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Bericht der

ständeräthlichen Kommission betreffend die Förderung der kommerziellen Bildung.

(Vom 1. April 1891.)

Herr Präsident!

Meine Herren l Wenn Sie bedenken, daß von allen zivilisirten, handeltreibenden Staaten auf die Schweiz der größte überhaupt existirende Handelsverkehr der Welt, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, entfällt, so werden Sie mit Ihrem Referenten finden, daß dies fast etwas Wunderbares genannt werden darf. -- Bin kurzer Rückblick, ob es immer so gewesen ist, oder wie es kam, daß die Eidgenossenschaft, unser kleines gebirgiges Binnenland, zu dieser kommerziellen Bedeutung gelangte, scheint mir für die heutige Beschlußfassung angemessen zu sein.

Unsere Alt-Vorfahren wußten auf dem politischen Gebiete ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu erringen und sie auch äußerlich nach großartigen Erfolgen gegen die gefürchtetsten Kriegsheere während Jahrhunderten zu bewahren. Indessen vermochte unser armes Land nicht seinen kräftigen und fruchtbaren Bewohnern die nöthigen Lebensbedürfnisse aus der Urproduktion in genügendem Maße zu gewähren, und so waren dieselben nur zu bald geneigt und gezwungen den Lockungen von auswärts zu folgen und in fremder Herren Dienst Kraft und Leben zu opfern, aber auch Beute, Reichthümer und Pensionen zu erwerben, welche im armen Heimatland versagt blieben. Nicht nur die hohen gnädigen Herren der

977 aristokratischen Städte strebten nach solchen Gütern, Jahrgeldern und nach den Landvogteistellen, sondern die demokratischen kleinen Kantone wetteiferten mit ihnen und erhoben von den Bewerbern für die Gestattung des Reislaufens oder für die Wahl der jeweilen zu vergebenden Landvogteien einen möglichst hohen Tribut zu Gunsten jedes stimmberechtigten Landmannes. Wenn ich bei der Behandlung unserer heutigen Vorlage gerade diede wenig erfreulichen Erinnerungen an die Vergangenheit auffrische, so geschieht es, um eine theilweise Rechtfertigung jener Zustände daher zu leiten, daß eben unser Land von Natur ein armes und zudem ungünstig gelegenes ist, welches weder aus seinem Bodenreichthum, gleich Frankreich, noch wie England oder die Niederlande aus seiner maritimen Lage, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken imStande war und deßhalb andere Auswege suchen m u ß t e , dieeelben zu befriedigen.

Wenn der Drang hiezu am wenigsten bei Basel und Zürich vorhanden war, wenn besonders letzteres, von Zwingli angefangen, am öftersten gegen das Pensionenwesen und Reislaufen anzukämpfen suchte, so lag einer der -Hauptgründe gewiß darin, daß diese beiden Orte aus ihrem bedeutenden Handel und Verkehr auf anderen Wegen, als jenen Unwesen, sich Nahrung, Wohlstand, ja Reichthum zu verschaffen vermochten. Indessen scheiterten alle Anstrengungen das Söldnerwesen zu beseitigen, bis der Zusammenbruch der alten Eidgenossenschaft demselben, mindestens in der bisherigen Bedeutung, ein Ende machte. Der höchst unbeliebte Dienst in der französischen Hülfsarmee und in den gegnerischen Legionen bot keinen genügenden Ersatz und wenig materiellen Erfolg. Wohl aber gab das sonst so verfehlte Kontinentalsystem dem kleinen, einzig im Frieden lebenden Lande im Herzen Europas Gelegenheit, sich unter günstigeren Auspizien, als früher, auf Handel und Industrie zu werfen. So sehen wir während dessen Herrschaft eine Menge Industrien sich entwickeln, erstarken oder entstehen, welche auch nach der Restitution weitere blühen konnten, die fremden Kriegsdienste überflüssig machten und einem Ein- und Ausfuhrhandel riefen, welcher, wie Eingangs erwähnt, n u n m e h r die stärkste Quote per Kopf auf die Einwohnerzahl aller Staaten berechnet beträgt, und also selbst diejenige Englands und Belgiens übersteigt.

Auch dürfen wir wohl ohne
Unbescheidenheit sagen, daß unser Land an . d u r c h s o h u i t t l i c h e m Wohlstand und d u r c h s c h n i t t l i c h e r Bildung nicht minder ehrenwerth dasteht. Aber welche Energie, Zähigkeit, Intelligenz und Sparsamkeit hat nicht dazu gehört, bis inner einem einzigen Jahrhundert dies erreicht

978 werden konnte! Und welches wäre in unserm nun fast drei Mal stärker bevölkerten Laude wohl rasch genug wieder das Loos der Bevölkerung, wenn äußere oder innere Vorkehrungen oder Gesetze unsere Industrie und damit auch die Landwirtschaft ruinireu würden ? Die Frage stellen heißt sie auch beantworten, und deßhalb erfüllen uns die absperrenden Zollgesetze so vieler Staaten mit schweren Sorgen. Das Bestreben des Bundes geht deßhalb dahin, einerseits durch Einführung des neuen Zolltarifs, der als G e g e n w e h r dienen muß, und anderseits durch die Unterstützung und Hebung der landwirtschaftlichen, gewerblichen und industriellen Berufsbildung der arbeitsamen Einwohnerschaft unseres Vaterlandes die Mittel zu verschaffen, sich auf der errungenen Höhe zu halten.

Nicht berücksichtigt aber wurde bis jetzt die Unterstützung und Förderung der kommerziellen Bildung und dennoch ist diese, Herr Präsident, meine Herren ! so geboten, wie für die ändern Erwerbszweige, ja sie verbindet sieh aufs Engste mit jenen und bildet das Endglied, welches die Kette der nolhwendigen Maßregeln zur Erhaltung unserer materiell und damit auch geistig und sittlich gesicherten Stellung schließen muß. Diesem Gefühle hat Herr Gobat in Ihrem h. Rathe durch sein Postulat im Dezember 1888 und seine Motion am 14. Juni 1890 Ausdruck gegeben und die einstimmige Annahme derselben in beiden Kammern hat bewiesen, welch' richtigen und glücklichen Griff Herr Gobat gethan hat.

In Ausführung der Motion liegt nun der bundesräthliche Entwurf eines Gesetzes betreffend Förderung der kommerziellen Bildung vor den Räthen, auf den ich Ihnen hiemit Namens der sländei'äthlichen Kommission einstimmig einzutreten beantrage.

Die Aenderungen, welche wir Ihnen vorschlagen, sind keineswegs prinzipieller Natur, sondern führen die bundesräthliclien Anträge nur noch etwas weiter und präziser aus.

Die beiden Kommissionen (national- und ständeräthliche) haben zusammen einige Handelsschulen besucht und einen gemeinsan en, allgemeinen Rathschlag gehalten. Ich darf konstatiren, daß die Kommissionen für alle Vorschläge des bundesräthlichen Entwurfes vollkommen einstimmig Eintreten beschlossen haben und daß nur über die Frage, ob es opportun sei, s c h o n g e g e n w ä r t i g auch eine höhere Handelsschule in's Auge zu fassen, die Meinungen differirten. Die
ständeräthliche Kommission hat sich deßhalb darauf beschränkt, Ihnen diesbezüglich nur nachfolgendes Postulat zu unterbreiten und zu beantragen : ,,Der Bundesralh ist eingeladen, die. Frage der Errichtung einer höhern Handelsschule zu prüfen und eventuell Bericht und Antrag vorzulegen."1

979 Der bundesräthlichen rung der kommerziellen wie sie der vorliegende ändern Staaten längst auf

Botschaft entnehmen Sie, daß die FördeBildung durch staatliche Unterstützung, Gesetzentwurf in Aussicht nimmt, in weitester Grundlage Boden gefaßt hat.

Im Deutschen Reiche finden Sie neben den kaufmännischen Fortbildungsschulen, Handelsschulen und höhere Handelsunterrichtsanstalten. Oesterreich-Ungarn hat aualoge Einrichtungen und Ungarn allein verwendet für dieselben jährlieh circa */a Million österreichische Gulden. Belgien besitzt eine Reihe vorzüglicher derartiger Institute mit der berühmten Antwerpener Handelsschule an der Spitze. -- Italien hat in den meisten größeren Zentren höhere Handelsschulen eingerichtet, und in erster Reihe von allen Ländern steht Frankreich mit 3 höhein Anstallen in Paris und je einer in Bordeaux, Havre, Lyon, Marseille und Rouen. -- Die Londoner Handelskammer ruft eindringlichst ähnlichen Schöpfungen in Großbritannien und erklärte 1885 keine Frage sei so sehr der Beachtung und des Studiums werth, als die Aufstellung eines nationalen Systems der kaufmännischen Erziehung. Was für alle die genannten Staaten eine so hohe Bedeutung hat, muß auch bei uns staatlich berücksichtigt und unterstützt werden. Der Handel bildet neben dem Christenthum nicht uur in den fernen, unerschlossenen Welttheilen den Bahnbrecher der Zivilisation ; auch im allen Europa ist er direkte und indirekte einer der Hauplförderer und Träger von Bildung, Fortschritt und Humanität.

Indem ich auf das Gesetz und die bundesräthliche Botschaft übergehe, beabsichtige ich nun keineswegs, Ihnen eine Apotheose des Handels vorzutragen, vielmehr nur darauf hinzuweisen, daß in der heutigen Zeit des großen Koukurrenzstreites auf allen Gebieten, der Zeit der Kämpfe in Zöllen und Verkehrsmitteln es nicht genügt zu produziren und seihst gut zu produziren, sei es auf landwirtschaftlichen oder industriellen Gebieten jeder Art, sondern daß es vor Allem auch nöthig ist, zu wissen wohin das Erzeugte am vortheilhaflesten abzusetzen ist und auf welch' günstigstem Wege Einfuhr und Ausfuhr geschieht. Gerade diese letztere, scheinbar so einfache und von manchem Kleinhändler und Industriellen lange nicht genug berücksichtigte Frage kann bei den heute überall aufs Aeußerste berechneten Verkaufspreisen den Ausschlag über die Rentabilität oder Nichtkonkurrenzfähigkeit eines Geschäftes geben, kann für die Prosperität oder den Niedergang eines ganzen Dorfes, einer ganzen Gegend, die vielleicht nur von e i n e r Industrie abhängt, entscheidend sein ! Ich vermeide es, Ihnen Beispiele aus Privati reisen anzuführen, obwohl mir solche zu Gebote stehen würden, erlaube mir aber nur dießbezuglich zu bemerken,

980 wie selbst in großen Staaten in unbegreiflicher Weise gerade das Transportwesen behandelt wird.

So läßt Frankreich zu, daß seine Eisenbahnen im Innern Frachtsätze bedingen, welche zwei- und dreifach höher sind als diejenigen seiner Nachbarn oder seiner eigenen Linien, sobald sie fiir's Ausland Waaren führen. Mehr oder weniger kommt letzteres ja Überall vor und hat seine Berechtigung für w e i t e internationale Strecken; wenn aber Héricourt oder Beifort vom Meere her doppelt theurere Frachten haben als Basel und Mülhausen, so ist dieß eine Begünstigung der großen Eisenbahngesellschaften, welche man kaum richtig vermittelst der allgemeinen enormen Protektion des neuen Zolltarifs wieder für den französischen Handel und die französische Industrie auszugleichen sucht.

Entschuldigen Sie, Herr Präsident, meine Herren, wenn ich an diesem staatlichen Beispiele nachweisen wollte, welch' hohe Wichtigkeit in den Tarifberechnungen liegt. Das Studium dieser Taxen gehört in den einzelnen Geschäften zu den schwierigsten Fragen, während an Handelsschulen und kaufmännischen Fortbildungsschulen dieu ein ungemein wichtiges und interessantes, praktisches Lehrfach bilden sollte. Eine Reihe von Geschäftsleuten, welche nur der Praxis einen Werth beilegen und vielfach gerade- , zu Abneigung gegen die Handelsschulen und kaufmännischen Vereine hegen, werden dieß doch anerkennen müssen, trotz den regelmäßigen Beigaben über sämmtliche Eisenbahn-Tarife, welche das Bundesblatt und das schweizerische Handelsamtsblatt bringen. -- Ich verkenne meinerseits keineswegs den Werth der Praxis und auch ich halte diese für u n e n t b e h r l i c h , glaube aber, daß ihr vor- und nebengehend durch Handelsschulen oder sie ersetzend durch kaufmännische Fortbildungsschulen unendlich viel und vielseitig dem jungen Handelsbeflissenen für seine Berufsbildung nachgeholfen «·erden kann. Es werden wenige Geschäftshäuser sein, in denen ein Jüngling A l l e s sehen kann, wo A l l e s getrieben wird, sondern in der Regel wird und muß die Ausbildung eine mehr oder weniger einseitige je nach der betreffenden Branche des Geschäftshauses sein, und wenn noch ,, ganz gewaltige U n i v e r s a l g e S c h ä f t e exisfiren sollten, sind dieselben wieder in Unterabtheilungen gegliedert, welche ein und derselbe Lehrling nie alle durchlaufen kann. Auch
gibt es eine Reihe von kaufmännischen Dingen, welche der Prinzipal oder die höheren Angestellten selbst mit dem besten Willen nicht anders als nach den gerade vorkommenden, oft sehr seltenen Fällen berühreu und ihren Lehrlingen beibriugen können : So Alles, was das Versicherungswesen (Feuer, Trausport-Havarie etc.)

betrifft; so Wechselrechtliches, soweit es jedem Handelstreibenden

981 geläufig sein sollte, Kurse, Speditionsrechtsfragen, Handelsgeographie und endlieh Sprachen.

Allgemeine Kenntnisse über diese Dinge geben dem jungen Manne eine kaufmännische Bildung, welche ihm in seiner Lehrzeit, wie gesagt, selten geboten werden können, ihn indessen später befähigt, sich rasch und mit Leichtigkeit auch in andere Geschäfte einzuarbeiten, als gerade in denjenigen, in welchen er seine erste Erziehung genossen hat; denn es ist nicht die Regel, sondern weit «her die Ausnahme, daß ein Jüngling nach vollendeter Lehrzeit in demselben Hause oder nur in derselben Branche Anstellung findet und weiter arbeiten kann. -- Ihr Referent ist überzeugt, daß kein Kaufmann, der mit den Kommissionen des Ständerathes und Nationalrathes die Handelsschulen von La Chaux-de-Fonds, Neuchâtel und Genf hätte besuchen können, nicht von allen Vorurtheilen gegen derartige Institute für kaufmännische Ausbildung zurückkommen würde ! Diese Besuche wurden gemeinsam von beiden Kommissionen vorgenommen und der Eindruck war bei sämmtlichen Mitgliedern überall ein außerordentlich günstiger. La Chaux-de-Fonds ist speziell für den Uhrenhandel des Jura eingerichtet und legt das Hauptgewicht auf die modernen Sprachen -, Neuchatel, die älteste der verschiedenen schweizerischen Handelsschulen, ist die am weitesten fortgeschrittene und auch mit den schönsten Sammlungen ausgerüstet; Genf, obwohl erst seit zwei Jahren existirend, ist äußerst praktisch geleitet und hat an die Schule anschließend und in Fühlung mit deren ehemaligen Schülern ein Placirungsbüreau für ihre Zöglinge, welches ihnen den Eintritt in die kaufmännische Carrière und das spätere Fortkommen ungemein erleichtert. -- Sie werden begreifen, wenn Ihre Kommissionen nicht auch noch die Handelsschulen der germanischen Schweiz besuchten ; es handelte sich natürlich nicht d a r u m , Inspektionsbesuche zu machen, nach deren günstigerem oder ungünstigerem Eindruck etwa die eidgenössischen Subventionen bemessen würden, sondern darum, den Kommissionsmitgliedern an einer Anzahl von Schulen Einsicht in deren Thätigkeit und Bedeutung zu verschaffen. Um die Dauer dur Reise und die Kosten für dieselbe nicht allzu groß werden zu lassen, beschränkten wir uus deßhalb auf die drei erwähnten Schulen, wobei es ausdrücklich von Seiten des Handelsdepartements sowohl, als der
beiden Kommissionen die Meinung hat, daß mit Bezug auf die eidgenössische Unterstützung selbstverständlich die Handelsschulen der gesammten Schweiz g l e i c h berechtigt und nach d e n s e l b e n P r i n z i p i e n subventi onir t w er d en sollen.

In Bezug auf die Anstalten, welche der eidgenössischen Subventionen theilhaftig werden sollen, spricht sich die Botschaft des

982 h. Bundesrathes nicht genauer aus, sondern erwähnt nur im Allgemeinen ,,die kommerziellen Bildungsanstalten". Die Kommission i s t d e r Ansicht, d a ß darunter n u r e i g e n t l i c h e s p e z i e l l e Fachschulen verstanden sein sollen und nicht alle Bezirks-, Stadtund Kantonsschulen, welche sich den N a m e n einer Handelsschule beilegen und neben dem Sprachunterricht etwa noch Buchhaltung oder ein ähnliches Fach ertheilen und deßhalb noch keineswegs als Fachschule qualifizirt werden dürfen, sondern daß das eidgenössische Reglement bestimmen werde, was als subventionsberechtigt betrachtet werden könne. Die Kommission glaubt, daß durch eine zu weit getriebene Auffassung und Unterstützung eine Zersplitterung entstehen würde, mit welcher Niemand geholfen wäre. Auch bei den eigentlichen Handelsschulen hat es d i e Meinung, gleich wie es beim Bundesbeschluß betreffend gewerbliche und industrielle Berufsbildung in § 7 ausgesprochen ist, daß die Beiträge des Bundes keine Verminderung der bisherigen Leistungen der Kantone, Gemeinden, Korporationen uud Privaten zur Folge haben sollen ; die Beiträge des Bundes sollen vielmehr dieselben zu v e r m e h r t e n Leistungen auf dem Gebiete der kaufmännischen Erziehung veranlassen.

Vollständig einig waren auch sätnmtliche Mitglieder mit dem Antrage der Botschaft, den kaufmännischen Vereinen für fachmännische Ausbildung sollen Subventionen zukommen, und es sei denselben nach Kräften unter die Arme zu greifen. Kaum in irgend einem ändern Stand finden sich junge Leute in allen Gauen und größeren Ortschaften des Landes so zahlreich zusammen, um mit ihren schwachen Mitteln sich vorwärts zu schaffen und neben einer Arbeitszeit, welche diejenige des Normalarbeitstages meistens überschreitet, noch durch private Ausbildung in Sprachen, Handelsiecht, doppelter Buchhaltung und Aehnlichem sich zu vervollkommnen. Dieses Streben verdient eine ganz andere Bundesunterstützung, als die bisherige von Fr. 2000 für die gesammte Schweiz, was für den einzelnen Schüler nicht einmal e i n e n Franken per Jahr ausgemacht hat, während die Auslagen dieser Institutionen laut Beilage B. I. der Botschaft rund Fr. 100,000 betragen, welche diese Jünglinge aus eigenen Opfern aufbringen, denn die verschiedenen Subventionen des Handelsstandes und der Behörden betragen ziemlich genau
den Saldovortrag von Fr. 26,000, d. h. das Vermögen, welches sich die wackern jungen Leute noch als Reservefonds zur Sicherung ihrer Vereine zusammenlegten. Für Feste, Unterhaltung, Vergnügen der circa 2000 Mitglieder finden Sie nur die gewiß bescheidene Summe von Fr. 4000, und wenn auch daran noch von allzu engherziger Seite etwa Anstoß genommen wird, so erlauben wir uns unserseits es auszusprechen, daß wir

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gerne für die Lehrlinge einen gesetzlichen Schutz sehen wurden, der ihnen eine bestimmte freie Zeit für die Ausbildung von Körper und Geist und, wenn Sie wollen, auch zum anständigen, fröhlichen Vergnügen in diesem schönsten Jugeudalter verschaffen würde.

Es schadet dies weder den stillen ruhigen Naturen, welche sich für das innere Getriebe des Handels, d. h. für die Buchhaltung und Korrespondenz etc. eignen und später ihre Jünger für's ganze Leben hinter das Schreibpult und hinter die Bücher bannt, noch denjenigen, welche im In- und Auslande Verkehr und Handel besorgen und vermitteln sollen; für diese ist es unbedingt nothwendig, um sich den nöthigen Takt, die uöthigen Formen und die nöthige Gewandtheit im Umgang mit den Mitmenschen anzueignen. Nicht in der Schreibstube wurden die Mungo-Park, Livingstone, Stanley und auch alle die schweizerischen großen Kaufleute, welche den Namen gerade unseres Handelsstandes in der ganzen Welt bekannt und geachtet gemacht haben und den heimatlichen Produkten die Absatzgebiete erschlossen '·-- ich sage, nicht hinter dem Schreibtische sind diese Männer als Pionnière der Zivilisation und Schöpfer nationalen Wohlstandes auf ihre Höhe gelangt. -- Unsere Kommission will dem h. Handelsdepartement und Bundesrath bezüglich des Betrages der Subventionen an diese kaufmännischen Vereine nicht vorgreifen ; doch glaubt sie Ihnen mittheilen zu sollen, daß nach der hierüber gewalteten Diskussion ein Betrag von Fr. 20,000 per Jahr oder vielmehr circa Fr. 10 per Mitglied als keineswegs zu hoch betrachtet wurde. Die genaueren Vorschriften, unter welchen Bedingungen diese kommerziellen Unterstützungen ertheilt würden, wären in analoger Weise wie im gewerblichen und industriellen Réglemente festzustellen.

Nicht ganz einverstanden war Ihre Kommission mit dem zweiten Theil des bundesräthlichen Entwurfes von § 2, welcher von Stipendien für den Besuch'aus! an d i s e h er höherer Handelsschulen handelt, wenn auch allerdings der § 3 hiefür auf das Reglement hinweist. Wir wünschen, daß dies im Gesetze schon präzisirt werde im Sinne des Art. 5, Lemma 2, des Reglements für gewerbliche und industrielle Berufsbildung, nach welchen es sich um Stipendien an auswärtigen höheren Handelsschulen insbesondere handeln könnte, s o w e i t es die L e h r e r a u s b i l d u n g für Haudelsfächer
betrifft u n d s o l a n g e k e i n e s c h w e i z e r i s c h e h ö h e r e H a n d e l s s c h u l e oder Handelsabtheilung existirt, und ändern deßhalb den bundesräthlichen § 2 nach unserm Vorschlage der §§ 2 und 3.

Was nun die höhere Handelsschule anbelangt, so vernehmen Sie aus der Botschaft des h. Bundesrathes, daß schon in den Jahren

984 1877 und 1879 die Gesellschaft ehemaliger Polytechniker eine Petition an die Bundesbehörden richtete, welche dahin ging, es möchte am eidg. Polytechnikum eine Abtheilung für höhere Handelswissenschaften errichtet werden, und im ,,Mémoire présenté par la Société suisse des Commerçants aux Chambres fédérales" vom 2. Dezember 1890 wird ebenfalls für die Einrichtung einer höheren Handelsschule am Polytechnikum petitionirt. Laut der Botschaft hat sich der h. Bundesrath an den Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins auch über diese Frage, aber in einer allgemeinen Form, in Frage 3, ,,ob von Bundes wegen eine eigene höhere Handelsschule gegründet werden sollea, gewendet. Auf diese Anfrage antwortete der Vorort, daß er sich für eine f ü r s i c h d a s t e h e n d e eidg. Handelsschule nicht erwärmen könne, es dagegen begrüßen würde, wenn deren Disziplinen an der zu gründenden eidg. Rechtsschule Berücksichtigung finden würden. Bei dieser Beantwortung lag die Petition der Gesellschaft schweizerischer Kaufleute vom Dezember 1890 noch nicht vor, wie auch noch nicht bei Ausarbeitung der bundesräthlichen Botschaft zum vorliegenden Gesetzesentwurf (datirt 18. November 1890), und endlich waren die Gutachten der Herren Professoren Hilty, Wolff und Dr.

Meili über die eidg. Rechtsschule noch nicht alle erschienen. Herr Dr. Hilty spricht sich in seinem Gutachten nicht über diese Frage aus, da sie ihm noch nicht unterbreitet worden war; doch theilt er mir -- auf mein Gesuch um seine Ansicht -- mit, daß er für Einführung der höheren Handelswissenschaften an einer eidg. Rechtsschule sei. Ebenso spricht sich Herr Professor Wolff für die Aufnahme der höheren Handelsdisziplinen an derselben aus, während sich Herr Dr. Meili entschieden dagegen wendet, und so glauben wir, es dürfte der h. Bundesrath neuerdings der Frage näher treten und vielleicht der eidg. Schulrath, wie nochmals der Vorort des Handels- und Indus trie Vereins, über seine Ansichten bezüglich der Errichtung einer höheren Handelsabtheilung am Polytechnikum angegangen werden. Der Vorort ist ja p r i n z i p i e l l d a f ü r und nur gegen eine eigene s e l b s t s t ä n d i g e höhere Handelsschule ; vielleicht wird er sich mit einer Abtheilung am Polytechnikum ebenso wohl befreunden können, als mit deren Einverleibung an der Rechtsschule. Das
uns erst eingegangene Gutachten von Herrn Dr. Simon Kaiser befürwortet lebhaft eine solche höhere Handelsschule und tritt bereits auf deren Organisation und Lokalisirung ein, was wir allerdings zur Stunde als verfrüht erachten müssen.

Der eidg. Schulrath hat bezüglich der Petition der ehemaligen Polytechniker im Jahre 1877/79 nur deßhalb laut Bericht vom November 1879 beantragt: ,, z u r Zeit n i c h t e i n z u t r e t e n t t , weil er damals für die t e c h n i s c h e n Wissenschaften noch zu

985 viele Wünsche und Ausgaben hatte, welche ihm dringender und nothwendiger erschienen (neues Physik- und Chemiegebäude, Festigkeitsprüfungsmaschine etc.). Ihrem Referenten schiene das Polytechnikum in der That die geeignetste Anstalt, um eine höhere Handelsabtheilung aufzunehmen, theils weil eine Menge Professuren für Sprachen, mathematische oder nationalökon0mische Fächer schon vorhanden sind, theils weil es im Interesse der meisten Polytechniker wäre, gehören sie fast welcher Branche sie wollen an, wenn ihnen Gelegenheit geboten würde, sich auch mit kaufmännischen Grundsätzen und kaufmännischer Führung, sei es eines Etablissements, eines Baugeschäftes oder auch einer Forstwirthschaft, bekannt zu machen. D i e b e s t e h e n d e n o d e r n o c h z u e r r i c h t e n d e n gewöhnlichen Handelsschulen hätten in keiner W e i s e eine K o n k u r r e n z von einer solchen h ö h e r e n Abt h e i l u n g zu b e f ü r c h t e n . Für letztere müßte die volle Maturitätsprüfung verlangt werden, und ihre Stellung wäre gegenüber den jetzigen verschiedenen Handessschulen ähnlich derjenigen der technischen Abtheilungen an den Gymnasien oder an den eigentlichen Technikum gegenüber dem P o l y t e c h n i k u m . Die Ausbildung an der höheren Handelsabtheilung müßte einerseits für Lehramtskandidaten in Handels- und Waarenkenntniß, anderseits für höhere Administrativbeamte im Eisenbahn-, Transport-, Bank-, Versicherungswesen etc. eingerichtet werden, was in den Rahmen der unteren lokalen Handelsschulen niemals passen kann.

Wir stellen Ihnen nun heute zwar keine bestimmten Anträge, wünschen aber, daß bei Gelegenheit des vorliegenden Gesetzes diese Frage erdauert werde und daß der Bundesralh laut unserm Postulate eingeladen werde, mit den bezüglichen Anträgen vor den Käthen für die Errichtung vorstellig zu werden.

Endlich beantragen wir Ihnen, für das laufende Jahr bereits einen Subventionskredit für die bestehenden Handelsschulen und kaufmännischen Vereine von Fr. 60,000 auszusetzen, analog dem Bundesbeschluß für die gewerbliche und industrielle Berufsbildung anno 1884, wo im Art. 8 für das Berathungsjahr 1884 ein Kredit von Fr. 100,000 eingestellt wurde.

Herr Präsident, meine Herren ! Weder Ihre Kommission noch speziell Ihr Referent möchte aus unserm Volke eine Nation von Krämern machen, deren Lebenszweck
und Endziel nur ein bloßes Sichwohlseinlassen bildet, und ich hoffe, daß nie mehr die Zeiten wiederkehren, wo materielle Vortheile von fremden Staaten oder Potentaten in d i e s e r oder j e n e r Form bei uns das öffentliche Leben und die eidg. Politik bedingen oder zum Mindesten in so hohem Maße, wie in früheren Jahrhunderten beeinflussen werden.

986 Gerade deßhalb wollen wir im friedlichen Kampfe zwischen den Kulturvölkern unsere Jugend staatlich unterstützen und stärken und die bisher nicht berücksichtigte kaufmännische Ausbildung ebenfalls fördern, worin uns andere Staaten, wie schon angeführt, bereits vorausgeeilt sind. Wir sind in unserm Vaterlande ja keineswegs in einem Capua an Reichthum und Wohlleben angelangt, daß wir befürchten müßten, darin zu verweichlichen. Lassen Sie-daher in bisheriger Weise den Bund das Eine thun und das Andere nicht lassen: Wissenschaft und Kunst pflegen, die Wehrkraft und ihre Ausbildung hoch halten und unsere Nährkraft in Landwirthschaft, Industrie, Gewerbe und H a n d e l fördern und hegen. Diesem Grundgedanken ist der heutige Gesetzesentwurf entsprungen und ich empfehle Ihnen nochmals wärmstens auf denselben einzutreten.

B e r n , den 1. April 1891.

Der Referent der ständeräthlichen Kommission:

0. Blâmer.

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Bericht der ständeräthlichen Kommission betreffend die Förderung der kommerziellen Bildung. (Vom 1. April 1891.)

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