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Kreisschreiben des

Bundesrates au sämtliche Kantonsregierungen, betreffend die Haager Abkommen vom 12. Juni 1902 zur Regelung des Geltungsbereiches der Gesetze und der Gerichtsbarkeit auf dem Gebiete der Ehescheidung und der Trennung von Tisch und Bett, und zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige.

(Vom 5. März 1907.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Wir haben seinerzeit, um den Kantonen die Ausführung der zwei Haager Abkommen vom 12. Juni 1902 zur Regelung des Geltungsbereiches der Gesetze und der Gerichtsbarkeit auf dem Gebiete der Ehescheidung und der Trennung von Tisch und Bett, und zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige zu erleichtern, an die ändern Vertragsstaaten Anfragen über diejenigen Grundsätze des ausländischen Rechtes gerichtet, die für die Anwendung dieser Abkommen auf Ausländer in der Schweiz oder auf Schweizer im Auslande von Bedeutung sind. Beiliegend übermitteln wir Ihnen nun in tabellarischer Form die Zusammenstellung dieser Grundsätze. Die Zusammenstellung beruht im wesentlichen auf den Mitteilungen der Regierungen der Vertragsstaaten, die M'ir in einzelnen Punkten ergänzt und mit Nachweisen versehen haben. Die in I t a l i e n geltenden Bestimmungen werden wir Ihnen später mitteilen, da unsere Anfrage von der italienischen Regierung noch nicht beantwortet worden ist.

Nach Art. l des Ehescheidungsabkommens können die Ehegatten eine Scheidungs- oder Trennungsklage nur dann erheben.

909 wenn sowohl das Gesetz des Heimatstaates als auch das Gesetz des Ortes, wo geklagt wird, die Scheidung resp. die Trennung von Tisch und Bett zulassen. Im fernem kann nach Art. 2 dieser Konvention nur dann auf Scheidung oder Trennung geklagt werden, wenn in dem zu beurteilenden Falle die Scheidung oder Trennung sowohl nach dem Gesetz des Heimatstaats als auch nach dem Gesetz des Ortes, wo geklagt wird, sei es auch aus verschiedenen Gründen, zulässig ist. Ungeachtet der Bestimmungen der Art. l und 2 ist nach Art. 3 das Gesetz des Heimatstaats allein massgebend, wenn das Gesetz des Ortes, wo geklagt wird, dies vorschreibt oder gestattet. Nach unsern Erkundigungen ist in D e u t s c h l a n d der Art. 3 des Abkommens gegenstandslos, da nach Art. 17, Abs. 4, des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in den Fällen, wo ausländische Ehegatten vor deutschen Gerichten klagen, das heimatliche Recht nicht ausschliesslich anwendbar ist. In F r a n k r e i c h ist nach der Gerichtspraxis das heimatliche Recht massgebend, es sei denn dass die öffentliche Ordnung (ordre public) seiner Anwendung in Frankreich entgegenstehe (Kassationshof, 12. Februar 1895, Journal du droit international privé 1895, pag. 834--835 ; 9. Mai 1900, 1. c. 1900, pag. 613ff.; 29. Mai 1905, I.e. 1905, pag. 1006ff.; 30. Oktober 1905). Ebenso ist in B e l g i e n das heimatliche Recht massgebend (Code civil, Art. 3, Alinea 3). In den N i e d e r l a n d e n und in R u m ä n i e n bestehen keine Bestimmungen über diese Frage. Über das in L u x e m b u r g und in S c h w e d e n geltende Recht haben wir keine Auskunft erhalten.

Für den in Art. 4 und 8 des Vormundschaftsabkommens vorgesehenen Verkehr zwischen den Vormundschaftsbehörden muss, im Verhältnis zu den d e u t s c h e n Behörden, der diplomatische Weg gewählt werden, sofern nicht die Behörden, die miteinander verkehren, Gerichte sind, in welchem Falle nach den Erklärungen zwischen der Schweiz und Deutschland vom 1./13. Dezember 1878 (A. S. der Bundesgesetze, n. F., III, 661--662) der unmittelbare Verkehr zulässig ist. Mit der belgischen und mit der französischen Regierung ist ein Einverständnis dahin erzielt worden, dass der Verkehr mit den b e l g i s c h e n und f r a n z ö s i s c h e n Behörden in der Regel durch die beidseitigen Konsulate vermittelt werden soll,
derart, dass über die Vormundschaft ausländischer Minderjähriger die schweizerischen Vormundschaftsbehörden mit dem zuständigen ausländischen Konsulat in der Schweiz, und über die Vormundschaft schweizerischer Minderjähriger im Auslande die

910 Vormundschaftsbehörden des Aufenthaltsortes mit dem zuständigen schweizerischen Konsulat zu verkehren haben. Die n i e d e r l ä n d i s c h e Regierung hat sich mit diesem Verfahren ebenfalls einverstanden erklärt, mit der Abweichung jedoch, dass die niederländischen Vormundschaftsbehörden bloss mit e i n e m schweizerischen Konsul verkehren sollen, demjenigen von Rotterdam. Die Beantwortung der Frage, auf welchem Wege die schweizerischen Vormundschaftsbehörden mit den Vormundschaftsbehörden der übrigen Vertragsstaaten verkehren sollen, behalten wir uns für einen spätem Zeitpunkt vor.

B e r n , den 5. März 1907.

Im Namen des Schweiz, ßundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Eingier.

2 Beilagen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

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1907

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20.03.1907

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908-910

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