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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Verlängerung der Wirksamkeit des Bundesbeschlusses vom 18. Februar 1921 betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifs.

(Vom 16. April 1923.)

I. Die äusserst ernste Lage, in die die schweizerische Produktion in der Nachkriegszeit einerseits durch die allgemeine Wirtschaftskrisis und anderseits durch die spezielle Valutakrisis versetzt wurde, veranlasste uns, den eidgenössischen Räten mit Botschaft vom 24. Januar 1921 eine Doppelvorlage zugehen zu lassen betreffend die v o r l ä u f i g e A b ä n d e r u n g des Z o l l tarifs und die Beschränkung der Wareneinfuhr.

Wir wollen auf die damalige Begründung im einzelnen nicht mehr zurückkommen ; es ist dies ausser in der genannten Botschaft in ausführlicher Weise geschehen im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 15. Juli 1921 betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifs und im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 28. Dezember 1922 über das Volksbegehren für die Wahrung der Volksrechte in der Zollfrage (Zollinitiative).

Der Bundesbeschluss betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifs vom 18. Februar 1921 hat folgenden Wortlaut: ,,Art. 1. Der Bundesrat ist ermächtigt, die Ansätze des" Zolltarifs unter Beobachtung der Bestimmungen von Art. 29, Ziff. l, a bis c, der Bundesverfassung im Sinne einer vorübergehenden Massnahme der wirtschaftlichen Lage anzupassen und die neuen Ansätze in dem ihm geeignet scheinenden Zeitpunkte in Kraft zu setzen.

Die Bundesversammlung wird auf den 30. Juni 1923 darüber entscheiden, ob die bundesrätlichen Massnahmen weiter in Geltung bleiben oder wie sie abgeändert werden . sollen.

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Art. 2. Der Bundesrat erstattet der Bundesversammlung jeweilen Bericht über die von ihm gemäss diesem Beschluss getroffenen Massnahrnen.

Art. 3. Dieser Bundesbeschluss wird als dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft."

Die wichtigste Änderung resp. Ergänzung gegenüber unserer Vorlage besteht in der Aufnahme des zweiten Alineas zu Art. l, wonach der Bundesbeschluss zeitlich begrenzt wird bis zum 30. Juni 1923. Wir konnten uns seinerzeit um so mehr mit dieser Ergänzung einverstanden erklären, weil wir hofften, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine gewisse Abklärung der allgemeinen Wirtschaftslage eingetreten sein dürfte und dass wir bis dahin in der Lage wären, die unterdes fortgesetzten Arbeiten zur Aufstellung eines Generaltarifs abzuschliessen.

II. Mit Datum vom 15. Juli 1921 erstatteten wir der Bundesversammlung Bericht betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifs gemäss Bundesbeschluss vom 18. Februar 1921. Der neue Gebrauchstarif trat am 1. Juli 1921 in Kraft. Seine Einführung a ging ohne Schwierigkeit von statten, auch mit Rücksicht auf die Handelsvertragsverhältnisse.

Der Tarif, den wir in jenem Momente benötigten, musste sofort anwendbar sein, abgesehen davon, ob es in allernächster Zeit zu Handelsvertragsunterhandlungen komme oder nicht. Es mussten also die Sätze so festgesetzt werden, dass sie zur Hauptsache, ohne Rücksichtnahme auf eventuelle Konzessionen im Wege der Verhandlungen, unverändert angewendet werden konnten. Diese Momente mussten zu gunsten eines Gebrauchstarifs, also eines Tarifs mit massigen Ansätzen, den Ausschlag geben.

Da ein Vergleich mit den abgeänderten Generalzolltarifen des Auslandes zeigte, wie wenig der geschaffene Gebrauchstarif bei einer Verschärfung der handelspolitischen Lage oder gar bei Zollkonflikten geeignet war, als Abwehrtarif zu dienen, schufen wir durch B e s c h l u s s vom 2. F e b r u a r 1922 b e t r e f f e n d die Erhöhung der Ansätze des schweizerischen Z o l l t a r i f s ( G e n e r a l t a r i f s ) vom 10. O k t o b e r 1902 diesen fehlenden Abwehrtarif. Es war dies eine weitere Massnahme, die den gestörten wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung trug, die aber ebensowenig wie die Inkraftsetzung des Gebrauchstarifs vom 1. Juli 1921 die Schaffung eines künftigen gesetzlichen Generaltarifs unnötig machen wollte. Wir verweisen im übrigen mit Bezug auf diesen letztern Tarif auf unsern Bericht an die Bundesversammlung vom 24. Februar 1922.

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III. Am 22. März 1922 reichte die Zentralstelle für die Durchführung der Zollinitiative dem Bundesrat ein I n i t i a t i v begehren für die Wahrung der Volksrechte in der Z o l l f r a g e ein, dessen Übergangsbestimmungen festsetzten: ,,Der dringliche Biindesbeschluss vom 18. Februar 1921 betr. die vorläufige Abänderung des Zolltarifs, ebenso der auf Grund dieses Bundesbeschlusses abgeänderte Gebrauchstarif (Bundesratsbeschluss vom 8. Juni 1921) werden aufgehoben. Der abgeänderte Gebrauchstarif vom 8. Juni 1921 ist beförderlich, spätestens auf den 90sten Tag nach dem Tage der Volksabstimmung, ausser Kraft zu setzen."

Wir verweisen mit Bezug auf unsere Stellungnahme speziell auch zu dieser Bestimmung auf unsern Bericht an die Bundesversammlung vom 28. Dezember 1922.

Entsprechend unserm Antrag hat die Bundesversammlungbeschlossen, dem Volke und den Ständen die Verwerfung des Volksbegehrens zu beantragen. In der Volksabstimmung vom 15. April 1923 ist nun die Initiative abgelehnt worden.

Wir haben in der schon erwähnten Botschaft betreffend die Zollinitiative auf die verhängnisvollen Konsequenzen einer sofortigen Aufhebung des Gebrauchszolltarifes hingewiesen. Da ein gesetzlicher Generalzolltarif noch längere Zeit braucht, bis er Gesetzeskraft erhält, kann man der heutigen Situation nur dadurch gerecht werden, d a s s d e r B u n d e s b e s c h l u s s v o m 18. F e b r u a r 1921 b e t r e f f e n d d i e v o r l ä u f i g e A b ä n derung des Zolltarifs weiter in Kraft erklärt wird u n d dass die, g e s t ü t z t a u f d e n s e l b e n , g e t r o f f e n e n b u n d e s r ä t l i e h e n M a s s n a h m e n w e i t e r in G e l t u n g bl eiben.

Im Bundesbeschluss vom 18. Februar 1921 ist bestimmt, dass das Parlament auf den 30. Juni 1923 darüber entscheide, ob die bundesrätlichen Massnahmen weiter in Geltung bleiben oder wie sie abgeändert werden sollen. Es wurde also schon damals eine eventuelle Verlängerung des Beschlusses ins Auge gefasst, die zeitliche Befristung aber vor allem infolge der Erklärung der Dringlichkeit vorgenommen.

Die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse seit Fassung des damaligen Beschlusses bedeutet eine absolute Rechtfertigung des Vorgehens und der Aufstellung des provisorischen Gebrauchstarifs. Auf Grund dieses Tarifs war es möglich, zwei wichtige Handelsverträge abzuschliessen, und .man darf heute gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn der alte Ge-

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brauchstarif mit seinen völlig ungenügenden Ansätzen in Kraft geblieben wäre. Durch den neuen Gebrauchstarif hat die Inlandindustrie den unter den veränderten Verhältnissen absolut nötigen Schutz erhalten, und die Exportindustrie hat durch den Abschluss neuer Handelsverträge ihre Situation verbessert. Im übrigen enthalten wir uns hierüber weiterer Ausführungen, wir mussten sonst nur wiederholen, was wir in der Botschaft zur Zollinitiative ausgeführt haben.

In der Abstimmung über die Zollinitiative wurde die Frage ·der Aufhebung des Gebrauchszolltarifes indirekt dem Volke zur Entscheidung vorgelegt. Das Volk hat sie verneint. Was nun die Frist anbetrifft, für die eine Verlängerung eintreten soll, so dürfte sie davon abhangen, in welcher Zeit es möglich sein wird, einen neuen Generaltarif in Kraft zu setzen.

Wir haben in Aussicht gestellt, dass wir wenn immer möglich die Gesetzesvorlage betreffend den Zolltarif den Räten bis 1. Oktober 1923 unterbreiten werden. Die von uns eingesetzte Expertenkommission hat den Tarif sowohl mit Bezug auf den Textteil, wie auch mit Bezug auf die Ansätze in einer ersten Lesung durchberaten. Die Fertigstellung seitens der Kommission ohne Einvernahme der Interessenten wird so rasch möglich sein, dass ·wir den neuen Generaltarif voraussichtlich schon im Juni dem Parlament zustellen können. Dabei soll die Frage noch offen bleiben, ob dieser so aufgestellte Tarif noch einer grössern Kommission unterbreitet werden soll, in der die verschiedenen Wirtschaftsgruppen des Landes vertreten sind, oder ob es als genügend betrachtet werden kann, die Vorlage sofort den Zollkommissionen der beiden Räte zu überweisen, in denen alle Parteien und wohl auch die wichtigsten Wirtschaftsgruppen zum Worte kommen können. Eine Überweisung an eine zweite grössere Kommission hätte natürlich notwendigerweise zur Folge, dass das Parlament bedeutend später an die Beratung der Vorlage herantreten könnte.

Auch die Frage, durch wen die Interessenten noch gehört ·werden sollen, ist heute noch nicht entschieden.

Welche Zeit die Beratung im Schosse des Parlaments selber in Anspruch nimmt, vermögen wir nicht vorauszusagen.

Nun ist aber ein Generaltarif, in Abweichung von einem Gebrauchstarif, in der Regel nicht dazu bestimmt, so, wie er aus den Beratungen hervorgeht, zur Anwendung zu gelangen. Er
enthält mit Rücksicht auf die zu erwartenden Verhandlungen mit dem Auslande eine Reihe von Ansätzen, die die Möglichkeit von .Konzessionen in sich schliessen. Wenn er auch im Prinzip so Bundesblatt. 75. Jahrg. Bd. I.

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aufgebaut ist, dass er selbst unverändert ohne Benachteiligung der . einheimischen Volkswirtschaft zur Anwendung gelangen könnte, so ist doch bisher die Praxis immer die gewesen, dass auf Grund des Gesetzeskraft erlangten Generaltarifs Unterhandlungen mit dem Auslande angestrebt wurden. Dadurch wurde dieser Generaltarif modifiziert, und erst nach Beendigung der wichtigsten Vertragsunterhandlungen wurde dann der durch die Verträge veränderte Generaltarif als G e b r a u c h s t a r i f in Kraft gesetzt. Weil alle diese Fristen zum voraus und namentlich heute angesichts der unsichern wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beurteilt werden können, halten wir es für richtig, den B u n d e s b e s c h l u s s vom 18. F e b r u a r 1921 zu v e r l ä n g e r n , o h n e e i n e bestimmte zeitliche Fristangabe.

Es ist wohl durchaus gegeben, das heute, nachdem die Zollinitiative und damit die Aufhebung des Gebrauchstarifes abgelehnt wurde, dieser Tarif in Kraft bleibt, bis er durch das revidierte Zolltarifgesetz mit seinem neuen Generaltarif abgelöst wird.

Die Festsetzung einer Frist ist umso weniger zweckmässig, als es klar ist, dass zwischen dem heutigen Stadium und-der Inkraftsetzung eines neuen Generaltarifs keine Lücke bleiben darf. Der Gebrauchstarif muss hinüberleiten in den Zustand, der durch das neue Zolltarifgesetz geschaffen wird. Diese Frist aber hängt in erster Linie von der Dauer der parlamentarischen Behandlung und dann von der Gestaltung der handelspolitischen Lage und der Möglichkeit des Abschlusses .von Handelsverträgen ab. Eine bestimmte zeitliche Befristung, bei der man wieder nicht weiss, was nachher einzutreten hat, wirft auch ihre Schatten, wie wir das erfahren haben, auf die Vertragspolitik. Auch das soll im Interesse der schweizerischen Volkswirtschaft nach Möglichkeit vermieden werden.

Der Bundesbeschluss vom 18. Februar 1921 wurde dringlich erklärt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind heute noch dieselben,, wie damals; der Gebrauchstarif, über den am 15. April indirekt abgestimmt wurde, ist eine ökonomische Notwendigkeit, bis dasneue Zolltarifgesetz ihn ersetzen kann. Eine Unsicherheit darüber soll nicht weiter bestehen und eine Zwischenpause darf nicht eintreten. .Es darf-heute kein Zweifel darüber bestehen, dass der provisorische Gebrauchstarif auch über den 30. Juni 1923
hinaus vorläufig zu Kraft besteht. Wir beantragen Ihnen deshalb di& Aufnahme der Dringlichkeitsklausel in den Verlängerungsbeschluss ~und ersuchen Sie, die Vorlage in der Aprilsession zu behandeln.

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Wir stellen Ihnen den Antrag: Die Wirksamkeit des Bundesbeschlusses betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifs vom 18. Februar 1921 ist gemäss beiliegendem Entwurf zu einem Bundesbeschluss bis zum Inkrafttreten des revidierten Bundesgesetzes betreffend den schweizerischen Zolltarif zu verlängern.

B.ern, den 16. April 1923.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schenrer.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Verlängerung der Wirksamkeit des Bundesbeschlusses vom 18. Februar 1921 betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifs.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 16. April 1923, . -beschliesfft: 1. Die Wirksamkeit des Bundesbeschlusses vom 18. Februar 1921 betreffend · die vorläufige Abänderung des Zolltarifs wird bis zum Inkrafttreten des revidierten Bundesgesetzes betreffend den schweizerischen Zolltarif verlängert.

2. Dieser Beschluss wird als dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft.

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1923

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18.04.1923

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