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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde der Herren Leonz Peter und Joseph Stocker in Pfeffikon gegen den Entscheid des Regierungsrates von Aargau, vom 8. April 1907, betreffend Beerdigungskosten.

(Vom 5. November 1907.)

Der schweizerische Bundes rat hat über die Beschwerde des L. P e t e r und Jos. S t o c k e r in PfeffiKon gegen den Regierungsrat von Aargau und dessen Entscheid vom 8. April 1907 betreffend Beerdigungskosten ; auf den Bericht des Departements des Innern, f o l g e n d e n B es ch l u ss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 28. Januar 1906 verstarb in Menziken, Kanton Aargan, Christoph Stephan Herzog, von Münster, Kanton Luzern, gewesener Zimmerpolier. Der Verstorbene wurde auf Wunsch seiner Familie auf dem Friedhof der benachbarten luzernischen Gemeinde Pfeffikon beerdigt, woselbst von der Witwe auch der Sarg, bei Schreiner L. Peter, und das Grab, bei Totengräber Jos. Stocker, bestellt worden waren.

1063 Über den Nachlass des Verstorbenen erging die gerichtliche Liquidation ; der Sarglieferant und der Totengräber kamen dabei im vollen Betrage ihrer Forderungen zu Verlust.

Hierauf gelangten diese, die heutigen Rekurrenten, vorerst au die Heimatgemeinde des Verstorbenen, Münster (Kt. Luzern), sodann an die letzte Wohngemeinde, Menziken (Kt. Aargau), mit dem Gesuche um Bezahlung ihrer Rechnungen für Sarg und Grab. An beiden Orten wurde ihnen abschlägiger Bescheid zu teil ; dort, in Münster, mit der Begründung, dass Herzog in Menziken gestorben und die Heimatgemeinde Münster somit nicht in Anspruch genommen werden könne, hier, in Menziken, mit der Motivierung, dass, wenn überhaupt eine Pflicht zur Übernahme derartiger Kosten für Kantonsfremde bestehe, diese Pflicht nicht der Wohngemeinde, sondern dem Staate Aargau obliege.

II.

Im März d. J. rekurrierten L. Peter und Jos. Stocker gegen den zuletzt erwähnten Entscheid des Gemeinderates von Menziken -- die angefochtene ablehnende Antwort, der Gemeindebehörde war auf Weisung der aargauischen Direktion des Innern erfolgt -- an den Regierungsrat des Kantons Aargau. Auch die kantonale Behörde wies den Rekurs mit Schlussnahme vom 8. April 1907 unter Zugrundelegung folgender Erwägungen ab : Von ausschlaggebender Bedeutung ist die Tatsache, dass die Beerdigung, für welche die Rekurrenten vom Staate Kostenersatz verlangen, nicht von diesem, sondern von den Angehörigen des Verstorbenen angeordnet worden ist. Diese Angehörigen haben somit selbst die Pflicht zur Bestattung, die vielleicht unter Umständen dem Staate hätte auffallen können, für sich übernommen. Diese Angehörigen haben den Rekurrenten den Auftrag zur Lieferung des Sarges und Herrichtung des Grabes erteilt und damit sich auch zur Bezahlung der daherigen Kosten verpflichtet. Anderseits haben die Eekurrenten diese Aufträge angenommen und ausgeführt und haben sich daher für die Bezahlung der Kosten an ihre Auftraggeber zu halten. Der Staat, von dessen Organen sie keinerlei Auftrag erhielten, ist ihnen gegenüber in keiner Weise verpflichtet. Es geht nicht an, dass Privatpersonen Bestattungen anordnen und die damit Beauftragten für die Bezahlung der Kosten an den

1064 Staat verweisen, auch wenn dieser nach dem Bundesgesetz für die Beerdigung zu sorgen gehabt hätte. Der Staat muss sich vorbehalten, in diesem Falle selbst seine Anordnungen zu treffen, und kann die Angehörigen des Verstorbenen nicht als seine Mandatare betrachten. Ebensowenig sind Berufsleutc, welche für Bestattungen arbeiten, berechtigt, solche Privatpersonen als die Bevollmächtigten des Staates anzusehen und von ihnen Aufträge auf Rechnung des Staates anzunehmen, zumal dann nicht, wenn die Beerdigung in einem anderen Kantone verlangt wird, als demjenigen, der für die Kostentragung angesprochen werden will.

III.

Mit Eingabe vom 6. Mai d. J. führen L. Peter und Jos.

Stocker gegen diesen Entscheid beim Bundesrate Beschwerde.

Sie stellen folgende Begehren : 1. Der Bundesrat wolle im allgemeinen den Staat Aargau zur Vollziehung des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1875 anJialten.

2. Der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Aargau, vom 8. April 1907, sei aufzuheben, und es sei die genannte Behörde einzuladen, dem L. Peter, Schreiner in Pfeffikon, für den Sarg und dem Totengräber Jos. Stocker, ebendaselbst, für das Grab des am 28. Januar 1906 verstorbenen Christoph Stephan Herzog, von Münster (Kt. Luzern), Bezahlung zu leisten.

Zur Begründung wird im wesentlichen angeführt : Der Staat Aargau hat für die Ausführung des Bundesgesetzes über die Kosten der Verpflegung erkrankter und der Beerdigung verstorbener armer Angehöriger anderer Kantone, vom 22. Juni 1875, nichts getan und keine Anordnungen zur Verwirklichung der ihm durch das erwähnte Gesetz aufgetragenen Fürsorge getroffen. Eine kantonale Verordnung vom 19. Juni 1828, welche die aargauische Direktion des Innern in ihrer Weisung an den Gemeinderat von Menziken angerufen hat, kann nicht als eine kantonale Ausführungsverordnung zum Bundesgesetz von 1875 angesehen werden. Andere kantonale Bestimmungen sind nicht vorhanden. Dadurch rechtfertigt sich das erste Begehren der Rekurrenten.

Was das zweite Begehren, die Abänderung des Entscheides des aargauischen Regierungsrates, vom 8. April 1907, an-

1065 belangt, so,,muss bemerkt werden, dass sich der Beschluss der kantonalen Behörde als engherzige Auslegung des Bundesgesetzes darstellt. In einem Beerdigungsfalle kann mit der Bestattung nicht zugewartet werden, bis die Staatsbehörde oder ein zuständiges staatliches Organ die bezüglichen Anordnungen gelroffen hat. Der Schreiner, bei dem der Sarg bestellt wird, und der Totengräber haben dafür zu sorgen, dass die Beerdigung, soviel an ihnen liegt, in der gesetzlichen Frist möglich ist. Das haben die beiden Rekurrenten getan, und darum soll ihr Anspruch gegenüber dem Kanton Aargau geschützt werden.

IV.

In seiner Vernehmlassung vom 8. Juni 1907 ersucht der Regierungsrat des Kantons Aargau um Abweisung beider Begehren der Rekurrenten.

Gegen den Vorwurf, dass der Kanton Aargau in keiner Weise für die Ausführung des zitierten Bundesgesetzes von 1875 gesorgt habe, protestiert der Regierungsrat und macht folgendes geltend : Der Kanton Aargau hat jenes Gesetz, das klar ist und keiner eigentlichen weiteren Ausführungsbestimmungen bedarf, von jeher in loyalster Weise angewendet, was das Staatsbudget und die Ausgaben in der Staatsrechnung beweisen. Mit Kreisschreiben vom 22. August 1882 hat die Direktion des Innern die Bezirksamtsinspektorate auf diese Pflicht noch besonders aufmerksam gemacht und denselben im Anschluss daran auch nähere Verhaltungsmassregeln zukommen lassen. Es ist also nicht richtig, dass der Kanton Aargau der ihm durch jenes Gesetz aufgetragenen Fürsorge für Kantonsfremde nicht nachkommt.

Den von den Rekurrenten angefochtenen Entscheid im Falle Herzog rechtfertigt der Regierungsrat im wesentlichen durch nachstehende Erwägungen : Im Falle Herzog war den aargauischen Behörden (Gemeinderat und Bezirksamt) die Pflicht und die Möglichkeit benommen, die nötigen Anordnungen für eine schickliche Beerdigung zu treffen. Diese Anordnungen wurden von der Familie des Verstorbenen selbst besorgt, und zwar, wie es scheint, im Einverständnis mit der Behörde von Pfeffikon (Kt. Luzern) ; denn ohne dieses Einverständnis hätte dort die Beerdigung jedenfalls nicht stattfinden können.

1066 Sodann kann dem genannten Bundesgesetze nicht der Sinn und die Bedeutung beigelegt werden, dass die Kantone in einem solchen Falle nachträglich für derartige Kosten einzustehen haben, d. h. wenn dieselben ohne ihr Vorwissen und ohne irgendwelche Begrüssung ihrer Organe erwachsen sind. Es widerspricht dies entschieden dem Wortlaute des Gesetzes.

Als sehr wichtiges Moment fällt hier noch in Betracht, dass die Beerdigung gar nicht im Kanton Aargau erfolgt ist, sondern im Kanton Luzern. Wenn konfessionelle Rücksichten für dieses Vorgehen bei den Angehörigen des Verstorbenen bestimmend waren, so ist dem entgegenzuhalten, dass diese Wünsche auch im Kanton Aargau und speziell in der Gemeinde Menziken, wo eine römisch-katholische Missionsstation besteht, hätten Berücksichtigung finden können. Wenn die Luzerner Behörden das dennoch zugelassen haben, so mögen auch sie die Folgen tragen, wenn hier überhaupt nachträglich noch gegenüber einer öffentlichen Kasse oder einem Kanton eine Zahlungspflicht statuiert werden will.

Endlich kann sich fragen, oh die Kantone auch dann für derartige Kosten aufzukommen haben, wenn die Zahlungsunfähigkeit der Zahlungspflichtigen Familie, wie hier, sich erst nachträglich herausstellt. Das ist offenbar nicht die Meinung des genannten Gesetzes.

V.

Art. i des Bundesgesetzes über die Kosten der Verpflegung erkrankter und der Beerdigung verstorbener armer Angehöriger anderer Kantone, vom 22. Juni 1875, lautet : Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass unbemittelten Angehörigen anderer Kantone, welche erkranken und deren Rückkehr in den Heimatkanton ohne Nachteil für ihre oder Anderer Gesundheit nicht geschehen kann, die erforderliche Pflege und ärztliche Besorgung und im Sterbefalle eine schickliche Beerdigung zu teil werden.

Das Kreisschreiben der aargauischen Direktion des Innern -- abgedruckt in der Zusammenstellung der ,,Erlasse betreffend Armenfürsorge für kantonsfremde Schweizerbürger und Ausländer, zum Gebrauche für die Armenbehörden, Ärzte und Apotheker, November 1903" -- enthält folgende hier in Betracht kommende Ausführungen :

1067 Der Staat hat die Pflicht, bei Erkrankung und beim Tode armer Kantonsfremder und armer Ausländer für eine angemessene Pflege und ärztliche Besorgung, sowie für eine schickliche Beerdigung auf Kosten des Staates zu sorgen.

Handelt es sich um Beerdigungen, so wird das Amtsrevisorat (Bezirksamt) mit Hülfe des Gemeinderates nach den jeweiligen Gebräuchen und den für Arme üblichen Taxen den Vollzug anordnen.

Diese Pflichtigkeit beginnt von der bei der zuständigen Staatsbehörde gemachten Anzeige hinweg ; sie hat also nicht die Bedeutung, dass der Staat derartige, ohne sein Vorwissen ergangene Kosten nachträglich zu bezahlen hat.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Die Kompetenz des Bundesrates zur Behandlung des Rekurses ist mit Rücksicht auf Art. 189, Abs. 2, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspüege gegeben.

II.

Dem ersten, allgemeinen Begehren der Rekurrenten, wonach der Staat Aargau zur Vollziehung des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1875 angehalten werden soll, kann, wie sich ohne weiteres ergibt, nicht entsprochen werden.

Einerseits stellen sich die Behauptungen der Beschwerdeführer, der Kanton Aargau habe keine Anordnungen über die durch das Bundesgesetz geforderte Fürsorge gegenüber erkrankten oder verstorbenen Kantonsfremden getroffen, als unrichtig heraus: Durch Kreisschreiben vom 22. August. 1882 hat die aargauische Direktion des Innern die Armenbehörden auf das Bundesgesetz von 1875 hingewiesen und in ausführlicher Weise das Verfahren gekennzeichnet, das von den Behörden in derartigen Fällen einzuschlagen ist ; ferner hat die genannte Direktion im November 1903 die eidgenössischen und kantonalen Vorschriften, sowie ihr Kreisschreiben von 1882 durch eine besondere Zusammenstellung den Armenbehörden, Ärzten und Apothekern in Erinnerung gerufen.

1UG8 Anderseits müsste -- selbst wenn der Kanton Aargau die vorerwähnten Massnahmen nicht getroffen hätte -- zuerst durch Hinweis auf konkrete Fälle und Tatsachen der Beweis erbracht werden, dass der Kanton Aargau in der Ausführung des Bundesgesetzes von 1875 säumig gewesen sei, und erst gestützt auf diese Beweise dürfte der von den Rekurrenten gemachte Vorwurf gegen den Regierungsrat des Kantons Aargau erhoben werden.

III.

In der Beurteilung des zweiten, speziellen Begehrens der Rekurrenten ist vor allem die prinzipielle Frage zu prüfen, ob das Bundesgesetz von 1875 von den Kantonen die Übernahme von Beerdigungskosten verlangt, die durch Bestellungen von Privatpersonen, d. h. ohne' Vorwissen der Staatsbehörden, entstanden sind. Die Rekurrenten setzen diese nachträgliche Übernahme der Kosten durch den Staat als selbstverständlich voraus, während sich die aargauische Direktion des Innern in ihrem Kreisschreiben von 1882 und der aargauische Regierungsrat in seinem Entscheid vom 8. April 1907 und in der Rekursbeantwortung entschieden gegen diese Auffassung aussprechen. Die Frage wird durch den Wortlaut des Bundesgesetzes selbst nicht entschieden ; auch ist der Bundesrat in der bisherigen Praxis noch nie in den Fall gekommen, sich darüber auszusprechen.

Man könnte nun, mit den Rekurrenten, aus Billigkeitsrücksichten zu der Ansieht gelangen, dass der Umstand, wer den Sarg und das Grab bestellt, nicht von ausschlaggebender Bedeutung auf die Zahlungspflicht des Staates sein soll. Die finanziellen Konsequenzen jedoch, welche eine solche Auslegung für die Kantone zur Folge haben müsste, und die mannigfaltigen Missbräuche, welche sich auf Grund einer derartigen Interpretation des Bundesgesct/es bilden könnten, sprechen entschieden zu gunsten der Auffassung der aargauischen Direktion des Innern und des Regierungsrates. Diese Ansicht scheint auch bei Erlass des Gesetzes von 1875 bestanden zu haben ; die Botschaft des Bundesrates drückt sich folgendermassen aus : ,,Das Gesetz mischt sich nicht in die Regelung des Armenwesens ein ; es befasst sich nur mit a u s n a h m s w e i s e n Fällen, wo die Humanität den Rücktransport verbietet, oder mit a u s s e r o r d e n t l i c h e n Todesfällen."-

1069 Schon dadurch scheint die Festsetzung einer nachträglichen.

Zahlungspflicht des Kantons Aargau als ausgeschlossen.

Hierzu tritt noch ein weiterer Umstand, der von den Rekurrenten völlig ausser acht gelassen wird : die Tatsache, dass das Begräbnis des Christoph Stephan Herzog gar nicht im Kanton Aargau, sondern in der luzernischen Gemeinde Pfefîikon stattfand. Wenn der Kanton Aargau in den Fall gekommen wäre, nach Vorschrift des Bundesgesetzes von 1875 ein schickliches Begräbnis für Christoph Herzog anzuordnen, so wäre die Beerdigung -- wie aus den Ausführungen des Regierungsrates hervorgeht und im übrigen als selbstverständlich gelten kann -- im Kanton Aargau erfolgt. Die Rekurrenten können sich somit auch nicht darauf berufen, dass sie die Bestellung de& Sarges und des Grabes durch die Angehörigen des Christoph, Herzog als Anordnungen der aargauischen Behörden oder wenigstens als Aufträge, die mit Zustimmung der aargauischen Behörden gegeben wurden, ansehen durften. Die Beschwerdeführer mussten sich schon bei Annahme der Bestellung darüber klar sein, dass sie, bei Eintreten von Zahlungsunfähigkeit der Besteller, nicht die Staatskasse des Kantons Aargau in Anspruch nehmen konnten. Es sprechen also auch keine Biüigkeitserwägungen für den Schutz des zweiten Begehrens der Rekurrenten.

Demnach wird erkannt: Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 5. November 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,.

Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft ; Ringier.

-èz-0-sS.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde der Herren Leonz Peter und Joseph Stocker in Pfeffikon gegen den Entscheid des Regierungsrates von Aargau, vom 8. April 1907, betreffend Beerdigungskosten. (Vom 5. November 1907.)

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13.11.1907

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