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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde der Konsumgenossenschaft Bern gegen den Entscheid des Bundesrates vom 28. Juni 1905 betreffend Verweigerung eines Patents für Kleinhandel mit geistigen Getränken.

(Vom 4. Dezember 1905.)

Tit.

I.

Durch Beschluß des Regierungsrates des Kantons Bern vom 24. Januar/4. Februar 1905 war der Konsumgenossenschaft Bern die Erteilung eines Patents zum Kleinhandel mit geistigen Getränken für ihr Geschäft an der Militärstraße in Bern verweigert worden. Gegen diesen Beschluß hatte die Konsumgenossenschaft Bern an den Bundesrat rekurriert mit dem Begehren : ,,Der Bundesrat wolle den angefochtenen Entscheid der Berner Regierung vom 24. Januar/4. Februar 1905 als bundesverfassungswidrig aufheben und die genannte Regierung verhalten, der Konsumgenossenschaft Bern das von ihr nachgesuchte Kleinhandelspatent für den Verkauf von Wein und Bier an ihre Mitglieder im Laden an der Militärstraße in Born zu erteilen" Der Bundesrat wies diese Beschwerde mit Entscheid vom 28. Juni 1905 (Bundesblatt 1905, IV, 551) als unbegründet ab.

Die Frage, die zu entscheiden war, ging dahin, ob der Konsumgenossenschaft Bern ein Kleinhandelspatent, wie es § 35 ff.

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des bernischen Wirtschaftsgesetzes vorsieht, bewilligt werden müsse. Die Regierung des Kantons Bern lehnte es ab, weil ein Bedürfnis nicht vorhanden sei, und wir konnten in der Tat ein solches unter den gegebenen Umständen nicht annehmen. Die Behauptung der Rechtsungleichheit fanden wir ebenfalls unbegründet, da im gleichen Quartier schon mehrere Gesuche wegen mangelnden Bedürfnisses abgewiesen worden waren und die Verhältnisse in ändern Quartieren, in denen die Rekurrentin Verkaufsstellen besitzt, verschiedene sind.

II.

Gegen diesen Entscheid des Bundesrates richtet sich die Beschwerde der Konsumgenossenschaft Bern an die Bundesversammlung vom 26. August 1905 mit dem Begehren : ,,Es sei der Konsumgenossenschaft Bern zu gestatten, in ,,ihrer Ablage an der Militärstraße in Bern Wein und Bier ,,im Détail an ihre Mitglieder in gleicher Weise abzugeben, ,,wie sie. dies in einer Reihe anderer Ablagen dermalen bereits ,,ungehindert tun darf."

In der Begründung führt sie neuerdings aus, sie verlange ·ein Kleinhandelspatent. Sie bestreitet auch die Anwendbarkeit des bernischen Wirtschaftsgesetzes nicht, behauptet aber, dieses werde den Verhältnissen nicht gerecht, weil es nicht unterscheide zwischen Berechtigungen zum allgemeinen öffentlichen Verkauf und solchen, die dem Betrieb der Genossenschaft mit Abgabe nur an die Genossenschafter entsprächen. Durch Verweigerung des Patents werde die Rechtsgleichheit verletzt, indem den Genossenschaftern des Spitalackerquartiers zugemutet werde, entweder bei Zwischenhändlern oder bei ändern, weit abgelegenen Magazinen der Genossenschaft zu kaufen. Zwischen den verfassungsmäßigen Rechten der Genossenschaft als solcher und ihren Mitgliedern zu unterscheiden, wie es der Bundesrat in seinem Entscheide getan, sei nicht zulässig, weil die Interessen beider absolut identisch seien.

m.

Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt in seiner Vernehmlassung vom 18. September 1905 in erster Linie, die Bundesversammlung solle auf das in der vorliegenden Form gestellte Rechtsbegehren der Rekurrentin nicht eintreten, weil es verschieden von demjenigen sei, über welches die Vorinstanzen

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entschieden hätten. Wir halten diese Ansicht nicht für begründet,, da das Rechtsbegehrer der Rekurrentin, wenn es auch einen veränderten Wortlaut uufweist, doch in der Sache genau wie früher auf die Erlangung eines Kleinhandelspatentes gerichtet ist.

In materieller Hinsicht beantragt der Regierungsrat des Kantons Bern Abweisung der Beschwerde. Der auch auf die Kleinhandelspatente anwendbare § 6 des bernischen Wirtschaftsgesetzes nehme Bezug auf das lokale Bedürfnis und das Öffentliche Wohl. Ob die Erteilung eines Patents diesen zuwiderlaufe, könne nur mit Rücksicht auf die Gesamtbevölkerung und nicht im Hinblick auf eine besondere Interessengruppe, wie die Konsumgenossenschafter, beurteilt werden. Die Rekurrentiu könne jetzt nicht die Frage aufwerfon, ob sie überhaupt patentpflichtig sei, denn sie habe sich freiwillig um ein vom öffentliche.!!

Bedürfnis abhängiges Kleinhandelspatent beworben. Weder im vorliegenden Fall noch früher sei grundsätzlich darüber entschieden worden, ob der besondere Betrieb der Rekurrentiu eines Kleinhandelspatentcs bedürfe. Nach Ansicht der Regierung wäre dies übrigens zu bejahen.

IV.

Unter Hinweis auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheids beschränken wir uns auf wenige Bemerkungen. Es ist daran festzuhalten, daß auch in der vorliegenden Beschwerde der Konsumgenossenschaft Bern einzig darüber ein Entscheid verlangt wird, ob der Rekurrentin die von ihr nachgesuchte Verkaufsberechtigung gemäß §§ 35 und 36 in Verbindung mit § G des bernischen Wirtschaftsgesetzes zu Unrecht verweigert worden sei. Ob die Konsumgenossenschaft verpflichtet gewesen soi, ein solches Patent nachzusuchen, steht nicht in Frage.

Ein verfassungsmäßig garantiertes Bezugsrecht der Bürger, wie es die Rekursschrift annimmt, gibt es nicht. Art. 31 der Bundesverfassung gewährleistet die Freiheit des Gewerbebetriebs.

Die täglichen Einkäufe von Lebensmitteln oder, um mit den Worten der Rekurren'ln zu sprechen, das Entnehmen solcher Waren aus einem Vorrat, gehört offenbar nicht zum Gewerbebetrieb der einzelnen Bezüger. Art. 31 der Bundesverfassung kann nur von demjenigen, der gewerbsmäßig verkauft, nicht von demjenigen, der für seinen Privatgebrauch einkauft, angerufen werden, im vorliegenden Fall von der Genossenschaft als solcher,, nicht aber von den einzelnen Mitgliedern.

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Die Behauptung der Rekurrentin, das vom Bundesrat geschützte Verfahren des bernischen Regierungsrates verletze die Rechtsgleichheit, ist verfehlt. Denn die Genossenschaft verlangt, trotz des Wortlautes ihres Rechtsbegehrens, nicht die gleiche Behandlung ihrer Ablage im Spitalackerquartier wie ihrer Ablagen in ändern Stadtteilen. Bei Bewilligung der Kleinhandelspatente für die letztern wurde die Bedürfnisfrage mit Rücksicht auf die ganze Bevölkerung des betreffenden Quartiers gemali den gesetzlichen Bestimmungen beurteilt. Für die Ablage an der Militärstraße soll das Patent einzig mit Rücksicht auf die dort wohnhaften Mitglieder der Genossenschaft erteilt werden. Auch ist es nicht richtig, daß bloß Gleichstellung mit den der Genossenschaft nicht angehörenden Bewohnern des Spitalackerquartiers angestrebt werde ; denn während diese sich mit Verkaufsstellen, die jedermann zugänglich sind, begnügen, verlangt die Konsumgenossenschaft die Patentierung einer Verkaufsstelle, bei der sich eben nur ihre Mitglieder versorgen können. Also nicht Rechtsgleichheit für alle, sondern Begünstigung einer besondern Gruppe von Personen wird verlangt.

Wenn die Mitglieder der Konsumgenossenschaft Bern eine Verletzung der Rechtsgleichheit (Art. 4 B.-V.) oder des Vereinsrechts (Art. 56 B.-V.) darin erblicken, daß ihnen nicht gestattet wird, ihre geistigen Getränke bei einer Ablage der Genossenschaft zu kaufen, so können sie darüber beim Bundesgericht Beschwerde erheben; der Bundesrat ist nicht kompetent, diese Fragen zu entscheiden.

Aus diesen Gründen beehren wir uns, Ihnen, Tit., zu beantragen : Die Beschwerde sei als unbegründet abzuweisen.

B e r n , den 4. Dezember 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Suchet.

Der I. Vizekanzler : Schatzmann.

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13.12.1905

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