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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines dringlichen Bundesbeschlusses über die Versorgung des Landes mit elektrischer Energie im Falle von Knappheit (Vom 9. Dezember 1955)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Die seit 1950 von Jahr zu Jahr steigende Aktivität unserer Wirtschaft ist mit einer noch weit ausgeprägteren Zunahme des Verbrauches elektrischer Energie verbunden gewesen, die den Verbrauchszuwachs während der brenristoffknappen Zeit des letzten Weltkrieges weit übertrifft. Die nachstehende Tabelle, die über den Energieverbrauch und die jährliche Zunahme während der Vorkriegszeit, der Kriegszeit, der fünf ersten Nachkriegsjahre und der fünf Hochkonjunkturjahre Aufschluss gibt, vermittelt ein eindrückliches Bild dieser Entwicklung.

Verbrauch elektrischer Energie ,, , -, .

nyar. janr

1930/31 1938/39 1944/45 1949/50 1954/55

'

Verbrauch Millionen kWh

3 856 5043 7168 8973 13074

Mittlere jährliche Zunahme Millionen kWh

148 354 361 820 ..

Seit Ende des zweiten Weltkrieges ist der Bau neuer Kraftwerke ausserordentlich intensiviert worden. Neben dem Bau von Laufkraftwerken wurde besonders der Bau von Speicherwerken, zum Teil von gewaltigem Ausmasse, in Angriff genommen. Die Aufwendungen für neue Kraftwerke erreichten in der Zeit von 1944 bis 1955 rund 2300 Millionen Franken. Weitere 1200 Millionen Franken wurden in der gleichen Zeit für den Bau von neuen Übertragungs- und

1397 "Verteilanlagen ausgegeben. Die gesamten Aufwendungen der Elektrizitätswerke für neue Erzeugungs- und Verteilanlagen betrugen in den letzten Jahren zwischen 450 und 550 Millionen Franken pro Jahr.

.

i ' Trotz dieser gewaltigen Anstrengungen vermochte die Produktionssteigerung der unvorhersehbaren Bedarfszunahme nicht rasch genug zu folgen. Aus den grössten Speicherwerken wird erst in zwei Jahren, von da an aber in zunehmendem. Ausmasse, neue Winterenergie zur Verfügung stehen. Die Elektrizitätsversorgung war daher schon einige Winter ziemlich gespannt, weil mindestens normale Wasserführung notwendig ist, um den Bedarf mit; den landeseigenen Kraftwerken befriedigen zu können, so dass zur Bedarfsdeckung in den Haupt wintermonaten verschiedentlich Energie eingeführt werden musste.

Diesen Winter gestaltet sich die Versorgung infolge der seit Anfang Oktober anhaltenden Trockenheit besonders bedrohlich. Die Wasserführung des Rheins in Eheinfelden, die. einen guten Maßstab der allgemeinen Wasserverhältnisse gibt, da sein Einzugsgebiet fast 2/3 der Landesfläche umfasst, erreichte im Oktober nur 82 Prozent, im November 63 Prozent und beträgt gegenwärtig etwa 60 Prozent des Normalwertes für die entsprechende Jahreszeit. Die Ehone führte im Oktober 76 Prozent und im November 67 Prozent der normalen Abflussmenge.

Die lange Trockenheit kommt auch im tiefen Stand verschiedener natürlicher Seen zum Ausdruck; so hegt der Wasserstand des Bodensees nur wenig über dem bisherigen tiefsten Stand für diese Jahreszeit, derjenige des Genfersees war in den letzten 75 Jahren sogar nur im Dezember 1920 noch tiefer.

Anderseits hat die Verbrauchszunahme seit Oktober ein noch rascheres Tempo als in den letzten Jahren eingeschlagen. Die Energieabgabe der Elektrizitätswerke, die im Laufe der letzten fünf Hochkonjunkturjahre durchschnittlich um jährlich 7,8 Prozent zugenommen hat, war im Oktober dieses Jahres um 11 Prozent und im November um etwa 12 Prozent höher als in der entsprechenden Vorjahreszeit. Sie ist heute gerade doppelt so hoch wie vor 11 Jahren.

Trotzdem seit Wochen die thermischen Reservekraftwerke in Betrieb sind, und in steigendem Masse elektrische Energie eingeführt wird, mussten die Wasservorräte der Speicherseen ühermässig beansprucht werden. Die Einfuhr betrug Anfang Novem'ber 8 Prozent und erreicht
gegenwärtig etwa 14 Prozent des Energieverbrauches, was aber noch ungenügend ist. Es steht heute schon fest, dass selbst bei Normalisierung der Wasserverhältnisse, die wiederholte ergiebige Niederschläge voraussetzt, noch während mehrerer Monate eine bedeutende Einfuhr von elektrischer Energie notwendig wäre.

Angesichts der geschilderten Verhältnisse, der Unsicherheit einer weiteren Steigerung der Einfuhr und der Möglichkeit einer technischen Störung im Strombezug aus dem Ausland erachtet es das Amt für Elektrizitätswirtschaf^;, in Übereinstimmung mit seiner aus Vertretern der Produzenten und Konsumenten bestehenden beratenden Delegation im Interesse einer geordneten Elektrizitätsversorgung als unerlässlich, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Versorgung von zentraler behördlicher Stelle aus lenken zu können.

1398 Die verf assungsmässig ( e Grundlage für das Eingreifen des Bundes in das Gebiet der Elektrizitätsversorgung ergibt sich aus Artikel 24Ms der Bundesverfassung, dessen letzter Absatz lautet : «Der Bund ist befugt, gesetzliche Bestimmungen über die Portleitung und die Abgabe der elektrischen Energie zu erlassen.» Gestützt darauf wurden bereits in den Jahren 1921 und 1925 ähnliche dringliche Bundesbeschlüsse gefasst.

Die Ermächtigung zur Anordnung von Massnahmen geht an das Post- und Eisenbahndepartement, dem die Fragen der Wasser- und Energiewirtschaft zugeteilt sind. Es kann mit dem "Vollzug das Amt für Elektrizitätswirtschaft, das diese Massnahmen bis zur Aufhebung des Vollmachtenbeschlusses anordnete, oder, sofern nur in einzelnen' "Versorgungsgebieten derartige Massnahmen notwendig sind, das betreffende Elektrizitätswerk beauftragen.

Mit dem 15.Mai 1956 soll der Bundesbeschluss ohne weiteres dahinfallen.

Wir beantragen Ihn en, den hier beigehefteten Entwurf eines Bundesbeschlusses zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 9.Dezember 1955.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Max Petitpierre Der Bundeskanzler : Ch. Oser

1399 :

(Entwurf)

'

Bundesbeschluss über

'

die Versorgung des Landes mit elektrischer Energie im Falle von Knappheit

' Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der Schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , gestützt auf Artikel 24Ms, Absatz 9, der Bundesverfassung, in Awendung von Artikel 891"18, Absatz l,,der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 9. Dezember 1955, beschliesst:

Art. l

'

i

Das Post- und Eisenbahndepartement wird ermächtigt, alle erforderlichen Anordnungen zu treffen, die geeignet sind, den Verbrauch elektrischer Energie der verfügbaren Menge anzupassen, sofern die auf hydraulischem und kalorischem Wege erzeugbare und die eingeführte Energie zur Deckung des Bedarfes nicht mehr ausreichen.

Es kann insbesondere auch Elektrizitätswerke zu Energielieferungen an Dritte, zu gegenseitigen Aushilfslieferungen, zum Transit sowie zum Abtausch von elektrischer Energie verpflichten.

Art. 2

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Die Verbrauchseinschränkungen sind so durchzuführen, dass eine die allgemeinen Interessen des Landes möglichst wahrende Verteilung der elektrischen Energie gesichert bleibt.

Art. 3

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.

Werden auf Grund dieses Beschlusses Einschränkungen durchgeführt, so haben die Werke Minimalgarantien, Pauschalbeträge oder Staffeltarife im Verhältnis von Zeit und Umfang der Einschränkungen herabzusetzen.

: Im Streitfall entscheidet der ordentliche Eichter.

1400 Art. 4 Widerhandlungen gegen die auf Grund dieses Bundesbeschlusses getroffenen Anordnungen werden mit Busse bis 20 000 Franken bestraft. Strafbar ist auch die fahrlässige Begehung.

Die Beurteilung und Verfolgung der Übertretungen liegt den Kantonen ob.

Unabhängig vom Strafverfahren kann der Widerhandelnde ganz oder teilweise von der Belieferung mit elektrischer Energie ausgeschlossen werden.

Art. 5 Werden die Widerhandlungen im Geschäftsbetrieb einer juristischen Person oder einer Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft begangen, so finden die Strafbestimmungen auf die Personen Anwendung, die für sie gehandelt haben oder hätten handeln sollen, jedoch unter solidarischer Mithaftung der juristischen Person oder der Gesellschaft für Bussen und Kosten.

Art. 6 Das Post- und Eisenbahndepartement kann mit dem Vollzug der von ihm erlassenen Vorschriften das Amt für Elektrizitätswirtschaft oder die Elektrizitätswerke beauftragen.

Die Kantone und die zuständigen Organisationen der Wirtschaft können zur Mitarbeit herangezogen werden.

Art. 7 Dieser Bundesbeschluss wird als dringlich erklärt. Er tritt am 1955 in Kraft und gilt bis 15.Mai 1956.

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Dezember

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

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1955

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22.12.1955

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1396-1400

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