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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über die eidgenössische Gewährleistung des luzernischen Verfassungsgesetzes vom 26. November 1890.

(Vom 10. April 1891.)

Tit.

» Der Große Rath des Kantons Luzern hat unterm 26. November 1890 ein Gesetz betreffend Abänderung der luzernischen Staatsverfassung vom Jahre 1875 erlassen.

Nachdem in der Volksabstimmung vom 4. Januar 1891 dieses Gesetz mit 13,394 gegen 10,240 Stimmen angenommen worden, beauftragte am 4. Februar 1891 der Große Rath den Regierungsrath von Luzern, für die abgeänderten Verfassungsbestimmungen die Gewährleistung des Bundes nachzusuchen.

Diesem Auftrag ist der Regierungsrath mittelst Einreichung eines schriftlichen Gesuches nachgekommen, welches das Datum des 23. März trägt und beim Bundesrathe am 29. März einlangte.

Es sind Ihnen gedruckt ausgetheilt worden : a. Staatsverfassung des Kantons Luzern vom Jahre 1875 mit den Abänderungen vom 11. Oktober 1882.

b. Gesetz vom 26. November 1890 betreffend Abänderung der Staatsverfassung des Kantons Luzern vom Jahre 1875.

c. Dekret des Großen Rathes vom 4. Februar 1891 betreffend das Ergebniß der Volksabstimmung über das Verfassungsgesetz vom 26. November 1890.

d. Staatsverfassung des Kantons Luzern vom Jahre 1875 mit den Abänderungen vom 11. Oktober 1882 und 26. November 1890.

"5 Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. I.

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Aus diesen Druckschriften ersehen Sie die durch das Geselz.

vom 26. November 1890 herbeigeführten Verfassungsänderungen.

Die luzernische Kantonsverfassung von 1875 hat durch Bundesbeschluß vom 2. Juli 1875 die eidgenössische Garantie erhalten (A. S. n. F. I, 592).

Die Verfassungsabänderungen vom I I . Oktober .1882 wurden durch Bundesbeschluß vom 19. Dezember 1882 genehmigt (A. S.

n. F. VI, 624).

L Wenn wir die Neuerungen in's Auge fassen, welche das Gesetz vom 26. November 1890 in Bezug auf das luzernische Verfassungsrecht bringt, so finden wir bemerkenswerthe Aenderungen in folgenden Punkten : 1. Luzern hatte bisanhiu bezüglich des Ausschlusses vom Stimmrecht in §27, litt, e, seiner Verfassung folgende Bestimmung: ,,Von der Stimmfähigkeit sind ausgeschlossen : ,,e. Die Falliten oder solche, die zum Nachtheile ihrer Gläubiger gerichtlich akkordirt haben3 sowie diejenigen, welchen ohne Abschluß eines Akkordes die Falliterklärung ist nachgelassen worden, und diejenigen, auf welchen, ohne daß ein Konkurs herbeigeführt wurde, Zahlungsabschläge und Unzahl barkeitsurkunden haften. Alle diese sind ausgeschlossen bis zum Ausweise der Befriedigung ihrer Gläubiger, und die Falliten überhin bis zu ihrer Rehabilitation."· Das Verfassungsgesetz vom 26. November 1890 ersetzt nun diese Bestimmung durch die nachstehende: ,,Von der Stimmfähigkeit sind ausgeschlossen: ,,fi. Diejenigen, auf welchen ein Verlustschein ausgestellt oder über deren Vermögen der Konkurs eröffnet wurde.

,,Dieselben erlangen ihr Stimmrecht wieder, wenn der Konkurs widerrufen wird oder wenn sämmtliche zu Verlust gekommenen Gläubiger befriedigt sind oder zur Wiedereinsetzung ins Stimmrecht ihre Einwilligung geben.

,,Diejenigen, welche unter dem bisherigen kantonalen Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz infolge Konkurs, gerichtlichen Akkommodements, Ausstellung von Zahlungsabschlägen und Unzahlbarkeitsurkunden ihr Stimmrecht verloren haben oder noch verlieren werden, bleiben von demselben bis zum Ausweis der Befriedigung der Gläubiger ausgeschlossen.

989 ,,War der Schuldner zur Zeit der Ausstellung des VerlustScheins oder der Konkurseröffnung noch minderjährig, so verliert er sein Stimmrecht nicht.

,,Der Gesetzgebung bleibt überlassen, die Bedingungen der Wiedereinsetzung ins Stimmrecht zu erleichtern."

2. § 31 der bisherigen Verfassung lautete : .,,Die Verfassung kann auf dem Wege der nachfolgenden Bestimmungen revidirt werden, wenn die absolute Mehrheit der stimmfähigen Einwohner es verlangt. Jedoch fallen diejenigen Bürger außer Betracht, welche sich vor der Abstimmung beim Gemeinderathspräsidenten schriftlich entschuldigen."

Der § 31 der neuen Verfassungjj'aber lautet: ,,Die Verfassung kann auf dem Wege der nachfolgenden Bestimmungen revidirt werden, wenn die absolute Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger es verlangt."

§ 33 alt: ,,Hat sich nicht die absolute Mehrheit der nach § 31 noch in Berechnung fallenden stimmfähigen Einwohnern des Kantons für Revision ausgesprochen, so bleibt die Verfassung unverändert in Kraft."

§ 33 neu: ,,Hat sich nicht die absolute Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger für Revision ausgesprochen, so bleibt die Verfassung unverändert in Kraft. a § 34 alt: ,,Hat sich hingegen die absolute Mehrheit der in Berechnung fallenden Aktivbürger des Kantons für Revision der Verfassung ausgesprochen, so hat der Große Rath einen Verfassungsrath einzuberufen u. s. w. u. s. w.tt § 34 neu: ,,Hat sich hingegen die absolute Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger für Revision der Verfassung ausgesprochen, so hat der Große Rath einen Verfassungsrath einzuberufen u. s. w. u. s. w.a 3. In die neue Verfassung ist als § 35bl" folgende Bestimmung aufgenommen: ,,Die Aufhebung oder Abänderung bestimmter Artikel der Verfassung oder die Aufstellung neuer Verfassungsbestimmungen kann auch auf dem Wege der Initiative erfolgen, indem fünftausend

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stimmfähige Bürger von einer ordentlichen Versammlung des Großen Käthes bis zur folgenden bei dieser Behörde ein Begehren um Aufhebung oder Abänderung bestehender oder Aufstellung neuer Verfassungsbestimmungen stellen.

,,Will der Große Rath dem Begehren nicht entsprechen, so hat über dasselbe innert 4 Wochen von der auf die Einreichung des Begehrens folgenden ordentlichen Großrathssitzung an eiuo Volksabstimmung stattzufinden. Spricht sich die Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger für das Begehren aus, so hat der Große Rath die Revision vorzunehmen. Die so revidirte Verfassung ist dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen.

,,Erstreckt sich die angestrebte Revision über mehrere Materien, so haben über jede derselben besondere Volksabstimmungen stattzufinden. tt 4. In § 39 ist die Frist zur Einreichung von kantonalen Referendumsbegehren auf vierzig Tage von der Bekanntmachung des Erlasses hinweg erstreckt; bisher betrug sie dreißig Tage.

5. Nach § 43 (neu) hat das Volk in 55 Wahlkreisen seine Stellvertreter in den Großen Rath zu wählen.

In der Wahlkreiseintheilung ist eine bemerkenswerthe Aenderung dadurch vorgenommen, daß die Gemeinde Luzern, welche bis anhin mit 16 Abgeordneten den 1. Wahlkreis bildete, in fünf Wahlkreise zerlegt wurde, von denen zwei je 3 und drei je 4 Abgeordnete in den Großen Rath zu wählen haben.

6. Auch bei einer Volksabstimmung über Abberufung des Großen Rathes (§ 44) soll künftig die absolute Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger, nicht mehr, wie bis anhin, die absolute Mehrheit der stimmfähigen Einwohner -- unter Abzug der vor der Abstimmung sich schriftlich Entschuldigenden -- entscheiden.

7. Der Erziehungsrath wird um 2 Mitglieder verstärkt, soll daher aus 5 (statt wie bisher aus 3) Mitgliedern bestehen (§ 70).

8. § 82 sieht die Einführung gewerblicher Schiedsgerichte für gewerbliche Streitsachen vor.

9. § 95 ermöglicht es, die Verfassungsraths-, Großraths- und Bezirksgerichtswahlen entweder in versammelter Gemeinde oder nach dem gesetzlich zu regelnden Urnensystem vorzunehmen ; in der Stadt Luzern bedingt bei Großraths- und Verfassungsrathswahlen die Zerlegung der Gemeinde in mehrere Kreise mehrere Wahlversammlungen.

991 10. Nach § 96 ist fortan auch bei der Bestellung des Erziehungsrathes, wie bei derjenigen des Regierungsrathes, Obergerichtes, Kriminalgerichtes und der Großrathskommissionen, ,,im Allgemeinen auf Vertretung der Minderheit billige Rücksicht zu nehmen".

II.

Unterm 28. März kam eine an die hohe Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft gerichtete, mit dem Datum : Luzern, den 22. März 1891 versehene und die Unterschrift ,,im Namen und Auftrag des luzernischen Kantonalgrütlivereins, sowie der vereinigten Arbeitervereine der Stadt Luzern: F r a n z J o s .

E n d , Großrath" tragende gedruckte Eingabe in unsere Besitz, welche das Gesuch an Sie, Tit., enthält, der revidirten Verfassung des Kantons Luzern die eidgenössische Gewährleistung vorzuenthalten bis nach Beseitigung der abnormen Zustände in diesem Kanton hinsichtlich der Stimmrechtsentziehung wegen Konkurs, waisenamtlicher Unterstützung und gerichtlicher Akkordirung.

Diese Eingabe ist in Ihren Händen.

Wir haben sie sofort der Regierung des Kantons Luzern zur Anbringung allfälliger Gegenbemerkungen übermittelt.

Wie Sie sehen, richtet sich die Eingabe gegen § 27 der luzernischen Verfassung, in welchem die Bestimmungen über den Ausschluß von der politischen Stimmfähigkeit enthalten sind; sie führt an, daß infolge dieser Bestimmungen im Kanton Luzern bei einer volljährigen männlichen Bevölkerung von 42,000 Schweizerbürgern 13,000 Bürger vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen seien, von welcher Summe allerdings noch 2800 schweizerische Aufenthalter in Abzug gebracht werden müssen. Im Kanton Luzern bilde auch die waisenamtliche Unterstützung einen Grund für Einstellung im Aktivbürgerrechte, und zwar nicht bloß wahrend der Dauer der Unterstützung, sondern bis zur Restituirung des Empfangenen; in den letzten Jahren seien 16,145 Personen (der achte Theil der gesammten Einwohnerschaft des Kantons) ganz oder theilweise unterstützt worden und die dadurch verursachten Kosten hätten in den drei letzten Jahren durchschnittlich Fr. 874,583 betragen, was gegen frühere Jahre noch als erhebliche Besserung zu bezeichnen sei. Bei 2244 von 2551 ganz unterstützten volljährigen Personen bildeten nach dem Luzerner Staatsverwaltungsbericht pro 1888 Gebrechen, Krankheit und Arbeitslosigkeit die Ursachen der Verarmung.

992 Im Hinblick auf den Schlußsatz des § 27 der Luzerner Verfassung, welcher lautet: ,,Vorbehalten bleiben allfällige Abänderungen, welche die Bundeägesetzgebung bezüglich dos Stimmrechts treffen wird", glauben die Petenten, au die Bundesversammlung das oben erwähnte Gesuch stellen zu können.

Der Regierungsrath des Kantons Luzern antwortet hierauf mit Zuschrift an den Bundesrath vom 6. April im Wesentlichen was folgt: Ob und inwieweit die Angaben des Herrn Großrath End über die Zahl der infolge Insolvenz, Armenunterstützung etc. vom Stimmrecht Ausgeschlossenen auf Richtigkeit Anspruch machen dürfen, kann die Kantonsbehörde nicht sagen, da ihr das Material, auf welches sich die Berechnungen des Herrn End gründen, nicht zur Verfügung steht Es ist aber Thatsache, daß, während die Wohnbevölkerung des Kantons 4,60 % der Gesammtwohnbevölkerung der Schweiz ausmacht, der Kanton Luzern erheblich mehr als 4,60 °/o der in der ganzen Schweiz Stimmenden aufweist. Am 17. November 1889, bei der Abstimmung über das eidg. Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, nahmen von 462,238 Stimmenden im Kanton Luzern 24,735 Bürger Theil, also 5,35 % der Stimmenden ; am 15. März 1891 entfielen auf den Kanton Luzern sogar 5,68 °/o der Stimmenden. Am 17. November 1889 kamen in der ganzen Schweiz auf 100 Seelen der Wohnbevölkerung 15,84 gültig Stimmende, im Kanton Luzern dagegen 18,27; am 15. März 1891 kamen in der ganzen Schweiz auf 100 Seelen der Wohnbevölkerung 15,03, im Kanton Luzern 18,45 gültig Stimmende. Das beweist, daß die Ausübung des Stimmrechts nicht erschwert ist. Die starke Betheiligung kann nicht blos auf Rechnung des politischen Interesses der Stimmenden gesetzt werden, indem ja auch in den ändern Kantonen das gleiche Interesse sich zeigt.

Die Zahl der in eidgenössischen Fragen im Kanton Luzeru Stimmberechtigten zur Bevölkerung verhält sich wie 23 zu 100; in kantonalen Angelegenheiten sinkt dieses Verhältnis allerdings auf 21,5 zu 100 herab, indem die Aufenthalter zum grüßern Theil nicht stimmberechtigt sind.

Uebrigens, sagt der Regierungsrath, hat die Frage der Erweiterung des Stimmrechts mit der revidirten Verfassung gar nichts zu thun. Die neue Verfassung enthält ja in § 27 keine Bestimmungen, die nicht schon im bisherigen § 27 enthalten waren und im Jahre 1875 die eidg. Gewährleistung erhalten haben. Seit 1875 hat sich aber das eidg. Recht in diesem Punkte nicht geändert.

Sollte daher der § 27 der neuen Verfassung beanstandet werden,

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so würde an dessen Stelle einfach derjenige der alten Verfassung weiter gelten; denn die Revision von 1890 ist eine bloße Partialrévision..

III.

Eine Prüfung der hievor angeführten Verfassungsänderungen «rgibt, daß dieselben in keiner Beziehung mit Vorschriften der Bundesverfassung im Widerspruche stehen.

Die §§ 31, 33, 34, 44 räumen mit einem veralteten, in Wahrheit undemokratischen und darum unhaltbaren System der Berechnung der absoluten Mehrheit bei Volksabstimmungen auf, indem sie an die Stelle der absoluten Mehrheit der stimmfähigen Bürger diejenige der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger, an die Stelle einer passiven die aktive Demokratie setzen.

Was speziell den angefochtenen § 27 betrifft, so mußte er infolge der Annahme des am 1. Januar 1892 in Kraft tretenden Buudesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs einer Revision unterzogen werden. Das allegirte Bundesgesetz stellt nämlich in Art. 26 den Kantonen, unter Vorbehalt bundesgesetzlicher Bestimmungen über die politischen Rechte der Schweizerbürger (Art. 66 der Bundesverfassung), anheim, die öffentlichrechtlichen Folgen der fruchtlosen Pfändung und des Konkurses festzustellen, schreibt indessen voi1, daß die Rehabilitation einzutreten habe, wenn der Konkurs widerrufen wird oder wenn sämmtliche zu Verlust gekommenen Gläubiger befriedigt sind oder der Rehabilitation beistimmen.

Ein Widerruf des Konkurses tritt ein, wenn die Gläubiger ihre Konkurseingabe zurückziehen oder wenn ein Nachlaßvertrag zu Stande gekommen ist (Art. 195 und 317 leg. cit.).

Nach Art. 330 finden jedoch die Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Nachlaßvertrag nur auf solche Nachlaßbegehren Anwendung, welche nach dem 31. Dezember 1891 eingereicht werden. Also werden auch die öffentlichrechtlichen Folgen des gerichtlichen Akkordes bis zum 1. Januar 1892 vom kantonalen Rechte bestimmt sein.

Da das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs auch in dieser Hinsicht keine rückwirkende Kraft ausübt, so verhindert dasselbe die Kantone nicht, den nach ihren Gesetzen an gewisse Betreibungsvorgänge geknüpften Stimmrechtsverlust nach dem 1. Januar 1892 fortdauern zu lassen.

Es wird infolge dessen im Kanton Luzern eine Verschiedenheit der Behandlung der sog. Akkordanten, der Schuldner, denen ein

994 Nachlaßvertrag (,,gerichtlicher Akkord") bewilligt ist, zu Tage treten. Diejenigen, welche vor 1892 akkordirt haben, bleiben im Stimmrechte eingestellt, diejenigen, die nach 1892 akkordiren, trifft diese öffentlichrechtliche Folge nicht. Ein solcher Zustand ist unzweifelhaft sehr bedauerlich und auf die Dauer kaum haltbar. Wir betrachten es als ein Postulat der Gerechtigkeit, daß die kantonale oder die eidgenössische -Gesetzgebung denselben nicht allzulange andauern lasse.

Schon dadurch, daß § 27 der luzernischen Verfassung mit diesen Vorschriften des eidgenössischen Betreibungs- und Konkursgesetzes in Einklang gebracht wurde, erfuhr derselbe einige beachtenswerthe Aenderungen ; andere traten, nicht veranlaßt durch eidgenössisches Recht, hinzu. Man beachte, daß Minderjährige durch Konkurs oder infolge fruchtloser Pfändung nicht mehr (für das Alter der Volljährigkeit) das Stimmrecht verlieren sollen, gerichtliche Akkordirungen (Nachlaßvertrage), vom 1. Januar 1892 an,' nicht mehr den Verlust des Aktivbürgerrechts nach sich ziehen und einige andere dem Luzerner Betreibungsrecht eigentümliche Gründe des Stimmrechtsentzuges wegfallen, indem sie sämmtlich in den bundesgesetzlichen Betreibungsakten der Ausstellung eines Verlustscheines und der Konkurseröffnung aufgehen. Es ist ferner wenigstens die Möglichkeit gegeben, daß die Gesetzgebung die Bedingungen der Wiedereinsetzung in's Stimmrecht erleichtere; ein bindender Auftrag ist ihr in dieser Richtung freilich nicht ertheilt.

Diese Aenderungen in § 27 mildern gegenüber dem bisherigen Zustande, wenn auch nicht sehr bedeutend, doch einigermaßen das sonst mit aller Strenge in der Luzerner Verfassung durchgeführte Prinzip, daß die Nichterfüllung seiner Schuldverbindlichkeiten eine Minderung der öffentlichen Ehrenrechte des Bürgers zur Folge haben solle.

Im Uebrigen ist der Inhalt von § 27 unverändert geblieben.

Speziell die Armenunterstützung nach dem zwanzigsten Altersjahre bildet nach wie vor bis zur Rückerstattung einen Grund der Entziehung des Stimmrechts.

Auch der Vorbehalt der Bundesgesetzgebung mit Bezug auf die Stimmrechtsverhältnisse steht schon seit 1875 in dem § 27 der Luzerner Verfassung.

Das Begehren, welches Herr Großrath End im Namen des Kantonalgrütlivereins und der Arbeitervereine der Stadt Luzern an die Bundesversammlung richtet,
stützt sich auf den erwähnten Vorbehalt; allein ohne Grund. Denn dieser Vorbehalt ist etwas ganz Selbstverständliches. So lange der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht

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nach Art. 66 der Bundesverfassung keinen Gebrauch macht, und er hat es bis jetzt nicht gethan, sind die Kantone befugt, die Ausschlußgründe hinsichtlich des politischen Stimmrechts zu bestimmen.

Sobald der Bund in dieser Materie gesetzgeberisch vorgeht, hat das kantonale Recht dem eidgenössischen zu weichen.

« O Es ist nun allerdings denkbar, daß kantonale Bestimmungen die Zahl der Stimmberechtigten'so sehr herabsetzen, daß der Verfassungssatz, die Souveränetät des Kantons beruhe in der Gesammtheit des Volkes, zu einer eigentlichen Ironie auf den wirklichen Rechtszustand wird. In einem solchen Falle würde der Bund die betreffenden Bestimmungen nicht genehmigen können; eventuell müßte er auf eine frühere Genehmigung, die unter ändern Verhältnissen erfolgte, zurückkommen. So liegen aber die Dinge im Kanton Luzern gegenwärtig nicht.

Wenn wir demnach zum Schlüsse kommen, es sei dem Begehren der Herren End und Genossen keine Folge zu geben und es sei auch der revidirte § 27 des Luzerner Verfassungsgesetzes von 1890 zu genehmigen, so 'können wir doch nicht umhin, der Beschwerde diejenige Bedeutung und Berechtigung zuzuerkennen, die ihr zukommt. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Zahlenangaben derselben auf vollständige Genauigkeit Anspruch machen können/*) Wir sagen: wenn sie auch nur annähernd richtig sind -- was die Regierung selbst nicht zu bestreiten scheint --, so liegt.in ihnen eine ernste Mahnung an uns Alle, die Aufgabe einer einheitlichen, auf gesunden demokratischen Grundlagen beruhenden Ausgestaltung unserer schweizerischen Stimmrechtsverhältnisse ernstlich wieder an die Hand zu nehmen. Seit dem 2. Juni 1882 harrt der buudesräthliehe Entwurf zu einem Bundesgesetze über die politischen Rechte der Schweizerbürger der endlichen Erledigung durch die gesetzgebenden Rälhe der Eidgenossenschaft. Wir möchten Sie, Tit., beim gegenwärtigen Anlasse an dieses wichtige Geschäft, das seit .so vielen Jahren auf Ihrem Traktandenverzeichnisse steht, erinnern. Und wir gestatten uns, Ihnen dabei auch die Worte *) Nach einer genauen Feststellung der Zahl der Stimmberechtigten in der Schweiz, verglichen mit der Zahl der volljährigen Schweizerbürger, welche im Jahre 1883 im Ili. Quartalhefte der Zeitschrift für Schweizerische Statistik erschienen ist, zählte der Kanton Luzern im Jahre 1880 auf 39,471 volljährige
männliche Schweizerbürger 29,977 eingeschriebene Stimmberechtigte, also 76°/o der ersteren; ein noch ungünstigeres Verhältniß wiesen auf: Aargau mit 75 °/o und Baselland mit 74 °/o ; etwas besser stellten sich Bern mit 77 °/o und Solothnrn mit 78 % ; für die ganze Schweiz war das Verhältniß 88 °/o.

Die Unterscheidung der Bevölkerung des Kantons Luzern nach dem Alter, auf Grundlage der Volkszählung von 1888, ist vom eidgenössischen Statistischen Bureau zur Zeit noch nicht durchgeführt.

996 in Erinnerung zu rufen, mit denen wir unsere bezügliche Botschaft vom 2. Juni 1882 geschlossen haben: ,,Ein Land kann seiner Zukunft nur dann mit Sicherheit entgegenschauen, wenn seine selbstgeschaffenen Einrichtungen beständig der Willensausdruck der großen Mehrheit der Bürger sind ; es wird aber diesen Willen nicht zu erkennen vermögen, wenn es ganze Klassen von Bürgern an der Aussprache desselben verhindert."

Wir schließen mit dem Antrage, Sie mögen dem Verfassungsgesetze des Kantons Luzern vom 26. November 1890 nach unten folgendem Beschlussesentwurfe die Bundesgarantie ertheilen.

Empfangen Sie, Tit., die erneuerte Versicherung unserer vollkommenen Hochachtuns.

B e r n , den 10. April 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluß betreffend

Gewährleistung des luzernischen Verfassungsgesetzes vom 26. November 1890.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft und des Antrages des Bundesrathes vom 10. April 1891, betreffend die am 26. November 1890 vom Großen Rathe des Kantons Luzern beschlossene Partialrevision der Kantonsverfassung, in Erwägung, daß diese Revision in der Volksabstimmung vom 4. Januar 1891 von der absoluten Mehrheit der stimmenden Bürger angenommen worden ist und nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung zuwider wäre, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Dem Verfassungsgesetze des Kantons Luzern vom 26. November 1890 wird die Bundesgarantie ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung über die eidgenössische Gewährleistung des luzernischen Verfassungsgesetzes vom 26. November 1890. (Vom 10.

April 1891.)

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15.04.1891

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