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Schweizerische Bundesversammlung

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind Montag den 2. Dezember 1907, nachmittags 4l/2 Uhr, zur ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

Im N a t i o n a l rat eröffnete Herr Präsident Decoppet die Session mit folgenden Worten : Am 3. November hat das Schweizervolk das Werk der eidgenössischen Räte gutgeheissen und sich eine neue Militärorganisation gegeben. Es geschah dies mit einer Mehrheit von mehr als 60,000 Stimmen bei der ausserordentlich starken Beteiligung von 590,000 Stimmenden.

Dieses schöne Resultat ist von allen denjenigen freudig begrüsst worden, die in dem Gesetze von 1907 ein Mittel erblickten, die Unabhängigkeit unseres Vaterlandes und die Achtung vor unsern Institutionen noch besser als bisher sicherzustellen. Es war für uns ein erhebendes Gefühl, zu sehen, wie unser kleines Volk, im Bewusstsein seiner Freiheit, in einer Zeit des tiefen Friedens, sich erhob und seine Bereitwilligkeit kundtat, im Interesse der Landesverteidigung neue und schwere Opfer zu bringen.

Unter den heutigen Verhältnissen kommt einer solchen Kundgebung eine grosse Bedeutung zu. Sie bedeutet im allgemeinen den Triumph des vaterländischen Gedankens und ist ein Beweis, dass unser Land noch nicht daran denkt, seine ehrenvollen und patriotischen Überlieferungen preiszugeben.

Wenn unsere Freude über den erzielten Erfolg aber auch gross ist, so dürfen wir deshalb die Lehren und Ermahnungen, welche die grosse Zahl der verwerfenden Bürger in sich birgt, doch nicht ausser acht lassen. Die Befürchtungen und Erwägungen aller Art, auf welche dieselbe zurückzuführen ist, sind uns. bekannt und brauchen hier nicht aufgeführt zu werden. Nicht alle Verwerfenden sind Gegner unseres Heeres, Antimilitaristen. Im Gegenteil. Wir sind überzeugt, dass die bevorstehende Vollziehung

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Aes Gesetzes sie zum grossieri Teil zu Freunden desselben machen wird.

Wir hegen den Wunsch, dass dem so sein möge. Zu diesem Zwecke müssen sich diejenigen, welche berufen sind, die Durchführung des kürzlich angenommenen Gesetzes zu leiten, und die eidgenössischen Räte selbst in ihren Beschlüssen von der durch die Verhältnisse gebotenen Vorsicht leiten lassen. Das Gesetz von 1907 muss ja zweifellos in allen seinen Teilen vollzogen werden ; es dürfte aber angebracht sein, sich bei der Durchführung und der Wahl der dazu geeigneten Mittel der Zurückhaltung und Vorsicht zu befleissigen.

Irn S t ä n d e r a t öffnungsrede :

hielt Herr Präsident Wirz folgende Er-

Meine Herren Ständeräte !

Indem ich die Ehre habe, Sie zum Beginn der ordentlichen Wintersession der eidgenössischen Räte freundlich willkommen zu heissen, gestatte ich mir, eines Ereignisses Erwähnung zu tun, welches seit unserer letzten Tagung eingetreten ist, nachdem ihm eine gewaltige Erregung der Gemüter vorausgegangen war. Am 3. Wintermonat hat die Mehrheit des Schweizervolkes d i e n e u e e i d g e n ö s s i s c h e W e h r v e r f a s s u n g angenommen.

Schon die Tatsache, dass dieser Abstimmungstag die Schweizerbürger in einer'so grossen Zahl zur Urne führte, wie dies bis jetzt noch kein einziges Mal der Fall gewesen ist, bildet ein klassisches Zeugnis für das tiefgreifende Interesse, welches man in allen Landesgegenden und in allen Volkskreisen der Militärvorlage entgegenbrachte. Die tiefstliegenden Saiten des patriotischen Empfindens wurden in Schwingung versetzt. Die mächtige Bewegung, welche dem grossen Entscheidungstag voranging, und welche das ganze Volk der Eidgenossen ergriffen hatte, ist in erfreulicherweise ein zuverlässiger Bürge dafür, dass der r e p u b l i k a n i s c h - d e m o k r a t i s e h e Sinn und Gedanke tief wurzelt im Herzen und im Wesen unseres Volkes, sonst würde keine vaterländische Tagesfrage die Eidgenossen allüberall im Schweizerlande in eine solch lang andauernde Spannung zu versetzen vermögen-. Unter diesem Gesichtspunkte kann uns die nun hinter uns liegende Periode des Kampfes um die Neugestaltung unseres

27T Wehrwesens mit dem Gefühle einer patriotischen Genugtuungerfüllen.

Was uns aber vor allem aus zur lebhaften Befriedigung gereicht, das ist die Wahrnehmung, dass der v a t e r l ä n d i s c h e Gedanke noch lebendig und kräftig ist im Schweizervolke. Dafür zeugt nicht nur die Tatsache, dass die Mehrheit des Volkes sich entschlossen hat, die Opfer zu bringen, welche die Neuorganisation unserer Armee von uns verlangt, sondern dafür zeugt auch die Tatsache, dass die Minderheit in der eminenten Grosszahl der ·Stimmberechtigten, welche zu ihr gehörten, sich in ihrer Stellungnahme ausgesprochenermassen keineswegs von antipatriotischen Motiven leiten liess. In schicksalsschwerer Stunde, wenn das Vaterland seinen Ruf an alle seine Söhne ergehen lässt, werden sich die Sieger und die Besiegten vom 3. November in guten eidgenössischen Treuen zusammenfinden, um mannesmutig und fest geschlossen für die Ehr und Wehr des Vaterlandes einzugehen. Unter den verwerfenden Stimmen vom 3. November ist die Zahl derjenigen eine verschwindend kleine, welche nicht zu jeder Stunde und zwar mit einem um so opferwilligeren Herzen, je ernster die Stunde ist, der Fahne des Vaterlandes Heerfolge leisten würden. Dieses Bewusstsein ist schliesslich das Wertvollste, was uns der am 3. November zum Austrag gekommene Kampf hinterlassen hat.

Wir geben der Hoffnung Kaum und Ausdruck, dass sich -auch die Gegner der neuen Militärorganisation in einer relativ kurzen Frist mit ihr versöhnen und in Freunde derselben umgewandelt werden. Diese Hoffnung wird sich in dem Masse erfüllen, als man die Lehren beherzigt, welche der grosse Entscheidungstag unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht hat. Wir setzen diesfalls unser Vertrauen sowohl in den guten Willen als in die Tatkraft, welche an den massgebenden Stellen walten. Die Lehren, welche der jüngste Abstimmungstag verkündet, müssen aber durch .alle Stufen der militärischen Rangordnung hinauf beachtet werden.

Auswüchse müssen beschnitten und Übelstände müssen beseitigt wer·den. Dann wird auch das Zutrauen überall sich einstellen. Dieses Zutrauen ist ein wesentlicher Faktor für die Bewertung unseres Wehrwesens. Jene Auswüchse und Übelstände sind zu oft signalisiert worden, als dass ich länger dabei verweilen sollte. Wir wollen eine leistungsfähige und kriegstüchtige Armee, welche der hohen
Aufgabe der Ländesverteidigung gewachsen ist. In diesem Wunsche gehen alle biedern Eidgenossen einig, mögen sie am 3. Wintermonat auf dieser oder auf jener Seite gestanden haben. Wir an Bundesblatt. 59. Jahrg. Bd. VI.

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278 unserem Orte erblicken im jüngsten Volksentscheid eine Gewähr für die Erfüllung dieses Wunsches, und dessen freuen wir uns.

Meine Herren Kollegen!

Diesem Blick rückwärts folgt ein Blick vorwärts. Die Session, die wir heute eröffnen, wird für die schweizerische Eidgenossenschaft von einer historischen Bedeutimg sein. Sie bringt uns nach aller Voraussicht das n e u e e i n h e i t l i c h e Z i v i l g e s e t z b u c h . Die Schlussabstimmung über den Entwurf, wie er aus den Beratungen hervorgegangen ist und nun redaktionell endgültig festgestellt wurde, wird im Laufe der Session in beiden Räten .erfolgen. Diese Räte bringen damit, soviel an ihnen, ein grosses Werk zum Abschluss und zur Vollendung. Angesichts dieser denkwürdigen Tatsache darf hervorgehoben werden, dass die Beratungen in allen Stadien, welche der umfassende Entwurf zu durchlaufen hatte, von einem vaterländischen und eidgenössischen Geiste getragen waren. Man stand unter dem Eindruck, dass das Werk zu seinem Gelingen des Zusammenwirkens a l l e r Kräfte bedürfe. Dieses Zusammenwirken ist denn auch eingetreten und, was noch weit mehr sagen will, es ist immerfort festgehalten und ausdauernd betätigt worden. Es bleibt mir nur noch übrig, dem tief empfundenen Wunsche Ausdruck zu geben, dass das gleiche Gefühl, welches in den eidgenössischen Ratsälen die Beratung über das Zivilgesetzbuch beherrschte, nunmehr auch vom ganzen Volk der Eidgenossen geteilt werde, in dessen Hand jetzt das Schicksal des Gesetzeswerkes gelegt wird. Mögen die Eidgenossen noch in späten Zeiten auf die Dezembersession der Bundesversammlung von 1907 mit gehobenem Bewusstsein zurückblicken können, weil sie dem Lande das neue und einheitliche bürgerliche Recht gebracht hat.

Der Sprechende hatte bei früherer Veranlassung schon die Ehre, von dieser Stelle aus mit warmer Anerkennung der Männer zu gedenken, welche beim Entstehen und bei der Durchberatung des Zivilrechtsentwurfes in erster Linie und in verdienstvoller Weise tätig gewesen sind und Wissen, Einsicht und Erfahrung in einer glücklichen Verbindung in den Dienst der grossen Sache gestellt haben. Wenn das Werk aber so rasch und so umsichtig gefördert wurde, so ist dies zweifellos auch sehr wesentlich der Departementalleitung zu verdanken, unter deren fürsorglicher Obhut und Führung das weitaussehende Unternehmen von Anfang an gestanden hat. Es darf dies im gegenwärtigen, bedeutungsvollen Augenblicke betont und anerkannt werden.

279 Meine Herren Ständeräte !

In den letzten Wochen und Monaten haben sich zahlreiche Eidgenossen in der Heimat und im Ausland und sogar auch auf der ändern Hemisphäre daran erinnert, dass sich in diesen Tagen das s e c h s t e J a h r h u n d e r t erfüllt hat seit dem R ü t l i s c h w u r . Diese Erinnerung rief in engeren und in weiteren Kreisen einer patriotischen Erhebung der Geister. Ohne einen Speer in den Kampf zu tragen, der zwischen der Überlieferung und der Forschung, zwischen Sage und Geschichte waltet, wollen wir doch die tief im Herzen des Volkes wurzelnde Tradition treu und pietätvoll hüten. Unser Rat hat seinerzeit einstimmig den Beitrag des Bundes an die Schillerstiftung votiert. Es geschah dies aus Anlass der hundertjährigen Wiederkehr des Todestages jenes grossen Dichters, der die Männer vom Rütli und den Schützen von Bürgein in unsterblicher Weise besungen und durch seine Dichtung für alle Zukunft ein hohes Lied der Schweizerfreiheit geschaffen hat. Damals wurde in diesem Saale Schillers Teil in begeisterter Rede gefeiert. Wie könnten wir nun heute bei der sechsten Säkularwende der von Schiller besungenen Ereignisse des Schwures vom Rütli vergessen? Unseren Tagen blieb es vorbehalten, dass man sich über das Wesen, die Bedeutung und die Berechtigung der Vaterlandsliebe streitet. Der brave Eidgenosse trägt die Liebe zu seinem Vaterlande tief und fest eingewurzelt in seinem Herzen. Er empfindet sie als ein Stück seines innersten Wesens und seines eigenen Ich. Sie steht für ihn jenseits der Grenze des Gebietes, auf welchem man sich über Theorien und Doktrinen streitet. Für den biedern Schweizer steht die Vaterlandsliebe hoch über allem Zwiespalt der Meinungen.

Sie leuchtet wie eine Sonne über seinem Haupte und erwärmt und begeistert sein Herz zur kühnen Opfertat fürs Vaterland.

Die Idee, welche sich in den Männern des Rütli und im Rütlischwur verkörpert, wird immerdar das Fundament der Eidgenossenschaft bilden. Einsicht, Kraft und Mut, treues Zusammenstehen für Recht und Freiheit und festes Vertrauen auf Gottes Machtschutz -- das hat die Männer vom Rütli beseelt. In diesem Sinne ehren wir ihr Andenken auch in diesem Saale und wir verbinden damit den Wunsch, dass ihre dem Volksbewusstsein entsprechende und kunstvollendete Darstellung recht bald das schweizerische Bundeshaus schmücken möchte.

Schliesslich, meine sehr verehrten Herren Kollegen, betrachte ich es als eine angenehme Pflicht, Ihnen für die wohlwollende

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Nachsicht und Unterstützung zu danken, deren ich mich bei meiner Präsidialleitung von Ihrer Seite unausgesetzt zu erfreuen hatte und die immerdar zu meinen freundlichsten Erinnerungen zählen wird.

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 29. November 1907.)

Dem Kanton F r e i b u r g werden an die Kosten für Bodenerwerb, Verbau und Aufforstung auf den Weiden ,,La HautaSchiaz" und "Le Saanerle" im Flussgebiete der Gérine, folgende Bundesbeiträge zugesichert : a. an die Kosten für Landerwerb (Fr. 6400) : 40% = Fr. 2,560 b. an die Kosten für Verbau und Aufforstung (Fr. 24,600) : 80 % = ,, 19,680 zusammen Fr. 22,240

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11.12.1907

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