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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 2. April 1907 zur Fortsetzung der ordentlichen Wintersession zusamm engetreten.

Als neue Mitglieder sind erschienen : im, Nationalrat : Herr ., ,, .,

W u i 11 e r e t , Charles, von und in Freiburg ; von D i e s b a c h , Max, von Freiburg, in Villars-les-Joncs ; W y r s c h , Alfred, von Killwangen, in Wettingen; C h u a v d, Ernest, von Corcelles s/Payerne, in Lausanne.

im Ständer ut:

Herr K u n z, Gottfried, von Diemtigen, in Bern; ., B r ü g g e r , Friedrich, von Churwalden und Obersaxen, in Chur Im N a t i o n a l rat eröffnete Herr Präsident Decoppet die Session mit folgenden Worten : Meine Herren Nationalräte !

Seit unserer letzten Session sind vier Mitglieder der eidgenössischen Räte durch den Tod dahingerafft worden.

Die Krankheit, welcher er erliegen sollte, hatte Herrn Nationalrat Baidinger schon daran verhindert, im verflossenen Dezember an unseren Arbeiten teilzunehmen. Er starb am 9. Januar im Alter von 69 Jahren, und sein Hinscheid hat überall, sowohl in seinem Heimatkanton als in unserer Mitte, lebhaftes und allseitiges Bedauern hervorgerufen. Sein origineller Charakter, der ihn auch davon abhielt, sich einer der politischen Gruppen unseres Rates anzuschliessen, und die von ihm gewählte Spezialität

692 der volks- und forstwirtschaftlichen Fragen, deren Behandlung den Grossteil seiner administrativen und parlamentarischen Tätigkeit in Anspruch nahm, sicherten Herrn Baidinger hier und anderswo eine besondere und hervorragend wichtige Stellung.

Zu der nützlichen Rolle, welche er in dieser Beziehung während nahezu einem halben Jahrhundert im Kanton Aargau spielte, trat nun noch die Aufgabe, welche er sich auf dem ihm durch seine Wahl in den Nationalrat eröffneten ausgedehnteren Gebiete gestellt hatte. Dreissig Jahre lang hat er dem Nationalrate angehört, der ihm als einen fleissigen und hingebenden Kollegen ein gutes Andenken bewahren wird.

Als am Schlüsse der verflossenen Dezembersession Herr Bucher in seiner Eigenschaft als Präsident der Eisenbahnkommission als letzter das Wort ergriff, bildete sich jedenfalls niemand ein, dass er nicht mehr in unserer Mitte erscheinen würde.

Denn er war noch jung, im Vollbesitz seiner Kräfte und erfreute sich einer blühenden Gesundheit. Eine lange Lebensdauer schien ihm gesichert.

Da wurden wir am 16. Februar durch die Kunde seines Hinscheides überrascht.

Mit den Eigenschaften eines tüchtigen Anwaltes verband Herr Bucher diejenigen eines tätigen und rührigen Politikers.

Er gehörte dem Nationalrate seit 1901 an und hatte es verstanden, sich durch seine Beteiligung an den Beratungen über administrative und Eisenbahnfragen, sowie über das Zivilgesetzbuch in kurzer Zeit eine hervorragende Stellung zu schaffen.

Sein Tod hat in allen Kreisen, die ihn gekannt und Gelegenheit gehabt haben, sein Talent, seine Offenheit und die Zuverlässigkeit seines Charakters zu würdigen, das grösste Bedauern hervorgerufen.

Einige Tage später kam die Reihe, heimgesucht zu werden, an den Kanton Graubünden. Ebenfalls durch einen plötzlichen Tod wurde Herr Ständerat Franz Peterelli den Seinen entrissen.

Der Verstorbene hatte in Bonn, Heidelberg und München die Rechte studiert. Im Jahre 1890 wurde er in die Kantonsregierung berufen, aus der er im Jahre 1900 zurücktrat. Im vorhergehenden Jahre war er in den Ständerat abgeordnet worden, der ihn vor einiger Zeit zum Stimmenzähler ernannte. Diese Behörde verliert in ihm eine charakteristische Figur, die sich der Sympathie aller ·rf reute.

693 Schliesslich ist am 13. März Herr Nationalität Theodor ·Fontana an einer Krankheit gestorben, die er sieh einige Wochen vorher zugezogen hatte.

Herr Fontana war ein ausgezeichneter Jurist, daneben ein Mann von Takt und ein liebenswürdiger Gesellschafter. Er hatte sich schon frühzeitig an den politischen Kämpfen des Kantons beteiligt, in dem sein aus dem Tessin gebürtiger Vater sich niedergelassen hatte. Seit 1890 war er Mitglied des Grossen Rates. Er hat dem Obergericht und dem Kassationsgericht angehört und wurde im Jahre 1902 vom Kanton Genf in den Nationalrat abgeordnet.

Obschon er den Grundsätzen, welche diejenigen seines ganzen Lebens waren und ihm beständig als Richtschnur dienten, unverändert treu blieb, war er doch von einer unerschöpflichen Güte und einer weitgehenden Toleranz. Seine Gegner sowohl als seine Freunde haben bei Anlass seines Hinscheides von der Achtung und der Zuneigung, die ihm von allen Seiten entgegengebracht wurde, Zeugnis abgelegt.

Meine Herren, Lassen Sie uns das Andenken unserer zu früh heimgegangeuen vier Kollegen ehren und ihren Familien sowie den Kantonen, welche sie vertraten, unsere Sympathien bezeugen, indem wir uns von unsern Sitzen erheben.

Im S t ä n d e rat sprache :

hielt Herr Präsident Wirz folgende An-

Meine Herren Ständeräte !

Indem ich Sie zum Beginn unserer Frühjahrssessiou willkommen heisse, erfülle ich eine Pflicht der Pietät, wenn ich auch jenen Kollegen einen letzten Gruss weihe, die seit unserer Tagung im Dezember zu den Vätern versammelt wurden. Während dem aussergewöhnlich langen und harten Winter hat sich der Tod auch eine ungewöhnlich reiche Ernte geholt untern den Mitgliedern der eidgenössischen Räte. Das erste Opfer forderte er in der alten Bäderstadt drunten an der Limmat.

Am 5. Januar verschied Oberst Emil Albert Baidinger, Oberförster des Kantons Aargau, Mitglied des Nationalrates. Er erlag im 69. Jahre seines Lebens einer längeren Krankheit, die

694 ihn schon während der Dczembersession von der Bundesstadt ferne hielt und die die Lebenskraft des wetterharten Mannes brach, der bis an die Schwelle des Greisenalters als eine Gestalt voll Energie und voll Elastizität dagestanden hatte. Vermöge seiner Bildung und vermöge seines Berufes war Emil Baidinger ein richtiger und ein eminent tüchtiger, in Theorie und Praxis gleich bewanderter Forstmann. Von Jugend auf hatte der Wald es ihm angetan, der Wald, der eine so grosse und ungezählte Summe unseres schweizerischen National Vermögens repräsentiert, der Wald aber nicht weniger mit seiner Poesie, mit dem balsamischen Hauch, der aus seinen Kronen uns entgegenweht, und mit dem Sturmesbrausen, das an seinen Stämmen rüttelt. .Das war auch das Geprägo des Mannes. Er war gemütvoll und tatkräftig. Schon frühe begann er, im öffentlichen Leben eine bedeutende Rolle zu spielen. Wir begegnen ihm unter den hervorragenden Beamten seiner altberühmten Vaterstadt und seines damals wiederholt von politischen Stürmen bewegten Heimatkantons. Während langen drei Dezennien sass er im obersten Rate der Eidgenossen, wo er durch sein wohl überlegtes Wort, zumal in Fragen fachtechnischer und volkswirtschaftlicher Natur, sich Einfluss und Geltung zu verschaffen wusste. Vermöge Tradition und Überzeugung der konservativen Richtung zuneigend, hatte er ein offenes Auge und ein warmes Herz für die Bedürfnisse von Land und Volk. Er war fortschrittlichen Bestrebungen durchaus zugetan. Genau fünfzig Jahre vor seinem Tode hatte er als junger, feuriger Mann sich jener akademischen Legion eingereiht, die zur Zeit des Neuenburgerhandels sich zur Grenzwacht an die bedrohten Landesmarken stellen wollte. Den Schwur der Treue, den er damals dem Vaterlande leistete, hat er unverbrüchlich gehalten bis zu seinem letzton Hauche. Das Vaterland forderte nicht sein Blut, aber es forderte sein Leben, und dieses hat Baidinger ihm voll und ganz geweiht in rastloser Arbeit und in edler Hingebung an die öffentlichen Interessen.

Am 15. Februar verschied in Luzern eines raschen Todes Nationalrat Dr. Franz B ü c h e r . Wer von uns, der den Mann noch während der letzten Session hier in Bern gesehen hat, wäre auch nur von der leisesten Ahnung beschlichen worden, das diese Kraftnatur -- denn eine solche schien Bücher zu verkörpern -- so bald und so
plötzlich zusammenbrechen werde? Bucher bot wie selten ein Zweiter das Bild eines eichenfesten Mannes dar.

Um so überraschender und um so erschütternder wirkte die Trauerkunde von seinem in der Vollkraft seines erst 45 Jahre

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zählenden Lebens erfolgten Hinscheid. Eine reiche und umfassende juristische Bildung, verbunden mit grosser, geschäftlicher Gewandtheit, bewirkte, dass Bucher in verhältnismässig kurzer Frist zum sehr gesuchten und beliebten Rechtsanwalt geworden war, der sich als solcher io weiten Kreisen eines berechtigten Zutrauens erfreute.

Nicht weniger rasch lebte er sich auf dem Felde der Politik ein.

Einer fortgeschrittenen freisinnigen Richtung huldigend, nahm er unter den Parteigenossen seines Heimatkantons eine führende Stellung ein. Seit nicht völlig sechs Jahren dem Nationalrate angehörend, hat er sich dort, dank einer seltenen geistigen Begabung und ausdauernden Arbeitskraft, eine angesehene Stellung errungen. Auch in seinen heimatlichen städtischen und kantonalen Beamtungeu hat er seinen Mann, und zwar einen ganzen und tüchtigen Mann gestellt. Offenen Wesens und geraden Sinnes ist Bucher dem Ziele, das er sich einmal gesteckt hatte, mit energischem Willen und auf direktem Weg zugesteuert. Überall hat die Hiobspost aufrichtigste Teilnahme wachgerufen, dass durch ein tragisches Geschick Nationalrat Bucher mitten in seinem glücklichen Familienkreise vom Finger des Todes berührt worden sei, der an ihm sein Werk mit e i n e m Schlage vollbracht hat.

Am 22. Februar starb ebenso plötzlich unser Kollege Franz P e t e r e l i i droben im bündnerischen Hochland. Noch hatte eisern 60. Lebensjahr nicht vollendet und noch schien der Mann, der so recht den urkräftigen Typ seiner Heimat repräsentierte, auf Jahrzehnte hinaus den Stürmen zu trotzen. Als wir ihm im Dezember die Hand zum Abschied reichten, da dachte wohl keiner von uns, dass es ein Abschied für das Leben sei. Dennoch war es so. Kaum zwei Monate waren seither ins Land gegangen, als uns die tief schmerzliche Kunde traf: .,,Ständerat Peterelli weilt nicht mehr unter den Lebenden.tt Er hatte sich in der Schule der Gelehrten, aber mehr noch in der Schule des Lebens ein reiches Mass von Wissen angeeignet, das er praktisch trefflich zu verwerten wusste. Der Wert des Mannes aber lag in seinem innern Wesen, in seinem tiefen Gemüt, seinem edeln Herzen, seinem klaren Geist und seinem biedern Charakter. Er war ein Kernmann aus .einem GUSS geformt. So leibte und lebte er unter uns und so halten wir sein Andenken fest, das beim politischen Gegner nicht weniger
hoch steht als beim politischen Freund. Dem persönlichen Freunde bleibt Peterelli unvergesslich und unersetzlich. Für die Vielseitigkeit seines reichen Geistes und» seiner verdienstvollen Wirksamkeit liegt ein glänzendes Zeugnis darin, dass er seinem Heimatkanton, an dem er hing

96 mit allen Fasern seines treuen Herzens, in der administrativen, wie in der richterlichen Laufbahn die gleichen schätzenswerten und allseitig anerkannten Dienste leistete. Auf Staats- und volkswirtschaftlichem Gebiete und zumal für die Entwicklung des bündnerischen Eisenbahnnetzes hat Peterelli eine ebenso einsichtsvolle und weitblickende als durchschlagende Tätigkeit entfaltet.

Mit charakterfester Überzeugungstreue hielt er an seinen konservativ-katholischen Grundsätzen fest. In seinem politischen Programm nahmen alle Bestrebungen, welche auf Wahrung und Förderung volkswirtschaftlicher Interessen abzielten, einen breiten Raum ein. Ein frisch pulsierendes kantonales Leben, das war das Ideal und das Ziel seines Strebens. Daneben aber wollte er auch, dass die Eidgenossenschaft stark und blühend sei. In einem kräftig entwickelten Bundesstaat erblickte er den Hort unserer nationalen Unabhängigkeit und unserer republikanisch-demokratischen Institutionen. Demokrat, echter, altschweizerischer Demokrat, das war Peterelli schon vermöge der angestammten Traditionen, die er aus seiner engern Heimat in den Rat der Eidgenossen mitbrachte. Während acht Jahren sass er in diesem Rate. Seine sympathische Erscheinung, die bei aller äussern Bescheidenheit etwas innerlich ungemein Gediegenes hatte, läset sich wohl am richtigsten kennzeichnen durch das Wort: Sein, nicht Schein.

Und wieder begegnet uns unter den Männern, über deren Verlust wir eine Totenklage anzustimmen haben, ein Name, der mit der bündnerischen Geschichte verwachsen ist, und dennoch hat man den Mann, der diesen Namen trug, an den Ufern der Rhone in das Grab gesenkt. Theodor F o n t a n a in Genf erlag im Alter von 57 Jahren einem langen Leiden. Vermöge seiner religiösen Überzeugung durchaus auf dem gleichen Boden stehend wie Peterelli und demselben auch politisch nahe verwandt, bieten dennoch Theodor Fontanas Gestalt und Geschick mehrfach andere Züge dar als diejenigen Peterellis. Fontana war hervorragender Jurist, als den er sich im Berufe eines Anwaltes und im Amte eines Richters bewährte. Redner und Parlamentarier in jener feinen, distinguierten Art, wie wir ihr bei unsern Miteidgenossen französischer Zunge vorzugsweise begegnen, hat Fontana auch in jenen sturmbewegten Tagen, in denen er als Wortführer für die Rechtsstellung, die Anschauungen
und die Interessen seiner Glaubensgenossen mit dem ganzen Feuer überzeugungsvoller Beredsamkeit eintrat, stets ein grösseres Gewicht der Kraft der Argumente, als dein Glanz der Rede beigemessen

697 und eine gewisse staatsmännische Kühe nie verleugnet. An seinem frischen Grabe hat man es allseitig anerkannt, dass er, unbeschadet seiner mannesrnutigen Überzeugungstreue, ein billig denkender und toleranter Mann gewesen ist. Seit dem Jahre 1902 der Bundesversammlung angehörend, erfreute sich hier der Heimgegangene in allen Kreisen der Beliebtheit, die sein leutseliges Wesen ihm verschaffte. Der Mann, der manch einen heissen Kampf im öffentlichen Leben mitgefochten hat, war doch eine versöhnliche and gemütvolle Natur. Freund und Gegner zollten an seinem frischen Grabe den edeln Eigenschaften seines Charakters und der Wärme seines Patriotismus ihre Hochachtung.

Wenn wir trauernd der Dahingeschiedenen gedenken, so verleiht uns der christliche Glaube die Zuversicht, dass sie jenseits des Grabes den Lohn empfangen für die Tugenden, die sie im Leben betätigt haben, und für ihre treue Hingabe an das öffentliche Wohl. Das Vaterland aber bewahrt seinen Söhnen ein dankbares und ein pietätvolles Gedächtnis. Meine Herren Ständeräte ! Ich lade Sie ein, das Andenken an die hingeschiedenen Kollegen dadurch zu ehren, dass Sie sich von Ihren Sitzen erheben.

--=x-o-zg.-

Bundesblatt. 59. Jahrg. Bd. II.

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