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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde der Bäckermeister Peter Rey und Genossen gegen das Reglement betreffend die Sonntagsruhe in der Gemeinde Bern.

(Vom 30. März 1907.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde der Bäckermeister Peter Rey und Genossen gegen das Reglement betreffend die Sonntagsruhe in der Gemeinde Bern ; auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

In der Volksabstimmung vom 6./7. Oktober 1906 hat die Einwohnergemeinde Bern ein vom Stadtrat ausgearbeitetes ,,Reglement betreffend die Sonntagsruhe in der Gemeinde Berna angenommen, das in Artikel 4 bestimmt, dass die Verkaufsläden und Magazine, vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 5, an den öffentlichen Ruhetagen beständig geschlossen gehalten werden sollen, und in Artikel 5 als Ausnahme festsetzt :

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,,Gestattet ist an öffentlichen Ruhetagen ohne Bewilligung: 1. das Offenhalten der Krankenmobilienmagazine, öffentlichen Badanstalten, Museen, Panoramas und Konditoreien, 6. das Offenhalten der hiernach angeführten Geschäfte während folgender Stunden : c. bis mittags 12 Uhr und abends von 6 bis 8 Uhr : der Verkaufslokale der Schweinemetzger, der Bäckereien, Milch-, Butter- und Käsehandlungen.

Dagegen sind vormittags während der Stunde des öffentlichen Gottesdienstes, d. h. im Sommer von 8% bis 10% Uhi' und im Winter von 9% bis 10% Uhr, die sämtlichen unter 6 a bis e angeführten Geschäfte geschlossen zu haltend II.

Gegen dieses Reglement hat der Bäckermeisterverband der Stadt Bern mit Eingabe vom 27. Oktober 1906 Einsprache beim Regierungsrate des Kantons Bern erhoben und die Gleichstellung der Bäckereien mit den Konditoreien verlangt. Der Regierungsrat hat mit Beschluss vom 5. Januar 1907 auf ein Gutachten des Gemeinderates von Bern hin die Einsprache als unbegründet abgewiesen und dem städtischen Réglemente die Sanktion erteilt, gestützt auf folgende Erwägungen : Es liegen tatsächliche Verschiedenheiten zwischen den Zuckerbäckereien und den Bäckereien vor. Die Zuckerbäckereien sind für den Absatz ihrer Produkte hauptsächlich auf den Sonntag angewiesen, da der Arbeiter- und Mittelstand sich in der Regel im Laufe der Woche nicht Süssigkeiten zum Nachtische und für die Kinder gestattet. Sodann sind die meisten Konditoreiwaren wenig haltbar und können daher nicht zum voraus angefertigt und den Konsumenten abgeliefert werden.

Die Bäcker dagegen haben für'ihre Erzeugnisse alle Tage den gleichen Absatz und können, dank der grössern Haltbarkeit ihrer Ware, den Bedarf für den Sonntag schon am Samstag fertigstellen und verschicken. Tatsächlich besteht in Bern bereits die Übung, dass der Brotbedarf für den Sonntag schon am Samstag gedeckt wird, während die Konditoreiwaren erst auf den Sonntag bestellt werden. Die Unterscheidung der beiden G eschäftsbrancheii im Sonntagsruhereglement ist daher durchaus gerechtfertigt.

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III.

Mit Eingabe vom 15. Februar 1907 haben Peter Key und Genossen, sämtlich Bäckermeister in Bern, beim Bundesrate die staatsrechtliche Beschwerde eingereicht und den Antrag gestellt, es möge der Sanktionsbeschluss des bernischen Regierungsrates vom 5. Januar 1907 und diejenigen Bestimmungen des Sonntagsruhereglementes der Gemeinde Bern aufgehoben werden, welche die Bäcker andern Vorschriften unterstellen, als für die Konditoreien gelten.

Die Rekurrenten bringen zur Begründung folgendes vor : Die dem Bäckereigewerbe durch das Sonntagsruhereglement der Gemeinde Bern auferlegten Beschränkungen bedeuten eine ungleiche Behandlung der Bäcker vor dem Gesetze. Es kann von vorneherein nicht angenommen werden, dass Zuckerbäckerei und Bäckerei zwei verschiedene Gewerbe seien ; in Wirklichkeit sind sie nicht getrennt, da zwar nicht viele Zuckerbäcker auch Brot backen, wohl aber fast alle Brotbäcker Backwerk. Die Rekurrenten haben alle einen gemischten Betrieb, in welchem sowohl Brot wie auch Backwerk hergestellt wird. Was speziell die im Regierungsratsbeschlusse vom 5. Januar 1907 aufgestellte Behauptung betrifft, die Zuokerbäckereien seien für den Absatz ihrer Produkte auf den Sonntag angewiesen, weil der Arbeiter- und Mittelstand sich Backwerk in der Woche nicht gestatte, so ist darauf hinzuweisen, dass die ganze Bevölkerung sich Sonntags zürn Frühstück sowohl wie zu den Nachmittags- und Abendmahlzeiten mit Kleingebäck aus den Bäckereien versieht, und dass dieses Kleingebäck insbesondere auch von der Landbevölkerung, die Sonntags in die Stadt kommt, viel begehrt wird. Der Verkauf von Kleingebäck bedeutet aber bei den meisten Bäckereien einen erheblichen und wichtigen Teil des Einkommens. Denn auch die weitere Behauptung der Regierung ist falsch, dass die Bäcker für ihre Erzeugnisse alle Tage den gleichen Absatz hätten. Der Absatz des Kleingebäcks ist Sonntags stets grösser als in der Woche, und es gibt viele Bäckereibetriebe in der Stadt, bei denen es sich überhaupt nicht lohnt, an Wochentagen Kleingebäck herzustellen. Die vielen Hunderte von Wirtschaften der Stadt, in denen das Publikum am Sonntag Nachmittag einkehrt, verbrauchen eine Unmasse von Produkten der Kleinbäckerei. Keinem Wirte aber fällt es ein, seinen Bedarf schon am Samstag zu decken, da er nicht weiss, ob er am Sonntag ßnndesblatt. 59. Jahrg. Bd. HI.

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Nachmittag Gäste haben wird oder nicht ; denn, regnet es, so wird kein Stück Kleinbäckerei verbraucht, und ist das Wetter schön, so müssen Körbe voll hergeschafft werden ; der Wirt ist daher gezwungen, das Nötige je nach Bedarf am Sonntag Nachmittag zu holen. Dieses ganze Sonntagnachmittagsgeschäft, auf das die Bäcker ebenso angewiesen sind wie die Konditoren, geht den Bäckern durch das Gemeindereglement verloren. Auch die Behauptung, die meisten Konditoreiwaren besässen eine geringe Haltbarkeit und könnten daher nicht zum voraus angefertigt werden, ist unrichtig, denn beim grössten Teile der Konditoreiwaren kann auch ein Feinschmecker nicht sagen, ob das Produkt vor zwei oder 24 Stunden hergestellt worden ist, während sich auch der harmloseste Kunde dagegen auflehnen würde, wenn ihm der Bäcker ein 24 Stunden altes Weckli als frisch verkaufen wollte.

Endlich ist auch die Behauptung unrichtig, dass in Bern die Übung bestehe, den Brotbedarf für den Sonntag schon am Samstag zu decken. Die Behauptung des Regierungsrates mag darin ihren Ursprung haben, dass die bernische Genossenschaftsbäckerei den Genossen das Brot für den Sonntag schon am Samstag liefert ; ein freier Kunde lässt sich aber nicht das gleiche bieten, wie der Mitteilhaber an einem Genossenschaftsbetrieb.

IV.

Der Regierungsrat des Kantons Bern hat die Abweisung der. Beschwerde von Peter Rey und Genossen beantragt. Er beruft sich im wesentlichen auf die in seinem Beschlüsse vom 5. Januar 1907 angegebenen Gründe, und fügt noch bei : Das Rekursbegehren richtet sich materiell gegen einzelne Bestimmungen des Sonntagsruhereglementes der Gemeinde Bern und bloss formell gegen den Sanktionsbeschluss der Regierung vom 5. Januar 1907 ; es kann sich demnach nur fragen, ob die einzelnen angefochtenen Bestimmungen des Réglementes mit der Bundesverfassung im Widerspruch stehen und daher aufzuheben sind. Die Bundesverfassung ist aber nicht verletzt, da die Unterscheidung, welche das Reglement zwischen Bäckereien und Konditoreien getroffen hat, nicht willkürlich ist und daher auch dem Grundsatze der Rechtsgleichheit nicht widerspricht. Den Konditoreien musste die Offenhaltung des Ladens gestattet werden, weil der Geschäftsgang an Wochentagen gewöhnlich sehr flau ist und ihre Ware an Sonntagen den meisten

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Absatz findet ; denn der Grossteil der Bürgerschaft leistet sich begreiflicherweise nur an Sonntagen die Produkte der Konditoreien zum Nachtisch. Die Waren der Bäckereien dagegen finden als das notwendigste Nahrungsmittel die ganze Woche hindurch regelmässigen Absatz, und das Reglement erlaubt den Wirten, welche die hauptsächlichsten Kunden für das Kleingebäck der Bäckereien sind, bis 12 Uhr vormittags einzukaufen ; um diese Zeit wird aber auch der Wirt nach dem Wetter wissen, ob er eine grössere oder kleinere Menge Kleingebäckes gebrauchen wird. Übrigens fabriziert in der Stadt Bern keine Konfiserie das Kleingebäck, wie es an Sonntagen hauptsächlich von den Wirtschaften gebraucht wird. Wirte und übriges Publikum werden daher nach wie vor gezwungen sein, das Kleingebäck bei den Bäckereien einzukaufen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Das Gemeindereglement vom 6./7. Oktober 1906 schreibt in Artikel 4 als Regel vor, dass die Verkaufsläden an den öffentlichen Ruhetagen geschlossen werden sollen. Ausnahmsweise gestattet es aber in Artikel 5 das Offenhalten der Konditoreien während des ganzen Tages und den Bäckereien vormittags bis 12 Uhr, ausgenommen während der Stunde des öffentlichen Gottesdienstes, und nachmittags von 6 his 8 Uhr.

Die rekurrierenden Bäcker erblicken in dieser Regelung, die ihnen weitergehende Beschränkungen auferlegt als den Konditoren, eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit.

Es ist nicht Aufgabe des Bundesrates, zu untersuchen, ob die Art und Weise, in der ein Reglement die Arbeit an öffentlichen Ruhetagen regelt, in allen Teilen billig ist, und ob die verschiedene rechtliche Behandlung der Gewerbe der besondern Betriebsart jedes Gewerbes genügend Rechnung trägt. Solange die Kantone die Gesetzgebung auf diesem Gebiete besitzen, muss es auch ihnen überlassen werden, die billigste und den Ortsgebräuchen angemessenste Regelung zu finden. Die Aufgabe der eidgenössischen Rekursbehörde beschränkt sich darauf, zu prüfen, ob die von den kantonalen Organen aufgestellten Bestimmungen willkürlich seien oder ob sie sich durch sachliche Gründe rechtfertigen lassen. Die vom stadtbernischen Réglemente gemachte Unterscheidung zwischen den Konditoreien

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und den Bäckereien kann aber gewiss nicht als willkürlich bezeichnet werden ; denn der Hauptbestandteil des Bäckereigewerbes, der Brotverkauf, verteilt sich gleichmässig auf die ganze Woche, während die Konditoren gerade am Sonntag am meisten verkaufen. Wenn auch das Reglement die Bäcker ihres Nebengeschäftes, des Verkaufes von Kleingebäck, wegen, das allerdings am Sonntag mehr einträgt als an andern Tagen, nicht auf der ganzen Linie den Konditoren gleichgestellt hat, so ist doch zu beachten, dass es der Eigenart ihres Betriebes immerhin in erheblichem Masse Rechnung getragen hat, indem es ihnen das Verkaufen während mehreren Stunden des Tages gestattet. Das Reglement verletzt daher die Rechtsgleichheit nicht.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n > den 30. März 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Rimgier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde der Bäckermeister Peter Rey und Genossen gegen das Reglement betreffend die Sonntagsruhe in der Gemeinde Bern. (Vom 30. März 1907.)

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29.05.1907

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