen erhebliche Schwierigkeiten, denen teilweise durch die Bewilligung von Überzeit- (Art. 11 des Fabrikgesetzes) und Hülfsarbeit (Art. 12) begegnet wird, die aber beim 10-Stundentag oft kaum überwindlich wären, z. B. dann nicht, wenn in hoher Saison die durch den Zeitausfall erforderliehe Mehrzahl von gut geschulten Arbeitern nicht erhältlich ist.

b. Hat man schon beim jetzigen Regime große Mühe, die sog. Ü b e r z e i t b e wi 11 i g u n g e n (Verlängerungen des llstündigen Arbeitstages auf Grund von Art. 11), welche eine grundsätzlich nicht zu lobende, aber leider nicht entbehrliche Institution sind, einzuschränken, so müßten sie beim 10-Stundentag naturgemäß um so zahlreicher werden, und wir sind ganz mit den Fabrikinspektoren (Bericht vom 24. August 1893)-einverstanden, daß Funktion und Ansehen des Gesetzes dadurch empfindlich geschädigt würden.

Über den bisherigen Umfang jener Bewilligungen geben die Amtsberichte der Inspektoren Aufschluß; die daherige Verlängerung der Arbeitszeit betrug beispielsweise für den I. Kreis in den Jahren 1892 und 1893 0.08 °/o, für den III. Kreis 0.22 %.

c. In den Etablissementen, welche ihrer Natur nach u n u n t e r b r o c h e n e n B e t r i e b erfordern, wäre der 10-Stundentag für die einzelnen Schichten kaum durchführbar, und es müßten voraussichtlich 3 Schichten mit je (stündiger Dauer eingeführt werden.

Es ist dies wirklich ein Postulat des Oltener Arbeitertages, und eine solche Bestimmung hätte vieles für sich, wenn es uns auch zur Zeit nicht möglich ist,
uns ein abschließendes Urteil darüber zu bilden.

d. Die L a n d w i r t s c h a f t wird gegen eine weitere Herab' Setzung des gesetzlichen Arbeitstages in den industriellen Eta_ blissementen energisch Front machen. So schreibt der s c h w e i z e r i s c h e l a n d w i r t s c h a f t l i c h e V e r e i n am 16. März 1892:

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,,Für die Landwirtschaft darf der Satz als feststehend gelten, daß eine Reduktion der Arbeitszeit in Handel, Gewerbe und Industrie auf täglich 10, 9 oder 8 Stunden zugleich eine weiter gehende Reduktion der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte naturnotweodig bedingt.

^Sowieso übt die Tag um Tag fixierte Arbeitszeit in unsern Gewerben und Fabriken einen verlockenden Einfluß auf männliche wie weibliche Landarbeiter aus, und nicht ohne Bangigkeit verfolgt der Volkswirtschafter die stets zunehmende Entvölkerung der Landgemeinden und den Zustrom zu den Städten und Industriecentren.

Schon jetzt leidet unsere ausübende Landwirtschaft sehr schwer unter dieser Thatsache, und zwar so sehr, daß z. B. im Kanton Graubünden einzelne Heimwesen aus Mangel an Arbeitskräften nicht mehr bearbeitet, die zweite Grasernte nicht eingeheimst werden konnte. Und überall in landwirtschaftlichen Kreisen ist nur eine Klage über die Not und den Mangel an Arbeitskräften. Tritt eine weitere Reduktion ein, so wird die Lage der Landwirte noch prekärer und geradezu unhaltbar. Es darf wohl gesagt werden, daß die Landwirte wie ein Mann gegen eine zu weit gehende Reduktion der Arbeitszeit sich wenden werden und diesbezügliche gesetzliche Bestimmungen auf entschiedenen und hartnäckigen Widerstand stoßen werden Der landwirtschaftliche Stand soll auch'gehört und berücksichtigt werden und nicht andern Erwerbsgebieten gegenüber das alleinige Opfer sein, sofern man noch Wert darauf legt, daß der Staat in seinen Grundfesten stark und kräftig dastehe."

In ähnlichem, teilweise noch schärferem Sinne äußern sich die Z ü r e h e r i s c h e X X I e r K o m m i s s i o n f ü r H e b u n g d e s Notstandes der L a n d w i r t s c h a f t , die ökonomische und gemeinnützige" Gesellschaft des K a n t o n s B e r n , der t h u r g a u i s c h e k a n t o n a l e l a n d w i r t s c h a f t l i c h e V e r e i n etc.

Die Direktion des Innern des Kantons Z ü r i c h knüpft an die Betrachtung dieser Situation folgende beachtenswerte Schlußfolgerung (Bericht vom 28. November 1892): ,,Zum Schlüsse mag auch noch die Situation in Betracht gezogen werden, in welche man geriete, wenn der Zehnstundentag -- von weiterer Reduktion halten wir es trotz dem demonstrativen Lärm nicht der Mühe wert zu sprechen -- als Gesetzesentwurf dem Volke vorgelegt werden müßte
und verworfen würde. Bei der Stimmung, die in landwirtschaftlichen Kreisen mit Bezug auf die Reduktion der Arbeitszeit vorhanden ist, und die auch bei den Verhandlungen unserer XXIer Kommission über den Notstand der Landwirtschaft in ernste Erwägung gezogen wurde, halten wir dies durchaus nicht für unmöglich, glauben aber, daß ein solches

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Vorkommnis für die weitere Entwicklung der Arbeiterschutzgesetzgebung von schlimmen Folgen sein müßte."

e. Es entsteht in vielen Fällen noch die Frage, ob der Arbeiter sich durch Reduktion der Arbeitszeit überhaupt besser stellen würde. Die Behauptung, daß die L ö h n e keine Verminderung, sondern viel eher eine Erhöhung erfahren müßten, ist keineswegs unanfechtbar. Wir treffen vielerorts auf die Versicherung, daß eine Verminderung die unvermeidliche Folge wäre; so schreiben die eidgenössischen F a b r i k i n s p e k t o r e n in ihrem Berichte vom 24. August 1893: Von andern Industrien ,,sind wir überzeugt, daß sie nicht fortexistieren könnten ohne Erniedrigung der Löhne -- ein Effekt, der wohl unheilvoller wäre, ajs anstrengende 11-Slundenarbeit in gesunden Arbeitsräumen tt . Wir können uns jedoch nicht darauf einlassen, das Problem hier zu lösen, und begnügen uns damit, als charakteristisches Beispiel folgende Äußerung eines Fabrikanten aus dem Kanton Zürich, Inhaber einer mechanischen Werkstätte, wiederzugeben: ,,Würde nua die tägliche Arbeitszeit auf 10 Stunden normiert, so könnte dies für mich nur von Vorteil sein, indem ich alsdann den Lohn nur für 10 Stunden täglich bezahlen müßte, während derselbe jetzt für 11 Stunden bezahlt wird. Bei l (Mündiger Arbeitszeit wären die oben aufgeführten Pausen nicht Inbegriffen, und hätte ich daher bloß eiaen Arbeilsausfall von eirka 2 °/o und dafür eine Reduktion der Löhne von 9 °/o. Aus obigen Gründen ist mir die Verkürzung des Normalarbeitstages von 11 auf 10 Stunden durchaus nicht unangenehm."

Ebensowenig wollen wir untersuchen, ob die zahlreichen Prophezeiungen begründet seien, daß die durch Arbeitsverkürzung gewonnene Zeit meistenteils, besonders beim ledigen Arbeiter, dem W i r t s h a u s l e b e n zu gute komme, und wie es sich mit dem Punkt verhalte, den der Regierungsrtit des Kantons A a r g a u mit folgenden Worten (Schreiben vom 19. Februar 1892) andeutet: ,,Man darf es auch unverhohlen aussprechen, daß der Ruf nach Verkürzung des Normalarbeitsfages wohl selten von der solidem Arbeiterschaft ausgeht, ja es kommt nur zu häufig vor, daß sie diese'Überzeitbewilligungen wünscht und begrüßt. tt Das Bedenken sei noch erwähnt, welches den Fall betrifft, wo der Arbeiter nach abgeschlossenem 10-Stundentag auf eigene Rechnung Berufsarbeiten unternimmt;
der s c h w e i z e r i s c h e G e w e r b e v e r e i n meint hierzu (Bericht vom 15. Januar 1892"): ,,Dabei qualifiziert er sich als ein Konkurrent des Meisters, welcher der direkten Verlotterung des Berufes entgegenarbeitet, indem er, vielleicht aus Unkenntnis, Vertragsarbeiten übernimmt,

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bei deren Schlußrechnung ihm nicht derjenige Stundenlohn bleibt, den er üblich als ,,Hungerlohn" bezeichnet, wenn er ihn vom Meister bezieht. Daß mit der Verkürzung der Arbeitszeit eine Zunahme der Verlotterung dös Berufes im genannten Sinne Schritt halten würde, liegt auf der Hand.a Wir gelangen nach eingehender Erwägung der außerordentlich schwerwiegenden Frage, die uns oben beschäftigte, zu dem gleichen Schluß, wie unsere Fabrikinspektoren (Bericht vom 24. August 1893), nämlich, daß sie noch nicht ,,spruchreif"' sei. Nach wie vor werden wir ihr unsere volle Aufmerksamkeit zuwenden und zu gegebener Zeit namentlich auch die Lösung, welche eine Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit auf wöchentlich 60 Stunden durch Freigebung des S a m s t a g N a c h m i t t a g erzielen will, in Betracht ziehen.

Unser A n t r a g geht dahin, es seien die Petitionen betreffend Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit mit gegenwärtigem Bericht als erledigt zu erklären.

IV. Verbot der Fabrikarbeit für verheiratete Frauen.

Wir haben es hier mit einem Postulat zu thun, über dessen Verwirklichung sich die Urheber selbst wohl am wenigsten Illusionen gemacht haben. Seine Aussichten spiegeln sich auch im Urteil der Kantonsregierungen wieder, indem sich 13 gegen, eine (Schaffhausen) für das Begehren aussprechen. Es figuriert auch n i c h t unter den o f f i z i e l l e n Begehren der A r b e i t e r s c h a f t (siehe oben I. Einleitung) und ein großer Teil der letztern wird nicht zu seinen Anhängern gehören. In der That können wir die Haltlosigkeit dieser Petition nicht besser charakterisieren, als indem wir folgende Stelle aus dem Bericht des s c h w e i z e r i s c h e n Ar bei ter bun d e s , vom 21. September 1893, hervorheben: ,,Ein Verbot der Arbeit verheirateter Frauen in Fabriken würden wir gern befürworten, schon um zu zeigen, daß die organisierte Arbeiterschaft keineswegs jene feindliche Stellung zur Familie einnimmt, die man ihr gern unterschiebt. Ist es doch nur zu wahr, daß die Besorgung des Haushalts, die Erziehung der Kinder und das ganze Familienleben des Arbeiters unter der Fabrikarbeit der Hausfrau schwer leidet. Daß ein solches Verbot sieh durchführen ließe, ohne die Industrie zu schädigen, hat das Beispiel des verstorbenen J. C. Brunner in Niederlenz bewiesen, der in seinen Fabriken keine verheiratete Frau anstellte. Allein ein solches Verbot figuriert nicht unter den Beschlüssen des Oltener Arbeiter-

39 tages, in seiner Allgemeinheit würde es auch als eine unzulässige Beschränkung des Rechtes der Frau, Arbeit zu suchen, von der Arbeiterschaft und namentlich von ihrem weiblichen Teile empfunden und bekämpft werden. Die Zahl der in Fabriken beschäftigten verheiratetet! Frauen ist eben schon lange eine große.

Da, wo ein anderes Familienglied die Haushaltung und die Kinder besorgt, wo keine oder wenigstens keine unerwachsenen Kinder da sind, oder wo der Mann sich um den Unterhalt der Frau nicht kümmert, da läßt sich nun eben doch nicht einfach der Frau ein Erwerbsgebiet abschneiden. Es würden schon aus unsern eigenen Reihen sich Widersprüche erheben, · und deshalb wären wir auch nicht stark genug, ein Verbot für die vielen Fälle, wo es ganz am Platze wäre, durchzusetzen."

Es wäre interessant, die Gründe zu kennen, welche die Urheber der Petition geleitet haben. Vielleicht war es die Rücksicht auf die naturliche Stellung der Frau, welche sie ja allerdings in die Familie, in die Haushaltung, nicht in die Fabrik verweist ; auch ·die Überantwortung der Kinder an Verwandte, Hausbewohner, Kindergärten etc. während der Abwesenheit der Mutter dürfte häufig die wahre Erziehung und Pflege nicht ersetzen. Oder war es die Reflexion, daß beim Verschwinden der Frau als Konkurrentin die Arbeit des Mannes um so gesuchter und besser bezahlt werde?

Wir kommen nicht mehr auf den Einfluß zurück, den die Erschwerung der Produktionsbedingungen auf die Industrien ausübt, und bemerken im Anschluß an unsere frühem Ausführungen über diesen Gegenstand nur noch, daß die Frauenhand zufolge ihrer Geschicklichkeit und Gewandtheit in vielen Beschäftigungsarten {Textilindustrie, Stickerei, Konfektion, elegante Verpackungsarbeiten etc.) n i c h t zu e n t b e h r e n ist, und daß auch quantitativ der Ersatz für die wegfallenden Arbeitskräfte nicht ohne weiteres geschehen kann, denn auch die Mädchen werden nicht gern in die Fabrik eintreten, wenn sie bei der Verheiratung Beruf und Erwerb aufgeben müssen.

Was aber allein schon den Ausschlag zu ungunsten des Begehrens giebt, ist der Umstand, daß leider z a h l r e i c h e Arb e i t e r f a m i l i e n ohne den Verdienst der Frau ihr L e b e n n i c h t zu f r i s t e n vermögen, ja, daß die Frau oft die e i n z i g e Stütze der Familie ist. Wer wollte es verantworten, durch Entzug
·dieser Verdienstquelle die Ursachen des Elendes zu vermehren?

Wenn auch in der Schweiz die industrielle Frauenarbeit einen besorgniserregenden Umfang durchaus nicht angenommen hat, so muß man wohl ins Auge fassen, daß sie doch gewaltige Lohnsummen repräsentiert, die sonst der Familie allermindestens zum Teil ver-

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loreu gehen würden, indem eine entsprechende Lohnerhöhung des Mannes in den meisten Fällen, so in den Exportindustrien, nicht eintreten kann und wird. So berichtet der Regierungsrat des: Kantons G l a r u s (11. Januar 1892), daß allein in diesem Kanton ,,per Jahr bedeutend mehr als eine Million Franken nur von verheirateten Frauen verdient wird" (durch Fabrikarbeit). Wie soll der Ausfall ersetzt werden ? Wir kennen die Antwort nicht. So viel ist wohl sicher, daß an die Stelle der Fabrikarbeit, welche nicht immer eine anstrengende ist und durch das Fabrikgesetz in hygieinischer Hinsicht wirksamen Schutz erfährt, andere gesucht und angenommen werden muß, die.den Vergleich nicht im entferntesten aushält, und zu dieser rechnen wir auch die H a u s i n d u s t r i e mit ihren so oft ungesunden und anstrengenden Arbeitsverhältnissen,, ihrer Kinderausbeutung und ihren elenden Löhnen, die durch daa Zuströmen neuer Kräfte nur noch mehr gedrückt würden. Aber an gar manchen Orten wäre die Bethätigung in einer Hausindustrie zufolge Fehlens einer solchen nicht einmal möglich und der Verdienstausfall auch sonst in keiner Weise einzubringen.

Wird der Arbeiterfamilie durch das geplante Verbot eine also, unentbehrliche Einnahme entzogen, so entsteht noch eine fataleFolge besonderer Natur, die der s c h w e i z e r i s c h e s o c i a l d e m o k r a t i s c h e V e r e i n (St. Gallen, 7. Oktober 1892) mit folgenden Worten berührt: ,,Ein Verbot der Fabrikarbeit verheirateter Frauen käme einem H e i r a t s v e r b o t gleich, kein Arbeiter wollte mehr heiraten.

Überhaupt können wir nicht begreifen, warum eine verheiratete Frau nicht auch mitverdienen sollte. Es wird immer allgemeiner anerkannt, daß es Pflicht eines jeden erwachsenen Mensehen sei,.

für seinen Lebensunterhalt nützliche Arbeit zu leisten; warum sollen die verheirateten Frauen davon eine Ausnahme machen?

Soll die Stellung der Frau in der Gesellschaft gehoben werden, somuß man es ihr ermöglichen, ihr Brot selbst zu verdienen."1 Ist nun die Beseitigung der Fabrikarbeit von Frauen zur Zeit, undenkbar, so wollen wir nicht sagen, daß es nicht möglich wäre, wenigstens einen weitern Fortschritt zum Schutze der Frau zu erzielen. Die F a b r i k i n s p e k t o r e n bemerken in dieser Richtung; (24. August 1893): ,,Könnte denn aber gar nichts zu gunsten
der Reduktion der Frauenarbeit, zur Ermöglichung ihrer großem Beteiligung am Hauswesen geschehen? Wir glauben ja -- aber nicht in der Weise, wie eine der eingegangenen Antworten andeutete, durch Verkürzung der Frauenarbeitszeit auf a c h t S t u n d e n . Dies wiirde unfehlbar den Ausschluß der Frauen aus vielen Betrieben nach sich ziehen.

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Doppeltes Personal, d. h. Schichtenarbeit, könnte nicht wohl eingeführt werden; nur Sstündige Benutzung würde zur Anschaffung einer größern Zahl Maschinen, vermehrter Betriebskraft zwingen..

Statt dessen zöge man vor, unverheiratete Personen anzustellen.

Weit eher als diese tägliche Störung könnte ein f r e i e r S a m s t a g n a c h m i t t a g oder doch eine weitere Verkürzung der Samstagarbeit nach englischem Vorbild Eingang finden, und die Ausnützung zu gunsten der häuslichen Ordnung wäre wahrscheinlicher, als die der ausfallenden drei täglichen Arbeitsstunden, welche wohl zu Erwerbszwecken möglichst Verwendung fänden."

Diese Frage steht im Zusammenhang .mit der in Abschnitt III erörterten, und wir müssen uns vorbehalten, sie zu geeigneter Zeit zur Behandlung /u bringen.

Unser A n t r a g geht dahin, es sei die Petition (Burgdorf, Mai 1890) betreffend Verbot der Frauenarbeit mit vorliegendem Bericht als erledigt "O" zu erklären.

Y. Erweiterung des eidgenössischen Fabrikinspektorats.

Die in Art. 18 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken vorgesehene Kontrolle des Bundesrates ,,über die Durchführung dieses Gesetzes" wurde von 1878--1886 durch d r e i I n s p e k t o r e n ausgeübt; die Zahl der am 31. Dezember 1885 u n t e r s t e l l t e n E t a b l i s s e m e n t e betrug 3128 mit cirka 144,000 Arbeitern. Von 1886 an fand successive eine Vermehrung des zum Inspektorat gehörigen Personals statt (wir verweisen auf unsere jeweiligen Budgetbotschaften), so daß der Bestand seit d e m i . März 1892 folgender ist: I. Kreis . . l Inspektor, l Adjunkt, l Assistent, -- II. ,, . . l ,, l ,, III.

,, . . l ,, l ,, -- l Kanzlist, also 8 Beamte, wovon 7 i n s p i z i e r e n d e (der Kanzlist hat keine Inspektionen vorzunehmen); die Kosten des Inspektorats betragen laut Voranschlag für das Jahr 1894 Fr. 54,900 Die Zahl der am 31. Dezember 1893 u n t e r s t e l l t e n E t a b l i s s e m e n t e betrug :

42 im

I. Kreis

T, II.

,,

-j, III.

,,

1854 (Zürich, Uri, Scliwyz, Unterwaiden, Glanis, Zug, St. Güllen, Graubünden); 1084 (Berner Jura, Freiburg, Tessin, Waadt, VVallis, Neuenburg, Genf) ; 1815 (Bern [alter Kantonsteil], Luzern, Solothurn, Basel-Stadt und -Lund, Schaffhausen, Appenzell A.-Rh. und I.-Rh., Aargau, Thurgau),

zusammen 4753 mit ca. 190,000 Arbeitern.

Aus den angeführten Zahlen ist zu ersehen, daß die Ausdehnung des Inspektors mit der Zunahme unterstellter Etablisse.mente nicht nur Schritt hielt, sondern im Verhältnis bedeutend weiter ging; so fielen Ende 1885 auf jeden inspizierenden Beamten 1043, Ende 1893 nur noch 679 Fabriken. Die I n s t r u k t i o n für die eidgenössischen Fabrikinspektoren, von uns genehmigt am 18. Juni 1883, setzt in Ziffer 3 fest, daß der Fabrikinspektor jede Fabrik seines Kreises ,,wenigstens einmal in zwei Jahren" zu besuchen habe; seit Jahren macht es sieh aber das Inspektorat in anerkennenswertester Weise zur Pflicht, jede Fabrik j ä h r l i c h wenigstens e i n m a l zu besuchen; so beträgt die Zahl der Fabrikbesucho im Jahre 1893: 5223 (unterstellte Etablissemente 4753), ,, ,, 1892: 5280 ( ,, ,, 4606), ,, ,, 1891: 4517 ( ,, ,, 4398).

Wir machen diese Angaben, weil aus den Akten hervorgeht, daß man mancherorts, sogar an kompetent sein sollender Stelle, sich in Bezug auf die bestehenden Verhältnisse im Irrtum befindet, wie der Regierungsrat des Kantons B a s e l - S t a d t , wenn er in seinem Berichte vom 20. Februar 1892 meint, daß die Besuche der Inspektoren ,,seltener'1 werden und daß es ,,dabei auch in mancher Beziehung der nötigen Gründlichkeit ermangle".

Es ist zu konstatieren, daß im allgemeinen die Vollziehung des Fabrikgesetzes eine befriedigende, man kann sagen strenge ist, und daß Klagen gegenteiliger Natur nur zu oft auf arger Übertreibung, zuweilen auch auf Böswilligkeit beruhen. Das Fabrikinspektorat ist nach unserer Überzeugung seiner Aufgabe vollständig gewachsen, namentlich wenn der Inspektor des III. Kreises einen zweiten Adjunkt erhält (siehe unten). Hierbei ist allerdings nicht, wie es sehr häufig geschieht, zu vergessen, daß die ,, D u r c h f ü h r u n g " 1 des Gesetzes und der in Gemäßheit desselben von uns ausgehenden Verordnungen und Weisungen laut Art. 17 den Reg i e r u n g e n der K a n t o n e obliegt, und daß uns nach Art. 18 nur die ,,Kontrolle über die Durchführung" 1 zusteht. Der s c h v v e i -

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z e r i s c h e A r b e i t e r b u n d verlangt zwar (Bericht vom 21. September 1893), daß der Vollzug ,,als Sache des Bundes erklärt und demgemäß auch das Fabrikgesetz revidiert werde ; allein der Bund besitzt hierzu keine Organe in den Bezirken und Gemeinden und ist sowieso auf die Mitwirkung der kantonalen und lokalen Organe angewiesen; ferner ist es bei dem steten Jammer über das Überhandnehmen der Bundesbureaukratie nicht angezeigt, deren Gewalt unnötigerweise zu vermehren, gar bei einem Gesetze, dessen Vollziehung seit 17 Jahren auf andere Weise -- welche bei seinem Erlaß sehr eingehend diskutiert worden ist -- geordnet war.

Eine von verschiedenen Seiten angeregte Ve r me h r u n g der I n s p e k t i o n s k r e i s e halten wir nicht für zweckmäßig (betreffend eine Organisation der Inspektion nach Industriezweigen verweisen wir auf unsern ablehnenden Entscheid vom 16. Februar 1892 [Bundesbl. 1893, I, 626]). Es ist ganz richtig, was der Bericht des s c h w e i z e r i s c h e n A r b e i t e r b u n d e s vom 21. September 1893 über diesen Punkt sagt: ,,Eine Vermehrung des Inspektionspersonals wird allgemein von der Arbeiterschaft gewünscht. Darunter ist nun nicht eigentlich eine Vermehrung der Inspektionsreise in dem Sinne verstanden, daß die Zahl der koordinierten Fabrikinspektoren erhöht werde.

Eine Hauptsache liegt darin, daß das Fabrikgesetz möglichst einheitlich ausgeführt werde. Es hat sieh gezeigt, daß die Fabrikanten selbst sieh schließlich auch in einen strengen Vollzug des Gesetzes hineinfinden, wenn er überall konsequent durchgeführt wird. Aus diesem Grunde scheint uns eine möglichst einheitliche Gestaltung des Fabrikinspektorates wünschenswert und eine Vermehrung hauptsächlich durch die Anstellung von mehr Adjunkten oder Unterinspektoren mit den geeigneten Kenntnissen und Fähigkeiten geboten."1 Hören wir noch die Ansichten der I n s p e k t o r e n selbst, als Nächstbeteiligter, an (Gutachten vom 24. August 1893): ,,Im Interesse der einheitlichen Durchführung des Gesetzes liegt es, daß wenige Kreise bestehen. Jeder Inspektor wird eben mehr oder weniger in seinen Anschauungen von dem andern abweichen, etwas anders vorgehen. Trotz freundschaftlichstem Verhältnis zwischen den Inspektoren und häufigen Zusammenkünften hat sich diese Verschiedenheit vom ersten Jahr der Inspektion
an geltend gemacht, hie und da so sehr, daß Klagen dadurch veranlaßt wurden. Entstehen noch mehr Kreise, werden die Differenzen zahlreicher. Das wird zu einer Centralisation führen, zur Kreierung eines Chefs der Inspektoren, wie in England und Österreich. Ob dies für unsere Verhältnisse paßt, bezweifeln wir.

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,,Kleine Kreise bilden aber auch eine schlechtere Schule für den Inspektor, wie für seine Adjunkten. Er lernt weniger Industrien,, weniger auch die verschiedenen Verhältnisse und Bedürfnisse kennen, die in verschiedenen Kantonen und Gegenden bestehen. Sein Horizont wird enger, seine Mitwirkung an der Beratung ullgemeiner Maßnahmen immer weniger wertvoll. Zu alledem werden lokale oder persönliche Einflüsse leichter, wenn auch unbewußt, auf ihn einwirken, weil er mit weniger und immer denselben Leuten verkehrt.

,,Übrigens entspringen die Wünsche nach Vermehrung der Kreise zum Teil einer unrichtigen Auffassung von der Aufgabe der Inspektoren, ja sogar großer Unkenntnis dessen, was die Inspektoren thun, wie aus einer Reihe falscher Angaben in den bei Ihnen eingegangenen Gutachten, auch seitens der Behörden, hervorgeht. Man erwartet von uns die Funktionen, welche den kantonalen Polizeiorganen zukommen. In diesem Fall würden aber 40 Kreise mit je einem Inspektor kaum hinreicheo, um die Wünsche der Antragsteller zu befriedigen.

,,Beim jetzigen Personal ist es im I. und II. Kreis leicht möglich, daß alle Etablissemente jährlich besucht werden, manche davon auch zwei, ja mehrerenial. Im III. Kreise geschieht es auch, aber mit übermäßiger Anstrengung. Hier wäre ein zweiter Adjunkt dringend nötig, da ein Sekretär (Kanzlist) die eigentliche Inspek^tionsthätigkeit der andern Beamten nur in sehr geringem Maß x fördern kann. Würde ein solcher Gehülfe angestellt, so hätte der Bund acht statt anfangs drei Inspektionsbeamte zur Verfügung, d. h. es hätte eine Vermehrung um 170 % stattgefunden, während die Zahl der Etablissemente nur um 100 °/o zugenommen hat. Diea sollte geniigen, um so mehr, als nach Zustandekommen der eidgenössischen Unfallversicherung den Inspektoren eine große Geschäftslast (Kontrolle der Haftpflichtentschädigungen etc.) abgenommen wird.

,,Das Inspektorat sieht sich daher nicht veranlaßt, auf Vermehrung der Kreise oder Beamten -- mit einer Ausnahme -- zu dringen. " Wir können diese Äußerungen nur bestätigen und sind auch, wie schon bemerkt, einverstanden damit, daß dem Inspektor des III. K r e i s e s , wo allerdings eine Arbeitsüberhäufung vorliegt, ein weiterer A dj u n k t beigegeben werde. Einen bezüglichen formellen Antrag gedenken wir in der nächsten Budgetvorlage zu bringen.

Schließlich sei noch folgende Stelle aus dem A m t s b e r i c h t der F a b r i k i n s p e k t o r e n für 1892 und 1893, I. Kreis, hier erwähnt:

45 ,,Übrigens zeugt es auch von gänzlicher Unkenntnis der Verhältnisse, wenn man Hern Bund vorwirft, er habe weit mangelhafter als verschiedene andere Staaten für genügendes Aufsichtspersonal gesorgt. Man führt mit Vorliebe S a c h s e n an, dessen Inspektorat, wie das preußische auch, zugleich die Mehrzahl der vorhandenen Dampfkessel zu untersuchen hai. Soll eine Vergleichung angestellt werden, so muß bei uns auch das Personal des Vereins schweizerischer Dampfkesselbesitzer, das fast überall die Stelle amtlicher Funktionäre vertritt, mit in Rechnung gebracht werden. Es ergaben sich dann in Sachsen für 13,706 Etablissemente mit 371,541 Arbeitern und 7433 Kesseln 24 Beamte, in der Schweiz für 4753 Etablissemente mit 190,400 Arbeitern und 3155 Kesseln 19 Beamte, und daß das Resultat sich nicht nur scheinbar günstiger für uns stellt, ergiebt sich aus der Thatsache, daß in Sachsen jährlich nicht einmal die Hälfte aller Betriebe besucht wird und bei uns die Zäh' der Inspektionen größer ist als die der Fabriken. a Wir b e a n t r a g e n , die Petitionen betreffend Erweiterung des eidgenössischen Fabrikinspektorats im Sinne unseres Berichtes als erledigt zu erklären.

Tl. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Förderung der gewerkschaftlichen Arbeiterorganisation. Unterstützung des Unterrichts für den Arbeiterstand.

,,Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Verhütung i h r e r ö k o n o m i s c h e n F o l g e n f ü r die b e s i t z l o s e A r b ei t er k lasse. a Dieses Postulat der Maifeier-Petitionen ist bekanntlich überholt worden vom Initiativbegehren betreffend das Recht auf Arbeit (s. Bundesbeschluß vom 13. April 1894, Bundesbl. II, 354). Letzteres ist in der Volksabstimmung vom 3. Juni 1894 verworfen worden und es hat die Sache in der-Hauptfrage damit einstweilen ihr Bewenden. Dagegen erinnern wir daran, daß noch folgendes P o s t u l a t (Antrag des Bundesrates vom 30. März 1894) vor den Räten liegt: ^Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten, ob und eventuell in welcher Weise eine Mitwirkung des Bundes bei Institutionen für öffentlichen Arbeitsnachweis und für Schutz gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit möglich und gerechtfertigt sei."

Wir gewärtigen zunächst, ob dieses Postulat die Zustimmung der Räte findet; bejahendenfalls haben wir Ihnen über die Frage einen besondern Bericht zu erstatten.

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,,Gesetzliche Förderung der gewerkschaftlichen A r b e i t e r o r g a n i s a t i o n . " 1 Wir vermuten, daß es sich hier um eine Frage handle, die mit derjenigen der obligatorischen Berufsgenossensehaften in engem Zusammenhang stehe, müssen aber darauf hinweisen, daß nach Ablehnung der Kompetenz zur Bundesgesetzgebung über das Gewerbewesen die Befugnis zur gesetzlichen Regelung auch jenes Gegenstandes nicht vorhanden ist, und daß dessen weitere Erörterung einstweilen nutzlos wäre.

U n t e r s t ü t z u n g j e g l i c h e n U n t e r r i c h t s , ,, d e r "den A r b e i t e r s t a n d z u f ö r d e r n i m s t ä n d e ist". Eine etwas präcisere Umschreibung dieses Postulats wäre ebenfalls nicht überflüssig gewesen. Angesichts seines vagen Wortlauts beschränken wir uns darauf, in Erinnerung zu bringen : a. den Bundesbeschluß vom 27. Juni 1884 betreffend die gewerbliche und industrielle Berufsbildung, gemäß welchem der Bund mit großen finanziellen Aufwendungen (1884--1893 Fr. 3,179,010. 18) und durch intensive Aufsicht die dem Arbeitnehmer vor allem not thuende berufliche Ausbildung zu fördern bestrebt ist; b. das Postulat vom 28. März 1893 betreffend Unterstützung der Koch-, Haushaltungs- und Dienstbotenkurse, über welches wir Ihnen noch im Laufe dieses Jahres zu berichten hoffen.

Wir b e a n t r a g e n , die sub VI genannten Petitionen durch vorstehenden Bericht als erledigt zu erklären.

VII. Vereinsfreilieit.

Wir dürfen annehmen, daß die Motion Vogelsanger den Gedanken der Petitionäre von 1892/93 genau bestimmt und näher ausführt. Wir werden daher in der nachfolgenden Erörterung ausschließlich den Inhalt dieser Motion ins Auge fassen.

Artikel 56 der Bundesverfassung vom 29. Mai 'J874 lautet: ,,Die Bürger haben das Recht, Vereine zu bilden, sofern solche weder in ihrem Zweck, noch in den dafür bestimmten Mitteln rechtswidrig oder staaisgefährlich sind. Über den Mißbrauch dieses Rechtes trifft die Kantonalgesetzgebung die erforderlichen Bestimmungen."

Die Bundesverfassung vom 12. September 1848 enthielt in Art. 46 die nämliche, wörtlich gleichlautende Bestimmung.

Bis zu Ende des Jahres 1874 staod das Vereinsrecht der Bürger unter dem Schutze des Bundesrates, beziehungsweise der Bundesversammlung.

47 Seit dem 1. Januar 1875 hat der oberste Gerichtshof unseres Landes, das schweizerische Buudesgericht, die Aufgabe, dasselbe zu schützen und zu wahren, und es entledigt sich dieser Aufgabe,, indem es jede durch Anordnungen, Verfügungen, Entscheidungen der Kantonsbehörden verursachte Beschränkung oder Unterdrückung der Vereinsfreiheit aufhebt und unwirksam macht.

Die Motionssteiler haben in der Sitzung des Nationalrates vom 16. Dezember 1891 durch den Mund des Herrn Nationalist Vogelsanger anerkannt, daß infolge richtiger Würdigung der politischen und soeialen Bedeutung des Vereinslebens rechtswidrige Eingriffe der staatlichen Behörden in die Vereinsfreiheit seit 1848 sein- selten geworden sind. Als größer aber bezeichneten sie die Gefahren, welche der Vereinsfreiheit von privater Seite drohen. Zahlreich seien die Fälle, wo der Arheitgeber seine Arbeiter entlasse, weil sie einem ihm nicht genehmen Verein angehören. Zahlreich seien auch die Fälle, wo irgend ein anderer Grund der Entlassung vorgeschützt werde, während die Vereinszugehörigkeit der wahre Grund sei.

Bei der jetzigen Wirtschaftsordnung werde freilich die staatlicheRegelung des Vereinsschutzes Schwierigkeiten bieten. Allein der flagranten Ungleichheit vor dem Gesetze, die dadurch zu Tage trete, daß die nämlichen Arbeitgeber, welche ihren Arbeitern den Beitritt zu Vereinen untersagen, während sie selbst fröhlich Vereine zur Förderung ihrer Klasseniuteressen bilden, dürfen die Staatsbehörden nicht mit vorsehräokteu Armen zusehen. Dem einen recht, dem andern billig. Die Arbeiterschaft solle sich organisiert mit dem organisierten Kapital ins Vernehmen setzen können im Interesse dessocialen Friedens, dessen Aufrechthaltung der staatlichen Unterstützung und Förderung im höchsten Maße wert erscheine.

Die Motionssteller erklärten schließlich durch ihren Sprecher,, daß sie ohne Präjudiz dem Bundesrate die Prüfung der Frage anheimstellen ; es gebe der Wege mehrere, um die Anregung zu berücksichtigen, man könne dies thun beim Ausbau unserer Fabrikgesetzgebung, bei der Vereinheitlichung des Strafrechts u. s. f.

Der Vertreter des Bundesrates, Herr Bundesrat Ruchonnet, bemerkte, daß der Bundesrat nicht in der Lage sei, sofort in maßgebender Weise in die Diskussion einzugreifen ; es handle sich umein weites, noch nicht abgeklärtes Gebiet. Dem
Sprechenden scheine allerdings, daß die Motionssteiler sich über die Möglichkeit gesetzgeberischer Regelung dieser Fragen, sowie über die praktische Durchführbarkeit bezüglicher Vorschriften Illusionen hingeben.

Immerhin mache der Bundesrat der Erheblichkeitserklärung kein& Opposition.

48 Mit Sehreiben vom 22. Januar 1892 haben Herr A. Schwitz·guebel, Adjunkt des schweizerischen Arbeitersekretariats für die romanische Schweiz, und Herr G. Reimann, Redaktor des Organs der Uhrenarbeiter, betitelt ,,L'ouvrier horloger", dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement ein gedrucktes Kreisschreiben des Centralkomitees der ,,Fédération des ouvriers sur ébauches, finissages et pignons"1, d. d. Biel, 16. Januar 1892, zugesandt, in welchem ·die Herren Chefs und Direktoren der Ebauchefabriken angesichts des Niederganges der Uhrenindustrie mit eindringlichsten Worten beschworen werden, der zu neuem Leben erwachten ,,Fédération des ouvriers", die bereits 3000 Angehörige in 22 Ortschaften des .in Betracht fallenden Uhrenindustriebezii'kes zähle, volle Entwickelungsfreiheit zu lassen, ihrerseits das ,,Syndikat der Ebauchefabriken 11 neu zu begründen und vereint mit der ,,Fédération"1 der Krisis die Spitze zu bieten. Das Kreisschreiben schließt mit den Worten : .,,Es ist das Werk eines gesunden, weitsichtigen Patriotismus, an welchem mitzuwirken wir die Lebenskräfte unserer Industrie einladen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Katholiken und Protestanten, ·Ultramontane, Liberale, Radikale und Socialisten, wir alle sollen ^zusammenwirken zur Rettung°der Industrie, die uns nährt."

Die Herren Schwitzguebel und Reimann signalisierten dem Departemente mehrere Fälle, in welchen durch die Einwirkung von Fabrikbesitzern oder Direktoren entweder der Beitritt der Arbeiter .gewisser Uhrenfabriken zur ,,Fédération11' verhindert oder einzelne derselben angehörende Arbeiter in verschiedenen Etablissementen mit ihren Arbeitsgesuchen abgewiesen wurden, allerdings unter der Vorgabe des Ärbeitsmangels, in Wirklichkeit aber einzig und allein wegen der Zugehörigkeit der Arbeitsuchenden zur ,,Fédération11.

Wir stehen keinen Augenblick an, den Worten des Kreis·schreibens und überhaupt dem von ihm eingenommenen Standpunkte unsere unbedingte Zustimmung zu widmen. Das ist der einzige Weg, um aus einer wirtschaftlichen Krisis herauszukommen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihr Interesse als ein . gemeinsames · ansehen und ihre Kräfte vereinigen zur Überwindung der ihrem beidseitigen Wohle entgegenstehenden Hemmnisse und Schwierigkeiten. Es ist dies auch, wir sagen es mit allem Nachdrucke, der einzige Weg, der von
einem höhern Gesichtspunkte ausgeht und das Gedeihen der Mitmenschen und das Wohl des Landes mit dem eigenen Interesse in versöhnenden Einklang setzt. Leider wird derselbe gar oft nicht betreten, sei es, daß die Beteiligten aus Sonderinteresse ihn nicht einschlagen wollen, · sei es, daß sie aus Mißverständnis, Kurzsichtigkeit, Ungeschicklichkeit ihn nicht .finden. In beiden Fällen ist es eine ernste und schöne Aufgabe

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der öffentlichen Behörden, vermittelnd zwischen die Hadernden zu treten und durch Aufklärung, Mahnung, Warnung die Einigung derselben anzustreben. Verharren jedoch die Streitenden auf ihren einseitigen Standpunkten, so erscheint, nach der bisherigen Auffassung von der Stellung der Behörden gegenüber dem Interessenkampfe der Bürger auf dem wirtschaftlichen Gebiete, ihr Mandat erschöpft. Es steht ihnen die Befugnis nicht zu, mit Befehlscharakter zu den Interessenten zu sprechen, es wäre denn, daß diese ihnen die Kompetenz verliehen hätten, als Schiedsrichter zu erklären, welche Ansprüche der Parteien begründet seien und gegenseitig anerkannt werden sollen.

Wenn bei solchen Interessenkämpfen die Parteien sich genossenschaftlich organisieren, um mit mehr Kraft und Nachdruck und mit größerer Aussicht auf Erfolg auftreten und ihre Ansprüche verfechten zu können, so ist dies ein natürlicher Vorgang, gegen den von dritter, unparteiischer Seite, also vor allem von selten der staatlichen Behörden nichts eingewendet werden kann, und welcher» bei uns zudem auf verfassungsrechtlich unanfechtbarer Grundlage steht. Dabei darf indessen nicht übersehen werden, daß das Recht der Vereinigung behufs wirksamer Vertretung und Geltendmachung ihrer Interessen j e d e r Partei zusteht und daß die genossenschaftliche Thätigkeit zur Erreichung ökonomischer Vorteile an sich weder rechtswidrig noch staatsgefährlich, sondern etwas ganz Erlaubtes ist.

Fraglich kann nur werden, ob die von der Genossenschaft zur Erreichung ihrer Zwecke angewendeten Mittel gleichfalls in jeder Beziehung dem Rechte gemäß seien. Da entsteht nun eben die der Motion zu Grunde liegende Frage, ob die eine Vereinigung in ihr Programm auch eine Thätigkeit aufnehmen dürfe, welche, offen oder verdeckt, bezweckt, der andern Vereinigung Mitglieder ferne zu halten, ihr durch Entzug von Anhängern die Aktionsfähigkeit zu rauben.

Der Kampf wird aber nicht nur von Vereinigung gegen Vereinigung geführt. Wirtschaftliehe Schwächung des andern Teiles ist der Zweck der Thätigkeit. Diese letztere ist daher gleich zu beurteilen, ob es sich um die Thätigkeit eines ^Vereins gegen einen Verein oder um diejenige eines oder mehrerer für sich handelnder Bürger gegen einen Verein oder eines Vereins gegen einen oder mehrere einzelne Bürger handelt.

Ganz gewiß, wenn diese
Thätigkeit sich durch Anwendung oder Androhung von Gewalt oder sonstige widerrechtliche Bedrohung mit persönlichen Nachteilen äußert und der eine Teil darauf ausgeht, durch solche Mittel dem andern die Handlungsfreiheit zu entziehen, dann werden die Grenzen des Rechts überßvradesblatt. 46. Jahrg. Bd. III.

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schritten. Eine derartige Thätigkeit ist rechtswidrig und strafbar.

Darüber besteht kaum eine Meinungsverschiedenheit. Die Ansichten gehen erst da auseinander, wo es sich fragt, ob der eine Teil, der Arbeitgeber, befugt sei, den andern Teil, den Arbeitnehmer, aus seinem Geschäfte zu entlassen, ihm das Dienstverhältnis zu kündigen, wenn der letztere einer den Interessen des erstem entgegenstehenden Vereinigung beilritt. Die Lösung der Differenz ist deshalb nicht leicht, weil sowohl unser allgemeines Privatrechtssystem (Obligationenrecht Titel XI, Art. 343 ff.), als auch unsere Fabrikgesetzgebung (Fabrikgesetz, Art. 9) sich auf den Standpunkt gestellt haben, daß es beiden Teilen, dem Arbeitgeber wie dem Arbeitnehmer, freistehe, ohne Angabe von Gründen den Dienstvertrag in den vereinbarten oder gesetzlich vorgesehenen oder üblichen Fristen zu kündigen.

Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat am 26. August 1893 dem Militärdepartement sein Gutachten über die Frage erstattet, ob auf dem Gesetzgebungswege den Entlassungen aus Privatanstellungen, die wegen der Militärpflicht der Angestellten erfolgen, entgegen gewirkt werden könnte. Ohne das durchaus patriotische und edle Motiv der Anregung zu verkennen, welche den wegen der Militärdienstpflicht der Bürger erfolgenden Dienstentlassungen oder den auf diesen Grund zurückzuführenden Nichtanstellungen entgegentreten wollte, hat sich das Departement in entschiedener Weise dahin ausgesprochen, daß es unthunlich sei, das System des Dienstvertrages, wie es durch das Obligationenrecht aufgebaut und speciell durch das Recht der gegenseitigen freien Kündigung charakterisiert ist, mit irgend einer Bestimmung zur Verhinderung der Kündigung wegen Militärdienst zu durchbrechen, zumal im Hinblick auf die herrschende privatwirtschaftliche Ordnung, bei welcher der Staat nicht, ohne sich für die dadurch verursachten ökonomischen Nachteile verantwortlich zu erklären, in die privatrechtliche Sphäre der Bürger eingreifen darf.

Was das Departement in jenem Falle gesagt hat, gilt in verstärktem Maße in Hinsicht auf die uns hier beschäftigende Frage.

Wir glauben nicht, daß gegen den Grundsatz des freien Kündigungsrechtes in dem gegenwärtigen Stadium des wirtschaftlichen Interessenstreites Stichhaltiges sich einwenden lasse. Will sich der Staat nicht dem einen
oder dem andern Teile gegenüber verantwortlich machen, so hat er sich jeder Einmischung in ihr Vertragsverhältnis, d i e a l s o f f e n b a r e P a r t e i n a h m e f ü r d e n e i n e n g e g e n d e n a n d e r n a u f g e f a ß t w e r d e n m u ß t e , z u enthalten.

Es müßte aber als eine solche Bevorzugung des einen Teils vor dem andern erscheinen, svenn der Staat den einen Teil (den Arbeit-

51 geber) zwingen wollte, den andern (den Arbeitnehmer) in seinen Dienst zu nehmen oder in seinem Dienste zu behalten, obschon der Arbeitnehmer den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers geradezu entgegenwirkt, ja vielleicht einer Vereinigung angehört oder beitritt, die den ökonomischen Ruin des Arbeitgebers herbeizuführen beabsichtigt.

In diesem Interessenkampfe kann der Staat nur vermitteln, aber nicht, der Anregung der Motionäre folgend, den Arbeitgeber bestrafen, der sich nicht dazu entschließt, seinen Angestellten die Zugehörigkeit zu einer ihn schädigenden Vereinigung zu gestatten.

Beiläufig gesagt, dürfte es übrigens da und dort schwierig geworden sein, zu entscheiden, welches der ,,wirtschaftlich abhängige" Teil sei, der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber. Die Arbeitnehmer haben das volle Recht, sich auf dem Weg der Association zu einer wirtschaftlichen Macht zu entwickeln. Aber sie so wenig wie die Arbeitgeber dürfen vergessen, daß ihr wirtschaftliches Wohl nicht in der Verfolgung einseitiger Parteiinteressen, sondern im Ausgleiche, in der Versöhnung der beidseitigen Interessen, liegt.

So kommen wir denn zum Schlüsse, daß die Motion in allzustarker Betonung der Rechte und Interessen des einen Teiles der im Gebiete des wirtschaftlichen Lebens thätigen Bürger etwas verlangt, was ohne Beeinträchtigung der gleichwertigen Rechte des andern Teiles nicht erreicht werden kann.

Wir möchten aber unsere Erörterung nicht schließen, ohne noch einen Punkt berührt zu haben.

Es ist sowohl vom Sprecher der Motionäre als in der Zuschrift der Herren Schwitzguebel und Reimann an unser Departement und in dem Kreisschreiben der ,,Fédération des ouvriers horlogers" vom Januar 1892 mit Recht darauf hingewiesen worden, daß in der Möglichkeit der Organisation der Arbeiterschaft wie der Arbeitgeber eine Garantie des socialen Friedens liege, indem sich beide Teile nur so, als organisierte Kräfte, werden ins Vernehmen setzen können.

,,Ins Vernehmen setzen" heißt nun aber nicht: sieh gegenseitig befehden und verfolgen, sondern Gründe und Gegengründe vortragen und eine Verständigung suchen. Bei redlichem Willen wird eine solche in den weitaus meisten Fällen erzielt werden. Die Staatsbehörden sollen sich nicht in autoritativer Weise in diese gegenseitigen Auseinandersetzungen mischen; allein es ist ihre Aufgabe,
sich als Vermittler zur Erleichterung der Verständigung anzubieten.

Diese Vermittlerrolle fällt nicht der Bundesbehörde, sondern den Kantonsbehörden zu. Es kann nun allerdings der Moment eintreten, wo die Kantonsbehörden zur Erhaltung des öffentlichen Friedens in gebietender Weise einschreiten müssen, indem sie die Streiten-

52 dea, die sich nicht auseinandersetzen können, auseinanderhalten.

Könnte nicht gegen solche Eventualitäten ein Sicherheitsventil geschaffen, durch staatliches Gesetz die Einrichtung getroffen werden, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine schiedsrichterliche Thätigkeit der Behörden einzutreten hätte und die streitenden Teile sich dem behördlichen Schiedssprüche zu unterwerfen haben? Es wäre dies eine von Amtes wegen erfolgende Funktion von Richtern, die, den Prud'hommes ähnlich, unter Garantien der Unparteilichkeit Recht zu sprechen hätten. Diejenige Partei, die sich dem Spruche nicht fügen wollte, würde sich damit selbst außerhalb des Rechtes stellen und keinen Anspruch mehr haben auf Berücksichtigung ihrer Forderungen.

Sollte dieser Gedanke von den kantonalen Behörden aufgegriffen und zu dessen Realisierung in irgend weichern Sinne die Mitwirkung der Bundesbehörde gewünscht werden, so wäre der Bundesrat, soviel an ihm liegt, durchaus geneigt, die letztere eintreten zu lassen.

Damit sehließen wir die Begutachtung der Motion Vogelsanger und des inhaltlich gleichen Petitums der Volksversammlungen von 1892 und 1893.

Wir b e a n t r a g e n , es sei der Motion und dem Petitum keine weitere Folge zu geben.

Vili. Abschaffung der politischen Polizei.

Die Petenten verlangen ,,Wiederaufhebung der in den letzten Jahren eingeführten politischen Polizei*. Sie führen nicht näher aus, was sie unter politischer Polizei verstehen, und zur Begründung ihres Gesuchs berufen sie sich auf alles, was seit Jahren in Schrift und Wort im Volk und in den Behörden dafür angeführt worden und bestens bekannt sei.

Die politische Polizei ist keineswegs, wie die Petenten zu glauben scheinen, eine neue Einrichtung in unserem Staatswesen ; sie wurde seit Bestehen des neuen Bundes ausgeübt.

Nach Art. 70 der Bundesverfassung (Art. 57 der Bundesverfassung von 1848) steht dem Bunde das Recht zu, Fremde, welche die innere oder äußere Sicherheit der Schweiz gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen. Der Bund ist demnach berechtigt, die Polizei über Fremde auszuüben, welche die innere oder äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden.

Seit 1848 ist in den eidgenössischeu Staatsrechnungen und Budgets jeweils unter ,,Fremdenpolizeitt ein Rechnungsposten auf-

53 geführt und in den Geschäftsberichten des Bundesrates wurde unter der Rubrik ,,Fremdenpolizei" oder ,,Politische Polizei" über das Geschehene berichtet.

Nach Art. 102, Ziff. 8 und 10, der Bundesverfassung wahrt der Bundesrat die Interessen der Eidgenossenschaft nach außen, wie namentlich die völkerrechtlichen Beziehungen ; er sorgt für die innere Sicherheit der Eidgenossenschaft, für Handhabung von Ruhe und Ordnung. Es ist selbstverständlich, daß dem Bundesrat die Mittel zur Verfügung stehen müssen, die ihm die Erfüllung seiner Aufgabe ermöglichen. Der Bundesrat erklärte auch in seinem Berichte an die Bundesversammlung, d. d. 12. März 1888, er sei nicht im stände, die wichtigen Aufgaben, welche ihm durch die oben erwähnten Vorschriften der Bundesverfassung übertragen sind, in gehöriger Weise zu erfüllen, wenn ihm nicht gleichzeitig die nötigen polizeilichen Hülfsmittel zur Verfügung gestellt werden ; zur Handhabung der politischen Polizei sei eine bessere Organisation auf diesem Gebiete unumgänglich notwendig.

Die gesetzgebenden Räte, indem sie das Vorgehen des Bundesrates ausdrücklich billigten, gewährten auch den zur Durchführung des Zweckes verlaagten Nachtragskredit.

Durch Bundesgesetz vom 28. Juni 1889 wurde das Amt eines ständigen eidgenössischen Generalanwaltes wiederhergestellt. Nach Art. 3, Abs. 2, des oitierten Gesetzes hat dieser Beamte die Fremdenpolizei in Beziehung auf Handlungen, welche die innere oder äußere Sicherheit der Schweiz gefährden, sowie die bezüglichen Untersuchungen zu überwachen und dem Bundesrate auf Anwendung des Art. 70 der Bundesverfassung gehende Anträge zu unterbreiten.

In der Botschaft des Bundesrates vom 15. Juni 1889 wurde zur Begründung des Gesetzesentwurfes ausgeführt: ,,Im Laufe der 1880er Jahre haben sich namentlich die politischen und socialen Verhältnisse wesentlich geändert. Die öffentlichen Beziehungen des Landes zu den Nachbarstaaten sind mannigfaltiger und delikater geworden. Es haben auch die politischen Untersuchungen, welche zu verschiedenen Malen, insbesondere in den Jahren 1885, 1888, 1889, durch Verhältnisse, die nicht näher erörtert zu werden brauchen, nötig geworden sind, zur vollsten Evidenz bewiesen, daß die polizeilichen Behörden nicht genügend organisiert sind, um solche Untersuchungen mit der wiluschbaren Kaschheit und Übereinstimmung
erledigen zu können. Wenn auch das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege genügende Hüli'smittel an die Hand geben würde, um politische Vergehen und auch Versuche zu solchen in ihren Anfängen aufzusuchen und zur entsprechenden Behandlung, sei es durch die politischen, sei es durch

54 die gerichtlichen Behörden, zu führen, so mangelt es doch immer in einem gewissen Grade an der einheitlichen Leitung. Die neue Beamtung wird Dienste leisten durch Herstellung einer regelmäßigen und bleibenden Verbindung zwischen der Bundesbehörde und den Kantonen und durch Herbeiführung einer guten Organisation der politischen Polizei."

Es wurde versucht, dieses Gesetz dem Referendum zu unterstellen ; allein die Bewegung erzielte nicht die gesetzliche Zahl von Unterschriften, und man darf daher mit Recht sagen, daß auch die überwiegende Mehrheit des Volkes mit einer wirksamen Handhabung der politischen Polizei und mit der bezüglichen Organisation einverstanden ist.

Ist die Schweiz durch die Einführung unserer politischen Polizei etwa ein Polizeistaat geworden?

Es wird dies niemand zu behaupten wagen. Die Preßfreiheit und das Vereinsrecht bestehen in ihrem ganzen Umfange und haben keine Schmälerung erlitten.

Auf der andern Seite aber erfüllen wir eine internationale Pflicht dadurch, daß wir ein wachsames Auge richten auf gewisse, eine leidenschaftliche Agitation unterhaltende Bevölkerungskreise und namentlich solche Ausländer überwachen, welche unsere Gastfreundschaft mitunter zu Manifestationen mißbrauchen, die in ihrem eigenen Lande nicht geduldet würden. Einer solchen Pflicht dürfen wir uns nicht entziehen. Wir tragen auf diese Weise dazu bei, die Unabhängigkeit der Schweiz gegenüber dem Auslande zu sichern.

Die kürzlich vorgekommenen anarchistischen Kundgebungen in Zürich und Bern sollten genügen, um darzuthun, daß die politische Polizei nicht ohne Nutzen ist. Haben wir es doch in der That nur dieser Organisation zu verdanken, daß der Bundesrat so rasch jene Ausweisungsverfügungen hat treffen können, welche die Zustimmung des gesamten Schweizervolkes gefunden haben.

Aus diesen Gründen, aber auch zur Aufrechthaltung von Ruhe und Ordnung im Innern, ist die politische Polizei eine notwendige Einrichtung.

Endlich beweisen uns die in der Bundesversammlung mit Einstimmigkeit erfolgte Annahme des Gesetzes über Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft, sowie die günstige Aufnahme, welche diese Gesetzesbestimmungen im Volke gefunden haben, deutlich genug, daß der Zeitpunkt übel gewählt wäre, um eine Einrichtung fallen zu lassen, die zumal für die Anwendung jenes Gesetzes unentbehrlich ist.

55 Wir glauben daher, daß entgegen den Wünschen die politische Polizei und deren ernste und geordnete aufrecht erhalten werden solle, und b e a n t r a g e n , Petituni betreffend Abschaffung der politischen Polizei zu geben.

der Potenten Handhabung es sei dem keine Folge

IX. Weitere Centralisation des Civilrechts und des Strafrechts.

Der Bundesversammlung ist aus den bundesrätlichen Geschäftsberichten bekannt, in welcher Weise der ßundesrat die Vereinheitlichung unserer Gesetzgebung im Gebiete des Civilrechts und des Strafrechts vorzubereiten sich entschlossen hat, und sie hat diesem Vorgehen ihre Zustimmung erteilt.

Der Bundesrat ist von der Überzeugung durchdrungen, daß das Bedürfnis nach Einheit auf diesem Gebiete sich immer dringender fühlbar machen und sehr bald ein unbestrittenes sein wird ; er hält es jedoch für das richtigste, wenn dem schweizerischen Volke nicht zugemutet wird, ein ihm bekanntes Recht an ein unbekanntes zu vertauschen, sondern wenn Vorentwürfe hergestellt werden, welche die Gestalt des kommenden neuen Rechtes aufzeigen, so daß der Bürger weiß, was ihm geboten werden will, wenn er seine Stimme über die Ausdehnung der legislativen Bundeakompetenz abzugeben hat.

Wir werden, falls Sie nichts Gegenteiliges beschließen, auf dem bezeichneten Wege weiterschreiten und b e a n t r a g e n daher, es seien die Petitionen von 1892 und 1893 betreffend die Centralisation des Civilrechts und Strafreclits in diesem Sinne als erledigt zu erklären.

X.

Eine am 8. Mai 1892 in Siebnen, Kanton Schwyz, stattgehabte Versammlung von über 200 Mann hat zu Händen der Bundesversammlung folgende ,,Resolution"1 beschlossen: ,,Man verlangt die W a h l des B u n d e s r a t e s d u r e h's V o l k ; eine R e f o r m d e r e i d g e n ö s s i s c h e n B u n d e s v e r w a l t u n g ; das obligatorische R e f e r e n d u m und die G e s e t z g e b u n g s i n i t i a t i v e ; in Ausführung des Paragraph 27 der Bundesverfassung eine materielle Unterstützung der Kantone zu gunsten der P r i m a r s c h u l e n und besonders die U n e n t g e l t l i c h k e i t der L e h r m i t t e l " 1 ; etc

56 Wir können nicht annehmen, daß die Bundesversammlung mit der Überweisung gedachter ,,Resolution1-0 an den Bundesrat sagen wollte, es solle der Bundesrat diese von keinen Motiven begleitete Zusammenfassung der verschiedenartigsten Verfassungsrevisionspostulate zum Gegenstande einer einheitlichen materiellen Untersuchung und einer Gesamtberichterstattung machen. Der Buadesrat muß sich darauf beschränken, dermalen einfach von derselben Notiz zu nehmen und zu bemerken, daß die eine oder andere der postulierten Änderungen die ihr gebührende Prüfung und Behandlung finden wird, wenn die Bundesversammlung sie erheblich erklärt.

XL In Bezug auf das in den Petitionen figurierende Begehren: V e r s t a a t l i c h u n g der E i s e n b a h n e n , erinnern wir daran, daß gemäß den erheblich erklärten Motionen der Herren Nationalrat Curti und Ständerat Cornaz, vom 29. Januar 1892, der Bundesrat eingeladen wurde, ,,über die Bisen bahnfrage (Eisenbahnreform und Eisenbahnrückkauf) eine allseitige Untersuchung zu veranstalten und über die Art und Weise, wie er dieselbe vorzunehmen gedenke, beförderlich Berieht und Antrag vorzulegen1*.

Mit dem Vollzuge dieses Auftrages betraut, hat das Eisenbahndepartement nicht gesäumt, das Studium der einschlagenden Fragen an die Hand zu nehmen, und auch bereits einen Bericht über das u. a. zunächst zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung gemachte Rechtsverhältnis zwischen Bund und Eisenbahngesellschaften, eventuell Kantonen, bei Auslauf der Konzessionen, dem Bundesrate unterbreitet, welcher denselben am 27. März 1894 genehmigte und den Räten vorlegte.

In der Einleitung zu diesem Berichte ist über das beabsichtigte weitere Vorgehen folgendes gesagt: ,,Sobald die Untersuchung über andere, für sich abgeschlossene, in den großen Rahmen der sog. Eisenbahnfrage gehörende Gegenstände oder Gebiete durchgeführt sein wird, gedenken wir Ihnen deren Ergebnis successive vorzulegen. Es erseheint uns schon im Interesse einer eingehenden Prüfung in Ihrem Schöße angezeigt, in dieser Weise durch jeweilige Vorlage der Einzelberichte nach und .

nach Ihrer Einladung zur Untersuchung und Berichterstattung über Eisenbahnreform und Eisenbahnrückkauf nachzukommen, statt den Abschluß der ganzen, nach der Weitschichtigkeit des Materials und bei dem wenig zahlreichen für diese Arbeiten verfügbaren Personal des Departements geraume Zeit in Anspruch nehmenden Untersuchung abzuwarten und Ihnen dann erst einen einheitlichen

57 Gesamtbericht zu unterbreiten. Das von uns beabsichtigte Vorgehen schließt selbstverständlich nicht aus, daß nach Durchführung der ganzen Arbeit die aus den Einzelberichten sich ergebenden Schlüsse und Anträge in einen Schlußbericht zusammengefaßt würden.1'1' In diesen Berichten wird die Eisenbahnverstaatlichung eine eingehende und allseitige Beleuchtung finden und wir erblicken keinen Grund, angesichts jener Petitionen von dem aufgestellten Programm für die Durchführung der Untersuchungen abzugehen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung'.

B e r n , den 16. Juni

1894.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : E. Frey.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Motion Comtesse (Lohnzahlung) vom 9. April 1891, die Motion Vogelsanger (Vereinsfreiheit) vom 17.

Dezember 1891 und die Maifeierpetitionen 1890--1893. (Vom 16. Juni 1894.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

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Foglio federale

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1894

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

26

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

27.06.1894

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