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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Jakob Schlaue, Automatengeschäft in St. Gallen, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit.

(Vom 13. Juni 1907.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des Jakob S c h l a u e , in St. Gallen, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Jakob Schlaue hat in der Stadt St. Gallen und in ändern Ortschaften des Kantons St. Gallen eine ganze Anzahl sogenannter Elektraschiessautomaten in Wirtschaften aufgestellt. Am Apparat ist eine nach allen Richtungen bewegliche, mit Visier und Korn versehene Pistole befestigt, aus welcher man mit einem 10 Centimestück nach der etwa 40 cm. entfernten Zielöffnung des Apparates schiessen kann. Jeder Treffer gibt dem Schützen Anspruch auf Getränke oder Zigarren im Werte von 20 Cts. Der Eigentümer des Apparats vergütet dem Wirt, in dessen Lokal der Automat aufgestellt ist, den Preis der für die Treffschüsse abgegebenen Getränke oder Zigarren und gibt ihm vom Rest des im Automaten befindlichen Geldes noch weitere 20 °/o ab.

In Erwägung, dass dieser Schiessautomat ein Glücksspiel sei, ähnlich den bekannten Würfelautomaten, dass er das Publikum zu übermässigem Alkoholgenuss verleite und dass solche

399 Glücksspiele durch Art. 169 des Polizeistrafgesetzes vom 10. Dezember 1808 und durch Art. 42, lit. a, des Wirtschaftsgesetzes vom 25. Mai 1905 verboten seien, beschloss der Regierungsrat des Kantons St. Gallen am 8. Februar 1907, es sei den Interessierten durch Protokollauszug der Bescheid zu erteilen, dass die Gemeindebehörden Gelegenheit haben, gegen die Schiessautomaten, gestützt auf Art. 169 des Polizeistrafgesetzes von 1808 einzuschreiten.

Dieser Beschluss wurde am 12. Februar 1907 dem Jakob Schlaue zugestellt. Der Gemeinderat der Stadt St. Gallen hat sodann, gestützt auf diesen Beschluss des Regierungsrates, am 18. Februar 1907 die Aufstellung und Benutzung von Schiessautomaten und ähnlichen Einrichtungen in Wirtschaften verboten.

II.

Mit Eingabe vom 13. April 1907 beschwert sich Jakob Schlaue in St. Gallen beim Bundesrat über den obigen Beschluss und stellt das Begehren, der Entscheid sei, weil er den Art. 31 der Bundesverfassung verletze, aufzuheben.

Es sei unrichtig, wenn der Regierungsrat den Schiessautomaten dem Würfelautomaten gleichstelle. Denn während beim letztern der Gewinn einzig vom Zufall abhänge, sei beim Schiessautomaten die Geschicklichkeit des Schiessenden ausschlaggebend. Schon nach kurzer Übung erhalte man ziemlich viele Treffer. Der Apparat rentiere nicht deshalb, weil es schwierig sei, zu treffen, sondern weil erfahrungsgemäss die gleichen Personen nicht lange schiessen und das grosse Publikum auch die geringe Zielsicherheit, die zum Treffen gehört, nicht besitze.

Deshalb stelle der Rekurrent die Automaten hauptsächlich in grössern Wirtschaften mit stets wechselndem Publikum auf.

Da also, wie auch verschiedene deutsche Verwaltungs- und Gerichtsbehörden anerkannt hätten, die Elektraautomaten kein Spiel im technischen Sinn des Wortes seien, so können sie auch nicht auf Grund des Art. 169 des Polizeistrafgesetzes verboten werden, denn diese Vorschrift betreffe nur das eigentliche Glücksspiel. Von ,,verderblichem oder unmässigem"1 Spiel, wie es in jener Gesetzesbestimmung heisse, könne bei den geringfügigen Einsätzen und den harmlosen Gewinnsten vollends keine Rede sein. Dass aber der Gewinn nicht in Geld, sondern in Waren ausgerichtet werde, sei gerade ein Vorteil, weil die Aussicht auf Geldgewinn die Spielleidenschaft viel stärker anfache als die Aussicht auf Getränke und Zigarren, die doch nur in sehr be-

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schränkten! Mass genossen werden können. Die Behörden hätten weit mehr Anlass, gegen das gewöhnliche Kartenspiel einzuschreiten, wo Gewinn und Verlust sich auch für kleine Leute sofort in ganz andere Ziffern umsetzen, als beim Schiessautomaten.

Durch das Verbot des Gemeinderates der Stadt St. Gallen, welchem ohne Zweifel bald ähnliche Verbote in ändern Gemeinden folgen werden, erleide der Rekurrent empfindlichen Schaden und werde in der freien Ausübung seines Gewerbes ganz wesentlich beeinträchtigt. Der Beschluss des Regierungsrates involviere, als direkte Ursache der gemeinderätlichen Verbote, eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung gegenüber dem Rekurrenten.

in.

Mit ihrer Vernehmlassung vom 3. Mai 1907 beantragt die Regierung des Kantons St. Gallen Abweisung der Beschwerde.

Sie verweist zur Begründung im wesentlichen auf ihren angeführten Beschluss und fügt noch folgendes bei : Ein vom Vorstand des Polizei- und Militärdepartements und des kantonalen Patentbureaus vorgenommener Augenschein habe ergeben, dass die Schiessautomaten als gewöhnliche und verderbliche Glücksspiele bezeichnet werden müssen. Nach der Überzeugung der Regierung hänge der Gewinn nicht von der Geschicklichkeit des Schiessenden, sondern vom Zufall ab. Es gehe dies auch aus den Prospekten des Automatengeschäfts hervor, worin dieses ,,Spiel"1 den Wirten als ,,ein Geldbringer ersten Ranges'1 angepriesen werde. Das Bezirksamt Nesslau nenne die Automaten ,,eine ganz raffinierte Ausbeutung des Publikums11.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Der angefochtene Beschluss des Regierungsrates des Kantons St. Gallen enthält kein eigentliches Verbot der Schiessautomaten, sondern nur die Erklärung, dass die Gemeindebehörden gegen die Aufstellung dieser Apparate auf Grund des Spielverbots in Art. 169 des Polizeistrafgesetzes einschreiten können. Es könnte sich daher fragen, ob dieser Beschluss, der keine Entscheidung traf, zum Gegenstand eines staatsrechtlichen Rekurses gemacht werden konnte und ob nicht das Verbot der Gemeinde St. Gallen zuerst beim Regierungsrat und im Falle der Bestätigung beim Bundesrat hätte angefochten werden sollen. Indessen darf ange-

401 nommen werden, dass sich die Beschwerde, der Sache nach, auch gegen das Verbot der Gemeinde St. Gallen richtet, und was die Nichtbefolgung des Instanzenzugs betrifft, so wäre die Anrufung des Regierungsrates unter den vorliegenden Umständen eine leere Formalität, die dem Rekurrenten nicht zugemutet werden kann, da der Regierungsrat ohne allen Zweifel den Rekurs abgewiesen hätte. Der Regierungsrat hat denn auch diese Einrede nicht geltend gemacht.

2. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen rechtfertigt das Verbot aus der doppelten Erwägung, dass der Apparat des Rekurrenten die Besucher von Wirtschaften zum Glücksspiel und zum übermässigen Alkoholgenuss verleite.

Nach den Feststellungen der st. gallischen Behörden, deren Richtigkeit zu bezweifeln der Bundesrat keinen Grund hat, ist der Schiessautomat Elektra in der Tat "weit mehr ein Glücksais ein Geschicklichkeitsspiel, und wenn ihm auch der Umstand, dass nicht um Geld, sondern um Genussmittel in natura gespielt wird, seine Gefährlichkeit als Glücksspiel zum Teil nimmt, so verleitet er eben deswegen um so mehr zu übermässigem Genuss alkoholischer Getränke. Es geht daher nicht über den Rahmen erlaubter wirtschaftspolizeilicher Massnahmen hinaus, wenn die Aufstellung derartiger Automaten verboten wird. Die Kantone sind zu solchen Einschränkungen der Gewerbefreiheit, wie der Bundesrat in seiner Praxis mehrfach anerkannt hat, auf Grund von Art. 31, lit. e, berechtigt.

Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 13. Juni 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Jakob Schlaile, Automatengeschäft in St.

Gallen, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit. (Vom 13. Juni 1907.)

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