426

# S T #

Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Alessio Marliani von Mendrisio gegen den Beschluß des tessinischen Staatsrathes vom 3. Januar 1891, betreffend Ausschluß vom Stimmregister der Gemeinde Mendrisio.

(Vom 5. März 1891.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Alessio M a r l i a n i , fu Giovanni, von Mendrisio, gegen den Beschluß des tessinischen Staatsrathes vom 3. Januar 1891, betreffend Ausschluß vom Stimmregister der Gemeinde Mendrisio; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmässiger Sachverhältnisse : I.

Infolge eines von einem gewissen Carlo Cavadini am 29. Dezember 1890 eingereichten Rekurses hat der Staatsrath des Kantons Tessin am 3. Januar 1891 die Gemeindebehörde von Medrisio angewiesen, den Alessio Marliani fu Giovanni im dortigen Stimmregister zu streichen, ,,gestützt auf die Thatsache, daß Herr Marliani im Auslande seinen Hausstand eingerichtet hat, und auf die Erwägung, daß, wenn derselbe nach langen Zwischenräumen für kurze Zeitdauer oder auch etwa für die Dauer eines Monats nach Mendrisio kommt, dies nicht genügen kann, ihn als einen jedes Jahr den Sitz seines Hauswesens zwischen dem Auslande und dem Kantone wechselnden Bürger erscheinen zu lassen."

427 II.

Gegen diesen staatsräthlichen Beschluß hat Alesso Marliani mit Eingabe vom 29. Januar 1891 beim Bundesrathe Beschwerde erhoben.

Er führt an, dass er allerdings den größern Theil des Jahres in Mailand zur Miethe wohne, daß er aber Mendrisio niemals definitiv verlassen habe, noch jemals verlassen werde. In Mendrisio stehe ihm jederzeit in seinem eigenen Hause eine Wohnung zur Verfügung und er verlege jedes Jahr in den Sommermonaten Juli, August und September mit seiner Familie seinen Wohnsitz nach Mendrisio, wo jeweilen die Familie ununterbrochen verweile, während er Ausflüge in die heimatlichen Thäler oder wenige Tage dauernde Reisen unternehme, nach welchen er wieder nach Mendrisio zurückkehre.

Der Eekurrent glaubt deßhalb, die Eigenschaft eines den Sitz seiner Haushaltung alljährlich zwischen dem Ausland und einer Gemeinde des Kantons wechselnden Bürgers für sich in Anspruch nehmen zu können.

Er beruft sich hierbei auf den Wortlaut des einschlägigen Art. 3, litt, b, der Uebergangsbestimmungen des Gesetzes 'vom 5. Dezember 1890, welcher wörtlich also lautet: ,,Art. 3. Die im Auslande wohnenden Tessiner können nicht als in der Gemeinde (sc. des Heimatkantons) politisch domizilirt betrachtet und deßhalb nicht in die Stimmregister eingetragen werden.

,,Als im Auslande wohnhaft werden diejenigen Tessiner angesehen: ,,6. welche im Auslande ihren Hausstand eingerichtet haben.

,,In dieser Kategorie sind diejenigen Bürger nicht Inbegriffen, welche alljährlich den Sitz ihrer Haushaltung zwischen dem Auslande und einer G-emeinde des Kantons wechseln.a Der Eekurrent bemerkt, daß das Gesetz für das Vorhandensein eines abwechselnden Wohnsitzes nicht eine mehr oder weniger lange Dauer des Aufenthaltes an dem einen Orte als nothwendig erkläre, sondern daß es einfach den Wechsel des Wohnsitzes zwischen dem Auslande und dem Inlande als Voraussetzung der Anwendung des allegirten Art. 3, litt. 6, aufstelle.

Wo das Gesetz nicht unterscheide, keine weitern Bedingungen setze, komme es auch dem tessinischen Staatsrathe nicht zu, seine Gedanken in das Gesetz hinein zu tragen und so dasselbe zu verändern.

Uebrigens sei der Eekurrent in der Lage, auch den § 2 desselben Art. 3 anzurufen, welcher sagt :

428 ,,§ 2. Die Tessiner, welche sich in den von diesem Artikel vorgesehenen Verhältnissen befinden, erlangen die Befugniß zur Ausübung des Stimmrechts .nach einem einmonatlichen Wohnsitz im Kanton wieder."1 Wenn demnach auch angenommen werden könnte, der Eekurrent sei im Auslande wohnhaft, weil er dort'den größern Theil des Jahres zubringe, so hätte doch die Thatsache, daß er im verflossenen Sommer länger als einen Monat in Mendrisio gewohnt hat, jede Verjährung auf seiner Seite unterbrochen und ihm das Eecht auf Eintragung in das Stimmregister der Bürger von Mendrisio gesichert.

III.

Der Staatsrath hat hierauf mit Schriftsatz vom 5. Februar 1891 erwidert was folgt: Es erscheint als thatsächlich unbestritten, daß der Eekurrent mit seiner ganzen Familie in Mailand wohnt, und zwar während 10, zuweilen sogar während 11 Monaten des Jahres, indem er sich nur für kurze Zeitdauer zum Landaufenthalt nach Meudrisio begibt, selten für die Dauer eines ganzen Monats. Unter solchen Umständen muß er unzweifelkaft als in Mailand wohnhaft betrachtet und infolge dessen vom Stimmregister ' in Mendrisio ausgeschlossen werden.

Der in Art. 3 der, Uebergangsbestimmungen des Gesetzes vom 5. Dezember 1890 enthaltene Vorbehalt zu Gunsten derjenigen Bürger, welche alljährlich den Sitz ihres Haushalts zwischen dem Ausland und einer Gemeinde des Kantons wechseln, kann dem Rekurrenten nicht zu Gute kommen, da er sich nur auf solche Bürger bezieht, welche abwechselnd einen großen Theil des Jahres bald im Auslande, bald im Inlande sich aufhalten und so in der That gewissermaßen zwei Wohnsitze haben. In einem solchen Falle ließ das Gesetz, bei der Unsicherheit, wo sich der hauptsächliche Wohnsitz befinde, eine Eechtsvermuthung zu Gunsten der Heimatgemeinde zu. Damit aber diese Vermuthung Platz greifen kann, muß der Bürger mit seiner Familie daselbst nicht blos einen Ferienmonat, sondern einen beträchtlichen Theil des Jahres zubringen, so daß sich in Wahrheit sagen läßt, er erfülle die Vorraussetzung eines wechselnden Wohnsitzes. Das Gesetz spricht von ,, S i t z " der Haushaltung, um anzudeuten, daß eine gewisse Beständigkeit des Aufenthaltes nothwendig ist, indem der Begriff. ,,Sitza sich nicht auf kurze Perioden eines bloßen Land- oder Vergnügungsaufenthalts beziehen läßt. -- Die Dis.kussion im Großen Rathe läßt diesfalls keinen Zweifel bestehen.

Die Wechselbeziehung zwischen der 'Bestimmung unter litt, a und derjenigen unter litt, b des allegirten Art. 8 ist übrigens geeignet, diese Auslegung noch klarer und einleuchtender zu machen.

42»

Der Staatsrath hat Art. 3, litt, a, in dem Sinne angewendet, daß er an ausländischen Instituten angestellte Professoren, welche von dort, während der Ferien für zwei, zuweilen sogar für drei Monate in den Kanton zurückkehren, als im Auslande wohnhaft betrachtete. Es wäre nun eine offenbare Ungleichheit der Behandlung, wenn hinwieder ein gegenteiliger Grundsatz für Bürger gelten sollte, die, wie der Bekurrent, unzweifelhaft im Auslande ihren Wohnsitz haben und nur für Zeiträume, die entschieden kürzer sind als die Ferien der Professoren, in den Heimatkanton zurückkehren.

Ein Beschluß des Bundesrathes im Sinne des Rekurses müßte notwendigerweise die fragliche Bestimmung des Art. 8 in der Praxis geradezu wirkungslos machen, da ja sehr wenige tessinische Familien in den europäischen Staaten wohnen, welche nicht jedes Jahr heimkommen, um einige Tage in ihrem Geburtslande zuzubringen, gerade so, wie der Eekurrent es auch zu thun pflegt.

Es erübrigt noch, zu bemerken, daß derselb'e sich mit Unrecht auf § 2 des zitirten Art. · 3 beruft.

Denn es liegt auf der Hand, daß, so lange die oben berührten thatsächlichen Verhältnisse fortdauern, der Eekurrent keineswegs als in Mendrisio wohnhaft gewesen betrachtet werden kann. Der Wohnsitz schließt die Absicht dauernden Aufenthaltes ein, und ein Landaufenthalt in Mendrisio macht nicht nur nicht den Wohnsitz daselbst aus, sondern stellt gegentheils die Thatsache in ein noch helleres Licht, daß der Wohnsitz anderswo sich befindet, d. h. eben in Mailand, · wo der Rekurrent mit seiner Familie während des ganzen übrigen Theiles des Jahres weilt.

Aus diesen Gründen erwartet der Staatsrath zuversichtlich, daß der Bundesrath seinen Beschluß bestätigen werde; indem er jedoch diese Erwartung ausspricht, thut er es nicht, ohne die Bemerkung zu erneuern, daß ein abweichender, bundesräthlicher Entscheid zur nothwendigen Folge haben müßte, dem ,,Grundsatze der Nichtstimmberechtigung der im Auslande wohnhaften Tessiner jede praktische Wirksamkeit zu benehmen; . .

inErwägung: 1. Es ist ein thatsächlicher Irrthüm des Staatsrathes, wenn er in seiner Vernehmlassung vom 5. Februar 1891 bemerkt, es sei unbestritten, daß der Eekurrent zehn, zuweilen eilf Monate im Jahre mit seiner Familie in Mailand wohne und jeweilen nur zu kurzem Landaufenthalt von selten mehr als einmonatlicher Dauer nach Mendrisio sich begebe.

, ;

430

Der Eekurrent hat vielmehr sehr bestimmt behauptet, daß er alljährlich mit seiner Familie während der Sommermonate Juli, August, September. in seinem eigenen, ihm jederzeit offenstehenden Hanse zu Mendrisio wohne und Haushaltung führe. Diese Behauptung ist vorn Staatsrathe nicht bestritten worden; sie ist daher als tliatsächlich richtig zu betrachten.

Der Staatsrath meint, die Dauer des Aufenthaltes in Mendrisio sei zu kurz, um den Kekurrenten als einen ^Alternanten"1, als einen Bürger mit wechselndem Haushalt, erscheinen zu lassen.

Nun hat aber der Staatsrath im Kekursfalle Messi einen Aufenthalt von etwas mehr als einem Monat als hinreichend für die Annahme eines Haushaltes in der Heimat erachtet und der Bundesrath hat sich seiner Auffassung angeschlossen. Es geht deßhalb schon unter dem Gesichtspunkte der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze nicht an, im vorliegenden Falle eine andere Begriffsbestimmung anzunehmen.

Der Kekurrent' hat somit einen wohlbegründeteten Anspruch darauf, die Bestimmung der litt, b des Art. 3 der Uebergangsbestimmungen des Gesetzes vom 5. Dezember 1890 zu seinen Gunsten anzurufen.

2. Unrichtig erscheint dagegen die Ansicht des Eekurrenten, daß anch § 2 des allegirten Art. 3 für ihn und sein Begehren spreche.

Da der Eekurrent gemäß Art. 3, litt, b, Absatz 2, vom Stimmrecht.

nicht auszuschließen ist, so kann es sich schlechterdings für ihn auch nicht um die Wiedererlangung desselben durch einen einmonatlichen Wohnsitz im Heimatkanton handeln, beschlossen: 1. Der Eekurs.ist begründet. Der Staatsrath des Kantons Tessin wird daher eingeladen, die Wiedereinschreibung des Rekurrenten im Stimmregister von Mendrisio zu veranlassen.

2. Dieser Beschluß ist dem h. Staatsrathe für sich und zur Bekahntgebung an die Munizipalität von Mendrisio, sowie dem Rekurrenten schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 5. März 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

·

fi*y2-ts,

·**Se^-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Alessio Marliani von Mendrisio gegen den Beschluß des tessinischen Staatsrathes vom 3. Januar 1891, betreffend Ausschluß vom Stimmregister der Gemeinde Mendrisio. (Vom 5. März 1891.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1891

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

10

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.03.1891

Date Data Seite

426-430

Page Pagina Ref. No

10 015 153

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.