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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitrag der Schweiz an das Internationale Erziehungsamt (Vom 9. August 1951)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Die Anfänge des Internationalen Erziehungsamtes waren bescheiden. Es wurde 1925 in Genf auf Anregung einiger Schweizer Gelehrter gegründet; wir erwähnen unter ihnen Eduard Claparède und Pierre Bovet, deren pädagogische Arbeiten in allen fünf Kontinenten bekannt und geschätzt sind.

Trotz den nur sehr beschränkten Einnahmequellen organisierte das Amt einen internationalen Dienst für pädagogische Information und Dokumentation, der sich schnell entwickelte. Damit war der Beweis erbracht, dass eine internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Erziehung möglich und nützlich ist. Der rein wissenschaftliche und technische Charakter dieser Arbeiten sowie die Autorität und die Uneigennützigkeit der leitenden Persönlichkeiten erlaubten dem internationalen Erziehungsamt dort, wo aus Furcht vor nationalen Empfindsamkeiten weder der Völkerbund noch das Internationale Institut für geistige Zusammenarbeit etwas zu unternehmen wagten, gute Erfolge zu erzielen.

Im Jahre 1929 ging man mit der Annahme der Statuten einen Schritt weiter. Sie gaben dem Internationalen Erziehungsamt eine festere rechtliche Grundlage und erlaubten den Eegierungen und interessierten Institutionen, gegen Überweisung eines Jahresbeitrages von mindestens 10 000 Schweizerfranken, Mitglied zu werden.

Nach diesen Statuten hat das Amt in bezug auf nationale, politische, philosophische und konfessionelle Fragen uneingeschränkt neutral zu sein und in streng wissenschaftlichem und sachlichem Geist zu arbeiten. Sein Ziel ist, ein Informations- und Dokumentationszentrum zu werden für alles, was mit der öffentlichen und privaten Erziehung im Zusammenhang steht, experimentelle Forschung und Statistik eingeschlossen.

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Das oberste Organ des Amtes ist der Bat, dem die Vertreter der Mitgliedstaaten angeboren. Er versammelt sich einmal im Jahr in Genf und ernennt die Mitglieder des Vollziehungsausschugses, der die laufenden Geschäfte behandelt und die Tätigkeit des Sekretariates beaufsichtigt. Gegenwärtig sind die Eegierungen oder Erziehungsministerien folgender Länder Mitglieder des Amtes: Ägypten Argentinien Belgien Bolivien Ecuador Finnland Frankreich

Guatemala Iran Italien Kolumbien Österreich Polen

Portugal Eumänien Schweiz Spanien Tschechoslowakei Ungarn

Ihnen schliessen sich der Kanton Genf und das Universitätsinstitut für Erziehungswissenschaften in Genf an.

Wir traten dem Amt im Jahre 1934 bei, doch wurde vereinbart, dass der Beitrag des Kantons Genf als derjenige der Schweiz gelten könne. Hingegen haben wir dem Amt unsere diplomatische Unterstützung gewährt, indem wir jedes Jahr die Mitglied- und Nichtmitgliedstaaten einluden, sich an der Internationalen Konferenz für öffentliche Erziehung vertreten zu lassen. Deren Traktandenliste enthält die Berichterstattung der Erziehungsministerien über die Entwicklung des Schulwesens während des vergangenen Jahres, die Diskussion der vom Amt über aktuelle Probleme unternommenen Umfragen und die Ausarbeitung von Empfehlungen an die Ministerien.

Das Amt veröffentlicht: a. ein alle drei Monate erscheinendes Bulletin, das über pädagogische Belange in den verschiedenen Ländern sowie über die wichtigsten Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt Auskunft gibt; b. das internationale Jahrbuch für Erziehung und Unterricht, worin die Berichte der Unterrichtsministerien an die internationale Erziehungskonferenz enthalten sind; c. die Protokolle und Empfehlungen der internationalen Erziehungskonferenzen; d. die Ergebnisse der Bundfragen, die vom Amt unternommen werden und die insbesondere folgende Fragen betreffen: die berufliche Schulung und die Entlöhnung des Lehrpersonals, das Schulobligatorium und degsen Verlängerung, die unentgeltliche Abgabe von Schulmaterial, die Gleichberechtigung für die Zulassung zum Sekundarschulunterricht, Einrichtung von Kantinen und Abgabe von Kleidern an die Schüler, die Schulpsychologen, den Schreib- und Leseunterricht, Kurse in modernen und antiken Sprachen, den Bechenunterricht in der Primarschule, den Unterricht in Naturwissenschaften, Hygiene, Handarbeitsklassen, Turnen, Haushaltungsschulen usw.

Ausserdem richtete das Amt eine ständige Ausstellung über öffentlichen Unterricht in seinen Bäumen ein, die den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, welche dort Gesetzessammlungen, Beglemente, Programme, Lehr-

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bûcher und Schulmaterial, Photographier! von Schulhäusern und Klassenzimmern und charakteristische Beispiele von Schülerarbeiten zeigen wollen.

Seit Beginn des zweiten Weltkrieges organisierte das Amt einen Dienst für intellektuelle Hilfe an Kriegsgefangene, der über 600 000 wissenschaftliche und literarische Werke in einem Wert von mehr als 2 Millionen Schweizerfranken in alle Kontinente versandte, um das Los der Kriegsgefangenen zu lindern und jenen, die es wünschten, die Wiederaufnahme ihrer Studien oder die berufliche Weiterausbildung zu ermöglichen.

Nach Schluss der Feindseligkeiten stellten sich dem Amt neue Probleme.

Das dringendste war finanzieller Art, denn die Mitgliedstaaten legten nun natürlicherweise das grösste Gewicht auf ihre Wiederaufbaupläne und waren nicht alle in der Lage, ihre Mitgliederbeiträge zu bezahlen. Zudem lastete auf der Zukunft des Amtes eine Hypothek: Ein am 16. November 1945 in London unterzeichnetes Abkommen begründete die Organisation der Vereinigten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco), welche im Gegensatz zum ehemaligen Institut für geistige Zusammenarbeit die Erziehungsprobleme in den Vordergrund ihrer Bestrebungen rückte. Sie will insbesondere zur Erhaltung von Sicherheit und Frieden beitragen, indem sie «die Zusammenarbeit unter den Nationen fördert, zum Zwecke der schrittweisen Verwirklichung des Ideals gleicher Erziehungsmöglichkeiteri für alle, ohne Unterschied der Easse, des Geschlechts oder irgend welcher wirtschaftlicher oder sozialer Umstände; durch Anregung von Erziehungsmethoden, die am besten dazu geeignet sind, die Kinder in der ganzen Welt auf die Verantwortlichkeit des freien Menschen vorzubereiten».

Ein derartiges Programm, dessen Tragweite viel grösser ist als diejenige des Internationalen Erziehungsamtes, warf das Problem der Beziehungen zwischen den beiden Institutionen auf. Um es zu lösen, hätte man entweder das Internationale Erziehungsamt der Unesco eingliedern und Dokumente und Sammlungen nach Paris überführen können oder das Erziehungsamt hätte sich der Aktion der Unesco als selbständige Organisation anschliessen und seinen Sitz in unserem Lande behalten können.

Selbstverständlich befürworteten wir von Anfang an diese zweite Lösung.

Das in der Schweiz von Schweizer Persönlichkeiten gegründete Internationale
Erziehungsamt entwickelte während mehr als 20 Jahren eine Tätigkeit, die unserem Land Ehre macht. Wir sehen darin ein bezeichnendes Beispiel des Beitrages, den wir zur Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit auf .nicht politischem Gebiet leisten können. Das Amt ist gleichzeitig die natürliche Ergänzung unserer Schulen und Institute für pädagogische Forschung, deren guter Buf schon längst über die Grenzen hinausgedrungen ist.

Wir haben denn auch seit 1945 verschiedene Massnahmen ergriffen, um .

dem Internationalen Erziehungsamt die Verfolgung seiner Aufgabe und eine möglichst vorteilhafte Zusammenarbeit mit der Unesco zu gestatten. So haben wir seinen Direktor, Professor Jean Piaget, als Beobachter an die mit der Ausarbeitung der Verfassung der Unesco beauftragte Konferenz von London de-

631 legiert; wir haben die ausländischen Eegierungen eingeladen, sich an der ersten internationalen Konferenz für öffentliche Erziehung nach dem Krieg (Genf, März 1946) vertreten zu lassen; wir haben dem Amt die üblicherweise den in der Schweiz niedergelassenen internationalen Organisationen gewährten.

Erleichterungen zugestanden und ihm einen jährlichen ausserordentlichen Beitrag von 50 000 Franken überwiesen. Der Umstand, dass das Amt von dem Land, in dem es seinen Sitz hat, keine Beiträge erhielt, war tatsächlich unhaltbar geworden, und das Fehlen einer solchen Unterstützung war auch nicht geeignet, die andern Staaten zur Wiederaufnahme ihrer Zahlungen zu ermuntern.

Nach Inkrafttreten der Verfassung der Unesco im Jahre 1946, wurden zwischen dieser Organisation und dem Internationalen Erziehungsamt Besprechungen über eine Zusammenarbeit auf den beide Institutionen interessierenden Gebieten aufgenommen. Die Unesco verstand darunter eine Einheit von Aktion und Struktur, die zu einer schnellen Eingliederung des Amtes führen sollte. Die am 28. Februar 1947 getroffene Vereinbarung hatte deshalb deutlich provisorischen Charakter, und ihre Gültigkeit wurde auf ein Jahr beschränkt. Sie schuf eine gemischte, aus je drei Vertretern des Amtes und der Unesco zusammengesetzte Kommission und sah vor, dass die 10. Internationale Erziehungskonferenz auf 1947 nach Genf durch die beiden Organisationen gemeinsam einberufen werde. Sie bestimmte den Umfang ihrer Zusammenarbeit und beauftragte die gemischte Kommission, alle dafür nützlichen Massnahmen zu treffen und auf Grund der gemachten Erfahrungen eine endgültige Vereinbarung vorzubereiten.

Als sich die Frist von einem Jahr als zu kurz erwies, wurde die provisorische Vereinbarung von Jahr zu Jahr verlängert. Die Zusammenarbeit der beiden Institutionen wurde unter der Führung der gemischten Kommission, in der die Schweiz durch den Chef unserer Abteilung für internationale Organisationen vertreten ist, immer enger. Das Internationale Erziehungsamt wurde beauftragt, für die Unesco verschiedene Umfragen zu unternehmen, es erhielt von ihr auch moralische und finanzielle Unterstützung für die Organisation der internationalen Erziehungskonferenzen, was ihm insbesondere erlaubte, eine englische Ausgabe seiner wichtigsten Veröffentlichungen vorzubereiten.

Das von der
Generalkonferenz der Unesco für 1951 aufgestellte.Programm beruft sich mehrmals auf die Mitarbeit des Internationalen Erziehungsamtes, besonders bei den Umfragen über den Unterricht in den exakten und Naturwissenschaften, über das administrative Statut des Erzieherberufes, über die allgemeine Einführung und Verlängerung des obligatorischen Schulbesuches und über die Zulassung der Frau zum Unterricht.

Anderseits hat Professor Jean Piaget, Direktor des Internationalen Erziehungsamtes, seit 1948 unsere Delegation an den Generalkonferenzen der Unesco präsidiert, er wurde auch dazu berufen, während einigen Monaten ad intérim das Departement für Erziehung am Sekretariat der Unesco zu leiten, und seit einem Jahr ist er Mitglied des Exekutivrates der Organisation.

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Das Internationale Erziehungsamt hat also, indem es mit der Unesco zusammenarbeitet, sein Tätigkeitsgebiet erweitert, seinen Einfluss verstärkt und die finanzielle Lage gefestigt, Der Beitrag des Bundes, der 1946 noch mehr als die Hälfte der vom Amt eingenommenen Mitgliederbeiträge ausmachte, entsprach im Jahre 1950 nicht einmal mehr einem Viertel dieser Summe. Die Zahl der jedes Jahr an der internationalen Erziehungskonferenz vertretenen Staaten nimmt fortwährend zu und erreicht heute das halbe Hundert.

Auf Grund der Erfahrungen, die sich aus der dreijährigen Zusammenarbeit mit dem Internationalen Erziehungsamt ergaben, erachtete die : letzte Generalkonferenz der Unesco eine Revision der provisorischen Vereinbarung vom 28. Februar 1947 als notwendig. Die neue Vereinbarung wurde am 10. No vember 1950 abgeschlossen. Sie übernimmt im wesentlichen die vorher in Kraft gewesenen Bestimmungen, enthält jedoch keinen Hinweis mehr auf den provisorischen Charakter der eingeleiteten Zusammenarbeit. Im weitern sind der vollziehende Ausschuss des Internationalen Erziehungsamtes und die Generalkonferenz der Unesco auf Vorschlag der gemischten Kommission übereingekommen, die neue Vereinbarung solle von unbegrenzter Dauer sein und auf sechs Monate gekündigt werden können.

Wir glauben, dass das Internationale Erziehungsamt unter diesen Umständen Vertrauen in die Zukunft haben darf. Der Beweis ist erbracht, dass es eine lebensfähige Institution ist und dass seine Tätigkeit geschätzt wird.

Der Augenblick scheint uns deshalb gekommen, den von uns in Ihrem Einverständnis bezahlten ausserordentlichen Beitrag in einen ordentlichen, im Voranschlag aufgeführten Beitrag umzuwandeln. Wir sehlagen Ihnen deshalb einen dem beiliegenden Entwurf entsprechenden Bundesbesehluss vor.

Wir haben darin vorgesehen, den jährlichen Beitrag von 50 000 Franken beizubehalten. Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass das Internationale Erziehungsamt seinen Sitz in unserem Land hat, dass sein Direktor und die Mehrzahl der Beamten Schweizer sind und dass die internationale Erziehungskonferenz jedes Jahr in Genf abgehalten wird. Anderseits hat das Amt sich immer bemüht, seine Aufgabe mit auf ein Minimum beschränkten Verwaltungskosten zu erfüllen. Die Löhne seiner Beamten erreichen den bei den andern internationalen Organisationen üblichen Stand
bei weitem nicht. Sie sind sogar niedriger als diejenigen der eidgenössischen und kantonalen Beamten.

Wir glauben jedoch, dass es angezeigt wäre, sich nicht schon heute für unbegrenzte Zeit zu verpflichten, und schlagen Ihnen deshalb vor, die Gültigkeitsdauer des Bundesbeschlusses auf 10 Jahre zu beschränken und für den Fall, dass die finanzielle Lage des internationalen Amtes sich wesentlich verbessern sollte, die Möglichkeit einer Herabsetzung des Beitrages vorzubehalten.

Wenn Sie, wie wir hoffen, unseren Vorschlägen zustimmen, werden Sie damit bezeugen, dass die Eidgenossenschaft auch weiterhin die Tätigkeit einer Institution schätzt, die aus den besten Traditionen unseres Landes entsprungen

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ist und die der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Erziehung einen nützlichen Beitrag leistet.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 9. August 1951.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Ed.. von Steiger Der Bundeskanzler: Leimgruber

Bundesblatt. 103. Jahrg. Bd. II.

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:

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(Entwurf)

Bundesbeschluss über

den Beitrag der Schweiz an das Internationale Erziehungsamt

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 9. August .1951, beschliesst:

Art. l Der jährliche Beitrag an das Internationale Erziehungsamt wird für die Jahre 1951 bis 1960 auf 50 000 Franken festgesetzt.

Art. 2 Sollte sich die finanzielle Lage des Internationalen Erziehungsamtes wesentlich verbessern, so könnte der Beitrag anlässlich der Ausarbeitung des Voranschlages herabgesetzt werden. .

;

Art. S.

Dieser Beschluss tritt, als nicht allgemein verbindlicher Natur, sofort in Kraft.

' ' .

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitrag der Schweiz an das Internationale Erziehungsamt (Vom 9. August 1951)

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1951

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33

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6112

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16.08.1951

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628-634

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