10.063 Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Aargau, Thurgau, Waadt, Genf und Jura vom 30. Juni 2010

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Aargau, Thurgau, Waadt, Genf und Jura mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. Juni 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-0996

4901

Übersicht Der Bundesversammlung wird beantragt, mit einfachem Bundesbeschluss Änderungen in den Kantonsverfassungen der Kantone Aargau, Thurgau, Waadt, Genf und Jura zu gewährleisten. Die Verfassungsänderungen sind alle bundesrechtskonform.

Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes. Steht eine kantonale Verfassungsbestimmung im Einklang mit dem Bundesrecht, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie diese Voraussetzung nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Aargau: ­

Rechtsgrundlage für die Schadenersatzpflicht von Kanton und Gemeinden;

im Kanton Thurgau: ­

neue Behördenorganisation und neue Bezirkseinteilung im Hinblick auf das Inkrafttreten der neuen eidgenössischen Straf- und Zivilprozessordnungen;

im Kanton Waadt: ­

gewährleisteter Zugang zu Pflegeeinrichtungen für Betagte oder Behinderte;

­

Einführung von Tagesschulen;

­

Schaffung der neuen kantonalen Staatsanwaltschaft;

im Kanton Genf: ­

Einführung eines obligatorischen Referendums für finanzielle Sanierungsmassnahmen;

­

Unvereinbarkeit eines Parlamentsmandats mit der Funktion einer der richterlichen Gewalt angehörenden Magistratsperson;

­

Umsetzung der Schweizerischen Strafprozessordnung;

im Kanton Jura: ­

Einführung einer Schuldenbremse.

Die Änderungen stehen im Einklang mit dem Bundesrecht; sie sind deshalb zu gewährleisten.

4902

Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Aargau

1.1.1

Kantonale Volksabstimmung vom 27. September 2009

Die Stimmberechtigten des Kantons Aargau haben in der Volksabstimmung vom 27. September 2009 der Änderung von § 75 Absätze 1­3 der Kantonsverfassung (Rechtsgrundlage für die Schadenersatzpflicht von Kanton und Gemeinden) mit 82 836 Ja gegen 38 130 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2009 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Aargau um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2

Rechtsgrundlage für die Schadenersatzpflicht von Kanton und Gemeinden

Bisheriger Text § 75 Abs. 1­3 1 Der Kanton und die Gemeinden haften für den Schaden, den ihre Behörden oder Beamten in Ausübung der amtlichen Tätigkeit widerrechtlich verursachen.

2 Sie haften auch für Schäden, die ihre Behörden oder Beamten rechtmässig verursacht haben, wenn Einzelne davon schwer betroffen sind und ihnen nicht zugemutet werden kann, den Schaden selbst zu tragen.

3 Das Gesetz regelt die Verantwortlichkeiten der Mitglieder von Behörden und Beamten gegenüber dem Kanton und den Gemeinden.

Neuer Text § 75 Abs. 1­3 1 Der Kanton und die Gemeinden haften für den Schaden, den ihre Behörden, Beamten und übrigen Mitarbeitenden in Ausübung der amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich verursachen. Sie haften auch für rechtmässig verursachte Schäden, wenn Einzelne davon schwer betroffen sind und ihnen nicht zugemutet werden kann, den Schaden selbst zu tragen. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen und regelt die Geltendmachung des Haftungsanspruchs.

2 Organisationen und Personen, die übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, haften für den von ihnen widerrechtlich verursachten Schaden mit ihrem Vermögen; reicht dieses zur Deckung des Schadens nicht aus, haftet das auftraggebende Gemeinwesen für den Ausfall. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen und regelt die Geltendmachung des Haftungsanspruchs.

3 Das Gesetz regelt den Rückgriff von Kanton und Gemeinden auf die Person, die den Schaden gemäss Absatz 1 und 2 verursacht hat.

§ 100 Abs. 3 (neu) Streitigkeiten über die Haftung von Kanton und Gemeinden sowie von Organisationen und Personen, die übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, entscheidet das Verwaltungsgericht.

Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.

3

4903

Die Änderung der Kantonsverfassung bildet die verfassungsrechtliche Grundlage für das vom Grossen Rat des Kantons Aargau beschlossene neue Haftungsgesetz vom 24. März 2009, welches die Regelung der Schadenersatzpflicht von Kanton und Gemeinden zum Gegenstand hat. Die Änderung von Artikel 75 der kantonalen Verfassung führt für widerrechtlich verursachte Schäden eine direkte Haftung derjenigen Organisationen und Personen ein, welche öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Der Kanton und die Gemeinden können für den nicht gedeckten Schaden haftbar gemacht werden (Art. 75 Abs. 2). Die neue Regelung hält am Grundsatz der primären Haftung des Gemeinwesens fest, lässt aber Raum für gesetzliche Ausnahmen. Die Verfassungsänderung sieht im Übrigen vor (§ 100 Abs. 3 neu), dass die Beurteilung von Schadenersatzansprüchen neu durch das Verwaltungsgericht und nicht mehr durch die Zivilgerichte vorgenommen werden soll. Diese Änderung erfolgt im Rahmen der Aufgabenautonomie der Kantone. Sie ist bundesrechtskonform; die Gewährleistung kann demnach erteilt werden.

1.2

Verfassung des Kantons Thurgau

1.2.1

Kantonale Volksabstimmung vom 29. November 2009

Die Stimmberechtigten des Kantons Thurgau haben in der Volksabstimmung vom 29. November 2009 der Änderung der §§ 20 Absatz 1 Ziffer 5, 29 Absatz 2, 38 Absatz 2, 52 Absatz 1 Ziffer 2 und Absatz 2, 53, 55 Absatz 2, Titel vor § 56, 56 und 99 der Kantonsverfassung (neue Behördenorganisation und neue Bezirkseinteilung im Hinblick auf das Inkrafttreten der neuen eidgenössischen Straf- und Zivilprozessordnungen) mit 45 208 Ja gegen 27 975 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2009 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Thurgau um die eidgenössische Gewährleistung.

1.2.2

Neue Behördenorganisation und neue Bezirkseinteilung

Bisheriger Text § 20 Abs. 1 Ziff. 5 1 Das Volk wählt: 5. die Bezirksstatthalter und Vizestatthalter; § 29 Abs. 2 Die Mitglieder des Regierungsrates, der Staatsschreiber, die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Obergerichts, des Verwaltungsgerichtes, der Anklagekammer und der Rekurskommissionen sowie die nicht vom Volk gewählten Mitarbeiter der Bezirksgerichte und der Gerichte und Verwaltungen des Kantons und seiner öffentlich-rechtlichen Anstalten dürfen nicht dem Grossen Rat angehören.

2

§ 38 Abs. 2 2 Er wählt den Staatsschreiber, die Präsidenten, die Mitglieder und die Ersatzmitglieder der kantonalen Gerichte und der Anklagekammer sowie die Jugendanwälte.

4904

§ 52 Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 2 1 Die Zivilrechtspflege üben aus: 2. die Bezirksgerichte, die Bezirksgerichtlichen Kommissionen und die Bezirksgerichtspräsidenten; 2 Das Gesetz kann besondere Gerichte vorsehen und die Schiedsgerichtsbarkeit anerkennen § 53 Die Strafgerichtsbarkeit üben aus: 1. das Obergericht; 2. die Bezirksgerichte und die Bezirksgerichtlichen Kommissionen; 3. die Jugendanwaltschaft; 4. die Bezirksämter.

2 Die Strafverfolgung üben aus: 1. die Anklagekammer; 2. die Staatsanwaltschaft; 3. die Jugendanwaltschaft; 4. die Untersuchungsrichter.

1

§ 55 Abs. 2 2 Die Anklagekammer übt die Aufsicht über die Strafverfolgung aus.

Titel vor § 56 A. Bezirke und Kreise § 56 Das Kantonsgebiet ist in acht Bezirke eingeteilt. Das Gesetz bestimmt deren Umfang und die Aufgaben der Behörden.

2 Das Gesetz sieht für bestimmte Aufgaben die Einteilung in Kreise vor.

1

Neuer Text § 20 Abs. 1 Ziff. 5 Aufgehoben § 29 Abs. 2 2 Die Mitglieder des Regierungsrates, der Staatsschreiber, die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Obergerichtes, des Verwaltungsgerichtes, des Zwangsmassnahmengerichtes und der Rekurskommissionen sowie die nicht vom Volk gewählten Mitarbeiter der Bezirksgerichte und der Gerichte und Verwaltungen des Kantons und seiner öffentlichrechtlichen Anstalten dürfen nicht dem Grossen Rat angehören.

§ 38 Abs. 2 2 Er wählt den Staatsschreiber, die Präsidenten, die Mitglieder und die Ersatzmitglieder der kantonalen Gerichte sowie den Generalstaatsanwalt.

§ 52 Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 2 Die Zivilrechtspflege üben aus: 2. die Bezirksgerichte; 2 Das Gesetz kann besondere Gerichte vorsehen.

1

4905

§ 53 1 Gerichtliche Befugnisse im Strafverfahren haben: 1. das Obergericht; 2. die Bezirksgerichte; 3. das Zwangsmassnahmengericht; 4. die Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaften; 5. die Jugendanwaltschaft.

2 Die Strafverfolgung üben aus: 1. die Polizei; 2. die Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaften; 3. die Jugendanwaltschaft.

§ 55 Abs. 2 Aufgehoben Titel vor § 56 A. Bezirke § 56 Das Kantonsgebiet ist in fünf Bezirke eingeteilt. Das Gesetz bestimmt deren Umfang und die Aufgaben der Behörden.

§ 99 (neu) Ende der laufenden Amtsdauern Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes laufenden Amtsdauern der Friedensrichter, der Betreibungsbeamten, der Bezirksstatthalter, der Vizestatthalter, der Untersuchungsrichter, des Jugendanwaltes, der Staatsanwälte sowie der Mitglieder und Ersatzmitglieder der Bezirksgerichte, der Anklagekammer und des Obergerichtes enden mit dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung, der Schweizerischen Strafprozessordnung und der Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung.

Die Kantone haben bis zum Inkrafttreten der neuen Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO, BBl 2007 6977), der neuen Jugendstrafprozessordnung vom 20. März 2009 (JStPO, BBl 2009 1993) und der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO, BBl 2009 21) am 1. Januar 2011 ihre Behördenorganisation an das neue Bundesrecht anzupassen. Im Kanton Thurgau hat dies Auswirkungen auf verschiedene Verfassungsbestimmungen. Die neuen eidgenössischen Verfahrensgesetze erfordern gewisse Änderungen der Behördenstrukturen. Damit verbunden ist auch eine Anpassung der bisherigen Bezirkseinteilung des Kantons Thurgau. Statt der bisherigen acht Bezirke soll der Kanton neu fünf Bezirke umfassen, welche ausgewogenere Wahlkreisgrössen für das Kantonsparlament schaffen und die Wahlfreiheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger besser gewährleisten (§ 56). Die Verfassungsänderungen stehen im Einklang mit dem Bundesrecht und namentlich Artikel 34 der Bundesverfassung.

Die Gewährleistung kann demnach erteilt werden.

4906

1.3

Verfassung des Kantons Waadt

1.3.1

Kantonale Volksabstimmung vom 27. September 2009

Die Stimmberechtigten des Kantons Waadt haben in der Volksabstimmung vom 27. September 2009 den folgenden drei Verfassungsänderungen zugestimmt: ­

gewährleisteter Zugang zu Pflegeeinrichtungen für Betagte oder Behinderte (neuer Art. 65 Abs. 2 Bst. d) mit 161 364 Ja gegen 8 741 Nein;

­

Einführung von Tagesschulen (neuer Art. 63a) mit 120 053 Ja gegen 49 492 Nein;

­

Schaffung der neuen kantonalen Staatsanwaltschaft (neue Art. 106 Abs. 1 Bst. e sowie Art. 125a) mit 115 763 Ja gegen 38 708 Nein.

Mit Schreiben vom 13. Januar 2010 ersucht der Staatsrat des Kantons Waadt um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.2

Gewährleisteter Zugang zu Pflegeeinrichtungen für Betagte oder Behinderte

Neuer Text Art. 65 Abs. 2 Bst. d (neu) 2 Zur Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung müssen der Staat und die Gemeinden: d. sicherstellen, dass sozial-medizinische Pflegeeinrichtungen für Betagte und für Behinderte vorhanden sind, die den Erwartungen und Bedürfnissen dieser Menschen angemessen Rechnung tragen.

Artikel 65 Absatz 2 Buchstabe d der Kantonsverfassung führt eine neue staatliche Aufgabe im Bereich der Sozialmedizin bzw. der Sozialerziehung ein. Diese Aufgabe fällt in den Kompetenzbereich der Kantone, und sie ist darüber hinaus mit dem übergeordneten Recht vereinbar. Die neue Bestimmung kann deshalb gewährleistet werden.

1.3.3

Einführung von Tagesschulen

Neuer Text Art. 63a (neu) Tagesschule 1 Die Gemeinden organisieren in Zusammenarbeit mit dem Staat und Privaten während der ganzen obligatorischen Schulzeit ein für die Familien fakultatives ausserschulisches Betreuungsangebot in der Form von Tagesschulen in den Schulräumlichkeiten oder in deren Nähe.

2 Die Betreuung kann auch privaten Organisationen anvertraut werden.

3 Die Gemeinden bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die ausserschulische Betreuung in Anspruch genommen werden kann.

4 Die Eltern tragen zur Finanzierung der ausserschulischen Betreuung bei.

Artikel 63a der Kantonsverfassung führt Tagesschulen ein. Dies ermöglicht Männern und Frauen, gleichzeitig einer Erwerbsarbeit nachzugehen (oder sie beizubehalten) und für die Erziehung ihrer Kinder zu sorgen. Das obligatorische Schulwesen 4907

und insbesondere die vor- und ausserschulische Betreuung liegt im Kompetenzbereich der Kantone. Die neue Verfassungsbestimmung ist bundesrechtskonform und kann gewährleistet werden.

1.3.4

Schaffung der neuen kantonalen Staatsanwaltschaft

Neuer Text Art. 106 Abs. 1 Bst. e (neu) 1 Der Grosse Rat wählt: e. den Generalstaatsanwalt.

Art. 125a (neu) Staatsanwaltschaft 1 Die Staatsanwaltschaft führt die Strafuntersuchung und erhebt Anklage.

2 In der Ausübung ihrer gesetzlichen Pflichten ist sie unabhängig.

3 Sie ist administrativ dem Staatsrat unterstellt.

4 Das Gesetz regelt ihre Organisation, ihre Funktionen und ihre Zuständigkeiten.

Die neue Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO, BBl 2007 6977), die am 1. Januar 2011 in Kraft treten wird, vereinheitlicht in allen Kantonen der Schweiz die Rolle der Staatsanwaltschaften. Aufgrund des neuen Rechts werden diese inskünftig für eine einheitliche Ausübung der öffentlichen Anklage verantwortlich sein. Sie werden das Vorverfahren leiten, Straftaten im Rahmen der Untersuchung verfolgen, die Anklageschrift verfassen und Anklage erheben (Art. 16 Abs. 2 StPO). Folglich werden im Kanton Waadt ­ wie auch in anderen Kantonen ­ die zukünftigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die gegenwärtigen Untersuchungsrichterinnen und -richter ersetzen. Die Kantone bleiben indessen für die Festlegung der Wahlmodalitäten der Strafbehörden ebenso zuständig wie für deren Zusammensetzung, Organisation und Dotierung, sofern nicht die StPO oder andere Bundesgesetze (Art. 14 Abs. 2 StPO) dies abschliessend regeln. In diesem kompetenzrechtlichen Rahmen hat der waadtländische Verfassungsgeber beschlossen, die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft dadurch zu stärken, dass der Generalstaatsanwalt künftig durch den Grossen Rat gewählt (neuer Art. 106 Abs. 1 Bst. e) und administrativ dem Staatsrat unterstellt wird (neuer Art. 125a). Die Bestimmungen sind mit dem Bundesrecht vereinbar; sie können demnach gewährleistet werden.

1.4

Verfassung des Kantons Genf

1.4.1

Kantonale Volksabstimmungen vom 21. Mai 2006 und vom 17. Mai 2009

Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben in der Volksabstimmung vom 21. Mai 2006 den folgenden zwei Verfassungsänderungen zugestimmt: ­

Einführung eines obligatorischen Referendums für finanzielle Sanierungsmassnahmen (neuer Art. 53B) mit 40 052 Ja gegen 39 017 Nein;

­

Unvereinbarkeit eines Parlamentsmandats mit der Funktion einer der richterlichen Gewalt angehörenden Magistratsperson (Änderung von Art. 74

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Abs. 1 Bst. e und Art. 2 Abs. 2 des Verfassungsgesetzes A 2 00­9120) mit 102 603 Ja gegen 6016 Nein.

In der Volksabstimmung vom 17. Mai 2009 haben sie ferner einer Verfassungsänderung betreffend die Umsetzung der schweizerischen Strafprozessordnung (Änderung der Art. 7, 12, 131 Abs. 1 und 2, 133 sowie Aufhebung der Art. 14­37, 134 sowie 136­137) mit 53 969 Ja gegen 30 047 Nein zugestimmt.

Mit zwei Schreiben vom 14. September 2009 sowie einem weiteren vom 13. Januar 2010 ersucht der Staatsrat des Kantons Genf um die eidgenössische Gewährleistung.

1.4.2

Einführung eines obligatorischen Referendums für finanzielle Sanierungsmassnahmen

Neuer Text Art. 53B (neu) 1 Finanzielle Sanierungsmassnahmen, welche Änderungen auf Gesetzesstufe erforderlich machen, müssen dem Volk obligatorisch zur Abstimmung unterbreitet werden. In der Abstimmung muss einer solchen Massnahme, die eine Senkung der Belastung zur Folge hat, eine Steuererhöhung mit gleichartiger Wirkung gegenübergestellt werden.

2 Das Stimmvolk muss eine Wahl treffen. Es kann der vorgeschlagenen Alternative kein doppeltes Ja und kein doppeltes Nein gegenüberstellen.

Diese Bestimmung sieht in der Kantonsverfassung einen finanziellen Sanierungsmechanismus vor. Diesem gemäss ist das Stimmvolk verpflichtet, zwischen zwei Lösungen eine Wahl zu treffen. Entweder nimmt es die vorgeschlagene Sanierungsmassnahme oder die entsprechende Steuererhöhung an. Absatz 2 hat klar zur Folge, dass die Genfer Bürgerinnen und Bürger auf die Wahl des Status quo verzichten. Indem es diese Bestimmung angenommen hat, verzichtet das Stimmvolk auf seine Entscheidungsfreiheit und auf seine Entscheidungsmacht. Nachdem aber diese Einschränkung aus einem klaren, dem Volk im Rahmen eines Referendums zur Gutheissung unterbreiteten Text hervorgeht, kann man davon ausgehen, dass die Stimmenden diesen in völliger Freiheit und in Kenntnis aller Umstände angenommen haben (BGE 131 I 126 E. 6). Artikel 53B der Kantonsverfassung ist deshalb vereinbar mit der Garantie der politischen Rechte (Art. 34 BV); der Bund kann ihn demnach garantieren.

1.4.3

Unvereinbarkeit eines Parlamentsmandats mit der Funktion einer der richterlichen Gewalt angehörenden Magistratsperson

Bisheriger Text Art. 74 Abs. 1 Bst. e 1 Mit dem Mandat als Parlamentsmitglied sind folgende Ämter nicht vereinbar: e. Mitglied der Gerichtsbehörden, mit Ausnahme der Ersatzrichter und der Arbeitsrichter;

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Neuer Text Art. 74 Abs. 1 Bst. e 1 Mit dem Mandat als Parlamentsmitglied sind folgende Ämter nicht vereinbar: e. Mitglied der Gerichtsbehörden; Art. 2 Abs. 2 des Verfassungsgesetzes A 2 00­9120 Die betroffenen Parlamentsmitglieder können ihre angefangenen Mandate zu Ende führen, ohne unter den Geltungsbereich des vorliegenden Gesetzes zu fallen.

2

Die vorliegende Änderung stärkt das Prinzip der Gewaltenteilung, indem es die Unvereinbarkeiten eines Parlamentsmandats auf alle Magistratspersonen der Judikative (inkl. Stellvertreterinnen und Stellvertreter) ausdehnt. Artikel 2 Absatz 2 des Genfer Verfassungsgesetzes A 2 00­9120 regelt darüberhinaus die übergangsrechtlichen Fragen, indem es bestimmt, dass betroffene Parlamentarierinnen und Parlamentarier ihre angefangenen Mandate zu Ende führen können. Eine solche Änderung erfolgt im Rahmen der Organisationsautonomie der Kantone. Sie ist bundesrechtskonform und kann gewährleistet werden.

1.4.4

Umsetzung der Schweizerischen Strafprozessordnung

Bisheriger Text Art. 7 Die allgemeine Konfiszierung von Vermögen darf nicht eingeführt werden; ebensowenig ist die Beschlagnahme des Vermögens der Angeklagten und der im Abwesenheitsverfahren Verurteilten statthaft.

Art. 12 1 Niemand darf seiner Freiheit beraubt werden, ausser aufgrund eines Urteils eines zuständigen Gerichts oder aufgrund eines Befehls, der von einer durch diesen Titel ermächtigten Behörde erlassen worden ist, um die Voruntersuchung in einem Strafverfahren zu sichern.

2 Der Fall der frisch begangenen Tat bleibt vorbehalten.

Art. 14 1 Die Vorladung ist der schriftliche Befehl, durch den eine zuständige Amtsperson eine Person zur Befragung vor sich erscheinen oder nötigenfalls vorführen lässt.

2 Die Vorladung fällt dahin, nachdem die vorgeladene Person befragt worden ist.

3 Die Vorladung gibt an, in welcher Eigenschaft die Person vorgeladen wird und welches die Folgen eines Nichterscheinens sind.

Art. 15 1 Durch den Vorführbefehl ordnet eine zuständige Amtsperson oder ein zuständiger Beamter an, die eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigte Person festzunehmen und im Hinblick auf eine Einvernahme in vorläufige Haft zu setzen.

2 Jede Person, die aufgrund eines Vorführbefehls angehalten worden ist, muss so rasch als möglich durch die Behörde einvernommen werden, die den Befehl erlassen hat.

3 Spätestens 24 Stunden nach der Ausführung des Vorführbefehls muss die Person, wenn sie nicht schon freigelassen worden ist, an den Untersuchungsrichter überwiesen werden. Der Untersuchungsrichter verfügt über höchstens 24 Stunden, um die Person einzuvernehmen und sie entweder freizulassen oder gegen sie einen Haftbefehl zu erlassen.

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Art. 16 1 Zuständig für den Erlass eines Vorführbefehls gegen jemanden, der eines Verbrechens oder eines Vergehens verdächtigt wird, sind: a. der Staatsanwalt, b. der Untersuchungsrichter, c. der Staatsrat, der dem Justiz-, Polizei- und Sicherheitsdepartement vorsteht, d. der Polizeikommandant und die vom Gesetz bestimmten Polizeioffiziere.

2 Wird jemand auf frischer Tat ertappt, können auch die andern Polizeioffiziere und die Gemeindepräsidenten Vorführbefehle erlassen.

Art. 17 Durch den Haftbefehl ordnet der Untersuchungsrichter an, die eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigte Person festzunehmen und in Haft zu behalten.

2 Er kann nur erlassen werden, wenn gegen den Beschuldigten genügende Anklagegründe vorliegen und zudem eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist: a. die Schwere der Widerhandlung erfordert es; b. die Umstände lassen vermuten, es bestehe Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr oder die Gefahr neuer Widerhandlungen; c. die Interessen der Untersuchung erfordern es.

1

Art. 18 Ein Haftbefehl gilt acht Tage, wenn die Anklagekammer nicht eine Verlängerung bewilligt.

Art. 19 Die Befehle bezeichnen so genau als möglich die gesuchte Person und geben die Tatsachen an, aufgrund deren sie erlassen sind. Sie werden datiert und von der Behörde, die sie erlässt, unterzeichnet.

2 Der Haftbefehl muss überdies die Gesetzesbestimmung angeben, die den Tatbestand, der dem Befehl zugrunde liegt, mit Strafe bedroht.

3 Der Befehl muss der festgenommenen Person vorgewiesen werden, und unmittelbar nach der Festnahme muss ihr eine Kopie ausgehändigt werden.

1

Art. 20 Wenn eine oder mehrere Personen, die nicht einer der genannten Behörden angehören: a. in einer öffentlichen Sitzung des Verfassungsrates, des Grossen Rates, eines Gemeinderates oder einer ihrer Kommissionen, b. in einer Sitzung des Staatsrates oder eines Stadtrates, c. in einer Sitzung einer Gerichtsbehörde, d. an einem öffentlichen Ort, an dem eine dieser Behörden, ein Gemeindepräsident oder ein Stellvertreter eine Amtshandlung vornimmt, e. an einem öffentlichen Ort, an dem sich ein Wahlverfahren abspielt, sich einer schweren Missachtung der Würde der Behörden schuldig machen oder eine Unordnung oder einen Tumult verursachen, können sie auf der Stelle festgenommen und für höchstens 24 Stunden in Haft gesetzt werden.

2 Zuständig für die Anordnung der Festnahme sind: a. der Präsident des Verfassungsrates, des Grossen Rates, des Gemeinderates, des Staatsrates oder des Stadtrates, b. der Richter, der die Sitzung präsidiert oder die Gerichtshandlung leitet, c. der Gemeindepräsident oder sein Stellvertreter, d. der Präsident der Kommission des Grossen Rates, des Gemeinderates oder des Wahlverfahrens.

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3 Der Festnahmebefehl bezeichnet so genau als möglich die Person oder die Personen, gegen die er erlassen worden ist, und die Gründe, die ihn rechtfertigen. Er wird datiert und vom Erlassenden unterzeichnet. Er tritt an Stelle eines Vorführbefehls.

Art. 21 1 Als frisch begangene Tat gilt die Widerhandlung, die eben verübt wird oder eben verübt worden ist.

2 Der frisch begangenen Tat werden die Fälle gleichgestellt, in denen der mutmassliche Täter oder Gehilfe durch Rufe in der Öffentlichkeit verfolgt oder kurze Zeit nach der Widerhandlung im Besitze von Waffen, Geräten, Werkzeugen oder andern Gegenständen, die auf die Teilnahme an der Widerhandlung schliessen lassen, angetroffen wird.

Art. 22 Liegt eine frisch begangene Tat vor, so haben die Organe der gerichtlichen Polizei das Recht, die mutmasslichen Täter anzuhalten. Jede anwesende Person hat dasselbe Recht.

2 Die angehaltene Person muss sofort einer der Amtspersonen oder einem der Beamten übergeben werden, die das Recht zum Erlass eines Vorführbefehls haben.

1

Art. 23 Zu Beginn der ersten Einvernahme durch den Untersuchungsrichter muss jeder Beschuldigte ausdrücklich unterrichtet werden über: a. sein Recht, sich einen oder mehrere Verteidiger zu wählen oder von Amtes wegen beigeben zu lassen, sich mit diesen unter Vorbehalt der Bestimmungen über die strenge Einzelhaft frei zu besprechen oder mit ihnen schriftlich zu verkehren und von der ersten Einvernahme an, ausgenommen über seine Personalien, nur in Anwesenheit eines Verteidigers einvernommen zu werden; b. sein Recht, unentgeltlichen Rechtsbeistand zu verlangen; c. sein Recht, jederzeit seine vorläufige Haftentlassung zu verlangen unter der Bedingung, sich zu allen Verfahrenshandlungen und zum Vollzug des Urteils zu stellen, sobald er dazu aufgefordert wird; d. sein Recht, gegen jede Verfügung des Untersuchungsrichters bei der Anklagekammer Beschwerde zu führen.

Art. 24 Sobald die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Haftbefehls nicht mehr gegeben sind, muss der Beschuldigte ohne persönliche Gewähr oder Sicherheitsleistung freigelassen werden.

Art. 25 1 Die Anklagekammer kann auf Antrag des Untersuchungsrichters oder, wenn die Akten schon an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet sind, auf Antrag des Staatsanwaltes die Verlängerung der Haft bewilligen, wenn dies durch die Umstände als unbedingt notwendig erscheint. Der Beschuldigte ist vor dem Entscheid anzuhören.

2 Die Bewilligung gilt für höchstens drei Monate; sie kann unter denselben Voraussetzungen erneuert werden.

Art. 26 1 In allen Fällen ist die Anklagekammer zuständig, die Haftentlassung anzuordnen.

2 Die Kammer prüft einen Antrag auf Haftentlassung innert nützlicher Frist in ihrer nächsten Sitzung und legt gegebenenfalls die Sicherheiten fest, die vom Beschuldigten gefordert werden.

Art. 27 Die Haftentlassung kann nur verweigert werden, wenn: a. es die Schwere der Widerhandlung erfordert; b. die Umstände vermuten lassen, es bestehe Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr oder die Gefahr neuer Widerhandlungen; c. es die Interessen der Untersuchung erfordern.

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Art. 28 1 Wenn es die Schwere des Falles und das Interesse der Untersuchung erfordern, kann der Untersuchungsrichter den Beschuldigten mit begründeter Anordnung, die den Parteien unverzüglich schriftlich mitgeteilt wird, für höchstens acht Tage in strenge Einzelhaft versetzen.

2 Die Anklagekammer kann auf Antrag des Untersuchungsrichters die Verlängerung der strengen Einzelhaft bewilligen.

3 Die Bewilligung gilt für höchstens acht Tage; sie kann unter denselben Voraussetzungen erneuert werden.

Art. 29 Der Beschuldigte, der in strenge Einzelhaft versetzt wird, kann mit niemandem verkehren, ausser sich mit seinem Anwalt besprechen.

2 Die strenge Einzelhaft hebt von Amtes wegen das Recht des Beschuldigten auf Teilnahme an Untersuchungshandlungen und das Recht auf Akteneinsicht auf. Das, Gesetz regelt die Auswirkungen und Bedingungen gegenüber dem Staatsanwalt und den Anwälten.

3 Der Beschuldigte nimmt nicht an den Verhandlungen der Anklagekammer teil, wird ihr aber vorgeführt, bevor sie ihren Entscheid trifft, und aufgefordert, sich zu den Massnahmen zu äussern, um die die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung ersuchen. Der Präsident der Anklagekammer erläutert dem Beschuldigten zuvor die beantragten Massnahmen.

1

Art. 30 1 Untersuchungsrichter kann eine Haussuchung oder eine Durchsuchung in allen Fällen durchführen, in denen es zur Sicherung der Voruntersuchung in einem Strafverfahren unbedingt notwendig ist. Die Haussuchung oder die Durchsuchung erfasst alle Örtlichkeiten, die zur Wahrheitsfindung untersucht werden müssen.

2 Der Untersuchungsrichter kann ausnahmsweise die Befugnis zu Haussuchungen oder Durchsuchungen schriftlich an den Polizeikommandanten oder an einen Polizeioffizier delegieren.

3 Die zur Haussuchung oder Durchsuchung ermächtigte Amtsperson oder Beamte kann sich von Polizeibeamten begleiten lassen.

Art. 31 Die Haussuchung und die Durchsuchung müssen bei Tag vorgenommen werden; sie können bei Nacht weitergeführt werden.

2 Sie können jedoch in der Nacht vorgenommen werden, wenn: a. eine frisch begangene Tat oder ein Unglücksfall vorliegt, von innen darum gebeten wird oder der Wohnungsinhaber es beantragt; b. es sich um Örtlichkeiten, die einer strafbaren Tätigkeit dienen, oder um ein öffentliches Gebäude handelt.

3 In den Fällen nach Absatz 2 kann die Haussuchung oder Durchsuchung von jeder Amtsperson und jedem Beamten durchgeführt werden, die nach diesem Titel der Verfassung einen Vorführbefehl erlassen dürfen.

1

Art. 32 Die Haussuchung und die Durchsuchung müssen in Gegenwart des Wohnungsinhabers oder seines Vertreters durchgeführt werden; sind sie abwesend oder weigern sie sich, die Amtsperson zu begleiten oder einen Vertreter zu bezeichnen, wird von ihrer Gegenwart abgesehen.

Art. 33 Wer zur Ausführung einer Haussuchung oder Durchsuchung ermächtigt ist, hat das Recht, bei deren Durchführung die notwendigen Beschlagnahmen in den im Gesetz vorgesehenen Fällen und Formen vorzunehmen.

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Art. 34 1 Die Parteien können gegen die Verfügungen des Untersuchungsrichters bei der Anklagekammer Beschwerde führen.

2 Sie können in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen ebenfalls gegen die Verfügung des Staatsanwaltes Beschwerde führen.

Art. 35 Der Beamte, der sich der Nichtbeachtung der Formvorschriften für die Vorführ- und Haftbefehle schuldig macht, wird mit einer Busse bestraft.

2 Die Nichtbeachtung kann zu Anweisungen an den Untersuchungsrichter Anlass geben.

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Art. 36 Wer schuldhaft eine ungesetzliche Festnahme vornimmt oder eine Haft ungesetzlich verlängert, trägt den der betroffenen Person geschuldeten Schadenersatz. Dieser wird nach den Umständen und dem erlittenen Nachteil festgesetzt; er beträgt jedoch mindestens 150 Franken je Tag ungesetzlicher Haft.

Art. 37 Wer schuldhaft eine Wohnung verletzt, trägt den dem Inhaber der verletzten Wohnung geschuldeten Schadenersatz. Dieser wird nach den Umständen und dem erlittenen Nachteil festgesetzt; er beträgt jedoch mindestens 50 Franken je Stunde der Verletzung und je verletzte Wohnung.

Art. 131 Abs. 1 und 2 1 Das Gesetz stellt ständige Gerichte ab, durch welche alle Zivil- und Strafrechtsfälle abgeurteilt werden, und bestimmt deren Zahl, Organisation, Gerichtsbarkeit und Kompetenz.

2 Zur Beurteilung der vom Gesetz vorgesehenen Verwaltungsgerichtsbeschwerden wird ein Verwaltungsgericht eingeführt.

Art. 133 Die Funktionen eines Richters, eines Generalstaatsanwaltes, eines Staatsanwaltes und ihrer Stellvertreter sind mit jeglicher bezahlten Verwaltungstätigkeit unvereinbar.

Art. 134 Die Gerichtssitzungen sind öffentlich.

2 Das Gesetz kann jedoch die Öffentlichkeit beschränken: a. in Zivilsachen; b. in Strafsachen: 1. für Jugendliche unter 18 Jahren, 2. für die Verhandlungen vor der Anklagekammer, 3. in den Fällen der Verhandlung hinter geschlossenen Türen.

3 Das Gesetz kann die Öffentlichkeit von Gerichtssitzungen, die der Abklärung von Widerhandlungen Jugendlicher dienen, beschränken oder ausschliessen.

1

Art. 136 1 Die Funktionen der Staatsanwaltschaft werden von einem Generalstaatsanwalt, zwei Staatsanwälten sowie ihren Stellvertretern wahrgenommen.

2 Das Gesetz regelt die Organisation der Generalstaatsanwaltschaft.

Art. 137 1 Die Einführung des Schwurgerichts für Kriminalsachen wird durch die gegenwärtige Verfassung gewährleistet, ausser wenn es sich um Gerichte handelt, welche durch Jugendliche verübte strafbare Handlungen zu beurteilen haben.

2 Die Geschworenen werden aus Schweizerbürgern ohne Unterscheidung nach Geschlecht gewählt, die mehr als 25 und weniger als 60 Jahre alt sind.

3 Die Befugnisse des Schwurgerichts können durch das Gesetz ausgedehnt werden.

4914

Neuer Text Art. 7 Die allgemeine Konfiszierung von Vermögen darf nicht eingeführt werden.

Art. 12 Niemand darf seiner Freiheit beraubt werden, ausser unter den vom Gesetz vorgesehenen Bedingungen.

Art. 14­37 Aufgehoben Art. 131 Abs. 1 und 2 Das Gesetz schafft ständige Gerichte, die über alle Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechtsfälle entscheiden.

2 Es bestimmt deren Zahl, Organisation und Zuständigkeit, sofern das Bundesrecht in dieser Hinsicht nichts anderes vorschreibt.

1

Art. 133 1 Die vollzeitlich ausgeübten Funktionen eines Richters, eines Generalstaatsanwaltes oder einer anderen Magistratsperson der Staatsanwaltschaft sind mit jeglicher bezahlten Tätigkeit unvereinbar.

2 Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.

Art. 134 Aufgehoben Kapitel II des Abschnitts IX (Art. 136 und 137) Aufgehoben Das bisherige Kapitel III wird neu zu Kapitel II.

Die Verfassung des Kantons Genf enthält rund 30 Bestimmungen zum Strafverfahren, von denen einige aufgrund des Inkrafttretens der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO, BBl 2007 6977) auf den 1. Januar 2011 geändert oder aufgehoben werden müssen. Diese Revision setzt das Prinzip des vereinheitlichten Verfahrens um. Sie führt insbesondere zur Abschaffung der Geschworenengerichte (Art. 137 KV). Die Revision ist bundesrechtskonform; sie kann demnach gewährleistet werden.

1.5

Verfassung des Kantons Jura

1.5.1

Kantonale Volksabstimmung vom 17. Mai 2009

Die Stimmberechtigten des Kantons Jura haben in der Volksabstimmung vom 17. Mai 2009 der Änderung von Artikel 77 Buchstabe g und 123a der Kantonsverfassung (Einführung einer Schuldenbremse) mit 9102 Ja gegen 4161 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 1. September 2009 ersucht der Regierungsrat des Kantons Jura um die eidgenössische Gewährleistung.

4915

1.5.2

Einführung einer Schuldenbremse

Neuer Text Art. 77 Bst. g (neu) Der Volksabstimmung werden unterbreitet: g. das Staatsbudget gemäss Artikel 123a Absätze 4 und 6.

Art. 123a (neu) Schuldenbremse Das Staatsbudget muss einen Selbstfinanzierungsgrad von 80 % oder höher aufweisen.

2 Im Falle eines Bilanzfehlbetrags oder falls die Bruttoschuld um das Anderthalbfache höher ist als der für die kantonalen Steuereinnahmen budgetierte Betrag, muss der Selbstfinanzierungsgrad mindestens 100 % betragen.

3 Das Parlament kann mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Stimmen der Parlamentsmitglieder von den Absätzen 1 und 2 abweichen, wenn ausserordentliche Umstände dies erfordern; es kann indessen nicht während zweier aufeinander folgender Jahre davon abweichen.

4 Falls eine Mehrheit von zwei Dritteln der Parlamentsmitglieder nicht erreicht werden kann oder wenn das Parlament von den Absätzen 1 und 2 im Vorjahr abgewichen ist, muss ein Staatsbudget, welches deren Anforderungen nicht entspricht, obligatorisch dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden.

5 Nimmt das Volk das Staatsbudget an, so kann die Ausnahmeregelung im Sinne von Absatz 3 auf das nächste Budget wieder Anwendung finden.

6 Lehnt das Volk das Staatsbudget ab, so arbeitet das Parlament ein neues aus. Falls dieses den Anforderungen der Absätze 1 und 2 nicht entspricht, ist es obligatorisch dem Volk zur Abstimmung zu unterbreiten.

7 Im Weiteren regelt das Gesetz die Einzelheiten der Schuldenbremse.

1

Mit dieser Reform gibt sich der Kanton Jura die Mittel, um die Entwicklung der Kantonsschulden zu begrenzen. Dieses Instrument ist Teil der Finanzautonomie der Kantone. Die neuen Artikel 77 Buchstabe g und 123a der Kantonsverfassung sind bundesrechtskonform; die Gewährleistung kann somit erteilt werden.

2

Verfassungsmässigkeit

2.1

Bundesrechtskonformität

Die Prüfung hat ergeben, dass die geänderten Bestimmungen der Verfassungen der Kantone Aargau, Thurgau, Waadt, Genf und Jura im Einklang mit Artikel 51 der Bundesverfassung stehen. Somit ist ihnen die Gewährleistung zu erteilen.

2.2

Zuständigkeit der Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 und 172 Absatz 2 der Bundesverfassung für die Gewährleistung der Kantonsverfassungen zuständig.

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