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Schweizerisches Bundesblatt.

43. Jahrgang. IV.

Nr. 4L

7. Oktober 1891.

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Druck und Expedition der Buchdruclcerei Karl Stämpfli & Cie. in Bern.

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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs der Aktiengesellschaft ,,L'Agence de Publicité Haasenstein & Vogler" in Genf gegen die Auferlegung von Patenttaxen auf Grund des waadtländischen Gesetzes vom 27. November 1878 und 9. September 1885.

(Vom 25. September 1891.)

Der s c h w e i z e r i s c h e ß u n d e s r a t h hat in Sacheü des Rekurses der Aktiengesellschaft ,, L ' A g e n c e d e P u b l i c i t é H a a s e n s t e i n & V o g l e r " in Genf gegen die Auferlegung von Patenttaxen auf Grund des waadtländischen Gesetzes vom 27. November 1878 und 9. September 1885; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach .Feststellung folgender aktenmäßiger SachVerhältnisse : I.

Die1 Aktiengesellschaft ,,L'Agence de Publicité Haasenstein & Vogler' in Genf ist für das Jahr 1891 bezüglich ihrer Filialen Lausanne und Montreux vom waadtländischen Fiskus in Anwendung des waadtländischeu Gesetzes vom 27. November 1878 mit zwei Patenttaxen im Betrage von Fiv 500 und Fr. 100 (nebst je Fr. 6 Kanzlei- und Stempelgebühr) belegt worden. Der Zahlungsaufforderung leistete die Gesellschaft keine Folge; sie beschwerte sich vielmehr mit Eingabe vom 5. Mai 1891 mit Berufung auf den Schlußsatz von Artikel 31, litt, e, der Bundesverfassung beim Bundesrathe.

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Sie verweist auf die Entscheidung des Bundesrathes vom 12. Oktober 1886 über die Beschwerde der Schweizerischen Hagelversicherungsgesellschaft in Zürich gegen eine Verfügung des Finanzdepartementes des Kantons Waadt betreffend dieses gleiche Gesetz. Durch diese Entscheidung war der Anspruch des waadtländischen Fiskus auf Bezahlung einer Patentgebühr gegen die Schweizerische Hagelversicherungsgesellschaft als unzuläßig erklärt worden (Handelsamtsblatt Nr. 108 vom 1. Dezember 1886).

Die Beschwerdeführerin macht geltend: Die durch daa genannte Gesetz den Aktiengesellschaften auferlegten Patenttaxen stellen sich als Spezialsteuern dar, welche zu den ordentlichen Steuern hinzutreten ; diese Patenttaxen sind überdieß keine Besteuerung des Gewerbebetriebes, denn sie treffen unterschiedslos alle Aktiengesellschaften, der Zweck der Aktiengesellschaften bleibt unberücksichtigt. Sie bewegen sich inner den Grenzen von Fr. 5 bis-1000, je nach Gutdünken der Steuerbehörden, und hierin liegt offenbar eine Verletzung des Prinzips der Handels- und Gewerhefreiheit; denn die Handels- und Gewerbefreiheit ist beeinträchtigt, wenn die Aktiengesellschaftsform als solche durch die Ansprüche des kantonalen Fiskus thatsächlich verboten wird. Die Form einer Gesellschaft kann übrigens als solche nicht ein Steuerobjekt sein.

Zur Zeit der Herrschaft des frühern kantonalen Rechtes (Gesetz vom 14. Dezember 1852 sur les sociétés commerciales, besonders Art. 23, 27, 30) mag die Taxe gerechtfertigt gewesen sein, sie war das Aequivalent für die vom Staate ausgeübte Kontrole über die Aktiengesellschaften ; dieses kantonale Recht ist aber durch die Bestimmungen des eidgenössischen Obligationenrechtes aufgehoben worden; die Aktiengesellschaften sind der speziellen staatlichen Kontrole entrückt worden, damit entfällt auch die Ansveudbarkeit des angefochtenen Steuergesetzes.

II.

Der Staatsrath des Kantons Waadt verlangt in seiner Vernehmlassung vom 20. Juni 1891 Abweisung der Beschwerde. Er macht geltend : Die Gesellschaftsform als solche, insbesondere die Aktiengesellschaftsform, kann ganz wohl ein taugliches Steuerobjekt sein. Die Aktiengesellschaft unterscheidet sich, gerade wegen ihrer Form, recht wesentlich von den übrigen Gesellschaften; sie ist eines der wirksamsten Mittel zur Vereinigung der für bedeutende Unternehmungen nothwendigen Kapitalien ; sie genießt wegen ihrer Form einen außergewöhnlichen Kredit im Geschäftsleben, und daher hat

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der waadtländische Gesetzgeber sie einer besondern Patenttaxe unterworfen, er betrachtet diese Taxen als eine gerechtfertigte staatliche Einnahmequelle, sie sind nicht das Aequivalent für eine besondere Staatsaufsicht. Daß infolge dieser Taxen den Aktiengesellschaften im Kanton Waadt thatsächlich die Existenzmöglichkeit entzogen wird, ist unrichtig, es kann kein einziges diesbezügliches Beispiel namhaft gemacht werden; gerade weil für die Taxe eine Grenze von Fr. 5--1000 per Jahr besteht, ist der Steuerbehörde die'Möglichkeit der Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles gegeben. Artikel 31 der Bundesverfassung zählt nicht die Gewerbe auf, welche mit einer Gewerbesteuer belegt werden dürfen und welche hievon befreit sein sollen, deßhalb ist der kantonale Gesetzgeber kompetent, ausnahmslos alle Gewerbebetriebe, welche sich in der Form der Aktiengesellschaften abwickeln, zu besteuern.

Die in Frage stehenden Bestimmungen des waadtländischen Gesetzes ,,soumettant à une patente les sociétés anonymes ayant leur siège dans le canton et celles qui y ont une succursale ou une agence'1 vom 27. November 1878, modifizirt durch Gesetz vom 9. September 1885, lauten: ,,Art. 1. Sont soumises à l'obligation de se pourvoir d'une patente : ,,a. Les sociétés anonymes et les associations régies par les dispositions des titres 26 et 27 du Code fédéral des obligations et ayaut leur siège dans le canton.

,,&. Les succursales et agences établies dans le canton par les sociétés anonymes ou associations ayant leur siège hors du canton.

,,Art. 3. La patente est accordée par le Département des Finances après que la société qui doit en être pourvue est inscrite au registre du commerce . . . . .

,,Art. 5. Le prix annuel de la patente est fixé par le Département des Finances ensuite du préavis du préfet du district dans lequel la société a son siège ou son domicile élu entre un minimum de fr. 5 et un maximum de fr. 1000, suivant l'importance des opérations de la société et de ses gains présumés. Il peut y avoir recours au Conseil d'Etat.a Der Zweck und die Bedeutung des Gesetzes werden in einem Berichte der Kommission des Waadtländer Großen Rathes zum Gesetzesentwurf dahin festgestellt: ,,En premier lieu il s'agit d'une nouvelle source de recettes, source minime peut-être, mais qui n'est pas à dédaigner en pr^scivo

462 d'-un budget boiteux; en second lieu la prime de la patente permettra au Conseil d'Etat d'exercer une surveillance active sur les sociétés anonymes le coût de la patente compensera les frais u du contrôle exercé par l'Etat in Erwägung: 1. In Steuersachen wird die Souveränetät der Kantone beschränkt durch das Verbot der Doppelbesteuerung (Art. 46, Absatz 2, der Bundesverfassung) und durch die Bestimmung des Artikel 31, litt, e, wonach Verfügungen über Besteuerung des Gewerbebetriebes den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen dürfen. Daß eine unzuläßige Doppelbesteuerung vorliege, wird von der Beschwerdeführerin nicht behauptet; eine dießbezügliche Beschwerde wäre übrigens gemäß Artikel 59, litt, a, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege nicht durch den Bundesrath, sondern durch das Bundesgericht zu beurtheilen.

2. Mit Unrecht behauptet aber die Beschwerdeführerin, daß eine unzuläßige Besteuerung des Gewerbebetriebes durch das angefochtene Waadtländer Gesetz stattfinde. Denn eine die Aktiengesellschaften als solche treffende Patenttaxe ist eine sogenannte Kapitalsteuer, keine Besteuerung des Gewerbebetriebes. Die Steuer trifft die Beschwerdeführerin nicht, weil sie einen bestimmten Gewerbebetrieb ausübt oder weil sie überhaupt irgend einen Gewerbebetrieb ausübt, sondern weil sie eine Aktiengesellschaft ist und als solche ein Kapital (Vermögen) besitzt. Jede Aktiengesellschaft, auch diejenige, welche nicht zum Gewerbebetrieb gegründet worden ist, unterliegt der Steuer. Das ursprüngliche Gesetz vom Jahre 1878 allerdings war nicht nur ein reines Steuergesetz, sondern auch ein Konzessionsgesetz. Die Taxe wurde erhoben nicht ausschließlich vom steuerpolitischen Gesichtspunkte aus, sondern gleichzeitig als Aequivalent für die Ertheilung der Rechtsfähigkeit an Aktiengesellschaften. Mit Inkrafttreten des eidgenössischen Obligationenrechts sind die Bestimmungen d i e s e s Gesetzes maßgebend geworden für die Frage des Erwerbes der .Rechtsfähigkeit durch Aktiengesellschaften; soweit daher das WaadtländergeseU die in Frage stehende Taxe als Aequivalent für die Ertheilung der Rechtsfähigkeit an Aktiengesellschaften erhob, trat dasselbe ohne Weiteres auf den 1. Januar 1883 außer Wirksamkeit (vgl. Art. 881 des Obligationenrechts), soweit es dagegen Steuergesetz
war, blieb es in Kraft. Das waadtländische Gesetz von 1885 wollte eine Ausscheidung zwischen den neben dem eidgenössischen Recht noch in Kraft verbleibenden und den durch das eidgenössische Recht aufgehobenen, resp. modifizirten Bestimmungen des Gesetzes von "1878 vornehmen. Das Gesetz von 1885 nahm freilich diese Ausscheidung in sehr unvoll-

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ständiger Weise vor. Denn ganz mit Unrecht wird in Art. 4 von einer ,,demande d'autorisation" gesprochen. Trotz dieses Umstandes geht aber doch der Charakter der in Frage stehenden Steuer als einer Kapitalsteuer aus den übrigen Bestimmungen des Gesetzes des Deutlichsten hervor (vgl. namentlich Art. 5). In Anerkennung der Steuersouveränetät der Kantone muß demnach die Beschwerde, soweit sie sich gegen das fragliche Steuergesetz als solches richtet, wegen materieller Inkompetenz vom Bundesrathe abgewiesen werden.

3. Der Umfang endlich der durch das angefochtene Gesetz aufgestellten Taxe, nämlich die zwischen Fr. 5--1000 festgesetzte Maximums- und Minimumsgrenze, ist offensichtlich keine solche, welche einem faktischen Verbot des Begründens und Bestehens von Aktiengesellschaften gleichkäme; es bedarf also auch keiner Erörterung der Frage, was einzutreten hätte, wenn die Maximalgrenze der Taxe in solcher Höhe angesetzt würde, daß damit die Existenz von Aktiengesellschaften verunmöglicht wäre. Des Fernern hat die Beschwerdeführerin gar keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht, daß sie durch die ihr auferlegte Taxe in ihrem Geschäftsbetrieb in einer ihre Handels- und Gewerbefreiheit beeinträchtigenden Weise betroffen wird.

4. Auf den Entscheid des Bundesrathes vom 12. Oktober 1886 in Sachen der Schweizerischen Hagelversicherungsgesellschaft in Zürich kann sich die Beschwerdeführerin um deßwillen nicht berufen, weil bei Entscheidung jenes Falles die Bestimmung des Artikels 15 des Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmunçen im Gebiete des Versicherungswesens vom 25. Juni O O 1885 angewendet wurde, beschlossen: 1. Dei; Rekurs wird als unbegründet abgewiesen, soweit er sich auf Artikel 31 der Bundesverfassung bezieht, im Uebrigen wird derselbe wegen materieller Inkompetenz des Bundesrathes abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist dem Staatsrathe des Kantons Waadt, sowie der Beschwerdeführerin -- letzterer unter Aktenrückschluß -- schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 25. September 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Vizepräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft i Ringier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs der Aktiengesellschaft ,,L'Agence de Publicité Haasenstein & Vogler" in Genf gegen die Auferlegung von Patenttaxen auf Grund des waadtländischen Gesetzes vom 27. November 1878 und 9. September 1885. (Vom 25.

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07.10.1891

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